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Die politische Konzeption des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes | APuZ 20/1968 | bpb.de

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APuZ 20/1968 Die politische Konzeption des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes

Die politische Konzeption des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes

Rene Ahlberg

1. Die politische Entwicklung des SDS

INHALT a) Der Einfluß des SDS auf die Studentenunruhen b) Die Radikalisierung des SDS a) Die „Klassentheorie"

b) Die „Imperialismustheorie" a) Aspekte der neomarxistischen Theorie b) Die Umformung des Neomarxismus in eine Theorie der studentischen Revolution a) Die Rechtfertigung b) Die Konsequenzen 1. Die politische Entwicklung des SDS 2. Die revolutionär-marxistische Orientierung 3. Die anarcho-kommunistische Orientierung 4. Die politische Haltung Zusammenfassung

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund ist im Verlauf der hochschulpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre zum zahlenmäßig stärksten und einflußreichsten oppositionellen Studentenverband in der Bundesrepublik geworden. Die führenden Mitglieder des SDS haben es mit einem beträchtlichen Geschick verstanden, die durch die anhaltenden hochschulpolitischen Auseinandersetzungen ausgelöste und seither rasch fortschreitende Politisierung der studierenden Jugend in ihrem Sinne zu beeinflussen und sich als die scheinbar radikalsten Vertreter studentischer Interessen an die Spitze der oppositionellen Bewegung zu setzen. Mit einer defaitistischen Interpretation der tragischen Ereignisse vor der Deutschen Oper Berlin am Abend des 2. Juni 1967, die unter der studierenden Jugend zu einer zeitweiligen Vertrauenskrise in den Humanitätsanspruch der Demokratie geführt haben, ist es dem SDS vollends gelungen, große Teile der sich für die Demokratie verantwortlich fühlenden, aber politisch noch unprofilierten Studenten zumindest vorübergehend auf seine politische Konzeption festzulegen. a) Der Einfluß des SDS auf die Studentenunruhen Der Einfluß des SDS auf die Studentenschaft spiegelt sich unter anderem in den wachsenden Mitgliederzahlen dieses Studentenbundes wider: Im Herbst 1966 belegte der SDS mit 1200 Mitgliedern im Bundesgebiet einschließlich Westberlin vor dem Liberalen Studentenbund Deutschlands (LSD) mit 900 organisierten Studenten unter den politisierenden Studentenorganisationen erst den dritten Platz, während der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) mit 2200 Mitgliedern, gefolgt vom Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) mit rund 1500 Mitgliedern, noch der weitaus mitgliederstärkste Studentenver-band war. Nach den turbulenten Geschehnissen des Sommersemesters 1967 stieg die Mitgliederzahl des SDS bis zum Herbst sprunghaft auf 2500 Studenten an. Daneben hat nur noch der SHB, und zwar durch die Rezeption der politischen Strategie des SDS, im gleichen Zeitraum seine Mitgliederzahl um 500 auf 2000 erhöhen können. Der LSD hat dagegen in dieser Zeit nur 200 neue Mitglieder zu gewinnen vermocht, während die numerische Entwick3 lung des RCDS vollends stagnierte Allein schon diese statistischen Angaben über die zahlenmäßige Entwicklung der wichtigsten politischen Studentenorganisationen werfen ein bezeichnendes Licht auf den wachsenden Einfluß revolutionär-marxistischer, neomarxistischer und anarcho-kommunistischer Ideen auf die studierende und lernende Jugend und machen überdies auf einen abrupten politischen Einstellungswandel unter großen Teilen der Studentenschaft aufmerksam.

Die Teilnahme von 69 Delegierten an der 22. Delegiertenkonferenz (September 1967) des SDS, die 35 lokale Hochschulgruppen vertraten, hat darüber hinaus gezeigt, daß dieser Studentenbund heute bereits an fast allen Universitäten der Bundesrepublik repräsentiert ist. Die politisch aktivsten und zahlenmäßig stärksten Hochschulgruppen agieren an der Freien Universität Berlin mit ungefähr 260 Mitgliedern an der Universität München mit rund 130 organisierten Studenten sowie an den Universitäten Frankfurt am Main (1961: 135 Mitglieder), Bonn, Mainz, Göttingen und Marburg, über deren Mitgliederzahlen allerdings keine Veröffentlichungen vorliegen. Wo die Mitgliederzahlen der lokalen Hochschulgruppen für das Jahr 1967 durch die Presse bekanntgeworden sind, wie zum Beispiel an der Technischen Hochschule Darmstadt (31 Mitglieder), an der Universität Erlangen (40 Mitglieder), an der Universität Bochum (30 Mitglieder), an der Universität Kiel (30 Mitglieder), an der Universität Münster (30 Mitglieder), an der Universität Tübingen (50 Mitglieder) und an der Technischen Hochschule Hannover (50 Mitglieder), handelt es sich offensichtlich mitgliederschwächsten um die Hochschulgruppen Die Kaderpolitik des SDS steht nicht so sehr vor dem Problem, neue Mitglieder zu werben, als vielmehr den anschwellenden Mitgliederzustrom so zu drosseln, daß die politische Kontinuität an den einzelnen Hochschulgruppen gewährleistet bleibt: „In den drei Wochen nach den Protestaktionen (gemeint sind die Aktionen nach dem 2. Juni 1967, der Vers.) sind ungefähr eingetreten oder wollten eintreten in den SDS: 300 Studenten. . . . Die Folgerungen stellen sich für kleine und große Gruppen konträr dar: eine Gruppe wie Saarbrücken mit bisher 25 Mitgliedern kann 10 Neueintritte nicht nur spielend verkraften, sie braucht diese Mitglieder sogar. Aber eine Gruppe wie Berlin mit 200 Mitgliedern kann keine 100 Neuen verkraften. Diese Gruppe müßte endgültig auseinander-fallen"

Die dominierende Stellung des SDS unter den politischen Studentenverbänden kann jedoch — wenn man sich hier einmal auf den organisatorischen Aspekt des Problems beschränkt — weder mit seiner zahlenmäßigen Stärke noch mit seinem relativ engmaschigen Organisationsnetz an den Universitäten und Hochschulen vollständig erklärt werden. Der politische Einfluß und die organisatorische Stabilität des SDS resultiert nicht zuletzt aus der Tatsache, daß er von einer Dachorganisation an den Universitäten und Hochschulen finanziell unterstützt und politisch gefördert wird: Bereits im Herbst 1961 ist zur finanziellen und politischen Unterstützung des SDS eine „Sozialistische Förderergemeinschaft der Freunde, Förderer und ehemaligen Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes e. V." gegründet worden, die sich aus internen Gründen später in „Sozialistischer Bund" umbenannt hat. Die Gründung erfolgte, nachdem sich der Parteivorstand der SPD mit Beschluß vom 19. Juli 1960 vom SDS distanziert hatte; sie löste wiederum den Unvereinbarkeitsbeschluß vom November 1961 aus (s. S. 8). Die Mitglieder des „Sozialistischen Bundes" machen es sich zur Pflicht, die politischen Aktivitäten des SDS nicht nur finanziell und politisch zu unterstützen, sondern auch durch persönliche Interventionen zu fördern. Soweit die Mitglieder des „Sozialistischen Bundes" zur Alma mater als Ordinarien, Dozenten und Assistenten gehören, nehmen sie die Interessen des SDS in jenen Gremien wahr, denen sie kraft ihres Beamtenstatus angehören.

Uber die Zusammenarbeit des SDS mit dem „Sozialistischen Bund" ist im Beschlußprotokoll der 21. Delegiertenkonferenz des SDS (September 1966) zu lesen: „Die 21. ordentliche Delegiertenkonferenz begrüßt gemeinsame Veranstaltungen des SDS mit dem SB („Sozialistischer Bund", d. Vers.) und anderen sozialistischen Organisationen als einen Versuch, die westdeutsche Linke durch vorbereitende und theoretisch klärende Diskussionen zu sammeln. Sie beauftragt den neuen Bundesvorstand, die gemeinsame Arbeit des SDS mit diesen Organisationen zu intensivieren mit dem Ziel eines gemeinsamen strategischen Konzepts." Die koordinierende Funktion des „Sozialistischen Bundes" für die politische Entwicklung des SDS geht unter anderem daraus hervor, daß einige seiner tonangebenden Mitglieder im April 1967 in das Herausgeber-kollegium der Zeitschrift „Neue Kritik" mit dem Ziel eingetreten sind, die politische Zusammenarbeit des SDS mit den „Sozialisten außerhalb der Hochschule" zu verbessern

In diesem Zusammenhang muß ferner darauf aufmerksam gemacht werden, daß der SDS keineswegs — wie vielfach angenommen wird — als eine „diffamierte Minderheit" in der politischen Isolation wirkt Der SDS hat seine politische Außenseiterstellung, in die er nach dem Abbruch der Beziehungen zur SPD zeitweilig geraten war, mit Hilfe des „Höchster Abkommens" vom Mai 1964, das zur Durchsetzung einer progressiven Hochschulpolitik zwischen dem Bundesverband Deutsch-Israelischer Studentengruppen (BDIS), der Humanistischen Studentenunion (HSU), dem Liberalen Studentenbund Deutschlands (LSD), dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) und dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund geschlossen worden ist, auf das wirkungsvollste durchbrochen und sich unter den „Höchster Verbänden" eine führende Position zu sichern verstanden Man wird davon ausgehen können, daß das „Höchster Abkommen" die organisatorischen Voraussetzungen für das gemeinsame und relativ geschlossene Vorgehen der beteiligten Studentenverbände während der politischen Protestaktionen des Jahres 1967 geschaffen hat.

Die beherrschende Stellung des SDS unter den „Höchster Verbänden" geht unter anderem aus einigen taktischen Überlegungen zur hochschulpolitischen Situation im „Rundbrief an alle SDS-Mitglieder" vom 14. 7. 1967 hervor:

„Wir haben vom ersten Tage an den Charakter der Protestaktionen wesentlich bestimmt und diese Bewegung lokal und zentral, politisch und organisatorisch getragen. ... Es hat sich gezeigt, daß die anderen Hochschulgruppen und AStAs ohne den SDS politisch handlungsunfähig waren und auf den SDS , warteten'. Das bedeutet, daß der SDS die unterschiedlichen Koalitionen mit den . Höchster’ Verbänden, soweit es diese noch gibt, zwar weiterhin eingehen wird ..." Aber insofern das „Höchster Abkommen" inzwischen politisch unwirksam geworden ist und dem SDS mit seiner Hilfe „wie in Berlin der Sprung von der Hochschulpolitik zur allgemeinen Politik" und „in den anderen Städten der Sprung von der , SDS-Politik’ zur Hochschulpolitik" bereits gelungen ist, wird erwogen, das Abkommen nicht mehr zu erneuern „Die politisch wegweisende Alternative ist die Politisierung der allgemeinen Studentenvertretungen."

Besonders wirksam ist die Beeinflussung der öffentlichen Meinung innerhalb und außerhalb der Universitäten im Sinne des SDS durch die Agitation und Propaganda von Studentengruppen, die organisatorisch und politisch mit dem SDS verbunden sind, nach außen aber als unabhängige wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften auftreten. Diese organisatorischen Querverbindungen bieten dem SDS mannigfaltige Einflußmöglichkeiten insbesondere auf jene intellektuellen Kreise, die eine kritische Position in der Bundesrepublik beziehen, ohne sich mit den politischen Vorstellungen des SDS solidarisieren zu wollen. Ein instruktives Beispiel für die organisatorische Verflechtung des SDS mit einer scheinbar verbandsfremden studentischen „Arbeitsgemeinschaft" stellt die publizistische und politische Aktivität des „Argument-Klubs" an der Freien Universität Berlin dar: Im Jahre 1965 ist zwischen den Vertretern des „Argument-Klubs", Wolfgang F. Haug und Bernhard Blanke, und dem damaligen Bundesvorsitzenden des SDS, Helmut Schauer, eine Vereinbarung getroffen worden, nach der der Argument-Klub den „SDS als die für seine politische Ausrichtung repräsentative studentische Organisation" betrachtet und davon Abstand nimmt, „an anderen als den Berliner Universitäten und Hochschulen neben dem SDS eigene Organisationen zu gründen. Seinen Berliner Mitgliedern empfielt der Klub, sich dem SDS anzuschließen." „Der SDS-Bundesvorstand wird das Argument (Zeitschrift des „Argument-Klubs", d. Vers.) bei dieser Arbeit unterstützen. Er wird die Mitglieder des SDS von der Möglichkeit einer Mitarbeit am Argument unterrichten und die Tätigkeit von Reaktionsgruppen des Arguments außerhalb Berlins innerhalb des SDS fördern und anregen."

Damit verfügt der SDS neben der vom Bundes-vorstand des SDS edierten Zeitschrift „Neue Kritik" und der ebenfalls von der SDS-Zentrale in Frankfurt am Main seit 1966 herausgegebenen „SDS-Korrespondenz" sowie einigen lokalen Zeitschriften wie „Facit" (Köln) in der Zeitschrift „Das Argument" (erscheint im 10. Jahrgang) über ein zusätzliches Publikationsorgan, das nach Presseäußerungen „als das derzeit bedeutendste theoretische Organ der linken Intelligenz der BRD bezeichnet werden" kann.

Im vergangenen Jahr ist es dem SDS schließlich noch gelungen, sein Rekrutierungsfeld auf die Gymnasien auszudehnen und eine politisch äußerst aktive Schülerorganisation zu gründen. Vor der Institutionalisierung dieser sozialistischen Schülerorganisation beschränkten sich die Kontakte des SDS mit Oberschülern auf drei mehr oder weniger zufällige Formen der Zusammenarbeit, erstens darauf, daß SDS-Mitglieder „Arbeitskreise mit Redakteuren von Schülerzeitungen abhielten (Beispiel-Junge Presse Hessen)", zweitens auf „sporadisch entstandene und zufällig zusammengesetzte Schülerarbeitskreise (Beispiel: Arbeitskreis für Schüler des Argument-Klubs), drittens indem sich Jugendliche schon im Schulalter einer SDS-Gruppe assoziierten" Nach der Gründung des „Aktionszentrums unabhängiger und sozialistischer Schüler" (AUSS) auf dem „Ersten Kongreß unabhängiger und sozialistischer Schüler" im Juni 1967 in Frankfurt am Main verfügt der SDS neuerdings nicht nur über einen organisatorischen Rückhalt unter der Schülerschaft, sondern besitzt auch die Möglichkeit, die Gymnasien der Bundesrepublik in seinem Sinne zu politisieren. Uber die gegenwärtige Verbreitung der AUSS werden im „Rechenschaftsbericht des Bundesvorstandes des SDS" (22. Delegiertenkonferenz) folgende Angaben gemacht: „Dem AUSS gehören zur Zeit 34 Gruppen mit insgesamt 800— 1000 Mitgliedern an. Davon haben 6 Gruppen das , rote S'im Namen. Kontaktleute gibt es in ca. 80 Städten und Dörfern. Davon wollen ungefähr ein Drittel zur Zeit Gruppen aufbauen. Nur eine kleine Minderheit dieser Schüler sind nicht Oberschüler."

Im Aufruf zur Teilnahme am „Ersten Kongreß unabhängiger und sozialistischer Schüler" wird das politische Programm dieser Schüler-organisation mit folgenden Feststellungen eingeleitet: „Die Schüler in der Bundesrepublik sind eine unverhältnismäßig rechtlose und unterdrückte Gruppe. Sie sind abhängig von demokratisch nicht kontrollierten Instanzen: —-von einer Schule mit überholter Autoritätsstruktur und — von einem Elternhaus, das alle . erzieherischen'Mittel in der Hand hat.

