Zunächst bin ich Herrn Stieglitz zu besonderem Dank dafür verpflichtet, daß er trotz meiner „soziologisch höchst dilettantischen" Ausdrucksweise und meiner „soziologischen Unbeholfenheit" „Milde walten" läßt und mir darüber hinaus noch das Kompliment macht, daß man jeweils das, was gemeint ist, unschwer zu begreifen vermag. Er kennzeichnet in der Tat damit ein Bestreben, das meines Erachtens alle Wissenschaftler in stärkerem Maße haben sollten, nämlich sich ohne Rücksicht auf hoch-gezüchtete Fachbegriffe allgemeinverständlich auszudrücken.
Die von Herrn Stieglitz vorgenommene Begriffsklärung kann man meines Erachtens nicht ohne Gewinn lesen. Das Ergebnis jedoch scheint mir problematisch zu sein. Denn Herr Stieglitz kommt schließlich dahin, zwischen einem negativen und einem positiven Pluralismusbegriff reinlich zu scheiden. Es muß aber ernstlich gefragt werden, ob er damit die Realität unserer Gesellschaft noch trifft.
Es gibt hin und wieder Erzieher, die einem Kinde zureden, indem sie erklären: „Das war jetzt der böse Peter, der die Ursel geschlagen hat. Aber ich glaube, inzwischen ist der gute Peter wiedergekommen und er wird lieb zu der Ursel sein." Es sollen keine Überlegungen darüber angestellt werden, ob eine solche Verhaltensweise erzieherisch gut oder schlecht ist. In jedem Falle sind sich auch die Erzieher, die diese Ausdrucksweise anwenden, darüber im klaren, daß in Wirklichkeit der gute und der böse Peter der gleiche Peter ist, daß es sich also keineswegs um zwei verschiedene Peter handelt. Meines Erachtens muß man sich analog zu diesem einfachen Beispiel auch darüber im klaren sein, daß die positive pluralistische Gesellschaft mit der negativen pluralistischen Gesellschaft identisch ist, d. h.der Pluralismusbegriff muß, sofern er die Realitäten treffen will, notwendigerweise ambivalent sein. In meinen verschiedenen Untersuchungen habe ich immer wieder versucht, dieser Ambivalenz gerecht zu werden und zu zeigen, daß der pluralistische Staat einerseits der Würde des Menschen in einer optimalen Weise gerecht zu werden vermag, daß er jedoch andererseits notwendigerweise ständig in der Gefahr steht, zu entarten.
In dem von Herrn Stieglitz in der nachträglich angeführten Anmerkung 27a zwar angegebenen, jedoch praktisch nicht berücksichtigten Buch „Mensch und Politik" heißt es auf Seite 43 ausdrücklich: „Im ersten Teil der Gesamtüberlegungen, in der politischen Anthropologie, wurde wiederholt gesagt, daß der freie Mensch im Gegensatz zum umweltgebundenen Tier ständig in der Gefährdung lebt. Entsprechendes gilt notwendigerweise auch für den Staat. Je mehr sich der menschliche Staat von einem Tierstaat unterscheidet und in je höherem Maße er dem Wesen des Menschen gerecht wird, um so mehr ist er—wie der Mensch selbst — ständig gefährdet." Außerdem befinden sich in dem gleichen Buch auch Hinweise auf die Grenzen des Pluralismus. Dieser Gedanke wurde dann in der Untersuchung „Naturrecht, Menschenrechte Offenbarung", Frankfurt, fortgeführt, indem eine neue Bestimmung des Naturrechts versucht wurde. Abschließend möchte ich sagen, daß die Untersuchung von Herrn Stieglitz durchaus eine wichtige und aufschlußreiche Ergänzung zu den von mir vorgetragenen Gedanken ist, daß sie jedoch nur dann die Realität trifft, wenn man die von Herrn Stieglitz vorgenommene Zweiteilung in einen „positiven Pluralismus-begriff" und einen „geläufigen Pluralismus-begriff" nicht absolut, setzt und sich dessen bewußt bleibt, daß die pluralistische Gesellschaft tatsächlich alle positiven und negativen Möglichkeiten permanent in sich einschließt und somit weder im positiven Sinne abgesichert noch im negativen Sinne festgelegt werden kann.