Vorbemerkung
Die Sowjetunion und die DDR betreiben seit Jahren eine kompromißlose und entspannungsfeindliche Deutschland-Politik. Die entscheiden Weichen für die auf die Zementierung und Legalisierung des Status quo gerichtete Politik stellte der Kreml in den Jahren 1954/55. Damals entschloß sich die Sowjetführung, in der Deutschlandfrage nicht mehr wie bis dahin auf staatsrechtlicher, sondern auf völkerrechtlicher Ebene zu argumentieren. Ihren Ausdruck fand diese Politik in der Zwei-Staaten-These, die in der DDR gelegentlich schon früher geäußert worden ist
Bis 1955 hat die Sowjetführung zwar verbal die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, die in der Bundesrepublik und der DDR lebende Bevölkerung gemeinsam über den künftigen Status Deutschlands entscheiden zu lassen, die Verwirklichung dieses Vorhabens hat sie jedoch in jeder Weise erschwert. Seit 1955 lehnt der Kreml diese Möglichkeit kategorisch ab. Mit dem Hinweis auf die neuen Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands hat er seitdem immer wieder betont, daß die „mechanische Vereinigung" der „beiden deutschen Staaten" nicht mehr opportun und realisierbar sei. Die sowjetische Regierung vertritt den Standpunkt, die staatliche Einheit Deutschlands könne nur im Wege einer Annäherung und Zusammenarbeit zwischen Bonn und Ost-Berlin wiederhergestellt werden. Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands falle nicht mehr in die — auch von sowjetischer Seite — bis 1955 bejahte Vier-Mächte-Verantwortung.
Die sowjetische Führung fühlt sich nur noch mitverantwortlich für den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland, der auf der Teilung des Landes basieren soll.
Festzuhalten bleibt jedoch, daß sich die Sowjets in allen wichtigen Abmachungen mit der DDR — zuletzt im Freundschaftsund Beistandspakt vom 12. Juni 1964 — die aus den gemeinsamen Abkommen mit den westlichen Alliierten aus den Jahren 1944/45 resultierenden und Gesamtdeutschland betreffenden Rechte ebenso vorbehalten haben wie die drei Westmächte in dem am 5. Mai 1955 in Kraft getretenen Deutschland-Vertrag. Ihres Rechtes, in gesamtdeutschen Fragen mitsprechen zu können, wollen sich die Sowjets — gerade im Hinblick auf die Berlin-Frage — nicht restlos begeben
Nach sowjetischer Meinung sind beide Teile Deutschlands, unabhängig von ihrer Bevölkerungszahl und wirtschaftlichen Produktionskraft, als gleichberechtigte Völkerrechtssubjekte anzusehen. Dies ist auch der Standpunkt der DDR-Regierung. Um ihm mehr Nachdruck zu verleihen und um von vornherein die Möglichkeit zu verbauen, den Prozeß der Wiedervereinigung auf staatsrechtlicher Basis einzuleiten, hat Ost-Berlin in den Jahren ab 1957 mehrmals die Bildung einer Konförderation zwischen der Bundesrepublik und der DDR vorgeschlagen. An dieser von sowjetischer Seite unterstützten These hat die SED-Führung bis zum Frühjahr 1967 festgehalten. Die Konföderation wurde als „die große Chance für die Wiedervereinigung" bezeichnet. Inzwischen ist der Begriff „Konföderation" aus der Ost-Berliner Argumentation in der Deutschlandfrage verbannt worden. Er paßt nicht mehr in die von der SED betriebene Politik der Selbstisolierung. Ihr geht es darum, der auf Entspannung gerichteten Deutschland-Politik der Großen Koalition einen Riegel vorzuschieben. Die am 9. April 1968 in Kraft getretene neue DDR-Verfassung legt für diese Politik der Einigelung Zeugnis ab.
Doch scheint es keinesfalls ausgeschlossen, daß die SED-Führung eines Tages auf die von ihr früher entwickelten Konföderationspläne zurückkommen wird. Ihre Prüfung ergibt, daß sie inhaltlich voneinander abweichen. Auch hat sich die mitteldeutsche Völkerrechtslehre in starkem Maße mit der Problematik einer „deutschen Konföderation" befaßt. Dabei verdienen zwei Aspekte besondere Beachtung: Im völkerrechtlichen Schrifttum der DDR wurden die offiziellen Konföderationsvorschläge zum Teil konkretisiert und präzisiert. Zum anderen haben einige dazu veröffentlichte Arbeiten mit Akribie nahezu alle Beiträge verwertet, die in der Bundesrepublik zu diesem Thema erschienen sind.
Hinzu kommt: Uber die Chancen, die Wiedervereinigung Deutschlands im Wege einer allmählichen Annäherung und der Bildung einer Konföderation der Bundesrepublik und der DDR auf freiheitlicher, demokratischer und rechtsstaatlicher Basis zu erreichen, bestehen in manchen politischen Kreisen der Bundesrepublik und ihrer westlichen Verbündeten große Illusionen. Von verschiedenen Seiten wird das Schlagwort „Konföderation" den „nach Wiedervereinigung Dürstenden" als „tröstende Fata Morgana in den Wind gemalt"
I. Der Begriff „Konföderation"
Die Völkerrechtslehre hat seit langem versucht, die Vielfalt der historisch auftretenden Staatenverbindungen wissenschaftlich zu klassifizieren und alle historischen Fälle bestimmten abstrakten Kategorien einzuordnen. Die üblichen Einteilungssysteme unterscheiden zwischen völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Verbindungen, solchen auf der Grundlage der Gleichordnung oder der Uberund Unterordnung, zwischen organisierten oder unorganisierten und anderen mehr
Im Gegensatz zum Staatenbund ist der Bundesstaat ein Staat und als solcher Subjekt des Völkerrechts, wenn nur das Merkmal der Unabhängigkeit dritten Staaten gegenüber vorliegt. Friedrich Berber stellt dazu fest: „Die Gliedstaaten dagegen sind zwar im staatsrechtlichen Sinn Staaten, Subjekte des Völkerrechts dagegen sind sie entweder überhaupt nicht oder nur in gewissen Beziehungen und mit gewissen Beschränkungen. Während also die Beziehungen zwischen Mitgliedern eines Staaten-bundes völkerrechtlicher Natur sind, sind die Beziehungen zwischen Mitgliedern eines Bundesstaates staatsrechtlicher Natur."
Die „Intensität der Integrierung der Verbindung"
Der Staatenbund muß eigene, von den Mitgliedstaaten getrennte Organe besitzen, durch die er die gemeinsamen Angelegenheiten verwaltet. Meistens ist nur ein Hauptorgan vorhanden, und in der Regel verfügt jeder Staat nur über eine Stimme. Es kann aber auch ein nach der Bedeutung der Staaten abgestuftes Stimmrecht vorkommen (wie im Deutschen Bund). Nicht erforderlich ist, daß diese Organe gegenüber den verbundenen Staaten eine Befehls-und Zwangsgewalt ausüben. Auch wenn sie nur Empfehlungen, nicht aber Weisungen erteilen können, liegt ein Staatenbund vor. Dann behält jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht, das nicht durch Mehrheitsbeschlüsse überwunden werden kann
Die Bildung einer Konföderation erscheint nur dann sinnvoll, wenn ein gewisses Mindestmaß an Übereinstimmung in den grundlegenden Strukturprinzipien des Aufbaus der beteiligten Staaten und deren außenpolitischen Zielsetzungen gegeben ist
Andere Autoren beschränken sich auf die Feststellung, daß eines der charakteristischen Merkmale der Konföderation sei, daß ihre Mitglieder als Völkerrechtsubjekte aufträten; das schließe jedoch nicht aus, daß auch die Konföderation als Völkerrechtssubjekt fungieren könnte
Auch die völkerrechtlichen Stellungnahmen aus der DDR stützen sich weitgehend in ihren theoretischen Erörterungen auf westliche Darstellungen über die Staatenverbindungen. So definiert das „Wörterbuch der Außenpolitik" den Begriff „Konföderation": „Zusammenschluß von zwei oder mehreren Staaten, die einige gemeinsame Staatsorgane für die Durchführung bestimmter Ziele, z. B. für die gemeinsame Verteidigung, für die auswärtigen Beziehungen usw., besitzen. Konföderationsbeziehungen werden gewöhnlich auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages hergestellt; sie wirken sich auch auf die nachfolgenden Beziehungen innerhalb der K.
