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Demonstrationsfreiheit und ihre Grenzen Ein Beitrag zu Fragen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit | APuZ 26/1968 | bpb.de

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APuZ 26/1968 Demonstrationsfreiheit und ihre Grenzen Ein Beitrag zu Fragen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit

Demonstrationsfreiheit und ihre Grenzen Ein Beitrag zu Fragen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit

Hartmut Vogel

Die gegenwärtige Bedeutung der Demonstrationen im politischen Leben der Bundesrepublik

Der Schuß aus der Pistole eines Polizeibeamten, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg am Ende einer Demonstration vor der Oper in Berlin tödlich traf, schreckte die breite Öffentlichkeit in der Bundesrepublik in bisher ungekanntem Maße auf. Er löste Erschütterungen im Bewußtsein auch der Menschen aus, die bis dahin gewohnt waren, die politische und gesellschaftliche Ordnung „im freien Teil Deutschlands" unter dem schützenden Dach der freiheitlichsten Verfassung in der deutschen Geschichte als die bestmögliche anzusehen. Es war selbstverständlich nicht dieses Ereignis allein, das im Verlauf der folgenden Monate nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Orten der Bundesrepublik, vornehmlich in den Universitätsstädten, zu immer neuen Demonstrationen, Diskussionen und mehr oder minder heftigen Auseinandersetzungen mit den staatlichen Ordnungsmächten führte. Der Stillstand, ja Rückgang des zuvor als selbstverständlich hingenommenen wirtschaftlichen Wachstums, die prekäre Lage im Kohlebergbau und in der Landwirtschaft, das Aufkommen einer neuen radikalen Rechts-partei und nicht zuletzt der Eintritt der SPD in die Bundesregierung hatten eine explosive Atmosphäre geschaffen, in die hinein der Schuß des Polizisten Kurras als auslösendes Moment für eine generelle Infragestellung des gewachsenen gesellschaftlichen und politischen Aufbaus in den vergangenen 19 Jahren der Geschichte der Bundesrepublik traf.

Demonstrationen waren in den früheren Jahren Einzelaktionen von Interessenverbänden oder Gruppen, deren Bedeutung über den aktuellen politischen Tagesanlaß nicht hinausreichte. Die Protestmärsche der Kriegsversehrten, Taxifahrer, Kampf-dem-Atomtod-Gruppen, in diesem Sinne auch noch die Demonstrationen der Bergleute und Landwirte, trafen nicht den Kern des politischen Lebens. Seit dem letzten Sommer jedoch sind die von studentischen Organisationen geführten Demonstrationen und Protestaktionen nicht nur zu einer Dauererscheinung geworden. Die hitzige Diskussion um das Für und Wider der Forderungen der neuen außerparlamentarischen Opposition hat diese selbst zu einem wesentlichen Faktor der Politik werden lassen. Die Demonstrationen der außerparlamentarischen Opposition im weitesten Sinne, das heißt all derer, die — wenn auch aus unterschiedlichen Motiven — mit den „staatstragenden" Parteien, ihren Führern und ihrem Apparat unzufrieden sind, haben eine neue Verfassungswirklichkeit geschaffen. Denn ihre wichtigsten Themen: Vietnam-Krieg, Notstandsgesetzgebung, Anerkennung der DDR und der Oder-Neiße-Linie, Flochschulund allgemeine Schulreform, Pressekonzentration und das alles verbunden mit noch ziemlich vagen Vorstellungen über eine Umgestaltung der gegenwärtigen gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung überhaupt, sind nicht länger mehr der Erörterung in den Parteien, den Ministerien und den Parlamenten, der Publizistik und den jeweils betroffenen Interessenverbänden überlassen, sondern buchstäblich auf die Straße getragen worden. Die unerfreulichen, häßlichen und tragischen Begleiterscheinungen, das Attentat auf Rudi Dutschke, die sich anschließenden „Sündenbock-Aktionen" gegen die Verlagshäuser des Springer-Konzerns und der mit ihm zusammenarbeitenden Druckereien, die diesmal von Demonstranten verschuldeten zwei weiteren Todesopfer haben jedermann drastisch und dramatisch vor Augen geführt, daß die in ihrem Ausmaß völlig ungewohnte politische Betätigung und Willensbildung durch Demonstrationen unsere Demokratie in eine Belastungsund Bewährungsprobe stellt, deren Ausgang und Lösung noch nicht entschieden ist.

Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit in der Diskussion

Zum erstenmal ist auf diese Weise ein Grundrecht unserer Verfassung in den Brennpunkt der öffentlichen Diskussion geraten, das bislang eher ein Schattendasein geführt hatte: das in Artikel 8 des Grundgesetzes verankerte Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Die Bundesbürger, täglich mit „einschlägigen" Nachrichten, Bildern, Kommentaren und spaltenlangen Artikeln in Rundfunk, Fernsehen und Presse konfrontiert, äußerten sich, wenn man den Angaben darüber Glauben schenken darf, zum Versammlungsbzw. Demonstrationsrecht wie folgt:

Bei einer Repräsentativumfrage des Institutes für angewandte Sozialwissenschaften in Bad Godesberg bei 1002 Personen in allen Gebieten der Bundesrepublik sahen lediglich 53 % in Demonstrationen eine zulässige Art der Meinungsbildung. Weitere 36 °/o der Befragten bestritten, daß Demonstrationen eine erlaubte Form der Meinungsäußerung seien. Anhänger der FDP bejahten das Demonstrationsrecht am häufigsten, nämlich 66 °/o, von den SPD-Wähler waren es 55 °/o, von denen der CDU nur 49 0/0

Bei einer Blitzumfrage der Wickert-Institute in Tübingen wurden 1710 Personen um Antwort auf die Frage gebeten: „Wie denken Sie über die Studentendemonstrationen kurz vor und während der Ostertage?" Diesmal gaben nur 6 °/o der befragten Bundesbürger über 18 Jahre an, daß sie die Demonstrationen richtig finden, weitere 10% zeigten sich gleichgültig, während 84 °/o eindeutig gegen die Studentendemonstrationen Stellung bezogen Das Ergebnis der zweiten Umfrage dürfte stark durch die momentane Empörung über die verschiedenen Gewaltsamkeiten bei den Demonstrationen etwa in Berlin und München beeinflußt worden sein. Bedenklicher erscheint das Ergebnis der ersten Umfrage. Danach sieht es so aus, als ob ein sehr beträchtlicher Teil der Bevölkerung Demonstrationen schlechthin mit Störung der Ruhe und Ordnung im Staate gleichsetzt.

In der wissenschaftlichen Erörterung, die gerade auf staats-und verfassungsrechtlichem Gebiet die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und Aktualitäten recht genau widerspiegelt, hat das Grundrecht der Versammlungsfreiheit keine übermäßige Beachtung gefunden. Es ist in den großen Kommentaren zum Grundgesetz vergleichsweise kurz abgehandelt. Das 1966 von Leibholz-Rink herausgegebene Werk: „Grundgesetz, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes", bemerkt lakonisch: „Zu Artikel 8 liegt Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bisher nicht vor."

Zum Versammlungsgesetz, dem, wie noch zu zeigen sein wird, Artikel 8 GG entsprechend dem Vorbehalt in seinem Absatz 2 nicht unerheblich einschränkenden Gesetz, liegen drei Kommentare aus den Jahren 1953 und 1954 vor die noch keine Neuauflagen erfahren haben. Erst im vorigen Jahr ist eine kritische Monographie von Sieghart Ott über „Das Recht auf freie Demonstration" erschienen

Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu Art. 8 GG und zum Versammlungsgesetz ist ebenfalls vergleichsweise gering und naturgemäß mehr mit der Lösung von Einzelfragen denn mit grundsätzlicherer Erörterung befaßt.

In dieser Abhandlung soll versucht werden, Umfang und Grenzen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im geltenden Recht in der Sicht des Verfassers darzustellen und kritisch zu beleuchten. Es läßt sich nicht vermeiden, daß in einem solchen Beitrag eine Vielzahl von Paragraphen genannt und nach juristischer Methodik inter GG und zum Versammlungsgesetz ist ebenfalls vergleichsweise gering und naturgemäß mehr mit der Lösung von Einzelfragen denn mit grundsätzlicherer Erörterung befaßt.

In dieser Abhandlung soll versucht werden, Umfang und Grenzen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im geltenden Recht in der Sicht des Verfassers darzustellen und kritisch zu beleuchten. Es läßt sich nicht vermeiden, daß in einem solchen Beitrag eine Vielzahl von Paragraphen genannt und nach juristischer Methodik interpretiert werden müssen. Für manchen Leser wird das eine Erschwernis bedeuten. Sie mag ihre Rechtfertigung finden, falls es zugleich gelingt aufzuzeigen, welches staats-und gesellschaftliche Ordnungsgefüge hinter diesen Vorschriften steht, wie Ansatz und Systematik der Paragraphen sich erklären. Wenn die Bezüge deutlich werden zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit einerseits, seinen verschiedenen Einschränkungen durch einfache Gesetze und durch die Verfassung selbst und dem Gesamtsystem unserer demokratischen Grundordnung in Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit andererseits, kann sich jeder ein kritisch begründetes eigenes Urteil bilden.

Die Geschichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gehört „zum eisernen Bestand der demokratischen Grundrechte" 5). Wie auch viele andere der heutigen Grundrechte wurzelt die Versammlungsfreiheit im Gedankengut der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und ist demonstrativer Ausdruck des beginnenden Widerstandes des Bürgertums gegen den Absolutismus der Fürstenherrschaft. Auch der Liberalismus des 19. Jahrhunderts sieht die Versammlungsfreiheit als Mittel zur Befreiung von der Bevormundung des Obrigkeits-und Polizeistaates. Als Grundrecht wird die Versammlungsfreiheit bereits in Artikel XVI der Bill of Rights von Pennsylvanien vom 28. September 1776 genannt 6). Sie fehlt noch in der Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers der französischen Konstituante vom 26. August 1789, ist aber in der Verfassung der französischen Republik vom 24. Juni 1793 enthalten 7), ebenso im ersten Amendment zur Verfassung der USA vom 1791.

In Deutschland wird die Versammlungsfreiheit als Grundrecht in den Reichsverfassungsentwurf der Frankfurter Nationalversammlung vom 28. März 1849 ausgenommen. Der Paragraph 161 ist in seinem Text zum Vorläufer und Vorbild für die entsprechenden Artikel der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes geworden 8). Am wichtigsten war die Bestimmung, daß auch die Versammlungen unter freiem Himmel keiner besonderen Erlaubnis bedurften und allenfalls bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verboten werden konnten. Den späteren Vereinsgesetzen der Länder — sie regelten das Vereins-und Versammlungswesen gemeinsam — ging diese Freiheitlichkeit zu weit. Neben der auch heute noch gültigen Anmeldepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel galt zusätzlich das Genehmigungsprinzip und eine weitreichende polizeiliche Überwachung In Preußen wurde das schon in der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 in Titel II, Artikel 20 festgelegt

Eine „erste Etappe zur Überwindung des Polizeistaates", wie Füßlein meint war das Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908. Es erging aufgrund der in der Reichsverfassung von 1871 in Artikel 4 Ziffer 16 dem Reich erteilten Gesetzgebungskompetenz. Wenngleich (siehe Anhang, Seite 24) § 1 des Gesetzes sich grundsätzlich zur Vereins-und Versammlungsfreiheit bekannte, blieben Versammlungen unter freiem Himmel jedoc dem Reich erteilten Gesetzgebungskompetenz. Wenngleich (siehe Anhang, Seite 24) § 1 des Gesetzes sich grundsätzlich zur Vereins-und Versammlungsfreiheit bekannte, blieben Versammlungen unter freiem Himmel jedoch weiterhin genehmigungspflichtig; beispielsweise durften Minderjährige unter 18 Jahren keine politischen Versammlungen besuc Jahren keine politischen Versammlungen besuchen (§ 7 bzw. § 17 des Vereinsgesetzes). Die Versammlungsvorschriften des Vereinsgesetzes wurden endgültig erst durch das Versammlungsgesetz von 1953 außer Kraft gesetzt. Jedoch hatte schon der mit Gesetzeskraft ergangene Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 in Ziffer 2 bestimmt, daß fortan das Versammlungsrecht keiner Beschränkung unterliege 12). Artikel 123 der Weimarer Reichsverfassung 13) sah zwar wie Artikel 8 des Grundgesetzes wiederum Einschränkungen für Versammlungen unter freiem Himmel durch Reichsgesetz vor, ein entsprechendes Gesetz ist aber bis zum Ende der Republik nicht ergangen. Verbotsmaßnahmen wurden damals auf die Generalklauseln in den Polizeigesetzen bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestützt.

