Ernst von Siemens hat einmal formuliert, in der heutigen Wirtschaft sei die gegenseitige Überbietung mit immer modernerer Technik zur wirkungsvollsten Form der Konkurrenz geworden. Der Forschungswettbewerb, der „Wettbewerb der Laboratorien", sei vielfach wichtiger als die Preiskonkurrenz
Seit 1962/63 ist die mitteldeutsche Staatspartei nicht müde geworden, die Bedeutung des Produktionsfaktors Wissenschaft und Forschung herauszustellen. Dabei ließ sie sich u. a. auch von der Überlegung leiten, daß gerade bei dem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften weitere Steigerungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur mehr durch Anhebungen des qualitativen Niveaus in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Entwicklung bis hinüber in die eigentliche Fertigung zu erzielen sind. Gemeint ist damit die Bereitstellung von hochqualifiziertem Forschungs-, Entwicklungsund Fertigungspersonal, die straffe Organisation der Forschung und ihre Konzentration auf einige wenige Schwerpunktbereiche, die schnelle Nutzung ihrer Ergebnisse in der Industrie, die Entwicklung immer leistungsfähigerer Maschinen und ihre gegenseitige Verkettung zu hochproduktiven Aggregaten und Anlagen, die Einführung modernster Produktionsverfahren und schließlich — aber nicht zuletzt — die rationelle Gestaltung der Produktionsprozesse und der Betriebsorganisation. Kurz: Es geht um die Entwicklung neuer technischer Lösungen und ihre Überführung in die Praxis in möglichst kurzer Zeit mit dem geringmöglichsten Kräfte-und Mittelaufwand, auch durch Eliminierung aller denkbaren Verlustquellen. In der Fachwelt hat sich hierfür die Bezeichnung „System management" eingebürgert. Die globale Steuerung dieser komplexen Aufgaben obliegt dem Ost-Berliner Staatssekretariat für Forschung und Technik, das in diesem Frühjahr in den Rang eines „Ministeriums für Wissenschaft und Technik" erhoben wurde. Damit wird auch nach außen dokumentiert, welche Bedeutung diesem Sektor seitens der politischen Führung zugemessen wird. Auf der anderen Seite erwies sich diese Maßnahme als notwendig, weil nur durch eine Rangerhöhung das jetzt geschaffene Ministerium die Möglichkeit erhielt, sich gegen den Ressortegoismus und die Engstirnigkeit der Fachministerien und Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) durchzusetzen. Es besteht nämlich nicht der mindeste Zweifel — die nachfolgenden Ausführungen werden dies im einzelnen belegen —, daß der industrielle Forschungs-und Entwicklungsbereich lange Jahre stark vernachlässigt wurde und außerdem noch mit hohen Verlusten arbeitete. Mit einzelnen Sanierungsmaßnahmen — und seien sie auch gezielt — war und ist nicht viel gewonnen. Gebot der Stunde ist die Umstrukturierung des gesamten Forschungs-und Entwicklungssystems. Wenn die Verantwortlichen Mitteldeutschlands die derzeitigen Ungereimtheiten beseitigen und gleichzeitig die Voraussetzungen schaffen wollen, um im „Wettlauf um die Zukunft" mithalten zu können, bleibt ihnen nur der Weg der Globalsteuerung.
Die Ausgaben für industrielle Forschung und Entwicklung
Welche Bedeutung dem Forschungs-und Entwicklungsbereich im Laufe der Jahre beigemessen wurde, geht in erster Linie aus dem Umfang der finanziellen Aufwendungen des Staates im Vergleich zu anderen Ausgaben hervor. 1951 betrugen die Ausgaben für industrielle Forschung und Entwicklung 189, 2 Mill. Mark. 1954 erreichten sie den Stand von 506, 5 Mill.