Auf wissenschaftlicher Seite haben sich in der DDR vornehmlich Walter Poeggel, Ingo Wagner und Joachim Peck mit den völkerrechtlichen und politischen Aspekten von Staatenbünden befaßt. Auch sie gehen davon aus, daß die Konföderation die am weitesten gehende, noch völkerrechtlichen Charakter tragende Form der Verbindung von Staaten darstelle. Der völkerrechtliche Charakter dieser Form der Verbindung von Staaten ergäbe sich vor allem aus der Tatsache, daß die eigenstaatliche Exi-stenz und Souveränität der konföderierten Staaten unangetastet bleiben. „Dieser Umstand schließt den Prozeß der fortschreitenden Annäherung und schließlichen Vereinigung der Konföderationspartner nicht nur nicht aus, sondern ist ... vielmehr Voraussetzung dafür. ”
Auf drei Feststellungen legen die mitteldeutschen Autoren besonderen Wert: In der Konföderation müsse der Grundsatz der staatlichen Souveränität und der Gleichberechtigung zur Geltung kommen; die Gleichberechtigung spiegele sich auch in den Organen der Konföderation wider, die nach dem Prinzip der Parität zusammengesetzt sein müßten?
II. Die Konföderationspläne Ost-Berlins
1. Offizielle Stellungnahmen Der Begriff „Konföderation" erschien zum erstenmal in einer offiziellen Verlautbarung Ost-Berlins zur Jahreswende 1956/57. Walter Ulbricht führte dazu in einem Beitrag „Was wir wollen und was wir nicht wollen" aus; „Ist es also nicht notwendig, daß im Interesse der Wiedervereinigung die Arbeiterklasse ganz Deutschlands gemeinsam den Kampf gegen den Militarismus und die Herrschaft der großen Monopole in Westdeutschland führt und zu diesem Zweck eine Verständigung zwi-sehen den Arbeiterparteien und den Gewerkschaften ganz Deutschlands erfolgt? Nachdem in Deutschland zwei Staaten mit verschiedenen gesellschaftlichen Systemen bestehen, ist es notwendig, zunächst eine Annäherung der beiden deutschen Staaten herbeizuführen, später eine Zwischenlösung in Form der Konföderation oder Föderation zu finden, bis es möglich ist, die Wiedervereinigung und wirklich demokratische Wahlen zur Nationalversammlung zu erreichen.“
Ulbrichts Konföderations-Plan vom 30. Januar 1957
Nach dem Besuch einer Ostberliner Regierungsdelegation in Moskau — gestützt auf die gemeinsame Erklärung der Regierungen der Sowjetunion und der DDR vom 7. Januar 1957, in der die Sowjetführung unter Berufung auf ihre aus dem Warschauer Vertrag resultierenden Bündnispflichten versicherte, daß sie „alle Versuche, bei der Lösung der deutschen Frage zu Gewaltmethoden zu greifen und .. , mit feindlichen Handlungen die volksdemokratische Ordnung der DDR zu untergraben, zunichte" machen würde
c) Verzicht auf die „Politik der Remilitarisierung"; d) Beiderseitige Begrenzung der Streitkräfte und Errichtung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa;
e) Schaffung einer Zone verminderter Rüstung unter Teilnahme beider Teile Deutschlands.
Zu den innenpolitischen Voraussetzungen sollten gehören:
a) Entfernung der „führenden Nazifunktionäre aus dem Staats-und Wirtschaftsapparat Westdeutschlands";
b) Ausschaltung „militärischer und imperialistischer Kräfte";
c) Verzicht auf die „Politik der Refaschisierung" ;
d) Führung des Proletariats „im Bündnis mit den Mittelschichten und Kreisen des nationalen Bürgertums";
e) Liquidierung der „Herrschaft der Monopole" ;
f) Volksabstimmung über die „Überführung der Schlüsselindustrie in Volkseigentum";
g) Aufhebung des Betriebsverfassungsgesetzes; h) Herstellung der „vollen Rechte der Arbeiter", „einschließlich der Arbeiterkontrolle in den Großbetrieben";
i) Beseitigung der „Vorrechte der Großgrundbesitzer" ;
j) „Demokratische Bodenreform" (Enteignung des Besitzes über 100 Hektar);
k) Herstellung der „vollen demokratischen Rechte der werktätigen Bauern";
1) Beseitigung aller Maßnahmen des Finanz-kapitals, „die den Mittelstand benachteiligen, und Gewährleistung der Rechte der Handwerksorganisationen und anderer Organisationen des Mittelstandes";
m) Durchführung einer Schulreform
Ein Kuriosum dieser Vorschläge bestand darin, daß neben einer vollen Entschädigung der Kleinfunktionäre die Besitzer großer Aktienpakete dann teilweise entschädigt werden sollten, wenn „sie für das Programm der demokratischen Wiedervereinigung eintreten"
Sobald diese Vorbedingungen erfüllt seien, sollte ein aus Vertretern beider Teile Deutschlands bestehender, paritätisch zusammengesetzter „Gesamtdeutscher Rat" gebildet werden, der aufgrund der geltenden Wahlgesetze zu wählen ist. Der Gesamtdeutsche Rat, als „Organ der Vereinigung Ost-und Westdeutschlands auf der Grundlage der Konföderation" apostrophiert, sollte die Funktionen einer Regierung der „deutschen Konföderation" ausüben und sich folgenden Aufgaben widmen: a) Herstellung einer einheitlichen Verwaltung; b) Schaffung einer Zoll-und Valuta-Union, einer Koordinationskommission für Fragen der nationalisierten Industrie, einer einheitlichen Notenbank und Währung und eines einheitlichen Transport-und Nachrichtenwesens u. a. c) Ausarbeitung der Maßnahmen für die „Durchführung von freien gesamtdeutschen Wahlen zur Nationalversammlung".
Gesamtdeutsche Wahlen bilden also das Ergebnis dieses Prozesses. Sie seien zu dem Zeitpunkt möglich, „da die freie und unabhängige Ausübung der Rechte des Volkes in ökonomischer, politischer und völkerrechtlicher Hinsicht gewährleistet ist, wenn alle ausländischen Truppen vom Territorium Deutschlands abgezogen sind und die ausländischen Militär-stützpunkte liquidiert wurden".
Schon aus diesem ersten konkreten Konföderationsprogramm der SED ging klar hervor, daß Ost-Berlin die Schaffung einer „deutschen Konföderation" von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwandlungen in der Bundesrepublik abhängig machen wollte. Die in der DDR etablierte Ordnung sollte unangetastet bleiben. Ulbrichts Plan stieß im Westen auf einhellige und scharfe Ablehnung. So schwächte der damalige Ministerpräsident Otto Grotewohl am 11. Februar 1957 auf einer Parteiversammlung in der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften Ulbrichts Forderungen mit dem Hinweis ab: „Diese Konföderation geht von der prinzipiellen Auffassung aus, daß zunächst die beiden deutschen Staaten in ihrer gegenwärtigen Form, in ihrem Inhalt und in ihrer ganzen Lebensweise selbständig bestehen bleiben. Diese Konföderation schafft keine über den einzelnen Staaten stehende selbständige Staatsgewalt. Der eine kann nicht den anderen bedrük-ken, vergewaltigen, sondern er erkennt den anderen an. Es entsteht also keinerlei Herrschaftsverhältnis der beiden Staaten übereinander."
Erneut hob Grotewohl hervor, daß für die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen in Deutschland alle Voraussetzungen fehlten: „Das Aneinanderkleben durch die Abgabe eines Stimmzettels könne die sozialen Verhältnisse, die gesellschaftlichen Verhältnisse dieser beiden Staaten nicht lebensfähig gestalten, sondern müßte zu einem großen ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Durcheinander führen."
Während sich noch die V. Gesamtdeutsche Arbeiterkonferenz am 9. März 1957 in Leipzig Ulbrichts Bedingungen vollends zu eigen machte, ging die Zonenregierung — möglicherweise unter dem Eindruck der heftigen Kritik im Westen — in der Folgezeit dazu über, die Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Umgestaltung der Bundesrepublik aus ihren Vorschlägen zu eliminieren. In der Ostberliner Regierungserklärung vom 3. April 1957 waren Ulbrichts Bedingungen auf die Formel „Liquidierung der Herrschaft der Monopole"
Grotewohls Regierungserklärung vom 27. Juli 1957
In seiner Regierungserklärung ging Grotewohl wiederum davon aus, daß die „beiden deutschen Staaten" nicht „mechanisch von außen durch gesamtdeutsche Wahlen in einen Staat zusammengefügt"
Grotewohl legte Wert auf die Feststellung, daß die von den Körperschaften der Konföderation in gegenseitigem Einvernehmen angenommenen Empfehlungen und Beschlüsse von den Regierungen „in beiden deutschen Staaten" nur freiwillig durchgeführt werden, „also ohne jedes Element des Zwanges". Um die scharfe Kritik, die Ulbrichts Konföderationsprogramm vom 30. Januar 1957 in der Bundesrepublik ausgelöst hatte, abzufangen, sagte Grotewohl: „Im gegenwärtigen Moment besteht die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, um die Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht zu erschweren, nicht auf der Erörterung solcher Fragen, die mit der weiteren Entwicklung Westdeutschlands oder der Deutschen Demokratischen Republik verbunden sind." Er fügte aber hinzu: „Dabei erklärt die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, daß sie selbstverständlich den friedlichen, demokratischen und sozialistischen für den einzig richtigen Weg der Entwicklung ganz Deutschlands hält."