Nachdem zu Beginn der dreißiger Jahre verschiedene Notverordnungen im Gefolge der innenpolitischen Wirren den Artikel 123 eingeschränkt hatten, zog die nach dem Reichstagsbrand erlassene Notverordnung vom 28. Februar 193314) einen vorläufigen dunklen Schlußstrich unter das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Artikel 123 wurde praktisch außer Kraft gesetzt. Fortan waren nur noch die den Nationalsozialisten genehmen bzw. ihrer Propaganda dienenden Versammlungen und Aufmärsche erlaubt.

Nationale und internationale Kodifikationen der Versammlungsfreiheit

Nach 1945 wurde das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht nur in das Grundgesetz, sondern auch in einige Länderverfassungen ausgenommen 15). Mit Ausnahme der Berliner Verfassung sah man es getreu der Tradition des 19. Jahrhunderts als ein vom Staat verliehenes Bürgergrundrecht für alle Deutschen 16), Staatsbürger, Bayern, Bremer usw. an. In den neueren internationalen Erklärungen und Konventionen wird die Versammlungsfreiheit dagegen als ursprüngliches Menschenrecht bezeichnet. Das gilt für Artikel 20 Absatz 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 wie für Artikel 11 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 17). Der Erklärung der Vereinten Nationen kommt keine bindende rechtliche Wirkung zu 18), soweit sie nicht im einzelnen allgemeine Regeln des Völkerrechts enthält, die nach Artikel 25 des Grundgesetzes Bestandteil des Bundes-rechtes sind. Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde durch besonderes Bundesgesetz vom 27. August 1952 in der Bundesrepublik für direkt anwendbares Recht erklärt und ist als solches seit dem 3. September 1953 in Kraft. Wenn auch die Meinung in der Rechtswissenschaft überwiegend den entgegengesetzten Standpunkt einnimmt, so spricht doch vieles dafür, das Recht der Menschen, sich friedlich zu versammeln, als ein aller staatlichen Ordnung vorgegebenes, überpositives Menschenrecht anzusehen, das gleich dem ihm verwandten Recht auf freie Meinungsäußerung vom Staat nicht erst verliehen oder von vornherein aberkannt werden kann. Allerdings, und hierin liegt eine wesentliche Einschränkung, ist damit noch nichts gesagt über die Form der Anerkennung und Ausübung des Rechtes in der jeweiligen Verfassung, die sich Menschen zur Regelung ihres staatlichen Zusammenlebens gegeben haben, und den aus der Verfassung abgeleiteten einfachen Gesetzen. So kann nach Artikel 18 des Grundgesetzes die Ausübung des Rechtes der Versammlungsfreiheit durch Spruch des Bundesverfassungsgerichtes verwirkt werden. Das Recht zur Versammlung unter freiem Himmel unterliegt dem in Artikel 8 Abs. 2 des Grundgesetzes genannten Gesetzesvorbehalt und dem daraufhin 1953 ergangenen Versammlungsgesetz.

Dieses wiederum gibt „jedermann", also auch Ausländern, das Recht, Versammlungen zu veranstalten oder an ihnen teilzunehmen. Die Regelung erfolgte mit Rücksicht auf die fast gleichzeitig in der Bundesrepublik in Kraft getretene Europäische Menschenrechtskonvention und ihren genannten Artikel 11. Der Ausländer kann sich aber bei einem Verstoß gegen sein Versammlungsrecht nicht auf das Grundgesetz berufen und auch keine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention erheben, wie das Bundesverfassungsgericht einmal allgemein entschieden hat Im übrigen ist der Schutz des Artikels 11 der Konvention sogar geringer, weil er dem nationalen Gesetzgeber weitaus mehr Eingriffe in die Versammlungsfreiheit erlaubt und Artikel 16 der Konvention zusätzlich bestimmt, daß Artikel 11 den Unterzeichnerstaaten nicht verbietet, die politische Tätigkeit von Ausländern zu beschränken.

Die Erhebung der Versammlungsfreiheit zum internationalen Menschenrecht hat also die nationalen Auffassungen von Staatsräson, Sicherheit und Ordnung bei der Regelung der Ausübung des Rechtes keineswegs verdrängen können und wollen. Der Streit unter den deutschen Rechtslehrern, ob die Europäische Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Verfassungsrang oder nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes besitzt — letzteres ist die herrschende Meinung —, hat daher zumindest für die Versammlungsfreiheit mehr akademische als praktische Bedeutung.

Aus all dem folgt auch, daß die Frage, ob Artikel 8 des Grundgesetzes ein vom Staat verliehenes Bürgergrundrecht oder ein staatsvorgegebenes Menschenrecht ist, wegen der in jedem Fall vorhandenen Regelungsbefugnis des Verfassungs-und einfachen Gesetzgebers nur als Auslegungsprinzip bei der Entscheidung von Zweifelsfragen Bedeutung erlangt. Sieht man — wie der Verfasser — die Versammlungsfreiheit als ursprüngliches Menschenrecht an, so ist ihr bei der Entscheidung von Konflikten mit anderen staatlichen Interessen ein stärkeres Gewicht zuzumessen, als wenn sie nur als verliebens Bürgergrundrecht qualifiziert würde.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß auch die durch Volksentscheid vom 6. April 1968 gebilligte neue Verfassung der DDR in Artikel 28 die Versammlungsfreiheit enthält. Der Wortlaut des Artikels könnte auf den ersten Blick liberal erscheinen. In Absatz 2 wird sogar ausdrücklich und ungewöhnlicher-weise die Nutzung der materiellen Voraussetzungen zur Ausübung des Versammlungsrechtes gewährleistet Die entscheidende Einschränkung liegt allerdings darin, daß Versammlungen nur „im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung" erlaubt sind und daß die Verfassung insgesamt in ihrer doktrinären Fixierung des Sozialismus nur einen sehr engen Rahmen für die kritische Ausübung des Versammlungsrechtes setzt. Die jüngste Erklärung des Präsidiums des Kuratoriums Unteilbares Deutschland es werde in der DDR ein Demonstrationsrecht „auch dem Buchstaben nach nicht mehr geben", ist so jedoch unrichtig und kein gutes Beispiel für eine sachliche Informationspolitik.

Die Begriffe „Versammlung" und „Demonstration"

In der Sprache der Gesetze ist stets nur vom Sichversammeln, Versammlung, Versammlungsrecht und Versammlungsfreiheit die Rede. Die heute so geläufigen Begriffe demonstrieren, Demonstration, Demonstrationsrecht und Demonstrationsfreiheit treten dagegen in der Gesetzesterminologie nicht auf. Vielleicht könnte eine mit den Mitteln der Sprachinhaltsforschung angestellte Analyse aufzeigen, daß mit der Aufnahme des in seinem Bedeutungsgehalt neutralen Wortes „versammeln" in Verfassungsund Gesetzestexte auch von vornherein eine bestimmte Wertung und Bewertung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit vorgenommen wurde. Denn es klingt nun einmal beruhigender, wenn es heißt: „Alle Menschen oder alle Deutschen haben das Recht, sich zu versammeln", statt: „jedermann hat das Recht zu demonstrieren". Daneben läßt sich allerdings nicht verkennen, daß der mit ganz bestimmten Assoziationen verknüpfte Begriff der Demonstration schlecht geeignet ist für eine Gesetzessprache, die das Zusammenkommen von Menschen zum Zwecke einer kollektiven Meinungsäußerung in einem umfassenden Sinne richtig qualifizieren will. Demonstration ist mehr als einfache Kundgebung und Darlegung von Anschauungen und Meinungen. Sie bedeutet nach dem heutigen Sprachgebrauch, wie eine Definition im „Neuen Brockhaus" richtig sagt, eine bestimmte, eher das Gefühl als die Ratio ansprechende Beweisführung, in der zumeist auch polemische und protestierende Töne mitschwingen und bei der politische Themen vorrangig sind. Zusammenkünfte von Menschen dienen aber nicht nur kritisch demonstrativen Zwecken; demungeachtet muß ihnen allen der Grundrechtsschutz zukommen. Selbstverständlich steht heute die Demonstration als der Sonderfall des allgemeinen Begriffes der Versammlung im Blickpunkt des Interesses. Wie schon im Titel, so wird daher auch im Text dieses Beitrages, wo es angeht, immer wieder von der Demonstration die Rede sein.

Eine Gesetzesdefinition des Begriffes „Versammlung" fehlt. Die Abgrenzung wird negativ gewonnen durch die später noch näher zu erläuternden Tatbestände der §§ 115, 116 und 126 des Strafgesetzbuches, in denen von versammelten oder zusammengerotteten, der Staatsgewalt Widerstand leistenden oder sie nötigenden oder sonst gewalttätigen Menschenmengen gesprochen wird, deren Teilnehmer sich des Aufruhrs, Auflaufs oder des Landfriedensbruches schuldig machen können. Positiv verstehen Rechtsprechung und Rechts-lehre unter Versammlung die Zusammenkunft einer Vielheit von Menschen zum Zwecke der gemeinsamen Erörterung oder Kundgebung von Angelegenheiten, die nach moderner Auffassung nicht nur öffentlicher Natur sein müssen, sondern auch privaten Dingen gewidmet sein können, wie etwa wissenschaftliche Kongresse oder Klassentreffen. Diese sehr allgemeine und abstrakte Definition würde logisch auch Fest-und Sportveranstaltungen, Messen, Konzert-und Theaterbesuche umfassen. Derartige Versammlungen gelten jedoch ihres unterhaltenden, wirtschaftlichen oder kulturellen Zweckes wegen traditionell nicht als unter den Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit fallende Zusammenkünfte. Die Unterscheidung leuchtet nicht recht ein. Sie ist aber zumindest in freiheitlichen Staaten praktisch bedeutungslos, weil in ihnen die staatliche Gewalt kaum jemals die Notwendigkeit sehen oder in Versuchung geraten wird, Sport-oder Theaterveranstaltungen zu verbieten oder aufzulösen. Anders in autoritären oder totalitären Staaten: Dort können insbesondere Theaterstücke, ihre Aufführung und der Beifall an bestimmten Stellen durchaus den Charakter einer politischen Demonstrationsversammlung annehmen und für Autor, Schauspieler und Besucher unangenehm werden. (Erinnert sei hier z. B. an die kürzliche Absetzung des antirussischen Stückes „Die Totenfeier" in Warschau.)

Wer Teilnehmer an einer Versammlung ist, läßt sich zweifelsfrei bei Versammlungen in geschlossenen Räumen entscheiden. Jeder, der in den Versammlungsraum hineingeht, gibt damit zu erkennen, daß er zumindest eine Zeit-lang dem dort versammelten „Augenblicksverband" beitritt, wie man die Versammlung im Gegensatz zum „Dauerverband" Verein einmal pointiert bezeichnet hat. Daß eine derartige Teilnahme keineswegs eine Solidaritätserklärung zu sein braucht, sondern im Gegenteil gerade zum Zwecke des Protestes erfolgen kann, ist selbstverständlich. Dementsprechend genießt natürlich auch der Protestierende den Schutz des Versammlungsgrundrechtes, solange sein Protest nicht die noch zu erörternden zulässigen Grenzen überschreitet. Schwieriger ist festzustellen, wer bei Versammlungen unter freiem Himmel zum Teilnehmer wird oder unbeteiligter Dritter bleibt. Sicher genügt es für die Teilnahme nicht, wenn ein Passant einen Augenblick stehenbleibt, der Stimme eines Redners lauscht und dann weitergeht. Verharrt er dagegen längere Zeit, tritt näher an die Versammlung heran oder mischt sich gar unter diese, so spricht die Vermutung dafür, daß er sich in irgendeiner Weise angesprochen fühlt, daß aus dem Unbeteiligten ein Teilnehmer wurde. Diese Frage kann praktisch sehr wichtig werden. Wenn der Passant in das Ende einer turbulenten Demonstration geraten ist, die Polizei die Auflösung verfügt und beginnt, die Menge zu zerstreuen, ist es für ihn sehr wichtig, ob er als Versammlungsteilnehmer der mit der Auflösung verbundenen Pflicht, sich zu entfernen, Folge leisten muß oder ob er als unbeteiligter Dritter Stehenbleiben darf. Man wird ihm allerdings wohl raten müssen, sich auf jeden Fall besser zu entfernen, da er nicht sicher sein kann, ob auch die mit der Zerstreuung befaßten Polizeibeamten die hier getroffenen feinen Unterscheidungen stets mitvollziehen werden.

Verfassungsrechtliche Schranken der Versammlungsfreiheit

Für Veranstalter und Teilnehmer an einer Versammlung in geschlossenen Räumen enthält Artikel 8 des Grundgesetzes in seinem Absatz 1 nur eine ausdrückliche Einschränkung. Ihre Versammlung genießt nur dann Grundrechtsschutz, wenn sie „friedlich und ohne Waffen" vonstatten geht. Gleiches gilt natürlich erst recht für die Versammlungen unter freiem Himmel, für die aber noch weitere Einschränkungen möglich sind. Friedlich und ohne Waffen ist kein Pleonasmus, wie es zunächst scheinen könnte. Unfriedliche Versammlungen kann es auch ohne Waffen geben.

