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Die Tschechoslowakei und der sozialistische Internationalismus in Aktion | APuZ 37/1968 | bpb.de

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APuZ 37/1968 Die Tschechoslowakei und der sozialistische Internationalismus in Aktion Die sowjetkommunistische Regionaltaktik für Westeuropa Zur Problematik politökonomischer Analysen

Die Tschechoslowakei und der sozialistische Internationalismus in Aktion

Konstantin Pritzel

Vorwort

Hans Lades Die sowjetkommunistische für Westeuropa.......................................... Regionaltaktik S. 19

Am Sonnabend, dem 15. Juni 1968, kehrte eine tschechoslowakische Parlamentsdelegation aus Moskau nach Prag zurück. Zu den Mitgliedern der Delegation gehörten auch der stellvertretende Vorsitzende der Nationalversammlung und Abgeordnete der Volkspartei J. Zednik. über seine Eindrücke befragt, führte er in einem Interview aus . . Vormittags besuchten wir Leonid Breschnew. Er empfing uns sehr herzlich, und die Unterhaltung dauerte volle zwei Stunden länger, als das Protokoll vorgesehen hatte . . . Breschnew erklärte, daß sowjetischerseits gewisse Fehler gemacht worden waren, aber es hatte sich entschieden um keine Beeinflussung der Entwicklung in der Tschechoslowakei gehandelt . . . Breschnew sprach wirklich gefühlvoll sein Bedauern darüber aus, was von Fall zu Fall vorgekommen war, während bei ihnen — wie wir uns selbst überzeugen konnten das Verhältnis zur CSSR unverändert innig und herzlich bleibe. Er respektiere sehr unsere Bedingungen, von denen wir derzeit ausgehen, bedauere nur, daß es zu Extremen käme und daß die Sowjetunion angegriffen würde. Ich hatte nicht gedacht, in den Augen eines so hohen Funktionärs und Frontsoldaten Tränen zu sehen. Er sagte sogar ungefähr dies — ich zitiere nicht wörtlich, der Sinn jedoch bleibt —-Die Sowjetunion ist bereit, sich sogar vor einem internationalen Gerichtshof gegen die ungerechten Beschuldigungen zu verteidigen, die im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR erhoben wurden. Niemand habe Anweisungen gegeben, es solle dies oder jenes geschehen.'Breschnew erklärte, sie hätten Polen nie zur Sozialisierung gezwungen, weshalb hätten sie es im Falle der CSSR tun sollen?"

In der Nacht vom 20. auf den 21. August fielen sowjetische, bulgarische, polnische, ungarische und sowjetzonale Truppen in die Tschechoslo-wakei ein. In der am darauffolgenden Tag von der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS herausgegebenen Mitteilung steht der Satz: „Diese Länder sind einmütig darin, daß die Unterstützung, die Festigung und der Schutz der sozialistischen Errungenschaften der Völker die gemeinsame internationale Pflicht aller sozialistischen Staaten ist. Dieser ihr gemeinsamer Standpunkt wurde auch in der Bratislavaer Erklärung feierlich verkündet."

1. Der Sturz Novotnys

INHALT Vorwort 1. Der Sturz Novotnys 2. Umbildung der Parteispitze und das Regierungsaktionsprogramm der KP a) Der Parteiapparat b) Die Regierung c) Aktionsprogramm der KPC 3. Politische und ideologische Aspekte des Demokratisierungsprozesses in der SSR 4. Besprechungen und Konferenzen von Januar bis Mai 1968 5. Die SED als lautstärkster Gegner der Prager Reformer a) Propagandakampagne und Pressepolemik b) Parteiinterne Instruktionen c) Der Erneuerungsprozeß in der SSR und die Rolle der SED in Deutschland d

Bereits auf dem Oktober-Plenum 1967 des Zentralkomitees der KPC war es zu Auseinandersetzungen zwischen Novotny und seinem späteren Nachfolger Dubcek gekommen. Als kurz darauf der sowjetische Parteichef Breschnew zu einem Blitzbesuch in Prag erschien, wurde dieser Besuch auf der nächsten ZK-Sitzung zum Stein des Anstoßes. Eine ehemaliger Sportfunktionär wollte wissen, wer Breschnew eingeladen hätte und ob es darum ginge, die in Gang befindliche Abwahl Novotnys zu verhindern. Daß es tatsächlich darum ging, sollte sich sehr schnell bestätigen.

Der sowjetische Botschafter in Prag, Tscherwonenko, versuchte den Mitgliedern des Zentralkomitees klarzumachen, daß Novotny im Ami bleiben müsse, und auch der Botschafter der DDR in Prag, Florin, erhob nachdrücklich dahin gehende Vorstellungen. Gestützt auf diese Interventionen und sich auf die Loyalität der Polizeiformationen verlassend, zog Novotny Anfang Januar sein kurz vorher unter-breitetes Rücktrittsgesuch zurück. Aber der Lauf der Dinge war nicht mehr aufzuhalten. In der ersten geheimen Abstimmung in der Geschichte des ZK der KPC wurde der Chef der slowakischen Parteiorganisation, Anton Dubcek, zum Ersten Sekretär gewählt.

Bald darauf sollten sich mit der Flucht des Generalmajors und Sekretärs der Parteiorganisation der politischen Hauptverwaltung im Verteidigungsministerium, Sejna, nach den USA bereits vorher aufgetauchte Meldungen bestätigen, wonach die mit Novotny liierte militärische Führungsspitze mit Hilfe des Einsatzes der 1. Panzerdivision, einer Eliteformation des Warschauer Paktes, den Machtwechsel hatte verhindern wollen. Es kann heute kaum noch einen Zweifel darüber geben, daß der 5. Januar 1968, der Tag, an dem das ZK der KPC Anton Novotny seiner Funktion als Parteichef enthob, in die Geschichte der Tschechoslowakei eingehen wird. Mit dieser Maßnahme wurde ein Prozeß ausgelöst, der zur Zeit noch in vollem Gange ist und dessen Ausgang sich noch nicht absehen läßt.

Die nun folgenden Wochen waren gekennzeichnet durch lebhafte innenpolitische Auseinandersetzungen und das Vordringen der reformwilligen Kräfte in allen Bereichen des öffentlichen Lebens:

— Am 5. März 1968 wurde der Chefideologe Jiri Hendrych abgesetzt

— Am 8. März forderten Generalstabsoffiziere in einem offenen Brief den Rücktritt Novotnys vom Amt des Staatspräsidenten.

— Am 9. März begannen im ganzen Lande Sitzungen der örtlichen Parteikomitees, auf denen eine Wetterführung des Prozesses der Demokratisierung gefordert wurde.

— Am 12. März mußte der Gewerkschaftschef Miroslaw Pastyric seinen Posten zur Ver-• fügung stellen.

— Am 14. März wurde Michal Chudik, der Vorsitzende des slowakischen Nationalrates, abgesetzt, nachdem er sich auf der Januar-Tagung des ZK für Novotny eingesetzt hatte.

— Am 15. März wurden Innenminister Kudnra und Staatsanwalt Jan Bartuska entlassen.

Beide galten als Gefolgsleute Novotnys und waren durch ihre stalinistische Vergangenheit schwer belastet.

— Am 16. März bekräftigte Dubcek seinen Willen zur Demokratisierung des Landes.

Die Presse begann sich mehr und mehr von den Fesseln der Zensur zu befreien.

Am 22. März bot Novotny dem Präsidium der Nationalversammlung seinen Rücktritt als Staatschef an. Der Rücktritt, der angenommen wurde, löste eine Welle von Demissionen und Entlassungen aus.

Am 30. März wählte die tschechoslowakische Nationalversammlung — erstmalig seit der sozialistischen Umgestaltung in geheimer Wahl — den früheren Verteidigungsminister Ludwig Svoboda zum Staatspräsidenten.