In dieser Phase ihrer Deutschlandpolitik wertete die SED-Führung die „deutsche Konföderation" als eine Ubergangslösung, bei der die gesellschaftlichen Systeme in beiden Teilen Deutschlands zunächst unverändert weiter bestehen sollten. Dabei fiel auf, daß die SED selber in ihren Forderungen bezüglich der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwand-lung der Bundesrepublik als Voraussetzung einer Konföderation zumeist weiter ging als der Ministerrat der DDR, der vorwiegend einige militärpolitische Abmachungen zwischen den Regierungen in Bonn und Ost-Berlin propagierte
Sowjetische Stellungnahmen Auf die Erklärung Grotewohls unter dem Titel „Der Weg der deutschen Nation zur Sicherung des Friedens und der Wiedervereinigung Deutschlands" bezogen sich die Stellungnahmen des sowjetischen Außenministeriums vom 2. August 1957
Wiederholt beteuerte die SED, sie strebe im gegenwärtigen Stadium nicht danach, von der Bundesrepublik politische und gesellschaftliche Umstrukturierungen als Vorbedingungen für die Schaffung einer Konföderation zu verlangen.
So versicherte Ulbricht am 13. Februar 1958 der „Süddeutschen Zeitung":
„Sie haben die Frage gestellt nach der Ausdehnung unserer sozialistischen Errungenschaften auf Westdeutschland. Das ist ein Mißverständnis. Wir schlagen nicht vor, daß mit Abschluß der Konföderation unsere volksdemokratische Ordnung und die sozialistischen Errungenschaften der Werktätigen der DDR auf Westdeutschland übertragen werden. Welche Errungenschaften schließlich in Westdeutschland verwirklicht werden, das werden die Arbeiter und ihre Gewerkschaften sowie die breiten Schichten der Werktätigen selbst bestimmen."
Voraussetzung für die Schaffung einer Konföderation seien Maßnahmen zur „Entspannung der Lage", der „Verzicht Westdeutschlands auf die Stationierung von Atomwaffen und Raketen", die „Einstellung der Kriegspropaganda und Verfolgung der Friedenskämpfer und Demokraten in Westdeutschland" — kurz, in Westdeutschland müsse eine „Wende zu einer parlamentarisch-demokratischen Ordnung" vollzogen werden, eine Formel, die fortan sehr häufig wiederkehrte.
Die Ausführungen des 1. Sekretärs der SED hinderten allerdings das Mitglied des Politbüros der SED Hermann Matern keineswegs, die Entwicklung zu einem „sozialistischen Deutschland" zu schildern. Er knüpfte an Ulbrichts Maximalprogramm vom 30. Januar 1957 an:
„Das 30. Plenum hat endgültig klargestellt, daß es keine Einheit durch Ausbreitung des Kapitalismus auf die DDR geben kann. Es erläuterte den Weg, der zu einem sozialistischen Deutschland führt. Es wurde klar, daß mit der Konföderation das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse verbessert und damit die Voraussetzungen für die Führung der Arbeiterklasse in ganz Deutschland geschaffen werden. Der Sinn der Konföderation besteht darin, mit unserer Politik und unseren Vorschlägen den fortschrittlichen Kräften Westdeutschlands zu helfen, die Lage zu verändern. Wir werden unsere ganze Autorität und Kraft in diesem Kampf einsetzen. Wir wissen, es wird ein lan-ger und harter Weg sein, die Kräfteverhältnisse in Westdeutschland zugunsten der Arbeiterklasse und der Demokratie zu verändern"
Innerhalb der DDR vertrat die SED die Auffassung, eine zügige Weiterentwicklung des „Aufbaus des Sozialismus" sei die beste Gewähr für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands; sie bekämpfte daher die — auch der Schirdewan-Gruppe zum Vorwurf gemachte — These, im Interesse der Einheit müsse auf forcierte Maßnahmen in der Zone verzichtet werden. Immer wieder war von der „Vollendung des Sozialismus" und der „Überwindung einiger unerfreulicher Übergangserscheinungen" die Rede, um dann Vorbild für die westdeutsche Arbeiterschaft und Intelligenz zu sein
Die Frage der Anerkennung der DDR Nachdem in der Bundesrepublik wiederholt die Befürchtung geäußert worden war, Ulbrichts Konföderationsplan sei nur ein Versuch, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu erschleichen, trat in der sowjetischen und Ost-Berliner Argumentation eine aufschlußreiche Nuancenverschiebung ein: Chruschtschow deutete in seiner Unterhaltung mit den Vertretern der Tageszeitung „Die Welt" in Moskau am 29. Januar 1958 an, daß Verhandlungen zwischen beiden deutschen Regierungen nicht unbedingt mit einer gegenseitigen völkerrechtlichen Anerkennung verbunden sein müßten
Noch deutlicher drückte sich Ulbricht auf der Tagung des Nationalrats der Nationalen Front am 18. Oktober 1958 aus: „Wir haben nicht die Frage gestellt, daß man bei Verhandlungen über die Wiedervereinigung die DDR diplomatisch anerkennen muß. Wenn das von Bonn nicht gewünscht wird, dann werden wir die Bonner Regierung auch nicht diplomatisch anerkennen. Also stehen wir auf Parität. Das ist also keine Diskussionsfrage für uns."
Friedensvertrag und Konföderation Mit dem sowjetischen Entwurf für einen Friedensvertrag mit Deutschland vom 10. Januar 1959 trat auch die Diskussion über die „deutsche Konföderation" in ein neues Stadium. In ihrer Note vom 27. November 1958 an die Regierungen der drei Westmächte, der Bundesrepublik und der DDR hatte sich die Sowjetregierung noch auf die Feststellung beschränkt, daß mit der Schaffung einer „deutschen Konföderation" die „sozialen Prinzipien" der DDR und der Bundesrepublik unangetastet bleiben würden
d) Errichtung eines europäischen Sicherheitssystems (Art. 5 Abs. III);
e) Begrenzung der Streitkräfte (Art. 26) und Beschränkung der Rüstung (Art. 28, 29);
f) Abzug fremder Truppen und Verbot ausländischer Militärstützpunkte (Art. 30).
Die inneren Voraussetzungen lauten:
a) Ausschaltung militärischer und revanchistischer Organistionen (Art. 17);
b) Verbot friedensgefährdender Propaganda (Art. 20);
c) Verbot nationalsozialistischer Organisationen u. a. (Art. 17);
d) Verbot der Verfolgung von Personen, die mit den Besatzungsmächten zusammengearbeitet haben (Art. 15);
e) Verbot der Diskriminierung von Personen wegen ihrer Parteizugehörigkeit (Art. 14 Absatz II).
Der sowjetische Vertragsentwurf vom 10. Januar 1959 trägt im wesentlichen den Charakter einer Festlegung auf den bestehenden Zustand der Spaltung Deutschlands. Er legt für die Teilung und andere Fragen den tatsächlichen Stand vom 1. Januar 1959 zugrunde (Art. 8, 12). Für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands enthält er in den Artikeln 22 bis 25 kein bindend vorgehenes, geordnetes Verfahren, sondern verweist nur auf die Einigung der „beiden deutschen Staaten" in vagen Formeln und macht die Geltung des Friedensvertrags unabhängig von dem Zustandekommen einer Wiedervereinigung (Artikel 24)
Der Entwurf erwähnt die Konföderation nur in der Präambel, in der „Deutschland" als Vertragspartner so definiert wird: ....... Deutschland, gegenwärtig vertreten durch die Deutsche Demokratische Republik und die Deutsche Bundesrepublik (oder — falls zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Friedensvertrages eine deutsche Konföderation gebildet sein wird — durch die deutsche Konföderation sowie durch die Deutsche Demokratische Republik und die Deutsche Bundesrepublik)..."