In einigen führenden Industriezweigen der westlichen Industrieländer liegt der prozentuale Anteil der Forschungskosten am Umsatz mit 7 bis 15 Prozent noch wesentlich höher
Berücksichtigt man, daß in der mitteldeutschen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eine Reihe von Wirtschaftsleistungen (z. B. Dienstleistungen) nicht erfaßt und ausgewiesen werden, die Bezugsbasis relativ schmaler als in westlichen Ländern ist und der industrielle Forschungs-und Entwicklungsaufwand also eine verhältnismäßig höhere Proportion erreichen muß, dann fällt der internationale Vergleich selbst dann nicht überzeugend aus, wenn wir veranschlagen, daß in den westlichen Angaben die Ausgaben für die wissenschaftliche Forschung meist mitenthalten sind. Die Tatsache, daß in Mitteldeutschland das Forschungs-und Entwicklungspersonal ebenso wie das in den Forschungs-und Entwicklungsstellen eingesetzte und verbrauchte Material geringere Kosten verursacht, korrigiert unsere Feststellung nur graduell, aber nicht prinzipiell. Immerhin wendet die Sowjetunion seit Jahren über 2 Prozent ihres gesellschaftlichen Gesamtproduktes
Ob diese Steigerungsraten allerdings genügen, um den ausgelaufenen technologischen Rückstand aufzuholen und den Anschluß an die westlichen Industrienationen zu gewinnen, ja, ob es mit einer bloßen Steigerung des Forschungs-und Entwicklungsaufwandes allein getan ist, erscheint nach Kenntnis der Lage zweifelhaft. Mit Recht erklärte der Ost-Berliner Staatsratvorsitzende vor etwa zwei Jahren
„Das allein (die Steigerung der Mittel [d. Vers. ]) genügt nicht. Mittel und Kräfte müssen auch so eingesetzt werden, daß die Ergebnisse der Forschung und Entwicklung die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, die Rentabilität der Produktion maximal erhöhen und damit das Nationaleinkommen der Gesellschaft ständig vergrößern."
Da es um den rationellen Mittel-und Kräfte-einsatz aber nicht zum besten steht, erscheinen die Angaben über den bislang betriebenen Forschungsaufwand in einem ganz anderen Licht. Diese Erscheinung erklärt auch, weshalb Walter Ulbricht seit 1962 immer und immer wieder auf diesen neuralgischen Punkt zu sprechen kommt und krategorisch eine Änderung der Lage verlangt, ohne doch einen grundlegenden Wandel erzielt zu haben. Dies wird noch im einzelnen zu beschreiben sein. Zuvor interessiert uns zu erfahren, wie sich die industrielle Forschungs-und Entwicklungskapazität über die einzelnen Industriezweige verteilt.
Die Struktur der industriellen Forschungs-und Entwicklungskapazität nach Industriezweigen
Werkzeugmaschinen und Automatisierung 100 Elektrotechnik/Elektronik 89 Schwermaschinenbau 74 Glas und Keramik 58 Energie 56 Chemie 46 Lebensmittel 19 (Stand: 1. Januar 1963)
Werkzeugmaschinen und Automatisierung 100 Elektrotechnik/Elektronik 89 Schwermaschinenbau 74 Glas und Keramik 58 Energie 56 Chemie 46 Lebensmittel 19 (Stand: 1. Januar 1963)
Nach den letzten verfügbaren Angaben wird in Mitteldeutschland die naturwissenschaftlich-technische Forschung in 2701 Forschungs-und Entwicklungsstellen, darunter 791 Instituten, durchgeführt, wobei offenbar die wissenschaftlichen Einrichtungen mitgezählt sind
Leider stehen uns keine neueren Unterlagen zur Verfügung, die die derzeitige Aufgliederung des Forschungs-und Entwicklungspersonals nach Industriezweigen erkennen lassen. Dieses ergibt sich aber bereits aus der vorliegenden Tabelle: Die Verteilung des forschungs-und Entwicklungspersonals nach Industriezweigen war schon 1962 überholt. Betrachtet man Forschung und Entwicklung als Investitionen auf die Zukunft hin, dann entsprach die oben ausgewiesene Beschäftigten-struktur weder den Erfordernissen der geltenden Wirtschaftspolitik noch den internationalen Entwicklungstrends auf diesem Spezialgebiet. Sie reproduzierte mit der starken Konzentration des Forschungs-und Entwicklungspersonals auf den Maschinenbaubereich in der Höhe von 51 Prozent auf ihre Weise eine Industriezweigstruktur, die für die Aufbauphase der fünfziger Jahre adäquat gewesen sein mochte. Die beabsichtigte Verlagerung der industriellen Produktion auf die chemische, elektrotechnische und elektronische Industrie nahm sie nur sehr unzureichend vorweg und begründete gerade in diesen drei zukunftsträchtigen Industriezweigen ein beachtliches technologisches Defizit. In der Bundesrepublik entfällt demgegenüber allein ein Drittel der in der industriellen Forschung und Entwicklung tätigen Personen auf die Chemie und Mineral-Ölindustrie. Ein weiteres knappes Drittel ist in den Industriezweigen Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik tätig. Lediglich ein reichliches Fünftel konzentriert sich auf den Stahl-, Maschinen-und Fahrzeugbau
Noch deutlicher treten die Ursachen des technologischen Verzuges hervor, wenn wir die untenstehende Tabelle betrachten
Anzahl der in Forschungs-und Entwicklungseinrichtungen Beschäftigten je 1000 Produktionsarbeiter nach Abteilungen des Volkswirtschaftsrates (Werkzeugmaschinenbau und Automatisierung = 100).