2. Umbildung der Parteispitze und Regierung — Aktionsprogramm der KPC

ZK-Plenum 5. Jan. 68 Erster Sekretär Sekretäre Das Parteipräsidium Das Sekretariat ZK-Plenum 5. April 68 Nach dem 13. Parteikongreß Alexander Dubcek Oldrich Cernik Drahomir Kolder Jozef Lenart Otakar Simunek Antonin Novotny Jiri Hendrych Jaromir Dolansky Michal Chudik Bohuslav Lastovicka Antonin Novotny Drahomir Kolder Jiri Hendrych Vladimir Koucky Lubomir Strougal Dubcek Cernik Kolder Lenart Simunek Novotny Hendrych Dolansky Chudik Lastovicka Jan Piller Josef Spacek Emil Rigo Josef Boruvka Alexander Dubc

a) Der Parteiapparat Bereits auf der Plenarsitzung des ZK der KP im Januar 1968 war beschlossen worden, die bisher bestehende Personalunion für die Funktion des Parteichefs und Staatschefs aufzuheben. Gleichzeitig wurde eine Reihe von Personalveränderungen in den Führungsgremien der Partei vorgenommen, denen weitere mit der ZK-Tagung vom 5. April folgten. Die nachstehende Übersicht zeigt die personelle Zusammensetzung des Präsidiums und Sekretariats des ZK der KP nach dem 13. Parteikongreß im Juni 1966 sowie nach den ZK-Tagungen im Januar und April 1968: b) Die Regierung Am 8. April stellte der nunmehrige tschechoslowakische Staatschef Svoboda die neue Regierung vor. Zum Ministerpräsidenten wurde Oldrich Cernik, zu seinen Stellvertretern Dr. Colotka, Frantisek Hamouz, Dr. Gusav Husak, Dr. Ota Sik und Dr. Lubomir Strougal ernannt. Die am selben Tage auf der Prager Burg unterbreitete Regierungserklärung war auf drei Hauptthemen orientiert: 1. Auf die mit der Sicherstellung der demokratischen und bürgerlichen Rechte und der Gleichberechtigung aller in der Tschechoslowakei lebenden Nationalitäten zusammenhängenden Fragen und auf die Rehabilitierung und Beseitigung aller Ungesetzlichkeiten der vergangenen Jahre. 2. Auf die Umgestaltung der Volkswirtschaft, die Probleme des Außenhandels und die Verbesserung des Lebensniveaus der Bevölkerung. 3. Auf die Fragen der Außenpolitik und der Gewährleistung der Sicherheit des Landes c) Aktionsprogramm der KPC Am 11. April beschloß das ZK der KP ein neues Aktionsprogramm, das den künftigen Weg der Partei festlegte. Als besonders bedeutungsvolle Leitsätze seien aus diesem Programm, dessen offizielle Bezeichnung „Der Weg der Tschechoslowakei zum Sozialismus" lautet, die folgenden zitiert „Das Wesentliche ist die Reform des gesamten politischen Systems, die eine dynamische Entwicklung, der sozialistischen gesellschaftlichen Verhältnisse, die Kombination einer breiten Demokratie mit einem hochqualifizierten und wissenschaftlichen Management, die Stärkung der Gesellschaftsordnung, die Stabilisierung der sozialistischen Verhältnisse und die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Disziplin ermöglicht. Die Grundstruktur des politischen Systems muß gleichzeitig feste Garantien gegen eine Rückkehr zu den alten Methoden des Subjektivismus und der Willkür* aus einer einzigen Machtstellung heraus vorsehen. Die grundsätzliche Orientierung der tschechoslowakischen Außenpolitik ist das Bündnis und die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern. . ..

Es ist nicht möglich, von einer Position der Macht aus durch willkürliche Interpretation vorzuschreiben, welche Informationen den werktätigen Menschen zugänglich gemacht werden, welche Auffassungen öffentlich bekundet und wo die öffentliche Meinung eine Rolle spielen könne. Die Gesetze müssen auch die Redefreiheit von Minderheiten nachhaltiger garantieren. Die verfassungsrechtliche Freizügigkeit, insbesondere die Reisen von Bürgern ins Ausland, müssen durch Gesetz garantiert werden. ... Niemand darf ohne Grund in die Position eines Emigranten gebracht werden. Gleichzeitig müssen die Interessen des Staates gegen die Abwanderung gewisser Kategorien von Fachkräften geschützt werden. . . .

Der tieferliegende Grund für die Beibehaltung überholter Methoden der Wirtschaftslenkung war die Deformation des politischen Systems gewesen. Außerdem war es Anfang der 60er Jahre auf Grund der ungünstigen außenwirtschaftlichen Lage zu einem Zustand ernsthaften wirtschaftlichen Ungleichgewichts gekommen. Die unmittelbare Ursache früherer Unzulänglichkeiten lag darin, daß es innerhalb der Partei eine zu starke Konzentration der Entscheidungsgewalt gegeben hat und daß einzelne Personen, insbesondere der Genosse Antonin Novotny, eine außergewöhnliche Position innehatte. . . .

Das Programm der Demokratisierung der Wirtschaft umfaßt insbesondere die Herbeiführung der Unabhängigkeit von Unternehmen und Unternehmensgruppen, deren relative Unabhängigkeit von den Staatsorganen, die volle und wirkliche Geltendmachung des Rechts des Verbrauchers auf Bestimmunng seines Konsums und seines Lebensstils, das Recht auf freie Berufswahl sowie das Recht, die echte Möglichkeit von werktätigen und gesellschaftlichen Gruppen, bei der Gestaltung der Wirtschaftspolitik ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu formulieren und zu verfechten."

3. Politische und ideologische Aspekte des Demokratisierungsprozesses in der CSSR

Die Ablösung der stalinistischen Machthaber mit Novotny an der Spitze und die Einleitung des Demokratisierungsprozesses in der ÖSSR sind wesensmäßige Bestandteile eines im gesamten internationalen Kommunismus spürbaren Prozesses. Es handelt sich um Auseinandersetzungen zwischen dem orthodoxen Flügel des kommunistischen Lagers und den nach Modernisierung, Liberalisierung und Unabhängigkeit von der sowjetischen Bevormundung drängenden Kräften.

Dieser Konflikt hat politische und ideologische Aspekte. Was die politische Seite angeht, so wäre hier zunächst darauf hinzuweisen, daß mit dem Erneuerungsprozeß in der ÖSSR zu keinem Zeitpunkt die sozialistische Ordnung im Innern und die Zugehörigkeit zum Pakt-system der sozialistischen Staaten als Prinzip der Außenpolitik in Frage gestellt wurde. Wohl aber bedeutet die tschechoslowakische Version des Sozialismus die Anerkennung der Würde und der Rechte des einzelnen Menschen im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, die Besinnung der Völker der Tschechoslowakei auf ihre nationale Integrität und auf das Recht der eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer inneren Ordnung. Unverkennbar spielen hier als Elemente der Reform der Dualismus zwischen den tschechischen und slowakischen Volksteilen, aber auch die Verletzung der Würde und des nationalen Bewußtseins des gesamten Volkes, wie sie seit 1948 durch die Mißachtung der Person des Gründers der tschechoslowakischen Republik, Thomas Masaryk, geschah, eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Weiterhin erstreckt sich der Prozeß der Demokratisierung auf die eigenverantwortliche Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen sowie auf die Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Ordnung im Rahmen der sozialistischen Grundvorstellungen. Und es bedeutet schließlich die Verwirklichung des auf zahllosen Tagungen und Konferenzen immer wieder manifestierten Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, was auf die Absage an die sowjetische Suprematie und die Umwandlung der bestehenden hegemonialen Bündnissysteme (Warschauer Pakt, Comecon) in Gemeinschaften wirklich gleichberechtigter Partner hinausläuft.

