Vorwort
Am Sonnabend, dem 15. Juni 1968, kehrte eine tschechoslowakische Parlamentsdelegation aus Moskau nach Prag zurück. Zu den Mitgliedern der Delegation gehörten auch der stellvertretende Vorsitzende der Nationalversammlung und Abgeordnete der Volkspartei J. Zednik. über seine Eindrücke befragt, führte er in einem Interview aus
In der Nacht vom 20. auf den 21. August fielen sowjetische, bulgarische, polnische, ungarische und sowjetzonale Truppen in die Tschechoslo-wakei ein. In der am darauffolgenden Tag von der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS herausgegebenen Mitteilung steht der Satz: „Diese Länder sind einmütig darin, daß die Unterstützung, die Festigung und der Schutz der sozialistischen Errungenschaften der Völker die gemeinsame internationale Pflicht aller sozialistischen Staaten ist. Dieser ihr gemeinsamer Standpunkt wurde auch in der Bratislavaer Erklärung feierlich verkündet."
1. Der Sturz Novotnys
INHALT Vorwort 1. Der Sturz Novotnys 2. Umbildung der Parteispitze und das Regierungsaktionsprogramm der KP a) Der Parteiapparat b) Die Regierung c) Aktionsprogramm der KPC 3. Politische und ideologische Aspekte des Demokratisierungsprozesses in der SSR 4. Besprechungen und Konferenzen von Januar bis Mai 1968 5. Die SED als lautstärkster Gegner der Prager Reformer a) Propagandakampagne und Pressepolemik b) Parteiinterne Instruktionen c) Der Erneuerungsprozeß in der SSR und die Rolle der SED in Deutschland d
INHALT Vorwort 1. Der Sturz Novotnys 2. Umbildung der Parteispitze und das Regierungsaktionsprogramm der KP a) Der Parteiapparat b) Die Regierung c) Aktionsprogramm der KPC 3. Politische und ideologische Aspekte des Demokratisierungsprozesses in der SSR 4. Besprechungen und Konferenzen von Januar bis Mai 1968 5. Die SED als lautstärkster Gegner der Prager Reformer a) Propagandakampagne und Pressepolemik b) Parteiinterne Instruktionen c) Der Erneuerungsprozeß in der SSR und die Rolle der SED in Deutschland d
Bereits auf dem Oktober-Plenum 1967 des Zentralkomitees der KPC war es zu Auseinandersetzungen zwischen Novotny und seinem späteren Nachfolger Dubcek gekommen. Als kurz darauf der sowjetische Parteichef Breschnew zu einem Blitzbesuch in Prag erschien, wurde dieser Besuch auf der nächsten ZK-Sitzung zum Stein des Anstoßes. Eine ehemaliger Sportfunktionär wollte wissen, wer Breschnew eingeladen hätte und ob es darum ginge, die in Gang befindliche Abwahl Novotnys zu verhindern. Daß es tatsächlich darum ging, sollte sich sehr schnell bestätigen.
Der sowjetische Botschafter in Prag, Tscherwonenko, versuchte den Mitgliedern des Zentralkomitees klarzumachen, daß Novotny im Ami bleiben müsse, und auch der Botschafter der DDR in Prag, Florin, erhob nachdrücklich dahin gehende Vorstellungen. Gestützt auf diese Interventionen und sich auf die Loyalität der Polizeiformationen verlassend, zog Novotny Anfang Januar sein kurz vorher unter-breitetes Rücktrittsgesuch zurück. Aber der Lauf der Dinge war nicht mehr aufzuhalten. In der ersten geheimen Abstimmung in der Geschichte des ZK der KPC wurde der Chef der slowakischen Parteiorganisation, Anton Dubcek, zum Ersten Sekretär gewählt.
Bald darauf sollten sich mit der Flucht des Generalmajors und Sekretärs der Parteiorganisation der politischen Hauptverwaltung im Verteidigungsministerium, Sejna, nach den USA bereits vorher aufgetauchte Meldungen bestätigen, wonach die mit Novotny liierte militärische Führungsspitze mit Hilfe des Einsatzes der 1. Panzerdivision, einer Eliteformation des Warschauer Paktes, den Machtwechsel hatte verhindern wollen. Es kann heute kaum noch einen Zweifel darüber geben, daß der 5. Januar 1968, der Tag, an dem das ZK der KPC Anton Novotny seiner Funktion als Parteichef enthob, in die Geschichte der Tschechoslowakei eingehen wird. Mit dieser Maßnahme wurde ein Prozeß ausgelöst, der zur Zeit noch in vollem Gange ist und dessen Ausgang sich noch nicht absehen läßt.
Die nun folgenden Wochen waren gekennzeichnet durch lebhafte innenpolitische Auseinandersetzungen und das Vordringen der reformwilligen Kräfte in allen Bereichen des öffentlichen Lebens:
— Am 5. März 1968 wurde der Chefideologe Jiri Hendrych abgesetzt
— Am 8. März forderten Generalstabsoffiziere in einem offenen Brief den Rücktritt Novotnys vom Amt des Staatspräsidenten.
— Am 9. März begannen im ganzen Lande Sitzungen der örtlichen Parteikomitees, auf denen eine Wetterführung des Prozesses der Demokratisierung gefordert wurde.
— Am 12. März mußte der Gewerkschaftschef Miroslaw Pastyric seinen Posten zur Ver-• fügung stellen.
— Am 14. März wurde Michal Chudik, der Vorsitzende des slowakischen Nationalrates, abgesetzt, nachdem er sich auf der Januar-Tagung des ZK für Novotny eingesetzt hatte.