NE-Metallurgie und Kali Gießereien und Schmieden Schwarzmetallurgie Holz, Papier, Polygraphie Kohle Textil, Bekleidung, Leder 17 16 13 9 4 4
NE-Metallurgie und Kali Gießereien und Schmieden Schwarzmetallurgie Holz, Papier, Polygraphie Kohle Textil, Bekleidung, Leder 17 16 13 9 4 4
Während in den modernen Industrienationen die Chemie, Elektrotechnik und Elektronik hinsichtlich der Besetzung mit Forschungs-und Entwicklungspersonal weit vor dem Maschinenbau rangieren, ist dies in Mitteldeutsch-land nicht der Fall. Zumindest Anfang 1963 war die Chemie sogar nur im Mittelfeld zu finden. Seitdem sind gewisse Verbesserungen zu verzeichnen, wie weiter unten noch zu zeigen ist. Sie sind jedoch immer noch viel zu gering, um in der Lage zu sein, die schon auf dem VI. Parteitag der SED angekündigte Modernisierung der Industriezweigstruktur wirklich vorzubereiten und eine echte wissenschaftlich-technische Hilfestellung zu geben, die auf die Zweigstruktur abzielt und über technische Details hinausgeht.
Das personelle „Forschungspotential"
VVB Chemiefaser und Fotochemie Elektrochemie Allgemeine Chemie Mineralöle und organische Grundstoffe Gummi und Asbest Pharmazeutische Industrie Lacke und Farben Plastverarbeitung Bergbauausrüstungen und Förderanlagen *)
Chemieanlagen *’) Textilmaschinenbau Polygraph, Maschinen für Papier u. Druck Büromaschinen ’**)
Nahrungs-, Genußmittel-und Verpackungsmaschinen Hochspannungsgeräte und Kabei Bauelemente und Vakuumtechnik Werkzeugmaschinen Regelungstechnik, Gerätebau und Optik (ohne VEB Carl Zeiß) ᯨङ虰ޅ?
VVB Chemiefaser und Fotochemie Elektrochemie Allgemeine Chemie Mineralöle und organische Grundstoffe Gummi und Asbest Pharmazeutische Industrie Lacke und Farben Plastverarbeitung Bergbauausrüstungen und Förderanlagen *)
Chemieanlagen *’) Textilmaschinenbau Polygraph, Maschinen für Papier u. Druck Büromaschinen ’**)
Nahrungs-, Genußmittel-und Verpackungsmaschinen Hochspannungsgeräte und Kabei Bauelemente und Vakuumtechnik Werkzeugmaschinen Regelungstechnik, Gerätebau und Optik (ohne VEB Carl Zeiß) ᯨङ虰ޅ?
Stimmen einen bereits diese Angaben skeptisch, so wird man noch vorsichtiger, wenn man die industrielle Forschungs-und Entwicklungskapazität Mitteldeutschlands an Hand weiterer Kriterien prüft und analysiert. Danach — dies sei bereits jetzt vorweggenommen — ist sehr fraglich, ob es dem Regime in absehbarer Zeit gelingen wird, den Anschluß an die modernen Industrieländer zu gewinnen und in Fragen Wissenschaft, Technik und Technologie ein entscheidendes Wörtchen mit-zureden. Dabei handelt es sich für Ost-Berlin nicht nur um eine Angelegenheit des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes, sondern auch um ein in höchstem Maße politisches Problem, nämlich um die Demonstration der Überlegenheit des sozialistischen Gesellschafts-und Wirtschaftssystems. In Ost-Berliner Diktion nimmt sich das einer Lektion vor der Partei-hochschule „Karl Marx" zufolge so aus
Die Vorbedingungen hierfür sind jedoch gegenwärtig noch so gelagert, daß die genannten Zielsetzungen auf Jahre hinaus ein schöner Traum bleiben werden. 1964 waren von 100 Beschäftigten der sozialistischen (d. h. staatlichen und genossenschaftlichen) Industrie 72, 3 unmittelbar im Fertigungsbereich tätig. Betriebs-, Unternehmens-leitungen, Technologie und Verwaltung beanspruchten 17, 4 Personen. Für den Bereich Forschung und Entwicklung einschliefilich Projektierung und Konstruktion verblieben nicht mehr als 3, 6 Beschäftigte
Unsere Schätzung wird auch durch die folgende Aufstellung gestützt, die die personelle Forschungs-und Entwicklungskapazität in einigen ausgewählten Zweigen der chemischen und metallverarbeitenden Industrie, also in Schlüsselindustrien, erkennen läßt
Die USA beschäftigen z. B. in der Elektroindustrie das Fünffache und andere Industrieländer das Dreifache an Forschungspersonal je 100
Beschäftigte
Die Ursachen dieses Zustandes sind komplexer Natur. Hier schlug die Abwanderung von Fachkräften nach der Bundesrepublik ebenso zu Buch wie das Bestreben der staatlichen und wirtschaftlichen Verwaltung, sich zunächst einmal selbst mit qualifiziertem Fachpersonal ausreichend zu versorgen, ehe die anderen volkswirtschaftlichen Bereiche berücksichtigt wurden
In solches Unverständnis teilen sich Wirtschaftszentrale, VVB-und Betriebsleitungen.