Wie in allen vorher unterbreiteten Konföderationsplänen gehen die Sowjets auch in ihrem Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland vom Grundsatz der prinzipiellen Gleichheit von Bundesrepublik und DDR aus. Dabei soll dieses Prinzip bis zur Gleichmacherei fixiert werden. In Art. 2 des Entwurfs werden als „deutsche Staaten" die „Deutsche Demokratische Republik" und die „Deutsche Bundesrepublik" aufgeführt, obwohl die offizielle Bezeichnung für letztere „Bundesrepublik Deutschland" lautet
Der Vertrag soll Deutschland die „Möglichkeit einer friedlichen und demokratischen Entwicklung" geben. (Präambel)
Ulbrichts „Gesamtdeutscher Rat“
Auf der 4. Tagung des Zentralkomitees der SED präzisierte der SED-Chef Mitte Januar 1959 die damaligen Vorstellungen über die Funktionen einer Konföderation. Als Voraussetzung für die Schaffung eines Staatenbundes nannte er die „umfassende Demokratisierung des gesellschaftlich-politischen Lebens in Deutschland"
Die innenpolitischen Aufgaben der Konföderationsorgane sollten in folgendem bestehen: Regelung der Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik, Aufhebung der Wehrpflicht in Westdeutschland, Festlegung der zahlenmäßigen Stärke der Streitkräfte
Ulbricht betonte erneut, daß der „Gesamtdeutsche Rat" der Konföderation kein Weisungsrecht gegenüber den Parlamenten und Regierungen „der beiden deutschen Staaten" haben werde. Er werde nur Empfehlungen geben. Uber die zeitliche Dauer der Konföderation stellte der SED-Chef fest: „Die Konföderation hat nur vorübergehenden Bestand. Sie erlischt, sobald die Bestimmungen des Friedensvertrages durchgeführt sind, die Wiedervereinigung Deutschlands erfolgt ist und gesamtdeutsche Wahlen zu einer Nationalversammlung stattgefunden haben." Die Vorbereitung gesamtdeutscher Wahlen sollte nach Ulbrichts Vorstellungen ebenfalls der Konföderation aufgetragen werden. Zu diesem Zweck könne beim Rat der Konföderation ein besonderes Organ gebildet werden, das sich auch mit den Fragen der Ausarbeitung der Verfassung für den künftigen einheitlichen deutschen Staat beschäftigen soll.
Aufschlußreich war Ulbrichts Feststellung in dem UPI-Interview, daß die in Art. 14 des sowjetischen Entwurfs für einen Friedensvertrag mit Deutschland vom 10. Januar 1959 dargelegten „demokratischen Grundrechte" in ganz Deutschland verwirklicht werden sollten. Dazu sagte Ulbricht: „Wie das im einzelnen geschieht, müssen wir den Beratungen in der deutschen Konföderation überlassen. Wir können doch nicht alle Fragen vorher entscheiden. Dann brauchten wir ja gar keinen Gesamtdeutschen Rat mehr." Auch konzedierte er wenigstens, daß es über den Begriff „Demokratie" unterschiedliche Auffassungen in der Bundesrepublik und in der DDR gibt. Aus Ulbrichts Feststellung, daß über eine inhaltliche Festlegung des Begriffs „Demokratie" in der „deutschen Konföderation" beraten und man dann „entsprechend dem Friedensvertrag handeln" werde, schlossen einige westdeutsche Publizisten, daß ein Konföderationsplan des Ostens gar nicht existiere. „Was es gab und was dem Westen auch weiterhin offeriert wird, ist die Bildung einer Schein-Konföderation zur Erschleichung der Anerkennung Pankows."
Nach der Genfer Konferenz der Außenminister Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion (11. Mai bis 20. Juni und 13. Juli bis 5. August 1959) trat die Konföderationsformel zeitweilig wieder in den Hintergrund. Offensichtlich versprach sich die SED-Führung von dem Abschluß eines Friedensvertrags „mit beiden deutschen Staaten" und von der von Ministerpräsident Chruschtschow erstmals in einer Rede in Tula am 17. Februar 1959 angedeuteten Möglichkeit, notfalls mit der DDR einen Separatvertrag zu schließen, sowie von der „Umwandlung West-Berlins in eine entmilitarisierte Freie Stadt" eine deutlichere Hervorhebung des „Staatscharakters" der DDR und eine internationale Aufwertung M).
Der Deutschlandplan der SPD Nachdem zuvor alle Konföderationsrezepte Ost-Berlins von den drei führenden Parteien in der Bundesrepublik abgelehnt worden waren, änderte sich das Bild im Frühjahr 1959. Der am 18. März 1959 veröffentlichte Deutschlandplan der SPD kam in einigen wesentlichen Punkten den Vorstellungen der Sowjetführung und des SED-Regimes entgegen
In einem Brief an die SPD stellte das Zentralkomitee der SED befriedigt fest: „Die im , Deutschlandplan'der SPD gemachten Vorschläge berücksichtigen in mancher Hinsicht die realen Gegebenheiten in der Welt und in Deutschland. . . Die Vorschläge der DDR für einen Friedensvertrag und eine Konföderation der beiden deutschen Staaten mit dem Ziel der Wiedervereinigung und der . Deutschlandplan'der SPD lassen erkennen, daß eine Zusammenarbeit in diesen Fragen der unmittelbaren Sicherung des Friedens möglich ist und der deutschen Arbeiterklasse und dem deutschen Volk dient. . . Die Überlegung, die im Deutschlandplan des Parteivorstandes der SPD hinsichtlich der Einberufung einer gesamtdeutschen Konferenz enthalten ist, entspricht in ihrem Wesen dem Vorschlag der SED über die Bildung eines Gesamtdeutschen Rates. . . Die Sicherung der Rechte des Volkes kann . . . nur durch den paritätisch zusammengesetzten Gesamtdeutschen Rat, oder, wie Ihr vorschlagt, durch die Gesamtdeutsche Konferenz gewährleistet werden."
Auch der am 17. Juni 1960 von der SED-Führung veröffentlichte „Offene Brief an die Arbeiter in der Bundesrepublik", der dann als „Deutschlandplan des Volkes" im Mittelpunkt der Parteipropaganda stand, zollte den von der SPD entwickelten Vorstellungen nochmals Lob
„Deutschlandplan hin und Deutschlandplan her, — er ist ... kein Plan, der irgendwo zur Entscheidung stünde, und kann es nicht mehr sein. . . Er ist eine Sache der Vergangenheit... Das geteilte Deutschland . .. kann nicht unheilbar miteinander verfeindete christliche Demokraten und Sozialdemokraten ertragen."
Die herbe Enttäuschung über den Stellungswechsel der SPD brachte die SED-Führung in ihrem „Offenen Brief“ vom 16. Juli 1960 zum Audruck: „Der 30. Juni 1960 ist ein schwarzer Tag für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. An diesem Tag erklärten sich die Vertreter Eurer Partei im Bonner Bundestag offen für den Vorrang der NATO-Inter-essen und der Interessen des Bündnisses der USA mit Westdeutschland vor den nationalen Interessen des deutschen Volkes und der Wiedervereinigung."
Obwohl Ost-Berlin endlich hätte einsehen müssen, daß seine Konföderationsvorschläge in der Bundesrepublik von den staatstragenden Parteien einmütig abgelehnt wurden, hielt die SED-Führung auch in der Folgezeit an ihrer Formel fest. Jedoch wurde immer unmißverständlicher betont, daß der Sozialismus die „endgültige Lösung der deutschen Frage"
Das vom VI. Parteitag der SED im Januar 1963 beschlossene und noch gültige Parteiprogramm brachte die Konföderationsthese auf eine neue ideologische Formel. Bis zum Sommer 1960 verkündeten Ulbrichts Propagandisten, selbst beim Zustandekommen einer Konföderation könne man nicht von Koexistenz „beider deutscher Staaten" sprechen. Auf das Verhältnis zwischen den „beiden deutschen Staaten", so hieß es damals, sei das Prinzip der friedlichen Koexistenz nicht anwendbar; es gebe zwar „zwei Staaten", aber nur eine gesamtdeutsche Arbeiterklasse. Das Programm der SED geht davon aus, daß „die geeignetste Form der Verwirklichung der friedlichen Koexistenz in Deutschland eine Konföderation der beiden deutschen Staaten ist"
Das Programm enthält die wesentlichen Punkte der Vorstellungen Ost-Berlins über die Bildung einer „deutschen Konföderation": „Die Konföderation beruht auf der Souveränität und Gleichberechtigung beider deutscher Staaten und der Freien Stadt Westberlin. Sie schafft keine über ihnen stehende zentrale Staatsgewalt und erfordert keine Veränderung ihrer Gesellschaftsordnung. Die Organe der Konföderation beraten und beschließen Empfehlungen an die Parlamente und Regierungen der Teilnehmer der Konföderation." Die „Empfehlungen" sollten u. a. auf die Erfüllung folgender Ziele gerichtet sein: dauerhafte Sicherung des Friedens für das deutsche Volk; Durchführung der Bestimmungen des Friedensvertrags; „Herstellung und Ausbau normaler Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten sowie zwischen der DDR und Westberlin". Einen Hinweis auf „gesamtdeutsche Wahlen" enthält das Parteiprogramm der SED überhaupt nicht mehr.
