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Die Weltjugendfestspiele | APuZ 28/1968 | bpb.de

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APuZ 28/1968 Die Weltjugendfestspiele

Die Weltjugendfestspiele

Joseph Scholmer

Die 9. Weltfestspiele der Jugend und Studenten finden vom 28. Juli bis zum 6. August 1968 in der bulgarischen Hauptstadt Sofia statt. Diesen Beschluß faßte das Internationale Vorbereitungskomitee bereits im Januar 1967. Seitdem wurden mehr als 700 Jugendorganisationen eingeladen; erwartet werden rund 15 000 Delegierte aus 110 Ländern. Der Stab des Internationalen und Nationalen (bulgarischen) Vorbereitungskomitees residiert in einem neuen sechsstöckigen Bürohaus in der Rakowskistraße Sofias; er umfaßt 150 Sekretäre, Mitarbeiter, Dolmetscher und Redakteure. Die Delegationen reisen teils in 23 Sonderzügen an, die ab Paris, Marseille, Wien, Belgrad, Berlin usw. bereitgestellt werden, teils benutzen sie Chartermaschinen von Fluggesellschaften. Die Sowjetunion stellt zwei Schiffe für die Reise der Teilnehmer aus Südamerika und dem Mittelmeerraum zur Verfügung.

Die 9. Weltfestspiele stehen unter der Losung „Für Solidarität, Frieden und Freundschaft". Eines ihrer Leitmotive ist (laut Bericht des bulgarischen KP-Organs „Rabotnitschesko delo" vom 25. Februar d. J.) die „Solidarität der Jugend mit dem Kampf des heldenhaften Volkes und der Jugend Vietnams gegen die Aggressionen des USA-Imperialismus", darüber hinaus „mit den Völkern, die für nationale Befreiung, nationale Unabhängigkeit, Frieden, Freundschaft und sozialen Fortschritt kämpfen". Der Schwerpunkt des Programms liegt bei den politischen Veranstaltungen: einem Forum über internationale Politik, bei den Seminaren über ökonomische und kulturelle Fragen, über die europäische Sicherheit sowie zum Thema „Kapitalismus und Sozialismus". Die Kulturveranstaltungen sind ebenso reichhaltig wie das Sportprogramm. Ein farbiges Plakat, das für die 9. Weltfestspiele wirbt, wurde in 156 Länder verschickt. Die vorstehenden Angaben sind der kommunistischen Presse entnommen, deren Propaganda für das Festival sich seit Anfang dieses Jahres ständig verstärkt hat.

Die Zielsetzung des Festivals wird dadurch dokumentiert, daß der bulgarische Partei-und Regierungschef Todor Schiwkoff Schirmherr dieser Veranstaltung ist, auf deren Vorbereitung die bulgarische KP maßgeblichen Einfluß hat. Schiwkoff gehört mit Ulbricht und Gomulka zur Gruppe der zuverlässigen Satrapen Moskaus und hat bisher jede Entstalinisierung in Bulgarien verhindert oder unterdrückt. Auf dem 9. Parteitag der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) im November 1966 nannte er die Freundschaft zwischen Bulgarien und der Sowjetunion „geheiligt und unzerstörbar". Die BKP unterzeichnete die Karlsbader „Erklärung für den Frieden und die Sicherheit in Europa" vom 26. April 1967, deren Tenor sich gegen die Bundesrepublik richtet. Am 12. Mai 1967 schloß Bulgarien mit der UdSSR einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand ab. Schiwkoff schlug die Einberufung einer kommunistischen Weltkonferenz vor. Nach den Erfahrungen der Weltfestspiele in Wien und Helsinki dürfte auch in Sofia die kommunistische Deutschlandpolitik in den entsprechenden internationalen Foren vertreten werden. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß ihre Interpreten, vor allem die jungen Kommunisten aus beiden Teilen Deutschlands, eine nachhaltige Unterstützung des gastgebenden Landes erhalten werden.

Mit dem Sofia-Festival setzt die linksradikale internationale Jugendbewegung eine auf die sowjetische Politik orientierte Serie von Veranstaltungen fort, deren Konzeption auf dem VII. Weltkongreß der Komintern (1935) entwickelt wurde und deren Tradition in Deutschland in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreicht. 1907 fand in Stuttgart der 1. Internationale Sozialistische Jugendkongreß statt, der Karl Liebknecht zu seinem Vorsitzenden wählte. Das Programm umfaßte Forderungen gegen Krieg und Militarismus, für Verbesserung der Lage der jungen Arbeiter, besonders der Lehrlinge. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges löste sich diese Jugendinternationale genau so auf wie die sozialdemokratische II. Internationale. Nach Kriegsende fand 1920 in Berlin ein internationaler Jugendkongreß statt, dessen Delegierte etwa 250 000 Mitglieder in 14 Ländern vertraten. Organisator war der deutsche Kommunist Willy Münzenberg, ein ergebener Anhänger Lenins. Die Konferenz beschloß die Gründung der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI). Die Generallinie der im März 1919 geschaffenen Komintern war auch für die kommunistischen Jugendorganisationen verbindlich. Der III. Kominternkongreß (1921) beschloß, den Sitz der Kommunistischen Jugendinternationale von Berlin nach Moskau zu verlegen und ernannte den russischen Komsomolchef Lazar Schatzkin zum neuen Sekretär. Seitdem dirigierte der Kreml die internationale kommunistische Jugendbewegung. Das gilt noch heute für die Veranstalter des Festivals, den „Weltbund der demokratischen Jugend" (WBDJ) und den „Internationalen Studentenbund" (ISB).

Laut Statut der Komintern hatte die Kommunistische Jugendinternationale in deren Exekutivkomitee einen Vertreter mit beschließender Stimme. Mitglied der KJI konnte jede Jugendorganisation werden, deren Programm dem der Jugendinternationale entsprach und die sich ihren Beschlüssen unterwarf. Ebenso wie die Komintern besaß auch die KJI konspirative Apparate, die mit den illegalen Komintern-Organisationen zusammen arbeiteten.

Nach dem Tode Lenins im Januar 1924 verlor die Komintern und mit ihr die Jugendinternationale ihren ursprünglichen Charakter als Weltorganisation des internationalen Kommunismus; beide wurden zu einem Instrument der sowjetischen Außenpolitik. Durch seine sogar von vielen Kommunisten als „ultralinks" und „sektiererisch" kritisierte Politik isolierte Stalin die kommunistischen Parteien von der nichtkommunistischen Linken und führte sie in eine Sackgasse. Nach der Zerschlagung der KPD, der größten und wichtigsten Komintern-Sektion, im Jahre 1933 suchte die Sowjetführung einen Ausweg. Auf dem VII. Weltkongreß der Komintern (1935) in Moskau wurde die sogenannte „Volksfrontpolitik“, das heißt die Zusammenarbeit mit anderen linken Parteien und Organisationen, proklamiert. Diese neue Generallinie galt auch für die internationale kommunistische Jugend-bewegung. Einige Zeit später entstand nach den Direktiven des VII. Kominternkongresses auf Initiative der französischen kommunistischen Partei die „Republikanische Jugend Frankreichs", eine der ersten Jugendorganisationen, die sich unter Mißbrauch des Begriffs „republikanisch" überparteilich nannten und in denen Jugendliche verschiedener Weltanschauungen und Konfessionen erfaßt waren. Ihre leitenden Funktionäre waren Kommunisten oder sympathisierten zumindest mit dem Kommunismus. Darüber hinaus betrieb Moskau die Bildung einer internationalen Jugendorganisation, die nach außen hin überparteilich wirken, jedoch durch Kommunisten geleitet werden sollte.

Die natürlichen Voraussetzungen für die Bildung einer solchen Organisation wurden durch den Zweiten Weltkrieg geschaffen. Damals flüchteten zahlreiche Emigranten aus Deutschland und den von Hitler okkupierten Ländern vornehmlich nach England oder — soweit es sich um Kommunisten handelte — in die UdSSR. Bald entstanden in England nationale Organisationen der Tschechen, Polen, Holländer, Franzosen usw. auf überparteilicher Basis. Auch deutsche Flüchtlinge bildeten eine „Freie Deutsche Jugendbewegung", die von Horst Brasch (heute Staatssekretär und 1. Stellvertreter des Ministers im sowjetzonalen Ministerium für Kultur) geleitet wurde. 1941 beauftragte das ZK der KPdSU den sowjetischen Jugendverband, eine internationale Jugendkonferenz in die UdSSR einzuberufen, die den Auftakt für die neue Entwicklung geben sollte. Diese Tagung fand im September 1941 in Moskau statt. Im Oktober desselben Jahres folgte eine Jugendkonferenz in London, an der 5000 Menschen aus ganz Europa teilnahmen. Ein „Internationaler Jugendrat für Großbritannien" konstituierte sich, der für den November 1942 erneut eine internationale Ju-gendkonferenz nach London einberief. Auf ihr legte der fest in den Händen der Kommunisten befindliche Jugendrat ein Programm für die Nachkriegsarbeit vor, das unter anderem sieben Grundrechte der Jugend enthielt: die Rechte auf Arbeit, Ausbildung, Erholung, Erziehung, Gesundheitspflege, das Recht, sich in Organisationen zusammenzuschließen und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Konferenz stimmte der Gründung eines „Weltjugendrates" zu. Damit war eine neue internationale Jugendbewegung unter kommunistischer Führung geschaffen — schon am Anfang unvergleichlich breiter und größer als es die Kommunistische Jugendinternationale je gewesen war.

Bis Kriegsende konzentrierte sich die Aktivität des „Weltjugendrates" darauf, neue Mitgliederorganisationen zu gewinnen und die kommunistischen Positionen auszubauen. Im Herbst 1945 drängten die Kommunisten auf die Einberufung einer Weltjugendkonferenz, die vom 31. Oktober bis zum 10. November 1945 in London abgehalten wurde. Auf ihr konstituierte sich der „Weltbund der demokratischen Jugend", die offizielle Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Jugendinternationale. Programm und Ziele des Weltbundes waren allgemein und unverfänglich formuliert. Unter der Losung eines dauerhaften Friedens sollten Teile der demokratischen und liberalen Jugend in der ganzen Welt für die sowjetische Politik gewonnen oder mindestens neutralisiert werden. Die vom Weltbund verkündeten Rechte der Jugend waren und sind allein auf die westlichen und unterentwickelten Länder gemünzt. Im Ostblock gelten sie als formal erfüllt. Damit richtet sich die Aktivität des WBDJ ausschließlich auf die Völker der Dritten Welt und gegen die westlichen Demokratien. In den kommunistischen Staaten unterstützt der Weltbund jeweils die Regierungspolitik.

Das Weltjugendfestival in den Jahren 1947— 1957

Die größte zentrale Propaganda-Aktion des WBDJ bilden die „Weltfestspiele der Jugend und Studenten", die in Zusammenarbeit mit dem „Internationalen Studentenbund" (ISB) durchgeführt werden. Sie verfolgen das Ziel, nichtkommunistische Jugendliche für den Kommunismus zu gewinnen. Nach den offiziellen Erklärungen des WBDJ ist das Weltjugendfestival ein Fest des Friedens und der Freundschaft. In Wirklichkeit handelt es sich um eine politische Aktion mit differenziertem Einsatz propagandistischer und ideologischer Methoden. Der „Kampf für den Frieden" wird von den kommunistischen Veranstaltern des Festivals im Sinn der Definition des Lehrbuchs „Grundlagen des Marxismus-Leninismus" verstanden: als „Hauptkettenglied der Politik der kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern". Die „Massenbewegung für den Frieden" — zu der die Welt-festspiele gehören — soll „die Massen an den entscheidenden Kampf für den Sozialismus heranführen" (S. 567/568).

Der strategische Plan zu jedem Festival gliedert sich in drei Etappen: Vorbereitung, Durchführung und Auswertung. Die Vorbereitung umfaßt internationale und nationale Aspekte. Die internationale Thematik ist in allen Ländern gleich. Sie bezieht sich beim Sofia-Festival auf den Vietnam-Konflikt, auf das Problem „Kapitalismus und Sozialismus" usw. Der auf Deutschland bezogene nationale Auftrag des 9. Festivals ist die Propagierung der kommunistischen Deutschlandpolitik. Deren wichtigste Ziele sind: die Anerkennung der DDR und des europäischen Status quo, die Unterminierung der Bundesrepublik, die als „imperialistisch, militaristisch und revanchistisch" diffamiert wird, sowie die Umwandlung West-Berlins in eine „Freie Stadt". Wie bei den früheren Weltjugendfestspielen hat die kommunistische Freie Deutsche Jugend auch in Sofia den Auftrag, die angebliche Überlegenheit der „sozialistischen" DDR über die „kapitalistische" Bundesrepublik unter Beweis zu stellen. Der WBDJ versucht in den einzelnen Ländern nationale Festivalkomitees ins Leben zu rufen, die so breit wie möglich zusammengesetzt sein sollen. Die Mitgliedschaft angesehener nichtkommunistischer Persönlichkeiten soll die angebliche Uberparteilichkeit des Festivals demonstrieren. Der Aufruf zu den 9. Weltfestspielen des westdeutschen „Arbeiterkreises Festival", in dem die Kommunisten eine entscheidende Rolle spielen, ist (nach „elan"

1/1968) u. a. unterzeichnet von dem Weltkirchenratspräsidenten Dr. Martin Niemöller, der am Helsinki-Festival von 1962 teilgenommen hat, von dem neutralistischen Oberkirchenrat D. Heinz Kloppenburg, von evangelischen Pfarrern wie Günneberg und Heintzeler, die der DFU nahestehen, und von dem Schriftsteller Martin Walser. Die Propaganda für das Festival ist teils politisch, teils unpolitisch. Sie spricht die Reiselust der Jugend an und ihren natürlichen Wunsch, fremde Länder zu sehen. Diese Methode war um so erfolgreicher, als Reise-und Aufenthaltskosten durch Zuschüsse der kommunistischen Staaten an den WBDJ niedrig gehalten wurden. Der Unkostenbeitrag westdeutscher Teilnehmer am Moskau-Festival (1957) betrug für Reise und 14tägigen Aufenthalt nur 145 DM. Für das Sofia-Festival hat der westdeutsche „Arbeitskreis Festival" einen Teilnehmerbetrag von 530 DM bis 550 DM angegeben. Der gesamte Betrag muß einen Monat vor der Abreise gezahlt werden.

Die Delegationen gliedern sich in drei Gruppen: für Politik, Kultur und Sport. Im Rahmen der Ostblockdelegationen treten international anerkannte Tanz-und Musikensembles auf, die auf Staatskosten am Festival teilnehmen. Zu den Sportwettkämpfen erscheinen Spitzen-athleten aus den kommunistischen Ländern, die im allgemeinen als „Profis" gelten können. Adäquate westliche Orchester und Tanzgruppen hingegen sind ebensowenig interessiert, an den Wettbewerben des Festivals teilzunehmen, wie westliche Spitzensportler. Ost und West sind also im Programm ungleich vertreten. Auf Grund dieser Diskrepanz gewann die sowjetische Delegation beim Wiener Festival 68 Preise, die aus der Bundesrepublik dagegen nur einen. Auf die Delegationen aus 9 Ostblockstaaten entfielen insgesamt 321 Preise, auf die Delegationen aus 9 westlichen Ländern, darunter die USA, Frankreich und England, nur 32.

Neben den nach außen sichtbaren Vorbereitungen treffen die Kommunisten zahlreiche interne Maßnahmen; zu den wichtigsten gehören Auswahl und Schulung der Ordner, Dolmetscher und des Sicherheitspersonals. Dieser Apparat wird zu einem Teil mit Geheimpolizisten durchsetzt. Das Festival ist ferner ein beliebtes Operationsfeld für die kommunistischen Nachrichtendienste, deren Mitarbeiter häufig als Betreuer westlicher Delegationen agieren und geeignete Teilnehmer anzuwerben suchen. Als der langjährige 1. Sekretär des sowjetischen Komsomol, Alexander Schelepin, zum Chef des Geheimdienstes ernannt wurde; brachte er für dieses Amt eine Fülle internationaler Erfahrungen mit, die er im WBDJ und bei den Weltfestspielen gesammelt hatte. Das gleiche galt für seinen Nachfolger in beiden Funktionen, Semitschastny.