Auf der anderen Seite braucht das Waffentragen noch nicht unbedingt von einem beabsichtigten unfriedlichen Versammlungsverlauf zu zeugen. Wenn jedoch eine größere Anzahl von Menschen mit Waffen aller Art zusammenkommt, liegt darin eine so große potentielle Gefahr, daß der Zusatz des Waffenverbotes berechtigt erscheint.

Was bedeutet nun das Wort „friedlich"? Sicher ist damit nicht eine friedvoll und andächtig einem oder mehreren Rednern lauschende Menge von Menschen gemeint, die am Ende gestärkt und erbaut nach Hause geht. Eine unter hitzigen Zwischenrufen und Protesten verlaufende Versammlung ist immer noch „friedlich" im Sinne des Artikels 8 GG.

Unfriedlich ist oder wird eine Versammlung erst dann, wenn zu Gewalttaten aufgerufen wird oder solche beschlossen werden, oder wenn etwa gewalttätig gegen einzelne protestierende Versammlungsteilnehmer vorgegangen wird. Das Versammlungsgesetz interpretiert diese Unfriedlichkeit in den §§ 5 Ziffer 3 und 4 und 13 Ziffer 2 und 4, deren Tatbestände Verbot oder Auflösung von Versammlungen in geschlossenen Räumen rechtfertigen

Die Aufnahme der einschränkenden Formel des „friedlich und ohne Waffen" ist bei der Beratung des Artikels 8 Grundgesetz völlig unproblematisch gewesen. Sie entsprach der historischen Tradition. Die Väter des Grundgesetzes dachten — in Erinnerung an die Krisenjahre der Weimarer Republik mit ihren vielen unseligen und blutigen Saal-und Straßenschlachten — wahrscheinlich vor allem an radikale Parteien, vor denen und vor deren aufrührerischen Versammlungen sie den neuen jungen Staat schützen wollten. Heute jedoch, nach dem Verbot der KPD und den bisher im großen und ganzen friedlichen Versammlungen der NPD ist zu konstatieren, daß die unfriedlichen Versammlungen und Demonstrationen von parteiungebundenen Gruppen veranstaltet werden, in denen junge Menschen — Studenten und Schüler — die Führung haben.

Ohne hier im einzelnen auf die verschiedenen Analysen der letzten Zeit über die Ursachen der Demonstrationen näher einzugehen und ohne Berücksichtigung der in allen Ländern unterschiedlich bedeutungsvollen Einzelmotive sind diese Demonstrationen in ihrem allgemeinsten Sinne Zeichen einer weltweit gewachsenen Unruhe der Jugend in Ost und West, sind Ausdruck der Unzufriedenheit mit den etablierten Mächtegruppen und Personen und den von diesen geschaffenen und erhaltenen Zuständen. Gewalt, Terror und Krieg, so sieht es die Jugend, sind immer noch Faktoren politischen Handelns, doktrinärer Immobilis-mus verhindert viele notwendige Reformen.

Die Antwort eines Teils der jugendlichen Demonstranten, auch in der Bundesrepublik, ist ebenfalls Gewalt. Sie ist programmatisch formuliert und bei den Demonstrationen vor und während der Ostertage sowie bei Demonstrationen gegen die Notstandsgesetzgebung im Mai an mehreren Orten in die Tat umgesetzt worden. Zwar soll nur eine vorzugsweise gegen Sachen gerichtete Gewalt geübt werden, aber das Risiko der Gefahr für Gesundheit und Leben von Personen wird in Kauf genommen. Die Gewalt gilt als Notwehr oder als ungeschriebenes legitimes Widerstandsrecht zur Abwehr von „Notstandsplanungen", „Notstandsübungen" und anderen Übergriffen „faschistoider Staatsorgane" oder als berechtigter Kampf gegen einen „übermächtig gewordenen, die Pressefreiheit mißbrauchenden, Hetze betreibenden Pressekonzern", um nur einige der häufigsten Argumente und Schlagworte aus den ungezählten Reden, Stellungnahmen und Interviews der geistigen Führer der Demonstrationen in der letzten Zeit hier sinngemäß wiederzugeben.

Muß eine freiheitliche und tolerante Verfassungsordnung gewaltsame Begleiterscheinungen von Demonstrationen und Protesten hinnehmen, die Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen und die Ablösung „restaurativer Mächtegruppen" bewirken sollen? Ist andernfalls auch das Grundgesetz, soweit es in verschiedenen Bestimmungen wehrhaften Charakter besitzt, nur Ausdruck einer lediglich „repressiven Toleranz" der Herrschenden in Staat und Gesellschaft? Die Fragestellungen berühren den politischen Kern des Versammlungsrechtes. Sie zeigen, daß in diesem über-individuellen Freiheitsrecht mehr oder minder latent stets auch eine Angriffsspitze auf die jeweilige staatliche Ordnung gerichtet ist. In seiner extremen Ausübung wird das Versammlungsrecht zur Vorstule der Revolution bzw. wird selbst zur revolutionären Handlung, was etwa die gegenwärtigen, durch Studentendemonstrationen in Frankreich ausgelö-slen Unruhen anschaulich zeigen. Die oben gestellten Fragen müssen daher richtigerweise so verstanden werden, ob auch revolutionäre Akte im Rahmen der Demonstrationsfreiheit des Menschen gerechtfertigt sein können. Eine Staatsordnung, ein Regime, das den Unrechts-charakter auf der Stirn trägt, das nicht mehr vom Einverständnis der Mehrheit seiner Bürger, sondern nur noch von nackter militärischer und polizeilicher Gewalt getragen wird, fordert zur Gegengewalt heraus. Auch gewaltsame, revolutionäre Demonstrationen gegen die Unrechtsherrschaft können dann gerechtfertigt sein.

In diesen Zusammenhang gehört das große Kapitel des Widerstandsrechtes gegen staatliche Unrechtsgewalt, das nunmehr, wenn auch in etwas anderer, allgemeinerer Fassung, in Artikel 20 des Grundgesetzes verankert werden soll. Wo, wie in unserem Land, die Verfassungswirklichkeit zwar von mancherlei Mißständen, Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten gekennzeichnet ist, insgesamt aber von einem generellen Konsensus der Mehrheit seiner Bevölkerung getragen wird, kann und darf dagegen die Demonstrationsfreiheit nicht zum Mittel werden, um revolutionäre Gewaltakte zur Durchsetzung der erwünschten Reformen zu legitimieren. Gewalt-maßnahmen sind in diesem letzteren Falle auch politisch von vornherein ein untaugliches, nutzloses Mittel. Die Minderheit hat auf diesem Wege keine Chance, die Mehrheit für ihre Ziele zu gewinnen; sie erreicht eher das Gegenteil von dem, was sie bewirken will. Die sich mit der Mehrheit verbunden wissenden Regierenden verhärten ihre Standpunkte. Angesichts von Gewaltakten unterbleiben die rational vielleicht als berechtigt erkannten Reformen oder werden verschoben, weil nunmehr der Wunsch nach Ruhe und Ordnung größer ist als das Bestreben zur Änderung verbesserungsbedürftiger Zustände. In der Bundesrepublik des Jahres 1968 sind Demonstrationen unter Einbeziehung von Gewalt nicht nur, um ein Wort Talleyrands zu gebrauchen, ein „Verbrechen", sie sind eine „Dummheit".

Im System des Grundgesetzes ist die von Artikel 8 geforderte Friedlichkeit der Versammlungen ein ausdrücklich angesprochener Sonderfall der sogenannten grundrechtsimmanenten Schranken. Kein Grundrecht gilt schrankenlos; es ist ebensowenig grenzenlos wie die menschliche Freiheit allgemein, als deren verfassungsmäßige Manifestationen die Grundrechte anzusehen sind. Artikel 2 des Grundgesetzes, der von der freien Entfaltung der Persönlichkeit handelt, enthält zugleich auch die für die übrigen Grundrechte als Hinweise zu verstehenden Einschränkungen, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz verletzen darf.

Die Rechte anderer sind Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum, um nur die wichtigsten Rechts-güter zu nennen. Auch wer das Versammlungsrecht als ursprüngliches Menschenrecht ansieht, kann nicht umhin, diese Rechtsgüter dem gleichen Rechtsschutz zu unterstellen wie die Versammlungsfreiheit. Die Versammlungsfreiheit gilt auch in negativer Hinsicht, denn sie umfaßt auch das Recht, sich an Versammlungen nicht zu beteiligen und sich nicht von den dort proklamierten Zielen und Forderungen ansprechen zu lassen. Die Toleranz, die die Demonstranten für sich selbst in so hohem Maße fordern, vergessen sie oft gern gegenüber den Andersdenkenden und den politischen Gegnern. Geschütztes Eigentum ist auch das öffentliche Eigentum und das der ausländischen Vertretungen. Man muß es betonen im Hinblick auf die so beliebt gewordenen Demonstrationen vor staatlichen Gebäuden, Botschaften, Konsulaten, Amerika-Häusern etc. mit den obligaten Stein-und Tintenfaßwürfen. Die Demonstranten, die auf diese Weise gegen die staatlichen „Symbole" vorgehen, geben sich dadurch übrigens unbewußt doch auch noch als Anhänger eines mythisch überhöhten Staatsbegriffes zu erkennen, den man sonst heftig zu bekämpfen meint.

In ihrer Bedeutung schwieriger zu erfassen ist die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung. Darunter wird die Gesamtheit der tragenden Grundentscheidungen unserer Verfassung verstanden: der bundesstaatliche Aufbau, die Gewaltenteilung, der Schutz der Grundrechte, Rechts-und Sozialstaatlichkeit, Rechts-güter, die zum Teil auch in § 88 Absatz 2 des Strafgesetzbuches unter dem Stichwort „Verfassungsgrundsätze" in Zusammenhang mit den Tatbeständen der Staatsgefährdung aufgeführt sind. Auch zu dieser Einschränkung muß man sich aus der Einsicht bekennen, daß eine einmal durch Mehrheitsentscheid gebilligte, das Miteinander einer Vielzahl von Menschen in bestimmter Weise regelnde Grundordnung nicht unter Berufung auf die Demonstrationsfreiheit der ernstlichen Gefährdung oder gar Zerstörung preisgegeben werden kann. Hüten allerdings muß sich auch jede kleine oder höhere Obrigkeit vor der Versuchung, unter dem Deckmantel „Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung" die politisch mißliebige oder unerwünschte Kundgebung zu verbieten, obwohl von ihr bei objektiver Betrachtung keinerlei Gefahr ausgeht.

Das Sittengesetz, dieser heute in mancher Hinsicht etwas fragwürdig gewordene Begriff aus der Naturrechtslehre, hat für die Versammlungsfreiheit geringere Bedeutung. In der Rechtslehre wird dazu das reichlich theoretisch anmutende Beispiel einer Versammlung von Kupplern angeführt, die vielleicht über wirtschaftliche Verbesserungsmöglichkeiten ihres Gewerbes sprechen wollen.

Ein aktuelleres Beispiel sind Schülerversammlungen, die die freie Ausgabe der antikonzeptionellen Pille schon an minderjährige Mädchen fordern. Da die Anschauungen über den sittlichen Wert oder Unwert einer derartigen Forderung in der Öffentlichkeit sehr auseinandergehen, wäre es denkbar, daß in der Veranstaltung einer solchen Versammlung ein Verstoß gegen das Sittengesetz gesehen würde. Dem Verfasser ist jedoch nicht bekanntgeworden, daß, soweit bisher dieses Thema bei Schülerversammlungen angesprochen wurde, gegen die Versammlung eingeschritten wurde.

In § 1 Absatz 2 Ziffer 1— 4 des Versammlungsgesetzes sind für bestimmte Personen und Gruppen noch weitere subjektive Einschränkungen des Versammlungsrechtes aufgeführt. Diese Bestimmungen setzen kein neues selbständiges Recht, sondern ergeben sich unmittelbar aus bestimmten Artikeln des Grundgesetzes.

Das Recht, Versammlungen zu veranstalten oder an ihnen teilzunehmen hat nicht, 1. wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit durch Spruch des Bundesverfassungsgerichtes gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat. Der Verwirkungsausspruch, diese zu den schärfsten Waffen des Grundgesetzes gegen Feinde der Demokratie zählende Bestimmung, ist bisher noch nicht praktiziert worden. Eine vorbeugend abschreckende Wirkung dürfte aber von ihr ausgegangen sein. 2. Versammeln darf sich ferner nicht, wer mit der Kundgebung die Ziele einer vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Partei oder ihrer Teil-oder Ersatzorganisation fördern will. Die Bestimmung korrespondiert mit § 90 a des Strafgesetzbuches, wonach die Fortführung und Unterstützung einer verbotenen Partei oder die Werbung für sie unter Strafe gestellt sind. § 1 Absatz 2 Ziffer 2 des Versammlungsgesetzes stellt lediglich klar, daß auch die Berufung auf den Grundrechtsschutz des Artikels 8 GG eine öffentliche Versammlung zugunsten der KPD oder der SRP — der beiden verbotenen Parteien — nicht zu legitimieren vermag.