— Am 15. März wurden Innenminister Kudnra und Staatsanwalt Jan Bartuska entlassen.
Beide galten als Gefolgsleute Novotnys und waren durch ihre stalinistische Vergangenheit schwer belastet.
— Am 16. März bekräftigte Dubcek seinen Willen zur Demokratisierung des Landes.
Die Presse begann sich mehr und mehr von den Fesseln der Zensur zu befreien.
Am 22. März bot Novotny dem Präsidium der Nationalversammlung seinen Rücktritt als Staatschef an. Der Rücktritt, der angenommen wurde, löste eine Welle von Demissionen und Entlassungen aus.
Am 30. März wählte die tschechoslowakische Nationalversammlung — erstmalig seit der sozialistischen Umgestaltung in geheimer Wahl — den früheren Verteidigungsminister Ludwig Svoboda zum Staatspräsidenten.
2. Umbildung der Parteispitze und Regierung — Aktionsprogramm der KPC
ZK-Plenum 5. Jan. 68 Erster Sekretär Sekretäre Das Parteipräsidium Das Sekretariat ZK-Plenum 5. April 68 Nach dem 13. Parteikongreß Alexander Dubcek Oldrich Cernik Drahomir Kolder Jozef Lenart Otakar Simunek Antonin Novotny Jiri Hendrych Jaromir Dolansky Michal Chudik Bohuslav Lastovicka Antonin Novotny Drahomir Kolder Jiri Hendrych Vladimir Koucky Lubomir Strougal Dubcek Cernik Kolder Lenart Simunek Novotny Hendrych Dolansky Chudik Lastovicka Jan Piller Josef Spacek Emil Rigo Josef Boruvka Alexander Dubc
ZK-Plenum 5. Jan. 68 Erster Sekretär Sekretäre Das Parteipräsidium Das Sekretariat ZK-Plenum 5. April 68 Nach dem 13. Parteikongreß Alexander Dubcek Oldrich Cernik Drahomir Kolder Jozef Lenart Otakar Simunek Antonin Novotny Jiri Hendrych Jaromir Dolansky Michal Chudik Bohuslav Lastovicka Antonin Novotny Drahomir Kolder Jiri Hendrych Vladimir Koucky Lubomir Strougal Dubcek Cernik Kolder Lenart Simunek Novotny Hendrych Dolansky Chudik Lastovicka Jan Piller Josef Spacek Emil Rigo Josef Boruvka Alexander Dubc
a) Der Parteiapparat Bereits auf der Plenarsitzung des ZK der KP im Januar 1968 war beschlossen worden, die bisher bestehende Personalunion für die Funktion des Parteichefs und Staatschefs aufzuheben. Gleichzeitig wurde eine Reihe von Personalveränderungen in den Führungsgremien der Partei vorgenommen, denen weitere mit der ZK-Tagung vom 5. April folgten. Die nachstehende Übersicht zeigt die personelle Zusammensetzung des Präsidiums und Sekretariats des ZK der KP nach dem 13. Parteikongreß im Juni 1966 sowie nach den ZK-Tagungen im Januar und April 1968: b) Die Regierung Am 8. April stellte der nunmehrige tschechoslowakische Staatschef Svoboda die neue Regierung vor. Zum Ministerpräsidenten wurde Oldrich Cernik, zu seinen Stellvertretern Dr. Colotka, Frantisek Hamouz, Dr. Gusav Husak, Dr. Ota Sik und Dr. Lubomir Strougal ernannt. Die am selben Tage auf der Prager Burg unterbreitete Regierungserklärung war auf drei Hauptthemen orientiert: 1. Auf die mit der Sicherstellung der demokratischen und bürgerlichen Rechte und der Gleichberechtigung aller in der Tschechoslowakei lebenden Nationalitäten zusammenhängenden Fragen und auf die Rehabilitierung und Beseitigung aller Ungesetzlichkeiten der vergangenen Jahre. 2. Auf die Umgestaltung der Volkswirtschaft, die Probleme des Außenhandels und die Verbesserung des Lebensniveaus der Bevölkerung. 3. Auf die Fragen der Außenpolitik und der Gewährleistung der Sicherheit des Landes
Es ist nicht möglich, von einer Position der Macht aus durch willkürliche Interpretation vorzuschreiben, welche Informationen den werktätigen Menschen zugänglich gemacht werden, welche Auffassungen öffentlich bekundet und wo die öffentliche Meinung eine Rolle spielen könne. Die Gesetze müssen auch die Redefreiheit von Minderheiten nachhaltiger garantieren. Die verfassungsrechtliche Freizügigkeit, insbesondere die Reisen von Bürgern ins Ausland, müssen durch Gesetz garantiert werden. ... Niemand darf ohne Grund in die Position eines Emigranten gebracht werden. Gleichzeitig müssen die Interessen des Staates gegen die Abwanderung gewisser Kategorien von Fachkräften geschützt werden. . . .
Der tieferliegende Grund für die Beibehaltung überholter Methoden der Wirtschaftslenkung war die Deformation des politischen Systems gewesen. Außerdem war es Anfang der 60er Jahre auf Grund der ungünstigen außenwirtschaftlichen Lage zu einem Zustand ernsthaften wirtschaftlichen Ungleichgewichts gekommen. Die unmittelbare Ursache früherer Unzulänglichkeiten lag darin, daß es innerhalb der Partei eine zu starke Konzentration der Entscheidungsgewalt gegeben hat und daß einzelne Personen, insbesondere der Genosse Antonin Novotny, eine außergewöhnliche Position innehatte. . . .