Am 1. Festival in Prag (1947) nahmen rund 17 000 Delegierte teil. Es stand im Zeichen des Kampfes gegen den Marshall-Plan, mit dem die USA den schnellen Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten europäischen Länder ermöglichten. Die 2. Weltfestspiele in Budapest (1949) mit rund 10 000 Teilnehmern litten noch unter der für die Kommunisten negativen internationalen Resonanz der Berliner Blockade. Das 3. Festival in Ost-Berlin (1951) mit 20 000 Jugendlichen sollte die zwei Jahre zuvor gegründete DDR international aufwerten und als „friedliebenden Staat" der Bundesrepublik gegenüberstellen. Die 4. Weltfestspiele in Bukarest (1953) mit 30 000 Teilnehmern standen im Zeichen des ersten Tauwetters nach Stalins Tod. Das 5. Festival in Warschau (1955) mit 30 000 Delegierten sollte die Koexistenz demonstrieren. Das Moskau-Festival (1957) war mit 34 000 Jugendlichen die bisher größte „Show" der internationalen kommunistischen Jugendbewegung. In Auswirkung des XX. Parteitages der KPdSU vom Februar 1956 und der ungarischen Revolution vom Herbst desselben Jahres waren deutliche Anzeichen einer ideologischen Aufweichung spürbar. Bei den Beratungen um den Ort des nächsten Festivals drängten die Delegierten aus den Entwicklungsländern darauf, daß die Weltjugendfestspiele nicht nur in Ländern jenseits des Eisernen Vorhangs abgehalten werden sollten. Deshalb wurden die 7. und 8.

Weltfestspiele abweichend von der bisherigen Praxis außerhalb des Ostblocks durchgeführt.

Sie konnten deshalb vom Westen aus unter besseren Bedingungen beobachtet und exakt analysiert werden. Die Festivale in Wien (1959) und Helsinki (1962) seien deshalb ausführlich dargestellt, weil sich aus ihrem typischen Ablauf und den charakteristischen Problemen Erfahrungen und Prognosen für das Sofia-Festival vermitteln lassen. Im kommunistischen Lager ist der Organisationsapparat für die Weltjugendfestspiele erhalten geblieben; in der Jugend des Westens wurde die Kontinuität der demokratischen Erfahrungen mit dem Festival durch die sechsjährige Pause seit den 8. Welt-festspielen unterbrochen.

Das 7. Weltjugendfestival in Wien

Die 7. „Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Freundschaft" fanden vom 26. Juli bis zum 4. August 1959 in Wien statt. Eine erste vorbereitende Konferenz des WBDJ war am 18. 12. 1957 ebenfalls in Wien voraufgegangen. Auf ihr bildete sich ein Initiativkomitee, das für den 24. /25. März 1958 die konstituierende Tagung des „Internationalen Vorbereitungskomitees" (IVK) nach Stockholm einberief. Gleichzeitig richtete das Initiativkomitee einen Antrag an die österreichische Regierung, die Abhaltung der 7. Weltfestspiele in Wien zu genehmigen. Daraufhin entwickelten Diskussionen heftige in der Regierung, den Parteien und vor allem in den Jugendorganisationen. Es ergab sich, daß für eine Ablehnung oder ein Verbot keine Rechtsbasis bestand, da das Initiativkomitee den loyalen Ablauf des Festivals im Rahmen der Gesetze garantierte. Die Regierung genehmigte die Ab-haltung des Festivals mit einstimmigem Ministerratsbeschluß und begründete ihren Entscheid damit, es bestehe kein verfassungsrechtlicher oder außenpolitischer Grund zu einer Ablehnung. Als die Initiatoren des Wiener Festivals im März 1958 zu der Stockholmer Tagung zusammentraten, lag die Genehmigung der österreichischen Regierung bereits vor. Auf dieser Konferenz waren 54 Länder durch 130 Delegierte und Beobachter vertreten, unter ihnen 78 Kommunisten. 25 Delegierte waren politisch neutral oder gehörten nichtkommunistischen Organisationen an. Die restlichen Delegierten sympathisierten zum Teil mit dem Kommunismus. Die linksradikale Jugend der Bundesrepublik war in Stockholm durch Werner Weismantel und Helmut Rödl, einem ehemaligen FDJ-Funktionär, vertreten. Rödl ist auch an den Vorbereitungen zum Sofia-Festival maßgeblich beteiligt. Aus Österreich waren nur Vertreter der kommunistischen Freien Österreichischen Jugend (FOJ) erschienen. Es konstituierte sich das „Internationale Vorbereitungskomitee" für die 7. Weltfestspiele.

Die Stockholmer Konferenz beschloß, das 7. Festival in Wien abzuhalten. Zur Vorbereitung gründeten die Kommunisten in Wien eine „Ständige Kommission des Internationlen Vorbereitungskomitees für die 7. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Freunschaft", deren aktive Mitglieder folgende waren: Valentin P. Vdovin, Sekretär des Zentralkomitees des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol; Bruno Bernini, Mitglied des Zentralkomitees des italienischen kommunistischen Jugendverbandes und Präsident des WBDJ; Jean Garcias, ein französischer Kommunist spanischer Herkunft, Sekretär der „Ständigen Kommission"; Werner Lamberz, Sekretär des Zentralrats der FDJ, Mitglied und Sekretär des Exekutivkomitees des WBDJ (heute Mitglied und Sekretär des SED-Zentralkomitees); Jiri Pelikan, Mitglied des Zentralkomitees der tschechoslowakischen kommu7 nistischen Jugendverbandes, Präsident des kommunistischen „Internationalen Studenten-bundes" (ISB); Ho Hsi Chuan, Leiter der Vereinigung der Jugendverbände Chinas, Mitglied und Sekretär des Exekutivkomitees des WBDJ; Ljubomir K. Dramaljew (Bulgare), 1. Sekretär des ISB; Edelberto Bahamonde, Funktionär der „radikalen Jugend" Chiles und hauptamtlicher Funktionär der WBDJ-Zentrale in Budapest.

Am 25. Juli 1959 fand in Wien eine Sitzung statt, auf der sich die „Ständige Kommission" in das offizielle „Internationale Festivalkomitee" umwandelte. Zu seinem Präsidenten wurde der WBDJ-Präsident Bruno Bernini bestimmt. Die unmittelbare technische Vorbereitung des Festivals war zuvor einem speziellen „Österreichischen Organisationskomitee" übertragen worden, das zumeist aus Kommunisten bestand. Sein Vorsitzender war Prof. Walter Hollitscher, Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) und Absolvent, der Maxim-Gorki-Schule in Charkow. Sekretäre des „Organisationskomitees" waren: der FOJ-Vorsitzende Karl Reiter, -das ZK-Mitglied der KPÖ Oskar Reichenberger; Margarete Schütte, KPÖ-Mitglied und Vorsitzende des kommunistischen „Bundes Demokratischer Frauen Österreichs". Die finanzielle und verwaltungsmäßige Vorbereitung oblag drei österreichischen Firmen, die sich in kommunistischem Besitz befinden: der ESTATE GmbH., dem Reisebüro Josefstadt und der Metros GmbH. Als Rechtsberater fungierte Dr. Heinrich Dürmayer, Absolvent der Moskauer Lenin-Akademie und von 1945 bis 1947 Leiter der Wiener Staatspolizei.

Die Organisation des Wiener Festivals war schwieriger als bei den vorausgegangenen, weil sie nicht von der Regierung des Gast-landes unterstützt wurde. Da die Zahl der Wiener Kommunisten für die Vorbereitung nicht ausreichte, wurden Funktionäre und Mitglieder der KPÖ und FÖJ aus anderen Bundesländern eingesetzt. Sie stellten das Wach-und Ordnungspersonal bei den Veranstaltungen und in den Lagern. Eine besondere Aufgabe war ihnen zur Abwehr der von den demokratischen Jugendorganisationen vorbereiteten Maßnahmen zugewiesen, die von den Kommunisten als „Gegenfestival" oder „Antifestival" bezeichnet wurden. Sie diskutierten in den Informationszentren, um die Gespräche zwischen westlichen Jugendlichen und Festivalteilnehmern zu blockieren.

Für die Teilnehmer des Wiener Festivals waren seitens des Festivalkomitees folgende Abgaben festgesetzt worden: pro Tag sollten 5 Dollar entrichtet werden als Gegenwert für Unterbringung, Verpflegung, kostenlose Benutzung der städtischen Verkehrsmittel und den Besuch der Veranstaltungen. Hinzu kam eine Einschreibegebühr von 2 Dollar. Aufgrund der offiziellen Teilnehmerzahl von 17 000 ergibt sich daraus eine Gesamteinnahme von rund 884 000 Dollar, die jedoch bei weitem nicht ausreichte, die Unkosten des Festivals zu bestreiten. Von österreichischer Seite wurden an Unkosten etwa 4, 5 Millionen Dollar errechnet. Die Differenz wurde aus Zuschüssen der kommunistischen Staaten gedeckt.

Von den rund 17 000 Teilnehmern am Festival kamen nach offiziellen Angaben 1093 aus der Bundesrepublik, 1000 aus der DDR, 1100 aus der UdSSR, 2070 aus der Tschechoslowakei, 1130 aus Italien und 920 aus Frankreich. Das politische Schwergewicht lag jedoch bei den Entwicklungsländern, deren Delegierte spürbar bevorzugt wurden. Die farbigen Delegationen bestanden nur zu einem Teil aus Kommunisten; ihre überwiegende Mehrheit vertrat einen „Antikolonialismus", der das Thema der meisten Seminare war. Das Problem der Freiheit verstanden die jungen Farbigen primär als nationale Souveränität. Hauptziel des Festivals war, die nichtkommunistischen Farbigen für den Kommunismus zu interessieren und möglichst zu gewinnen.

Friedenstauben und Feuerwerk

Das Festival begann mit einer großen Eröffnungskundgebung am Sonntag, dem 26. Juli 1959, im Wiener Stadion, bei der nationale Delegationen aus 89 Ländern aufmarschierten. Auffallend war das disziplinierte militärische Auftreten der Delegationen. Lediglich die Polen und die Jugoslawen gaben sich „zivil". Die österreichische Regierung war durch keinen Minister vertreten; sie hatte den Sektionschef Chaloupka entsandt, der eine kurze, unverbindliche Begrüßungsansprache hielt. Die Rede des sozialdemokratischen Wiener Vize-bürgermeisters Slawik markierte die demokratische Friedenspolitik Österreichs; sie fand bei farbigen und westlichen Delegierten Beifall, bei den Kommunisten stieß sie auf Ablehnung. Slawik erklärte u. a.: „über alles stellen wir unseren Friedenswillen und unsere persönliche und individuelle Freiheit. Jahrzehnte hat das österreichische Volk um die Freiheit der politischen Betätigung gekämpft, und wir sind stolz darauf, daß jeder Österreicher sich seine Partei, seine Organisation auswählen kann. Wir sind stolz darauf, daß jede politische Betätigung im Rahmen der Verfassung unserer demokratischen Republik völlig frei ist, daß niemand wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt oder bestraft wird. Wir sind ein weltaufgeschlossenes Volk geworden, und wir lesen und schreiben, was wir wollen. Die Pressefreiheit ist für uns ein unabdingbares Recht. Wir müssen uns nicht mehr an das Dichterwort halten , die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten', weil wir jeden Gesinnungszwang ablehnen und die Freiheit des Wortes und der Rede besonders hochhalten."

Die Eröffnungsfeier war eine optisch eindrucksvolle Show. Zahlreiche Delegationen erschienen in Nationalkostümen. Das Programm farbenprächtiger Darbietungen zog sich unter Flutlicht bis in die Nacht. Tausende von tschechoslowakischen Sportlern demonstrierten Massengymnastik. Die Chinesen stellten einen riesigen rotleuchtenden Drachen, der mit weitgeöffnetem Rachen einen fliehenden Ball verfolgte. Zahlreiche Jugendgruppen traten auf und zeigten die Tänze ihrer Heimatländer. Als Demonstration des kommunistischen „Friedenswillens" wurden Tausende von Brieftauben aus großen Spezialfahrzeugen freigelassen, die von der sowjetzonalen halbmilitärischen „Gesellschaft für Sport und Technik" gestellt worden waren. Die Veranstaltung endete mit einem spektakulären Feuerwerk.

Neben der Eröffnungsfeier enthielt das Programm des Wiener Festivals weitere drei Massenveranstaltungen: die „Feier, gewidmet der Freundschaft und Solidarität mit der Jugend der kolonialen Länder und der Länder, die in jüngster Zeit ihre Unabhängigkeit erlangten", die „Feier für den Frieden und die Freundschaft zwischen den Völkern, gegen Atomwaffen, für Abrüstung und friedliche Koexistenz" und schließlich die Abschlußfeier. Die Großveranstaltungen haben den Charakter einer politischen „Show"; sie sollen einen massenpsychologischen Effekt ausüben. Fraglich erscheint, ob diese von den Kommunisten beabsichtigte Wirkung auch jene intellektuelle Elite nachhaltig beeinflußt, die vor allem in den Delegationen aus den Entwicklungsländern stark vertreten ist. Beim Wiener Festival gewann man den Eindruck, daß die Wirkung der großen Meetings nur von kurzer Dauer ist. Das Programm des 7. Festivals enthielt zu mehr als 80 % Veranstaltungen aus den Sektoren Sport, Kultur, Tanz, Theater usw. Auf diese Weise wurde die „Tendenz" des Festivals so unverfänglich wie möglich gehalten, um eine breite Plattform für die Teilnahme zu schaffen. Das Programm umfaßte insgesamt etwa 60 Veranstaltungen pro Tag, von denen die Kultur-und Tanzveranstaltungen Massen-charakter hatten und auf Massenbesuch zugeschnitten waren. Im Gegensatz dazu fanden die Seminare in relativ kleinen Sälen vor maximal einigen Hundert Teilnehmern statt, von denen wiederum nur wenige zu Wort kamen.

Die FDJ in Wien

Die FDJ-Delegation setzte sich aus drei Gruppen zusammen, unter denen die politische rund 550 Mitglieder umfaßte. Etwa die Hälfte davon bestand aus Funktionären des Zentral-rates, der Bezirks-und Kreisverbände, die andere Hälfte wurde von Aktivisten aus Industrie und Landwirtschaft sowie von Studenten und Oberschülern gebildet. Hinzu kam eine zweite Gruppe von etwa 150 Sportlern und eine dritte Gruppe von ca. 300 Kulturschaffenden. Etwa 40— 50 Delegationsteilnehmer waren Angehörige des Staatsicherheitsdienstes. Ein Teil der Kulturgruppen war auf dem VI. Parlament der FDJ in Rostock nach einem Ausscheidungswettbewerb für das Wiener Festival ausgewählt worden. Alle Delegierten waren vor der Abreise wochenlang auf verschiedenen Jugendschulen, besonders auf der Jugendhochschule Bogensee, geschult worden.

Die FDJ-Delegation wurde geleitet von Konrad Naumann (heute 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin). Zur Delegationsleitung gehörte u. a. Inge Lange (heute Vorsitzende der Frauenkommission beim SED-Politbüro). Der wichtigste Funktionär hielt sich jedoch im Hintergrund: Erich Glückauf, damals Leiter des Arbeitsbüros der KPD im Apparat des SED-Zentralkomitees (heute Politbüromitglied der KPD); er gab sich als „Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland" aus.