Typisch dürfte in diesem Zusammenhang auch die Weigerung von Betriebs-und VVB-Leitungen sein, insbesondere Chemiker, Mathematiker und Physiker entsprechend ihrer wissenschaftlichen Vorbildung unterzubringen, da „keine Klarheit über die Notwendigkeit und die Möglichkeit" ihres Einsatzes besteht, obwohl „mehr echte Aufgaben" vorhanden seien, als die Betriebe und die VVB sehen
Berücksichtigt man außerdem noch die offenbar gar nicht so seltene Erscheinung, daß hervorragende Fachkräfte dem Forschungs-und Entwicklungsbereich entzogen und dem Produktionsbereich überstellt worden sind, wodurch Forschung und Entwicklung erheblich geschädigt wurden
Die Qualifikationsstruktur des Forschungs-und Entwicklungspersonals
Mitarbeiter in Forschungsund Entwicklungsstellen Davon:
Fachkräfte in Forschung und Entwicklung Darunter:
Fachkräfte mit Fach-und Hochschulausbildung 34, 4 mit Hochschulausbildung 11, 1 mit Fachschulausbildung 23, 3 Fachkräfte ohne Fach-und Hochschulausbildung 10, 3 Beschäftigte im Musterbau übrige Beschäftigte (Verwaltungspersonal, Betreuungspersonal, Betriebsschutz, Reinigungskräfte usw.) 100 44, 7 19, 6 35, 7 Beschäftigten-und Qualifikationsstruktur in den Forschungsund Entwicklungsstellen der z᧠ङ虰ޅ?
Mitarbeiter in Forschungsund Entwicklungsstellen Davon:
Fachkräfte in Forschung und Entwicklung Darunter:
Fachkräfte mit Fach-und Hochschulausbildung 34, 4 mit Hochschulausbildung 11, 1 mit Fachschulausbildung 23, 3 Fachkräfte ohne Fach-und Hochschulausbildung 10, 3 Beschäftigte im Musterbau übrige Beschäftigte (Verwaltungspersonal, Betreuungspersonal, Betriebsschutz, Reinigungskräfte usw.) 100 44, 7 19, 6 35, 7 Beschäftigten-und Qualifikationsstruktur in den Forschungsund Entwicklungsstellen der z᧠ङ虰ޅ?
Die personelle Forschungskapazität gibt zunächst nur einen groben Überblick, sagt aber nichts über die effektive Forschungskapazität aus. Will man Genaueres über sie erfahren, so muß man außerdem noch die Qualifikationsstruktur des Forschungs-und Entwicklungspersonals in Augenschein nehmen und prüfen, in welchem Umfange insbesondere die Arbeitskapazität des wissenschaftlichen Personals zu Forschungs-und Entwicklungsaufgaben genutzt, wird. Uber die Beschäftigten-und Qualifikationsstruktur der naturwissenschaftlich-technischen Forschungs-und Entwicklungsstellen der zentralgeleiteten volks-eigenenIndustrie gibt die nachfolgende Tabelle Auskunft
Die Kapazität erweist sich als noch begrenzter, wenn man sich die Fachkräfte einmal etwas genauer ansieht. Hinsichtlich des relativen Anteils der Hochschulexperten bestehen keine sehr großen Unterschiede zu modernen Industrieländern. Beispielsweise betrug der Anteil des wissenschaftlichen Personals 1964 in der Bundesrepublik 12, 6 Prozent aller in Forschung und Entwicklung tätigen Kräfte
Es gibt jedoch einige Ausnahmen von dieser Regel, die — trotz genereller Unterdimensionierung des Forschungs-und Entwicklungsbereiches — auch die Spitzenleistungen der mitteldeutschen Industrie zu erklären vermögen. Verschiedene „klassische'1 Industriezweige weisen einen weit höheren Anteil an Hochschulexperten unter ihrem Forschungsund Entwicklungspersonal aus, z. B. die VVB Hochspannungsgeräte und Kabel mit 15, 4 Prozent, die VVB Bauelemente und Vakuum-technik mit 13, 3 Prozent und die VVB Polygraph, Maschinen für Papier und Druck mit 11, 1 Prozent. Ähnlich liegen die Dinge bei einigen wichtigen Instituten der VVB, wie z. B.dem Institut für Elektronik mit 29, 7, dem Institut für Chemieanlagen mit 21, 4, dem Institut für polygraphische Maschinen mit 20, 0 und dem Institut für Werkzeugmaschinen mit 14, 9 Prozent Hochschulkadern