Das Programm der Demokratisierung der Wirtschaft umfaßt insbesondere die Herbeiführung der Unabhängigkeit von Unternehmen und Unternehmensgruppen, deren relative Unabhängigkeit von den Staatsorganen, die volle und wirkliche Geltendmachung des Rechts des Verbrauchers auf Bestimmunng seines Konsums und seines Lebensstils, das Recht auf freie Berufswahl sowie das Recht, die echte Möglichkeit von werktätigen und gesellschaftlichen Gruppen, bei der Gestaltung der Wirtschaftspolitik ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu formulieren und zu verfechten."
3. Politische und ideologische Aspekte des Demokratisierungsprozesses in der CSSR
Die Ablösung der stalinistischen Machthaber mit Novotny an der Spitze und die Einleitung des Demokratisierungsprozesses in der ÖSSR sind wesensmäßige Bestandteile eines im gesamten internationalen Kommunismus spürbaren Prozesses. Es handelt sich um Auseinandersetzungen zwischen dem orthodoxen Flügel des kommunistischen Lagers und den nach Modernisierung, Liberalisierung und Unabhängigkeit von der sowjetischen Bevormundung drängenden Kräften.
Dieser Konflikt hat politische und ideologische Aspekte. Was die politische Seite angeht, so wäre hier zunächst darauf hinzuweisen, daß mit dem Erneuerungsprozeß in der ÖSSR zu keinem Zeitpunkt die sozialistische Ordnung im Innern und die Zugehörigkeit zum Pakt-system der sozialistischen Staaten als Prinzip der Außenpolitik in Frage gestellt wurde. Wohl aber bedeutet die tschechoslowakische Version des Sozialismus die Anerkennung der Würde und der Rechte des einzelnen Menschen im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, die Besinnung der Völker der Tschechoslowakei auf ihre nationale Integrität und auf das Recht der eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer inneren Ordnung. Unverkennbar spielen hier als Elemente der Reform der Dualismus zwischen den tschechischen und slowakischen Volksteilen, aber auch die Verletzung der Würde und des nationalen Bewußtseins des gesamten Volkes, wie sie seit 1948 durch die Mißachtung der Person des Gründers der tschechoslowakischen Republik, Thomas Masaryk, geschah, eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Weiterhin erstreckt sich der Prozeß der Demokratisierung auf die eigenverantwortliche Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen sowie auf die Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Ordnung im Rahmen der sozialistischen Grundvorstellungen. Und es bedeutet schließlich die Verwirklichung des auf zahllosen Tagungen und Konferenzen immer wieder manifestierten Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, was auf die Absage an die sowjetische Suprematie und die Umwandlung der bestehenden hegemonialen Bündnissysteme (Warschauer Pakt, Comecon) in Gemeinschaften wirklich gleichberechtigter Partner hinausläuft.
In ideologischer Hinsicht bedeutet der Demokratisierungsprozeß die Bereinigung des marxistisch-sozialistischen Gedankengutes von gewissen leninistisch-stalinistischen Entartungen, und als wichtigste Schlußfolgerung daraus eine Neudefinierung des Wesens und der Rolle der kommunistischen Partei. Die Spaltung der russischen Sozialdemokratie in Menschewiken und Bolschewiken um die Jahrhundertwende erfolgte im Zeichen der Meinungsverschieden heiten über die Partei. Für die Menschewiken war sie eine lose Gemeinschaft von Menschen mit gleichen politischen Idealen. Lenin dagegen sah in der Partei eine disziplinierte und organisierte Gruppe von zu allem entschlossenen Berufsrevolutionären, von Kämpfern um die politische Macht. Sozialisten, Arbeiterführer und Gewerkschafter, die seine Theorien nicht teilten und nicht im Sinne seiner Auffassungen handelten, waren für ihn nichts anderes als von Imperialisten gekaufte Diversanten, Spione und Verräter.
Neben den rein machtpolitischen, strategischen und wirtschaftspolitischen Fragen mußten vor allem auch diese ideologischen Aspekte zu einer Konfrontation mit der Sowjetunion und ihren orthodoxen Verbündeten führen. Von dem Sonderfall der DDR einmal abgesehen, bildet die Tschechoslowakei das einzige industriell fortgeschrittene Land, in dem — wenn auch mit Hilfe des sowjetischen Militärs — die sowjetische Version des Sozialismus nach 1945 eingeführt worden war. Die Abkehr des Landes von dieser Ordnung mußte nun von vornherein den Gedanken der Unbrauchbarkeit des sowjetischen Systems für höher entwickelte moderne Industriegesellschaften nahelegen. So barg der tschechoslowakische Erneuerungsprozeß auch die Gefahr einer Kettenreaktion, ja sogar von Fernwirkungen bis hinein in die Sowjetunion in sich.
4. Besprechungen und Konferenzen von Januar bis Mai 1968
Aus dieser Sicht der Dinge erklärt sich das Interesse, das von Seiten der Sowjetunion und des gesamten stalinistischen Flügels den Vorgängen in der SSR von Anfang an entgegen gebracht wurde. Dieses Interesse fand seinen Ausdruck u. a. in einer Serie von Begegnungen, Besprechungen und Konferenzen, die in den Monaten Januar bis Mai 1968 stattfanden. Alle diese Veranstaltungen hatten letzten Endes gemeinsam, daß die Vertreter des orthodoxen Lagers versuchten, die ihnen unbequeme Entwicklung in der CSSR zu beeinflussen und den Demokratisierungsprozeß in eine ihnen annehmbare Richtung zu kanalisieren. Andererseits war es das Anliegen der Prager Reformer, Verständnis für den von ihnen beschrittenen Weg zu wecken und die Gegner wenigstens zum Stillhalten zu veranlassen. In diesem Sinne sind hier die folgenden bilateralen und multilateralen Begegnungen zu vermerken:
Nach dem überraschenden Erscheinen Breschnews am 8. Dezember 1967 in Prag folgte am 29. und 30. Januar 1968 die erste offizielle Reise Dubceks als Parteichef nach Moskau, wo dem Kommunique nach vor allem über „Fragen des weiteren Ausbaus der tschechoslowakischsowjetischen Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten und vor allem über einige Fragen der internationalen Politik und der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung ..." gesprochen wurde.