Die FDJ-Delegation bewohnte ein Zeltlager im Rohrerbad (Wiener Wald), das im Stil einer Zeltburg angelegt war und von KPO-sowie FDJ-Mitgliedern gesichert wurde. Es war nicht möglich, das Lager unkontrolliert zu betreten und dort Diskussionen zu führen. Bei allen Gesprächen der FDJ-Leitung mit westlichen Besuchern waren SSD-Angehörige anwesend. Von Pressevertretern angesprochen und nach ihrer Funktion gefragt, wichen sie aus und bezeichneten sich als Gäste und Teilnehmer der Welt-festspiele, obwohl ein Teil von ihnen über 40 Jahre alt war. Die FDJ trat in den Straßen Wiens nur in Gruppen auf, die jeweils verantwortliche Leiter hatten. Ausgaben in österreichischer Währung wurden von den Leitern, nicht von den einzelnen FDJ-Mitgliedern bestritten, die zumeist nicht über Schillinge verfügten. Kein Mitglied der FDJ-Delegation sollte sich in Wien frei bewegen, es sei denn im dienstlichen Auftrag. Bei Diskussionen mit FDJ-Angehörigen ergab sich, daß sie vor der Gefahr der „ideologischen Provokation" gewarnt worden waren und Anweisung hatten, Gesprächen auszuweichen. Auch Einladungen von österreichischen Familien sollten abgelehnt werden. Die Absicherung bestand auch bei zwanglosen Veranstaltungen. Auf dem Studentenball am 31. Juli 1959 tanzte ein westdeutscher Festivalteilnehmer zweimal mit der jungen Volkskammerabgeordneten Renate Simon. Danach schirmten zwei „Freunde" die FDJ-Delegierte ab und verhinderten weitere Tänze.

Der politische Auftrag der FDJ-Delegation beim Wiener Festival bestand (wie bei allen früheren Festivals) darin, die kommunistische Deutschlandpolitik zu vertreten. Ansehen und Autorität der DDR sollten besonders unter der Jugend der Entwicklungsländer verstärkt werden. In diesem Sinne vertrat beispielsweise der 1. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung Berlin, Heinz Modrow, die damals von Ulbricht propagierte Idee einer deutschen Konföderation. Er forderte eine atomwaffenfreie Zone, den Abzug aller fremder Truppen aus beiden Teilen Deutschlands und die Konstituierung eines „Gesamtdeutschen Rates". Voraussetzung sei die Anerkennung der DDR.

Die FDJ-Delegation veranstaltete Freundschaftstreffen vor allem mit Delegationen aus Ländern der Dritten Welt und versuchte, junge Farbige für das Studium an den DDR-Universitäten zu gewinnen. Prokommunistische Afrikaner, die in der DDR studierten, unterstützten diese Propaganda. In Diskussionen wurde die antikolonialistische Rolle der DDR herausgestellt. Strittigen Fragen, z. B. über die unterschiedlichen Wege zum Sozialismus, wichen die FDJ-Delegierten aus.

Die Festivaldelegation aus der Bundesrepublik

Die Festivaldelegation aus der Bundesrepublik umfaßte rund 1100 Personen, von denen etwa 600 im Zeltlager Rohrerbad wohnten, getrennt von der FDJ. Der Rest wohnte in Hotels, im „Collegium Hungaricum" oder in Privatwohnungen Wiener Kommunisten. Die ursprünglich angesetzte Sollzahl war zu Beginn des Festivals nicht erfüllt. Offensichtlich wurde eine Anzahl gemeldeter Teilnehmer aus politischen Gründen nicht zugelassen, obwohl die Anmeldung im Rahmen der vorhandenen freien Plätze erfolgt war. Die offizielle Delegationsleitung bestand aus Prof. Dr. Klara Faßbinder, Prof. Leo Weismantel, Ernst Rowohlt, Pfarrer Herbert Mochalski, Prof. Bernhard Wosien und den beiden ehemaligen FDJ-Funktionären Helmut Rödl und Karl Heinz Schröder, die auch der westdeutschen Delegationsleitung für das Sofia-Festival angehören.

Entsprechend der kommunistischen Zwei-Staaten-Theorie waren die beiden deutschen Delegationen formal selbständig mit jeweils eigener Leitung. In der Praxis bestand jedoch eine gemeinsame zentrale Leitung, die aus dem Hintergrund agierte und die politische Linie der beiden Delegationen bestimmte. Oberste Instanz auch für die Kommunisten aus der Bundesrepublik war der vom SED-Politbüro nach Wien entsandte Erich Glückauf, der sich hauptamtlich mit kommunistischer Infiltration in der Bundesrepublik befaßt und Leiter des KPD-Arbeitsbüros im Apparat des SED-Zentralkomitees ist. Er trat auf dem Freundschaftstreffen der beiden Delegationen am 27. 7. 1959 offiziell auf. Als Frau Prof. Faßbinder in ihrer Begrüßungsansprache auf die Aktivität der demokratischen Jugendverbände hinwies und erklärte, man sollte ruhig in die Informationszentrale gehen und dort diskutieren, korrigierte Glückauf sie mit der Bemerkung, das sei nicht nötig, weil es sich bei den Mitarbeitern des „Gegenfestivals" um bezahlte Agenten und Provokateure handele, die an einer Verständigung nicht interessiert seien. Als Frau Prof. Faßbinder die kühle Haltung der österreichischen Bevölkerung gegenüber dem Festival kritisierte, konstatierte Glückauf demonstrativ die breite Sympathie der Wiener für das Festival.

Der erkennbare Anteil an Kommunisten in der westdeutschen Delegation betrug ungefähr 40 °/o, weitere 20 °/o konnten als Sympathisierende bezeichnet werden. Etwa 25°/o bestanden aus Touristen und Beobachtern, während 15 % als offene Gegner der Stalinisten gelten konnten. Zu ihnen zählte die Gruppe des Liberalen Studentenbundes. Die Kommunisten bildeten in der westdeutschen Delegation einen Agitationskern; sie wurden planmäßig gegen die Informationszentren der demokratischen Jugend eingesetzt, um mit deren Mitarbeitern zu diskutieren und sie dadurch für Gespräche mit farbigen Festivalteilnehmern zu blockieren.

Die westdeutsche Festivaldelegation vertrat keine eigene politische Konzeption; sie sollte lediglich als eine Figur auf dem Schachbrett der kommunistischen Deutschlandpolitik fungieren. Durch Anwesenheit und Auftreten linksradikaler Jugendlicher aus der Bundesrepublik sollte in Wien der Eindruck erweckt werden, die kommunistische Bewegung sei unter der westdeutschen Jugend aktiv, und die Jugend stehe im Widerspruch zur Bundesregierung.

Mit der breiten Losung „Frieden und Freundschaft" als zentraler Zielsetzung gelang es der westdeutschen Delegationsleitung, die politischen Streitgespräche zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten in ihrer Reise-gruppe auf ein Mindestmaß zu beschränken. Ideologische Auseinandersetzungen wurden seitens der Leitung weder gesucht noch gefördert. Die Diskussionen gingen daher zumeist von den nichtkommunistischen Gruppen aus, die deshalb von manchen als Störenfriede empfunden wurden. Bei Freundschaftstreffen mit afro-asiatischen Gruppen versuchten die westdeutschen Kommunisten, das Ansehen der Bundesrepublik zu untergraben und die DDR als den wahren Verbündeten der Unabhängigkeitsbewegungen in den unterentwikkelten Ländern darzustellen. Vertreter dieser Staaten waren — soweit es sich nicht um Kommunisten handelte — unvoreingenommen nach Wien gekommen. Auf zahlreichen Freundschaftstreffen suggerierten ihnen Kommunisten aus beiden Teilen Deutschlands jedoch ein einseitiges, zugunsten der DDR gefärbtes Deutschlandbild. Die wenigen Nichtkommunisten in der westdeutschen Reisegruppe vermochten aufgrund ihrer zahlenmäßigen Schwäche dieser Propaganda kaum zu begegnen.

In der Delegation aus der Bundesrepublik nahmen 19 Vertreter des Liberalen Studentenbundes Deutschlands (LSD) eine besondere Stellung ein, weil sie im Rahmen des Festivals planmäßig und offensiv die westliche Demokratie verteidigten. Ihre Erfahrungen, die für das Sofia-Festival von einer gewissen Bedeutung sein dürften, seien nachstehend kurz skizziert. Wie es in einer offiziellen Erklärung der LSD-Delegiertenkonferenz vom 15. bis 18. Mai 1959 in Weinheim (Bergstraße) hieß, hielt der Verband es für erforderlich, daß auf dem Festival „unsere freiheitliche Auffassung in allen Fragen der Politik und Gesellschaftsordnung vertreten wird ... Es ist insbesondere zu vermeiden, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland allein und einseitig von den Funktionären der FDJ dargestellt werden. Nur durch eine offizielle Teilnahme am Festival können alle organisatorischen und technischen Möglichkeiten für eine wirksame Vertretung der freiheitlichen demokratischen Ideen voll ausgeschöpft werden."

Bei allen Erwägungen war sich der LSD über die kommunistische Leitung und die propagandistische Zielsetzung des Festivals völlig im klaren. Die Alternative lautete: Bei einer Teilnahme des LSD würde die kommunistische Festivalleitung dies propagandistisch ausnüten (was später auch geschehen ist). Dafür würde die Chance bestehen, in den Seminaren und Diskussionsforen auftreten zu können. Bei Ablehnung der Teilnahme würde nur die Möglichkeit bestehen, die Festivalteilnehmer von außen her zu beinflussen. Der LSD war überzeugt, die Chance einer Diskussion sei wertvoll genug, um die Nachteile der Propaganda in Kauf zu nehmen.

Tatsächlich erwies sich die Zugehörigkeit zur offiziellen Delegation als vorteilhaft, weil für die Teilnahme an den Seminaren und Diskussionsforen an Außenstehende keine Karten ausgegeben wurden. Es gab Seminare, in denen die westdeutsche Demokratie durch keinen Delegierten vertreten war. In einem Fall protestierte beispielsweise ein Sudanese gegen die barbarischen Urteile des Dresdener Studentenprozesses vom April 1959; demokratische Jugendliche aus der Bundesrepublik waren nicht anwesend.

In allen Seminaren, in denen LSD-Vertreter Einlaß fanden, kam es zu scharfen Kontroversen mit FDJ-Funktionären. In Fragen der Deutschlandpolitik polemisierten Hans Modrow, 1. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung Berlin, und der LSD-Delegierte Dr. Haferland. Er forderte eine Abstimmung in beiden Teilen Deutschlands über die Frage, ob die Bevölkerung das jeweilige Gesellschaftssystem, unter dem sie lebe, auch voll billige.

Am 27. Juli 1959 fand ein Freundschaftstreffen zwischen den beiden deutschen Delegationen statt, auf dem Karl Heinz Schröder, ehemals FDJ-Funktionär, eine Resolution an die Beobachtergruppen aus beiden Teilen Deutschlands bei der damals tagenden Genfer Konferenz vorlegte; in ihr war die Aufforderung enthalten, miteinander zu verhandeln. Der LSD erklärte sich mit dieser Resolution nicht einverstanden und zwang die Leitung der Delegation aus der Bundesrepublik zu einer Richtigstellung.

Zu einer weiteren Kontroverse zwischen LSD-Vertretern und FDJ-Delegierten kam es im Seminar „Die Probleme der Demokratisierung und Reform des Hochschulwesens". Ein dem LSD angehörender Redakteur der Göttinger Studentenzeitung „Prisma" referierte über die deutsche Universität. Er führte u. a. aus, das Hochschulwesen der Bundesrepublik ruhe auf zwei Säulen: a) der Freiheit von Forschung und Lehre, einschließlich der Freiheit der Berufswahl, des ungehinderten Zugangs zu allen Bildungsstätten und einer Wissenschaft ohne Dogma; D) der Linneit von Forschung und Lehre, darin einbegriffen, daß der Student in der Universitätsgemeinschaft lebe, aber nicht in ihr aufgehe.

Der FDJ-Funktionär Modrow antwortete, nur die Universität der DDR habe die wirkliche Freiheit, nämlich die „Freiheit von Chauvinismus und Hetze", und nur in der DDR gebe es die „Volksuniversität". Es folgte eine scharfe Polemik Modrows gegen das westdeutsche Hochschulwesen und darüber hinaus gegen die Bundesrepublik. Eine Antwort auf diese Angriffe war nicht möglich, weil dem LSD-Vertreter das Wort nicht mehr erteilt wurde. Daraufhin vervielfältigte der LSD sein nicht vorgetragenes Schlußwort mit einem Begleittext, in dem es u. a. hieß: „Aus einer bedauerlichen Folge von technischen Schwierigkeiten und Mißverständnissen wurde auf den Seminaren innerhalb des Studentenprogramms bei den Weltjugendfestspielen in Wien 1959 nicht die vorgesehene Diskussionsordnung eingehalten." bei der Verteilung machte eine Russin den Versuch, alle Exemplare an sich zu nehmen; sie wurde mit Gewalt daran gehindert. Daraufhin konnte die Verteilung ohne weitere Schwierigkeiten durchgeführt werden.

Die Behinderung in den Seminaren führte schließlich zu einer scharfen Kontroverse zwischen dem LSD und der Festivalleitung. Der LSD drohte offen, er werde das Festival verlassen, falls er nicht mehr zu Wort komme. Am 3. August 1959 veröffentlichten der LSD und die Studentenkommission der Festivalleitung eine gemeinsame Erklärung, in der festgestellt wurde, „daß die Diskussionsordnung der Studentenseminare auf die Wirksamkeit der Studenten der Delegation des LSD hin sich deren Wünschen angepaßt hat"; „die unglücklichen Verkettungen von technischen Schwierigkeiten und Fehlern" wurden außerordentlich bedauert. Die „zeitweiligen Benachteiligungen" seien wieder ausgeglichen und eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit" wiederhergestellt.

Die amerikanische Festival-Delegation

Eine ähnliche Rolle wie der LSD spielten unabhängige Gruppen in der amerikanischen Festivaldelegation. Die Festivalleitung hatte vier New Yorker Kommunisten, Marvin Mark-mann, Allen Mcgowan, Althea Sims und Paul Robeson jr., für die Delegationsleitung vorgesehen. Dennoch gelang es diesen Kommunisten während des Festivals nicht, die Führung der Delegation tatsächlich zu übernehmen. Zentrum der demokratischen Opposition war eine Jugendgruppe aus Chikago. Unter ihrem Einfluß weigerte sich die Mehrheit der USA-Delegation, die in getrennten Gruppen nach Wien gekommen war, bei der ersten Zusammenkunft am 25. Juli 1959 die kommunistische Führung der New Yorker anzuerkennen, die sich ohne Wahl als Leitung präsentiert hatte. Die Gruppe aus Chikago verlangte eine demokratische Wahl, die wiederum von den New Yorkern abgelehnt wurde. Es kam zu einer Rempelei zwischen dem Festivalsekretär Jean Garcias und einem amerikanischen Delegierten, die am 27. Juli Anlaß einer Anfrage auf der internationalen Pressekonferenz war. Um die Opposition unter Druck zu setzen, entzog die Festivalleitung allen Amerikanern zunächst die Teilnehmerkarten, mußte sie jedoch später wieder aushändigen, weil mit einem Skandal gedroht wurde. Ferner behauptete sie, das von der Gruppe aus Chikago eingezahlte Geld sei nicht angekommen (es war rechtzeitig eingezahlt worden), deshalb könne diese am Festival nicht teilnehmen. Trotzdem gelang es nicht, die Opposition aus der USA-Delegation hinauszudrängen. Um der physischen Bedrohung durch KPO-und FÖJ-Mitglieder zu entgehen, traten die Oppositionellen stets in Gruppen auf. Nichtkommunistische Mitglieder der USA-Delegation, darunter zahlreiche Farbige, sprachen in fast allen Seminaren und machten vor allem auf die Delegierten aus den unterentwickelten Ländern großen Eindruck. Auf einem Seminar für Redakteure von Studentenzeitungen definierte z. B. ein Student der California-University die Charakteristika für eine Studentenzeitung wie folgt:

1. Sie müsse ausschließlich von Studenten gemacht werden; 2. in ihr müßten alle Meinungen von links bis rechts zu Worte kommen; 3. sie müsse von Studenten selbst finanziert werden, weil sie sonst nicht unabhängig sei; 4. in ihr dürften Auffassungen des Staates, der Parteien oder der Universitätsbehörden im Sinn einer Auflage nicht gedruckt werden.