In ideologischer Hinsicht bedeutet der Demokratisierungsprozeß die Bereinigung des marxistisch-sozialistischen Gedankengutes von gewissen leninistisch-stalinistischen Entartungen, und als wichtigste Schlußfolgerung daraus eine Neudefinierung des Wesens und der Rolle der kommunistischen Partei. Die Spaltung der russischen Sozialdemokratie in Menschewiken und Bolschewiken um die Jahrhundertwende erfolgte im Zeichen der Meinungsverschieden heiten über die Partei. Für die Menschewiken war sie eine lose Gemeinschaft von Menschen mit gleichen politischen Idealen. Lenin dagegen sah in der Partei eine disziplinierte und organisierte Gruppe von zu allem entschlossenen Berufsrevolutionären, von Kämpfern um die politische Macht. Sozialisten, Arbeiterführer und Gewerkschafter, die seine Theorien nicht teilten und nicht im Sinne seiner Auffassungen handelten, waren für ihn nichts anderes als von Imperialisten gekaufte Diversanten, Spione und Verräter.

Neben den rein machtpolitischen, strategischen und wirtschaftspolitischen Fragen mußten vor allem auch diese ideologischen Aspekte zu einer Konfrontation mit der Sowjetunion und ihren orthodoxen Verbündeten führen. Von dem Sonderfall der DDR einmal abgesehen, bildet die Tschechoslowakei das einzige industriell fortgeschrittene Land, in dem — wenn auch mit Hilfe des sowjetischen Militärs — die sowjetische Version des Sozialismus nach 1945 eingeführt worden war. Die Abkehr des Landes von dieser Ordnung mußte nun von vornherein den Gedanken der Unbrauchbarkeit des sowjetischen Systems für höher entwickelte moderne Industriegesellschaften nahelegen. So barg der tschechoslowakische Erneuerungsprozeß auch die Gefahr einer Kettenreaktion, ja sogar von Fernwirkungen bis hinein in die Sowjetunion in sich.

4. Besprechungen und Konferenzen von Januar bis Mai 1968

Aus dieser Sicht der Dinge erklärt sich das Interesse, das von Seiten der Sowjetunion und des gesamten stalinistischen Flügels den Vorgängen in der SSR von Anfang an entgegen gebracht wurde. Dieses Interesse fand seinen Ausdruck u. a. in einer Serie von Begegnungen, Besprechungen und Konferenzen, die in den Monaten Januar bis Mai 1968 stattfanden. Alle diese Veranstaltungen hatten letzten Endes gemeinsam, daß die Vertreter des orthodoxen Lagers versuchten, die ihnen unbequeme Entwicklung in der CSSR zu beeinflussen und den Demokratisierungsprozeß in eine ihnen annehmbare Richtung zu kanalisieren. Andererseits war es das Anliegen der Prager Reformer, Verständnis für den von ihnen beschrittenen Weg zu wecken und die Gegner wenigstens zum Stillhalten zu veranlassen. In diesem Sinne sind hier die folgenden bilateralen und multilateralen Begegnungen zu vermerken:

Nach dem überraschenden Erscheinen Breschnews am 8. Dezember 1967 in Prag folgte am 29. und 30. Januar 1968 die erste offizielle Reise Dubceks als Parteichef nach Moskau, wo dem Kommunique nach vor allem über „Fragen des weiteren Ausbaus der tschechoslowakischsowjetischen Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten und vor allem über einige Fragen der internationalen Politik und der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung ..." gesprochen wurde.

Am und März 1968 fand in Sofia eine Tagung des politischen beratenden Ausschusses der Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages statt.

Am 23. März 1968 trafen sich in Dresden die Parteichefs und Ministerpräsidenten der So-wjetunion (Breschnew und Kossygin), der Tschechoslowakei (Dubcek und Lenart), Un-garns (Kadar und Fock), Polens (Gomulka und Cyrankiewicz) sowie der DDR (Ulbricht und Stoph); aus Bulgarien waren das Politbüromitglied Todorow und der stellv. Ministerpräsident Sch. Schiwkoff erschienen. Rumänien hatte keine Delegation entsandt. Im Kommunique heißt es: „Die Vertreter der KPC und der Regierung der CSSR informierten über den Stand der Realisierung der Beschlüsse des Januarplenums des ZK der KPC ..."

Am 4. Mai 1968 traf der tschechoslowakische Parteichef Dubcek in Begleitung des Parlamentspräsidenten Smrkovsky und des slowakischen Parteisekretärs Bilak zu einem Blitzbesuch in Moskau ein. Die Einladung des Kreml war unmittelbar nach der einstimmigen Annahme der Gesetze über die Sozial-und Wirtschaftsreform durch das Prager Parlament erfolgt.

Am 8. Mai 1968 fand in Moskau ein Treffen führender Funktionäre der Bulgarischen Kommunistischen Partei, der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und der Kommunistischen Partei der Sowjetunion statt. Während des Treffens erfolgte'ein Meinungsaustausch über aktuelle Probleme der internationalen Lage und der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung 6).

Auf Einladung des Präsidiums der KPC und der Regierung hielt sich der sowjetische Ministerpräsident A. Kossygin vom 17. bis 25. Mai 1968 in der CSSR auf, wobei er die Tage vom 19. bis 23. Mai in Karlsbad verbrachte.

5. Die SED als lautstärkster Gegner der Prager Reformer

a) Propagandakampagne und Pressepolemik In gleichem Maße, wie Dubcek und seine Freunde darangingen, ihr Reformprogramm zu verwirklichen, wuchs das Unbehagen auf seifen der kommunistischen Orthodoxie. Dabei trat die SED von Anfang an durch besondere Aggressivität hervor. Bereits Mitte Februar wurde die Verbreitung der „Prager Volkszeitung" — das Organ der deutschsprachigen Volksgruppe in der CSSR — eingeschränkt und Ende Juni ihr Vertrieb völlig unterbunden. Die SED war bemüht, tunlichst nichts über den Umfang des Demokratisierungsprozesses in der CSSR bekannt werden zu lassen. So sprach man nur von revisionistischen Tendenzen oder polemisierte ggf. gegen einzelne tschechoslowakische Funktionäre, Publizisten oder Wissenschaftler 7). Erklärungen und Maßnahmen der Reformer in Prag, die nicht in das politische Konzept der Einheitspartei paßten, wurden unterschlagen. Ost-Berliner ADN-und ND-Korrespondenten in Prag lieferten zwar regelmäßig Berichte, die jedoch nur selten gedruckt oder gesendet wurden.

In einer Prager Rundfunksendung antwortete am 11. März der Berliner Korrespondent des tschechoslowakischen Rundfunks auf die Frage, wie die Bürger in der DDR darüber informiert sind, was in der CSSR geschieht: „Sie sind überhaupt nicht informiert, weil die DDR-Presse darüber, was bei uns geschieht, nicht berichtet oder aus den Reden von Staatsmännern nur die Abschnitte bringt, die über positive Sachen sprechen. Zum Beispiel wurden aus der Rede Alexander Dubceks auf der Prager Burg anläßlich des Februar-Jahrestages alle Passagen über die Fehler der Vergangenheit, über die Deformationen unserer sozialistischen Einrichtungen und auch über alle institutionellen Änderungen, die in der Zukunft durchgeführt werden sollen, ausgelassen."