Am
Am 23. März 1968 trafen sich in Dresden die Parteichefs und Ministerpräsidenten der So-wjetunion (Breschnew und Kossygin), der Tschechoslowakei (Dubcek und Lenart), Un-garns (Kadar und Fock), Polens (Gomulka und Cyrankiewicz) sowie der DDR (Ulbricht und Stoph); aus Bulgarien waren das Politbüromitglied Todorow und der stellv. Ministerpräsident Sch. Schiwkoff erschienen. Rumänien hatte keine Delegation entsandt. Im Kommunique heißt es: „Die Vertreter der KPC und der Regierung der CSSR informierten über den Stand der Realisierung der Beschlüsse des Januarplenums des ZK der KPC ..."
Am 4. Mai 1968 traf der tschechoslowakische Parteichef Dubcek in Begleitung des Parlamentspräsidenten Smrkovsky und des slowakischen Parteisekretärs Bilak zu einem Blitzbesuch in Moskau ein. Die Einladung des Kreml war unmittelbar nach der einstimmigen Annahme der Gesetze über die Sozial-und Wirtschaftsreform durch das Prager Parlament erfolgt.
Am 8. Mai 1968 fand in Moskau ein Treffen führender Funktionäre der Bulgarischen Kommunistischen Partei, der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und der Kommunistischen Partei der Sowjetunion statt. Während des Treffens erfolgte'ein Meinungsaustausch über aktuelle Probleme der internationalen Lage und der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung 6).
Auf Einladung des Präsidiums der KPC und der Regierung hielt sich der sowjetische Ministerpräsident A. Kossygin vom 17. bis 25. Mai 1968 in der CSSR auf, wobei er die Tage vom 19. bis 23. Mai in Karlsbad verbrachte.
5. Die SED als lautstärkster Gegner der Prager Reformer
a) Propagandakampagne und Pressepolemik In gleichem Maße, wie Dubcek und seine Freunde darangingen, ihr Reformprogramm zu verwirklichen, wuchs das Unbehagen auf seifen der kommunistischen Orthodoxie. Dabei trat die SED von Anfang an durch besondere Aggressivität hervor. Bereits Mitte Februar wurde die Verbreitung der „Prager Volkszeitung" — das Organ der deutschsprachigen Volksgruppe in der CSSR — eingeschränkt und Ende Juni ihr Vertrieb völlig unterbunden. Die SED war bemüht, tunlichst nichts über den Umfang des Demokratisierungsprozesses in der CSSR bekannt werden zu lassen. So sprach man nur von revisionistischen Tendenzen oder polemisierte ggf. gegen einzelne tschechoslowakische Funktionäre, Publizisten oder Wissenschaftler 7). Erklärungen und Maßnahmen der Reformer in Prag, die nicht in das politische Konzept der Einheitspartei paßten, wurden unterschlagen. Ost-Berliner ADN-und ND-Korrespondenten in Prag lieferten zwar regelmäßig Berichte, die jedoch nur selten gedruckt oder gesendet wurden.
In einer Prager Rundfunksendung antwortete am 11. März der Berliner Korrespondent des tschechoslowakischen Rundfunks auf die Frage, wie die Bürger in der DDR darüber informiert sind, was in der CSSR geschieht: „Sie sind überhaupt nicht informiert, weil die DDR-Presse darüber, was bei uns geschieht, nicht berichtet oder aus den Reden von Staatsmännern nur die Abschnitte bringt, die über positive Sachen sprechen. Zum Beispiel wurden aus der Rede Alexander Dubceks auf der Prager Burg anläßlich des Februar-Jahrestages alle Passagen über die Fehler der Vergangenheit, über die Deformationen unserer sozialistischen Einrichtungen und auch über alle institutionellen Änderungen, die in der Zukunft durchgeführt werden sollen, ausgelassen."