Der einzelnen sich zur kommunistischen Weltanschauung bekennenden Person ist damit das Recht, zu Versammlungen aufzurufen, noch nicht schlechthin genommen. Sie kann sich auch auf der Versammlung zu kommunistischem Gedankengut bekennen. Ist damit je-B doch zugleich ein wissentliches Fördern und Werben für die verbotene KPD als Vereinigung verbunden, dann ist dieses Tun strafbar nach § 90 a Strafgesetzbuch Ist die Person als Veranstalter der Versammlung aufgetreten, so kann diese nach § 13 Absatz 1 Ziffer 1 des Versammlungsgesetzes aufgelöst werden. Es ist nicht zu leugnen, daß die Unterscheidung zwischen Bekennen zum Kommunismus und Werben für die KPD in der Praxis sehr schwierig und problematisch ist, auch wenn man der einprägsamen Formel von Arndt folgt, daß nur die organisatorische, nicht die bloß ideologische Unterstützung der KPD zu pönalisieren sei. 3. Weniger Probleme bietet der Vorenthalt der Versammlungsfreiheit für verbotene Parteien oder Vereinigungen im ganzen, weil diese Konsequenz sich zwingend aus Sinn und Zweck eines Verbotes nach Artikel 21 Absatz 2 und Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes ergibt.

Der spezielle Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel

Während die bisher behandelten Beschränkungen der Versammlungsfreiheit für alle Versammlungsformen gelten, erlaubt der in Artikel 8 Absatz 2 GG niederlegte und durch das Versammlungsgesetz ausgefüllte spezielle Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel weitergehende und einschneidendere Beschränkungen. Hier liegt denn auch eine Wurzel für ständigen, wahrscheinlich nie ganz zu vermeidenden Arger und für Zusammenstöße zwischen den auf ihr Grundrecht pochenden Demonstranten und den auf das Versammlungsgesetz verweisenden Ordnungsbehörden. Gegenüber der Versammlung in geschlossenen Räumen bietet die unter freiem Himmel, die eigentliche „Demonstration", dem Bürger viel größere Chancen und Möglichkeiten zur Einflußnahme auf die Öffentlichkeit Im Zeitalter der Allmacht und Allgegenwart der Massenmedien Presse, Rundfunk und Fernsehen ist diese Wirkung noch potenziert.

Für die staatlichen Organe und Ordnungshüter sind Demonstrationen unter freiem Himmel daher stets unangenehm oder gefährlich, weil in den Folgen vorher schwer abschätzbar. Diese Feststellung ist wertneutral, sie gilt für totalitäre Herrschaftssysteme wie für demokratische, wenn auch natürlich mit erheblichen Abstufungen in der einen oder anderen Richtung. Nicht zu übersehen ist jedenfalls auch in freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratien das Bestreben, die politischen Demonstrationen unter freiem Himmel einer möglichst sicheren staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.

Das kann um so leichter und scheinbar einleuchtender geschehen, als die allgemeine öffentliche Sicherheit und Ordnung zweifellos durch Versammlungen außerhalb geschlossener Räume mehr beeinträchtigt wird. So hat denn auch der deutsche Gesetzgeber der Versuchung, durch die für Versammlungen unter freiem Himmel auferlegten Beschränkungen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zugleich auch deren politische Wirksamkeit zu mindern, nicht ganz widerstehen können. Er wurde dabei unterstützt von einer Exekutive, die zum Teil bemüht war, die gesetzlichen Bestimmungen noch möglichst extensiv auszulegen.

Das Versammlungsgesetz

Das schon mehrfach erwähnte Gesetz über Versammlungen und Auszüge kurz Versammlungsgesetz, das am 27. Juli 1953 verkündet wurde und am 10. August 1953 in Kraft trat normierte gemäß seiner amtlichen Begründung „die durch Übung und Sitte bereits festgelegten Spielregeln, die das Verhalten der Versammlungsteilnehmer und die Handhabung seitens der Versammlungsleiter bestimmen" Bewußt verzichtete man seinerzeit darauf, die Gesamtproblematik des Versammlungsrechtes neu zu durchdenken. Man ließ sich von dem „Ordnungsprinzip" als dem Hauptgedanken dieses im Regierungsentwurf noch als „Versammlungsordnungsgesetz" bezeichneten Gesetzes leiten und knüpfte an „Bewährtes", das heißt an das noch aus obrigkeitsstaatlicher Zeit stammende Gedankengut des alten Reichsvereinsgesetzes an, dessen Bestimmungen in Einzelfällen wörtlich übernommen wurden. Die mit der sich über fast drei Jahre hinziehenden Beratung befaßten Ausschüsse des Bundestages milderten einige der gar zu strikten Vorschriften des Regierungsentwurfes ab Das politische Klima zu Beginn der fünfziger Jahre, die damals noch sehr akute Furcht vor der kommunistischen Bedrohung, war jedoch einer großzügig liberalen Fassung des Versammlungsgesetzes nicht günstig.

Liest man die insgesamt Paragraphen des Gesetzes unvoreingenommen, so fällt einem schon an der Sprache auf, daß das Regeln, Anordnen, Ausschließen, Verbieten, Folgeleisten die bevorzugten Vokabeln sind. Allein acht Paragraphen haben Verstöße gegen das Gesetz zum Gegenstand, die zu Vergehen erhoben sind. Die Bestimmung des § 29 enthält in sechs weiteren Ziffern noch Ubertre-tungstatbestände, also gleichfalls Straftaten. Entgegen einer sonst zu beobachtenden Tendenz des modernen Gesetzgebers, Verstöße gegen Ordnungsgesetze als lediglich bußen-pflichtige Ordnungswidrigkeiten zu behandeln, hat man die Zuwiderhandlungen gegen das

Versammlungsgesetz als kriminelles Unrecht angesehen. Der Abschreckungsgedanke stand im Vordergrund; man glaubte, daß die Ordnungsvorschriften sich anderenfalls nicht als genügend wirksam erweisen würden 32). Das Versammlungsgesetz ist „tatsächlich überholt und wird den veränderten politischen Bewußtseinsformen nicht mehr gerecht" Bei den gegenwärtigen innenpolitischen Verhältnissen ist die Zeit für eine Revision des Gesetzes allerdings alles andere als günstig. Das Gesetz, wie es ist, muß als verbindliche Rechtsgrundlage hingenommen werden. Es zeigt. sich auch bei näherer Betrachtung, daß gerade einige der wichtigsten Vorschriften, die über Verbot und Auflösung, durchaus noch eine elastische Handhabung zulassen, wenn man sie weniger an ordnungspolizeilichen Gesichtspunkten und mehr am Grundgedanken des in Artikel 8 GG verbürgten Freiheitsrechtes orientiert.

Das Versammlungsgesetz gliedert sich in fünf Abschnitte. Abschnitt I enthält allgemeine, für alle Versammlungsformen geltende Vorschriften. Abschnitt II ist den Versammlungen in geschlossenen Räumen gewidmet. Hinsichtlich dieser Versammlungsform wurde schon oben gesagt, daß insoweit die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes nur „Entfaltungen" der schon dem Grundgesetz innewohnenden Freiheitsbeschränkungen sind und daß sie nur interpretativen und deklaratorischen Charak-ter haben Nach diesem Maßstab sind beispielsweise die Verbote des Waffentragens und ernstlicher Störungen in § 2 nur eine Wiederholung der schon in Artikel 8 Absatz 1 GG enthaltenen Einschränkung. Das Gebot der Namensangabe ist seinem Sinn nach hier keine behördliche Bevormundung (Verstoß ist nicht strafbar), sondern eine im Interesse der Bürger erlassene Regelung, die wissen wollen und sollen, wessen Einladung zur Versammlung ergeht.

Verfassungsrechtlich bedenklich ist das Verbot des Uniformtragens in § 3, das systematisch ohnehin nicht in das Versammlungsgesetz gehört, da es generell, also auch außerhalb von Versammlungen gilt. Nach der von Potrykus zitierten Absicht des Gesetzgebers sollten Verbände getroffen werden, die, „außerhalb der Parteien stehend, bestimmte politische Zwecke durch massen-suggestive Wirkung äußerer Uniformität erreichen wollen". Wahrscheinlich hat der Gesetzgeber wohl die braunen und schwarzen Uniformen der SA-und SS-Formationen in Erinnerung gehabt, denen man auch in keiner ähnlichen Weise wiederbegegnen wollte. Das Verbot in § 3 kann auch als zulässig angesehen werden, insoweit es sich mit § 96 a des Strafgesetzbuches deckt, der das Uniformtragen von verbotenen Parteien und Vereinigungen unter Strafe stellt. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb etwa einer den Pazifismus als politische Gesinnung verkündenden Gruppe verboten sein sollte, gleichartige weiße Kleidungsstücke zu tragen.

Füßlein, der meint, die Verfassungsmäßigkeit des Verbotes „dürfte gegeben sein" sieht das Uniformtragen als Meinungsäußerung durch Bild im Sinne des Artikels 5 des Grundgesetzes. Da die freie Meinungsäußerung an die allgemeinen Gesetze gebunden sei und die Strafbestimmung gegen das Uniformtragen in § 28 des Versammlungsgesetzes ein solch allgemeines Gesetz sei, könnten gegen § 3 des Versammlungsgesetzes keine Bedenken erhoben werden. Abgesehen davon, daß die Meinungsäußerung auch zum Versammlungsrecht gehört, also das Uniformverbot auch am Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu messen ist, nimmt die Argumentation von Füßlein das erst zu Beweisende durch Behauptung vorweg. Denn da auch die allgemeinen Gesetze am Grundrecht der freien Meinungsäußerung auszurichten sind, bleibt es nach wie vor sehr zweifelhaft, ob das Verbot der Uniformen und die entsprechende Strafvorschrift generell die in den Artikeln 5 und 8 geschützte freie Meinungsäußerung so weitgehend einschränken dürfen.

Die Vorschriften der §§ 7— 11 über den Versammlungsleiter und seine Ordner, über ihr Haus-, Ordnungs-, Weisungsund Ausschließungsrecht mitsamt den entsprechenden Strafvorschriften bei Widersetzlichkeit (§§ 22 und 29 Ziffer 2 und 3) zeugen, wie Ott richtig bemerkt mehr vom Geist eines straffen Führerprinzips denn von freiwilligem, demokratischem Reglement. In der Praxis wird es von der Person des Versammlungsleiters abhängen, wie weit er sich als Primus inter pares oder als Herrscher über die Versammlungsteilnehmer ansieht. Ebenso liegt es bei den Ordnern, ob sie für einen fairen Ablauf der Versammlung sorgen oder jeden Zwischenruf schon als gröbliche Störung mit Ausschluß ahnden.

Zu weitgehend erscheint allerdings die in § 9 Absatz 2 festgelegte Pflicht des Versammlungsleiters, der Polizei auf Verlangen die Zahl der Ordner mitzuteilen und gegebenenfalls ihre angemessene zahlenmäßige Beschränkung zu dulden. Die Vorschrift soll zwar angeblich gerade dem Schutz der Versammlungsfreiheit dienen, um „militanten Formen" der Beeinflussung und Einschüchterung der Versammlungsteilnehmer vorzubeugen Dennoch überwiegt hier der Eindruck einer übertriebenen Reglementierungssucht. Ungleich größere Bedeutung und Wichtigkeit kommt dem Versammlungsleiter bei Versammlungen unter freiem Himmel und bei Aufzügen zu. Zumindest theoretisch könnten seiner und seiner Ordner Autorität jegliche zusätzliche polizeiliche Sicherung erübrigen, wenn das Bild unserer Verfassung vom Bürger als einer mündigen, seiner Rechte und Pflichten bewußten Person richtig wäre. Der dritte, sich mit den öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und den Aufzügen befassende Abschnitt des Versammlungsgesetzes bestimmt denn auch insoweit folgerichtig, daß bei der erforderlichen vorherigen Anmeldung derartiger Kundgebungen der Name des Leiters anzugeben ist (§ 14 Absatz 2). Dem Leiter stehen auch im wesentlichen die gleichen Rechte zu wie bei Versammlungen in geschlossenen Räumen, doch nimmt ihm die Polizei die Ausschließung von gröblich störenden Teilnehmern ab (§§ 18 Absatz 3 und 19 Absatz 4), da es auf den öffentlichen Straßen und Plätzen naturgemäß kein Hausrecht gibt. Die Verwendung von Ordnern muß sich der Veranstalter oder der Versammlungsleiter bei der Anmeldung polizeilich genehmigen lassen; hier reicht also das staatliche Mißtrauen vor den privaten Ordnungskräften noch weiter (§ 18 Absatz 2). Speziell für Demonstrationszüge verpflichtet § 19 Absatz 3 den Leiter, die Beendigung des Zuges zu erklären, wenn er sich nicht durchzusetzen vermag. Man traut seiner Autorität also letztlich doch nicht allzusehr.