Die Schule in der Bundesrepublik ist noch undemokratischer in ihrem Inhalt als die bundes-republikanische Gesellschaft im Durchschnitt. An der Schule gelten noch immer die Gesetze aus vordemokratischen Zeiten. Die Ausbildungsinhalte unserer Schule dienen in erster Linie der Anpassung der Schüler an ein formal pluralistisches, inhaltlich aber undemokratisches und inhumanes Gesellschaftssystem." Die politische Taktik der AUSS sieht dementsprechend die Ausübung „intellektuellen Gegenterrors" im Unterricht als ein wichtiges Kampfmittel vor: „Radikalität ist oberstes taktisches Gebot. Die so gefürchteten Repressalien von Schule und Elternhaus gegen sozialistische Schüler sind die große Chance der Kulturrevolution: Auf diese Eskalation des Klassenkampfes der Stärkeren gegen die Schwächeren können die betroffenen Junggenossen mit offener Sabotage des Unterrichts-ablaufs antworten. Reicht dies noch nicht für eine Relegation, sind Lern-und Kooperationsstreiks ganzer Klassen oder einzelner Schüler durchzuführen. Wenn die dann glücklich von der Schule geflogen sind, werden die jungen Freunde in die Arme der Alma Mater genommen: als Gasthörer eingeschrieben, bauen sie in einem zweisemestrigen Ganztagsstudium ein kulturrevolutionäres Schnell-abitur." b) Die Radikalisierung des SDS Als der Sozialistische Deutsche Studentenbund im Jahre 1947 als sozialdemokratische Hochschulorganisation gegründet wurde, entwikkelte er sich über ein Jahrzehnt — ungefähr bis 1958 — seiner ganzen politischen Intention nach als „ein angesehener politischer Studentenverband" dessen demokratisch-rechtsstaatliche Haltung außer Zweifel stand Erst als im Godesberger „Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands" der Anspruch auf Schutz und Förderung des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln — „soweit es nicht den Aufbau einer gerechten Sozialordnung hindert" — ausdrücklich in den Programmtext ausgenommen wurde, begannen sich im SDS jene politischen Kräfte rasch durchzusetzen, die den Verband in eine radikale Opposition gegen die Sozialdemokratie drängten. „In der Tagespolitik kritisierten diese Kräfte einseitig den Westen und verniedlichten oder entschuldigten die Diktatur des Kommunismus. Die Sozialdemokraten im SDS mußten schließlich erkennen, daß es unmöglich geworden war, innerhalb des SDS ein Ende der Intrigen durchzusetzen." Die unmittelbare Folge der Okkupation des Verbandes durch linksextremistische Gruppen war der Austritt der demokratisch orientierten Sozialisten und die Gründung des Sozialdemokratischen Hochschulbun-des (9. Mai 1960), „der sehr bald in seine Aufgabe als legitimer Sprecher und Vertreter des demokratischen Sozialismus hinein-wuchs"

Die Sozialdemokratie reagierte zunächst auf die politische Radikalisierung des SDS mit dem vorsorglichen Beschluß des Parteivorstandes vom 19. Juli 1960, in dem er sich von den Bestrebungen des SDS distanzierte. Der Distanzierungsbeschluß war als eine letzte Warnung vor der Fortsetzung eines defaitistischen Kurses gefaßt worden. Als keine Änderung der-politischen Haltung eintrat und der damalige Bundesvorsitzende des SDS, Günter Kai-lauch, auf der Bundeskonferenz des SDS im Oktober 1960 weitere Vorwürfe gegen die Sozialdemokratische Partei erhob, sah sich der Parteivorstand der SPD im November 1961 genötigt, die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im SDS und in der „Sozialistischen Förderer-Gemeinschaft" mit der Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei zu beschließen: „Die Mitgliedschaft in dem Verein . Sozialistische Förderer-Gemeinschaft der Freunde, Förderer und ehemaliger Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes e. V.'ist unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wie es ebenso unvereinbar ist, Mitglied des SDS und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu sein."

In den vom Parteivorstand der herausgegebenen „Tatsachen — Argumente" 23a), die auch aus der den Beschluß behandelnden Parteiratssitzung zitieren, wird der Beschluß vorwiegend mit organisationspolitischen Erwägungen begründet. Der SDS und seine Förderergemeinschaft forderten als organisatorisch unabhängige Gruppen ein Recht auf innerparteiliche Opposition, „was auf eine Opposition hinauslief, die überall im Namen der kommenden akademischen Führungsschicht der SPD sich zu Wort meldete, ohne für die von ihr propagierte politische Richtung die politische Verantwortung tragen zu müssen. Der SDS beanspruchte das Recht einer nicht legitimierten Opposition ohne Verantwortung und verwandelte sich dabei zur verantwortungslosen Opposition. Nahm die SPD den SDS bei seinem Anspruch, Repräsentant der innerparteilichen Opposition zu sein, berief sich der Parteivorstand auf die von den Parteigremien gefaßten Beschlüsse, dann zog sich der SDS in das Schneckenhaus seiner organisatorischen Unabhängigkeit von der SPD zurück und hinterließ am Eingang das Schild: Eintretende gefährden die akademische Freiheit! . . . Der skrupellose Mißbrauch der in der SPD gegebenen Möglichkeiten der breiten Meinungsfreiheit und Parteidiskussion durch den SDS hätte bei freier Entfaltung zwangsläufig jeden ehrlichen Meinungsaustausch vergiftet und die in einer demokratischen Partei erforderliche Kommunikationsbasis zerstört. Der Unvereinbarkeitsbeschluß war deshalb die Voraussetzung dafür, daß in der SPD auch künftig auf dem Boden der intellektuellen Redlichkeit und Wahrhaftigkeit frei diskutiert werden kann." 23b)

So zwingend die Überlegungen des Partei-vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands beim Unvereinbarkeitsbeschluß auch gewesen sein mögen, die unvermeidbare Folge dieses Schrittes war eine weitere politische Radikalisierung des SDS.

Die bei einigen führenden SDS-Mitgliedern im Herbst 1960 durchaus noch vorhandene politische Ausgleichsbereitschaft mit der Sozialdemokratie ist in den folgenden Jahren zusehends einer unversöhnlichen, sendungsbewußten und elitären Haltung gewichen und die ursprünglich noch geübte Zurückhaltung gegenüber den „unreflektierten blinden Aktionen und Provokationen des utopisch-radikalen Flügels" hat dann um so vollständiger eben diesen utopisch-radikalen Vorstellungen Platz gemacht. Heute muß der SDS trotz aller sozial-philosophischen Differenzierungen angesichts seiner politischen Zielsetzungen und seiner praktischen Wirksamkeit als eine die bestehende parlamentarisch-repräsentative Demokratie in der Bundesrepublik bekämpfende Vereinigung betrachtet werden, die auf der Grundlage einer teils revolutionär-marxistischen, teils anarcho-kommunistischen Orientierung ihrer Mitglieder unter Befürwortung zum Teil gewaltsamer Mittel die Errichtung einer sozialistischen Herrschaftsform anstrebt, die erstens die „Abschaffung privaten Eigentums und privater Verfügung über die Produktionsmittel und damit die Produkte gesellschaftlicher Arbeit, Sachautorität statt personaler Autorität, Selbstverwaltung in allen gegesellschaftlichen Bereichen statt hierarchischer Herrschaftsstrukturen" und zweitens die „Abschaffung der trotz aller partikularen Rationalität anarchistischen Produktionsweise des Kapitalismus" voraussetzt

Die Mitglieder des SDS begreifen sich als „die größte geschlossene Organisation der Sozialisten in der Bundesrepublik", die die politischen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung fortsetzt- Dieses ambitiöse Selbstverständnis wird man dahin gehend präzisieren dürfen, daß der SDS nur eine relativ „geschlossene" Vereinigung darstellt, die ihre „Geschlossenheit" nicht so sehr einer einheitlichen politischen Konzeption als vielmehr der einhelligen Ablehnung der in der Bundesrepublik bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Demokratie verdankt. Die demokratiefeindliche Einstellung einigt allerdings nicht nur die Mitglieder dieses Studentenbundes untereinander, sondern bildet darüber hinaus die politische Klammer, die sie mit allen übrigen antidemokratischen Vereinigungen und Splittergruppen in der Bundesrepublik verbindet Komplizierter wird das Bild allerdings durch die Tatsache, daß der SDS als ein autochthones Produkt der demokratischen Gesellschaft sorgfältig auf seine politische Unabhängigkeit von allen kommunistischen Parteien außerhalb der Bundesrepublik bedacht ist, was aber keineswegs mannigfaltige gemeinsame Veranstaltungen z. B. mit der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ausschließt In diesem politischen Unabhängigkeitsstreben bekundet sich jedoch nicht eine Verpflichtung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik, sondern nur eine elitäre Haltung auch gegenüber allen regierenden kommunistischen Parteien.

Zum Verständnis der gegenwärtigen verbandsinternen Situation des SDS muß schließlich noch darauf hingewiesen werden, daß sich im Verlauf der letzten beiden Jahre im SDS wieder zwei ideologisch rivalisierende Fraktionen herausgebildet haben, deren Differenzen sich nach Peter C. Walther „vor allem auf die Beurteilung der Entwicklungstendenzen des Spätkapitalismus sowie auf Fragen der sozialistischen Strategie und Taktik, insbesondere der Bündnispolitik", erstrecken Einer „traditionalistischen" Richtung, „die sich selbst als marxistisch versteht" und deren „Wortführer auf der Delegiertenkonferenz . . . Herbert Lederer, Frank Deppe, Erich Eisner und W. von Heiseler" waren, trat erstmalig eine anarchistische Gruppierung, „die soge-nannte , anti-autoritäre'und , anti-institutionelle'Richtung (unter Wortführung Rudi Dutschkes und Hans-Jürgen Krahls)", entgegen „Im Unterschied zu vorangegangenen Delegiertenkonferenzen traten auf der diesjährigen Delegiertenkonferenz jedoch auch die marxistisch orientierten Kräfte im SDS we-sentlich deutlicher hervor. Sie verhinderten ein Abgleiten des Gesamtverbandes in einen kleinbürgerlich-anarchistischen Radikalismus, wie er sich in dem vom Dutschke-Flügel proklamierten Slogan . Kampf allen Institutionen'und einem dementsprechenden . städtischen Guerillakrieg'abzeichnete."

Als Grund für die Abkehr des sogenannten Dutschke-Flügels von der marxistisch-lenistisehen Konzeption des Verbandes nennt Peter C. Walther die unreflektierte Rezeption einiger sozialphilosophischer Thesen von Herbert Marcuse: „In der Argumentation und den Thesen der , anti-autoritären'Gruppe waren teils elitäre, teils anarchistische und sektiererische Tendenzen nicht zu übersehen, die den SDS künftig zwangsläufig in die Isolation führen müssen. Kennzeichnend für die , Anti-Autoritären'ist ihre von Herbert Marcuse übernommene These, daß es in der spätkapitalistischen Gesellschaft kein revolutionäres Subjekt mehr gäbe und deshalb auch die Arbeiterklasse nicht mehr Träger gesellschaftlicher Veränderungen sei. Statt dessen orientieren sie sich auf revolutionäre Individuen, die in . direkten Aktionen’ den Kampf gegen die Herrschaft der Institutionen führen sollen." Die Spaltung des Verbandes in eine revolutionär-marxistische und eine anarchistische Fraktion wird auch von Herbert Lederer festgestellt: „Die 22. ordentliche Delegiertenkonferenz hat inhaltlich eine Spaltung des SDS in 2 Lager aufgezeigt. , Anti-autoritäre'stehen . traditionalistischen Marxisten'gegenüber."

Während sich die „traditionalistische" Richtung im SDS nach wie vor als akademische oder intellektuelle „Avantgarde" der sozialistischen Arbeiterbewegung versteht, die sie theoretisch und politisch zu führen hat, begreift sich die „anti-autoritäre" oder „antiinstitutionelle" Richtung als eine historisch neuartige Elite, die durch Bewußtseinsmanipulationen oder zugkräftige Appelle an die Massen revolutionäre Bewegungen auszulösen hofft. Die Vertreter dieser ideologischen Strömung, die im folgenden anarcho-kommunistisch genannt wird, entnehmen ihre politischen Vorstellungen wahllos der neomarxistischen Literatur und — insofern es sich um die politische Strategie der studentischen Opposition im Zusammenhang mit den revolutionären Entwicklungen in der „Dritten Welt" handelt — den Veröffentlichungen Ernesto Che Guevaras und Regis Debrays sowie den Schriften einiger chinesischer Politiker Wenn in der Öffentlichkeit dennoch der Eindruck einer gewissen theoretischen Originalität dieser Richtung entstanden ist, so scheint das an der Übertragung anarchistischer, neomarxistischer und syndikalistischer Theoreme in eine pseudosoziologische Sprache zu liegen, die oberflächlich betrachtet den Eindruck der Neuheit erweckt. Die politische Konzeption des SDS ist jedoch selbst im hochschulpolitischen Bereich, der oft als Gegenbeispiel erwähnt wird, nur von geringer Originalität so daß die theoretische Orientierung des SDS ganz allgemein epigonal-imitativ genannt werden kann.

2. Die revolutionär-marxistische Orientierung

Die revolutionär-marxistische Konzeption des „traditionalistischen" Flügels spiegelt sich mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit in dem von Kurt Steinhaus und Frank Deppe verfaßten „Entwurf zum Schulungsprogramm des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (1966) wider Das „Schulungsprogramm" kann als ein besonders typisches Beispiel für die ahistorische und unkritische Übertragung marxistischer und leninistischer Begriffe auf ökonomische, soziale und politische Probleme der Bundesrepublik herangezogen werden: Die systematische Anwendung realitätsentleerter, aber wertgeladener Begriffe wie „Klassengesellschaft" und „Monopolkapitalismus" unter der dogmatisierten Voraussetzung, daß sie trotz allen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Wandels in den letzten fünfzig Jahren nach wie vor das „Wesen" der deutschen Gesellschaft beschreiben, läßt nicht nur gesamtgesellschaftlich relevante Aspekte der bundesdeutschen Wirklichkeit außer acht, sondern führt auch zu einer mit pseudowissenschaftlichen Mitteln konstruierten Ideologie, in der sich Staat und Gesellschaft zur „monopolkapitalistischen Diktatur" und „bourgeoisen Klassengesellschaft" verzerren a) Die „Klassentheorie"

Die Behauptung, daß die Sozialstruktur in der Bundesrepublik ihrem „Wesen" nach eine „bourgeoise Klassengesellschaft" sei, wird in den Veröffentlichungen des SDS im engsten Anschluß an Marx und Lenin erstens ohne Berücksichtigung der mannigfaltigen sozialen Folgen der wissenschaftlich-technischen Revolution, zweitens ohne ernsthafte Erörterung der internationalen soziologischen Diskussion über die Auflösung der Klassenspaltung in fortgeschrittenen Industriegesellschaften und drittens schließlich ohne Prüfung international vergleichender Studien über konvergente und divergente Entwicklungen in demokratisch-pluralistischen und kommunistisch-zentralverwalteten Gesellschaftsordnungen aufgestellt. Aus diesen Gründen bleibt die orthodox-marxistische Klassentheorie bei ihrer Anwendung auf die sozialen Zustände in der Bundesrepublik in jenen Abstraktionen stecken, die die soziale Situation im 19. Jahrhundert ebenso treffend beschrieben haben mögen, wie sie heute die soziale Wirklichkeit verzeichnen.