Etwa von April/Mai an läßt sich eine zweite Phase in der Behandlung der tschechoslowakischen Vorgänge durch die SED erkennen. War bisher nur von revisionistischen Tendenzen die Rede gewesen, so wurde nun der Vorwurf der „konterrevolutionären Umtriebe" erhoben. Die erste Attacke dieser Art erfolgte auf dem OstBerliner Philosophie-Kongreß Ende April 1968, als der Chefideologe der SED, Hager, den damaligen tschechoslowakischen Forstminister und heutigen Präsidenten der Nationalversammlung Smrkowsky angriff und damit ernste diplomatische Proteste der Tschechoslowakei auslöste. b) Parteiinterne Instruktionen Wesentlich größeres Gewicht aber mußte einem anderen Vorgang beigemessen werden. Ende Mai/Anfang Juni veröffentlichten mehrere tschechoslowakische Zeitungen und Zeitschriften
Die Entwicklung hat einen Punkt erreicht, wo sie aufhört, eine rein innere Angelegenheit der Tschechoslowakei zu sein. Das gegenwärtige tschechoslowakische Regime gestattet dem Feind das Eindringen in das Territorium des Warschauer Paktes, gefährdet die Sicherheit der Paktstaaten und verrät seine Verbündeten. Ein sozialistisches Land kann es sich nicht erlauben, dem untätig zuzusehen. Ein Einschreiten würde im Interesse der Verteidigung der sozialistischen Länder erfolgen und deshalb nicht als Einmischung gelten. Im Falle einer Intervention, die möglicherweise militärischen Charakter hätte, würde es sich selbstverständlich um einen kollektiven Schritt handeln." c) Der Erneuerungsprozeß in der ÖSSR und die Rolle der SED in Deutschland Diese extrem feindliche Haltung der SED gegen die Erneuerungsbestrebungen der KPC, wie sie insbesondere nach der Warschauer Konferenz in Erscheinung trat, läßt sich wohl am ehesten aus dem Gedankengut und den Erkenntnissen des polnischen Marxismusforschers Adam Schaff erklären. Schaff hatte in seinem Buch „Marxismus und menschliches Individuum" den Prozeß der politischen und ideologischen Erosion im internationalen Kommunismus dahin gedeutet, daß sich die kommunistische Doktrin als nicht ausreichend erwiesen hätte, auf die Herausforderung durch den Nationalismus zu antworten, sofern eine solche Herausforderung von einem kommunistischen Staat ausgeht
Im Zuge des Erneuerungsprozesses in der Tschechoslowakei verübten eine Reihe von Anhängern des früheren Partei-und Staatschefs Novotny Selbstmord. Die bekanntesten von ihnen waren:
Vladimir Janko, Generaloberst und stellvertretender Verteidigungsminister. Selbstmord am 14. März 1968 durch Erschießen. . 1. war einer der Generale, die während des Januar-Plenums einen Brief unterzeichneten, um die Absetzu
Jan Bartuska, Staatsanwalt. Selbstmord am 15. März 1968 durch Erhängen.
Dr. J. Breslansky, Vizepräsident des Obersten Gerichts. B. war mit den Vorbereitungen der Rehabilitierungen befaßt. Seine Leiche wurde am 28. März 1968 in der Nähe von Babei aufgefunden. Mord oder Selbstmord? 12).
Major Pokorny, leitender Funktionär des Sicherheitsdienstes des Innenministeriums. Auf-findung der Leiche am 31. März 1968 bei Kanici, Nähe Brünn 13).
Dr. Josef Sommer, in den fünfziger Jahren Arzt im Gefängnis in Ruzyne. Selbstmord am 26. April 1968 in seiner Prager Wohnung 14). Dr. Josei Pocepicky, Oberstleutnant und Leiter der Untersuchungsabteilung im Prager Polizeipräsidium. Selbstmord bei Marienbad am 27. April 1968.
Wie heute aufgrund zuverlässiger Informationen feststeht, haben gerade diese Meldungen über das Schicksal der Gefolgsleute Novotnys in Kreisen sowjetzonaler Partei-und Regierungsfunktionäre starken Eindruck gemacht und erhebliche Beunruhigung ausgelöst. Das gesamte Verhalten der SED, vor allem auch das Wild-um-sich-Schlagen nach allen Seiten und der immer offensichtlicher werdende Mangel an kritischer Überlegung und nüchterner Kalkulation in der politischen Strategie gegenüber Prag dürften sich nicht zuletzt aus dieser Tatsache erklären.
6. Konzertierte Aktion gegen Prag
Ende Juni/Anfang Juli 1968 steuerte das Kesseltreiben der orthodoxen Seite des kommunistischen Lagers gegen die Prager Reformer seinem Höhepunkt zu. Zu diesem Zeitpunkt wurde den Sowjets und ihren auf den gleichen Kurs eingeschworenen Verbündeten klar, daß mit den Wahlen zum Parteitag der KP im Herbst die Anhänger Novotnys auch in der Provinz ihre Positionen verlieren würden und damit die Hoffnung, von hier aus Einfluß auf den Gang der Dinge zu nehmen, also den Reformprozeß von innen her zum Stillstand zu bringen, zunichte würde. Vor allem aber war spätestens zu diesem Zeitpunkt klar, daß man in Prag mit der Demokratisierung Ernst machte, daß es sich nun nicht mehr nur um bestimmte Korrekturen am sowjetischen Wirtschaftsmodell und um einzelne kosmetische Operationen am politischen Gesamtsystem handelte, sondern ein tiefgreifender Prozeß gesellschaftlicher Umformung in Richtung auf eine Synthese von Sozialismus und Demokratie begonnen hatte. Das Organ des tschechoslowakischen Jugendverbandes „Mlada Fronta" brachte diesen Gedanken zum Ausdruck, als es — die Gründe der Kampagne gegen den Erneuerungsprozeß in der CSSR analysierend — schrieb
Von vier Seiten her wurden die reformwilligen Kräfte in Prag unter Druck gesetzt:
I. Von Seiten der mehr oder weniger auf der Moskauer Linie marschierenden kommunistischen Parteien. Diese Bestrebungen gipfelten in dem Versuch, die Führung der KPC zur Teilnahme an einer Konferenz außerhalb des Landes zu bewegen, was nach Lage der Dinge nur auf eine Gerichtssitzung über die KPC hinauslaufen konnte. Diese Konferenz wurde dann ohne Teilnahme der KPC in Warschau durchgeführt und endete mit der Abfassung des „Gemeinsamen Briefes an das Zentralkomitee der KPC"
Aber gerade diese Politik verschaffte Dubcek und seiner Mannschaft eine bis dahin nicht gekannte Popularität im Lande. Es dürfte kaum jemals eine kommunistische Partei gegeben haben, die sich auf eine so breite Basis in der Bevölkerung stützen konnte
7. Die Konferenzen von Warschau und Preßburg
Am 14. und 15. Juli 1968 kamen die Repräsentanten der kommunistischen Parteien Bulgariens, Polens, der Sowjetunion, Ungarns und der DDR in Warschau zu einer Konferenz zusammen. Die KPC hatte die Teilnahme abgelehnt, offensichtlich in der Erkenntnis, daß es sich weniger um eine Aussprache als um eine Gerichtssitzung handeln würde. Die kommunistische Partei Rumäniens war nicht eingeladen worden.