Immer neue Forderungen an die Adresse Bonns In den Jahren ab 1964 schraubte das Zonen-regime seine Forderungen, die erfüllt werden müßten, bevor man überhaupt von einer Wiedervereinigung Deutschlands sprechen könnte, immer höher. Stärker als zuvor wurde die These betont, das Verhältnis „zwischen beiden deutschen Staaten" werde vom Klassenkampf bestimmt. Die SED-Führung empfahl die politische und soziale Ordnung der DDR der Bundesrepublik zur Nachahmung. So erklärte SED-Chef Ulbricht in seiner „Festrede" zum 15. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1964:
„Je schneller und erfolgreicher wir unseren Aufbau vollenden, desto größer werden auch in Westdeutschland die Chancen für die Wiedervereinigung. Vorausgesetzt natürlich, daß — durch unser Beispiel ermuntert — die westdeutschen Werktätigen aus der Bundesrepublik endlich einen friedlichen, demokratischen Staat machen."
Symptomatisch für diese Verhärtung in der Deutschland-Politik Ost-Berlins war, daß in den Reden und Diskussionbeiträgen auf der Konstituierenden Sitzung des „Staatssekretariats für gesamtdeutsche Fragen" Mitte Januar 1966 der Begriff „Konföderation" überhaupt nicht gebraucht worden ist
Im Hinblick auf die inzwischen immer mehr in den Hintergrund getretenen Konföderationspläne Ost-Berlins ist es aufschlußreich, daß das Zentralkomitee der SED in seinem zweiten und dritten Brief an den Deutschlandplan der SPD vom 18. April 1959 erinnert hat; er habe einen „Weg zur Verständigung und auch Elemente der zeitweisen Bildung einer deutschen Konföderation" enthalten
Ulbrichts neues Maximalprogramm vom 21. April 1966 Daß Ulbricht nicht mehr ernsthaft an die Durchsetzung seines Konföderationskonzepts dachte, verdeutlichte er in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Zwangsfusion von SPD und KPD zur SED am 21. April 1966. Jetzt stellte er einen Katalog von Forderungen auf, die als Vorbedingung für das Zustandekommen einer Konföderation deklariert waren und in einigen wichtigen Punkten über das Maximalprogramm vom 30. Januar 1957 noch hinausgingen. Bevor der „Prozeß des Zusammenschlusses der beiden deutschen Staaten und des besonderen Territoriums Westberlin" beginnen könne, müßten in der Bundesrepublik folgende Forderungen erfüllt werden: Reform des Parlaments, Veränderung des Machtverhältnisses in der Großindustrie, Mitbestimmung der Gewerkschaften in der Wirtschaft und in den Betrieben, die Kontrolle über die Zeitungskonzerne, demokratische Landreform, Gleichberechtigung der Frau, Grundrechte für die junge Generation, Säuberung des Staatsapparates von militaristischen und revanchistischen Kräften, Wiederherstellung der verfassungsmäßi17 gen Grundrechte, Demokratisierung des Bildungswesens
Nach der Erfüllung disser Vorbedingungen sollte in der Konföderation schließlich die „demokratische Umwälzung" durch folgende Maßnahmen vollendet werden: Überführung der großen Konzerne in Gemeineigentum, Abschaffung der „Diktatur der Großbanken" und Einführung „moderner Verfahren der volkswirtschaftlichen Programmierung", Enteignung der Großgrundbesitzer.
Der Begriff „konföderationsfähig"
In der Folgezeit verhärtete sich die Argumentation des SED-Regimes noch mehr. Nur einige Wochen nach Ulbrichts kompromißloser Rede tauchte zum erstenmal der Begriff „konföderationsfähig" auf. Dazu machte der Mitarbeiter des Zentralkomitees der SED und Gesandte Gerhard Kegel im Juni 1966 einige aufschlußreiche Ausführungen:
„Bekanntlich basiert unser Vorschlag einer deutschen Konföderation nicht auf unserer Maximalvorstellung. Wir fordern nicht, daß in Westdeutschland als Voraussetzung für ein® Konföderation der Kapitalismus beseitigt und der Sozialismus errichtet sein muß. . . Es wäre unreal, von der westdeutschen Bundesrepublik zu fordern, sie müßte zunächst einmal die Gesellschaftsordnung der sozialistischen DDR annehmen, bevor eine Zusammenarbeit der deutschen Staaten in einer Konföderation erfolgen kann... Wir haben auch nicht die Absicht, Westdeutschland zu schlucken oder zu erobern. Die Regierung der westdeutsehen Bundesrepublik dagegen weigert sich, die Deutsche Demoraktische Republik anzuerkennen und die Beziehungen zu normalisieren. Sie besteht auf einer törichten aggressiven und völkerrechtswidrigen Alleinvertretungsanmaßung und verhindert auf diese Weise jedes Zusammenkommen der beiden deutschen Staaten und natürlich auch eine Konföderation. Das heißt: um die Konförderationsfähigkeit zu erwerben, sind in Westdeutschland, in der westdeutschen* Politik erst die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Heute ist die westdeutsche Bundesrepublik noch nicht konföderationsfähig. Zur Konföderationsfähigkeit gehört offenbar auch ein Mindestmaß an Gemeinsamkeiten. .. Notwendig ist, daß die westdeutsche Bundesrepublik auch im Sinne der Potsdamer Vereinbarungen ein rechtsmäßiger deutscher Staat wird."
Die SED-Führung vertritt die Auffassung, daß die DDR der einzige rechtmäßige deutsche Staat sei; nur in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone, seit 1949 in der DDR seien die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 verwirklicht worden. Hingegen hätten sich die Westmächte nicht an das Abkommen gehalten; die Entwicklung in den drei westlichen Besatzungszonen und seit 1949 in der Bundesrepublik stehe im Widerspruch dazu. Kegels Hinweis auf die Potsdamer Übereinkunft läuft folglich auf Ulbrichts „Programm" der Volksdemokratisierung der Bundesrepublik hinaus
Der Begrif! “ „konföderationswürdig Wenige Monate später operierte Ost-Berlin mit dem Begriff „konföderationswürdig". Ende Oktober 1966 hatte sich der damalige Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Kurt Scharf, für die Bildung eines gesamtdeutschen Gremiums ausgesprochen. Ihm sollten nicht Politiker, sondern freie, ungebundene Männer angehören. Diese Persönlichkeiten, die in beiden Teilen Deutschlands öffentliches Ansehen genießen müßten, sollten die Möglichkeiten einer Konföderation untersuchen
Nach der Bildung der Großen Koalition verschärfte sich die Haltung der SED Ende 1966 noch weiter. In den offiziellen Verlautbarungen wurde der Begriff „Konföderation" kaum noch erwähnt. Immer wieder betonte man, daß die „Vereinigung der beiden deutschen Staaten" von einer „durchgreifenden demokratischen Umwälzung in Westdeutschland" abhängig sei. Ein neues „Angebot" im Hinblick auf die Berlinfrage unterbreitete Ulbricht in seiner Neujahrsansprache am 31. Dezember 1966. Im Rahmen seines „Zehn-Punkte-Programms" schlug er vor: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Senat von Westberlin schließen einen Vertrag, in dem sich der Senat verpflichtet, den kalten Krieg gegen die Deutsche Demokratische Republik einzustellen, während die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik sich verpflichtet, den Transitverkehr zunächst für den Zeitraum bis zur Bildung einer deutschen Konföderation zu gewährleisten."
Aufschluß über die „Vereinigungspolitik" Ost-Berlins gab in hervorragender Weise das parteiinterne „Material zur Diskussion zur Vorbereitung des VII. Parteitages der SED", das die Parteiführung im Januar 1967 an alle Grundorganisationen, leitenden Parteiorgane und Parteigruppen der SED in den Massenorganisationen versandt hat und das auch in die Bundesrepublik gelangt ist. Darin hieß es: „Eine Vereinigung der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik mit einem imperialistischen Westdeutschland ist.. . nicht real. Für die DDR gibt es keine Rückkehr zum Kapitalismus. .. Im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten vollzieht sich seit über zwanzig Jahren ein Klassenkampf, der um die Klärung der Frage Wer — Wen? ausgefochten wird. Zu den geschichtlichen Aufgaben der DDR gehört es, dazu beizutragen, daß auch Westdeutschland den Weg heraus aus dem imperialistischen Lager findet. Erst wenn das erreicht ist, kann die Vereinigung der beiden deutschen Staaten aktuell werden. Dabei wird es sich offensichtlich nicht um irgendeine mehr oder weniger mechanische Wiedervereinigung’ handeln, sondern um einen sehr komplizierten Prozeß des Nebeneinander-und Miteinanderlebens. .. Die Vereinigung der deutschen Staaten ist und bleibt unser Ziel. Aber wir sind uns darüber klar, daß die Vereinigung nur im Sozialismus möglich sein wird und daß der Weg dorthin für Westdeutschland lang und beschwerlich sein kann. ..