Dagegen ist festzustellen, daß „moderne", zukunftsträchtige Industriezweige Mitteldeutschlands, die als zentrale Schwerpunktindustrien deklariert wurden, hinsichtlich des Anteiles der Hochschulexperten in den Forschungs-und Entwicklungststellen unterbesetzt sind. Das trifft gerade für die so wichtige VVB Datenverarbeitungs-und Büromaschinen mit nur 6, 9 Prozent zu (beim IBM-Konzern beträgt der Anteil des F-und E-Personals — meist Mathematiker, Physiker, Elektroniker, Elektroingenieure — 16 Prozent der Gesamtbeschäftigten des Konzerns und dürfte in den F-und E-Stellen selbst ein Mehrfaches dieses Satzes ausmachen; ähnlich liegen die Verhältnisse auch bei Olivetti). Auf das wissenschaftliche Personal des Instituts für Regelungstechnik entfallen lediglich 7, 8 Prozent
Die Nutzung der wissenschaftlichen Arbeitskapazität
Anzahl der Hochschulkräfte von bis 1 6 11 21 41 0 5 10 20 40 100 Anzahl der Forschungs-und Entwicklungsstellen in v. H. 18, 6 67, 1 7, 2 2, 8 3, 6 0, 7 Besetzung der Forschungsund Entwicklungsstellen mit Hochschulexperten
Anzahl der Hochschulkräfte von bis 1 6 11 21 41 0 5 10 20 40 100 Anzahl der Forschungs-und Entwicklungsstellen in v. H. 18, 6 67, 1 7, 2 2, 8 3, 6 0, 7 Besetzung der Forschungsund Entwicklungsstellen mit Hochschulexperten
Die Liste der Verlustquellen läßt sich fortsetzen, sofern man danach forscht, wie denn nun das schon so beschränkte intellektuelle Kapital in den einzelnen Forschungs-und Entwicklungsstellen ausgenutzt wird. Eigentlich sollte man annehmen, Ost-Berlin habe in Anbetracht der geschilderten Umstände wenigstens alles getan, um mit seinem begrenzten Forschungsund Entwicklungspersonal haushälterisch umzugehen. Das ist nicht der Fall. Hochbezahlte Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker müssen oft beträchtliche Prozentsätze ihrer Arbeitszeit für Dinge aufwenden, die mit ihrer eigentlichen Aufgabenstellung nur wenig oder überhaupt nichts zu tun haben. Wie der Staatssekretär für Forschung und Technik auf der 4. Plenartagung des Forschungsrates ausführte, wurden in 21 untersuchten VVB 65 Prozent der vorhandenen Kapazitäten im Funktions-und Fertigungsmusterbau für die laufende Produktion eingesetzt und dadurch ihrer Bestimmung entzogen. Als Schätzwert ergab sich die Zahl von 1500 hochqualifizierten Fachkräften, die zweckentfremdet arbeiteten
Auch in diesem Falle handelt es sich nicht etwa um einige extreme Fälle. Eine Überprüfung mehrerer Institute einiger VVB ergab, daß der Aufwand für gezielte Grundlagenforschung, Standardisierungsarbeiten, Vertrags-forschung und sogenannte produktionswirksame Unterstützung der Betriebe nur 20 bis 50 Prozent der Gesamtarbeitszeit ausmacht
Dazu heißt es
„Zum Beispiel setzte das Institut für Fördertechnik Leipzig im Jahre 1964 nahezu die Hälfte seiner wissenschaftlich-technischen Gesamtkapazität für derartige Arbeiten ein. Auch an anderen Instituten schwankt der Anteil solcher Tätigkeiten zwischen 40 und 50 Prozent. Dahinter verbirgt sich oft ein nicht unerheblicher Prozentsatz direkter Leitungs-und Verwaltungsfunktionen, die mit der Forschung und Entwicklung nichts oder nur wenig zu tun haben. Auch für Routinearbeiten wenden einzelne Mitarbeiter zwischen 20 und 30 Prozent ihrer für die Wirtschaft kostbaren Arbeitszeit auf."