Wichtigstes Ergebnis der Konferenz, soweit bisher bekannt, war ein „Gemeinsamer Brief an das Zentralkomitee der KP". Es lohnt sich, hier einige Formulierungen dieses Warschau-er Briefes ins Gedächtnis zu rufen. Da war z. B. die Rede von antisozialistischen und revisionistischen Kräften, die Presse, Rundfunk und Fernsehen in der SSR an sich gerissen hätten, von Schwächen in der Führung des Landes durch die Partei und davon, daß die Konterrevolution der Partei eine Position nach der anderen entreißen würde. Die Angriffe der Verfasser des Warschauer Briefes aber gipfel-ten in dem Vorwurf, daß in der CSSR eine für ein sozialistisches Land absolut unannehmbare Situation entstanden sei und die Bedrohung der Grundlagen des Sozialismus die gemeinsamen Lebensinteressen der übrigen sozialistischen Länder gefährde. Der Brief schloß mit den Sätzen: „Angesichts der Gefahr der Konterrevolution müß sich auf Initiative der KPC die Stimme der Arbeiterklasse voll Geltung verschaffen. Wir möchten der Überzeugung Ausdruck geben, daß die KPC in Erkenntnis ihrer Verantwortung die erforderlichen Maßnahmen treffen wird, um der Reaktion den Weg zu versperren. In diesem Kampf können sie stets auf die Solidarität und jedwede Hilfe von seifen der sozialistischen Bruderländer rechnen."
Zweieinhalb Wochen später, vom 2. bis 3. August, fand die Preßburger Konferenz statt. Diesmal nahmen die Vertreter der KPC teil; die Rumänen fehlten wiederum. Ein Vergleich des Warschauer Briefes mit der in Preßburg verabschiedeten „Erklärung der kommunistischen und Arbeiterparteien sozialistischer Länder" zeigt die Veränderungen in der politischen Landschaft, die in der Zwischenzeit eingetreten waren. Von den Vorwürfen gegen die KPC und vor allem von der Gefahr der Konterrevolution ist in der Preßburger Erklärung mit keinem Wort mehr die Rede. Mit der Beschwörung des proletarischen und sozialistischen Internationalismus, dem Bekenntnis zu den Grundideen des Marxismus-Leninismus und der Betonung der Rolle des Warschauer Paktes sowie des Rates für gegenseitige Wirtschafts-hilfe liest sich die Erklärung eher wie eine der zahllosen früher abgegebenen Resolutionen und Deklarationen der kommunistischen Parteien. Auch die Hinweise auf die aggressive Tätigkeit der imperialistischen Kräfte in den USA, in der Bundesrepublik und in anderen Ländern wird man dieser schon bekannten Tradition zuzurechnen haben. Die Erklärung schließt mit dem Satz: „Die Parteien, die an der Beratung von Bratislava teilgenommen haben und diese Erklärung abgeben, sind fest davon überzeugt, daß die in ihr geäußerten Standpunkte und Ansichten den Interessen aller Bruderländer und Bruder-parteien, der Sache der unverbrüchlichen Freundschaft unserer Länder, den Interessen des Friedens, der Demokratie, der nationalen Unabhängigkeit und des Sozialismus entsprechen."
Damit stellt sich dann auch sofort die Frage nach den Gründen und Hintergründen dieses Wandels, nach dem, was hinter den Kulissen in Warschau, Schwarzau und Preßburg eigentlich vor sich ging. Erst nach und nach wird sich im weiteren Lauf der Ereignisse hierüber hinreichende Klarheit gewinnen lassen. Aber auch schon jetzt gibt es einige Indizien und Fakten, die aufschlußreich sind und festgehalten zu werden verdienen.