Die Grundgedanken der marxistischen Klassentheorie werden von Kurt Steinhaus und Frank Deppe im „Schulungsprogramm" folgendermaßen zusammengefaßt: „Die Verfügung über produzierten Mehrwert durch die Klasse der Produktionsmittelbesitzer hat in dem Ausschluß der warenproduzierenden Lohnarbeiter von der Verfügung über einen Teil ihres Produkts ihre Entsprechung. Dieser objektive Interessenantagonismus, der sich im Interessen-widerspruch über die Höhe des Lohnes am handgreiflichsten manifestiert, konstituiert den Gegensatz zwischen den beiden großen kapitalistischen Klassen (Bourgeoisie und Proletariat), der sich auch als Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung der erzeugten Werte darstellt. Der Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist die kapitalistische Form des allgemeinen Antagonismus zwischen Mehrprodukte erzeugenden und Mehrprodukte aneignenden Klassen, der die bisherige Geschichte — die deswegen Geschichte von Klassenanta-gonismen und ihrer politischen Folgen (Klassenkampf) ist — gekennzeichnet hat."

Der offenkundige Widerspruch zwischen den politischen Konsequenzen dieser Behauptungen — die auf die Unvermeidbarkeit des Klassenkampfes hinauslaufen — und dem tatsächlichen Verhalten der Arbeiterschaft in der Bundesrepublik wird von den Autoren des „Schulungsprogramms" nicht etwa mit einer ökonomischen Bedingungsanalyse ihres demokratiekonformen Verhaltens geklärt, wie das ihr marxistischer Denkansatz erwarten ließe, sondern mit Hilfe einer modernen Variante der „Priestertrugtheorie" 39a) verschleiert: „So reflektiert der Verfall der nicht-reformistischen Arbeiterbewegung im kapitalistischen Teil Deutschlands vor allem den Tatbestand, daß es der herrschenden Klasse gelungen ist, die subjektive Einsehbarkeit der vorhandenen Widersprüche weitgehend zu verringern. Dies geschieht gegenwärtig weniger durch Anwendung offen terroristischer Repression als vielmehr durch ein subtiles Instrumentarium der Integration und Manipulation." Sofern die Verfasser die tatsächliche soziale Lage der Arbeiterschaft überhaupt zur Kenntnis nehmen, sind sie gezwungen, die in der Bundesrepublik weitgehend gelungene soziale und politische Integration der Gesellschaft als eine sozialpsychologische Illusion oder ganz einfach als eine Form des „Massenwahns" zu eskamotieren. Durch dieses methodische Vorgehen wird dem unvoreingenommenen Leser vorgespiegelt, daß die ökonomische Klassen-analyse nicht nur nicht mehr einen hinreichenden Aufschluß über die tatsächlich in der Bundesrepublik herrschenden sozialen Verhältnisse bietet, sondern überhaupt als eine soziologische Erkenntnismethode ihren analytischen Wert in modernen Industriegesellschaften einzubüßen beginnt

Eine differenzierte und wirklichkeitsverbundene Analyse der bundesdeutschen Sozialstruktur wird von den Theoretikern des SDS im Wissen um die unvermeidbare Autoritätseinbuße dogmatischer Konstruktionen im Prozeß objektiver wissenschaftlicher Untersuchungen vermieden. Sowohl die Abstraktheit der sozialen Analysen als auch die Abschirmung aller Behauptungen gegen eine empirische Überprüfung hat ganz eindeutig politische Gründe: „Eine klare klassenkämpferische Sprache, die die Widersprüche und den Gegner konkret bezeichnet, ist zweifellos notwendiges Medium unserer politischen Arbeit — ... Der SDS beweist seine Radikalität nicht durch verbal-radikale Beschlüsse, sondern letztlich allein durch differenzierte Analysen und Aktionen, die den Klassencharakter der kapitalistischen Gesellschaft vor aller Augen bloßlegen und die damit zur Kristallisation und Festigung eines sozialistischen Bewußtseins beitragen." In dieser Argumentation verrät sich deutlich der Stil einer elitebewußten Vereinigung, die ihre revolutionäre Theorie immer nur als politische Waffe benutzt und nicht gewillt ist, deren propagandistische Faszinationskraft durch irgendwelche wissenschaftlichen Differenzierungen abzuschwächen.

Nachdem die existenziellen Ursachen des Klassenkampfes in einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft durch die Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse fast aller Schichten beseitigt sind, hat das starre Festhalten an einer dogmatisierten Klassentheorie in der politischen Strategie des SDS nurmehr die Funktion, die fehlenden materiellen Ursachen des Klassenkampfes durch ideologische Be-schwörungen zu ersetzen. Ist erst einmal durch die Anwendung aller möglichen Mittel eine solche „revolutionäre Stimmung" erzeugt, dann hat der SDS als politische Elite die Führung der revolutionären Bewegung zu übernehmen: „Bei einer Verschärfung des Klassenkampfes wird ein starker SDS die Organisation und Führung der radikal-oppositionellen Intelligenz übernehmen müssen und in dieser Funktion zur politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse beitragen können." b) Die „Imperialismustheorie" Das Verhalten des SDS gegenüber der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie sowie der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik kann nicht ohne Erörterung einiger Aspekte der Leninschen Imperialismustheorie verstanden werden Die staatsfeindliche Einstellung des klassischen Marxismus beruhte auf der Erkenntnis, daß der Staat im 19. Jahrhundert als Machtorgan mit der bestehenden Eigentumsordnung verklammert war, wobei der Staat als politische Zwangsorganisation zur Sicherung des Privateigentums und der daraus resultierenden sozialen Ungerechtigkeit betrachtet wurde: . . er (der Staat, d. Vers.) ist aber weiter nichts als die Form der Organisation, welche sich die Bourgeoisie sowohl nach außen als auch nach innen hin zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen notwendig geben"

In der Leninschen Imperialismustheorie vollendet sich die staatsfeindliche Haltung des klassischen Marxismus nicht nur vermittels einer endgültigen Verquickung von Staatsform, Sozialstruktur, Wirtschaftsordnung und Privateigentum zu einem unentwirrbaren „Ganzen", das jeder wissenschaftlichen Differenzierung durch seine Unbestimmtheit widerstehen soll oder gegen positive Analysen immunisiert werden kann, sondern auch durch die Eingliederung aller ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungstendenzen in das Erscheinungsbild eines zum mythischen „Geschichtsgesetz" stilisierten „Monopolkapitalismus": „Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausbildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist."

Indem der Staat, vermittels der Marxschen Staats-und der Leninschen Imperialismustheorie zum bloßen „Vollzugsausschuß der Kapitalistenklasse" degradiert, ein ernsthafter Wandel seiner sozialen und politischen Funktionen geleugnet und die allgemeine Entwicklungstendenz seit der Jahrhundertwende nur als Formwandel des „imperialistischen Staates" gedeutet wird, ist jener ideologische Bezugsrahmen hergestellt, in dem die parlamentarisch-repräsentative Demokratie in der Bundesrepublik mit den Mitteln des „wissenschaftlichen Sozialismus" inhaltlich als „monopolkapitalistisch", „imperialistisch" und „aggressiv" nach innen und außen abgewertet werden kann. Damit ist gleichzeitig eine pseudowissenschaftliche Argumentationsebene geschaffen, hinter deren „Wissenschaftlichkeit" man sich verschanzen und in deren Namen man alle Erscheinungsformen der empirisch-liberalen Demokratie sowie alle sozialökonomischen Entwicklungsprozesse als einen unwesentlichen Oberflächenwandel denunzieren kann, unter dem nach wie vor die „Diktatur des Monopolkapitals" fortbesteht.

In den einschlägigen Publikationen des SDS oder seiner führenden Mitglieder werden insbesondere die Leninschen Thesen in einer ebenso anspruchsvollen wie scheinwissen-schaftlichen Sprache lediglich wiederholt. Die leninistischen Doktrinen über die Funktionen des „imperialistischen Staates" werden zum Beispiel von Elmar Altvater in seinem Artikel über „Perspektiven jenseits des Wirtschaftswunders“ wie folgt variiert und auf die Bundesrepublik übertragen: „Der Staat im Kapitalismus nimmt — gleichgültig in welcher Form er in die Ökonomie regelnd oder steuernd eingreift — letztlich private Interessen wahr. . . . Monopolisierung der Wirtschaft bedeutet daher auch, daß der Staat zum Staat des Monopolkapitals wird. Das gilt selbst dann, wenn der Staat sich gegen , Gruppeninteressen'— auch die des Monopolkapitals -

stark zu machen versucht als über den Parteien stehend 1, als . gesamtgesellschaftlicher Interessenvertreter’, als , Garant des Gemeinwohls'. Denn indem der Staat gesellschaftliche Interessen auch gegen private Interessen der Gesellschaft durchsetzt, dient er zugleich monopolkapitalistischen Interessen, da die ökonomische Basis der Gesellschaft das Monopol-kapital ist." Diese Sätze sind mehr als in einer Hinsicht aufschlußreich; denn mit ihnen soll dem Leser weisgemacht werden, daß der demokratische Staat in der Bundesrepublik auch dann noch die Interessen des „Monopolkapitals" vertritt, wenn er sich in der Sache selbst gegen die „Gruppeninteressen" des „Monopolkapitals" wendet.

Nachdem der „Staat" solcherart zum Vollzugsausschuß eines zum überzeitlichen Mythos verflüchtigten „Monopolkapitals" umgedeutet ist, erscheint der mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt in einer modernen Industriegesellschaft notwendigerweise verbundene, und zwar eigentumsordnungsneutrale „Funktionszuwachs des Staates" nicht als die sachnotwendige Voraussetzung eines optimalen und störungsfreien wirtschaftlichen Wachstums, sondern als eine „Machtausweitung des Staates" im „Interesse des Monopolkapitals" Die in allen fortgeschrittenen Industriegesellschaften feststellbare „Tendenz zur Zentralisierung und Ausweitung der staatlichen Funktionen" kann unter diesen ideologischen Voraussetzungen nicht mehr als ein sachnotwendiger und eigentumsordnungsneutraler Prozeß erkannt werden, der sich unter den Bedingungen des staatlichen Eigentums an den Produktionsmitteln in allen sozialistischen Industriestaaten mit der gleichen Konsequenz wie in der Bundesrepublik vollzieht, sondern erscheint als „Zentralisierung der Spitzenfunktionen des obersten Machtniveaus" in Übereinstimmung mit den dunklen Absichten irgendwelcher „Mächte" Auf diese Weise werden objektive Entwicklungen im Struktur-und Funktionszusammenhang des modernen Industriestaates flugs in Machenschaften des „Monopolkapitals" umgedeutet, „die durch die Staatsbürger und ihre Organisationen nicht kontrolliert werden" können Mit diesen Entwicklungen sei die „Entfunktionalisierung des Parlaments weiter vorange-trieben"

Abschließend kann zu diesem Problemkreis gesagt werden, daß der revolutionär-marxistische Flügel des SDS in seinen theoretischen Auseinandersetzungen mit der sozialen Situation der Bundesrepublik alle jene soziologischen Forschungsergebnisse außer acht läßt, die die unaufhaltsam fortschreitende soziale Integration in modernen Industriegesellschaften nachweisen, und all jene Erkenntnisse über den politischen Funktionswandel des demokratischen Staats ignoriert, die die Einseitigkeit der marxistischen und leninistischen Staats-theorie zur Sprache bringen. Die Unzulässigkeit der funktionalen Verklammerung von Staat und Eigentumsordnung ist von Karl A. Wittfogel im Rahmen einer großangelegten universalgeschichtlichen Untersuchung über die Ursprünge des Staates nachgewiesen worden und die unaufhaltsame Vermehrung gesamtgesellschaftlich notwendiger Funktionen des Staates im Prozeß der Industrialisierung ist bereits in den zwanziger Jahren von namhaften sozialdemokratischen Theoretikern wie Karl Renner Otto Bauer Heinrich Cunow und Hermann Heller bemerkt worden, was sie dann veranlaßt hat, zwischen administrativen und politischen Funktionen des Staates scharf zu unterscheiden, wobei sie fast übereinstimmend gerade in der demokratischen Staatsform das Vordringen gesamtgesellschaftlich-ordnender, auf Kosten klassenmäßigherrschaftlicher Funktionen festgestellt und damit die Grundlagen für die staatsbejahende Haltung des demokratischen Sozialismus gelegt haben

3. Die anarcho-kommunistische Orientierung

Die sogenannte „anti-autoritäre" oder „antiinstitutionelle" Richtung im SDS hat sich vornehmlich unter dem theoretischen Einfluß Herbert Marcuses und Andre Gorz'herausgebildet so daß wir uns bei der Darstellung des sozialphilosophischen Hintergrundes der anarcho-kommunistischen Fraktion auf eine kurze Analyse der wichtigsten Aspekte in den Theorien dieser beiden Autoren beschränken können. Mit der Erwähnung von Marcuse und Gorz ist gleichzeitig auf eine „revisionistische" Strömung unter den westeuropäischen marxistischen Intellektuellen hingewiesen, für deren politische Konzeption nicht mehr die Annahme eines „unaufhebbaren" Zusammenhanges zwischen kapitalistischer Produktions-weise und revolutionärer Bewegung kennzeichnend ist. Sie nehmen vielmehr unumwunden das Scheitern der traditionellen marxistisch-leninistischen Strategie unter industrie-gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen zur Kenntnis und versuchen, neue Ansatzpunkte zur Wiederbelebung der revolutionären Bewegung in einer Gesellschaft zu finden, deren Lebensstandard im Steigen begriffen ist. Obwohl die von Marcuse und Gorz entwickelten Gedanken zur Reaktivierung der revolutionären Bewegung in recht unterschiedliche politische Strategien einmünden (Marcuse konzentriert sich auf die revolutionären Energien der Intellektuellen: Gorz bemüht sich hingegen um die Aktivierung einer revolutionä-ren Gewerkschaftspolitik), weisen ihre sozial-philosophischen Denkansätze eine überraschende Ähnlichkeit auf.