Insgesamt rechnete man noch vor zwei Jahren damit, daß rund 30 Prozent der Gesamtarbeitszeit der wissenschaftlichen Mitarbeiter für den gesetzlichen Jahres-und Sonderurlaub, die gesetzlichen Feier-und Haushaltstage, KranK-heft und sonstige Tätigkeiten in Abzug zu bringen sind. Von dem verbleibenden Zeitanteil von 70 Prozent entfielen die schon angeführten 20 und mehr Prozent auf Routinearbeiten und weitere 30 bis 40 Prozent auf Tätigkeiten in den Wissenschaftlich-technischen Zentren, wobei ein Teil dieser Arbeit nicht unmittelbar Forschungs-und Entwicklungsautgaben zurechenbar ist
In der Wirklichkeit stellen sich der von der Zentrale gewünschten Änderung des Zustandes nach wie vor eine Reihe schwer überwindbarer Hemmnisse in den Weg. Auch noch 1966 wurde wiederum darüber Klage geführt, daß Entwicklungsingenieuren wichtiger Großbetriebe weniger als 50 Prozent der Arbeitszeit für ihre eigentliche Forschungs-und Entwicklungstätigkeit zur Verfügung stehen. Die übrige Zeit füllen sie mit Verwaltungsausgaben, der Abfassung von Berichten und sonstigen untergeordneten Tätigkeiten
Das von uns aus den vergangenen Jahren zusammengetragene Datenmaterial beleuchtet also nicht etwa einen schon längst überwundenen Zustand. Es charakterisiert auch noch die gegenwärtige Lage.
Hinzu kommt nun noch, daß die anhaltend langen Bestell-und Lieferfristen selbst für kleine Mengen Forschungs-und Entwicklungsmaterial von vornherein eine optimale Ausschöpfung des wissenschaftlichen Forschungs-und Entwicklungspotentials, eine kontinuierliche Arbeit und international übliche Forschungs-und Entwicklungszeiten unmöglich machen
Die materielle Ausstattung der Forschungs-und Entwicklungsstellen
Volkseigene Industrie insges. darunter: Grundstoffindustrie Metallverarbeitende Industrie Leichtindustrie Lebensmittelindustrie 'Ausgewählte Zweige Energie Bergbau Chemie Metallurgie Elektrotechnik Schwermaschinenbau Allgemeiner Maschinenbau Metallwaren Glas und Keramik Bekleidung und Näherzeugnisse 1960 43, 0 48, 8 36, 4 46, 3 41, 4 51, 7 45, 9 51, 2 50, 9 34, 6 34, 1 40, 7 31, 9 • 1963 45, 4 52, 4 38, 2 47, 4 48, 4 53, 1 50, 3 55, 4 51, 4 35, 7 36, 6 42, 7 36, 5 • 1965 46, 9 53, 8 40, 2 47, 3 51, 0 53, 3 ῠङ虰ޅ?
Volkseigene Industrie insges. darunter: Grundstoffindustrie Metallverarbeitende Industrie Leichtindustrie Lebensmittelindustrie 'Ausgewählte Zweige Energie Bergbau Chemie Metallurgie Elektrotechnik Schwermaschinenbau Allgemeiner Maschinenbau Metallwaren Glas und Keramik Bekleidung und Näherzeugnisse 1960 43, 0 48, 8 36, 4 46, 3 41, 4 51, 7 45, 9 51, 2 50, 9 34, 6 34, 1 40, 7 31, 9 • 1963 45, 4 52, 4 38, 2 47, 4 48, 4 53, 1 50, 3 55, 4 51, 4 35, 7 36, 6 42, 7 36, 5 • 1965 46, 9 53, 8 40, 2 47, 3 51, 0 53, 3 ῠङ虰ޅ?