Als unausgesprochene Konsequenz ergab sich für die Zuhörer, daß alle sogenannten Studentenzeitungen in kommunistischen Staaten keine wirklichen Studentenzeitungen sind, sondern Zeitungen für Studenten, in denen nur eine Auffassung, nämlich die kommunistische, vertreten wird.

Im Seminar „Die Probleme der Demokratisierung und Reform des Hochschulwesens" formulierte ein Amerikaner die Ziele der westlichen Hochschulerziehung wie folgt: „Es ist nicht allein entscheidend, daß der Mensch Lehr-und Lehrermeinungen annimmt, sondern daß er freigesetzt wird, selbst zu denken und zu Lehrmeinungen Stellung zu nehmen." Eines der Ziele sei die Erziehung zur Freiheit, und dazu genüge reines Spezialistentum nicht. Durch Lehre und Forschung müsse auch der Charakter und die Individualität entwickelt werden. In den USA studierten 30% der Bevölkerung. Zahlreiche Stipendien würden von privater und staatlicher Seite vergeben.

Auf dem Treffen junger Journalisten referierte ein USA-Delegierter über die Funktion der Presse in den westlichen Ländern. Die Freiheit der Presse bestehe darin, daß sie die Interessen vertrete, die sie für richtig halte. Da es in den USA eine Unzahl verschiedener Zeitungen gäbe, sei damit auch garantiert, daß alle Interessen in der Öffentlichkeit vertreten würden. Er kritisierte, daß die internationale Presse beim Festival von den meisten Sitzungen und Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Am Schluß trug er eine aus vier Punkten bestehende Resolution vor: 1. Alle Zeitungen — ungeachtet welcher Richtung — sollten ungehindert im Festivalgebiet zirkulieren können. 2. Alle Journalisten und Pressefotografen sollten überall im Festivalgebiet unbegrenzte Bewegungsfreiheit haben. 3. Die Versammlung solle alle Maßnahmen, die eine Einschränkung der in Punkt 1 und 2 geforderten Freiheiten bedeuten, einstimmig verurteilen. 4. Das Präsidium sollte diese Resolution der Presse übergeben.

Dieser Antrag wurde von den Kommunisten nicht akzeptiert.

Die nichtkommunistischen Mitglieder der USA-Delegation wirkten durch ihr gutes demokratisches Auftreten. Sie erklärten immer wieder, nur ihre persönliche Meinung zu sagen, da sie von niemand delegiert seien. Das amerikanische Gesellschaftssystem wurde von ihnen sehr überzeugend dargestellt, ohne dessen Schwächen zu leugnen und ohne es den anderen als einzig mögliches anzubieten.

Die Festival-Pressekonferenz und die Rolle der internationalen Presse

Die internationale Pressekonferenz war der neuralgische Punkt des Festivals. Von den etwa 1200 akkreditierten Journalisten war die überwiegende Mehrzahl antikommunistisch eingestellt. Die systematische Behinderung der journalistischen Arbeit durch die Festival-Leitung schaffte eine Atmosphäre der ständigen Gereiztheit, die sich in täglichen, oft heftigen Kontroversen entlud. Das Pressekomitee der Weltfestspiele stand formell unter der Leitung eines Polen. Tatsächlich hatte aber Jean Garcias diese Funktion inne, die er geschickt und zynisch ausübte. Als Beispiel sei folgendes Frage-Antwort-Spiel angeführt: Frage (eines westlichen Korrespondenten):

Trifft es zu, Herr Garcias, daß Sie einen amerikanischen Festivaldelegierten geschlagen haben?

Antwort: Davon ist mir nichts bekannt.

Frage: Ich habe hier ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie Sie einen amerikanischen Delegierten schlagen. Was haben Sie dazu zu sagen?

Antwort: Wenn Sie alles so gut wissen, warum fragen Sie?

Dieser kurze Dialog ist charakteristisch für die Atmosphäre, in der sich die Pressekonferenzen abspielten. Garcias’ Taktik war, die Fragen der Journalisten zu sammeln und dann möglichst pauschal und unverbindlich zu beantworten. Als die Rededuelle zwischen Presse und Festivalkomitee dennoch zumeist zugunsten der Presse ausgingen, ließ Gracias täglich Vertreter einzelner Delegationen vorstellen und deren langatmige Erklärungen in fünf Sprachen übersetzen. Wenn die Pressekonferenz nach dreistündiger Dauer um 14 Uhr geschlossen wurde, hatten die Journalisten keine Zeit mehr, ihre Fragen anzubringen.

Für die demokratische Opposition im Festival war die Presse ein wichtiger Bundesgegenosse. Der LSD wandte sich mit eigenen Erklärungen an die Presse und berief eine eigene Pressekonferenz. Auf diese Weise konnte auf das Festivalkomitee ein wirksamer Druck ausgeübt werden.

Auf einer Pressekonferenz am 3. 8. 1959 wurden Vertreter der afrikanischen Jugendverbände vorgestellt. Der Generalsekretär des „Rates der afrikanischen Jugend" hielt eine längere Rede, in der er u. a. ausführte: Es werde sehr viel von Freiheit gesprochen, aber den afrikanischen Völkern werde diese Freiheit auch heute noch zu einem großen Teil vorenthalten. Die Presse solle den Afrikanern ihre Hilfe angedeihen lassen. Es gelte, Millionen von Menschen zu helfen, die den Begriff der Freiheit nicht kennen würden und die zur Freiheit erst noch erweckt werden müßten. Es werde viel gesprochen von Kommunismus und Antikommunismus und von den beiden Welt-blöcken. Für die Afrikaner sei die Frage Kommunismus oder Antikommunismus heute völlig gegenstandslos, sie interessiere nicht. Ob Kommunist oder Antikommunist, sei völlig gleichgültig. Man appelliere nur an alle Menschen in der Welt, den Afrikanern zu helfen, daß sie die Befreiung erreichten. Die Fragen der Journalisten nach vielen Nebensächlichkeiten beweise eine „Trockenheit der Herzen".

Die Frage eines amerikanischen Korrespondenten, wie viele Afrikaner nach Abschluß des Festivals in die Sowjetunion reisen und wie-viel sie dafür pro Tag bezahlen würden, wurde folgendermaßen beantwortet: „Die Sowjetunion und eine Reihe anderer Länder der Volksdemokratien haben uns zu einer Studienreise eingeladen. Wir sind dafür sehr dankbar und würden mit demselben Vergnügen auch nach den Vereinigten Staaten oder anderen westlichen Ländern reisen. Ich darf bei dieser Gelegenheit unseren Dank zum Ausdruck bringen für die Einladung, die vor acht Wochen eine afrikanische Studentendelegation nach Amerika erhalten hat. Diese Reise wurde durchgeführt, und wir danken den amerikanischen Organisatoren recht herzlich dafür. Wer uns einlädt, dessen Einladung nehmen wir an, ganz gleich, von welcher Seite sie auch kommen möge."

Österreich und das Festival

Die völlige Ablehnung des 7. Festivals durch die österreichische Bevölkerung wird nur verständlich, wenn man bedenkt, daß sie nach 1945 ein Jahrzehnt lang die Russen im eigenen Lande erlebt hatte. Die Praxis der russischen Besatzungspolitik hatte die Österreicher gegen jede Form kommunistischer Propaganda immun gemacht. Ein weiterer Immunisierungsfaktor war die ungarische Revolution von 1956, deren Auswirkungen 1959 noch ungebrochen wirksam waren. Bei den vorausgegangenen Festivals in den Metropolen der Ostblockstaaten waren die Veranstaltungen auf eine kommandierte Massenresonanz in der Bevölkerung gestoßen, die in Wien völlig fehlte. Das Festival entwickelte nur in sich selbst „Begeisterung", es tangierte die Wiener nicht.

Im Gegensatz zur negativen politischen Resonanz des Festivals fanden die Tanz-und Kulturveranstaltungen, die zum Teil in propagandistischer Absicht in den Wiener Arbeitervierteln abgehalten wurden, den Beifall der Zuschauer. Das DDR-Ensemble trat beispielsweise auf der Freilichtbühne eines Wohnhofs im III. Wiener Bezirk auf. Die Veranstaltung war von rund 5000 Menschen besucht, die dem unpolitischen Programm reichen Beifall zollten. Das Programm war geschickt auf Wiener Mentalität abgestimmt. Man spielte Schubert, Brahms und österreichische Volksmusik.

Der ablehnenden Haltung der österreichischen Bevölkerung gegenüber dem politischen Festfval entsprach die Reaktion der Wiener Presse. Sie verhängte (mit Ausnahme der kommunistischen Zeitungen) einen totalen und wirksamen Boykott über das Festival und hielt ihn bis zum Ende durch. Dieses Totschweigen des Festivals durch die Presse war mehrfach Gegenstand von Demarchen des sowjetischen Botschafters Lapin bei der österreichischen Bundesregierung, die jedoch unter Hinweis auf die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit jede Intervention ablehnte. Auch die Festivalleitung protestierte auf den Pressekonferenzen wiederholt in scharfen Formulierungen gegen den Boykott. Jean Garcias sprach von einer groben Verletzung der journalistischen Informationspflicht und betonte, die Wiener Presse verletze mit ihrem Boykott die Grundsätze der demokratischen Freiheit. Der Presseboykott hatte zwei Seiten: er hat zweifellos die Popularisierung des Festivals in Wien verhindert, andererseits jedoch auch nicht zur Aufklärung der Hintergründe des Festivals beigetragen.

Die Aktivität der demokratischen Jugend

Die Jugend-und Studentenorganisationen Österreichs waren vom Vorbereitungskomitee eingeladen worden, an den 7. Weltfestspielen teilzunehmen. Mit Ausnahme der kommunistischen „Freien Österreichischen Jugend" lehnten jedoch alle ab. Eine charakteristische Begründung der ablehnenden Haltung gab die „Sozialistische Jugend Österreichs" in einem Offenen Brief an die Vorbereitungskonferenz vom 24. März 1958 in Stockholm. Darin hieß es unter anderem: „Die Sozialistische Jugend Österreichs hat es in der Vergangenheit abgelehnt, an Veranstaltungen des . Weltbundes der demokratischen Jugend'teilzunehmen, weil dieser Weltbund'ein eindeutiges Propagandainstrument der kommunistischen Partei der Sowjetunion ist ... die Sozialistische Jugend Österreichs bekennt sich aber zum internationalen Gespräch der Jugend aller Länder und sie unterstützt alle Bemühungen, die Kriegsgefahr zu bannen. Sie glaubt aber nicht, daß Propagandaveranstaltungen für einen Machtblock geeignete Mittel dafür sind, und glaubt auch nicht, daß es einen Beitrag in dieser Richtung bedeutet, wenn man durch Sport-undVolkskunsttreffen über die wirklichen Probleme hinwegtäuscht. Die Sozialistische Jugend Österreichs bejaht die Notwendigkeit einer internationalen Demonstration der Jugend, die die wirkliche Forderung der jungen Menschen der ganzen Welt mutig ausspricht, und die unter anderem für folgende Parolen eintreten müßte: Friede und Entspannung durch allgemeine, gleichzeitige und vollständige Abrüstung; internationale Kontrolle der Abrüstung, Einstellung der Atombombenversuche in Ost und West; für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und gegen wirtschaftlichen und politischen Kolonialismus; Freiheit für die Völker, die unter faschistischer oder kommunistischer Diktatur schmachten; Solidarität mit dem Freiheitskampf der ungarischen, algerischen und der Jugend aller Länder, die für ihre Unabhängigkeit kämpft; freie politische Betätigung für jeden Menschen und alle demokratischen Parteien; alle Menschen frei von Not und Unterdrückung; Freilassung der politischen Häftlinge, Bildung freier, von Staat und Unternehmer unabhängiger Gewerkschaften, auch in Kolonien und Volksdemokratien, Grenzen auf für alle Zeitungen und Bücher; gegen jede Zensur von Zeitungen, Büchern, Filmen und Radio; Aufhebung von Paß-und Visäzwang in der ganzen Welt; Aufhebung aller gesetzlichen und administrativen Einschränkungen für Jugendreisen; Recht der Jugend in allen Ländern, sich zu demokratischen Jugendbewegungen zusammenzuschließen; berufliche Ausbildung und Arbeit für alle jungen Menschen; Lehr-und Lernfreiheit für die Jugend aller Länder. Diese Forderungen stellen nach unserer Meinung entscheidende Wünsche und die Sehnsucht der Jugend der Erde dar. Die Sozialistische Jugend Österreichs fordert den Vorbereitungskongreß für die 7. Weltjugend-Festspiele auf, sich für die angeführten Parolen auszusprechen und gleichzeitig abzulehnen, daß internationale Treffen der Jugend unter der Kontrolle und Leitung einer Welt-macht stehen. An einer Jugenddemonstration mit diesen Zielen würde sich auch die Sozialistische Jugend mit Begeisterung beteiligen und gerne ihre Kraft der Vorbereitung leihen."

Der Beschluß, am Festival nicht teilzunehmen, wurde von den österreichischen Jugendorganisationen, die im Bundesring zusammengefaßt sind, und der Hochschülerschaft einstimmig gefaßt. Die Aufklärungsaktionen wurden von beiden Verbänden gemeinsam vorbereitet und betrieben. Arbeitsgruppen waren:

1. Die „Arbeitsgemeinschaft Sommerkurs", begründet von Mitgliedern des „Johannesclubs", der Jugend des Malteserordens in Österreich. Er hielt hauptsächlich ideologische Vorbereitungskurse ab, an denen u. a. Prof. G. Wetter beteiligt war. 2. Die Arbeitsgemeinschaft „Junges Leben", bestehend aus Jugendorganisationen, die der österreichischen Volkspartei nahestehen. 3. „Internationales Forum", eine Gründung österreichischer Sozialisten und Gewerkschaftler „zur Förderung von Kontakten zwischen jüngeren ausländischen Besuchern und der Jugend Wiens". Die „Sozialistische Jugend Österreichs" lud sozialistische Jugendfunktionäre aus allen Teilen der Welt für die Zeit des Festivals nach Wien ein. Die „Sozialistische Jugendinternationale" (IUSY) beschloß, parallel zum Festival in Wien ein Treffen sozialistischer Jugend durchzuführen. Von der „österreichischen Jugendbewegung" (OVP-Nachwuchsorganisation) wurden farbige, an europäischen Hochschulen Studierende nach Wien eingeladen. Das „österreichische Bundesjugendforum", eine •Arbeitsgemeinschaft aller mit Jugendfragen befaßten demokratischen Vereinigungen, beschloß im Mai 1959, sich nicht am Festival zu beteiligen, sondern ihren angeschlossenen Verbänden eine Teilnahme an den Maßnahmen der demokratischen Jugendorganisationen zu empfehlen.

Deren Aktivität erstreckte sich hauptsächlich auf farbige Festivalteilnehmer, die nicht der strengen Disziplin der Delegationen aus den kommunistischen Ländern unterworfen waren und sich frei in Wien bewegen konnten. Die Jugendverbände gaben die Zeitung „Wiener Nachrichten" (in sieben Sprachen) heraus, unterhielten eine Ausstellung im Künstlerhaus und zahlreiche Informationskioske. In drei großen Kinos lief ein unentgeltliches Filmprogramm u. a. mit Dokumentarfilmen über die Aufstände in der DDR vom 17. Juni 1953 und in Ungarn vom Oktober 1956, mit „Ninotschka" und " 1984". Als äußerst wirksam erwiesen sich kostenlose Autobusfahrten zum Eisernen Vorhang. Nach Bedarf fuhren ständig Omnibusse zur österreichisch-ungarischen Grenze, die hier, wo die meisten Flüchtlinge den Grenzübertritt versuchten, besonders gesichert und befestigt war. Die Gäste erhielten eine Einführung durch Reisebegleiter, in der erklärt wurde, Österreich sei ein neutrales Land, das Ungarn in keiner Weise bedrohe. Wer einen gültigen Personalausweis besitze, könne nach Österreich einreisen. Gegen dieses friedliche Land, und um die Flucht seiner Bürger zu verhindern, habe Ungarn diese Grenzsperren aufgebaut. Zählungen ergaben, daß rund 10% aller Festivalteilnehmer den Eisernen Vorhang besichtigten. Es handelte sich ausschließlich um Delegierte aus farbigen und westlichen Ländern.