Dazu gehört vor allem die Tatsache, daß es — dies wenigstens ist im Augenblick mit hinreichender Sicherheit bekannt — der SED auf der Warschauer Konferenz gelang, die redaktionelle Bearbeitung des gemeinsamen Briefes an sich zu reißen und nunmehr unter der Federführung des ZK-Sekretärs und Kandidaten des Politbüros Hermann Axen ein Machwerk entstand, daß sich dann sehr schnell als wenig brauchbar zur konstruktiven Lösung des Konfliktes erweisen sollte
Damit findet auch gleichzeitig ein weiteres Faktum seine Erklärung. Während nämlich die übrigen Partner der Warschauer Konferenz einschließlich der Sowjetunion in den darauf folgenden Tagen ihre aggressive Polemik gegenüber der Tschechoslowakei milderten, den Akzent ihrer Propaganda mehr auf eine vorgebliche Bedrohung von außen legten, sich aber mit direkten Angriffen gegenüber der tschechoslowakischen Parteiführung zurückhielten, verfolgte die SED einen genau entgegengesetzten Kurs. Sie steigerte ihre Angriffe von Tag zu Tag, veröffentliche zusätzlich eine besonderte Stellungnahme ihres Politbüros
8. Die Konferenz von Schwarzau an der Theiß — Divergenzen in der Führung der KPdSU
Schon die plötzliche Einberufung der War-schauer Konferenz sowie der Wechsel zwischen heißer und kalter Dusche in der Behandlung der Prager Vorgänge ließ bei politischen Beobachtern den Gedanken bestimmter Meinungsverschiedenheiten in der Führung der KPdSU auftauchen
Tatsächlich ist es nur schwer vorst
Tatsächlich ist es nur schwer vorstellbar, daß derartige Meinungsverschiedenheiten nicht vorhanden gewesen sein sollten. Auch in der Sowjetunion hat es in der Vergangenheit nicht an Ansätzen zu einer begrenzten Demokratisierung und kontrollierten Liberalisierung gefehlt. Man braucht dabei nur an die Diskussionen um die Reform des sowjetischen Wirtschaftssystems und die zeitweilige Lockerung der Parteikontrolle im kulturellen Bereich zu denken. Aber es blieb bei solchen Ansätzen, und wenn nicht alles täuscht, so ließ sich, beginnend mit der Vorbereitung des XXIII. Parteitages der KPdSU im April 1966, ein Stillstand, ja, vereinzelt sogar eine Rückkehr zu den doktrinären Vorstellungen und politischen Praktiken der stalinistischen Vergangenheit feststellen. Die Teilrehabilitierung des toten Diktators, die Prozesse und Zwangsmaßnahmen gegen sowjetische Schriftsteller, das Asyl-gesuch des Schriftstellers Belinkow in den USA und das weitgehende Festhalten an der zentralistischen Planung und Leitung der Wirtschaft sprechen eine eindeutige Sprache.
Von sowjetischer Seite war der auf der War-schauer Konferenz beschlossene Brief an das ZK der KPC von Breschnew, Podgorny, Kossygin, Schelest und Katuschew unterschrieben und damit der scharfmacherischen Tendenz der SED Vorschub geleistet worden. Eine derartige Panne aber durfte sich keineswegs wiederholen. Wollte man jedoch den Inhalt des War-schauer Briefes revidieren und gegenüber Prag einen flexibleren Kurs einschlagen, zumindest sich eine solche Möglichkeit offenhalten, so konnte die Verantwortung hierfür nur das gesamte Politbüro übernehmen. Es mußten Sicherheiten dafür getroffen werden, daß nicht die eine oder andere Richtung ihren Willen durchsetzte
KPdSU fast geschlossen nach Schwarzau. Darüber hinaus bot sich die Möglichkeit, auch das gesamte tschechoslowakische Parteipräsidium zur Teilnahme aufzufordern, und damit die Hoffnung, einen Keil in die tschechoslowakische Phalanx zu treiben. Diese Hoffnung hat sich offenbar nicht erfüllt.
Das Ergebnis der Konferenz von Schwarzau ließ gewisse Anzeichen eines Kompromisses erkennen. Dies bezieht sich zunächst einmal auf den Ort, der auf ostslowakischem Gebiet unmittelbar im ungarisch-sowjetischen Grenzgebiet liegt; es bezieht sich auf die Ergebnisse der Konferenz, indem die Pressepolemik gegen Prag eingestellt und ein weiteres Zusammentreffen der Konferenzteilnehmer von Warschau in Preßburg vereinbart wurde. Die Entlassung des Leiters der Sicherheitsabteilung des ZK der KPC, Generalleutnant Prchlik, aus dieser Funktion bei gleichzeitiger Auflösung dieser Abteilung wird man als eine Geste des Entgegenkommens der KPC zu werten haben. Prchlik hatte sich Mitte Juli für eine Qualitätsverbesserung des Warschauer Vertrages und für bestimmte Veränderungen in der Kommandostruktur ausgesprochen und damit den empfindlichsten Punkt der sowjetischen Interessen überhaupt berührt.
Gleichzeitig aber konnte es keinen Zweifel daran geben, daß in Schwarzau die wirklichen Differenzen nicht beigelegt worden waren, sondern durch für beide Teile annehmbare Formulierungen verschleiert wurden, daß die Auseinandersetzungen weitergehen würden und nur die Formen und Methoden, in denen sie ausgetragen werden sollten, modifiziert wurden.
Die in Pressburg unterzeichnete Erklärung läßt dies deutlich erkennen. Jeder konnte aus ihr das herauslesen, was er für richtig und zweckmäßig hielt: Die Sowjetunion, ihre Verbündeten und Satelliten die Solidarität im Rahmen des proletarischen und sozialistischen Internationalismus; die Prager Reformer und ihre Freunde das Recht auf den eigenen Weg zum Sozialismus unter Betonung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. 30)
9. Die militärische Bedrohung der CSSR
Im selben Maße, wie sich die Lage zwischen den Prager Reformern und dem konservativen Lager des Kommunismus zuspitzte, brachten die Sowjets die militärische Trumpfkarte ins Spiel und erhöhten die Drohung einer gewalt-mäßigen Intervention gegenüber der Tschechoslowakei.
Bereits am 19. März hatten leitende Funktionäre der politischen Zentralverwaltung der tschechoslowakischen Armee in Moskau Besprechungen mit sowjetischen Generalen über Fragen der politischen Verwaltung geführt. Am 21. April erschien Sowjetmarschall Jakubowski in Ost-Berlin, um mit Ulbricht „Fragen der weiteren Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft der Mitglieder des Warschauer Vertrages" zu besprechen. Am 23. April bat Parteichef Dubcek den Sowjetbotschafter Tscherwonenko zu sich, um dessen fortlaufende Kontakte mit dem abgesetzten Partei-und Staatschef Novotny zu unterbinden
Vom 20. bis 30. Juni fand die sogenannte „Kommandostabsübung Böhmerwald" statt, in deren Verlauf auch sowjetische Einheiten in die CSSR einrückten. Erst Anfang August 1968, unmittelbar vor Beendigung der Preßburger Konferenz, sollten die letzten sowjetischen Truppen das Land wieder verlassen 31a).