Etwa von April/Mai an läßt sich eine zweite Phase in der Behandlung der tschechoslowakischen Vorgänge durch die SED erkennen. War bisher nur von revisionistischen Tendenzen die Rede gewesen, so wurde nun der Vorwurf der „konterrevolutionären Umtriebe" erhoben. Die erste Attacke dieser Art erfolgte auf dem OstBerliner Philosophie-Kongreß Ende April 1968, als der Chefideologe der SED, Hager, den damaligen tschechoslowakischen Forstminister und heutigen Präsidenten der Nationalversammlung Smrkowsky angriff und damit ernste diplomatische Proteste der Tschechoslowakei auslöste. b) Parteiinterne Instruktionen Wesentlich größeres Gewicht aber mußte einem anderen Vorgang beigemessen werden. Ende Mai/Anfang Juni veröffentlichten mehrere tschechoslowakische Zeitungen und Zeitschriften Auszüge aus internen Instruktionen des SED-Zentralkomitees über die Lage in der CSSR. Diese Instruktionen waren den Berichten nach im Mai auf Parteiaktivtagungen des SED verlesen sowie allen Redaktionen der Bezirkspresse zur Kenntnis gegeben worden. Wörtlich wurden aus diesen Instruktionen die folgenden Auszüge zitiert: „Die KPC hat praktisch die Macht verloren. Loyale Kommunisten wurden aus den höchsten Staatsorganen entfernt. Heimliche Feinde der Partei des Volkes, die direkt oder indirekt im Dienst des Imperialismus stehen, haben die führende Funktion eingenommen. Durch die Einführung geheimer Wahlen wurde auf den Parteikonferenzen die Wahl parteifeindlicher Kandidaten und die Abwahl bewährter Genossen ermöglicht. Die Rückkehr zum bourgoisen Vorkriegsregime ist im Aktionsprogramm der KPC verankert. Dieses Programm richtet sich im Endeffekt gegen die Grundlagen des Sozialismus. Unter der Losung der Pressefreiheit wurde in der Tschechoslowakei der Konterrevolution Freiheit gewährt. Die konterrevolutionäre Politik hat bereits ungezählte gute Genossen, ergebene Söhne der Arbeiterklasse, zum Selbstmord bewogen. Gleichzeitig wurde der antisowjetischen Propaganda und der Propaganda für die Liquidierung des Bündnisses mit den sozialistischen Ländern Tür und Tor geöffnet. Die Versicherungen führender tschechoslowakischer Repräsentanten über ihre Freundschaft zur Sowjetunion und zu den verbündeten Ländern sind wertlos, weil Leuten die Kontrolle über die Entwicklung aus den Händen gewichen ist, weil sie praktisch keine Macht mehr haben. Die Machtorgane haben die Kontrolle so weit verloren, daß an den Grenzen der Tschechoslowakei ein Durcheinander herrscht: Klassenfeinde und imperialistische Agenten können über die Grenzen ungehindert in die Tschechoslowakei eindringen. Sie können auch ihr technisches Spionagegerät über die Grenze bringen, da niemand ihr Gepäck kontrolliert.

Die Entwicklung hat einen Punkt erreicht, wo sie aufhört, eine rein innere Angelegenheit der Tschechoslowakei zu sein. Das gegenwärtige tschechoslowakische Regime gestattet dem Feind das Eindringen in das Territorium des Warschauer Paktes, gefährdet die Sicherheit der Paktstaaten und verrät seine Verbündeten. Ein sozialistisches Land kann es sich nicht erlauben, dem untätig zuzusehen. Ein Einschreiten würde im Interesse der Verteidigung der sozialistischen Länder erfolgen und deshalb nicht als Einmischung gelten. Im Falle einer Intervention, die möglicherweise militärischen Charakter hätte, würde es sich selbstverständlich um einen kollektiven Schritt handeln." c) Der Erneuerungsprozeß in der ÖSSR und die Rolle der SED in Deutschland Diese extrem feindliche Haltung der SED gegen die Erneuerungsbestrebungen der KPC, wie sie insbesondere nach der Warschauer Konferenz in Erscheinung trat, läßt sich wohl am ehesten aus dem Gedankengut und den Erkenntnissen des polnischen Marxismusforschers Adam Schaff erklären. Schaff hatte in seinem Buch „Marxismus und menschliches Individuum" den Prozeß der politischen und ideologischen Erosion im internationalen Kommunismus dahin gedeutet, daß sich die kommunistische Doktrin als nicht ausreichend erwiesen hätte, auf die Herausforderung durch den Nationalismus zu antworten, sofern eine solche Herausforderung von einem kommunistischen Staat ausgeht Schaff hat damit nicht nur eine überzeugende Diagnose dieses Gesamtprozesses im kommunistischen Lager gestellt, sondern diese Diagnose ermöglicht es gleichzeitig, die spezifische Haltung der kommunistischen Machthaber in Mitteldeutschland zu verstehen und in ihren eigentlichen Motiven darzulegen. In dem Augenblick nämlich, in dem der gemeinhin als Erosion bezeichnete Auflockerungsprozeß des sozialistischen Lagers als eine Antwort auf die zugrunde liegenden nationalen Eigeninteressen verstanden wird, im gleichen Augenblick mußte dieser Prozeß für die SED zu einem existentiellen Problem, zu einem Problem von Sein oder Nichtsein werden. Er wurde es, weil diese Partei die Spaltung des Staates und der Nation und damit ein zutiefst antinationales Programm auf ihre Fahnen geschrieben hat oder hat schreiben müssen. So ist die SED von vorn herein nicht in der Lage, eine positive Antwort auf Entwicklungen wie die in der Tschechoslowakei zu geben. Die Führungsgruppe in der Partei—mit Ulbricht an der Spitze —ist sich offenbar dieser Problematik bewußt. Sie reagiert daher — aus ihrer Position logisch und verständlich — mit konsequenter Ablehnung aller Versuche, den doktrinären Marxismus-Leninismus zu revidieren und den unbeschränkten Alleinherrschaftsanspruch der Partei, genauer einer Machtgruppe in dieser Partei, anzutasten. Sie verteidigt das von ihr in Mitteldeutschland geschaffene Herrschaftssystem als Erfüllung der Wünsche und Ziele der sozialistischen deutschen Arbeiterbewegung und stellt es als Modell für eine Wiedervereinigung der heute getrennten Teile Deutschlands hin. Sie beschwört insbesondere die Einheit und Geschlossenheit des kommunistischen Weltlagers, was bei Licht besehen auf eine noch engere Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und die vorbehaltslose Anerkennung des Führungsanspruchs der KPdSU hinausläuft d) Selbstmorde von Anhängern Novotnys — Die Angst als Motiv der SED-Funktionäre Neben den Schlußfolgerungen, die die SED aus den politischen und ideologischen Aspekten der Vorgänge in der Tschechoslowakei ableitete, gab es noch ein anderes Motiv für die feindselige Haltung, die den Prager Reformern von Seiten der Machthaber in Ost-Berlin entgegenschlugen: Die Angst um das persönliche Schicksal.

Im Zuge des Erneuerungsprozesses in der Tschechoslowakei verübten eine Reihe von Anhängern des früheren Partei-und Staatschefs Novotny Selbstmord. Die bekanntesten von ihnen waren:

Vladimir Janko, Generaloberst und stellvertretender Verteidigungsminister. Selbstmord am 14. März 1968 durch Erschießen. . 1. war einer der Generale, die während des Januar-Plenums einen Brief unterzeichneten, um die Absetzu März 1968 durch Erschießen. . 1. war einer der Generale, die während des Januar-Plenums einen Brief unterzeichneten, um die Absetzung Novotnys zu verhindern 11).

Jan Bartuska, Staatsanwalt. Selbstmord am 15. März 1968 durch Erhängen.

Dr. J. Breslansky, Vizepräsident des Obersten Gerichts. B. war mit den Vorbereitungen der Rehabilitierungen befaßt. Seine Leiche wurde am 28. März 1968 in der Nähe von Babei aufgefunden. Mord oder Selbstmord? 12).

Major Pokorny, leitender Funktionär des Sicherheitsdienstes des Innenministeriums. Auf-findung der Leiche am 31. März 1968 bei Kanici, Nähe Brünn 13).

Dr. Josef Sommer, in den fünfziger Jahren Arzt im Gefängnis in Ruzyne. Selbstmord am 26. April 1968 in seiner Prager Wohnung 14). Dr. Josei Pocepicky, Oberstleutnant und Leiter der Untersuchungsabteilung im Prager Polizeipräsidium. Selbstmord bei Marienbad am 27. April 1968.