Der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) nahm aus mehreren Gründen am Festival nicht teil: 1. Er war durch die „Seeshaupter Beschlüsse" von 1951, die 1958 nochmals bestätigt wurden, gebunden. Diese Beschlüsse besa17 gen, daß der VDS an keiner Veranstaltung teilnimmt, auf der gleichzeitig die FDJ vertreten ist. 2. Er wollte in Österreich nicht an einer Veranstaltung teilnehmen, die von der Österreichischen Hochschülerschaft boykottiert wurde. 3. Es bestand keine Notwendigkeit, am Festival teilzunehmen, weil die Möglichkeit bestand, von außen auf das Festival einzuwirken. Die etwa 120 Vertreter des VDS wurden in Seminaren für das Festival vorbereitet; sie beteiligten sich an den Maßnahmen der demokratischen Jugend, zogen sich jedoch dann aus einigen Aktionen zurück, weil sie diese für unergiebig hielten. Insgesamt ergab sich für die VDS-Delegation aus den Diskussionen mit Festivalteilnehmern u. a. die Überlegenheit der „westlichen" Argumentation über die „östliche". Der Bundesjugendring beteiligte sich nicht am Festival, weil er die propagandistische Ausnutzung der Teilnahme durch die Kommunisten verhindern wollte. Er entsandte eine Beobachter-Delegation, die zahlreiche Kontakte mit farbigen Delegierten knüpfte.

Die Bilanz des Wiener Festivals

Mit dem Wiener Festival konnten die Kommunisten formal einen Erfolg ihrer Koexistenz-Politik verbuchen. Es gelang ihnen, eine internationale Massenveranstaltung in einer Metropole des „feindlichen Kapitalismus" ohne Störungen durchzuführen. Die farbigen Delegationen konnten unter Kontrolle des Festivalkomitees gehalten werden. Die Seminare wurden von Kommunisten oder pro-kommunistischen Teilnehmern so gesteuert, daß das Übergewicht der kommunistischen Argumentation erhalten blieb. Geichzeitig wurden jedoch in Wien die Grenzen einer auf Unehrlichkeit beruhenden Massenpolitik sichtbar. Es gelang den Veranstaltern nicht, die Basis der bereits erfaßten und sympathisierenden Kräfte zu verbreitern. Die innenpolitische Position der österreichischen Kommunisten wurde nicht gestärkt, eine Propagandaeffekt in der Wiener Bevölkerung wurde nicht erzielt.

Auf dem ideologischen Sektor waren die Stalinisten in Wien eindeutig in der Defensive. Sie versuchten Grundsatzdiskussionen möglichst zu verhindern und die Ostblockdelegationen gegen offene Gespräche abzuschirmen. Mit Ausnahme der Jugoslawen und Polen traten die Kommunisten in geschlossenen Formationen auf, die strengen Sicherheitsbestimmungen unterlagen. Der allgemeine Eindruck war, daß selbst geschulte Stalinisten sich auf geistige Auseinandersetungen nur ungern einließen und sie, wenn irgend möglich, zu vermeiden suchten.

Der 1959 noch nicht beendete Unabhängigkeitskampf des algerischen Volkes bildete ein politisches und propagandistisches Leitmotiv des Wiener Festivals. Das Thema „Algier" war das wirksamste, vom Westen selbst gelieferte Argument, das die Kommunisten den Farbigen anzubieten hatten. Das Festival bestätigte einmal mehr, daß der Krieg in Algier die Beziehungen zwischen den westlichen Staaten und den farbigen Völkern aufs empfindlichste belastete. Die Jugend der lateinamerikanischen Staaten war mit starken Delegationen vertreten, die ausführlich über die schwierige wirtschaftliche, soziale und politische Lage in ihren Heimatländern berichteten und sich übereinstimmend gegen den „USA-Imperialismus" wandten. Während afrikanische Delegierte offen amerikanische Wirtschaftshilfe forderten, protestierten südamerikanische Teilnehmer gegen die Unterstützung der USA als einer „neuen Form des USA-Imperialismus", der sein Kapital exportiere, um sich die Völker Südamerikas wirtschaftlich und politisch zu unterwerfen. Bei diesen lateinamerikanischen Delegationen hatten die Kommunisten propagandistisch leichtes Spiel.

Andererseits ergaben sich in Wien Anzeichen dafür, daß ein Prozeß der Desillusionierung über den wahren Charakter und die eigentlichen Ziele der kommunistischen Weltjugendbewegung begonnen hatte, der in den einzelnen Entwicklungsländern verschieden weit gediehen war. Der Stalinismus begann sich bei der intellektuellen Elite der farbigen Jugend als eine imperiale, reaktionäre und aggressive Macht zu entlarven. Die Unterdrükkung der ungarischen Revolution zeitigte auf dem 7. Festival ihre Auswirkungen. Auch die Intervention der chinesischen Armee in Tibet förderte die Aufklärung über die kommunistische Politik vor allem in Indien und Südostasien. Delegierte aus Burma und Indien berichteten, daß sich in ihren Ländern die öffentliche Meinung — vor allem die der Jugend — wandele. Die idelle Gemeinschaft der farbigen Völker, die noch auf der Konferenz von Bandung bestanden habe, sei im Zerfall begriffen.

Quer durch Asien formierten sich zwei neue Fronten, die durch „Kommunismus" und „Antikommunismus" charakterisiert seien. Ähnlich äußerten sich Delegierte aus den arabischen Ländern. Als Reaktion auf eine Kontroverse zwischen Chruschtschow und Nasser hatten die ägyptischen Jugendverbände ihre Teilnahme am 7. Festival abgesagt.

Von besonderer Anziehungskraft für die farbigen Delegationen waren die Festival-Teilnehmer aus Polen und Jugoslawien. Die polnische Jugend strahlte in Wien noch den Geist des Warschauer Oktober von 1956 aus.

Das 8. Festival in Helsinki

Die 8. Weltjugendfestspiele fanden vom 28. Juli bis zum 6. August 1962 in Helsinki statt. Zur ersten vorbereitenden Konferenz im September 1960 in Stockholm war der finnische Studentenverband SYL nicht eingeladen worden. Dieser teilte daraufhin der Konferenz des „Ständigen Ausschusses des internationalen Vorbereitenden Festivalkomitees" mit, falls das nächste Festival in Helsinki stattfinden sollte, werde SYL sich weder an der Organisation noch an den Vorbereitungen beteiligen. Als später eine Delegation des „Vorbereitenden Komitees" in Helsinki erschien, um die Voraussetzungen für das Festival zu prüfen, forderte außer SYL auch die Zentralorganisation der finnischen Jugend SNE dazu auf, das Festival in einem anderen Land abzuhalten. Dennoch wurde vom „Vorbereitenden Komitee" im Februar 1961 beschlossen, daß die Weltjugendfestspiele 1962 in Helsinki stattfinden sollten.

Die Haltung der finnischen Jugend war um so höher einzuschätzen, als Finnland im Herbst 1961 das Opfer einer massiven sowjetischen Pression wurde, die in der unverhüllten Drohung einer militärischen Intervention gipfelte. Die Aktion der Sowjets richtete sich u. a. gegen die Wahl des von der Sozialdemokratie als Kandidaten aufgestellten ehemaligen Justizkanzlers Honka zum neuen Präsidenten der finnischen Republik. Unter dem ultimativen Druck Moskaus trat Honka von der Kandidatur zurück. Damit war der Weg zur Wiederwahl des den Russen genehmen Kekkonen frei geworden. Mit dieser Intervention hatte die Sowjetregierung sich eine Einflußnahme auf die finnische Innenpolitik verschafft, die sich auch bei der Vorbereitung des Festivals bemerkbar machte. Nach einer Sitzung, an der Ministerpräsident Miettunen, Außenminister Karjalainen, Innenminister Luukka und der Unterrichtsminister Heikki Hosia teilnahmen, deren Beratungen jedoch geheimgehalten wurden, erklärte der finnische Regierungschef: „Es ist nicht vereinbar mit der allgemeinen Praxis und auch nicht mit unserer Neutralität, zu versuchen, aus politischen Gründen den Organisatoren des Festivals Schwierigkeiten zu machen ... Unsere Interessen fordern, daß das Festival ruhig und reibungslos vor sich geht... Ich möchte mit Schärfe unterstreichen, daß alle Versuche, Unruhe und Störungen im Zusammenhang mit dem Festival hervorzurufen, unbedingt verhindert werden. Die Behörden werden Vorsorge treffen, daß die Ordnung aufrechterhalten wird ..."

Die Reaktion der finnischen Presse auf diese Erklärung war überwiegend negativ. „Das wenigste, was man tun kann", schrieb die sozialdemokratische Zeitung „Kansan Lehti" (Tampere), „ist, sich kategorisch zu weigern, an der kommunistischen Propaganda mitzuwirken . . . Die Einstellung der demokratischen Jugend zu diesem , Pestival'war klar und ohne Um-schweife: sie wünschte nicht an seiner Vorbereitung teilzunehmen, auch wenn sie die Organisatoren nicht stören wird. Das sollte auch der Regierung des Landes genügen."

Charakteristisch für die ablehnende Haltung der finnischen Jugend war der Kommentar Eero Piimies’, des Vertreters der „Akademischen Sozialdemokratischen Vereinigung", in einer Diskussion zum Thema „Die Studenten und das Festival": „Wenn man uns gefragt haben würde, ob wir das Festival unterstützen, so würden wir eine motivierte Antwort gegeben haben: Wir unterstützen den Frieden, aber nicht wie die Kommunisten. Wir widersetzen uns dem Krieg, aber nicht wie die Kommunisten ausschließlich imperialistischen Kriegen, sondern auch antikolonialistischen Kriegen, antimilitaristischen Kriegen und Bürgerkriegen. Wir unterstützen Gleichberechtigung, aber nur, wenn der eine nicht gleichberechtigter ist als der andere . . . Widersetzen wir uns dem Festival? Die Sozialdemokratie ist eine internationale Bewegung. Der Widerstand gegen den internationalen Kommunismus bildet einen Teil unserer Gesamttätigkeit. Wir wollen uns nicht unterordnen, um kommunistische Themen, kommunistische Methoden und ihr Ziel: die kommunistische Diktatur, zu unterstützen."

Wiederum, wie schon in Wien, gehörte der französische KP-Funktionär Jean Garcias zu den Akteuren des „Internationalen Vorbereitenden Komitees". Von den 157 Personen, die an einer oder mehreren Tagungen des IVK teilnahmen, waren 117 Funktionäre oder Mitarbeiter kommunistischer oder Front Parteien -organisationen, unter ihnen 29 des WBDJ und 7 des ISB. 45 hatten sich bereits an der Vorbereitung früherer Festivals oder anderen Massenveranstaltungen des WBDJ und des ISB beteiligt. Zur Führungsgruppe des IVK gehörten u. a.: der schwedische Kommunist O. I. Andersson, Vorsitzender des Redaktionskollegiums der IVK-Zeitschrift „Festivaali", die in 1 285 000 Exemplaren kostenlos verteilt wurde; Ritva Arvelo, Mitglied der finnischen KP; Bedrich Baroch, Vertreter des tschechischen kommunistischen Jugendverbandes im Sekretariat des WBDJ; die spanische Kommunistin Maria Theresa Cabello, Mitarbeiterin im Generalsekretariat des WBDJ; L. K. Dramaljew, Sohn des bulgarischen Botschafters in der DDR, Mitglied des ISB-Sekretariats, der bereits beim Wiener Festival mitgearbeitet hatte; Christian Echard, langjähriger Funktionär der Kommunistischen Jugend Frankreichs und Generalsekretär des WBDJ seit 1957; Thomas Michael Jala, ehemals Funktionär der kommunistischen Jugend Kanadas; Boris I. Konowalow, Vertreter des Studentenrates im Komitee der Jugendorganisationen der UdSSR; Jiri Pelikan, seit 1948 Präsident der Zentralunion der tschechoslowakischen Studenten, Präsident des ISB von 1953 bis 1963, an der Vorbereitung des Wiener Festivals aktiv beteiligt; Dr. Djayeng Suroso, Leiter des indonesischen Kommunistischen Jugendverbandes; Wladislaw G. Shewshenko, langjähriger aktiver Mitarbeiter im Komitee der sowjetischen Jugendorganisationen, tätig gewesen bei der Vorbereitung der 5., 6. und 7. Weltfestspiele; Piero Pieralli, Funktionär des italienischen Kommunistischen Jugendverbandes, seit August 1959 Präsident des WBDJ und damit Nachfolger von Bruno Bernini.

Nach offiziellen Angaben erschienen zum 8. Festival 13 309 Teilnehmer, darunter 3488 aus den Ostblockstaaten, 5800 aus dem nichtkommunistischen Europa (einschließlich 1600 Teilnehmer aus Finnland), 995 aus Afrika, 1209 aus Asien, 1171 aus Lateinamerika und 646 aus den USA, Kanada, Australien, Israel und Neuseeland. Ingesamt stellten die Delegationen aus den Entwicklungsländern rund 25 % der Teilnehmer. Ähnlich wie in Österreich verhielt sich die Bevölkerung auch in Finnland gegenüber den Weltfestspielen zurückhaltend bis ablehnend. Nach Auffassung der meisten Finnen diskreditierte das Festival die Neutralität ihres Landes. Man verübelte den Veranstaltern, daß sie die Haltung der Jugend-und Studentenorganisationen sowie der überwiegenden Mehrheit der Bürger Finnlands mißachtet hatten. Das Festival war unerwünscht, und seine Teilnehmer waren unerwünschte Gäste. Dazu schrieb die „New York Times" am 1. 8. 1962: „Daß das kommunistisch beeinflußte und gelenkte Propaganda-Treffen in Helsinki stattfindet, ist nur deshalb möglich, weil die finnische Regierung nicht das sowjetische Mißfallen zu erregen wagt, das im Falle einer Ablehnung hervorgerufen worden wäre. Vor drei Jahren zwang die sowjetische Regierung die österreichische Regierung, das Jugendfestival in Wien stattfinden zu lassen. Dieselbe Methode wurde jetzt in Finnland wiederholt. Diese beiden Beispiele verraten eine eigentümliche Moskauer Interpretation der österreichischen und finnischen Neutralität."

Da die finnische Regierung im Gegensatz zur österreichischen von Moskau abhängig war, blieb es unvermeidlich, daß die sich in höherem Maße zugunsten des Festivals engagierte. Ministerpräsident Karjalainen nahm an der Eröffnungsfeier im Stadion von Helsinki teil. Der finnische Eriehungsminister, Frau Armi Hosia, hielt eine ähnlich distanzierende Begrüßungsansprache wie der Wiener Vizebürgermeister Slavik zu Beginn des 7. Festivals. Sie wurde in der kommunistischen Berichterstattung zwar erwähnt, aber nicht zitiert.