Es ist natürlich leicht, anhand der jüngsten Ausschreitungen und Unruhen bei Demonstrationen zu „beweisen", wie richtig und notwendig diese und andere kritisch beleuchteten Vorschriften des Versammlungsgesetzes sind. Dennoch bleibt es ein nicht nur die Gesetzes-technik betreffendes grundsätzliches Problem, ob man ein Gesetz im Blick auf das zugrunde liegende Freiheitsrecht großzügig liberal und die stets in Rechnung zu stellenden Mißbräuche nur als Ausnahmefälle formuliert oder ob man die möglichen Verstöße zum Ausgangspunkt für generalisierend mißtrauische und einschränkende Regelungen nimmt.

Die wichtigste Bestimmung für Versammlungen unter freiem Himmel ist § 15 des Versammlungsgesetzes. Hiernach können die zuständigen Behörden Versammlungen und Aufzüge verbieten oder bestimmte Auflagen erteilen, wenn nach den Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Mit derselben Begründung steht der Polizei auch das Auflösungsrecht zu. Verfassungsrechtlich ist auch diese Bestimmung wegen ihrer generalklauselartigen Fassung sowie der Privilegierung religiöser Umzüge und Volksfeste, auf die nach § 17 die Bestimmung des § 15 nicht anzuwenden ist, in mancher Beziehung problematisch Die Eingriffsmöglichkeiten, die § 15 den Ordnungsbehörden eröffnet, geben der Exekutive Macht, legen ihr aber auch Verantwortung und eine sorgfältig zu übende Prüfungspflicht auf, welche Mittel sie anwenden kann und darf, um Gefahren für die Allgemeinheit zu wehren, ohne das Grundrecht der Versammlungsfreiheit unzulässig zu beschneiden.

Die Feststellung, ob eine Demonstration die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet, liegt nicht im Ermessen der Verwaltung. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff. Er muß durch konkrete Einzeltatsachen mit Inhalt angefüllt werden, die in der Schlußfolgerung nur ein richtiges Ergebnis zulassen, nicht mehrere, wie es für Ermessensentscheidungen kennzeichnend ist. Wird also eine Demonstration der Verwaltungsbehörde gemäß § 14 gemeldet, und will sie sie verbieten oder Auflagen erteilen, müssen Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar drohend bevorstehen, wenn die Versammlung in der geplanten Form durchgeführt wird. Diese Tatsachen können auch nicht durch Vermutungen ersetzt werden, dergestalt etwa, daß bei vorausgegangenen ähnlichen Versammlungen Störungen vorgekommen seien und darum vermutlicherweise wieder entstehen würden. Mit dieser Begründung hat z. B. das Verwaltungsgericht Berlin in einem Beschluß vom 17. Februar 1968 die Durchführung einer vom Liberalen Studentenbund und der evangelischen Studentengemeinde beim Polizeipräsidenten von Berlin gemeldete und von diesem mit Billigung des Senates verbotene Vietnam-Demonstration zugelassen. Zugleich erteilte das Gericht die Auflage, daß der Demonstrationszug amerikanisches Wohngebiet nicht berühren dürfe, da die Antragsteller selbst erklärt hatten, sie könnten in diesem Gebiet wahrscheinlich nicht alle Demonstranten unter Kontrolle halten.

Das Verbot einer Versammlung wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darf auch nicht damit begründet werden, daß Störungen von dritter Seite zu erwarten seien. Vor Zusammenstößen, etwa mit Gegendemonstranten, wie sie sich auch bei dem erwähnten Vietnam-Demonstrationszug in Berlin ereigneten, hat vielmehr die Polizei die angemeldete Demonstration zu schützen. Allerdings kann sich bei derartigen Situationen ein polizeilicher Notstand ergeben — eine durch einfache Schutzmaßnahmen nicht mehr zu kontrollierende objektiv schwere Störung der öffentlichen Sicherheit. Die Polizei kann dann zur Auflösung der Demonstration gezwungen sein, auch wenn deren Teilnehmer kein Verschulden an der Störung trifft

Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind in erster Linie Gewalttätigkeiten, Prügeleien, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen, auch schon die Aufforderungen zu derartigen strafbaren Handlungen in der Öffentlichkeit, was zugleich nach § 111 des Strafgesetzbuches unter Strafe gestellt ist. Erfährt die Verwaltungsbehörde vorher, daß solche Aktionen geplant sind, hat sie das Recht und die Pflicht, die Demonstration zu verbieten. Ereignen sie sich spontan im Verlauf der Demonstration, muß diese aufgelöst werden.

Versammlungsfreiheit und Straßenverkehr

Insbesondere bei den Demonstrationszügen erhebt sich immer wieder die Frage, ob die zu erwartende Behinderung des Straßenverkehrs das Recht zum Verbot oder zu mehr oder minder einschränkenden Auflagen gibt, weil die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört werde. Hier hat die Exekutive einen gewissen Ermessensspielraum bei der Abwägung der Interessen der Demonstrationsund der Verkehrsteilnehmer. Dieses Ermessen ist jedoch kein freies oder gar willkürliches, sondern es ist an den polizeirechtlichen Grundsatz der richtigen Verhältnismäßigkeit der Mittel zum angestrebten Zweck gebunden. Im Zweifel gebührt der grundgesetzlich verbürgten Versammlungsfreiheit der Vorrang vor dem Straßenverkehr. Auch wenn es der Polizei Unbequemlichkeiten und zusätzliche Mühen bereitet, muß sie erst alle Möglichkeiten für Verkehrsabsperrungen und Umleitungen ausschöpfen, ehe sie die mit der Demonstration beabsichtigte freie Meinungs-und Willensbildung beschneiden darf. Die Grenzen für die ungehinderte Ausübung des Versammlungsrechtes auf öffentlichen Straßen und Plätzen liegen dort, wo die Beeinträchtigung des Verkehrs zu unzumutbaren, chaotischen Zuständen führen würde. Zeit, Ort, Dauer und Häufigkeit der Demonstrationen spielen dabei im Einzelfall eine wichtige Rolle. So war es beispielsweise eine richtige Entscheidung der Frankfurter Polizei, die Blockierung großer Straßenkreuzungen am Ostersonntag seitens der Ostermarschierer um zwölf Uhr mittags für die Dauer von fünf Minuten zu gestatten und in dieser Zeit den Demonstranten Gelegenheit zu geben, mit den wartenden Autofahrern zu diskutieren und ihre Ziele zu erläu-tern. Dieselbe Verkehrsblockierung an einem Werktag zwischen 17 und 18 Uhr hätte jedoch aller Voraussicht nach den gesamten innerstädtischen Verkehr total zum Erliegen gebracht und wäre somit unzumutbar und zu untersagen gewesen. Aus diesem Grund können statt eines Verbotes auch Auflagen notwendig, aber auch ausreichend sein, die die Demonstration auf Zeiten geringeren Verkehrs und auf weniger befahrene Verkehrsachsen verweisen, so daß die dann etwa noch nötigen Verkehrsumleitungen sich in erträglichen Grenzen halten. Unzulässig wäre es aber wiederum, den Demonstrationszug in eine Vorstadtgegend zu verbannen, weil dann der Zweck der Kundgebung, eine möglichst breite Öffentlichkeit anzusprechen, nicht erreicht werden könnte.

Die Verwendung von Lautsprechern auf öffentlichen Verkehrsflächen bedarf im allgemeinen einer Genehmigung nach § 5 Absatz 1 Nr. 3 der Straßenverkehrsordnung. Für Versammlungen kann dieser Genehmigungszwang anerkannt werden, soweit die Lautsprecher für vorbereitende Werbefahrten mit Autos dienen sollen. Sollen die Lautsprecher jedoch unmittelbar bei der Versammlung selbst zur notwendigen akustischen Verstärkung der Reden gebraucht werden, kann dafür eine Genehmigung nicht verlangt werden. Das wäre eine über das Versammlungsgesetz hinausgehende zusätzliche Einschränkung des Versammlungsgesetzes, die unzulässig ist, zumal es sich bei der Straßenverkehrsordnung nicht um ein förmliches Gesetz handelt. Nur wenn Lautsprecher etwa in der Nähe von Schnell-und Fernverkehrsstraßen zu einer erheblichen Gefährdung der Autofahrer führen könnten-, wären aus diesem Grunde Auflagen oder Verbot nach § 15 des Versammlungsgesetzes zulässig

Plakate, Transparente und Spruchbänder gehören heute zum unentbehrlichen Material einer Demonstration. Für sich allein stellen sie niemals eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar und können darum auch nicht, wie verschiedentlich geschehen von den Ordnungsbehörden verboten oder auf bestimmte Zahl und Größe beschränkt werden.

Verboten bzw. beschlagnahmt oder sichergestellt werden können Plakate dann, wenn ihr Inhalt offenkundig Straftatbestände der Beleidigung, Verleumdung, Verunglimpfung, oder der Völker-und Rassenhetze erfüllt.

Nicht jede kritische Äußerung, mag sie auch plakativ vergröbert und verzerrt sein, rechtfertigt aber schon polizeiliches Einschreiten.

Demonstrationen sind politischer Kampf; stark subjektiv gefärbtes Engagement ist ihnen wesenseigentümlich. Der im Beleidigungsrecht als besonderer Rechtfertigungsgrund geltende Grundsatz der berechtigten Interessenwahrnehmung gilt auch bei den Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit Demonstrationen. Im politischen Kampf müssen auch harte, ungerechte und übertriebene Urteile hingenommen werden, wie es das Bundesverfassungsgericht einmal bei der Entscheidung über eine Pressefehde ausgesprochen hat. Das gilt im Interesse des für die Demokratie schlechthin konstituierenden Grundrechtes der freien Meinungsäußerung. Die Strafgesetze als die das Grundrecht einschränkenden allgemeinen Gesetze müssen sich daher ihrerseits an der tragenden Bedeutung dieses Grundrechtes ausrichten. Ein Spruchband wie „Kühn und Schiller — Zechenkiller" kann nach Ansicht des Verfassers noch als Ausdruck einer — wenn auch überspitzt formulierten — politischen Meinungsäußerung angesehen werden. Dagegen sind Aufschriften wie „Springer — Mörder" oder „Schütz — von solchen Idioten werden wir regiert" nur noch schlichte beleidigende Hetze und als solche strafbar.

Die Bannmeilengesetze

Eine besondere Verbotsbestimmung für Demonstrationen enlhält § 16 des Versammlungsgesetzes. Innerhalb des befriedeten Bann-kreises für Bundestag und Bundesrat sowie für die parlamentarischen Ländervertretungen und das Bundesverfassungsgericht sind Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge verboten. Die von Bund und Ländern erlassenen Bannmeilengesetze umgrenzen durch genaue örtliche Beschreibung diese Bannkreise. In Bonn genießen wegen der räumlichen Nähe zum Bundestag auch Bundeskanzleramt und Bundespräsidialamt den Bannkreisschutz Der Bundesinnenminister kann im Einvernehmen mit den Präsidenten von Bundestag und Bundesrat oder des Bundesverfassungsgerichtes Ausnahmen von dem Versammlungsverbot zulassen. Ihre grundgesetzliche Legitimierung erhalten die Bannmeilengesetze durch den Vorbehalt in Artikel 8 Absatz 2 des Grundgesetzes, nach welchem Einschränkungen nicht nur „aufgrund eines Gesetzes" (nämlich des Versammlungsgesetzes), sondern auch „durch Gesetze" zulässig sind. Die Bannmeilengesetze und § 16 des Versammlungsgesetzes wollen die gesetzgebenden Körperschaften von dem Druck politischer Demonstrationen in ihrer Nähe freihalten. Ob damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verbunden ist, hat keine Bedeutung, denn die Vorschrift des § 15 des Versammlungsgesetzes hätte sonst ausgereicht. Prozessionen, Karnevalsumzüge und „gewöhnliche Leichenbegängnisse", also nicht ungewöhnliche mit politisch demonstrativem Charakter, wie der Leichenzug für Benno Ohnesorg, sind entsprechend ihrer Privilegierung in § 17 Versammlungsgesetz nicht an die Bannkreise gebunden. Im übrigen aber ahndet § 106 a des Strafgesetz-buches die Teilnahme an verbotenen Versammlungen innerhalb der Bannkreise mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe. Wer zu solchen verbotenen Versammlungen oder Aufzügen auffordert, wird gar mit Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren bedroht.

Versammlungsende und Spontanversammlungen

Das Ende von Versammlungen und Aufzügen wird im Normalfall durch den Versammlungsleiter bestimmt (§§ 8, 18 Vers. Ges.). Er kann Versammlungen auch unterbrechen lassen, beispielsweise um hartnäckige, durch Rufen, Singen, Pfeifen oder Zischen gröblich störende Teilnehmer durch Ordner bei Versammlungen in geschlossenen Räumen oder durch die Polizei bei solchen unter freiem Himmel zu entfernen. Ausgeschlossene Teilnehmer müssen „sofort" die Versammlung verlassen (§§ 11 Absatz 2, 18 Abs. 1 Vers. Ges.). Sie machen sich einer Übertretung nach § 29 Ziffer 3 Vers. Ges. schuldig, wenn sie sich nicht „unverzüglich", das heißt ohne schuldhaftes Zögern, nach ihrer Ausschließung entfernen.