Wenn hier von einer „anarcho-kommunistischen Orientierung" gesprochen wird, so soll mit diesem Begriff darauf hingewiesen werden, daß die „anti-autoritäre" Fraktion ideen-geschichtlich den kollektivistischen und kommunistischen Vorstellungen eines Michael Bakunin und Peter Kropotkin weitaus näher steht als dem frühen Anarchismus eines William Godwin, Pierre Joseph Proudhon oder Max Stirner, die trotz aller theoretischen Differenzen eine anarchistisch-individualistische Sozialphilosophie vertreten haben. Gemeinsam ist allen anarchistischen Bestrebungen lediglich die radikale Ablehnung des Staates als Inbegriff einer Zwangsorganisation und seine Ersetzung durch die verschiedensten Formen freiwilliger Vereinigungen. „Mit einem Wort", sagt Bakunin dazu, „wir verwerfen jede Gesetzgebung, jede Autorität, jeden privilegierten, patentierten, offiziellen und legalen Einfluß, auch wenn er durch das allgemeine Stimmrecht geschaffen sein sollte, in der Überzeugung, daß derartiges immer nur zum Vorteil einer herrschenden Minderheit von Ausbeutern und zum Nachteil der geknechteten ungeheuren Mehrheit gereichen kann. In diesem Sinne sind wir in Wahrheit Anarchisten." 60a) a) Aspekte der neomarxistischen Theorie Im Gegensatz zum orthodoxen Marxismus-Leninismus akzeptieren Marcuse und Gorz übereinstimmend, daß die Arbeiterklasse in fast allen fortgeschrittenen Industriegesellschaften bereits weitgehend sozial integriert ist und daher kaum noch als Subjekt der erhofften Revolution gelten kann: „Wenn etwas an dem ist, was ich gesagt habe", schreibt Marcuse, „nämlich daß die Tendenz der Integrierung der Arbeiterklasse in den höchstentwickelten Industrieländern besteht und fortschreiten wird, haben wir da noch das Recht, ohne weiteres die Arbeiterklasse in den hochentwickelten Ländern als das historische Subjekt der Revolution anzusprechen? . . . Bei Marx wird die Arbeiterklasse zum einzigen geschichtlichen Subjekt der Revolution genau darum, weil sie die absolute Negation des Bestehenden darstellt; wenn sie dies nicht mehr tut, dann ist die qualitative Differenz zwischen dieser Klasse und den anderen und damit die Befähigung für die Schaffung einer qualitativ verschiedenen Gesellschaft jedenfalls nicht mehr da." Den gleichen Gedanken vertritt auch Andre Gorz: „In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern hat die Ablehnung der Gesellschaftsordnung ihre natürliche Grundlage verloren. Solange die große Mehrzahl der Bevölkerung im Elend lebte, d. h. solange ihr alles Lebensnotwendige vorenthalten wurde, mochte sich die Notwendigkeit eines revolutionären Um-sturzes der Gesellschaft von selbst verstehen. Die Proletarier und armen Bauern mußten nicht wissen, wie die neue Gesellschaft aussehen sollte, um sich gegen die herrschende Ordnung aufzulehnen: das Schlimmste war die Gegenwart; sie hatten nichts zu verlieren. Aber heute ist in den reicheren Ländern nicht mehr so sicher, was das Schlimmste ist."

Die fortschreitende soziale Integration vollzieht sich nach Marcuse und Gorz durch die wachsende Befriedigung aller lebensnotwendigen Bedürfnisse der Arbeiterklasse. Im selben Maße, wie dadurch das soziale Elend aus den Industriegesellschaften verschwindet, erlahmen auch die existenziellen Ursachen des Klassenkampfes und damit auch die revolutionären Impulse der Arbeiterklasse. In die-sem Integrationsprozeß wird allerdings weniger eine soziale Leistung der demokratischen Staatsordnung als vielmehr eine akute Gefahr für den erfolgreichen Verlauf der sozialistischen Revolution erblickt: „Die Machtübernahme durch eine revolutionäre Erhebung ist ausgeschlossen, das ständige Warten auf die große Krise führt die Arbeiterbewegung zur Aullösung," Da die lebensnotwendigen Bedürfnisse der Arbeiterklasse in den modernen Industriegesellschaften zunehmend befriedigt werden, die fehlende oder mangelhafte Befriedigung aller elementaren Bedürfnisse nach wie vor die gesamtgesellschaftliche Bedingung für die Möglichkeit einer revolutionären Bewegung bleibt, droht der revolutionäre Mechanismus in den kapitalistischen Industriegesellschaften ein für allemal zu versanden. Die Wiederbelebung des revolutionären Potentials erfordert daher die Schaffung von historisch neuartigen Bedürfnisstrukturen in der Gesellschaft, „die durch den bloßen Konsum nicht befriedigt werden können" und zum Ausgangspunkt eines neuen revolutionären Kampfes werden sollen.

Die neomarxistischen Theoretiker reagieren auf die ökonomischen Integrationsprozesse in der Industriegesellschaft mit dem Appell zur Besinnung auf neue oder höhere Bedürfnisse, die den revolutionären Geist in der bestehenden, ökonomisch weitgehend befriedeten Gesellschaft bewahren helfen sollen, da sie angeblich nur in einer neuartigen Form der sozialen Organisation befriedigt werden können. Marcuse und Gorz versuchen in diesem Zusammenhang einen ganzen Katalog solcher historisch neuartiger Bedürfnisse aufzustellen, die dann vermittels Bewußtseinsmanipulationen in soziale Agentien der permanenten Revolution verwandelt werden sollen: „Die neuen Bedürfnisse, die nun wirklich die bestimmte Negation der bestehenden Bedürfnisse sind, lassen sich vielleicht summieren als die Negation der das heutige Herrschafts-System tragenden Bedürfnisse und der sie tragenden Werte: .. . Negation des Leistungsprinzips, der Konkurrenz, Negation des heute ungeheuer starken Bedürfnisses nach Konformität, nicht aufzufallen, kein Außenseiter zu sein, Negation des Bedürfnisses nach einer verschwendenden, zerstörenden Produktivität, die mit Destruktion untrennbar verbunden ist, Negation des vitalen Bedürfnisses nach verlogener Triebbefriedigung. Diese Bedürfnisse werden negiert in dem Bedürfnis nach Frieden, das heute, wie Sie nur zu gut wissen, auch kein Bedürfnis der Majorität ist, dem Bedürfnis nach Ruhe, dem Bedürfnis nach Alleinsein, der Sphäre der Privatheit, die, wie die Biologen sagen, ein notwendiges Bedürfnis des Organismus ist, . . .dem Bedürfnis nach Glück — all dies nicht nur als individuelle Bedürfnisse verstanden, sondern als gesellschaftliche Produktivkräfte, als gesellschaftliche Bedürfnisse, die in der Organisation und in der Direktion der Produktivkräfte bestimmend zur Wirkung gebracht werden."

Ebenso versucht auch Andre Gorz eine Skala neuer Bedürfnisse zu entwerfen, nur daß er sie nicht — wie das bei Marcuse geschieht — aus der radikalen Ablehnung der bestehenden sozialen Bedürfnisstruktur gewinnt, sondern aus einigen kulturkritischen Aspekten der marxistischen Theorie ableitet: „Wir versuchen . . ., die inneren Widersprüche der Lage der Arbeitnehmer, die Bedürfnisse und die daraus entstehenden Forderungen im Betrieb und in der Gesellschaft genauer darzustellen: — auf der Ebene der Arbeitsbeziehungen das Bedürfnis, die Arbeit und die technische Entwicklung zu meistern, anstatt ihr unterworfen zu sein (Ablehnung der Unterdrückung);

— auf der Ebene der Zwecke der Arbeit das Bedürfnis, daß die Arbeit einen Sinn hat, daß die Produktion den Bedürfnissen dient (Ablehnung der Entfremdung von der Arbeit und ihren Produkten). Wir kommen so auf die Frage der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prioritäten, auf die Frage der Gesellschaft, die aufgebaut werden soll;

— auf der Ebene der Reproduktion der Arbeitskraft die kollektiven Bedürfnisse nicht nur an Konsumgütern, sondern auch an Dienstleistungen und sozialen Einrichtungen, an Selbständigkeit und freier Zeit. Wir kommen so auf die Frage der Zivilisation und des Menschen, die es hervorzubringen gilt."

Wenn man hier von den revolutionären Zielen absieht, die der neomarxistischen Konstruktion einer neuen geistig-psychologischen oder ästhetisch-erotischen (Marcuse) sozialen Bedürfnisstruktur zugrunde liegen, und auch auf eine soziologische Kritik ihrer offenkundig utopischen Voraussetzungen verzichtet, bleiben immer noch eine Anzahl logischer Ungereimtheiten übrig, die angemerkt werden müssen: Die Darlegungen von Andre Gorz lassen z. B. nicht erkennen, wie sich die Forderung, eine neue soziale Bedürfnisstruktur zu schaffen, mit dem Postulat verträgt, die Produktion an die schon seit jeher bestehende Bedürfnis-struktur der Bevölkerung anzupassen. Noch auffälliger ist der Widersinn in den Überlegungen Marcuses, der seine Zirkelschlüsse kennt, aber sich von den eigenen kritischen Einsichten bei der Formulierung seiner politischen Thesen vollkommen unbeeindruckt zeigt: „Sie haben leider die größte Schwierigkeit der Sache hier definiert", gesteht Marcuse einem seiner Diskussionspartner. „Ihr Einwand ist, daß, um die neuen revolutionären Beuürfnisse zu entwickeln, erst einmal die Mechanismen abgeschafft werden müssen, die die alten Bedürfnisse reproduzieren. Um die Mechanismen abzuschaffen, die die alten Bedürfnisse reproduzieren, muß erst einmal das Bedürfnis dasein, die alten Mechanismen abzuschaffen. Genau das ist der Zirkel, der vorliegt, und ich weiß nicht, wie man aus ihm herauskommt."

Das Fehlen aller objektiven Voraussetzungen für eine soziale Revolution zwingt die neomarxistischen Theoretiker, insofern ihr Denken vom Willen zur Revolution durchdrungen bleibt, die Revolution gegen die bestehende Gesellschaft mit einer Revolutionierung der bestehenden sozialen Bedürfnisstruktur zu beginnen. Eine dialektische Theorie, die zur Vorbereitung einer revolutionären Praxis keine anderen Möglichkeiten sieht, als durch gezielte Bewußtseinsmanipulationen neue Bedürfnis-horizonte zu eröffnen, unterbricht nicht nur die letzten Realitätskontakte zwischen revolutionärer Theorie und sozialer Praxis, sondern macht sich bewußt einer Reideologisierung der Gesellschaft schuldig. Selbst wenn man die Leninsche Revolutionstheorie zum Vergleich heranzieht und in diesem Zusammenhang den Satz anführt: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben" findet man im Kontext nicht eine Abstraktion von der bestehenden Bedürfnis-struktur der russischen Gesellschaft, sondern nur die dogmatische Apotheose einer bestimmten politischen Konzeption zur Revolutionierung der damaligen zaristischen Staats-und Gesellschaftsordnung.

Da die neomarxistischen Theoretiker vom Willen zur Revolution bestimmt sind, lassen sie sich nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse oder objektive Bedingungsanalysen beirren, auch nicht von der Einsicht, daß innerhalb der demokratisch verwalteten Industrie-gesellschaften der soziale Fortschritt das revolutionäre Potential aufgezehrt hat; sie konzentrieren sich angesichts dieser sozialen Situation auf Überlegungen zur Erziehung eines „neuen Menschen" mit einer revolutionären Bedürfnisstruktur, fordern die Ersetzung der empirisch-liberalen Demokratie, die sich auf die existierenden Bedürfnisse des Menschen nach freier Entfaltung der Persönlichkeit stützt, durch eine Art „Erziehungsdiktatur", mit deren Hilfe eine revolutionäre Existenzweise verwirklicht werden soll. Im selben Maße aber, in dem ökonomische und soziale Mißstände als mögliche Revolutions-Ursachen aufgegeben und durch eine voluntaristische Anthropologie ersetzt werden, können im Rahmen einer solchen sozial-revolutionären Theorie auch die gesellschaftlichen Kräfte nicht mehr genau bestimmt werden, die als anthropologische Avantgarde die neue Revolution zu vollbringen haben b) Die Umformung des Neomarxismus in eine Theorie der studentischen Revolution Die innerhalb des Neomarxismus vollzogene Relativierung sowohl der Normen der „kommunistischen Gesellschaftsordnung" als auch des sozialen „Subjekts" der sozialistischen Revolution bietet einer oppositionellen studentischen „Bewegung" eine willkommene theoretische Handhabe, sich selbst zum auserwählten „Träger" eines erlösenden Umsturzes zu proklamieren. Marcuse selbst hat in seinen Berliner Vorträgen im Juli 1967 die studentische Opposition als einen solchen „Träger" der revolutionären Bewegung gegen das „Establishment" namhaft gemacht: „Sie wissen, daß ich die Studentenopposition heute für einen der entscheidensten Faktoren in der Welt halte, sicherlich nicht, wie man mir vorgeworfen hat, als eine unmittelbare revolutionäre Kraft, aber als einen der stärksten Faktoren, der vielleicht einmal zu einer revolutionären Kraft werden kann."

Indem die existierenden Bedürfnisse in der industrialisierten Gesellschaft als „repressive Bedürfnisse" denunziert werden, „die den Sprung von der Quantität in die Qualität einer freien Gesellschaft bisher verhindert" haben können sich zum Beispiel die Mitglieder des SDS unter Berufung auf ihren sozial „freischwebenden" Studentenstatus mit einigem Recht als eine der wenigen noch übriggebliebenen revolutionären Gruppen rechtfertigen, die weder durch die Bürde des Berufslebens noch durch übermäßigen Konsumgenuß korrumpiert sind.

Der epigonal-imitative Charakter der anarchokommunistischen Fraktion des SDS geht unter anderem aus den politischen Erklärungen hervor, die Rudi Dutschke zur sozialen Situation der Bundesrepublik abgegeben hat. So hat er in einem seiner Interviews mit der Zeitschrift „Konkret" den Standpunkt von Marcuse und Gorz wiederholt, daß die Arbeiterschaft in modernen Industriegesellschaften bereits integriert sei: „In der Vergangenheit war die Ökonomie die Grundlage der Entwicklung und die Möglichkeit der Umwälzung der Gesellschaft. Wir hatten eine Dialektik des wirklichen Elends, wie wir das heute noch in der Dritten Welt haben. Wirkliches Elend trieb die Massen zum Protest und ermöglichte revolutionäre Umwälzungen. Das . richtige'Bewußtsein über die bestehende Gesellschaft wurde fast . automatisch’ hergestellt durch die Ökonomie in Form der Krise, in der die falschen Normen der Gesellschaft zusammenbrachen. Heute ist aber die Ökonomie im wesentlichen vom herrschenden bürokratischen Apparat so beherrschbar, daß — bei allen Widersprüchen — nicht mehr die Produktionsanarchie des Konkurrenzkapitalismus herrscht. So vertraue ich nicht mehr auf die dialektisch revolutionäre Identität von verelendender ökonomischer Entwicklung und dadurch möglicher umwälzender Politik. So wird auch die Spaltung der Gesellschaft in Kapitalisten-klasse und Proletariat zweifelhaft. Die Verformung des Bewußtseins der Menschen von Kindheit an ist heute eine so vollständige geworden, da die gesellschaftlichen Erfahrungen der einzelnen noch mit Berufen zu bezeichnenden Gruppen im Grunde nicht mehr ungleich sind. Die Arbeiter können sich heute mit der Produktion, mit dem Apparat identifi-zieren, und während in der Vergangenheit die Arbeit als totale Negation des Menschen erfahren wurde, wird heute die Arbeit als Erfüllung des Menschen gesehen. Denken Sie an die Appelle der herrschenden Ordnung, eine Stunde länger zu arbeiten: und das in einer Zeit, in der mit einer anderen strukturellen Grundlage dieser Gesellschaft mit einer kurzfristigen Entfesselung der durch das jetzige System gehemmten Produktivkräfte (Maschinerie und menschliche Fähigkeiten) in Richtung Vollautomation die Arbeit im wesentlichen abzuschaffen wäre. Weil aber fast alle Gruppen der Gesellschaft relativ gleiche Erfahrungsflächen haben, kann sich dort Bewußtsein am ehesten herstellen, wo ein Höchstmaß an Zeit für die Bewußtwerdung zur Verfügung steht. Und das ist nun zufälligerweise oder auch nicht die Universität und die Schule."