Am Abend des 28. Juli 1962 kam es in Helsinki spontan zu Anti-Festival-Demonstrationen der finnischen Jugend, die sich am 29. und 30. Juli wiederholten. Die Regierung, zum Wohlverhalten gegenüber dem Festival gezwungen, setzte starke Polizeikräfte ein, denen die Demonstranten schwere Straßenschlachten lieferten. Am 2. August besuchte der finnische Staatspräsident Kekkonen das Galakonzert der ungarischen Delegation in Begleitung des Reichstagspräsidenten Kleemola, des Ministerpräsidenten Karjalainen und des Außenministers Merikoski. Er begründete sein Verhalten in einer Erklärung: „Infolge der in unserem Lande bestehenden unterschiedlichen Auffassungen über das Festival hatte ich beschlossen, an den Veranstaltungen nicht teilzunehmen. Infolge der Zwischenfälle und Gewalttaten, die während des Festivals in Helsinki stattgefunden haben, halte ich es jedoch für notwendig, das ungarische Konzert ... zu besuchen und auf diese Weise mein Bedauern über das für das finnische Volk beschämende Verhalten unverantwortlicher Kreise der Jugend in der Hauptstadt auszudrücken." Die Kommunisten behaupteten, die Demonstrationen seien von „internationalen Drahtziehern des Antikommunismus" organisiert worden; sie diffamierten die Demonstranten kurzerhand als „Faschisten". Der in Helsinki anwesende sowjetische Lyriker Jewgenij Jewtuschenko schrieb ein Gedicht „Rotznäsiger Faschismus", in dem es u. a. hieß: „Der Faschismus brüllte: /In betrunkenem Gewinsel /grölten die Burschen, spazierend und soffen. /Der Faschismus sog seinen Mut aus Pullen, /der Faschismus schmatzte am chewing-gum, /schleuderte /Flaschen /in Festivalbusse, /Steine unter Pfeifen und Tam-Tam, /der Faschismus war feige und frech in der Herde, /war rotznäsig, picklig /mit hellem Haar, /er wollte vor Haß /die Wände /bekleckern /und barg tote Ratten unterm Talar.

Die Moskauer „Komsomolskaja Prawda" nannte am 31. 7. 1962 die Demonstranten „durch Frühgeburt in die Welt gesetzte Trottel mit dem stumpfsinnigen Blick geborener Kretins ... Hohlköpfe, Söldner, die nach fremder Stimme und für fremde Gelder singen". Diese Beschimpfungen richteten sich gegen finnische Jugendliche, die lediglich von ihrem verfassungsmäßig garantierten Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht hatten.

Vermehrte Spannungen im Festival

Der äußere Ablauf des 8. Festivals entsprach dem der 7. Weltfestspiele: er verlief nach dem gleichen Schema. Wiederum fanden zahlreiche Kulturveranstaltungen statt, auf denen Berufs-orchester und Berufstanzgruppen aus dem Ostblock die angebliche „Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus" zu demonstrieren suchten. Dieser Zielsetzung diente auch das Auftreten des sowjetischen Kosmonauten Gagarin. Für die sogenannten „Estra21 denprogramme" hatten die Veranstalter in fünf öffentlichen Parks Tribünen errichtet, auf denen nachmittags und abends Kultur-programme verschiedener Delegationen gezeigt wurden. Wie schon beim Wiener Festival wiederholten die Kommunisten auch in Helsinki den Versuch, die Referate und Diskussionen in den Seminaren durch straffe Regie zu steuern. Den Kern des Studenten-programms bildeten Seminare zu folgenden fünf Themen: die Demokratisierung des Bildungswesens und seine Anpassung an die Bedürfnisse der Epoche; die Probleme des Friedens und der nationalen Unabhängigkeit; die Probleme der Planung in den verschiedenen Gesellschaftssystemen; die sozialen und politischen Probleme der Studentenbewegung; die Rolle der Studenten im Kampf für die nationale Unabhängigkeit und die Lösung der politischen, ökonomischen und sozialen Probleme der kolonialen und unterentwikkelten Länder. '

Für diese Seminare war eine Schule als „Internationaler Studentenklub" eingerichtet worden. Eintrittskarten, ohne die eine Teilnahme nicht möglich war, wurden ausschließlich. von den nationalen Festivalsdelegationen ausgegeben. Zwei Drittel der Teilnehmer bestanden aus Afrikanern und Asiaten; auch die Südamerikaner stellten eine starke Gruppe. Die Kommunisten hielten sich im Vergleich zum Wiener Festival deutlich zurück, mit Ausnahme der DDR-Vertreter. Die schärfsten Angriffe auf den „Kapitalismus" und „Imperialismus" kamen von den Delegierten der ehemals kolonialen Völker. Am Seminar über die Demokratisierung des Bildungswesens nahmen die Vorsitzende des Erziehungsausschusses des finnischen Parlaments, Frau Tiekso, und der sowjetzonale Erziehungsminister Lemnitz teil. In relativ sachlicher Atmosphäre schilderten die Referenten das Erziehungswesen ihrer Länder. Als Beobachter des Festivals waren der Leiter des UN-Büros in Kopenhagen, Hugh Williams, und der Direktor des Jugend-institutsder UNESCO, Pierre Francois, u. a. bei dem zweitägigem Kolloquium über Probleme der Erhaltung des Friedens und der nationalen Unabhängigkeit anwesend. Francois sprach in der Diskussion. Im Seminar über die Lösung der gesellschaftlichen Probleme der kolonialen und unterentwickelten Länder brachte der holländische Okonomiestudent W. Beukers einen Antrag ein, in dem es u. a. hieß: „Während dieses Seminars ist der Begriff . Kolonialismus" nur im Zusammenhang mit den Westmächten gebraucht worden. Wir schlagen Ihnen vor, auch einer anderen Form des Kolonialismus Aufmerksamkeit zu schenken, die bisher noch nicht angesprochen wurde. Nach dem russischen Lexikon ist Kolonialismus die Besetzung eines Landes oder Gebietes durch Imperialisten, verbunden mit der Unterwerfung, brutalen Ausbeutung und manchmal auch mit der Vernichtung der eingeborenen Bevölkerung". Wir glauben, daß dies Dinge sind, die genau dem entsprechen, was sich unter der Sowjetherrschaft zugetragen hat und noch zuträgt." Beukers zählte dann eine Liste imperialistischer Aggressionen seitens der Sowjetunion auf, die mit dem Jahre 1920 begann und mit der Intervention gegen die ungarische Revolution vom Herbst 1956 endete. Wie zu erwarten war, wurde der Antrag Beukers abgelehnt.

Im gleichen Seminar erklärte ein Russe, die sowjetische Armee habe 1956 in Ungarn nur eingegriffen, weil dort „der Faschismus sein Haupt erhoben hatte". Ein USA-Delegierter trat ans Mikrophon und antwortete: „Es gibt eine UN-Resolution über Ungarn. Sie besagt, daß dort eine von Studenten geführte Revolution stattfand. Es ist nicht faschistisch, dies zu erwähnen. Mogi Slim aus Tunesien hat den Bericht, der die Aktion verurteilte, unterschrieben. Ist er ein Faschist? Pandit Nehru verurteilte sie. Ist er ein Faschist?" Ähnliche Einwände wurden auch von zahlreichen nichtkommunistischen farbigen Delegierten vorgebracht. Als die Kommunisten ihre Regie verschärften, drohte eine Delegierten-gruppe aus Senegal mit der Abreise und zwang auf diese Weise die Festival-Leitung zum Nachgeben. Theophilous Ikonkwo, ein nigerianischer Delegierter, erklärte nach seiner Rückkehr in die Heimat, die Freiheit sei mißachtet worden; das Festival diene nur dann einem konstruktiven Zweck, wenn die Jugend aus der UdSSR und den anderen Ostblockstaaten dieselbe Freiheit genießen könne wie die Jugend aus den westlichen Ländern.

Zu einem offenen Bruch kam es aus den gleichen Gründen zwischen der Festival-Leitung und dem nichtkommunistischen Teil der Delegation aus Ceylon. Unter den 44 Personen, die Helsinki unter Protest verließen, befand sich der von der ceylonesischen Regierung eingesetzte Delegationsleiter Hema Dabare. In einer öffentlichen Erklärung begründete er den Austritt wie folgt: „Wir sind zum Festival gekommen als Vertreter eines Landes, das eine Politik der positiven Neutralität verfolgt und das weder von der einen noch von der anderen

Seite in den Kalten Krieg gezogen zu werden wünscht. . . Aber seit unserer Ankunft verfolgt uns das ständig zunehmende Gefühl, daß wir hier systematisch für die Politik des Kalten Krieges mißbraucht werden. Die offiziellen Führer unserer Delegation wurden mißachtet, und das Festivalkomitee arbeitete nur mit den kommunistischen Führern in unserer Delegation zusammen. Die Kommunisten traten als die Sprecher für Ceylon auf, sie attackierten und beschimpften die eigene Regierung in vielen Punkten . . . Unter diesen Umständen bleibt uns nur die Möglichkeit, das Festival zu verlassen, unseren Protest zu erklären und die Aufmerksamkeit der Welt auf die Art und Weise zu richten, wie die Organisatoren des Festivals den berechtigten Wunsch der Jugend nach Frieden und Freundschaft ausnützen, um die kommunistische Politik voranzutreiben. . ."

Drei deutsche Festivaldelegationen

Die linksradikale Jugend aus beiden Teilen Deutschlands war in Helsinki mit drei formal selbständigen, de facto kommunistisch geführten Delegationen vertreten. Im Gegensatz zum Wiener Festival hatten die Stalinisten eine gesonderte Teilnehmergruppe aus West-Berlin aufgeboten. Diese Gliederung stimmte mit den Maximen der kommunistischen Deutschland-politik überein, die seit dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows vom November 1958 West-Berlin als „besonderes Gebilde auf dem Territorium der DDR" interpretiert.

Den Tenor des politischen Auftrages der drei deutschen Delegationen formulierte Walter Ulbricht in einem Telegramm an die Festivalleitung folgendermaßen: „Heute betreibt die Regierung der westdeutschen Bundesrepublik, in der die gleichen Kräfte den Ton angeben, die für die vergangenen Kriege die Verantwortung tragen, eine noch gefährlichere Politik der Kriegsvorbereitung und des Revanchismus. Damit setzen sich die westdeutschen Ultras in Widerspruch zu den Lebensinteressen der Völker. In ihren Plänen spielt der NATO-Stützpunkt West-Berlin mitten auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik eine besondere Rolle, die gegen die Deutsche Demokratische Republik und andere friedliebende Staaten gerichtet ist. Deshalb ist der Abschluß eines deutschen Friedensvertrages und die Umwandlung Westberlins in eine entmilitarisierte Freie Stadt die vordringlichste Aufgabe."

Ulbrichts Forderungen fanden sich auch in einer Erklärung der Westberliner Delegation, die West-Berlin als einen „Vorposten der westlichen Allianz" bezeichnete, dessen Senat durch seine aggressive Politik „die Welt an den Rand des Krieges" führe. Die Erklärung schloß: „Die Lage in Berlin war während keinem vorangegangenen Festival so ernst wie heute. Deshalb betrachten wir es als unsere Aufgabe, hier in Helsinki unsere Situation der Jugend aus allen Ländern darzulegen — dies, um mit ihrer solidarischen Hilfe unser zentrales Ziel erreichen zu können: West-Berlin als freie, neutrale Stadt."

Die Westberliner Reisegruppe war von der in West-Berlin wohnenden, aber an der Ostberliner Humboldt-Universität als wissenschaftliche Assistentin tätigen FDJ-Funktionä-B rin Eva Hausotter organisiert worden. Von den 79 Teilnehmern gehörten 45 der FDJ an. Leiter der Reisegruppe war der Westberliner Ingenieur Wilhelm Friedrich Thiel. Als Betreuer in Helsinki fungierte der Ostberliner FDJ-Funktionär Rudert. Am 1. 8. 1962 veranstaltete die Westberliner Gruppe mit der sowjetzonalen FDJ-Delegation an Bord des Schiffes „Völkerfreundschaft" ein Freundschaftstreffen. Dabei erklärte Horst Schumann, 1. Sekretär der FDJ und Leiter der FDJ-Delegation, die DDR vertraue darauf, daß sich in West-Berlin Kräfte finden würden, diesen „Pfahl im Fleische der DDR" zu liquidieren. Dabei müsse die Westberliner Jugend eine fortschrittliche Rolle spielen.

Ursprünglich hatte die FDJ geplant, zwei große Passagierschiffe, die „Völkerfreundschaft" und die „Fritz Hecker", mit Delegierten nach Helsinki zu entsenden. Unter den Kulturensembles sollte auch der Dresdener Kreuz-chor auftreten. Das hatte die „Berliner Zeitung" noch am 9. 3. 1962 berichtet. Beim Festival erschien jedoch nur die „Völkerfreundschaft" mit 550 Delegierten ohne den Kreuz-chor. Offensichtlich waren den verantwortlichen FDJ-Funktionären Bedenken gekommen, sie könnten eine Delegation von mehr als 1000 Mitgliedern nicht mehr unter Kontrolle halten. Ein Jahr vor dem Helsinki-Festival, im August 1961, war die Berliner Mauer errichtet worden. Die Teilnahme an den 8. Weltfestspielen bot den FDJ-Delegierten eine Chance zur Flucht in den Westen, der die Leitung mit präventiven Maßnahmen vorzubeugen suchte. Wiederum, wie schon in Wien, war die FDJ-Delegation von einem starken Kommando des Staatssicherheitsdienstes begleitet. Wie ein in Helsinki geflüchteter Steward der „Völkerfreundschaft" berichtete, wurden in Rostock vor der Ausfahrt des Schiffes 32 von den 220 Besatzungsmitgliedern wegen politischer Unzuverlässigkeit ausgetauscht. Den Festival-delegierten wurden die Personalausweise abgenommen. Ferner wurde bekanntgegeben, jeder Flüchtling werde von der finnischen Regierung ausgeliefert. In Helsinki wurde die „Völkerfreundschaft" an einem abgelegenen Kai vertäut und von Angehörigen des SSD abgeschirmt. Dennoch gelang einer Reihe von Delegierten die Flucht, von denen acht in Bonn vor der Presse über ihre Erfahrungen berichteten.

Zu einem dramatischen Zwischenfall kam es am 30. 7. 1962 nach einem Sibelius-Konzert im Kulturhaus Helsinki, als Gisela Dittmann, Medizinstudentin und Sopranistin des Leipziger „Louis-Fürnberg-Ensembles", zu flüchten versuchte. Sie wurde von FDJ-Funktionären aus einem Taxi gezerrt und mit Gewalt auf die „Völkerfreundschaft" zurückgebracht. Der Generalkonsul der Bundesrepublik in Helsinki, Dr. Böx, unterrichtete das finnische Außenministerium von dem Menschenraub. Als Ergebnis ihrer Untersuchungen teilte die finnische Polizei mit, Gisela Dittmann sei am 31. 7. 1962 von dem 27jährigen Günther Schmidt und dem 26jährigen Helmut Egon Oertel in einem Motorboot an Bord des im Hafen von Kotka liegenden sowjetzonalen Motorschiffes „Rerik" gebracht worden, das inzwischen ausgelaufen war. Zunächst bestritten die Kommunisten diese Entführung. Als sie sich jedoch nicht mehr geheimhalten ließ, erklärte der SED-Anwalt Prof. Kaul als juristischer Berater der FDJ-Delegation, man habe das Mädchen lediglich „zur Erfüllung seiner Pflichten gegenüber dem Kollektiv angehalten. Wenn ich etwas damit zu tun gehabt hätte, wäre ich genauso wie ein Blitz unter die Ferkel gefahren". Gisela Dittmann war in Helsinki von ihrem in Westdeutschland lebenden Verlobten Dietrich Dickow erwartet worden, der nach dem Mißlingen der Flucht einen Nervenzusammenbruch erlitt. Die Tragödie der Verlobten erregte die Weltöffentlichkeit. Daraufhin veröffentlichte das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" am 17. 8. 1962 eine Gegendarstellung, die den Verlobten als „Kidnapper" bezeichnete, und das Faksimile eines Briefes von Gisela Dittmann, in dem es u. a. hieß: „Ich bin glücklich, daß mir die Mitglieder des Chores behilflich waren, mich aus der entstandenen Lage zu befreien. ..."

In den Seminaren trat als Hauptsprecher gegen die Bundesrepublik Gerald Götting auf, Generalsekretär der sowjetzonalen CDU und Stell-vertretender Vorsitzender des Staatsrats der DDR. Den Rahmen für seinen Auftritt bildete das Studentenseminar über „Soziale und politische Probleme" der Studentenbewegung. Sein Referat über „Die nationalen Probleme Deutschlands", das mit dieser Thematik nichts gemein hatte, wurde dennoch von der Festival-leitung zur Unzufriedenheit zahlreicher Zuhörer diktatorisch auf die Tagesordnung gesetzt.