Von den Schwierigkeiten, sich kurzfristig in den Besitz von wichtigen Forschungsmaterialien und -geraten zu setzen, war andeutungsweise schon die Rede, soweit das aus bisherigen Publikationen erschlossen werden konnte. Daß diese Schwierigkeiten beträchtlich und außerdem weit verbreitet sind, ist zumindest daraus zu entnehmen, daß der Ost-Berliner Staatsratvorsitzende selbst auf diese eigentlich untergeordneten Dinge in aller Öffentlichkeit hat eingehen müssen
Mit einem so hohen Anteil an älteren Grund-ausrüstungen gerade in den industriellen Forschungs-und Entwicklungsstellen kann man — wie an der gleichen Stelle richtig angemerkt wird — schwerlich Voraussetzungen für die wissenschattlich-technische Revolution schaffen, moderne technische Herstellungsverfahren entwickeln und konkurrenzfähige Produkte auf den Markt bringen. Ursache dieses Phänomens ist das ungenügend geschärfte Bewußtsein der Wirtschaftsführung für die Bedeutung des Forschungs-und Entwicklungsbereiches. Dieser bereits in den vorhergehenden Kapiteln beobachtete Mangelzustand schlägt auch an dieser Stelle durch. Solange aber die wirtschaftsleitenden Organe primär auf Planerfüllung unter mehr oder weniger quantitativen Gesichtspunkten fixiert sind und in der sterilen Atmosphäre des konkurrenzlosen Monopol-produzenten agieren, also des Konkurrenzdruckes ermangeln, solange ein Verkäufer-markt vorherrscht und der Käufer zum Akzept des Angebotenen gezwungen ist, schließlich: solange die wirtschaftsleitenden Organe nicht Planerfüllung und Innovation im Rahmen der herrschenden Gegebenheiten als zwar schwer zu vereinende, nichtsdestoweniger aber als komplementäre Aufgaben begreifen, solange werden Forschung und Entwicklung einen Fremdkörper bilden, nur wenig mehr als verbale Förderung erzielen und die angestrebte technische und technologische Dynamisierung der Wirtschaft nicht recht vom Fleck kommen. Auch die in diesem Abschnitt beschriebenen Erscheinungen sind nur Symptome eines mangelnden Sensus für die konstitutive Bedeutung von Forschung und Entwicklung in einer modernen Gesellschaft. Er behindert auf vielfältigste Weise die Funktionsfähigkeit der Forschungs-und Entwicklungsstellen.
Die Größenordnungsstruktur der Forschungs-und Entwicklungsstellen
Werkstattprinzip Reihenfertigung Fließfertigung Insgesamt 18, 0 0, 5 0, 4 18, 9 42, 0 9, 8 12, 1 63, 9 6, 3 4, 4 6, 5 17, 2 66, 3 14, 7 19, 0 100 Industrielle Bruttoproduktion der zentralgeleiteten metallverarbeitenden Industrie nach Produktionsprinzipien am 30. 6. 1965 in v. H. Einzel-fertigung Serienfertigung Massen-fertigung Insgesamt
Werkstattprinzip Reihenfertigung Fließfertigung Insgesamt 18, 0 0, 5 0, 4 18, 9 42, 0 9, 8 12, 1 63, 9 6, 3 4, 4 6, 5 17, 2 66, 3 14, 7 19, 0 100 Industrielle Bruttoproduktion der zentralgeleiteten metallverarbeitenden Industrie nach Produktionsprinzipien am 30. 6. 1965 in v. H. Einzel-fertigung Serienfertigung Massen-fertigung Insgesamt
Von der zweckentfremdeten Beschäftigung von Forschungs-und Entwicklungspersonal ist schon die. Rede gewesen. Ein weiterer Grund oder — richtiger gesagt — eine Verlockung, Mitarbeiter der Forschungs-und Entwicklungsstellen gerade zur „Produktionsüberwachung" heranzuziehen, sie gewisserma-ßen die Produktionsfeuerwehr spielen zu lassen, ist darin zu suchen, daß sie zu klein und zu schlecht besetzt sind. Nur in wenigen Ausnahmefällen können sie auf ihrem ureigen-sten Fachgebiet einen Beitrag leisten, der das internationale Niveau nicht unterschreitet und keine Vergleiche zu scheuen braucht. Deshalb kann es nicht wundernehmen, daß sie nicht funktionsfähig sind und es sich bei der in VVBund Betriebsführungen vorherrschenden Mentalität gefallen lassen müssen, zur „produktionswirksamen Unterstützung" mißbraucht zu werden.