Jetzt viel von Vereinigung der deutschen Staaten reden, so, als ob sie gegenwärtig oder in naher Zukunft möglich wäre, hieße also, die historische Klassenauseinandersetzung durch einen mystizistischen Nationalismus zu ersetzen und damit letztlich die Geschäfte der Imperialisten zu besorgen. Es ist auch nicht zulässig, die friedliche Koexistenz der beiden deutschen Staaten mit der Vereinigung in einen Topf zu werfen und dafür Begriffe wie . Lösung der deutschen Frage’ im Sinne der Vereinigung von Feuer und Wasser anzuwenden"
Daraus folgt unzweifelhaft — was bis dahin noch nie ausgesprochen worden war —, daß die Bestrebungen zur Wiedervereinigung zum politischen Delikt erklärt worden sind.
SED-Chef Ulbricht bediente sich in seiner Rede auf dem VII. Parteitag der SED am 17. April 1967 teilweise der gleichen Wendungen
Die Verbannung der Begriffe „gesamtdeutsch“ und „Konföderation“
In den folgenden Monaten haben offizielle Stellungnahmen Ost-Berlins die Konföderation nicht mehr erwähnt. Die früheren Konföderationspläne passen seitdem nicht mehr in eine Politik, aus welcher der Begriff „gesamtdeutsch" verbannt ist und welche die Spaltung Deutschlands vertiefen möchte. Ulbrichts Politik der Selbstisolierung ist auch und gerade eine Reaktion auf die zahlreichen und weitreichenden Entspannungsvorschläge der Großen Koalition. Die Bundesregierung möchte die menschlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands beleben und fördern. Die forcierte Deutschland-Politik Bonns hat das SED-Regime irritiert.
Das wichtigste Dokument der vom Zonenregime verfolgten Politik der Einigelung der DDR bildet die neue am 9. April 1968 in Kraft getretene Verfassung. Ulbricht geht es darum, nicht nur die Existenz der DDR, sondern auch die in ihr etablierte Herrschaftsordnung als unumstößliche Tatsachen jeder zukünftigen Diskussion von vornherein zu entziehen. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wird zwar in der Verfassung nicht gänzlich abgeschrieben. Sie macht aber die Wiedervereinigung von der Umwälzung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik abhänging. Nach Art. 8 Abs. II der Verfassung strebt die DDR die „schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus" an
Wie aus zahlreichen offiziellen Verlautbarungen Ost-Berlins in den letzten Monaten hervorgeht, erstrebt die SED ein „friedliches Neben-und Miteinanderleben der beiden deutschen Staaten"
So schreibt beispielsweise der sowjetische Völkerrechtler A. Denisov: „Die Geschichte kennt noch keine Konföderationen von Staaten, in denen verschiedene Klassen herrschen. Aber das gibt keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß es gegenwärtig oder in Zukunft Konföderationen von Staaten verschiedenen Typs geben könnte. Diese Frage erlangte nach dem Zweiten Weltkrieg besondere Aktualität im Zusammenhang mit der Erscheinung der soge-nannten geteilten Länder mit mehr oder minder gleichnationaler Zusammensetzung der Bevölkerung."
Zu den früheren Konföderationsplänen des Zonenregimes stellt er fest: „Die Konföderation wäre ein Kompromiß, der mit einem Verzicht auf die Grundlagen der staatlichen und gesellschaftlichen Systeme in der DDR und der BRD nicht verbunden wäre. Sie diente als erster Schritt auf dem Wege zur Herstellung einer ständigen Beziehung zwischen der DDR und der BRD und zur Bildung allgemeiner deutscher Staatsorgane."
Das in der DDR über die Fragen einer „deutschen Konföderation" erschienene Schrifttum ist sehr umfangreich. Die detaillierteste Darstellung haben die beiden Völkerrechtler Walter Poeggel und Ingo Wagner 1964 in ihrem Buch „Die deutsche Konföderation — Eine theoretische Studie"
Die mitteldeutschen Autoren geben wenigstens zu, daß man es „bei der Annäherung beider deutscher Staaten bis hin zu einer engen Zusammenarbeit im Rahmen einer Konföderation und der späteren Vereinigung dieser Staaten" mit einer „völlig neuen Erscheinung in der Geschichte der Verbindung und Vereinigung von Staaten" zu tun hat, „weil es sich um zwei Staaten mit gegensätzlicher Ordnung handelt". Da die gegenseitige Abgrenzung dieser Staaten nicht nach nationalen, sondern sozialen Merkmalen erfolge, sei eine „mechanische Vereinigung nicht real"
Die Konföderation wird als Zwischen-oder Durchgangsstadium zur „Vereinigung" Deutschlands gewertet und soll vorwiegend dazu dienen, die innerdeutschen Beziehungen zu koordinieren; gleichzeitig soll sie auch gestatten, daß die Konföderationspartner im Prozeß ihrer fortschreitenden Annäherung auch auf internationalem Gebiet ihre Politik mehr und mehr aufeinander abstimmen. Die Völkerrechtler der DDR sind sich offensichtlich der Schwierigkeiten bewußt, die in einer „deutschen Konföderation" auftreten müssen. Die Frage, wie sich eine „Annäherung" im einzelnen vollziehen soll, wird von ihnen nur sehr vage beantwortet. Hier verwickeln sie sich in Widersprüche.
Einerseits wird behauptet, daß die Konföderation gerade ausschließen soll, „daß einer der beiden Staaten dem anderen seine sozialökonomische Ordnung aufzwingt: „Die Überwindung des Militarismus und Imperialismus in Westdeutschland und die Schaffung einer demokratischen und friedlichen Ordnung und schließlich die soziale Umgestaltung Westdeutschlands sind Aufgaben, die die Arbeiterklasse Westdeutschlands im Bunde mit den anderen friedliebenden und fortschrittlichen Kräften selbst lösen muß"
Im Widerspruch zu der These, daß sich in der Bundesrepublik die sozialistische Ordnung von innen heraus ohne Einwirkung von außen allmählich durchsetzen werde, steht die Behauptung, daß in der „deutschen Konföderation" die „klassenmäßige Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Staaten" nicht aufhöre, sondern sich eine „spezifische Form des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus" entwickelt werde
Erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Konföderation sollen die verfassungsmäßigen Vorbereitungen zur Wiedervereinigung, die Ausarbeitung von Vorschlägen an die Parlamente „beider Staaten" zur „Vereinigung" und die Abfassung eines Wahlgesetzes zur Nationalversammlung auf die Tagesordnung treten. Das heißt: Erst nachdem sich die sozialistische Gesellschaftsordnung der DDR als überlegen erwiesen und sich auch in der Bundesrepublik durchgesetzt hat, wird die Wiedervereinigung in Erwägung gezogen. Dazu stellen Walter Poeggel und Rolf Meißner fest: „Die Wiedervereinigung wird die Periode der Konföderation beenden. Auf der Grundlage der dann erreichten prinzipiellen Annäherung der Gesellschaftsordnung in beiden deutschen Staaten wird jenes Stadium eintreten, in dem der qualitative Umschlag vom Staatenbund zum einheitlichen Nationalstaat erfolgt. Es kann aber auch sein, daß zwischen der Konföderation und der Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates eine Föderation
Das sonst so stark propagierte Selbstbestimmungsrecht der Völker wird hier von der mitteldeutschen Völkerrechtslehre vollends ad absurdum geführt. Das hindert sie aber nicht daran, auch in diesem Zusammenhang mit ihm zu operieren. Recht verschwommen heißt es dazu: „Diese Synthese von friedlicher Koexistenz und nationaler Selbstbestimmung läßt die Konföderation als dialektische Einheit von friedlicher Koexistenz und nationaler Selbstbestimmung erkennen."
Was die Organe einer „deutschen Konföderation" betrifft, so halten sich die mitteldeutschen Völkerrechtler an Ulbrichts Vorschlag von 1959, einen „Gesamtdeutschen Rat" zu bilden, der als Vollzugsorgan das „Präsidium des Rates" wählt. Großer Wert wird auf die Feststellung gelegt, daß in diesen Organen „beide deutsche Staaten" paritätisch vertreten sein müßten. Damit kein Partner der Konföderation in der Lage ist, dem anderen seinen Willen aufzuzwingen, sollen alle Beschlüsse rechtlich den Charakter von Empfehlungen haben
Beachtliche Schwierigkeiten macht es den Völkerrechtlern der DDR, eine besondere Regelung für den Status West-Berlins in der „deutschen Konföderation" zu treffen. Im Jahre 1961 schrieben W. Poeggel und I. Wagner: „Es muß . . . berücksichtigt werden, daß West-Berlin nicht den beiden deutschen Staaten völlig gleichgesetzt werden kann, weil es im Verhältnis zu diesen lediglich ein politisch und völkerrechtlich selbständiger Stadtteil ist, der auf dem Territorium der DDR liegt. Es ist Sa-B ehe der beiden deutschen Staaten, gemeinsam mit West-Berlin über die zahlenmäßige Vertretung West-Berlins in den Organen der Konföderation eine Vereinbarung zu treffen . .