Die Festivaldelegation aus der Bundesrepublik, die sich aus taktischen Gründen „Reisegruppe" nannte (um nicht in den Verdacht zu geraten, Nachfolge-bzw. Ersatzorganisation der in Westdeutschland verbotenen FDJ zu sein), umfaßte nach eigener offizieller Verlautbarung 717 Personen. Bei der Vorbereitung der Reise war Helmut Rödl, ehemaliger FDJ-Funktionär, wie schon beim Wiener Festival führend beteiligt. Rödl, Mochalski und Weismantel hatten am 24. 2. 1962 in Frankfurt/Main als deutsche Mitglieder des Internationalen Vorbereitungskomitees eine Arbeitstagung veranstaltet. Danach wurde ein von 82 Persönlichkeiten aus Westdeutschland und West-Berlin unterzeichneter „Aufruf an die Jugend der Bundesrepublik" zur Teilnahme an den Weltfestspielen in Helsinki veröffentlicht. „Neutraler Abreiseort" (Rödl) für die westdeutsche Reisegruppe war Ost-Berlin. Die technischen Reisevorbereitungen oblagen dem Reisebüro DER am Ostberliner Bahnhof Friedrichstraße. Vor der Abfahrt vom Ostberliner Schlesischen Bahnhof hielt neben anderen der ehemalige FDJ-Funktionär Karl Heinz Schröder eine Ansprache. Er war bereits an der Vorbereitung des Wiener Festivals beteiligt gewesen und gehört zu den westdeutschen Organisatoren des Sofia-Festivals. Als Betreuer fungierten in Helsinki Funktionäre des „Ständigen Komitees der Arbeiterjugend beider deutscher Staaten" und der Jugendkommission des SED-Zentralkomitees. Zuständig für die Sicherheitsmaßnahmen war der ehemalige Hamburger FDJ-Funktionär Hermann Mädler, der in gleicher Funktion schon beim Wiener Festival tätig gewesen war. Beim Einmarsch zur Eröffnungskundgebung im Stadion zu Helsinki trug Elvira Ledwohn, Tochter des bekannten KPD-Funktionärs, die Fahne der Delegation. Mitglieder der westdeutschen Reisegruppe waren an 81 „Freundschaftstreffen" beteiligt, auf denen sie die Thesen der kommunistischen Deutschlandpolitik vertraten. Im Gegensatz zum Wiener Festival war der Liberale Studentenbund Deutschlands (LSD) in der westdeutschen Festivaldelegation nicht mehr vertreten. Sein Ostreferent, Dieter Koniecki, der schon an den Weltfestspielen in Moskau (1957) und Wien teilgenommen hatte, ein entschiedener Fürsprecher der Beteiligung am Festival, war inzwischen von der tschechoslowakischen Geheimpolizei in der DDR verhaftet und in einem Geheimprozeß zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt worden. Daraufhin hatte der LSD eine Beteiligung am Helsinki-Festival abgelehnt.

Die demokratische Jugend in Helsinki

Im Gegensatz zu den 7. Weltfestspielen wareni Maßnahmen der demokratischen Jugend wegen des sowjetischen Drucks auf die finnische Regierung im gleichen Umfang wie in Wien nicht möglich. Jedoch wurden Ausstellungen, Seminare und Vorträge veranstaltett mit dem Ziel, den Festivalteilnehmern zusätzliche und objektive Informationsmöglichkeiteni zu bieten. Nach dem Wiener Festival hatteni die demokratischen Jugendorganisationen derr freien Welt, darunter die Jugend-und Studentenorganisationen der Bundesrepublik, ihre 3 distanzierte Haltung beibehalten und eine Teilnahme an den 8. Weltfestspielen abgelehnt. Dagegen entschlossen sich einige Ju1 mit eigenen Veranstaltungen in Helsinki aufzutreten. Am 28. 7. 1962 meldete Radio Moskau: „Eine amerikanische Jugendausstellung wird in der finnischen Hauptstadt zur selben Zeit gezeigt, wie das Festival. Sie besteht aus einer großzügigen Kollektion abstrakter Malereien und Skulpturen aus New Yorker Museen, vielen Fotos, Literatur, Schallplatten und vor allem aus fünf Jazzbands. Wir wissen nicht, wie sich dieses amerikanische Programm auswirken wird, aber sein Erscheinen in Helsinki ist kein Zufall. Offensichtlich hat sie den Zweck, das Interesse der jungen Menschen vom Festival abzulenken." Diese Ausstellung „Young America Presents" war wirksam, wenn sie auch für die Mehrzahl der Festivalteilnehmer zu anspruchsvoll angelegt war. Vor allem den auf sozialistischen Realismus dressierten Ostblockdelegierten fehlte (mit Ausnahme der Polen) meistens das Verständnis für moderne abstrakte Kunst.

Als Musterbeispiel einer erfolgreichen Veranstaltung kann die Ausstellung des schweizerischen Komitees „Wahret die Freiheit" gelten, die von rund 2000 Festivaldelegierten besucht wurde, obwohl die Delegationsleiter auf Anweisung des Festivalkomitees schon am zweiten Tag der Weltfestspiele den Besuch untersagten. Die Schweizer verstanden das Festival, wie es in ihrem Erfahrungsbericht heißt, als „gefährliche Vorstufe zur unverhüllten Indoktrinierung" und als „Rekrutierungsbasis für den Kadernachwuchs" des Kommunismus; Sie charakterisierten die Haltung der farbigen Delegierten als „offenen Neutralismus, worunter die Offenheit gegenüber allen Veranstaltungen aus dem Osten und dem Westen zu verstehen ist". Ziel der Ausstellung war, „aufzuklären über die bewährten Formen menschlichen Zusammenlebens verschiedener sprachlicher und rassischer Gruppen am Beispiel der Schweiz. .. . Grundsätze zur Diskussion zu stellen, die unserer Ansicht nach in jeder anderen Ordnung mitenthalten sein müssen, sofern sie gewillt ist, die grundlegenden Menschenrechte zu respektieren." Man verzichtete bewußt darauf, „aus der Frontstellung Kommunismus — freier Westen zu operieren".

Die Ausstellung setzte sich aus drei Teilen zusammen, deren erster das Staatswesen behandelte, ausgehend vom einzelnen und nicht vom Kollektiv, als Gegenthese zur totalitären Auffassung. Der zweite Teil zeigte die Schweiz als Völkergemeinschaft, der dritte die Wirtschafts-und Sozialstruktur. Erklärende Texte waren in englischer, spanischer und französischer Sprache angebracht. Um auch jene Festivalbesucher anzusprechen, die nicht in der Lage waren, die Ausstellung zu besuchen, wurde eine ihren Inhalt wiedergebende Broschüre im Taschenbuch-Format in 10 000 Exemplaren in Helsinki verteilt. Gesucht wurde in erster Linie das Kontaktgespräch mit Jugendlichen aus den Entwicklungsländern. Das Verbot der Festivalleitung, die Ausstellung zu besuchen, rief bei zahlreichen Delegierten eine gegenteilige Wirkung hervor. Das Schweizer Zentrum wurde, wie das Aktionskomitee „Wahret die Freiheit" in seinem Abschlußbericht feststellte, „zu einem Kristallisationspunkt unabhängiger Geister". Zu diesem Erfolg trug die Festival-Leitung selbst bei, denn „die Kommunisten unterschätzten offensichtlich die Eigenwilligkeit der Neutralisten."

Erfolgreich war auch die Tätigkeit einer 40 Teilnehmer zählenden Informationsgruppe der „Sozialistischen Jugendinternationale" (IUSY), die unter der Leitung des Norwegers Peer Aasen mit zahlreichen Delegierten, besonders aus Afrika und Asien, ins Gespräch kam. Es gelang, rund 270 Festivaldelegierte aus den Entwicklungsländern zu Studienreisen in die Bundesrepublik und nach Skandinavien einzuladen, unter ihnen Studenten der Moskauer Lumumba-Universität. Auch holländische und skandinavische Jugendgruppen waren mit Erfolg um Kontakte mit Festivalbesuchern bemüht.

Das 9. Festival scheiterte in Algier und Accra

Laut Beschluß des „Initiativkomitees" vom September 1964 sollten die 9. Weltfestspiele am 28. Juli 1965 mit einer Eröffnungsfeier im Olympia-Stadion von Algier beginnen. Inzwischen hatten sich jedoch die schon in Wien und Helsinki bemerkbaren inneren Spannungen des Festivals zu Konflikten verschärft, die nicht mehr unterdrückt werden konnten. Sie stellten die Einheit der Weltfestspiele in Frage. Am 10. April 1965 erklärte der Präsident des WBDJ, Rodolfo Mechini: „Aufgrund der Haltung Algeriens gegenüber Israel hat. das internationale Vorbereitungskomitee beschlossen, daß Israel nicht 'mit einer Delegation an den Welt jugendfestpielen teilnehmen kann." In Wien war Israel mit 88 Delegierten, in Helsinki mit 110 vertreten gewesen. Nach dem Ausschluß aus dem Festival veröffentlichte der israelische kommunistische Jugendverband eine Ergebenheitsadresse an Moskau, das schon damals die arabischen Staaten gegen Israel unterstützte. Die Petition war erfolglos. Der Ausschluß blieb bestehen und löste internationale Proteste aus, besonders in den USA und Belgien. Der französische Studenten-verband solidarisierte sich mit den Israelis.

Ferner kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den algerischen Vertretern des „Internationalen Vorbereitungskomitees" und der Führung des WBDJ bzw.des ISB. In beiden Organisationen spielten kommunistische Emigranten aus dem Irak eine einflußreiche Rolle. Es handelte sich vor allem um den Generalsekretär des ISB, Nuri Abdel Razzaq Hussein, und seinen Stellvertreter Behnam Petros. Der irakische Arzt Rahim Ajina leitete vom Sekretariat des WBDJ in Budapest aus die kommunistische Jugendpropaganda in den arabischen Ländern. Der ISB lud arabische kommunistische Jugendorganisationen nach Algier ein, die aus dem Exil gegen ihre Heimatregierungen operierten. Ein offenes Auftreten dieser Verbände auf dem 9. Festival würde jedoch die Beziehungen der algerischen Regierung zu den anderen arabischen Regierungen belastet haben.

Als die Einladungen für das 9. Festival ergangen waren, protestierte der nationale Verband der nigerianischen Studenten (NUNS) dagegen, daß nur der prokommunistische nigerianische Jugendkongreß (NYC) ausgefordert worden war, seine Delegierten nach Algier zu entsenden. Die Erklärung schloß mit den Worten: „Die Delegierten werden das Festival verlassen in dem Glauben, daß Nigeria kein blockfreies Land zwischen Ost und West, sondern mit der kommunistischen Welt verbündet ist."

Als die Vorbereitungen zu den 9. Weltfestspielen sich bereits ihrem Abschluß näherten, entschlossen sich die Sowjetkommunisten aufgrund der überraschenden innenpolitischen Entwicklung in Algier, das Festival abzusagen. Ende Juni veröffentlichte das SED-Zentral-organ „Neues Deutschland" eine Erklärung des „Internationalen Vorbereitungskomitees", in der es u. a. hieß: „Am 19. Juni 1965 haben in Algier ernste Ereignisse stattgefunden. . . . Der Präsident der Republik, Ahmed Ben Bella, der zum Festival eingeladen und den Vorsitz des Nationalen Algerischen Festivalkomitees innehatte, ist verhaftet worden. Wir haben keinerlei Gewißheit über das Schicksal Präsident Ben Bellas und der anderen algerischen Funktionäre, mit denen wir im Geiste der Freundschaft, der Solidarität, des Vertrauens und der gegenseitigen Wertschätzung zusammengearbeitet haben. Wir fordern die Achtung des Lebens des Präsidenten Ben Bella. Seit dem 19. Juni sina die Mitglieder der Ständigen Kommission von der Außenwelt abgeschnitten." Die Erklärung über die Vertagung des Festivals wurde vom WBDJ-Präsidenten Mechini am 27. Juni 1965 in der italienischen KP-Zeitung „Unita" veröffentlicht, ohne daß zuvor nichtkommunistische Gruppen befragt worden waren.

Die neue algerische Regierung wurde von Ben Bellas siegreichem Gegenspieler Boumedienne gebildet, der — im Gegensatz zu seinem moskaufreundlichen Rivalen — einen unabhängigen Kurs vertrat. Plötzlich gab es keine Garantie mehr, daß die algerische Regierung das Festival in der gleichen prosowjetischen Weise unterstützen würde wie unter Ben Bella. In dem chinesisch-sowjetischen Konflikt, der sich seit dem Helsinki-Festival wesentlich verschärft hatte, bezog Boumedienne eine neutrale Position. Deshalb vertraten die Chinesen im Gegensatz zu dem von Moskau abhängigen WBDJ den Standpunkt, das 9. Festival solle wie geplant ablaufen. Am 4. Juli 1965 teilte der prochinesische albanische Sender Tirana mit, der allchinesische Jugendverband habe eine Erklärung veröffentlicht, in welcher der Beschluß, das Festival zu vertagen, scharf verurteilt werde. Wörtlich hieß es: „Dieser Beschluß wurde durch die Manipulierung der sowjetischen Delegation hinter dem Rücken des Veranstalterlandes und gegen die Vorbehalte der chinesischen Delegation angenommen." Den sowjetischen Delegierten wurde vorgeworfen, die internationale Bewegung der Jugend und Studenten spalten zu wollen. Schon immer hätten sie darauf beharrt, die internationale Aktivität der Jugend zu kontrollieren und ihr ihren Willen aufzuzwingen. Aus Anlaß des Konflikts zwischen dem pro-sowjetischen Ben Bella und dem neutralistischen Boumedienne versuchten die moskau-orientierten Kommunisten sich in die Innenpolitik des gastgebenden Landes einzumischen.

Am 26. Juni 1965 veröffentlichte das FDJ-Organ „Junge Welt" ein Telegramm von Horst Schumann, dem 1. Sekretär des Zentral-rats der FDJ und Präsidenten des „Nationalen Festivalkomitees der DDR". Schumann nahm die Verhaftung der (zur Ben Bella-Fraktion gehörenden) algerischen Jugendführer „mit Empörung" zur Kenntnis und kritisierte, daß die algerische Jugend „an der Vorbereitung des Festivals, an der Realisierung ihrer Einladungen an die friedliebende Jugend der Welt gehindert" werde, was „gegen die Interessen der algerischen Jugend gerichtet" sei. Er drückte die „tiefe Verbundenheit und Solidarität" der FDJ „mit dem freiheitsliebenden Volk Algeriens und seiner Jugend im Kampf für die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Algerien" aus. Schließlich forderte Schumann Freiheit für Ben Bella.

Am 8. /9. Juli 1965 trat das „Internationale Vorbereitungskomitee" in Tampere (Finnland) zusammen und beschloß, die 9. Weltfestspiele vorerst um ein Jahr zu verschieben. Am 16. /17 Januar 1966 bestimmte das Komitee auf einer Sitzung in Wien, das 9. Weltjugendfestival solle im September 1966 in der ghanesischen Hauptstadt Accra veranstaltet werden. Dieser Plan erlitt ein ähnliches Schicksal wie die Festival-Vorbereitungen für Algier. Präsident Kwame Nkrumah, einer der korruptesten Politiker Afrikas, wurde von der Armee abgesetzt, weil er Ghana an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs gebracht und sich jeder Demokratisierung seines diktatorischen Regimes widersetzt hatte. Am 27. März 1966 veröffentlichte das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" folgende Mitteilung: „Die Arbeitsgruppe des Internationalen Vorbereitungskomitees für die 9. Weltfestspiele der Jugend und Studenten hat die durch den Militärputsch in Ghana entstandene Lage untersucht und festgestellt, daß es dadurch unmöglich gemacht worden ist, die 9. Weltfestspiele zum vorgesehenen Zeitpunkt in Accra abzuhalten. Nach Konsultationen zahlreicher Mitgliederorganisationen des Internationalen Vorbereitungskomitees wurde daher die Verschiebung des Festivals vorgeschlagen."