Es ist kaum zu übersehen, daß in den zitierten Sätzen die Ausgangspunkte neomarxistischer Theoretiker nur wiederholt werden. Der Gedanke, daß die materiellen Bedürfnisse der Arbeiterklasse in der Industriegesellschaft weitgehend befriedigt werden, kehrt in der Formulierung wieder, daß die Arbeiter „sich heute mit der Produktion, mit dem Apparat identifizieren" können. Wiederholt wird die provokativ-utopische These Marcuses, daß in der modernen Gesellschaft „alle materiellen und intellektuellen Kräfte" vorhanden seien, um eine „freie Gesellschaft" verwirklichen zu können in der gedanklichen Wendung, daß die wissenschaftlich-technische Revolution des Produktionsapparates die Möglichkeit eröffnet habe, „die Arbeit im wesentlichen abzuschaffen". Aufgegriffen und wiederholt wird der Gedanke, daß angesichts der unaufhaltsam fortschreitenden Integration aller sozialen Schichten die Bedingungen für die Möglichkeit einer Revolution nicht mehr in wirtschaftlicher Unzufriedenheit oder materiellem Elend gesucht werden dürfen, sondern durch eine gezielte Reideologisierung der Massen künstlich erzeugt werden müssen. Propagandistische Bedeutung gewinnt für die „anti-autoritäre" Rich-tung des SDS schließlich die Überzeugung, daß in einer nivellierten Industriegesellschaft unmittelbar nur die Studenten und Schüler durch moralische Appelle und politische Propaganda zu Systemkontroversen Aktionen veranlaßt werden können

Da das demokratische Engagement der studierenden und lernenden Jugend sowie ihr Vertrauen in den Humanitätsanspruch der bestehenden Demokratie am wirkungsvollsten durch die Demonstration einer inhumanen und brutalen demokratischen Politik ausgehöhlt werden kann, sind beide ideologischen Richtungen des SDS in ihrer politischen Propaganda darum bemüht, alle internationalen Konflikte ohne objektive Klärung ihrer komplizierten Ursachen einseitig dem „Wesen" der demokratischen Staats-und Gesellschaftsordnung zur Last zu legen. Da zum Beispiel für viele junge Menschen die Haltung gegenüber dem Krieg in Vietnam zum entscheidenden Kriterium für ihr Urteil über den Wert der parlamentarischen Demokratie und demokratischer Politik geworden ist, läßt es sich die vom SDS betriebene Propaganda besonders angelegen sein, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem „Wesen" der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie und den besonders unmenschlichen Aspekten des Vietnamkrieges zu konstruieren, um damit die humanen und liberalen Normen der demokratischen Staats-und Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik zu diskreditieren. So schreibt zum Beispiel Wolfgang Lefebvre (SDS) in seiner Untersuchung über die propagandistischen Ergebnisse der Vietnam-Kampagne an der Freien Universität Berlin, daß die „amerikanische Politik in Vietnam für die zunächst lediglich formal-demokratisch denkenden Studenten zur sinnlichen Offenbarung einer den westlichen Demokratien eigenen Unmenschlichkeit" wurde, „deren Wahrnehmung das Vertrauen in diese Demokratie zerstöre" Auf diese Weise wird der vornehmlich moralische Protest der studierenden und lernenden Jugend gegen den Krieg in Vietnam unversehens in eine demokratiefeindliche Haltung umgeformt.

Das ökonomische und zivilisatorische Gefälle zwischen den westlichen Industrienationen und den sogenannten „unterentwickelten" Ländern wird mit einer moralisierenden Darstellung der damit zusammenhängenden ökonomischen Probleme als gewolltes Resultat einer noch immer betriebenen hemmungslosen „Ausbeutungspolitik" mit dem Ziel verunglimpft, das Vertrauen in die Wirksamkeit aller von den Industriestaaten ergriffenen ökonomischen, technischen und finanziellen Hilfsmaßnahmen zu untergraben. Als einzige politische Möglichkeit für eine wirksame und endgültige Überwindung aller Niveauunterschiede in der Welt wird der Triumph der sozialistischen Revolution in den westlichen Demokratien gefordert, wodurch diese „Revolution" in die Dimension eines moralischen Imperativs versetzt wird. Der utopisch-voluntaristische Inhalt dieser Ideologie offenbart sich nicht zuletzt in der Umdeutung aller mit dem Niveaugefälle zwischen Industrie-und Agrarstaaten verbundenen sachlichen Probleme in moralische Entscheidungen gegen die jeweils bestehende demokratische Ordnung, die allein für die Aufrechterhaltung dieser Unterschiede verantwortlich gemacht und deren Beseitigung als ein entscheidender Schritt zur Überwindung der angeprangerten Sozialen Ungleichheit gefordert wird. „So kann der revolutionäre Prozeß in der Dritten Welt durch eine Durchbrechung des falschen Bewußtseins der Menschen in der hochindustrialisierten Welt vervollständigt werden! Die Studenten und Schüler haben dabei nur die Möglichkeit, auf Grund ihrer . Abwesenheit'von der unterdrückenden Produktionssphäre der Fabrik oder der Verwaltung, über die Möglichkeiten der Gesellschaft nachzudenken und tatsächlich kritische Einsichten zu bekommen. So sind auch die Versuche der Studentenschaft zu verstehen. So die Versuche der Gewerkschaften, neues Bewußtsein zu erziehen, und das nicht nur durch Aufklärung, sondern im Zusammenhang mit Aktionen. Das Beispiel Vietnam, das zu relevanten Veränderungen des Bewußtseins (positiv und negativ) in den Vereinigten Staaten geführt hat, zeigt, wie stark bewußtseinsfördernd für die hochindustrialisierte Welt der Kampf der Dritten Welt ist. Die Aufgabe der Menschen, die in der hochindustriellen Welt schon heute die Möglichkeit der Veränderung dieser Welt begreifen, ist es nun, diese beiden Prozesse bewußt als einen Prozeß zu sehen. Und somit hätten wir dann erstmalig in der Zukunft die Chance, eine Umwälzung zu verwirklichen, die nicht mehr die Mangelsituation in der Ökonomie hat. Es ist klar, daß nur der Sieg der Revolution in der hochindustriellen Welt die Mangelsituation der Dritten Welt, die auch nach dem eventuellen Sieg einer Revolution noch nicht behoben wäre, insgesamt beseitigen könnte."

Im Zusammenhang mit einer politischen Strategie und Taktik, die Mißstände in der Gesellschaft nur mit dem Ziel aufgreift, um sie im Rahmen von Kampagnen, Diskussionen und öffentlichen Veranstaltungen aller Art in politische Entscheidungen gegen die bestehende demokratische Ordnung auszumünzen, stellt sich die Frage nach den eigentlichen politischen Zielen dieser revolutionären Aktivitäten. Während sich diese Frage für die revolutionär-marxistische Richtung im SDS relativ einfach beantworten läßt — im „Prozeß der Bewußtseinsbildung und Radikalisierung" sollen „die notwendigen Bedingungen einer sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft" geschaffen werden was gemäß dieser revolutionär-marxistischen Konzeption auf die Errichtung einer modifizierten Form der sozia75) listischen „Diktatur des Proletariats" hinausläuft —, hat d anarcho-kommunistische Fraktion des SDS aus taktischen Erwägungen den Versuch gemacht, diese entscheidende Frage vorläufig in der Schwebe zu halten. Im Verlauf eines Podiumsgespräches in der Universität Hamburg bat Rudi Dutschke eine Antwort auf die Frage nach den politischen Zielen der von ihm ideologisch repräsentierten Richtung im SDS rundweg abgelehnt: „Ein Dutschke will keine Antwort geben. Das wäre genau die manipulative Antwort, die ich nicht zu geben bereit bin; denn was soll es bedeuten, als einzelner Antwort zu geben, wenn die gesamtgesellschaftliche Bewußtlosigkeit bestehen-bleibt. Sie muß durchbrochen werden."

Die Antwort auf solche Fragen wird von Dutschke erst neuerdings verweigert, und zwar, um der wissenschaftlichen Kritik keine allzu genauen Anhaltspunkte zu geben; denn vor einigen Monaten war er in einem „Spiegel" -Interview noch durchaus bereit, über die politischen Ziele des SDS zu sprechen: „Ich denke, daß wir uns nicht zu Unrecht als außerparlamentarische Opposition begreifen, im Gegensatz zum Beispiel zu Habermas . . . , der von der präparlamentarischen Opposition spricht. Wenn wir sagen außerparlamentarisch, soll das heißen, daß wir ein System von direkter Demokratie anzielen— und zwar von Rätedemokratie, die es den Menschen erlaubt, ihre zeitweiligen Vertreter direkt zu wählen und abzuwählen, wie sie es auf der Grundlage eines gegen jedwede Form von Herrschaft kritischen Bewußtseins für erforderlich halten. Dann würde sich die Herrschaft von Menschen über Menschen auf das kleinstmögliche Maß reduzieren." Und auf den Einwurf des Interviewers, daß das eine „uralte Utopie" sei, erwidert Dutschke: „Ich denke, wir können gegenwärtig sicherlich nicht davon ausgehen, daß die Herrschaft von Menschen über Menschen insgesamt in absehbarer Zeit verschwinden wird. Aber ich denke, daß diese Gesellschaft im Laufe eines langen Prozesses der Bewußtwerdung von vielen und immer mehr werdenden Menschen tatsächlich das

Stadium erreicht, daß die Menschen das Schicksal in die eigene Hand nehmen können, nicht mehr bewußtlos als unpolitische Objekte von oben durch die Bürokratie, durch das Parlament oder durch was auch immer manipuliert werden." Und weiter unten: „Ununterbrochene Fortführung der Revolution in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Es ist falsch verstandener Marx, zu behaupten, daß die klassenlose Gesellschaft einen geschichtlichen Endzustand darstellt." Es kann also kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß das politische Ziel der anarcho-kommunistischen Fraktion des SDS in der Ersetzung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie durch ein rätedemokratisches System besteht.

Die politische Idee, die „Herrschaft von Menschen über Menschen" durch die Verwirklichung der proletarisch-sozialistischen Revolution zu beseitigen, ist unleugbar ein theoretischer Bestandteil des klassischen Marxismus. Zur Sicherung und Fortsetzung der Revolution hat Marx jedoch nicht den Aufbau eines Rätesystems, sondern ganz eindeutig die Errichtung der „Diktatur des Proletariats" gefordert. Und wenn Marx davon spricht, daß in der kommunistischen Gesellschaft die Macht des Staates verschwinden werde, so meint er damit nicht die anarchistische Idee einer „freien Gesellschaft" und erst recht nicht ein System „direkter Demokratie", sondern weit realistischer, daß sich die Regierungsfunktionen ... in einfache Verwaltungsfunktionen" verwandeln sollen Das Charakteristische des herrschaftslosen Zustandes — den Marx meint — ist somit die Verwandlung der Regierungsfunktionen (insofern sie Klasseninteressen mit politischer Macht durchsetzen) in* sachlich legitimierte Verwaltungsfunktionen.'Wenn man sich in diesem Zusammenhang die Agitation der anarcho-kommunistischen Fraktion des SDS — so wie sie von Rudi Dutschke zum Ausdruck gebracht wird — näher ansieht, dann findet man, daß nicht nur die „Regierungsfunktionen''der Demokratie, sondern schlechthin alle sachnotwendigen „Verwaltungsfunktionen" der modernen Industriegesellschaft abgeschafft werden sollen. Mit dem Versuch, durch Bewußtseinsmanipulationen die Gesellschaft zur Beseitigung aller zentralen „Verwaltungsfunktionen" in einer modernen Industriegesellschaft zu veranlassen, das heißt zur Durchbrechung der soge-nannten „etablierten Spielregeln dieser unvernünftigen Demokratie" aufzurufen überschreitet diese ideologische Richtung im SDS endgültig die theoretische Demarkationslinie, die den Marxismus vom Anarchismus trennt. Im selben Maße, wie sich die Fraktion gegen die sogenannten „Notstandsspielregeln der unvernünftigen Ordnung" zu wenden beginnt, verwandelt sie sich aus einer neomarxistisch orientierten Gruppe in einen anarcho-kommunistischen Kampfbund

Wenn Rudi Dutschke auf dem Kongreß in Hannover (Juni 1967) die Studentenschaft zur Gründung von „Aktionszentren" — „räteartige Gebilde" — an allen Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik aufruft und fordert, „daß sie koordinierte politische Aktionen in der ganzen Bundesrepublik und West-Berlin in den nächsten Tagen und Wochen" durchführen sollen dann sind die politischen Anleihen beim Anarchismus evident, der „autoritäre Strukturen" durch „bewußte Aktionen" der Massen zerstören will. Wenn man sich über die politischen Konsequenzen einer „direkten Demokratie" durch die Geschichte belehren lassen will, braucht man nur an das Schicksal der „Räte" in der Sowjetunion zu denken, wo sie ebenfalls zur Verwirklichung einer „freien Gesellschaft" dienen sollten, aber in der politischen Praxis nur den Weg für eine Diktatur gebahnt haben. Die anarchistische Theorie einer „direkten Demokratie", einer sich selbst frei verwaltenden Gesellschaft, krankt an der unrealistischen Annahme, daß im sozialen Zusammenleben ein spontaner Ordnungswille walte, der nur von allem staatlichen oder administrativen Druck befreit zu werden brauche, damit er sich als eine gesamtgesellschaftlich ordnende Potenz in einer sonst vollständig „freien Gesellschaft" geltend machen könne. Das Fehlen dieses gesamtgesellschaftlichen Ordnungswillens hat bisher noch immer entweder zum vollständigen Zusammenbruch solcher radikaldemokratischer Experimente oder aber zur Inthronisation einer politischen Elite geführt, die dann ihre besonderen Ordnungsvorstellungen kompromißlos im „Namen des Volkes" und mit Hilfe der „Räte" durchgesetzt haben.

In diesem Zusammenhang muß auf die politischen Gefahren hingewiesen werden, die sich aus dem Vordringen anarchistischer Vorstellungen im SDS ergeben können: Selbst ein Autor wie Daniel Guerin, der dem Anarchismus grundsätzlich nahesteht, macht in seiner Studie darauf aufmerksam, daß die anarchistische Bewegung die fatale Neigung zeigt, immer dann, wenn sie in die soziale Isolation gerät, die propagandistische Mobilisierung von Massenbewegungen durch individuelle Terrorakte zu ersetzen: „War das Versagen der Arbeiterschaft, ihre Lethargie, einer der Gründe für die Rückkehr des Anarchismus zum Terrorismus gewesen, so trug andererseits die verschärfte Aktivität der Anarchisten, die . Propaganda durch die Tat’ dazu bei, die Arbeiter aufs neue für politische und sozialrevolutionäre Unternehmungen zu interessieren . . ." Die Parallelen mit der gegenwärtigen Situation brauchen nicht näher ausge-malt zu werden. Die anarcho-kommunistische Ideologie ist kaum geeignet, breite Kreise der Bevölkerung zu überzeugen und deren politische Unterstützung zu finden, so daß ein anarchistischer SDS durchaus den Versuch unternehmen könnte, seine soziale und politische Isolation mit Hilfe terroristischer Praktiken zu durchbrechen.