Diese These widerspricht der offiziellen Politik, der Zonenregierung, die West-Berlin als Stadt und nicht als Stadtteil zum selbständigen Völkerrechtssubjekt erheben möchte. Auf diese Linie sind die beiden Autoren dann 1964 auch wieder eingeschwenkt
Die mitteldeutschen Autoren haben sich in starkem Maße mit den in der Bundesrepublik vorliegenden völkerrechtlichen Stellungnahmen zur Konföderation auseinandergesetzt. Sie sind darüber enttäuscht, daß „kaum eine positive Stellungnahme"
Der „Gesamtdeutsche Rat", der nach den Vorstellungen der SED-Führung aus Abgeordneten beider Parlamente, der Volkskammer und des Bundestags, gebildet werden sollte, würde sich einerseits aus Delegierten einer disziplinierten Kaderpartei oder ihren nicht minder gehorsamen Ablegern, andererseits aber aus Mitgliedern verschiedener, untereinander konkurrierender, „ja widereinander opponierender Parlamentsfraktionen"
Das Ziel, ein zentrales deutsches Gremium auf einer breiten Basis zu schaffen, bestimmte die Sowjets in erster Linie, sich bereits auf der 2. Tagung des in Potsdam beschlossenen Rats der Außenminister im Sommer 1946 in Paris gegen eine Zergliederung Deutschlands in Länder und damit gegen die föderalistischen Vorstellungen ihrer drei westlichen Partner zu wenden. Der damalige sowjetische Außenminister Molotow sprach sich für die Schaffung eines deutschen Einheitsstaates und einer deutschen Zentralregierung aus
Frauenbund) beteiligt sein. Dann wird der Konsultationsrat tatsächlich die Gesinnung des deutschen Volkes zum Ausdruck bringen und ein richtiger Träger der Meinung der deutschen demokratischen Kreise sein. Das gilt auch für die provisorische Regierung Deutschlands, die zu bilden sei, nachdem in Deutschland allgemeine Wahlen erfolgt sein werden."
Die gleiche Absicht verfolgten die Sowjets mit dem am 24. Mai 1949 vom damaligen Außenminister Wyschinskij auf der Pariser Außenministerkonferenz vorgeschlagenen „Gesamtdeutschen Staatsrat", der nur der inzwischen eingetretenen Lage angepaßt war, indem er nach dem Zusammenschluß der Westzonen aus den beiderseitigen Organen der Wirtschaftsverwaltungen gebildet werden sollte
Die Errichtung der Bundesrepublik Deutschland und der „Deutschen Demokratischen Republik" im Jahre 1949 änderte nichts an dem Wiedervereinigungskonzept Moskaus und Ost-Berlins. Dieses Mal führte das Gremium den Namen eines „Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates". So wurde in der Prager Erklärung der Außenminister des Ostblocks am 22. Oktober 1950 vorgeschlagen: „Bildung eines aus Vertretern Ost-und Westdeutschlands paritätisch zusammengesetzten Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates, der die Bildung einer provisorischen, gesamtdeutschen souveränen Regierung vorbereiten ... soll ..."
Auch in der Folgezeit kehrte das Schema des kleinen zentralen, von beiden Seiten beschickten, keiner neutralen Kontrolle unterworfenen deutschen Gremiums immer wieder — nicht nur unter verschiedenen Namen, sonB dem auch mit verschiedenen, bald wichtigeren, bald bescheideneren Zwecken. Mit der Verhandlungskommission, die Grotewohl am Schluß seines Briefes vorschlug und die auf paritätischer Basis arbeiten sollte, verfolgte Ost-Berlin wiederum das gleiche Ziel. Dolf Sternberger gelangt zu einer aufschlußreichen Feststellung: „Von dem Grundsätze der paritätischen Besetzung solcher Organe .. . scheint die östliche Seite in all den Jahren und all den vielen Dokmenten nur ein einziges Mal um ein weniges und in unbestimmter Weise abgewichen zu sein."
Diese taktische Nachgiebigkeit wurde bereits wenige Monate später korrigiert, als die Volkskammer am 9. Januar 1952 ihren „Entwurf eines Gesetzes der DDR zur Durchführung Gesamtdeutscher Wahlen zur Nationalversammlung" vorlegte. Auch darin kehrte der Gedanke einer gemischten Kommission wieder — jetzt in der Gestalt eines „Zentralen Wahlausschusses", der die Wahlen vorbereiten und durchführen sollte. Der Entwurf bestimmte seine Zusammensetzung nicht nach Zahlen, sondern nach den Arten der Körperschaften, die darin vertreten sein sollten. Paragraph 16 lautete: „Der Zentrale Wahlausschuß besteht aus den Vertretern der Parteien, Organisationen und Vereinigungen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Wahlgesetzes in Deutschland bestehen. Er wird durch Vertreter solcher Parteien, Organisationen oder Vereinigungen ergänzt, die nach der Verkündung dieses Wahl-gesetzes zur Wahl für die Nationalversammlung zugelassen sind."
Paragraph 1 Abs. II Satz 1 legte fest: „Alle demokratischen Parteien, Organisationen und Vereinigungen haben die gleiche Freiheit für ihre Betätigung." Diese beiden Bestimmungen erlaubten es dem SED-Regime, auf die Forderung nach paritätischer Besetzung des „Zentralen Wahlausschusses" zu verzichten. Ost-Berlin hätte es in der Hand gehabt, eine angemessene Vertretung der DDR zu erreichen.
Auch in den Jahren 1954/55 wichen die Sowjets nicht von ihrem Konzept ab. So schlug Außenminister Molotow am 4. Februar 1954 auf der Berliner Konferenz der Außenminister vor, eine „Provisorische Gesamtdeutsche Regierung durch die Parlamente der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen Bundesrepublik unter weitgehender Teilnahme der demokratischen Organisationen"
Ein weiterer Unterschied ergibt sich daraus, daß die Ost-Berliner Seite die Fragen des Abstimmungsmodus im „Gesamtdeutschen Rat" der Konföderation präzisiert hat. Der „Gesamtdeutsche Rat" sollte sich zu gleichen Teilen aus Vertretern „beider deutscher Staaten" zusammensetzeh, und beim Abstimmungsverfahren ging man vom Einstimmigkeitsprinzip der Partner aus
Es ist nicht schwer vorauszusehen, was sich ereignen würde: Die DDR behielte in Überein-stimmung mit den üblichen Prinzipien einer Konföderationsverfassung ein formelles Vetorecht. In diesem Fall würden der „Gesamtdeutsche Rat“ und sein Präsidium das gleiche Schicksal erleiden, das dem Alliierten Kontrollrat in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg widerfahren ist: „Er wird unfähig sein, irgendwelche Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen liefert ein weiteres Beispiel für das unvermeidliche Schicksal einer politischen Maschinerie, bei der ein formelles Vetorecht mit tiefen politischen und ideologischen Gegensätzen zwischen den Mitgliedern zusammentrifft."
Gelegentlich ist von völkerrechtlicher Seite der DDR auch der Vorschlag gemacht worden, unter bestimmten Voraussetzungen in den Gremien der Konföderation nach dem Mehrstimmigkeitsprinzip entscheiden zu lassen. So wurde beispielsweise eine Regelung vorgeschlagen, daß die Beschlüsse auf der Grundlage einer Zweidrittel-Mehrheit in allen Nichtverfahrensfragen und mit einfacher Mehrheit in Verfahrensfragen von den Mitgliedern der Konföderation, „unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen deutschen Staat bzw. Westberlin, gefaßt werden"
Falls der „Gesamtdeutsche Rat" — in Abweichung von den traditionellen Grundsätzen einer Konföderation — autorisiert sein sollte, Mehrheitsentscheidungen zu treffen, so würde sich am Endergebnis wenig ändern: Selbst wenn eine Mehrheitsentscheidung rechtlich zugelassen wäre, würde eine Zusammensetzung des Rates mit je 50 Mitgliedern aus beiden Teilen Deutschlands praktisch auf ein Vetorecht jeder Seite hinauslaufen. Der einzige entscheidende Unterschied gegenüber dem ersten Fall läge darin, daß sich eine andere, für die Bundesrepublik noch viel gefährlichere Möglichkeit eröffnet: „Die 50 Ratsmitglieder, die von Ulbricht entsandt werden, werden ohne jeden Zweifel unter einer strikten Parteidisziplin stehen (wobei es keinen Unterschied macht, ob sie sämtlich der SED oder aber einige von ihnen den Mitläufer-und Satelliten-Par-teien der Zone angehören). Ebenso unzweifelhaft wird man die Vertreter der Bundesrepublik nicht an solche strikte Parteidisziplin binden können."