Der dritte Beschluß über Ort und Termin des 9. Festivals wurde im Januar 1967 gefaßt. Diesem Entscheid waren heftige Diskussionen über die Frage vorausgegangen, ob der materielle und organisatorische Aufwand für das Festival sich im Vergleich zur politischen Wirkung überhaupt noch lohne. Schließlich hatten sich die Vertreter der Auffassung durchgesetzt, die Weltjugendfestspiele müßten auch unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden.

Wie in den Jahren zuvor war auch der Versuch gescheitert, das Festival in der Hauptstadt eines Entwicklungslandes, z. B. in Kairo, zu veranstalten. Der Beschluß des Vorbereitungskomitees, die 9. Weltfestspiele vom 28. Juli bis zum 6. August 1968 in Sofia abzuhalten, beinhaltet einen politischen Rückzug. Kein Staat der von den Sowjets umworbenen „Dritten Welt" bietet gegenwärtig eine Garantie für den reibungslosen Ablauf des Festivals im Sinne der kommunistischen Veranstalter. Deshalb wandern die Weltfestspiele hinter den Eisernen Vorhang zurück, wo sie zwischen 1947 und 1957 in zweijährigen Abständen nacheinander in Prag, Budapest, Ost-Berlin, Bukarest, Warschau und Moskau stattgefunden haben.

Das Sofia-Festival

Im Gegensatz zu den Weltfestspielen von Wien und Helsinki wird das Sofia-Festival von Faktoren bestimmt, die sich zu einem Teil zugunsten des Sowjetkommunismus, zu einem anderen gegen ihn auswirken. In Bulgarien, das zu den ergebenen Satelliten Moskaus gehört, wird das Festival dank der KP-Propaganda jene Massenresonanz finden, deren Fehlen es in Österreich und Finnland geschwächt hat. Ähnliche Maßnahmen der demokratischen Jugend wie in Wien oder in Helsinki sind nicht möglich. Das Festival kann von außen her nur durch die Kommunisten beeinflußt werden. Ferner dürften die prosowjetischen Regisseure im eigenen Herrschaftsbereich sicherer und rücksichtsloser auftreten als beim 7. und 8. Festival. Schließlich bietet das Sofia-Festival den Russen die Möglichkeit, die farbigen Delegationen in die Sowjetunion einzuladen und sie dort über Wochen hin mit einem Zusatzprogramm politisch zu beeinflussen.

Auf der anderen Seite haben die inneren Spannungen des Festivals im Vergleich zu früheren zugenommen. Die polyzentristische Entwicklung in der kommunistischen Weltbewegung ist in den sechs Jahren seit dem Helsinki-Festival weiter fortgeschritten, und sie spiegelt sich unvermeidlich auch in den Weltjugendfestspielen. Schon bei den Vorbesprechungen für das 8. Festival hatten die Chinesen Peking als den Ort der Veranstaltung vorgeschlagen, waren aber von der prosowjetischen Fraktion im Initiativkomitee überstimmt worden. Inzwischen hat der chinesisch-sowjetische Konflikt sich wesentlich verschärft und den Weltkommunismus in zwei Lager gespalten, die einander unversöhnlich befehden. Die chinesische Jugend bildet die Kerntruppe der Kulturrevolution gegen die „Revisionisten" im eigenen Land und besonders in der KPdSU. Wenn die chinesischen Jugendverbände am Sofia-Festival teilnehmen, so werden sie mit Sicherheit die gegen Moskau gerichtete Generallinie Maos vertreten und die „wahre" Revolution für sich in Anspruch nehmen.

Im Ostblock selbst haben sich seit dem Helsinki-Festival Rumänien und die Tschechoslowakei eine relative Unabhängigkeit von Moskau erkämpft, mit der die Jugend beider Länder sich identifiziert. In Prag gehören Studenten und junge Arbeiter zur Vorhut im Kampf gegen den Dogmatismus. Sie erstreben eine Synthese von Sozialismus und Demokratie. Nach wie vor führen auch die jugoslawischen Kommunisten die unabhängige Politik ihrer Sezession von 1948 fort. Diese Gegensätze zwischen den kommunistischen Parteien können beim Sofia-Festival nicht ausgeklammert werden. Sie werden verschärft durch den Generationskonflikt, der in Polen und Jugoslawien zu heftigen studentischen Unruhen geführt hat. In beiden Ländern wandte die Jugend sich gegen das rote „Establishment", sie forderte die Demokratisierung des Systems. Auf dem Sofia-Festival können diese Ideen mit Jugendlichen aus fast allen Ländern der Welt diskutiert werden.

In den Ländern der freien Welt hat sich seit den 8. Weltfestspielen eine linksradikale Studentenbewegung entwickelt, deren Programm keineswegs mit dem der kommunistischen Parteien übereinstimmt. Vor allem die Unruhen in Frankreich haben bewiesen, daß revolutionäre Studenten und Kommunisten keineswegs die gleichen Ziele verfolgen. Die rote Bürokratie läuft Gefahr, „links überholt" zu werden, und die Kritik der radikalen Studenten richtet sich gleichermaßen gegen die „Bourgeoisie" wie gegen den kommunistischen Partei-und Gewerkschaftsapparat. Noch in Helsinki vertrat die linksradikale französische Jugend einen Kommunismus. Diese ideologische Einheit, inzwischen unwiderruflich vergangen, kann in Sofia nicht mehr demonstriert werden.

Auch das politische Bewußtsein in den ehemals kolonialen Ländern hat eine schnelle Entwicklung erfahren. Nationale Kategorien sind entstanden, die eine Immunisierung gegen die kommunistische Infiltration bewirken. In Asien wurde die stärkste kommunistische Partei außerhalb Chinas, die indonesische, nach einem Putschversuch zerschlagen. Daran hatte neben der Armee vor allem die nationalbewußte Jugend einen wesentlichen Anteil. Die junge politische Elite, die in den Entwicklungsländern die nationale, wirtschaftliche und soziale Emanzipation ihrer Völker vorantreibt, hat im letzten Jahrzehnt zu viele Erfahrungen gesammelt, um sich der Täuschung hinzugeben, der Sowjetkommunismus verfolge mit dem Weltjugendfestival selbstlose Ziele. Der Kommunismus hat die Entkolonialisierung durch seine Existenz an sich beschleunigt. Die Furcht der Kolonialmächte, ihre Kolonien könnten sich dem Kommunismus zuwenden, hat sich als bedeutendes historisches Stimulans erwiesen. Zwar haben die Sowjetkommunisten eine revolutionäre Phraseologie für die antikolonialistische Bewegung entwickelt, aber es ist ihnen nicht gelungen, deren Dynamik an ihre Generallinie und die kommunistischen Parteien zu binden. Die Kommunisten vermochten einzelne farbige Jugendführer zu gewinnen, aber sie waren außerstande, die Mehrheit der jungen Elite in den Entwicklungsländern auf ihre Seite zu ziehen. Der Grund für diesen Mißerfolg Maxime der liegt darin, daß die des Handelns farbigen Elite aus einer politischen Moral erwächst, die den Sowjetkommunisten längst abhanden gekommen ist und deren Fehlen nicht mehr geheimgehalten werden kann. Die von den Kommunisten ständig propagierte angebliche Identität der Interessen zwischen den Entwicklungsländern und den kommunistischen Staaten wird seitens der farbigen Jugend nicht anerkannt.

Die im Vergleich zu den Weltfestspielen in Wien und Helsinki besondere Problematik des 9. Festivals hat. eine Reihe von Jugendorganisationen in der Bundesrepublik veranlaßt, ihre bisher ablehnende Haltung gegenüber dem Festival aufzugeben und an der Veranstaltung in Sofia teilzunehmen. Der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) beschloß auf seiner 34. Vollversammlung am 16. /17. November 1967 in Duisburg-Wedau, eine eigene Delegation nach Sofia zu entsenden. Für eine Teilnahme sprachen sich zehn Organisationen aus, darunter die beiden großen konfessionellen Verbände, gegen eine Teilnahme sieben, darunter die Deutsche Sportjugend. Der Delegation des Bundesjugendringes schließt sich eine Vertretung der Jungsozialisten an. Der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) ist mit 20 Delegierten in der Reisegruppe des „Arbeitskreises Festival" vertreten. Auch die DGB-Jugend wird eine Beobachtergruppe nach Sofia entsenden. Die Befürworter der Teilnahme am Festival sind bereit, den Zuwachs an Repräsentativität der Festspiele in Kauf zu nehmen, um in den offiziellen Veranstaltungen ihre Auffassungen vertreten zu können. Die Gegner der Teilnahme sind überzeugt, daß infolge der straffen kommunistischen Regie die Chance einer nennenswerten Einwirkungsmöglichkeit nicht besteht.

Unabhängig vom Bundesjugendring betreibt der westdeutsche „Arbeitskreis Festival" seine Vorbereitungen für die 9. Weltfestspiele. Ihm gehören die ehemaligen FDJ-Funktionäre Helmut Rödl und Karl Heinz Schröder an, die bereits an der Vorbereitung der 7. und 8. Welt-festspiele beteiligt waren. Rödl ist DFU-Bundesvorstandsmitglied. In der Broschüre „Die Freunde Ulbrichts", die anläßlich der Land -

tagswahlen in Hessen vom Herbst 1962 erschien, ist er beim „Freundschaftstanz" vor einer Stalin-Statue abgebildet. Ein Foto vom Helsinki-Festival zeigt ihn gemeinsam mit Jean Garcias (der Ende 1962 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam) und dem Vorsitzenden der Studentenkommission des 8.

Festivals, Cavalcante, beim Zerreißen eines „unvorschriftsmäßigen" Plakates gegen Atombombenversuche, das die Aufschrift trug:

„Stop the tests in East and West". Schröder ist Verleger des prokommunistischen Jugendmagazins „elan", das in Heft 1/1968 zur Teilnahme am Sofia-Festival aufrief. Danach gehören dem „Arbeitskreis Festival" u. a. folgende Organisationen an: der Sozialistische Studentenbund Deutschlands (SDS), der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB) und der Liberale Studentenbund Deutschlands (LSD). Auf der Vollversammlung des Internationalen Vorbereitenden Komitees am 29. /30. November 1967 in Sofia war der „Arbeitskreis Festival" durch Helmut Strizek (LSD), Karl Heinz Schröder und Karl Dietrich Wolff (SDS) vertreten. Der „Arbeitskreis Festival" wird geleitet von einem Arbeitsausschuß, dem je ein Vertreter des LSD und SDS, der prokommunistische Pfarrer Herbert Mochalski und Schröder angehören. Die Linksradikalen haben also ein Übergewicht von 3: 1. „elan" berichtete ferner, „daß der DBJR-Vorstand nicht bereit sei, mit dem offiziellen Träger der Festival-Vorbereitung in der Bundesrepublik, dem Arbeitskreis Festival, zu verhandeln. . .. Der Arbeitskreis bedauerte, daß sich der DBJR nicht zur Zielsetzung des Festivals und zum internationalen Festivalaufruf geäußert hat und daß er statt dessen das Festival als . kommunistisch'denunziert. . Stark befremden', so erklärte der Arbeitskreis, müsse auch die Mitteilung des DBJR, man wolle nicht mit dem Arbeitskreis verhandeln."

Den Inhalt der in Sofia zu erwartenden politischen Auseinandersetzung zwischen der kommunistischen und der nichtkommunistischen deutschen Jugend skizzierte die auf der äußersten Linken stehende „Andere Zeitung“ bereits am 27. Juli 1967 in einem Artikel „Große Koalition beim Weltjugendfestival?" Nach einem Protest gegen die Äußerung des damaligen stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jungsozialisten, Peter Corterier, das Festival sei eine „kommunistisch inspirierte und beeinflußte Veranstaltung", wandte die Zeitung sich gegen Corteriers Begründung des Teilnahmebeschlusses der Jungsozialisten als „logische Konsequenz der Politik des Friedens und der Entspannung, die mit dem Eintritt der SPD in die Bundesregierung zum Generalnenner der Bonner Deutschland-und Außenpolitik" geworden sei. Sie schrieb: „... als jugendgemäßer Stoßtrupp dieser Politik wird man in Sofia sicher auf schroffe Ablehnung stoßen". Die „Andere Zeitung" zitierte dann die gegen die Bundesrepublik gerichteten Karlsbader Beschlüsse der europäischen kommunistischen Parteien und erklärte, daß die osteuropäischen Jugendfunktionäre keine „andere Position als die in der Karlsbader Erklärung niedergelegte beziehen werden. ... Wer also . keine Mißtöne in den Ablauf der Veranstaltung'in Sofia bringen will, der sollte die Politik der Großen Koalition zu Hause lassen. ..." Das ist eine Aufforderung zur politischen Kapitulation, der die nichtkommunistischen Delegierten aus der Bundesrepublik zweifellos nicht nachkommen werden.

Literatur über die Weltjugendfestspiele

„Von der Jugendinternationale zu den Welt-festspielen. Die internationale Jugendarbeit des Kommunismus in Vergangenheit und Gegenwart". In: „Aus Politik und Zeitgeschichte", Beilage der Wochenzeitung „Das Parlament", B XXIX/57 v. 31. 7. 1957. „Courtship of Young Minds", A Case Study of lhe Moscow Youth Festival, Herausgeber: East European Student and Youth Service, Inc. New York 1959, 54 S. „Weltjugendfestspiele — selbst dabeigewesen, selbst erlebt", kommunistische Broschüre über die VI. Weltfestspiele in Moskau, herausgegeben von Alfred Misak, Wien o. J., 31 S.

Leo Weismantel: „Tagebuch einer skandalösen Reise" (VI. Weltfestspiele in Moskau), Welt-kreis Verlags GmbH. Jugenheim 1959, 300 S. „Vereint mit 87 Millionen — 15 Jahre Weltbund demokratischer Jugend", herausgegeben von Werner Lamberz und Klaus Jeutner, Verlag Neues Leben, Ost-Berlin 1960, 218 S. „VII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Freundschaft". Analyse und Kommentar, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft für gesellschaftspolitische Studien, Bonn 1960, 198 S. „The Vienna Youth Festival — Some Queslions and Answers", herausgegeben von J. L. Mourton, Generalsekretär des britischen nationalen Komitees der WAY, London 1959, 16 S. „Report on the Vienna Youth Festival", herausgegeben vom Independent Research Service, New York, 2. Auflage 1961, 100 S. „Wir nahmen nicht teil", ein Bericht des Österreichischen Bundesjugendringes über die VII. Kommunistischen Weltjugendfestspiele in Wien 1959, Wien 1962, 36 S. „World Festival Helsinki 1962", herausgegeben vom Independent Research Service, New-York o. J., 28 S. „Frieden und Freunschaft?" Weltjugendfestspiele, Funktion und Wirkung — Bericht und Analyse, herausgegeben vom Büro für politische Studien, Bonn o. J., 260 S.

Tätigkeitsbericht des Schweizerischen Aktionskomitees „Wahret die Freiheit" zum Helsinki-Festival, o. J., 20 S.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Joseph Scholmer, Publizist, geb. 1913; 1932— 1939 Studium der Medizin; vor 1933 Mitglied der linksradikalen Jugendbewegung, nach vorübergehender Emigration in der antifaschistischen Resistance tätig; 1944 verhaftet, Volksgerichtshof; 1945— 1949 Mitarbeiter der Zentralen Gesundheitsverwaltung der SBZ; 1949 von sowjetischer Geheimpolizei verhaftet, wegen angeblicher Spionage zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und nach Workuta deportiert; im Rahmen der Ausländer-Amnestie vom Januar 1954 entlassen; Verfasser des Tatsachenberichtes „Die Toten kehren zurück" (Köln 1954), Berichte über die Weltjugendfestspiele von Wien und Helsinki.