Selbstverständlich macht die Störung einzelner Teilnehmer noch nicht die gesamte Versammlung zu einer die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdenden Aktion. Gerade bei Demonstrationszügen hat es die Polizei, wenn sie gutwillig und mit zur Unterstützung bereiten Ordnern zusammenarbeitet, durchaus in der Hand, beginnende Unruhe einzelner Teilnehmer durch geschicktes Eingreifen sozusagen im Keim zu ersticken.

Hat die Versammlung ihr regelrechtes Ende gefunden, so geschieht es öfter, daß nicht alle Teilnehmer sich gleich zerstreuen. Häufig bilden sich noch kleinere oder größere Diskussionsgruppen oder auch neue kleinere Demonstrationszüge. Derartige Versammlungen sind zwar nicht angemeldet, deswegen aber nicht etwa von vornherein verboten. Nach § 26 Ziffer 2 Vers. Ges. macht sich nur strafbar, wer solche „Folgeversammlungen" als Veranstalter oder Leiter organisiert und fortführt, nicht der gewöhnliche Teilnehmer Die Polizei kann nach § 15 Absatz 2 Vers. Ges. nicht angemeldete Versammlungen auflösen; nach dem Gesetzeswortlaut bedarf es dazu nicht der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch würde es Sinn und Zweck des Grundrechts der Versammlungsfreiheit widersprechen, wenn die Polizei allein aus dem Fehlen des Formerfordernisses der Anmeldung die freie Befugnis zur Auflösung herleiten würde.

Spontane Versammlungen, ganz gleich, ob sie sich nach dem Ende einer regulären Versammlung oder von Anfang an in freier Initiative ohne Organisation, ohne Veranstalter und Leiter aus irgendeinem aktuellen Anlaß heraus bilden, können naturgemäß die Formerfordernisse des § 14 Vers. Ges. nicht einhalten. Erinnert sei etwa an die historisch gewordenen Spontandemonstrationen in Berlin am 17. Juni 1953 und später beim Mauerbau am 13. August 1961. Spontandemonstrationen stehen deshalb nicht weniger unter Grundrechtsschutz und sind folglich grundsätzlich erlaubt und zulässig Sie können daher nur aufgelöst werden, wenn sie unfriedlich sind oder in sonstiger Weise die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Den Erfordernissen des Straßenverkehrs muß etwa in diesen Fällen mehr Rechnung getragen werden als bei den angemeldeten Versammlungen. Die Anmeldepflicht hat ja unter anderem die Bedeutung, den Ordnungsämtern rechtzeitige Vorbereitungsmaßnahmen für Verkehrsbeschränkungen zu ermöglichen. Dazu bleibt bei Spontan-versammlungen keine Zeit, so daß der Verkehrsfluß eher unzumutbar behindert und aus diesem Grunde dann eine Spontanversammlung aufgelöst oder auch mit nachträglichen strengeren Verkehrsauflagen versehen werden kann.

Die polizeiliche Auflösung von Demonstrationen

Muß eine Versammlung polizeilich vor ihrem regulären Ende aufgelöst werden, was bei Kundgebungen in geschlossenen Räumen nur unter den Voraussetzungen des § 13 Vers. -Ges., bei Demonstrationen unter freiem Himmel allgemein bei auftretenden Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig ist (§ 15 Absatz 2 i. V. mit § 15 Absatz 1 Vers. Ges.), entsteht für Polizei und Versammlungsteilnehmer eine kritische Situation, deren Bewältigung sich beide gegensätzlichen Gruppen leider häufig nicht gewachsen zeigen. Die Auflösungsverfügung trifft in eine mit Spannung geladene, von allgemeiner Unruhe erfüllte Atmosphäre. Polizei wie Versammlungsteilnehmer sind erregt und gereizt, einzelne Zusammenstöße sind vorausgegangen und haben nur zur Erhitzung der Gemüter beigetragen. Es scheint, als ob in derartigen Momenten ein Teufelskreis geschlossen wird, der nur von den Gesetzen der Massenpsychologie regiert wird und aus dem es ohne die dann auf beiden Seiten ausgeübte brutale Gewalt kein Entrinnen mehr gibt.

Es läßt sich nicht leugnen, daß in der Vergangenheit vielfach auch ein Versagen der Polizei Anlaß für Ausschreitungen größerer Art ge-worden ist. Massiver, übertriebener Einsatz statt räumlicher Zurückhaltung und möglichst unauffälliger Sicherung und Eingriffen bei kleineren Störungen führte dadurch zu allgemeinem Aufruhr. Die Vorfälle vor der Berliner Oper anläßlich des Schah-Besuches im Juni vorigen Jahres, die den Tod des Studenten Ohnesorg, später den Rücktritt des Polizeipräsidenten Duensing und inzwischen auch erste Verurteilungen von Polizeibeamten zur Folge hatten, bieten dafür ein tragisch anschauliches Beispiel. Exzesse der Polizeibeamten, die durch die ihnen gesetzlich eingeräumten Zwangsbefugnisse nicht mehr gedeckt waren, sind, soweit sich das aus Presseveröffentlichungen unter aller dabei gebotenen Zurückhaltung in der Beurteilung bisher ersehen läßt, auch bei der Auflösung von Demonstrationen während der Ostertage vorgekommen. Auf der anderen Seite ist sicherlich die distanzierte, nach außen kaum sichtbar gewordene Postierung von Polizeikräften anläßlich des „Sternmarsches" auf Bonn am 11. Mai 1968 eine der wesentlichsten Ursachen für den ruhigen Verlauf dieser Massendemonstration gewesen.

Im übrigen könnten die schon wiederholt geforderten Schilder mit Namen und Dienstgrad an den Uniformen der Polizisten wahrscheinlich einen nicht unwesentlichen vorbeugenden psychologischen Schutzeffekt bei der Ausübung von Zwangsmaßnahmen seitens der Polizei erfüllen. Es darf nicht übersehen werden, daß die von der Anonymität einer Masse ausgehende typische Gefahr für das Begehen illegitimer Gewalt auch für die massiert auftretenden Polizeibeamten gilt. Und während diese immerhin die Möglichkeit haben, bei Festnahmen die Personalien gewalttätiger Demonstranten zu erfahren, bleibt die an sich berechtigte Gegenfrage nach dem Namen des Polizisten nur allzuoft vergeblich.

Weiterhin ist eine gründliche politische Bildung und psychologische Schulung der Vollzugsbeamten dringend notwendig. Man darf nicht nur über die polizeiliche Bewältigung von Demonstrationen reden, sondern muß sich auch mit den Zielen der Demonstranten politisch auseinandersetzen. Die Beamten sollten nicht nur fähig sein, Provokationen soweit als nur irgend möglich zu widerstehen, sie sollten auch in der Lage sein, mit den Demonstranten zu diskutieren. Erfreulicherweise wächst bei den höheren Polizeibeamten die Einsicht in die Wichtigkeit all dieser Dinge. Es besteht Anlaß zu der Hoffnung, daß den Erörterungen in wissenschaftlichen Vorträgen, Seminaren und Dienstbesprechungen mehr und mehr auch die Umsetzung in die Praxis folgt.

Wenn und solange allerdings gewaltsame Ausschreitungen bei Demonstrationen nicht nur unglückselige Begleiterscheinungen des Versagens einzelner auf beiden Seiten sind, sondern die bewußte und gezielte Aktion der Demonstranten in der Gewalt ein Mittel zur Änderung der von ihnen bekämpften Mißstände sieht, bleibt letztlich doch nur die Gegengewalt als einziges Mittel übrig, um der Gewalt wirksam entgegenzutreten. Das ist zutiefst unbefriedigend und ungenügend. Jedem Einsichtigen ist klar, daß polizeilicher Zwang, Festnahmen und Verurteilungen, wie sie das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erfordert, dennoch keine politische Lösung der den gegenwärtigen Demonstrationsunruhen zugrunde liegenden Probleme bedeutet. Der Appell an die Vernunft, der Aufruf zur Lösung innenpolitischer Konflikte durch rationale Auseinandersetzung muß immer wiederholt werden. Es darf keine Entmutigung geben, keine Resignation, „weil doch alles nutzlos ist". Demokratie als Staatsform lebt von dem Glauben an den guten Willen aller ihrer Bürger. Sie kann nur bestehen in einem Klima, in dem Vertrauen auch und gerade gegenüber dem Andersdenkenden, nicht aber dessen Diffamierung und Verketzerung das politische Leben bestimmen.

Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen

Die letzten etwas kursorischen, weil über den Rahmen dieser Abhandlung hinausreichenden Bemerkungen sollen lediglich noch einmal verdeutlichen, daß es dem Verfasser auch in dem folgenden Schlußabschnitt nicht nur darum geht, sich in einer positivistischen Schilderung der Straftatbestände zu erschöpfen, die im Zusammenhang mit der Auflösung von Versammlungen und Demonstrationszügen verwirklicht werden können.

Die Bestimmungen über Auflauf, Aufruhr und Landfriedensbruch passen schlecht zu dem Idealbild der Versammlungsfreiheit, in der der Volkssouverän frei und ungehindert seinen Ansichten Ausdruck gibt und an der politischen Willensbildung mitwirkt. Die Fassung der Tatbestände entstammt dem vorigen Jahrhundert; über ihre Reformbedürftigkeit sind sich die Juristen weitgehend einig, insbesondere was das teilweise drakonische Strafmaß angeht Dennoch wird auch künftighin nie ganz auf Strafgesetze dieser Art verzichtet werden können.

Das Versammlungsgesetz enthält in § 29 Nr. 4 einen einfachen Ubertretungstatbestand, nach welchem jeder Versammlungsteilnehmer sich strafbar macht, der sich nicht „unverzüglich" nach der polizeilichen Auflösung entfernt. Das Delikt wird zum Vergehen des Auflaufes nach § 116 Absatz 1 Strafgesetzbuch, wenn die Polizei dreimal zum Auseinandergehen aufgefordert hat und die Teilnehmer an der „versammelten Menschenmenge" sich dennoch nicht entfernen. Für die Strafbarkeit genügt es zu wissen, daß die dreimalige Aufforderung ergangen ist. Man braucht sie nicht selbst gehört zu haben, sondern kann sie auch von anderen erfahren haben, wie der Bundesgerichtshof einmal entschieden hat

Zum aufrührerischen Auflauf steigert sich das Vergehen für jeden, der nicht nur in der Menge bleibt, sondern mit anderen in „vereinten Kräften" tätlichen Widerstand gegen die Vollzugsbeamten leistet oder Gewalt übt (§ 116 Absatz 2 StGB). Für diesen Fall werden die Strafen des Aufruhrs angedroht. Nach § 115 StGB macht sich des Aufruhrs schuldig, wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften Widerstand und Nötigung gegen die in rechtmäßiger Ausübung ihres Dienstes sich befindenden Beamten begangen wird. Rädelsführer, das heißt die geistig oder physisch als Anführer tätigen Personen, und diejenigen, die selbst als Täter gemeinsamen Widerstand und Nötigung begehen, Ab können gemäß § 115 -satz 2 StGB mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft werden. Der Unterschied im Tatbestand zwischen aufrührerischem Auflauf und Aufruhr liegt darin, daß in einem Falle von einer versammelten Menschenmenge, im anderen Fall von einer öffentlichen Zusammenrottung die Rede ist. Unter Zusammenrottung verstehen Rechtsprechung und Rechtslehre eine Mehrheit von Personen, aus deren Zahl und Größe eine Gefahr für die öffentliche Ordnung erwächst und die zu einem gemeinschaftlichen, in seiner Rechtswidrigkeit erkennbaren, bedrohlichen oder gewalttätigen Handeln zusammengetreten ist

Eine „wilde", bewußt nicht angemeldete und zum Zwecke von bestimmten Gewalttaten zusammengetretene Demonstration kann eine solche Zusammenrottung sein. In diesem Fall hat die Polizei auch die Befugnis zum sofortigen zwangsweisen Einschreiten und zur Zerstreuung der Menge. Auch ohne Rädelsführer zu sein oder ohne selbst Gewalttaten zu begehen, ist dennoch schon als Täter des Aufruhrs jeder strafbar, der sich in Kenntnis der gewalttätigen Zwecke der Zusammenrottung angeschlossen hat, auch wenn es vielleicht nur aus Neugier und ohne Billigung der Gewalttaten geschehen ist. Da jede auch nur passive Assistenz die Menschenmenge und damit auch ihre Gefährlichkeit vergrößert, ist der Täterkreis des Aufruhrs so weit gezogen.