Beginnend mit dem 11. Juli leiteten die Sowjets dann entlang ihrer 1600 km langen Westgrenze umfangreiche Manöver ein, und zwar: 1. Kommandostabsübung „Nord" (Sewer)
vom 11. bis 19. Juli 1968. Leitung: Ober-kommandierender der Sowjetkriegsflotte, Flottenadmiral S. Gorschkow
Ungewöhnlich waren an diesen Manövern nicht nur der Zeitpunkt — unmittelbar vor und während der Ernte —, sondern auch das Aus-maß der Truppenbewegung. Das sowjetische Gewerkschaftsorgan „Trud" bezeichnete die Manöver als die umfangreichsten der Sowjetarmee. Die Gesamtanlage der Manöver ließ erkennen, daß sie von langer Hand vorbereitet waren, der ursprüngliche Termin aber in den Juli hinein vorverlegt worden war. Sehr frühzeitig war erkennbar, daß die Operationen mehr und mehr den Charakter eines Aufmarsches gegen die Tschechoslowakei annahmen.
10. Tito, Ulbricht und Ceausescu in der Tschechoslowakei
Nach den Konferenzen von Warschau, Schwarzau an der Theiß und Preßburg wurde die Tschechoslowakei Schauplatz einer gesteigerten politischen und diplomatischen Aktivität. Am 11. August beendete der jugoslawische Staatschef Tito seinen Besuch in Prag. Am 12. August traf Ulbricht in Karlsbad ein und am 17. August beendete der rumänische Partei-und Staatschef Ceausescu seine Besprechungen in Prag mit dem Abschluß eines neuen Freundschafts-und Beistandsabkommens zwischen beiden Ländern.
In dieser Serie von Partei-und Regierungsdelegationen nahm der Besuch der SED-Delegation am 12. August
Man wird davon ausgehen dürfen, daß der überraschende Besuch Ulbrichts in der Tschechoslowakei auf Initiative Moskaus, zumindest aber auf wärmste Befürwortung seitens der KPdSU erfolgte. Moskau mußte in der damaligen Situation ein Interesse daran haben, die Differenzen wieder einzuebnen und auf der Basis des veränderten Status in der Tschechoslowakei dennoch zu einer gemeinsamen außenpolitischen Linie zu gelangen. Ähnliches galt auch für Ulbricht und die Führung der SED, denen daran gelegen sein mußte, ihre Position innerhalb des sozialistischen Lagers zu verbessern, um wieder größeren außenpolitischen Spielraum zu gewinnen. Insoweit stand die kurz vorher durchgeführte 7. Tagung des Zentralkomitees in direktem Zusammenhang mit dem Besuch in der Tschechoslowakei, ja sie diente geradezu der Vorbereitung dieses Besuches. Auf dieser Tagung war von Seiten der SED der Vorschlag unterbreitet worden, einen Staatssekretär für die Gepräche mit der Bundesregierung zu ernennen, jedoch war diese Ernennung von den hinlänglich bekannten Voraussetzungen der staats-und völkerrechtlichen Anerkennung der DDR abhängig gemacht worden
Noch während des Besuches der rumänischen Partei-und Regierungsdelegation in Prag nahm Moskau seine Pressekampagne gegen die CSSR und KPC wieder auf. Der Hauptvorwurf bestand darin, daß Prag das Abkommen von Bratislava verletzt und sich vom sozialistischen Weg entferne. So darf man annehmen. daß der zwischen den beiden Ländern geschlossene Freundschafts-und Beistandspakt für Moskau zum auslösenden Moment der militärischen Intervention wurde.
11. Die militärische Besetzung des Landes
In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 wurde die Tschechoslowakei durch Truppen der fünf Teilnehmer der Warschauer Juli-Konferenz besetzt. Es ist im Augenblick noch nicht erkennbar, ob für diesen Schritt in erster Linie politische und ideologische Gründe oder militärisch-strategische Erwägungen auf sowjetischer Seite oder beide Komponenten maßgebend waren. Und es ist auch noch zu früh, eine Bilanz der politischen Auswirkungen dieser Maßnahme aufzustellen. Nur so viel läßt sich schon jetzt absehen: Die Auswirkungen der militärischen Intervention in der Tschechoslowakei werden ungeheuer, der politische Preis, den die Sowjets für diese Gewaltaktion zu zahlen haben, wird sehr hoch sein. Die Rechnung wird innerhalb jedes einzelnen kommunistischen Landes und jeder einzelnen kommunistischen Partei, in dem unter sowjetischer Führung stehenden Bündnissystem, im internationalen Kommunismus und nicht zuletzt auch der westlichen Welt gegenüber beglichen werden müssen.
Dieser Schritt Moskaus und seiner Bündnis-partner macht auf nicht absehbare Zeit nicht nur alle Hoffnungen auf Ausgleich der verschiedenen Interessen und verständnisvolle Zusammenarbeit zunichte, sondern wirkt sich auch unheilvoll auf den Bereich der internationalen rechtlichen Beziehungen aus.
Wenn nicht alles täuscht, haben die Sowjets mit dem Einfall in die Tschechoslowakei den vielleicht größten Fehler seit dem Bestehen ihres Regimes begangen.