III. Westliche Konföderationsrezepte
Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben von Anfang an die von Ost-Berliner Seite entwickelten Konföderationspläne für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands abgelehnt. Mißverständnisse sind gelegentlich hinsichtlich der Haltung einiger führender Sozialdemokraten aufgetreten. So umschreiben vor allem die Bundesminister Brandt und Wehner das Ziel der aktivierten Deutschlandpolitik der Großen Koalition mit der Formel, daß es darum gehe, ein „geregeltes Nebeneinander" der Bundesrepublik und der DDR zu erstreben. Damit ist jedoch nicht die Konföderation gemeint, deren Bildung die völkerrechtliche Anerkennung der DDR impliziert. Da die Konföderation eine Staatenverbindung auf völkerrechtlicher Ebene ist, bei der jedes Mitglied über eigene Völkerrechtssubjektivität verfügt, müssen sich die einzelnen Partner gegenseitig als Ausland betrachten. Beides wird auch von der SPD abgelehnt.
So heißt es in der vom letzten SPD-Parteitag in Nürnberg am 21. März 1968 verabschiedeten Plattform zur Außen-und Deutschlandpolitik: „Die Interessen des deutschen und der europäischen Völker verlangen ein Höchstmaß an Kooperation zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Gegensätzliche politische Ordnungen entbinden uns nicht von der Pflicht, das Nebeneinander der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu ordnen. Unstreitig ist, daß die Deutschen in beiden Teilen des Landes einer Nation angehören. Daher können sie sich nicht gegenseitig als Ausland betrachten. Die beiden Regierungen können und müssen aber Verhandlungen führen und Abmachungen anstreben, die keine Seite diskriminieren, und sich allen Fragen zuwenden, die nicht einer endgültigen Friedensregelung vorbehalten sind. Keine Abmachung mit der DDR darf den Status und die Sicherheit West-Berlins gefährden oder die Spaltung unseres Landes völkerrechtlich festschreiben. Daher steht eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR nicht zur Diskussion."
Bejaht wird die Schaffung einer „deutschen Konföderation" in der Bundesrepublik nur von einigen Publizisten. Dazu zählen u. a. Rüdiger Altmann
Aufsehen erregte eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte Studie des Centre d'Etudes de Politique trangre in Paris. Das dem franzö-
sischen Außenministerium nahestehende Institut für Auswärtige Politik hat in seiner vorzeitig bekanntgewordenen Studie drei „Sicherheitsmodelle für Europa" entwickelt und darin auch die Bildung einer „Konföderation" beider Teile Deutschlands vorgeschlagen. Dieser Plan ist nicht frei von Widersprüchen und bedient sich des Begriffs „Konföderation" in einem spezifischen Sinne.
Im Rahmen des zweiten Sicherheitsmodells schlägt die Studie der Bundesregierung vor, sie sollte ihre Politik „präzisieren": Sie sollte die „Verpflichtung übernehmen, bei einer Gesamtregelung (oder Friedenskonferenz) keine Forderungen mehr auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie zu stellen, wenn als Gegenleistung die Oststaaten sich verpflichten, der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands in einer Konföderation zuzustimmen"
Das „dritte Sicherheitsmodell" möchte zunächst klarstellen, was hier unter „Wiedervereinigung" verstanden wird: „Es kann natürlich nicht in Frage kommen, die beiden Hälften einfach miteinander zu verschmelzen (durch gesamtdeutsche Wahlen, aus denen eine Zentralregierung hervorgehen würde). Angesichts der sehr unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beider Regimes und auch der — heute weniger als vor sechs Jahren zur Zeit des Baus der Berliner Mauer begründet erscheinenden — Befürchtung, die DDR könnte von der größeren und reicheren Bundesrepublik , geschluckt'werden, ist es notwendig, einen Oberbau für die beiden Teile zu schaffen, die voneinander unterschieden bleiben müssen. Wir kennen das historische Beispiel des Deutschen Bundes, der auf dem Wiener Kongreß 1815 geschaffen wurde, 50 Jahre lang die innere Stabilität und das europäische Gleichgewicht gewährleistet hat und erst durch die Machtpolitik Bismarcks zerbrochen wurde. Dank des abgewogenen Kräfteverhältnisses und des Einvernehmens der damaligen . Supermächte'(Österreich und Preußen) gewährleistete dieser Bund das Nebeneinander sehr ungleicher Staaten."
Die Studie schlägt die „Anerkennung der Existenz von zwei Gliedstaaten als Teile der deutschen Nation" vor, welche die konstituierenden Mitglieder einer Konföderation bilden sollen. „Die Vertreter der beiden Regierungen würden also nicht auf völkerrechtlicher, sondern auf staatsrechtlicher Basis Verhandlungen führen . . Berlin soll Sitz der Bundesorgane des „Deutschen Bundes" werden, der über einen paritätisch zu besetzenden Rat, technische Kommissionen und Zentralverwaltungen für die gemeinsamen Angelegenheiten der Konföderation verfügen soll. Der „Deutsche Bund" soll mit eigener Völkerrechtspersönlichkeit ausgestattet sein.
Dieser Vorschlag ist von wenig Realitätssinn geprägt. Einerseits knüpft er an eines der klassischen Beispiele von Staatenbünden, den Deutschen Bund, an, andererseits sollen beide deutsche Regierungen nicht auf völkerrechtlicher, sondern auf staatsrechtlicher Ebene Verhandlungen führen. Der Plan möchte also ein Gebilde schaffen, das bereits gewisse Elemente eines Bundesstaats enthält. Es ist schwer vorstellbar, wie diese „Staatenverbindung“ in der Praxis funktionieren soll. Der Haupteinwand gegen diesen Plan ergibt sich daraus, daß er überhaupt nichts darüber aussagt, auf welchem Wege dieser neue „deutsche Bund" gebildet werden soll.
Die weiteren Einwände gegen dieses „Plan-spiel“ hat Johannes Gross treffend formuliert: „Der Vergleich des vorgeschlagenen deutschen Bundes mit dem Deutschen Bund von 1815 ist so absurd, daß er auf Roßtäuscherei hinausläuft. Der Deutsche Bund von 1815 bestand aus einer Vielzahl von kleinen und mittleren und den beiden großen Mächten Preußen und Österreich. Er war politisch homogen. Die verbündeten Regierungen waren sich einig in der Abwehr des revolutionären Prinzips, in der Verteidigung der Monarchie beziehungsweise der aristokratischen Republik in den Stadtstaaten, in der Verteidigung der überkommenen Religion und der gesellschaftlichen Ordnung. Der neue deutsche Bund, wie ihn die französische Studie propagiert, hätte keine Voraussetzungen eines Bundes. Er hätte nur zwei Mitglieder, was Mehrheitsprinzip und politisches Zusammenwachsen fast zwangsläufig ausschließt. Er hätte in sich zwei unvereinbare politische Systeme, zwei feindliche gesellschaftliche Prinzipien: kapitalistische Wirtschaft, liberaler Verfassungsstaat hier, Zentralverwaltungswirtschaft und totalitäre Einparteiendiktatur drüben. Es ist eine Konföderation ganz undenkbar unter Partnern, von denen der eine, aufgrund verpflichtender Ideologie, nicht vertraglich zusichern kann, den Umsturz im anderen Teil nicht zu organisieren, sondern den Status quo seiner Verfassung zu respektieren."
Schlußbemerkung
Mit diesen Ausführungen sind nicht nur das „Pariser Modell" und die zumindest zur Zeit nicht mehr aktuellen Konföderationspläne Ost-Berlins, sondern auch die gelegentlich in der bundesdeutschen Publizistik vorgeschlagenen Konföderationsrezepte überzeugend widerlegt worden. Die Voraussetzungen für eine funktionierende Konföderation sind drei Gleichheiten, die im Verhältnis der Bundesrepublik und der DDR vollständig fehlen: „Durch die Ungleichheit des gesellschaftlichen Zustandes fehlt es an der gesellschaftlichen Homogenität; durch die Ungleichheit der machtpolitischen Ziele fehlt es an der außenpolitischen Solidarität; durch den Grad der Ungleichheit einan-der ausschließender Legitimitätsbegriffe fehlt es an der ideologischen Kompatibilität."
Auffassung der SED — noch fortbestehenden deutschen Nation zu, weil sie immer noch der Träger des Seibstimmungsrechts im geteilten Deutschland ist