Ebenso bedenklich wie das Umsichgreifen anarchistischer Vorstellungen ist auch das Vordringen voluntaristischer und dezisionistischer Anschauungen im SDS. So hat zum Beispiel Rudi Dutschke in seiner Diskussionsrede auf dem Kongreß in Hannover bereits eine voluntaristische Gesellschaftstheorie verfochten: „Bei Professor Habermas kann es noch mit Marx so heißen: es genügt nicht, daß der Gedanke zur Wirklichkeit drängt, die Wirklichkeit muß zum Gedanken drängen. Das war richtig für die Zeit der transitorischen Notwendigkeit des Kapitalismus. Davon kann schon längst keine Rede mehr sein. Die materiellen Voraussetzungen für die Machbarkeit unserer Geschichte sind gegeben. Die Entwicklung der Produktivkräfte haben einen Prozeßpunkt erreicht, wo die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft materiell möglich geworden ist. Alles hängt vom bewußten Willen der Menschen ab, ihre schon immer von ihnen gemachte Geschichte endlich bewußt zu machen, sie zu kontrollieren, sie sich zu unterwerfen, das heißt, Professor Habermas, Ihr begriffloser Objektivismus erschlägt das zu emanzipierende Subjekt."

In der Erwiderung auf eine Frage erläuterte Dutschke seine voluntaristischen Vorstellungen noch mit folgenden Worten: „Marx ging davon aus, daß wir eine dialektische Identität von Ökonomie und Politik hatten. Die Tendenz der Ökonomie sollte in Richtung Krise gehen und die Krise politische und menschliche durch ermöglichen. kämpferische Aktion Da aber die gegenwärtige, sozialökonomische Entwicklung diese emanzipierende Tendenz nicht mehr in sich trägt, verändert sich vollkommen das Gewicht der subjektiven Tätigkeit des einzelnen. Davon bin ich ausgegangen, damit ist genannt eine neue Bestimmung des Voluntarismus. Wir können nicht mehr einfach sagen, Wille ist falsch, denn unter den Bedingungen, wo Tendenzen qua Tendenzen nicht mehr emanzipierend geschichtlich vorangehen, wird die praktische Tätigkeit der Menschen in der gegenwärtigen Periode von entscheidender Bedeutung für unsere Zukunft und darum neue Bestimmung der subjektiven Tätigkeit, darum , sich wenden’ gegen einen Objektivismus, der weiterhin vertraut auf einen emanzipierenden Prozeß, der sich naturwüchsig durchsetzt. Dieses Vertrauen habe ich nicht, ich vertraue nur auf die konkrete Tätigkeit von praktischen Menschen und nicht auf einen anonymen Prozeß."

Während der Marxismus und auch noch der Leninismus die Zulässigkeit einer politischen Entscheidung von ihrer Übereinstimmung mit den Erkenntnisresultaten einer gesamtgesellschaftlichen Bedingungsanalyse abhängig machen, das heißt politische Entscheidungen ohne eine vorhergehende gründliche Analyse der sozialen Situation prinzipiell ablehnen, ist der anarcho-kommunistische Flügel des SDS gerade durch das Bekenntnis zu politischen Entscheidungen jenseits aller wissenschaftlichen Untersuchungen gekennzeichnet. Indem die historisch-soziale Wirklichkeit als Bedingung für die Zulässigkeit und Gültigkeit von politischen Entscheidungen aufgegeben und die Rechtfertigungsgrundlagen der jeweils einzuschlagenden Politik in subjektiven Willens-bekundungen erblickt werden, gelangt man unweigerlich zu einer voluntaristischen und dezisionistischen Betrachtungsweise aller sozialen Phänomene. Wenn alle inneren Zusammenhänge zwischen Politik und Gesellschaft zerrissen, die Zulässigkeit und Gültigkeit politischer Dezisionen von der Beachtung methodisch erarbeiteten und empirisch geprüften Wissens entbunden, das heißt Wissen und Entscheidung getrennt werden, so überschreitet man nicht nur die Grenzen des Marxismus, * sondern schlechthin alle Demarkationslinien, die Rationalismus von Irrationalismus scheiden.

Politische Entscheidungen, deren Rechtfertigungsgrundlagen in subjektiven Willensakten ruhen, entziehen sich jeder wissenschaftlichen Prüfung ebenso wie jeder rationalen Kritik. Das beschworene Vertrauen „auf die konkrete Tätigkeit von praktischen Menschen" ist nichts anderes als der Ausdruck wissenschaftlicher Hilflosigkeit und politischer Blindheit. Da im theoretischen Bezugsrahmen einer voluntaristischen Ideologie die Motivationsgrundlagen politischer Entscheidungen willkürlich sind und ihr Inhalt immer irrational bleibt, kann die politische Richtung im SDS, die von Rudi Dutschke und Hans-Jürgen Krahl repräsentiert wird, zumindest in der heutigen politischen Situation nach einem Wort von Jürgen Habermas auch als „linker Faschismus" werden: „Ich bin der

Meinung, er (Dutschke, d. Vers.) hat eine voluntaristische Ideologie hier entwickelt, die man im Jahre 1848 utopischen Sozialismus genannt hat, und der unter heutigen Umständen, jedenfalls ich glaube, Gründe zu haben, diese Terminologie vorzuschlagen, linken Faschismus nennen muß."

4. Die politische Haltung

Aus der voraufgegangenen Analyse der revolutionär-marxistischen beziehungsweise anarcho-kommunistischen Konzeption des SDS geht eindeutig hervor, daß diese studentische Vereinigung die parlamentarisch-repräsentative Demokratie in der Bundesrepublik mit allen ihr zur Verfügung stehenden und situationsbedingt ratsam erscheinenden Mitteln bekämpft und entweder durch eine modifizierte Form der Diktatur des Proletariats oder ein System unmittelbarer Rätedemokratie ersetzen will. Das gemeinsame politische Ziel aller Fraktionen dieses Studentenbundes besteht trotz der unterschiedlichen Auffassungen über eine „vollkommene Demokratie" in der Beseitigung der bestehenden demokratischen Staats-und Gesellschaftsordnung mit Hilfe revolutionärer Aktionen. Die meisten politischen Kampagnen, Demonstrationen und sonstige Diskussionen dienen im Rahmen der politischen Strategie des SDS — die die revolutionäre Theorie durch solche Veranstaltungen mit der politischen Praxis zu vermitteln trachtet — der Initiierung einer revolutionären Bewegung: „Natürlich ist es, marxistisch gesehen, schwachsinnig, für 30 Pfennig Mensazuschuß zu streiken. .. . Und dennoch fördern wir den Streik, unterstützen ihn. Er hält Emotionen wach, bringt Massen in Bewegung, genau wie Vietnam, der Notstand, der Ostermarsch." a) Die Rechtfertigung Der SDS verteidigt seine revolutionäre Einstellung gegenüber der bestehenden demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik mit der Behauptung, daß die „Exekutive" selbst die Demokratie bedrohe oder gar schon außer Kraft gesetzt habe. Die theoretischen Argumentationsfiguren zur Umdeutung demokratie-feindlicher Verhaltensweisen in demokratie-freundliche hat Wolfgang Abendroth in seiner Studie „Das Grundgesetz" (1966) entwickelt. Abendroth behauptet in diesem Buch — auf dem Hintergrund einer subjektiven Bewertung der politischen Stimmung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg —, „daß das Grundgesetz zwar das spätkapitalistische Wirtschafts-System und seine sozialen Widersprüche und politischen Gefahren mit wenigen Veränderungen bestehen gelassen hat, aber die Chance garantiert, es mit gesetzlichen Mitteln und ohne Grundgesetzänderungen durch Entscheidung der Majorität der Legislative, die durch die Wähler erzwungen werden kann, in eine sozialistische Ordnung zu verwandeln"

Abgesehen von allen verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen diese voluntaristische Verfassungsauslegung post festum vorgetragen werden müssen und auch vorgetragen worden sind, müssen auch im vorliegenden methodischen Rahmen die ideologischen Voraussetzungen dieser retrospektiven Deutung kritisch zurückgewiesen werden. Die Feststellung, daß der „Wille des Gesetzgebers" die „Chance zur Demokratisierung der Sozialordnung durch Übergang zum Sozialismus" in den „Willen des Gesetzes" (damit ist das Grundgesetz gemeint) als Verfassungsnorm habe einfließen lassen, gründet eindeutig auf einer politisch-ideologischen Vorentscheidung. Diese Verfassungsauslegung impliziert zwangsläufig die voluntaristische Vorstellung, daß der „Wille des Gesetzgebers" im historischen Augenblick der Schöpfung des „Grundgesetzes" die Abschaffung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie in der Bundesrepublik durch ein plebiszitäres Votum für den „Sozialismus" im „Willen des Gesetzes" bejaht habe. Schließt man sich dieser Verfassungsinterpretation an, so erscheint natürlich die gesamte Entwicklung der Bundesrepublik als eine ständige Entfernung von ihrem Grundgesetz.

Vermittels dieser voluntaristischen Verfassungsauslegung versuchen seither die Mitglieder des SDS die Kritik an ihren antidemokratischen oder antiparlamentarischen Aktionen zu entkräften. Folgt man der doppelten Unterstellung, nämlich erstens, daß der „Wille des Gesetzgebers" bei der Formulierung des Grundgesetzes die Umformung der bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Demokratie in eine bestimmte „sozialistische Ordnung" vorgesehen habe, und zweitens, daß eine „echte" oder „wahre" Demokratie nur unter der Voraussetzung „sozialistischer Produktionsverhältnisse" entwicklungsfähig sei, so können tatsächlich fast alle ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen seit der Gründung der Bundesrepublik — ungeachtet aller historischen Erfahrungen und der in ihrem Verlauf getroffenen politischen Entscheidungen — als Aushöhlung des Grundgesetzes denunziert werden. Ganz in diesem Sinne hat Wolfgang Abendroth in seiner Ansprache auf dem Kongreß in Hannover auch die Ablehnung der Notstandsgesetzgebung begründet:

„Ich glaube nicht, daß es Demagogie ist, wenn man darauf aufmerksam macht, daß unsere nächste Aufgabe sein muß, das zu schützen, was überhaupt noch rechtsstaatliche Möglichkeiten bietet, nämlich das Grundgesetz der BRD gegen die Pläne einer Regierung, die die Öffentlichkeit bewußt darüber täuscht, daß in ihrem heutigen Gesetzesvorschlag im wesentlichen all das steht, was schon die vergangenen Entwürfe enthielten . . . Wir müssen lernen, mit jener Opposition in der Gesellschaft zusammenzustehen und gemeinsam unsere Interessen zu vertreten, die stark genug ist, um zunächst einmal unsere Verfassung, unser Grundgesetz zu verteidigen."

Seither repliziert der SDS auf jede Kritik an seiner demokratiefeindlichen Orientierung und an seinen dementsprechenden politischen Aktionen stereotyp, daß ihn solche Vorwürfe überhaupt nicht beträfen und an der Sache vollständig vorbeigingen, da ja die „Exekutive" selbst durch ihre Maßnahmen das Grundgesetz ständig verletze, so daß alle gegen die bestehende Regierung gerichteten politischen Aktionen des SDS immer nur den „Schutz" der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bezweckten oder gar der „Wiederherstellung" verfassungsmäßiger Rechte und Zustände dienten. Mit diesem Kunstgriff können alle Sprecher des SDS, wie zum Beispiel Wolfgang Lefebvre auf dem Kongreß in Hannover, ihre Aufrufe zu illegalen politischen Aktionen scheinbar als ein legales Vorgehen zur Verteidigung der „Demokratie" in der Bundesrepublik recht fertigen: „Herr Kommilitone, ich hatte gesagt, in einer Zeit, wo gerade die Gesellschaftsordnung, auf die Sie sich berufen, durch die Exekutive in Berlin außer Kratt gesetzt worden ist und damit jeder Einsatz für diese demokratische Gesellschaftsordnung durch diesen Akt der Exekutive zur Illegalität wird, muß man eben illegal werden, wenn man noch Demokrat sein will.“ Mit der gleichen Begründung hat auch der ehemalige Bundesvorsitzende des SDS, Helmut Schauer, auf dem Kongreß in Hannover zur Umgehung des zeitweiligen Demonstrationsverbots in Berlin aufgefordert: „Wenn wir der Auffassung sind, daß es unsere Pflicht und Aufgabe zur Wiederherstellung von wenigstens insofern demokratischen Verhältnissen in Berlin ist, daß es Aufgabe unserer Kommilitonen in Berlin ist, auch gegen das Demonstrationsverbot zu demonstrieren, dann haben wir ihnen jetzt hier und im Moment Solidarität zu erweisen . . Mit diesen voluntaristischen Argumenten kann schlechthin jede illegale oder auch legale politische Aktion zur Diskreditierung der Demokratie als ein „demokratisches" Vorgehen zum „Schutz" des Grundgesetzes oder zur „Wiederherstellung . . .demokratischer Verhältnisse" gerechtfertigt werden. b) Die Konsequenzen Die radikale Ablehnung der Verfassungswirklichkeit durch den SDS entspringt somit einer Ideologie, die die Chancen einer demokratischen Entwicklung innerhalb der bestehenden Wirtschafts-, Gesellschafts-und Staatsordnung leugnet, so daß ihre revolutionäre Veränderung als die logische und praktische Bedingung für die Möglichkeit einer „echten" Demokratie erscheint. Zumindest der „traditionalistische" Flügel des SDS geht ganz im Sinne der Leninschen Imperialismustheorie von der Chancenlosigkeit des demokratischen Prozesses in einer als „bürgerlich-kapitalistisch" definierten „Klassengesellschaft" aus so daß die sozialistische Revolution zur einzigen politischen Alternative wird. Aus diesem Grunde gipfelt auch die Propaganda des SDS zwecks Formierung eines „revolutionären Bewußtseins" in der Bevölkerung in der Behauptung, daß die Bundesrepublik politisch und sozial „faschistisch" strukturiert sei: „Die postfaschistische Ära der Bourgeoisieherrschaft in Deutschland unterscheidet sich allenfalls in ihrer Form, nicht jedoch ihrem Inhalt und ihren Intentionen nach von ihrer Vorgängerin. Es ist zunächst bezeichnend, daß die verselbständigte faschistische Exekutive bruchlos von der Militärexekutive der Alliierten weitergeführt wurde." Mit diesem Urteil sind nicht nur alle politischen Unterschiede zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der national-

e sozialistischen Zwangsherrschaft bestritten, die deutsche Geschichte nach 1945 erscheint in dieser Perspektive nicht nur als „bruchlose" Fortführung der nationalsozialistischen Politik, sondern auch die westlichen Alliierten werden direkt der gezielten Restauration des „Faschismus" beschuldigt.