Wie heute aufgrund zuverlässiger Informationen feststeht, haben gerade diese Meldungen über das Schicksal der Gefolgsleute Novotnys in Kreisen sowjetzonaler Partei-und Regierungsfunktionäre starken Eindruck gemacht und erhebliche Beunruhigung ausgelöst. Das gesamte Verhalten der SED, vor allem auch das Wild-um-sich-Schlagen nach allen Seiten und der immer offensichtlicher werdende Mangel an kritischer Überlegung und nüchterner Kalkulation in der politischen Strategie gegenüber Prag dürften sich nicht zuletzt aus dieser Tatsache erklären.

6. Konzertierte Aktion gegen Prag

Ende Juni/Anfang Juli 1968 steuerte das Kesseltreiben der orthodoxen Seite des kommunistischen Lagers gegen die Prager Reformer seinem Höhepunkt zu. Zu diesem Zeitpunkt wurde den Sowjets und ihren auf den gleichen Kurs eingeschworenen Verbündeten klar, daß mit den Wahlen zum Parteitag der KP im Herbst die Anhänger Novotnys auch in der Provinz ihre Positionen verlieren würden und damit die Hoffnung, von hier aus Einfluß auf den Gang der Dinge zu nehmen, also den Reformprozeß von innen her zum Stillstand zu bringen, zunichte würde. Vor allem aber war spätestens zu diesem Zeitpunkt klar, daß man in Prag mit der Demokratisierung Ernst machte, daß es sich nun nicht mehr nur um bestimmte Korrekturen am sowjetischen Wirtschaftsmodell und um einzelne kosmetische Operationen am politischen Gesamtsystem handelte, sondern ein tiefgreifender Prozeß gesellschaftlicher Umformung in Richtung auf eine Synthese von Sozialismus und Demokratie begonnen hatte. Das Organ des tschechoslowakischen Jugendverbandes „Mlada Fronta" brachte diesen Gedanken zum Ausdruck, als es — die Gründe der Kampagne gegen den Erneuerungsprozeß in der CSSR analysierend — schrieb „Offenbar würde nichts geschehen, wenn es beim Januar bliebe, beim bloßen Austausch von Personen, und nicht der April, Mai und Juni gekommen wäre: Das Aktionsprogramm, die ersten Gesetze, das Gesetz über Rehabilitierung und über Aufhebung der Zensuren, die Vorbereitungen zum Parteitag, die dauernde Aktivität der Bürger."

Von vier Seiten her wurden die reformwilligen Kräfte in Prag unter Druck gesetzt:

I. Von Seiten der mehr oder weniger auf der Moskauer Linie marschierenden kommunistischen Parteien. Diese Bestrebungen gipfelten in dem Versuch, die Führung der KPC zur Teilnahme an einer Konferenz außerhalb des Landes zu bewegen, was nach Lage der Dinge nur auf eine Gerichtssitzung über die KPC hinauslaufen konnte. Diese Konferenz wurde dann ohne Teilnahme der KPC in Warschau durchgeführt und endete mit der Abfassung des „Gemeinsamen Briefes an das Zentralkomitee der KPC" 2. Durch die ostentative Verzögerung des Abzugs der auf tschechoslowakischem Territorium stehenden sowjetischen Truppen, der plötzlich anberaumten Kommandostabsübung „Böhmerwald" und dem dann folgenden und als Manöver bezeichneten Aufmarsch einsatzfähiger Formationen an den Grenzen des Landes 3. Mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Sowjetunion 4. Durch eine großangelegte Propaganda-und Verleumdungskampagne unter Einsatz aller publizistischen Mittel. Diese Kampagne zielte darauf ab, den Versuch der Synthese von Demokratie und Sozialismus in der CSSR als „konterrevolutionäre Tätigkeit" zu brandmarken und die Politik der Prager Reformer als Unterstützung des westlichen Imperialismus unter Führung der Bundesrepublik und den USA hinzustellen. Als Vorwand diente vor allem das von dem kommunistischen Schrift-steiler Ludvik Vakulik veröffentlichte „Manifest der 2000 Worte", in dem er eine tatkräftige Demokratisierung verlangte Ein weiterer Vorwand wurde offensichtlich von den späteren Interventen selbst geschaffen Gemeint sind die plötzlichen Waffenfunde an verschiedenen Orten in der Tschechoslowakei, die von sowjetischen Presseorganen groß herausgestellt wurden

Aber gerade diese Politik verschaffte Dubcek und seiner Mannschaft eine bis dahin nicht gekannte Popularität im Lande. Es dürfte kaum jemals eine kommunistische Partei gegeben haben, die sich auf eine so breite Basis in der Bevölkerung stützen konnte Gleichzeitig förderte die Politik der offenen und verstecktten Pressionen den Prozeß der Solidarisierung mit der erdrückenden Mehrheit aller anderen sozialistischen Parteien. Mit sichtlicher Genugtuung vermochten die Prager Parteiführer darauf hinzuweisen, daß die Manipülationen der Sowjets und ihrer Helfer nur von drei nicht-regierenden kommunistischen Parteien — soweit man diesen Begriff überhaupt hier verwenden kann — unterstützt wurden: von einer Gruppe griechischer Exilkommunisten, von der im Fahrwasser der SED schwimmenden illegalen KPD in der Bundesrepublik und von einer Gruppierung, die als SED West-Berlin firmiert.

7. Die Konferenzen von Warschau und Preßburg

Am 14. und 15. Juli 1968 kamen die Repräsentanten der kommunistischen Parteien Bulgariens, Polens, der Sowjetunion, Ungarns und der DDR in Warschau zu einer Konferenz zusammen. Die KPC hatte die Teilnahme abgelehnt, offensichtlich in der Erkenntnis, daß es sich weniger um eine Aussprache als um eine Gerichtssitzung handeln würde. Die kommunistische Partei Rumäniens war nicht eingeladen worden.

Wichtigstes Ergebnis der Konferenz, soweit bisher bekannt, war ein „Gemeinsamer Brief an das Zentralkomitee der KP". Es lohnt sich, hier einige Formulierungen dieses Warschau-er Briefes ins Gedächtnis zu rufen. Da war z. B. die Rede von antisozialistischen und revisionistischen Kräften, die Presse, Rundfunk und Fernsehen in der SSR an sich gerissen hätten, von Schwächen in der Führung des Landes durch die Partei und davon, daß die Konterrevolution der Partei eine Position nach der anderen entreißen würde. Die Angriffe der Verfasser des Warschauer Briefes aber gipfel-ten in dem Vorwurf, daß in der CSSR eine für ein sozialistisches Land absolut unannehmbare Situation entstanden sei und die Bedrohung der Grundlagen des Sozialismus die gemeinsamen Lebensinteressen der übrigen sozialistischen Länder gefährde. Der Brief schloß mit den Sätzen: „Angesichts der Gefahr der Konterrevolution müß sich auf Initiative der KPC die Stimme der Arbeiterklasse voll Geltung verschaffen. Wir möchten der Überzeugung Ausdruck geben, daß die KPC in Erkenntnis ihrer Verantwortung die erforderlichen Maßnahmen treffen wird, um der Reaktion den Weg zu versperren. In diesem Kampf können sie stets auf die Solidarität und jedwede Hilfe von seifen der sozialistischen Bruderländer rechnen."