Wegen Landfriedensbruches werden Teilnehmer an einer zusammengerotteten Menschenmenge, die mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Das geschützte Rechtsgut ist nach § 125 StGB der öffentliche Frieden, während Auflauf und Aufruhr sich gegen die Staatsgewalt und ihre Organe richten. Auch hier genügt für eine Bestrafung als Täter des Land-friedensbruches die lediglich passive Teilnahme an der gewalttätigen Menge. Rädelsführer und diejenigen, die selbst Personen verletzen, Sachen zerstören oder plündern, trifft dieselbe schwere Strafe wie bei Ausfuhr. Ohnehin werden die beiden Delikte sehr häufig zur gleichen Zeit — in Tateinheit, wie der Jurist sagt — begangen. Schließlich ist aufgrund der jüngsten Demonstrationen gegen die Verlagshäuser des Springer-Konzerns und die für ihn arbeitenden Druckereien sowie der gewaltsamen „Besetzung" von Instituts-und Rektoratsräumen an den Universitäten auch der Tatbestand des „Schweren Hausfriedensbruches" aktuell geworden. Die in § 124 StGB mit Strafe bedrohten Gewalttätigkeiten sind in diesem Fall durch das widerrechtliche Eindringen in fremde Wohnungen, Geschäftsräume oder umfriedete Besitztümer, wie Höfe oder Gartenplätze, besonders gekennzeichnet. Das Strafmaß reicht von einem Monat bis zu zwei Jahren Gefängnis.

Nicht unerwähnt darf für die „andere Seite" der Straftatbestand des § 340 StGB, der Körperverletzung im Amt bleiben -Zwar ist den Polizeibeamten durch Gesetz oder Dienstanweisung die Befugnis zum „unmittelbaren Zwang" gegeben; die unter Umständen begangene Körperverletzung kann somit gesetzlich gerechtfertigt sein. Auch die körperlichen Zwangsmaßnahmen unterliegen jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel zum angestrebten Zweck. Schläge und Prügel, die an weglaufende oder festgenommene, keinen Widerstand leistende Demonstranten ausgeteilt werden, sind als rechtswidrige Körperverletzung nach § 340 zu bestrafen.

Für sämtliche hier genannten Delikte enthält § 94 StGB noch eine generelle Strafverschärfungsvorschrift, wenn die Taten in staatsgefährdender Absicht begangen worden sind. Neben oder tateinheitlich mit den Delikten des Auflaufs, Aufruhrs, Haus-und Landfriedensbruches können auch noch die Straftatbestände der einfachen und schweren Körperverletzung, der Nötigung und Bedrohung, der Sachbeschädigung, der Zerstörung von Bauwerken und der Brandtstiftung verwirklicht werden. Da sie allgemein bekannter sind, seien sie hier nur der Vollständigkeit halber am Rande mit aufgezählt.

Im Gerichtssaal jedenfalls kann das Ende einer Demonstration eine sehr umfängliche und ernüchternde Bilanz von Straftaten ergeben. Sie wird vielen der sich dann auf einmal zum Rechtsbrecher abgestempelt sehenden Demonstranten nachträglich kaum faßbar erscheinen, auch wenn einige von ihnen sich vielleicht noch als Märtyrer der von ihnen bekämpften Staatsgewalt fühlen mögen.

Es wäre gut, wenn nach den Ereignissen der vergangenen Monate wenigstens für die Zukunft in uns allen das Bewußtsein für Freiheit und Grenzen der Demonstration wacher und schärfer geworden wäre.

Anhang

I. Quellen zur Geschichte der Versammlungsfreiheit

Verfassung der französischen Republik vom 24. Juni 1793

Art. 7 Le droit de manifester sa pense et ses opinions, soit par la voie de la presse, soit de toute autre maniere, le droit de s'assembler paisiblement, le libre exercise des cultes ne peuvent etre interdits.

Das Recht, seine Gedanken und Meinungen mitzuteilen, sei es durch die Presse oder auf jede andere Weise, das Recht sich friedlich zu versammeln und die freie Ausübung des Gottesdienstes können nicht verwehrt werden.

Reichsverfassungsentwurf der Frankfurter Nationalversammlung vom 28. März 1849

Abschnitt VI Art. VIII § 161:

Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubnis bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verboten werden.

Preußische Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850

Titel II Art. 20:

Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vor-gängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind.

Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908 (RGBl. S. 151) § 1 Alle Reichsangehörigen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden und sich zu versammeln. Dieses Recht unterliegt polizeilich nur den in diesem Gesetz und anderen Reichsgesetzen enthaltenen Beschränkungen.

Die allgemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des Landesrechtes finden Anwendung, soweit es sich um die Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer an einer Versammlung handelt.

Aufruf des Rats der Volksbeauftragen an das deutsche Volk vom 12. November 1918

An das deutsche Volk Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren Leitung rein sozialistisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Sie verkündet mit Gesetzeskraft folgendes:

1. ...

2. Das Vereins-und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter.

3. ...

(RGBl. I S. 1302)

Die Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Verfassung) vom 11. August 1919

Art. 123 Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.

Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.

(RGBl. I S. 1383)

Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat Vom 28. Februar 1933 (RGBL I 83)

Auf Grund des Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer, staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet: § 1 Die Artikel . . . 123 . . .der Verfassung des Deutschen Reiches werden'bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins-und Versammlungsrechtes, . .. auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.

II. Die Versammlungsfreiheit in den Verfassungen von Bund und Ländern

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1)

Art. 8. (Versammlungsfreiheit) (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Verfassung des Freistaates Bayern Vom 2. Dezember 1946

Art. 113 (Versammlungsfreiheit)

Alle Bewohner Bayerns haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.

Verfassung von Berlin Vom 1. September 1950

Art. 18 (Versammlungsfreiheit)

Abs. 1 Alle Männer und Frauen haben das Recht, sich zu gesetzlich zulässigen Zwecken friedlich und unbewaffnet zu versammeln . . .

Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen Vom 21. Oktober 1947

Art. 16 (Versammlungsfreiheit)

Das Recht, sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln, ohne daß es einer Anmeldung oder Erlaubnis bedürfte, steht allen Bewohnern der Freien Hansestadt Bremen zu.

Versammlungen unter freiem Himmel können durch Gesetz anmeldepflichtig gemacht werden. Bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit können sie durch die Landesregierung verboten werden.

Verfassung des Landes Hessen Vom 11. Dezember 1946 • Art. 14 (Versammlungsfreiheit)

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Gesetz anmeldepflichtig gemacht werden.

Verfassung für Rheinland-Pfalz Vom 18. Mai 1947

Art. 12 (Versammlungsfreiheit)

Alle Staatsbürger haben das Recht, sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Gesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.

III. Internationale Erklärungen und Kon ventionen zur Versammlungsfreiheit

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948

Art. 20: Jeder Mensch hat das Recht auf Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit zu friedlichen Zwecken.

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 686)

Art. 11 (Versammlungs-und Vereinsfreiheit) (1) Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. (2) Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der äußeren und inneren Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verbrechensverhütung, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Dieser Artikel verbietet nicht, daß die Ausübung dieser Rechte für Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung gesetzlichen Einschränkungen unterworfen wird.

VI. Das Versammlungsrecht in der DDR

Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik In Kraft getreten am 9. April 1968

Artikel 28 Alle Bürger haben das Recht, sich im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung friedlich zu versammeln.

Die Nutzung der materiellen Voraussetzungen zur unbehinderten Ausübung dieses Rechts, der Versammlungsgebäude, Straßen und Kundgebungsplätze, Druckereien und Nachrichten-mittel wird gewährleistet.

(zitiert nach „Der Spiegel" vom 15. 4. 1968, S. 54, 55, und Juristenzeitung 1968, S. 317.)

V. Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz)

Vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S. 684)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

Abschnitt I. Allgemeines § 1 (Versammlungsrecht) (1) Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. (2) Dieses Recht hat nicht, 1. wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat, 2. wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil-oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will, 3. eine Partei, die nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder 4. eine Vereinigung, die nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist. § 2 (Namensangabe des Veranstalters; Störungs-und Waffentragungsverbot) (1) Wer zu einer öffentlichen Versammlung oder zu einem Aufzug öffentlich einlädt, muß als Veranstalter in der Einladung seinen Namen angeben. (2) Bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen hat jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsmäßige Durchführung zu verhindern. (3) Niemand darf Waffen bei sich tragen, es sei denn, daß er zum Erscheinen mit Waffen behördlich ermächtigt ist. § 3 (Uniformverbot) (1) Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. (2) Jugendverbänden, die sich vorwiegend der Jugendpflege widmen, ist auf Antrag für ihre Mitglieder eine Ausnahmegenehmigung von dem Verbot des Absatzes 1 zu erteilen. Zuständig ist bei Jugendverbänden, deren er-B kennbare Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, der Bundesminister des Innern, sonst die oberste Landesbehörde. Die Entscheidung des Bundesministers des Innern ist im Bundesanzeiger und im Gemeinsamen Ministerialblatt, die der obersten Landesbehörden in ihren amtlichen Mitteilungsblättern bekanntzumachen. § 4 (gestrichen)

Abschnitt II. Of fentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen § 5 (Verbot von Versammlungen in geschlossenen Räumen)

Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn 1.der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1— 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist, 2.der Veranstalter oder Leiter der Versammlung entgegen § 2 Abs. 3 bewaffneten Teilnehmern Zutritt gewährt, 3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben, 4. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben. § 6 (Ausschlußrecht bestimmter Personen) (1) Bestimmte Personen oder Personenkreise können in der Einladung von der Teilnahme an einer Versammlung ausgeschlossen werden. (2) Pressevertreter können nicht ausgeschlossen werden; sie haben sich dem Leiter der Versammlung gegenüber durch ihren Presse-ausweis ordnungsgemäß auszuweisen. § 7 (Versammlungsleiter) (1) Jede öffentliche Versammlung muß einen Leiter haben. (2) Leiter der Versammlung ist der Veranstalter. Wird die Versammlung von einer Vereinigung veranstaltet, so ist ihr Vorsitzender der Leiter. (3) Der Veranstalter kann die Leitung einer anderen Person übertragen.

(4) Der Leiter übt das I lausrecht aus. § 8 (Aufgaben des Versammlungsleiters)

Der Leiter bestimmt den Ablauf der Versammlung. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen. Er kann die Versammlung jederzeit unterbrechen oder schließen. Er bestimmt, wann eine unterbrochene Versammlung fortgesetzt wird. § 9 (Ordner) (1) Der Leiter kann sich bei der Durchführung seiner Rechte aus § 8 der Hilfe einer angemessenen Zahl ehrenamtlicher, unbewaffneter Ordner bedienen. Diese müssen volljährig sein und sind ausschließlich durch weiße Armbinden, die nur die Bezeichnung „Ordner" tragen dürfen, kenntlich zu machen. (2) Der Leiter ist verpflichtet, die Zahl der von ihm bestellten Ordner der Polizei auf Anfordern mitzuteilen. Die Polizei kann die Zahl der Ordner angemessen beschränken. § 10 (Folgepflicht der Versammlungsteilnehmer) Alle Versammlungsteilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anweisungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen. § 11 (Ausschluß von Störern) (1) Der Leiter kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen. (2) Wer aus der Versammlung ausgeschlossen wird, hat sie sofort zu verlassen. § 12 (Polizeibeamte)

Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben. Es muß ihnen ein angemessener Platz eingeräumt werden. § 13 (Polizeiliche Auflösung von Versammlungen) (1) Die Polizei (§ 12) kann die Versammlung nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn 1.der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist, 2. die Versammlung einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht, 3.der Leiter Personen, die entgegen § 2 Abs. 3 Waffen mit sich führen, nicht sofort ausschließt und für die Durchführung des Ausschlusses sorgt, 4. durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet. In den Fällen der Nummern 2 bis 4 ist die Auflösung nur zulässig, wenn andere polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbrechung, nicht ausreichen. (2) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, haben alle Teilnehmer sich sofort zu entfernen.

Abschnitt III. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge § 14 (Anmeldungspflicht für Versammlungen im Freien) (1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde anzumelden. (2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll. § 15 (Verbot von Versammlungen im Freien; Auflagen, Auflösung) (1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den Umständen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit unmittelbar gefährdet ist.

(2) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 gegeben sind.

(3) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen. § 16 (Bannkreis) (1) Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge sind innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bundes oder der Länder sowie des Bundesverfassungsgerichts verboten.

(2) Die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane des Bundes und für das Bundesverfassungsgericht werden durch Bundesgesetz, die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane der Länder durch Landesgesetze bestimmt.