In diesem Zusammenhang mag auch einsichtig werden, daß alle Mitglieder des SDS, die in dieser selbsterzeugten irrationalen Vorstellungswelt befangen sind und ihr „falsches Bewußtsein" auf die historisch-soziale Wirklichkeit übertragen, es nachgerade als ihre politische und moralische Pflicht betrachten müssen, das politische Widerstandsrecht gegen ein Staatswesen anzurufen, das sich in dieser Sicht allenfalls seiner „Form" nach, nicht jedoch in seinem „Inhalt" und seinen „Intentionen" nach von der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft unterscheidet. Wer tatsächlich davon überzeugt ist, daß „das Parlament . . . kaum mehr noch als eine durchsichtige Folie" ist, „hinter der die gesamtgesellschaftliche Kontrolle der Exekutive steht" wer kritiklos genug ist, an einen unbestimmten „Schicksalzusammenhang von Staat und Monopolen, von politischer Stabilität und ökonomischer Prosperität, aber auch von verbrecherischer, politischer Irrationalität (Atomrüstung, Vietnam) und permanenter ökonomischer und finanzieller Krisendrohung (Inflation, Arbeitslosigkeit)" zu glauben wer im Wahn lebt, daß hinter der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik „dunkle Mächte" walten, der wird sich gerade aus jenen irrationalen Gründen, wie er sie selber scheinbar bekämpft, kaum mit der bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Demokratie abfinden oder gar ein positives Verhältnis zu ihr gewinnen können. Wer vermeint, daß der „Parlamentarismus" nur „ein institutionelles Element kapitalistischer Klassenherrschaft" sei, für den muß folgerichtig „die Aufhebung dieser totalen Herrschaft" auch „die Aufhebung des Parlamentarismus" in der Bundesrepublik einschließen

Die Orientierung in der Theorie bleibt nicht folgenlos für die politische Praxis; sie führt zwangsläufig zu einer aggressiven Haltung in der tagespolitischen Auseinandersetzung, und die Anrufung des politischen Widerstandsrechts leitet in politischen Auseinandersetzungen unweigerlich zur Befürwortung gewaltsamer Aktionen über. Vergegenwärtigt man sich in diesem Zusammenhang noch das Selbstverständnis des SDS als „unterdrückte Minorität", so mag begreiflich werden, daß Herbert Marcuses differenzierte Äußerungen über das Widerstandsrecht solcher Minderheiten innerhalb dieses Studenten-bundes als Legitimation eines gewaltsamen Vorgehens auch innerhalb einer Demokratie mißverstanden werden mußten. Die philosophische Unterscheidung zwischen der geschichtlich unterschiedlichen Bedeutung des „weißen Terrors" und des „revolutionären Terrors", die Marcuse schließlich im Verlauf der Diskussionen seiner Berliner Vorträge getroffen hat — wobei er die Anwendung des „revolutionären Terrors" als eine befreiende Kraft wertete, „weil der revolutionäre Terror eben als Terror seine eigene Transzendierung zu einer freien Gesellschaft impliziert" —, hat vollends dazu beigetragen, ein gewaltsames Vorgehen in der politischen Auseinandersetzung im Selbstverständnis des SDS zu legitimieren. Es ist signifikant für die politische Entwicklung des SDS auf dem Wege vom inneren zum äußeren Widerstand, daß sich Rudi Dutschke als Repräsentant der anarcho-kommunistischen Fraktion in seinen letzten Äußerungen zu dieser Frage für gewaltsame Auseinandersetzungen ausgesprochen und die Verantwortung für die Art und das Ausmaß der Gewaltanwendung den politischen Entscheidungen des Staates zugeschoben hat. Auf die Frage, ob er sich von Gewalt distanziere, entgegnete er: „Nein. Aber die Höhe unserer Gegengewalt bestimmt sich durch das Maß der repressiven Gewalt der Herrschenden. Wir sagen ja zu den Aktionen der Antiautoritären, weil sie einen permanenten Lernprozeß der an der Aktion Beteiligten darstellen. Allein in einer immer wieder zu reflektierenden Praxis können sich effektive und klarere Formen des Widerstandes herausbilden. In einem langfristigeren Sinne kann das nur ein revolutionärer Kampf für eine freie Gesellschaft sein, für eine freie Welt, in der alle Menschen wenig arbeiten und wahrhaft viel freie Zeit für die schöpferische Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten ha-ben." Diese Äußerungen sind ebenso charakteristisch für die Rolle der Gewalt in der politischen Strategie des SDS wie der Beschluß der 22. ordentlichen Delegiertenkonferenz zum gewaltsamen Vorgehen gegen Einrichtungen der USA in der Bundesrepublik und West-Berlin für den Fall, daß ein Mitglied der „Student Nonviolent Coordinating Committee" (SNCC) in den Vereinigten Staaten getötet wird: „Falls ein Mitglied von SNCC ermordet werden sollte oder SNCC verboten wird, finden direkte Aktionen gegen die Niederlassungen des US-Imperialismus in der BRD und West-Berlin statt."

Zusammenfassung

Bei einer allgemeinen Charakterisierung der politischen Konzeption des SDS sieht man sich der Schwierigkeit gegenübergestellt, sowohl eine revolutionär-marxistische als auch eine anarcho-kommunistische Richtung, die in sich weiter differenziert sind, unter einem übergreifenden Begriff zusammenzuzwingen. Der nahe-liegende Versuch, beide Strömungen auf Grund ihres gemeinsamen Ursprungs im Marxismus als „kommunistisch" zu kennzeichnen, scheitert jedoch an den organisatorischen und konzeptionalen Unterschieden zwischen dem SDS und den meisten modernen kommunistischen Parteien: Gegen eine solche allgemeine politische Klassifizierung spricht erstens die dezentralisierte Organisationsstruktur des SDS und das Fehlen eines organisatorisch erzwingbaren Fraktions-und Diskussionsverbots, was zu'einem beträchtlichen Meinungspluralismus führt; zweitens der autochthone Ursprung dieses Studentenverbandes in der demokratischen Gesellschaft, was sich in seiner Unabhängigkeit von allen regierenden und opponierenden kommunistischen Parteien bekundet; drittens die Ablehnung des „parlamentarischen Weges zur Macht", der sich unter den westeuropäischen kommunistischen Parteien seit dem 20. Parteitag der KPdSU (1956) weitgehend durchgesetzt hat

Insbesondere die Ablehnung der innerdemokratischen Möglichkeiten für eine politische Opposition sowie die organisatorischen und propagandistischen Anstrengungen zur Formierung einer „außerparlamentarischen Opposition" beweisen das ständige Vordringen anarcho-kommunistischer Vorstellungen im SDS. Der revolutionär-marxistische Flügel, der sich gerade unter Berufung auf Lenin bemüht, neben der Mobilisierung der Massen außerhalb des parlamentarischen Regierungssystems auch alle parlamentarisch-demokratischen Möglichkeiten für die Vorbereitung des Um-sturzes auszunutzen scheint diesen Radikalisierungsprozeß nicht aufhalten zu können. In der politischen Praxis des SDS bestehen heute jedenfalls kaum noch ernsthafte Widersprüche gegen „direkte Aktionen" unter bewußter und systematischer Ausschaltung der meisten innerparlamentarischen Möglichkeiten für eine politische Opposition. In Anbetracht dieser Entwicklung ist festzustellen, daß der SDS heute radikalere Methoden der politischen Auseinandersetzung als die in den westeuropäischen Demokratien agierenden kommunistischen Parteien vertritt und anwendet. Die entschiedene Weigerung, innerhalb der bestehenden demokratischen Institutionen, einschließlich der Universitäten und Hochschulen, konstruktiv an Reformen mitzuarbeiten, und zwar mit der Begründung, daß eine positive Mitwirkung an demokratischen Entscheidungsprozessen innerhalb der dafür zuständigen Gremien die bestehende Staats-und Gesellschaftsordnung nur stabilisiere, ist ihrem Wesen nach destruktiv. Unter Berücksichtigung der heterogenen politischen Ordnungsvorstellungen mißlingt zumindest mit den herkömmlichen Kriterien eine klare Zuordnung des SDS zu einer besonderen politischen Richtung. Die Mitglieder des SDS werden nicht durch ein definitives und geschlossenes politisches Programm zusammengehalten; sie bilden vielmehr eine negative Gemeinschaft, die allein durch die vorbehaltlose Ablehnung der bestehenden demokratischen Ordnung und durch den gemeinsamen Willen zur sozialen und politischen Revolution geeint wird. Da der revolutionär-marxistische Flügel des SDS eine modifizierte Form der Diktatur des Proletariats erstrebt, während die Vertreter anarcho-kommunistischer Vorstellungen eine direkte Rätedemokratie verwirklichen wollen, würden diese politischen Differenzierungen erst in der positiven Phase, das heißt nach der Verwirklichung der Revolution, in der politischen Praxis relevant werden. Bei dieser Feststellung muß jedoch bedacht werden, daß eine von den unterschiedlichen politischen Ordnungsvorstellungen her getroffene Unterscheidung angesichts des erwähnten Radikalisierungsprozesses zusehends an Aussagekraft einbüßt.

Die Einebnung der mit den genannten unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen verbundenen Auffassungen kommt heute bereits in vielen Fragen zum Ausdruck: Die Vertreter eines revolutionären Marxismus im SDS haben trotz der Verurteilung des „Stalinismus" ursprünglich ein weit positiveres Verhältnis zu den sozialistischen Staaten gehabt als die Anhänger einer anarchistisch orientierten Theorie und Praxis. Heute versuchen die Repräsentanten beider Fraktionen ihre politischen Konzeptionen in der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte sozialistischer Staaten zu profilieren; obwohl auch in diesem Problemkreis gegenläufige Bestrebungen beobachtet werden können. Die gleiche Annäherung vollzieht sich in der Einstellung zu den Fragen des gewaltsamen Vorgehens gegen die bestehende demokratische Ordnung. Das Bekenntnis zum Marxismus impliziert grundsätzlich die Ablehnung provokativer Gewalt in evolutionären Geschichtsperioden und außerhalb erfolgreicher Massenbewegungen. Demgegenüber neigt der Anarchismus ebenso grundsätzlich zur Anwendung provokativer Gewalt, und zwar in der Hoffnung, durch die Sichtbarmachung latenter sozialer Konflikte revolutionäre Prozesse zu beschleunigen. Gegenwärtig werden diese kontroversen Auffassungen über die historische Rolle der Gewalt im SDS zusehends geringer: Der anarcho-kommunistische Flügel rechtfertigt den Widerstand auch gegen die demokratische Staatsgewalt als Anwendung von „Gegengewalt" gegen die von Seiten der Ordnungsmächte jeweils ergriffenen Maßnahmen zur Wahrung rechtsstaatlicher Zustände. Heute sanktionieren auch die Repräsentanten der revolutionär-marxistischen Richtung alle Formen von „Gegengewalt", „die sich auf das Prinzip der Öffentlichkeit und der Aufklärung gründet"

Die vom SDS befolgte Strategie der Konfrontation mit den Ordnungsmächten und die Provokation von Konflikten der verschiedensten Art, die durch wechselnde Angriffe auf echte oder vorgebliche Krisenherde in Universität, Staat und Gesellschaft hervorgerufen werden, erzeugt nicht nur eine sekundäre Solidarisierung innerhalb der Studentenschaft, sondern auch im SDS selbst. Da die Studentenschaft weder sozial noch politisch eine einheitliche Gruppe darstellt, die auf Grund einer gemeinsamen sozialen Lage eine ursprüngliche Solidarität ausbilden könnte, gehört es zur Strategie des SDS, durch die künstliche Erzeugung von Konfliktsituationen zwischen Studenten und Universitätsverwaltung oder Studenten und Staat einen Ausnahmezustand heraufzubeschwören, in dem sie je nach den Umständen mit moralischer Empörung oder mit physischer Gewalt reagieren, ein gemeinsames soziales Schicksal erleben und sich geschlossen gegen die bestehende Ordnung wenden sollen. Der durch diese politische Strategie erzeugte sekundäre Solidaritätseffekt bindet nicht nur die von diesen sozialpsychologischen Prozessen erfaßten Studenten, sondern erstreckt sich auch auf die meisten SDS-Mitglieder. Der im Sinne dieser Strategie erfolgreiche Verlauf der meisten Protestaktionen, Demonstrationen, Diskussionen und sonstigen Veranstaltungen der letzten Jahre hat auch im SDS die bestehenden politischen und sozialphilosophischen Gegensätze herabgemindert und ein ausgeprägtes Solidaritätsgefühl geschaffen.

Der wachsende Einfluß der politischen Konzeptionen des SDS auf die Haltung der unruhigen Teile der studierenden und lernenden Jugend läßt sich indes nicht allein aus der geschilderten politischen Strategie erklären und auch nicht allein aus einem besonders erbitterten Generationenkonflikt herleiten. Ebenso einseitig ist auch der Versuch, die besonderen nationalen Ursachen der studentischen Rastlosigkeit in ein internationales Syndrom aufzulösen, das in einem weltweiten Maßstab zur Radikalisierung der Jugend führt. Mit der Bemerkung Günther Nannings im Verlauf eines Vortrages vor Salzburger Studenten, daß „eine geheime neue Internationale der Jugend gegen die Alten quer durch bisherige Fronten" entsteht lassen sich sicherlich auch einige Erscheinungsformen der Studentenunruhen in der Bundesrepublik erhellen. Bedenklich werden solche allgemeine Ursachenanalysen allerdings dadurch, daß sie sich zur Entlastung von einer besonderen Verantwortung für den bisherigen Verlauf der Studentenunruhen in der Bundesrepublik anbieten. Wenn man die Studentenrevolte nur als ein weltweites Ärgernis behandelt, so kann das unter anderem auch dem Verzicht auf besondere Anstrengungen und politische Konsequenzen zur Überwindung der politischen Radikalisierungsprozesse unter der studierenden und lernenden Jugend Vorschub leisten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zu den statistischen Angaben die -Studenten zeitschritt „Colloquium". Eine deutsche Studentenzeitschrift, 1967, Nr. 9/10, S. 16.

  2. Vgl. Der lange Marsch, in: Der Spiegel, 1967, Nr. 51, S. 59.

  3. Vgl. Friedrich Mager, Ulrich Spinnarke, Was wollen die Studenten? Fischer Bücherei Nr. 949, Frankfurt/M. 1967, S. 133.

  4. Vgl. Hilke Schlaeger, Heinz Josef Herbort, Unruhe an den Universitäten. Eine Umfrage an deutschen Hochschulen, in: Die Zeit, 10. November 1967, S. 17/18.

  5. Niederlage oder Erfolg der Protestaktion? Eine vorläufige Auswertung (2. Juli 1967). Rundbrief an alle SDS-Mitglieder, hrsg. v. Bundesvorstand des SDS, S. 7.

  6. Beschlußprotokoll der 21. ordentlichen Delegiertenkonferenz des SDS vom 1. — 4. September 1966 in Frankfurt am Main, S. 15.

  7. Editorial, in: Neue Kritik, 1967, Nr. 41.

  8. Vgl. Wilfried Gottschalch, Zur Situation der Studenten als Minderheit in unserer Gesellschaft, in: Die rebellischen Studenten. Elite der Demokratie oder Vorhut eines linken Faschismus?, hrsg. v. H. J. Schoeps und Chr. Dannenmann, München 1968, S. 161 ff.

  9. Vgl. zu einigen gemeinsamen hochschulpolitischen Aktionen der „Höchster Verbände": SDS-Informationen, 1965, Nr. 3, S. 1 ff.

  10. Niederlage oder Erfolg der Protestaktion?, a. a. O., S. 4.

  11. Niederlage oder Erfolg der Protestaktionen?, ebd., S. 5.

  12. Vereinbarung zwischen SDS und Argument, in: SDS-Korrespondenz, Nr. 1, Januar 1966, S. 42.

  13. Vereinbarung zwischen SDS und Argument, a. a. O., S. 42.

  14. Reimut Reiche, Peter Gang, Zur Gründung eines sozialistischen Schülerbundes, in: SDS-Korrespondenz, Nr. 5, Januar 1967, S. 28.

  15. Rechenschaftsbericht des Bundesvorstandes. 22. Delegiertenkonferenz des SDS, 4. -8. September 1967, S. 17.

  16. Aufruf zum „Ersten Kongreß unabhängiger und sozialistischer Schüler" am 18. Juni 1967 in Frank-tun am Main, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität.