Zweieinhalb Wochen später, vom 2. bis 3. August, fand die Preßburger Konferenz statt. Diesmal nahmen die Vertreter der KPC teil; die Rumänen fehlten wiederum. Ein Vergleich des Warschauer Briefes mit der in Preßburg verabschiedeten „Erklärung der kommunistischen und Arbeiterparteien sozialistischer Länder" zeigt die Veränderungen in der politischen Landschaft, die in der Zwischenzeit eingetreten waren. Von den Vorwürfen gegen die KPC und vor allem von der Gefahr der Konterrevolution ist in der Preßburger Erklärung mit keinem Wort mehr die Rede. Mit der Beschwörung des proletarischen und sozialistischen Internationalismus, dem Bekenntnis zu den Grundideen des Marxismus-Leninismus und der Betonung der Rolle des Warschauer Paktes sowie des Rates für gegenseitige Wirtschafts-hilfe liest sich die Erklärung eher wie eine der zahllosen früher abgegebenen Resolutionen und Deklarationen der kommunistischen Parteien. Auch die Hinweise auf die aggressive Tätigkeit der imperialistischen Kräfte in den USA, in der Bundesrepublik und in anderen Ländern wird man dieser schon bekannten Tradition zuzurechnen haben. Die Erklärung schließt mit dem Satz: „Die Parteien, die an der Beratung von Bratislava teilgenommen haben und diese Erklärung abgeben, sind fest davon überzeugt, daß die in ihr geäußerten Standpunkte und Ansichten den Interessen aller Bruderländer und Bruder-parteien, der Sache der unverbrüchlichen Freundschaft unserer Länder, den Interessen des Friedens, der Demokratie, der nationalen Unabhängigkeit und des Sozialismus entsprechen."

Damit stellt sich dann auch sofort die Frage nach den Gründen und Hintergründen dieses Wandels, nach dem, was hinter den Kulissen in Warschau, Schwarzau und Preßburg eigentlich vor sich ging. Erst nach und nach wird sich im weiteren Lauf der Ereignisse hierüber hinreichende Klarheit gewinnen lassen. Aber auch schon jetzt gibt es einige Indizien und Fakten, die aufschlußreich sind und festgehalten zu werden verdienen.

Dazu gehört vor allem die Tatsache, daß es — dies wenigstens ist im Augenblick mit hinreichender Sicherheit bekannt — der SED auf der Warschauer Konferenz gelang, die redaktionelle Bearbeitung des gemeinsamen Briefes an sich zu reißen und nunmehr unter der Federführung des ZK-Sekretärs und Kandidaten des Politbüros Hermann Axen ein Machwerk entstand, daß sich dann sehr schnell als wenig brauchbar zur konstruktiven Lösung des Konfliktes erweisen sollte

Damit findet auch gleichzeitig ein weiteres Faktum seine Erklärung. Während nämlich die übrigen Partner der Warschauer Konferenz einschließlich der Sowjetunion in den darauf folgenden Tagen ihre aggressive Polemik gegenüber der Tschechoslowakei milderten, den Akzent ihrer Propaganda mehr auf eine vorgebliche Bedrohung von außen legten, sich aber mit direkten Angriffen gegenüber der tschechoslowakischen Parteiführung zurückhielten, verfolgte die SED einen genau entgegengesetzten Kurs. Sie steigerte ihre Angriffe von Tag zu Tag, veröffentliche zusätzlich eine besonderte Stellungnahme ihres Politbüros und leistete schließlich unter Führung des „Neuen Deutschland" eine Pressepolitik ein, deren politisches Niveau und deren sittlicher Tiefstand schlechterdings nicht mehr zu unterbieten waren. Offensichtlich ging es den OstBerliner Machthabern darum, die Notwendigkeit einer gewaltmäßigen Intervention in der Tschechoslowakei als unabdingbar hinzustellen

8. Die Konferenz von Schwarzau an der Theiß — Divergenzen in der Führung der KPdSU

Schon die plötzliche Einberufung der War-schauer Konferenz sowie der Wechsel zwischen heißer und kalter Dusche in der Behandlung der Prager Vorgänge ließ bei politischen Beobachtern den Gedanken bestimmter Meinungsverschiedenheiten in der Führung der KPdSU auftauchen Das äußere Bild so-wie die Ergebnisse der Konferenz zwischen der KPdSU und der KPC in Schwarzau an der Theiß (Cierna na Tisou), vor allem aber der spätere Ablauf der Dinge scheinen diese Vermutung zu bestätigen. Ein Punkt verdient es, besonders hervorgehoben zu werden: Es ist die Tatsache, daß sich erstmals in der Geschichte der Sowjetunion fast das gesamte Politbüro außer Landes begab, um sich für die Dauer von vier Tagen in einem Dorfkino in der Ostslowakei zu versammeln 28).

Tatsächlich ist es nur schwer vorst

Tatsächlich ist es nur schwer vorstellbar, daß derartige Meinungsverschiedenheiten nicht vorhanden gewesen sein sollten. Auch in der Sowjetunion hat es in der Vergangenheit nicht an Ansätzen zu einer begrenzten Demokratisierung und kontrollierten Liberalisierung gefehlt. Man braucht dabei nur an die Diskussionen um die Reform des sowjetischen Wirtschaftssystems und die zeitweilige Lockerung der Parteikontrolle im kulturellen Bereich zu denken. Aber es blieb bei solchen Ansätzen, und wenn nicht alles täuscht, so ließ sich, beginnend mit der Vorbereitung des XXIII. Parteitages der KPdSU im April 1966, ein Stillstand, ja, vereinzelt sogar eine Rückkehr zu den doktrinären Vorstellungen und politischen Praktiken der stalinistischen Vergangenheit feststellen. Die Teilrehabilitierung des toten Diktators, die Prozesse und Zwangsmaßnahmen gegen sowjetische Schriftsteller, das Asyl-gesuch des Schriftstellers Belinkow in den USA und das weitgehende Festhalten an der zentralistischen Planung und Leitung der Wirtschaft sprechen eine eindeutige Sprache.

Von sowjetischer Seite war der auf der War-schauer Konferenz beschlossene Brief an das ZK der KPC von Breschnew, Podgorny, Kossygin, Schelest und Katuschew unterschrieben und damit der scharfmacherischen Tendenz der SED Vorschub geleistet worden. Eine derartige Panne aber durfte sich keineswegs wiederholen. Wollte man jedoch den Inhalt des War-schauer Briefes revidieren und gegenüber Prag einen flexibleren Kurs einschlagen, zumindest sich eine solche Möglichkeit offenhalten, so konnte die Verantwortung hierfür nur das gesamte Politbüro übernehmen. Es mußten Sicherheiten dafür getroffen werden, daß nicht die eine oder andere Richtung ihren Willen durchsetzte Deshalb ging das Politbüro der

KPdSU fast geschlossen nach Schwarzau. Darüber hinaus bot sich die Möglichkeit, auch das gesamte tschechoslowakische Parteipräsidium zur Teilnahme aufzufordern, und damit die Hoffnung, einen Keil in die tschechoslowakische Phalanx zu treiben. Diese Hoffnung hat sich offenbar nicht erfüllt.

Das Ergebnis der Konferenz von Schwarzau ließ gewisse Anzeichen eines Kompromisses erkennen. Dies bezieht sich zunächst einmal auf den Ort, der auf ostslowakischem Gebiet unmittelbar im ungarisch-sowjetischen Grenzgebiet liegt; es bezieht sich auf die Ergebnisse der Konferenz, indem die Pressepolemik gegen Prag eingestellt und ein weiteres Zusammentreffen der Konferenzteilnehmer von Warschau in Preßburg vereinbart wurde. Die Entlassung des Leiters der Sicherheitsabteilung des ZK der KPC, Generalleutnant Prchlik, aus dieser Funktion bei gleichzeitiger Auflösung dieser Abteilung wird man als eine Geste des Entgegenkommens der KPC zu werten haben. Prchlik hatte sich Mitte Juli für eine Qualitätsverbesserung des Warschauer Vertrages und für bestimmte Veränderungen in der Kommandostruktur ausgesprochen und damit den empfindlichsten Punkt der sowjetischen Interessen überhaupt berührt.

Gleichzeitig aber konnte es keinen Zweifel daran geben, daß in Schwarzau die wirklichen Differenzen nicht beigelegt worden waren, sondern durch für beide Teile annehmbare Formulierungen verschleiert wurden, daß die Auseinandersetzungen weitergehen würden und nur die Formen und Methoden, in denen sie ausgetragen werden sollten, modifiziert wurden.