(3) Das Weitere regeln die Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder. § 17 (Ausnahme für religiöse Feiern und Volksfeste) §§ 14 bis 16 gelten nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste. § 18 (Entsprechende Anwendung des II. Abschnitts) (1) Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 2, §§ 12 und 13 Abs. 2 entsprechend anzuwenden. (2) Die Verwendung von Ordnern bedarf polizeilicher Genehmigung. Sie ist bei der Anmeldung zu beantragen. (3) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen. § 19 (Ordnungsvorschriften) (1) Der Leiter des Aufzuges hat für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. Er kann sich der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen, für welche § 9 Abs. 1 und § 18 gelten. (2) Die Teilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen. (3) Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, so ist er verpflichtet, den Aufzug für beendet zu erklären. (4) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von dem Aufzug ausschließen. § 20 (Einschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit)

I Das Grundrecht des Artikels 8 des Grundgesetzes wird durch die Bestimmungen dieses Abschnitts eingeschränkt.

Abschnitt IV. Strafvorschriften § 21 (Störung von Versammlungen)

Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Gefängnis bestraft. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. § 22 (Beeinträchtigung und Bedrohungder Versammlungsleitung)

Wer bei einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug dem Leiter oder einem Ordner in der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn während der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse tätlich angreift, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. § 23 (Aufforderung zu verbotenen Versammlungen und Aufzügen) (1) Wer öffentlich,, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Schall-aufnahmen, Abbildungen oder Darstellungen, zur Teilnahme an einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder einem verbotenen Aufzug auffordert, wird mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Kannte der Täter das Verbot infolge von Fahrlässigkeit nicht, so ist auf Geldstrafe zu erkennen. § 24 (Verwendung bewaffneter Ordner)

Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges Ordner verwendet, die bewaffnet sind, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. § 25 (Abweichende Durchführung von Versammlungen und Aufzügen)

Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Auszuges 1. die Versammlung oder den Aufzug wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben, oder 2. Auflagen nach § 15 Abs. 1 nicht nachkommt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. § 26 (Abhaltung verbotener oder nicht angemeldeter Versammlungen) (1) Wer als Veranstalter oder Leiter 1. eine öffentliche Versammlung oder einen Aufzug trotz Verbots abhält oder trotz Auflösung oder Unterbrechung durch die Polizei fortsetzt oder 2. eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne Anmeldung (§ 14) durchgeführt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Kannte der Täter das Verbot, die Auflösungsverfügung oder den Mangel der Anmeldung infolge von Fahrlässigkeit nicht, so ist auf Geldstrafe zu erkennen. § 27 (Führung von Waffen)

Wer bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen bei sich führt, ohne zum Erscheinen mit Waffen behördlich ermächtigt zu sein, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. § 28 (Verstöße gegen Uniform-und nationalsozialistisches Kennzeichenverbot)

Wer der Vorschrift des § 3 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. § 29 (Übertretungen)

Mit Haft oder Geldstrafe bis zu fünfhundert Deutsche Mark wird bestraft, wer 1. an einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder einem verbotenen Aufzug teilnimmt, 2. trotz wiederholter Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner fortfährt, den Ablauf einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges zu stören, 3. sich nicht unverzüglich nach seiner Aus-schließung aus einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug entfernt, 4. sich trotz Auslösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die Polizei nicht unverzüglich entfernt, 5.der Aufforderung der Polizei, die Zahl der von ihm bestellten Ordner mitzuteilen, nicht nachkommt oder wissentlich eine unrichtige Zahl mitteilt (§ 9 Abs. 2) oder 6. als Leiter oder Veranstalter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges eine größere Zahl von Ordnern verwendet, als die Polizei zugelassen oder genehmigt hat (§ 9 Abs. 2, § 18 Abs. 2), oder Ordner verwendet, die anders gekennzeichnet sind als es nach § 9 Abs. 1 zulässig ist.

Abschnitt V. Schlußbestimmungen § 30 (Aufhebung gesetzlicher Vorschriften) (1) Die Vorschriften über Versammlungen und Aufzüge 1.des Vereinsgesetzes vom 19. April 1908 (Reichsgesetzbl. S. 151), der Änderungsgesetze vom 26. Juni 1916 (Reichsgesetzbl.

S. 635) und vom 19. April 1917 (Reichsgesetzbl. S. 361), 2.der Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19. Dezember 1932 (Reichsgesetzbl. I S. 548)

3.der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes vom 4. Februar 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 35) werden aufgehoben. (2) § 107 a des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 23. Mai 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 296) wird aufgehoben. § 31 (Geltung in Berlin)

Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 des Dritten Uberleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 1) auch im Land Berlin. Rechtsverordnungen, die auf Grund der in diesem Gesetz enthaltenen Ermächtigung erlassen werden, gelten im Land Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes. § 32 (Inkrafttreten)

Dieses Gesetz tritt 14 Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

VI. Einzelne Strafbestimmungen aus dem Strafgesetzbuch

Strafgesetzbuch § 1 15 (Aufruhr) (1) Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei welcher eine der in §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird, teilnimmt, wird wegen Aufruhrs mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.

(2) 1. Die Rädelsführer sowie diejenigen Aufrührer, welche eine der in §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen begehen, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 2. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. § 116 (Auflauf) (1) Wird eine auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen versammelte Menschenmenge von dem zuständigen Beamten oder Befehlshaber der bewaffneten Macht aufgefordert, sich zu entfernen, so wird jeder der Versammelten, welcher nach der dritten Aufforderung sich nicht entfernt, wegen Auflaufs mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ist bei einem Auflauf gegen die Beamten oder die bewaffnete Macht mit vereinten Kräften tätlicher Widerstand geleistet oder Gewalt verübt worden, so treten gegen diejenigen, welche an diesen Handlungen teilgenommen haben, die Strafen des Aufruhrs ein. § 124 (Schwerer Hausfriedensbruch)

Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, so wird jeder, welcher an diesen Handlungen teilnimmt, mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. § 125 (Landfriedensbruch) (1) Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht, so wird jeder, welcher an dieser Zusammenrottung teilnimmt, wegen Land-friedensbruch mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.

(2) 1. Die Rädelsführer sowie diejenigen, welche Gewalttätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert, vernichtet oder zerstört haben, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 2. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. § 340 (Körperverletzung im Amt) (1) 1. Ein Beamter, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes vorsätzlich eine Körperverletzung begeht oder begehen läßt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.

2. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt oder auf Geldstrafe erkannt werden. (2) 1. Ist die Körperverletzung eine schwere, so ist auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu erkennen.

2. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert nach einer Veröffentlichung im „Schwarzwälder Boten" vom 9. 4. 1968.

  2. Zitiert nach einer Veröffentlichung in der „Süddeutschen Zeitung" vom 18. 4. 1968.

  3. Enderling, Versammlungsgesetz, Stuttgart 1953; Trubel-Hainka, Das Versammlungsrecht, 1953; Füßlein, Versammlungsgesetz. Erläuterungsbuch, unter Mitarbeit von Geeb, Berlin 1954. Auch die aus späteren Jahren stammenden Kommentierungen des Versammlungsgesetzes von Potrykus, in: Erbs, Strafrechtliche Nebengesetze, Loseblattausgabe, Stand Sept. 67, und von Fuhrmann, in: Dalcke, Fuhrmann, Schäfer, Strafrecht und Strafverfahrens-recht, 37. Ausl. 1961, decken sich im wesentlichen in den Ergebnissen mit den Erstkommentaren.

  4. Das Buch ist 1967 in Neuwied und Berlin erschienen; es ist eine gründliche, abgewogene, alle wesentlichen Fragen berührende Darstellung.

  5. Text im Anhang unter I.

  6. Füßlein, Versammlungsgesetz, S. 1 f.; Küchenhoff, a. a. O., S. 28 ff.

  7. Text im Anhang unter I.

  8. Füßlein, a. a. O., S. 1 f.

  9. Ein Antrag der KPD, die Versammlungsfreiheit „jedermann" zu gewähren, wurde vom Grundsatzausschuß zur Beratung des Grundgesetzes abgelehnt. (Mangoidt, Kommentar z. Grundgesetz, 1. Aull. 1953, Anm. 1 zu Art. 8.).

  10. Dürig in Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2, Randnummer 16.

  11. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Band 10, S. 270, 274.

  12. Text im Anhang unter IV. Die von DDR-Juristen als besonders fortschrittlich bezeichnete soge-nannte materielle Grundrechtsgarantie fußt offenbar auf dem Vorbild des Artikels 125 der Verfassung der UdSSR vom 5. 12. 1936.

  13. Zitiert nach „Das Parlament" vom 17. 4. 1968, S. 5.

  14. Der Text des Versammlungsgesetzes ist vollständig im Anhang unter V wiedeigegeben.

  15. Siehe den Bericht des Bundesinnenministeriums über „Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik im Jahre 1967", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 10. 4. 1968, S. 21.

  16. Bundesgerichtshof für Strafsachen, Entscheidungen in: Neue Juristische Wochenschrift 1964, S. 1082, und ebenda 1965, S. 1444.

  17. Arndt, in: Neue Juristische Wochenschrift 1965, S. 432.

  18. Vgl. auch Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S. 20 f.

  19. Mit diesem heute altmodisch wirkenden Ausdruck sind die „sich fortbewegenden Versammlungen", also die Demonstrationszüge und Kundgebungsmärsche gemeint.

  20. Berlin übernahm das Gesetz nicht; dort gilt das Landesgesetz über Vereins-und Versammlungsfreiheit vom 29. 9. 1950.

  21. Zitiert nach Füßlein, Deutsches Verwaltungsblatt 1954, S. 553 f.

  22. Füßlein, a. a. O„ S. 554.

  23. Potrykus, Versammlungsgesetz, Einführung II vor § 1.

  24. Potrykus, a. a. O., Vorbemerkung zu Abschnitt IV des Gesetzes, mit Zitat aus dem Regierungsentwurf.

  25. So äußerte sich jüngst der Münchener Polizei-präsident Dr. Schreiber auf einer öffentlichen Versammlung vor Studenten (Süddeutsche Zeitung vom 19. 4. 1968, S. 9).

  26. So auch Maunz, Deutsches Staatsrecht, 16. Ausl. 1968, S. 116.

  27. Potrykus, a. a. O., Anm. 3 zu § 3.

  28. Füßlein, Deutsches Verwaltungsblatt 1954, S. 557.

  29. Ott, a. a. O., S. 23.

  30. Füßlein, a. a. O., S. 556, und Potrykus, a. a. O., Anm. 1 zu § 9.

  31. Eine Erörterung würde hier zu weit führen, daher sei auf die eingehende und im wesentlichen zutreffende Behandlung der Frage bei Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S. 23 bis 35, verwiesen.

  32. Vgl. auch Ott, a. a. O., S. 37.

  33. Ebenso Ott, a. a. O., S. 46. Diese Rechtsansicht ist aber nicht unbestritten.

  34. Instruktive Beispiele nennt Ott, a. a. O., S. 40 und 52 f.

  35. Vgl. § 1 des Bannmeilengesetzes des Bundes vom 6. 8. 1955, BGBl. I S. 504.

  36. Potrykus, Versammlungsgesetz, Anm. 5 zu § 19; Ott, a. a. O., S. 81; a. A. Füßlein, Erläuterungsbuch zum Versammlungsgesetz, Anm. 9 zu § 19.

  37. So auch Ott, a. a. O., S. 55 ff., der in einer überzeugenden Auseinandersetzung mit der von Füßlein a. a. O. in Anm. zu § 14 geäußerten gegenteiligen Ansicht nachweist, daß die vom Vers. Ges. nicht ausdrücklich behandelte Spontanversammlung nicht etwa aus dem Gesetzeszusammenhang oder einer bedenklich extensiven Auslegung der Strafnormen der §§ 26 Abs. 1 Nr. 2 und 29 Nr. 1 Vers. Ges. von vornherein als verboten angesehen werden kann. Im Ergebnis, wenn auch mit vorsichtiger Formulierung, scheint das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 31. 1. 1967 (Neue Juristische Wochenschrift 1967, S. 1191) ebenfalls der hier vertretenen Meinung zuzuneigen. Im übrigen stellt die Entscheidung ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit der Anmeldepflicht für die „normale", geplante Demonstration fest.

  38. Texte der Strafbestimmungen im Anhang unter VI.

  39. Im Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches von 1960 sind z. B. die Bestimmungen über aufrührerischen Auflauf, Aufruhr und Landfriedensbruch zu zwei Tatbeständen des einfachen und schweren Landfriedensbruches zusammengefaßt. Das Strafmaß wurde erheblich herabgesetzt! die Zuchthausstrafe ist weggefallen), weil nach der amtlichen Begründung die Delikte nicht der Hochkriminalität zuzurechnen sind.

  40. Bundesgerichtshof für Strafsachen, Entscheidungen Band 5, S. 251.

  41. Schwarz-Dreher, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 29. Ausl., 1967, Anm. 1 zu § 115.

  42. Text im Anhang unter VI.

  43. Text im Anhang unter VI.

Weitere Inhalte

Hartmut Vogel, Dr. jur., geb. 1936 in Berlin, Studium der Rechts-und Staatswissenschaften, mehrere Jahre als Justitiar in der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, gegenwärtig als Regierungsrat beim Landratsamt Balingen/Württemberg tätig.