  17. Neue Hamburger Taktik (maschinengeschriebenes Manuskript), ohne Verfasser, o. J. (1967), S. 3.

  18. Bruno Friedrich, Eine grundsätzliche Entscheidung, in: SPD-Pressedienst P/XVI/253 vom 9. November 1961.

  19. Vgl. dazu die einseitige Darstellung zur Entwicklung des SDS von Ekkehard Kloehn, Der Weg in den Widerstand. Eine Chronik des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, in: Die Zeit, 23. Februar 1968, S. 9/10; derselbe: Fortsetzung und Schluß, in: Die Zeil, 1. März 1968, S. 17/18.

  20. Parteiprogramme der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Wilhelm Mommsen, Humboldt Taschenbücher Nr. 105, Berlin, München 1961, S. 108.

  21. Bruno Friedrich, Eine grundsätzliche Entscheidung, a. a. O.

  22. Bruno Friedrich, ebd.

  23. Bruno Friedrich, ebd.

  24. Vgl. Günter Kailauch, Die Politik des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, Referat des Bundesvorsitzenden vom Oktober 1960, hrsg. v. SDS, Frankfurt a. M. 1960, S. 11/12.

  25. Günter Kallauch, a. a. O., S. 14.

  26. Vorentwurf für ein Programm des SDS, vorgelegt zur XX. ordentlichen Delegiertenkonferenz vom 14. — 17. Oktober 1965 in Frankfurt a. M., S. 19/20.

  27. Editorial, in: Neue Kritik, 1967, Nr. 41, S. III.

  28. Vgl. dazu die politischen Gruppierungen, die sich um die Zeitschriften „Sozialistische Hefte" (erscheint im 7. Jahrgang) und „Marxistische Blätter" (erscheint im 7. Jahrgang) scharen; vgl. ferner die Bestrebungen zur Vereinigung der linksextremistischen Opposition in der Bundesrepublik in einem „Sozialistischen Zentrum": Wolfgang Abendroth, Sozialistische Arbeiterbewegung und sozialistische Studenten, in: Sozialistische Hefte, 1967, Nr. 10, S. 533— 539.

  29. Vgl. dazu: Ende und Anfang einer sozialistischen Deutschlandpolitik — das Seminar von FDJ und SDS, in: Neue Kritik, 1967, Nr. 40, S. 37— 47.

  30. Peter C. Walther, SDS in der Krise, in: Sozialistische Hefte, 1967, Nr. 10, S. 567.

  31. Peter C. Walther, a. a. O., S. 567.

  32. Peter C. Walther, ebd., S. 567.

  33. Peter C. Walther, ebd., S. 567.

  34. Herbert Lederer, Revolution ohne Vermittlung, in: Facit, 1967, Nr. 10— 11, S 39.

  35. Vgl. u. a. Che Guevara, Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam. Brief an das Exekutivsekretariat von OSPAAL. Eingeleitet und übersetzt von Gaston Salvatore und Rudi Dutschke, Oberbaumpresse Berlin, Berlin 1967; Regis Debray, Revolution in

  36. Vgl. zu den hochschulpolitischen Konzeptionen des SDS: Andre Gorz, Studium und Facharbeit heute, in: Wider die Untertanenfabrik. Handbuch zur Demokratisierung der Hochschule, hrsg. von Stephan Leibfried, Köln 1967, S. 42— 51.

  37. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, in: SDS-Korrespondenz, 1966, Nr. 4, S. 2— 30.

  38. Die Untersuchung der theoretischen Grundlagen des SDS geht davon aus, daß die weltanschauliche Orientierung des Verbandes grundsätzlich aus den Verlautbarungen und periodischen Publikationen des Bundesvorstandes, aus den Beschlüssen und Resolutionen der Delegiertenkonferenzen, den allgemeinen Schulungsprogrammen sowie den Themen von Seminaren der Landesverbände, aber auch aus den Reden und Veröffentlichungen führender Mitglieder erschlossen werden kann. Darüber hinaus sind in all jenen Fällen, in denen sich der sozial-philosophische Sinn oder die politische Bedeutung von Äußerungen in ihrer Tragweite nicht unmittelbar aus den jeweils zitierten Texten ergaben, die diesen Stellen zugrunde liegenden theoretischen Auffassungen z. B. von Marx und Lenin — ohne sie im einzelnen zu zitieren — in die Interpretation einbezogen. In diesem Zusammenhang sind ferner folgende Werke marxistischer Autoren zu erwähnen, die die Marxismus-Leninismusinterpretation des SDS maßgeblich bestimmen: Wolfgang Abendroth, Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung (Edition Suhrkamp 106), Frankfurt a. M. 1965; Paul A. Baran, Unterdrückung und Fortschritt. Essays (Edition Suhrkamp 179), Frankfurt a. M. 1966; derselbe: Politische Ökonomie des wirtschaftlichen Wachstums (Soziologische Texte, Bd. 42), Luchterhand Verlag, Neuwied am Rhein, Berlin 1966; Paul A. Baran, Paul M. Sweezy, Monopolkapitalismus, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1967; Paul M. Sweezy, Theorie der kapitalistischen Entwicklung. Eine analytische Studie über die Prinzipien der Marxschen Sozialökonomie, Köln 1959. .

  39. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, a. a. O„ S. 8/9.

  40. Frank Deppe, Kurt Steinhaus, Politische Praxis und Schulung im SDS, in: Neue Kritik, 1966, Nr. 38/39, S. 32.

  41. Mit dem festgestellten tendenziellen Realitätsverlust der marxistischen Methologie soll keineswegs behauptet sein, daß sie bereits jeglichen Erkenntniswert für die Feststellung der allgemeinen Richtung eingebüßt hat, in der der soziale Fortschritt zu suchen ist.

  42. Frank Deppe, Kurt Steinhaus, a. a. O., S. 32.

  43. Frank Deppe, Kurt Steinhaus, a. a. O., S. 32.

  44. W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus, in: W. I. Lenin, Ausgewählte Werke, Bd. I, Moskau 1946, S. 767— 875.

  45. Karl Marx, Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. III, Berlin 1958, S. 62.

  46. W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus, a. a. O., S. 840.

  47. Elmar Altvater, Perspektiven jenseits des Wirtschaftswunders: „Stabilisierte Wirtschaft", „Formierte Gesellschaft" II, in: Neue Kritik, 1967, Nr. 40, S. 22.

  48. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, a. a. O„ S. 17.

  49. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, ebd., S. 16.

  50. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, ebd., S. 28.

  51. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, ebd., S. 28.

  52. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, ebd., S. 28.

  53. Entwurf zum Schulungsprogramm des SDS, ebd., S. 28.

  54. Karl A. Wittfogel, Die orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht, Köln — Berlin 1962.

  55. Karl Renner, Marxismus, Krieg und Internationale, Stuttgart 1917.

  56. Otto Bauer, Die österreichische Revolution, Wien 1923.

  57. Heinrich Cunow, Die Marxsche Geschichts-, Gesellschafts- und Staatstheorie, Bd. I, Berlin 1923.

  58. Hermann Heller, Sozialismus und Nation, Berlin 1931.

  59. Hans Kelsen hat 1925 in einer auch heute noch zutreffenden Weise die Motive der Marxisten geschildert, die sie in einer staatsfeindlichen Haltung verharren lassen: „Aus dieser Mentalität der Oppositionsstellung ist zu verstehen, daß die marxistische Theorie — deren Zweck nicht so sehr Erkenntnis-förderung als vielmehr Willensbestimmung ist -

  60. Vgl. dazu: Helmut Schauer, Revolutionäre Reform. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der neuen Arbeiterklasse, in: Die Zeit, 15. Dezember 1967.

  61. Herbert Marcuse, Perspektiven des Sozialismus in der entwickelten Industriegesellschaft, in: Praxis, 1965, Nr. 2/3, S. 269.

  62. Andre Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, Frankfurt a. M. 1967, S. 7.

  63. Andre Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, a. a. O., S. 14.

  64. Andre Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, ebd., S. 33.

  65. Das Ende der Utopie. Herbert Marcuse diskutiert mit Studenten und Professoren West-Berlins an der Freien Universität Berlin über Möglichkeiten und Chancen einer politischen Opposition in den Metropolen in Zusammenhang mit der Befreiungsbewegung in den Ländern der Dritten Welt, Verlag Peter von Markowski, Berlin 1967, S. 17/18.

  66. Andre Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, ebd., S. 45/46.

  67. Das, Ende der Utopie, a. a. O., S. 40/41.

  68. W. I. Lenin, Ausgewählte Werke, Bd. I, Moskau 1947, S. 194.

  69. Herbert Marcuse, Das Ende der Utopie, S. 15: „Was auf dem Spiele steht, ist die Idee einer neuen Anthropologie, nicht nur als Theorie, sondern auch als Existenzweise, die die Entstehung und Entwicklung von vitalen Bedürfnissen nach Freiheit, von den vitalen Bedürfnissen nach Freiheit. . . . Im Sinne dieser vitalen Bedürfnisse impliziert die neue Anthropologie auch die Entstehung einer neuen Moral als das Erbe und die Negation der judäochristlichen Moral, die bisher die Geschichte der westlichen Zivilisation zum großen Teil bestimmt hat."

  70. Herbert Marcuse, Das Ende der Utopie, ebd., S. 15.

  71. Herbert Marcuse, Das Ende der Utopie, ebd., S. 47.

  72. Rudi Dutschke, Interview, in: Konkret, 1967, Nr. 6, S. 25.

  73. Herbert Marcuse, Das Ende der Utopie, ebd., S. 14.

  74. Vgl. zu der Unterscheidung zwischen system-konformer und systemkontroverser außerparlamentarischer Opposition den Aufsatz von Arnheim Neusüss, Außerparlamentarische Opposition, in: Die rebellischen Studenten, a. a. O., S. 47— 67.

  75. Wolfgang Lefebvre, Ursachen und Konseguenzen des 2. Juni, in: Neue Kritik, 1967, Nr. 42/43, S. 13.

  76. Rudi Dutschke, Interview, in: Konkret, a. a. O., S. 26.

  77. Frank Deppe, Kurt Steinhaus, Politische Praxis und Schulung im SDS, a. a. O., S. 34.

  78. Studentenulk oder Notwendigkeit? Protokoll eines Podiumsgespräches über „Revolution 1967", in: Die Zeit, 1. Dezember 1967, S. 18.

  79. Wir fordern die Enteignung Axel Springers. Spiegel-Gespräch mit dem Berliner FU-Studenten Rudi Dutschke (SDS) in: Der Spiegel, 1967, Nr. 29, S. 29. (Hervorhebung durch Kursivsatz vom Vers.)

  80. Wir fordern die Enteignung Axel Springers, a. a. O., S. 30.

  81. Wir fordern die Enteignung Axel Springers, ebd., S. 30.

  82. Karl Marx, Politische Schriften, hrsg. v. Hans-Joachim Lieber, Bd. IfI/2, Darmstadt 1960, S. 1009.

  83. Rudi Dutschke, Diskussionsbeitrag, in: Bedingungen und Organisation des Widerstandes. Der Kongreß in Hannover, Voltaire Flugschriften, hrsg. V. Bernward Vesper, Nr. 12, S. 80.

  84. Vgl. zu den theoretischen Grundlagen des Anarchismus: Daniel Guerin, Anarchismus. Begriff und Praxis, Edition Suhrkamp Nr. 240, Frankfurt a. M. 1967; ferner: Günther Nollau, Der Anarchismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochen-zeitung Das Parlament, B 47/67, v. 22. November 1967.

  85. Rudi Dutschke, Diskussionsbeitrag, a. a. O., S. 82.

  86. Daniel Guerin, Anarchismus, a. a. O., S. 66/67.

  87. Rudi Dutschke, Diskussionsbeitrag, a. a. O., S. 78.

  88. Rudi Dutschke, Diskussionsbeitrag, a. a. O., S. 93.

  89. Vgl. Hans-Jürgen Krahl (Diskussionsbeitrag), in: Bedingungen und Organisation des Widerstandes, a. a. O„ S. 71/72.

  90. Jürgen Habermas (Diskussionsbeitrag), in: Bedingungen und Organisation des Widerstandes, a. a. O., S. 101.

  91. Eine Äußerung des ehemaligen Bundesvorsitzenden des SDS, Reimut Reiche, zitiert nach Joachim Neander, Berlin, als Exerzierfeld für Revolutionsmodelle. Ein Report über die Ideologen des SDS, in: Protestbewegung unter den Studenten der Freien Universität Berlin, hrsg. vom Senator für Inneres, Berlin 1967, Anlage 24.

  92. Wolfgang Abendroth, Das Grundgesetz. Eine Einführung in seine politischen Probleme, Bd. 3 der Reihe „Politik in unserer Zeit", Pfullingen 1966.

  93. Wolfgang Abendroth, Das Grundgesetz, a. a. O., S. 68.

  94. Wolfgang Abendroth, Das Grundgesetz, a. a. O., S. 68.

  95. Wolfgang Abendroth, Das Grundgesetz, ebd., S. 13.

  96. Wolfgang Abendroth, Diskussionsbeitrag, in: Bedingungen und Organisation des Widerstandes, a. a. Q„ S. 40 41.

  97. Wolfgang Lefebvre, Diskussionsbeitrag, in: Bedingungen und Organisation des Widerstandes, a. a. O., S. 71.

  98. Helmut Schauer, Diskussionsbeitrag, in: Bedingungen und Organisation des Widerstandes, ebd., S. 94.

  99. Frank Deppe, Parlamentarismus — Parlamentarische Aktion — Sozialistische Politik, in: Neue Kritik, 1968, Nr. 44, S. 53.

  100. Frank Deppe, Parlamentarismus . . ., a. a. O., S. 54.

  101. Frank Deppe, Parlamentarismus . . ., a. a. O., S. 55.

  102. Frank Deppe, Parlamentarismus . . ., ebd., S. 55.

  103. Frank Deppe, Parlamentarismus . . . , ebd., S. 56.

  104. Herbert Marcuse, Das Ende der Utopie, a. a. O., S. 70.

  105. Der SDS läßt sich nicht verbieten. Interview mit Rudi Dutschke, in: Konkret, 1968, Nr. 3, S. 6.

  106. Die XXII. ordentliche Delegiertenkonferenz des SDS. Resolutionen und Beschlüsse, hrsg. vom Bundesvorstand des SDS, Frankfurt am Main 1967, S. 27.

  107. Vgl. Der Sowjetkommunismus. Dokumente, Bd. 1: Die politisch-ideologische Konzeption, hrsg. v. Hans-Joachim Lieber und Karl-Heinz Ruffmann, Köln, Berlin 1963, S. 462 f.

  108. Frank Deppe, Parlamentarismus — Parlamentarische Aktion — Sozialistische Politik, a. a. O., S. 50/51.

  109. Oskar Negt, Antworten auf eine Umfrage. Strategie der Gegengewalt. Gegen Springermonopol und Notstandsgesetze — Mitbestimmung als Fernziel, in: Die Zeit, 26. April 1968, S. 4.

  110. Günther Nanning, Aufforderung zur Aufsässigkeit. Vortrag vor Salzburger Studenten, Oktober 1966, in: Forum, 1967, Nr. 164— 165, S. 602.

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Rene Ahlberg, Dr. phll., Privätdozent für Soziologie (unter besonderer Berücksichtigung der Soziologie Osteuropas) an der Freien Universität Berlin, geb. am 16. April 1930 in Riga.