Die in Pressburg unterzeichnete Erklärung läßt dies deutlich erkennen. Jeder konnte aus ihr das herauslesen, was er für richtig und zweckmäßig hielt: Die Sowjetunion, ihre Verbündeten und Satelliten die Solidarität im Rahmen des proletarischen und sozialistischen Internationalismus; die Prager Reformer und ihre Freunde das Recht auf den eigenen Weg zum Sozialismus unter Betonung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. 30)

9. Die militärische Bedrohung der CSSR

Im selben Maße, wie sich die Lage zwischen den Prager Reformern und dem konservativen Lager des Kommunismus zuspitzte, brachten die Sowjets die militärische Trumpfkarte ins Spiel und erhöhten die Drohung einer gewalt-mäßigen Intervention gegenüber der Tschechoslowakei.

Bereits am 19. März hatten leitende Funktionäre der politischen Zentralverwaltung der tschechoslowakischen Armee in Moskau Besprechungen mit sowjetischen Generalen über Fragen der politischen Verwaltung geführt. Am 21. April erschien Sowjetmarschall Jakubowski in Ost-Berlin, um mit Ulbricht „Fragen der weiteren Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft der Mitglieder des Warschauer Vertrages" zu besprechen. Am 23. April bat Parteichef Dubcek den Sowjetbotschafter Tscherwonenko zu sich, um dessen fortlaufende Kontakte mit dem abgesetzten Partei-und Staatschef Novotny zu unterbinden

Vom 20. bis 30. Juni fand die sogenannte „Kommandostabsübung Böhmerwald" statt, in deren Verlauf auch sowjetische Einheiten in die CSSR einrückten. Erst Anfang August 1968, unmittelbar vor Beendigung der Preßburger Konferenz, sollten die letzten sowjetischen Truppen das Land wieder verlassen 31a).

Beginnend mit dem 11. Juli leiteten die Sowjets dann entlang ihrer 1600 km langen Westgrenze umfangreiche Manöver ein, und zwar: 1. Kommandostabsübung „Nord" (Sewer)

vom 11. bis 19. Juli 1968. Leitung: Ober-kommandierender der Sowjetkriegsflotte, Flottenadmiral S. Gorschkow 2. Manöver „Niemen" der Rückwärtigen Dienste der Sowjetarmee in den westlichen Militärbezirken der UdSSR vom 23. Juli bis 10. August 1968. Leitung: Armeegeneral Marjachin. 3. Luftabwehr-Manöver „Himmelsschild" vom 25. Juli bis 31. Juli 1968. Leitung: Befehlshaber der sowjetischen Luftabwehr, Marschall der Sowjetunion Batitzkij. 4. Am 11. August 1968 begannen im südlichen Teil der Sowjetzone, in Polen und in der West-Ukraine Manöver von Nachrichten-einheiten der Sowjetarmee, der NVA und der polnischen Volksarmee. Die Manöver wurden kurze Zeit danach auch auf Ungarn ausgedehnt.

Ungewöhnlich waren an diesen Manövern nicht nur der Zeitpunkt — unmittelbar vor und während der Ernte —, sondern auch das Aus-maß der Truppenbewegung. Das sowjetische Gewerkschaftsorgan „Trud" bezeichnete die Manöver als die umfangreichsten der Sowjetarmee. Die Gesamtanlage der Manöver ließ erkennen, daß sie von langer Hand vorbereitet waren, der ursprüngliche Termin aber in den Juli hinein vorverlegt worden war. Sehr frühzeitig war erkennbar, daß die Operationen mehr und mehr den Charakter eines Aufmarsches gegen die Tschechoslowakei annahmen.

10. Tito, Ulbricht und Ceausescu in der Tschechoslowakei

Nach den Konferenzen von Warschau, Schwarzau an der Theiß und Preßburg wurde die Tschechoslowakei Schauplatz einer gesteigerten politischen und diplomatischen Aktivität. Am 11. August beendete der jugoslawische Staatschef Tito seinen Besuch in Prag. Am 12. August traf Ulbricht in Karlsbad ein und am 17. August beendete der rumänische Partei-und Staatschef Ceausescu seine Besprechungen in Prag mit dem Abschluß eines neuen Freundschafts-und Beistandsabkommens zwischen beiden Ländern.

In dieser Serie von Partei-und Regierungsdelegationen nahm der Besuch der SED-Delegation am 12. August eine Sonderstellung ein. Dies gilt zunächst einmal für den Ort der Zusammenkunft. Während Tito und Ceausescu in Prag empfangen wurden, waren die Gespräche mit der SED-Delegation nach Karlsbad verlegt worden. Politische Beobachter vermuteten, daß dies geschah, um Mißfallensäußerungen der Prager Bevölkerung gegenüber Ulbricht vorzubeugen, vielleicht aber auch, um den reaktionären Novotny-Kräften, die in Prag zweifellos noch zu finden sind, keine Gelegenheit zu demonstrativen Begrüßungszeremonien zu geben. Eine weitere Besonderheit bildete die Reaktion der tschechoslowakischen Bevölkerung auf den Ulbricht-Besuch. Während die Rumänen und die Jugoslawen mit stürmischen Ovationen bedacht worden waren, verlief der Empfang der SED-Delegation äußerst kühl. Und schließlich gehörte zu den Attributen dieses Besuches auch der am Vorabend von Radio Prag gesendete Abendkommantar. Darin hieß es, daß die Beziehungen zwischen den beiden Ländern — milde ausgedrückt — nicht gut seien und die Schuld an den Spannungen nicht bei der CSSR liege. Wörtlich fuhr der Kommentator dann fort: „Wir sollten ihnen sagen, daß wir eine brüderliche Waffenhilfe von selten der DDR begrüßen, wenn wir von außen angegriffen werden sollten. Und wir sind auch bereit, im gleichen Falle der DDR jede Hilfe zukommen zu lassen. Aber wir brauchen keine Hilfe und schon gar keine Waffenhilfe bei der inneren Regelung unserer sozialistischen Gesellschaft."

Man wird davon ausgehen dürfen, daß der überraschende Besuch Ulbrichts in der Tschechoslowakei auf Initiative Moskaus, zumindest aber auf wärmste Befürwortung seitens der KPdSU erfolgte. Moskau mußte in der damaligen Situation ein Interesse daran haben, die Differenzen wieder einzuebnen und auf der Basis des veränderten Status in der Tschechoslowakei dennoch zu einer gemeinsamen außenpolitischen Linie zu gelangen. Ähnliches galt auch für Ulbricht und die Führung der SED, denen daran gelegen sein mußte, ihre Position innerhalb des sozialistischen Lagers zu verbessern, um wieder größeren außenpolitischen Spielraum zu gewinnen. Insoweit stand die kurz vorher durchgeführte 7. Tagung des Zentralkomitees in direktem Zusammenhang mit dem Besuch in der Tschechoslowakei, ja sie diente geradezu der Vorbereitung dieses Besuches. Auf dieser Tagung war von Seiten der SED der Vorschlag unterbreitet worden, einen Staatssekretär für die Gepräche mit der Bundesregierung zu ernennen, jedoch war diese Ernennung von den hinlänglich bekannten Voraussetzungen der staats-und völkerrechtlichen Anerkennung der DDR abhängig gemacht worden Immerhin war die SED bestrebt, mit dieser Beschlußfassung seines Zentralkomitees den anderen Ostblockpartner n gegenüber eine gewisse Verhandlungsbereitschaft zu demonstrieren.

Noch während des Besuches der rumänischen Partei-und Regierungsdelegation in Prag nahm Moskau seine Pressekampagne gegen die CSSR und KPC wieder auf. Der Hauptvorwurf bestand darin, daß Prag das Abkommen von Bratislava verletzt und sich vom sozialistischen Weg entferne. So darf man annehmen. daß der zwischen den beiden Ländern geschlossene Freundschafts-und Beistandspakt für Moskau zum auslösenden Moment der militärischen Intervention wurde.

11. Die militärische Besetzung des Landes

In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 wurde die Tschechoslowakei durch Truppen der fünf Teilnehmer der Warschauer Juli-Konferenz besetzt. Es ist im Augenblick noch nicht erkennbar, ob für diesen Schritt in erster Linie politische und ideologische Gründe oder militärisch-strategische Erwägungen auf sowjetischer Seite oder beide Komponenten maßgebend waren. Und es ist auch noch zu früh, eine Bilanz der politischen Auswirkungen dieser Maßnahme aufzustellen. Nur so viel läßt sich schon jetzt absehen: Die Auswirkungen der militärischen Intervention in der Tschechoslowakei werden ungeheuer, der politische Preis, den die Sowjets für diese Gewaltaktion zu zahlen haben, wird sehr hoch sein. Die Rechnung wird innerhalb jedes einzelnen kommunistischen Landes und jeder einzelnen kommunistischen Partei, in dem unter sowjetischer Führung stehenden Bündnissystem, im internationalen Kommunismus und nicht zuletzt auch der westlichen Welt gegenüber beglichen werden müssen.

Dieser Schritt Moskaus und seiner Bündnis-partner macht auf nicht absehbare Zeit nicht nur alle Hoffnungen auf Ausgleich der verschiedenen Interessen und verständnisvolle Zusammenarbeit zunichte, sondern wirkt sich auch unheilvoll auf den Bereich der internationalen rechtlichen Beziehungen aus.

Wenn nicht alles täuscht, haben die Sowjets mit dem Einfall in die Tschechoslowakei den vielleicht größten Fehler seit dem Bestehen ihres Regimes begangen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Lidova democracie vom 17. 6. 68 und npa/TK vom 17. 6. 68.

  2. TÄSS vom 21. 8. 68 und Neues Deutschland vom 21. 8. 68.

  3. Hendrych war zur Schlüsselfigur der Auseinandersetzungen mit den tschechoslowakischen Schriftstellern und Intellektuellen geworden. Den Höhepunkt erreichten diese Auseinandersetzungen auf dem 4. Kongreß des Schriftstellerverbandes im Juni 1967, als die Parteifunktionäre unter Führung Flendrychs die Neuwahl des Präsidiums und des Sekretariats verhinderten. Als H. im Dezember 1967 dann in Dubcek den kommenden Mann zu erkennen glaubte, versuchte er, die Fronten zu wechseln. Seine Gegner aber mit Prof. Goldstücker, dem Rektor der Prager Universiät und neugewählten Präsidenten des Schriftstellerverbandes an der Spitze, forderten seine Abberufung als Leiter der ideologischen Kommission des ZK. Sein Nachfolger wurde Josef Spacek.

  4. Zusammenfassung in CTK/npa vom 24. 4. 1968.

  5. Rude Prawo vom 12. 4. 1968.

  6. Kommunique in: Neues Deutschland v. 9. 5. 1968.

  7. So wurden die tschechoslowakischen Professoren Snejdarek u. Filipec im „Neuen Deutschland" (11. 5. 68) und in der „Berliner Zeitung" (15. 5. 68) angegriffen, weil sie an den Diskussionen der „Kreml-Runde" des westdeutschen Fernsehens teilgenommen hatten.

  8. Es handelte sich um die „Preßburger Prawda", das Organ des tschechoslowakischen Schriftsteller-verbandes Literarni Listy, sowie die Monatszeitschrift des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes „Reporter". Von der SED ist die Echtheit dieser Instruktionen auch nach ihrer Veröffentlichung niemals dementiert worden.

  9. Hierzu siehe auch Brzezinski, Der Sowjetblock, Einheit und Konflikt, Köln und Berlin 1962, S. 406. Und ders., Staatliche Beziehungen und Ideologie, in: Osteuropäische Rundschau 4/1967.

  10. Pritzel, Das Dilemma der SED, in: Deutsche Fragen Nr. 7, 1968, S. 121.

  11. Radio Prag am 26. 4. 1968.

  12. Mlada Fronta vom 30. 7. 68.

  13. Siehe Seite 12 f.

  14. Siehe Seite 15 f.

  15. Prawda vom 29. 7. 1968.

  16. Abdruck des Manifests in „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 6. 7. 1968

  17. Die Waffenfunde waren nach ihrer Entdeckung am 12. Juli zuerst von der „Prawda" unter dem 19. 7. 1968 gemeldet worden. Unter dem 12. 8. veröffentlichte das tschechoslowakische Innenministerium das amtliche Untersuchungsergebnis über die in Westböhmen entdeckten Waffen. Darin heißt es, daß es sich um 20 Maschinenpistolen. 30 Pistolen und die dazugehörige Munition handelte und die Waffen höchstens drei Tage vor ihrer Entdeckung in das Versteck gebracht worden seien. Fingerabdrücke konnten an den Waffen nicht festgestellt werden und die zur Konservierung verwendete Vaseline sei in der CSSR für solche Zwecke nicht gebräuchlich.

  18. über die Solidaritätsbekundungen der tschechoslowakischen Bevölkerung siehe den Bericht im „Spiegel" vom 5. 7. 1968, S 75 ff.

  19. Neues Deutschland vom 18. 7. 1968.

  20. Neues Deutschland vom 4. 8. 1968.

  21. Der Vers, schließt nicht aus, daß es sich bei dieser Meldung um eine gezielte Indiskretion von östlicher Seite handelt. Diese Tatsache als solche wäre jedoch nicht weniger signifikant.

  22. Neues Deutschland vom 24 7. 1968.

  23. Als Beispiel für das Niveau der Pressepolitik der SED gegenüber der CSSR sei aus dem Organ der SED-Bezirksleitung Halle, „Freiheit", vom 29. 7. 1968 zitiert: „Brillanten, schottischer Whisky

  24. Vgl. die im Monitor-Dienst der Rundfunkanstalt „Deutsche Welle" vom 15. 7. 1968 wiedergegebenen Kommentare und Berichte.

  25. Siehe die im gemeinsamen Kommunique aufgeführten Teilnehmer der beiden Gesprächspartner (Neues Deutschland vom 2. 8. 1968).

  26. Radio Free Europe-Research vom 24. 7. 1968 glaubt, die folgende Kräfteverteilung im Politbüro der KPdSU annehmen zu können: Irreconciliables Undecides Conciliatory Suslov Breshnev Kosygin Kirilenko Mazurov Podgorny Shelepin Voronov Polyansky Pelshe Shelest

  27. Siehe die instruktive Zusammenstellung v. ODIN, Die 8 Prager Monate, in: FAZ v. 22. 8. 1968.

  28. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß das Manöver „Böhmerwald" und das Manöver „Nord" offiziell als Kommandostabsübungen bezeichnet wurden, obwohl diese Bezeichnung nur für die erste Phase der Manöver zutreffend gewesen sein dürfte. Dagegen wurden die Manöver der rückwärtigen Dienste und das Luftabwehr-manöver „Himmelsschild" von vornherein als solche gekennzeichnet („Landesverteidigung", Presse-und Informationsdienst, Nr. 21/22 1968 vom 9. 8. 1968).

  29. Außer Ulbricht gehörten der Delegation Stoph, Honecker, Mittag, Axen und Florin an. Kommunique siehe: Neues Deutschland vom 13. 8. 1968.

  30. Neues Deutschland vom 10. 8. 1968.

Weitere Inhalte

Konstantin Pritzel, Dr. jur, geb. 1913 in Berlin, Studium der Naturwissenschaften und der Rechtswissenschaft ih Berlin und Jena, seit 1962 Mitarbeiter in der ostpolitischen Redaktion von RIAS-Berlin.