Umfangreiche Teiluntersuchungen zeigen, daß die in der industriellen Forschung und Entwicklung beschäftigten Fachkräfte im Bereich der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie (wie mag es erst in der örtlich geleiteten aussehen) auf viel zu viele Forschungsstellen zersplittert waren. Bei Ermittlungen in neun VVB ergab sich, daß für die zentralgeleitete Industrie kleine und kleinste Forschungs-und Entwicklungsstellen geradezu typisch sind. 33, 6 Prozent der untersuchten Institutionen verfügten über einen Mitarbeiterstab bis 15 Gesamtbeschäftigte, weitere 36, 4 Prozent über 16 bis 35 Gesamtbeschäftigte, die restlichen überschritten diese Grenze
Dazu kommt noch, daß diese kleinen Stellen auch qualitativ völlig unzureichend besetzt sind. Bei jenen Stellen, in denen bis zu 35 Gesamtbeschäftigte arbeiten, sind durchschnittlich 9, 6 Fachkräfte, darunter 6, 6 Hoch-und Fachschulexperten, anzutreffen. In 18, 6 Prozent dieser Institutionen hatte kein Mitarbeiter Hochschulausbildung! Dies ergibt sich aus der nächsten Tabelle
Vergleichszahlen aus der Industrieforschung der USA besagen, daß die Forschungs-und Entwicklungsstellen mit mehr als 40 Akademikern 10 Prozent aller F-und E-Stellen ausmachen, wobei ein Prozent sogar mehr als 400 akademisch vorgebildete Fachleute beschäftigt, in der Bundesrepublik liegen die Verhältnisse längst nicht so günstig wie in den USA, jedoch durchweg besser als in Mitteldeutsch-land. Man muß sich darüber im klaren sein, daß heute überhaupt erst von etwa 100 Personen aufwärts Forschungs-und Entwicklungsstellen optimal leistungsfähig werden
Daran sieht man, wie langsam sich alle Verbesserungen durchsetzen und welch großer Abstand noch zu einigermaßen annehmbaren Verhältnissen besteht. Dies und „die zunehmende Komplexität der wissenschaftlich-technischen Aufgaben erfordert verstärkt die sozialistische Gemeinschaftsarbeit und den Einsatz größerer und leistungsfähigerer Kollektive, die in der Lage sind, die Probleme unter Beachtung ihrer Verflechtung kurzfristig zu lö-sen"
Der Umfang der Forschungs-und Entwicklungsaufgaben
Volkseigene Industrie Darunter: Schwermaschinenbau Allgemeiner Maschinenbau Metallwaren Textilien 6, 5 2, 9 3, 8 5, 0 3, 0 7, 1 8, 3 3, 9 9, 5 4, 8 9, 4 18, 5 5, 8 11, 5 7, 5 11, 6 21, 4 9, 9 12, 6 12, 9 12, 2 21, 9 12, 3 14, 9 13, 4 Anteil der Produktion mit Gütezeichen Warenproduktion in v. H. „Q" an der prüf-und klassifizierungspflichtigen 1962 1963 1964 1965 1966
Volkseigene Industrie Darunter: Schwermaschinenbau Allgemeiner Maschinenbau Metallwaren Textilien 6, 5 2, 9 3, 8 5, 0 3, 0 7, 1 8, 3 3, 9 9, 5 4, 8 9, 4 18, 5 5, 8 11, 5 7, 5 11, 6 21, 4 9, 9 12, 6 12, 9 12, 2 21, 9 12, 3 14, 9 13, 4 Anteil der Produktion mit Gütezeichen Warenproduktion in v. H. „Q" an der prüf-und klassifizierungspflichtigen 1962 1963 1964 1965 1966
Mit einer Vergrößerung der Forschungs-und Entwicklungsstellen bei gleichzeitiger Verringerung ihrer Anzahl ist erst wenig Abhilfe geschaffen. Wenn man auf wirklich leistungsfähige Gebilde im Forschungs-und Entwicklungssektor zusteuern will, dann muß man die Zahl der Forschungs-und Entwicklungsthemen drastisch reduzieren. Man muß sich vor Augen halten, daß jährlich etwa 15 000 Forschungs-und Entwicklungsthemen zu bewältigen sind
Bei der Chemie wird der Anteil von Neuentwicklungen 20 Prozent und in der Elektrotechnik 26 Prozent ausmachen
Seif 1962 wurde zwar von der Zentrale darauf hingearbeitet, Produktion, Forschung und Entwicklung auf einige Schwerpunktsektoren zu konzentrieren, aber in Wirklichkeit nahmen die Aufgaben, die an den F-und E-Bereich herangetragen wurden, weiterhin zu. In den ersten drei Quartalen 1964 stieg in der gesamten Industrie die Zahl der Forschungsthemen gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 11 Prozent an. In der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie entfielen infolgedessen etwa 3, in der Elektronik und Elektrotechnik etwa 2 Fachleute auf ein Forschungsthema
Außerdem ist zu berücksichtigen —-wie schon angedeutet wurde —, daß die technisch-wissenschaftliche Entwicklung nicht gleichmäßig, sondern beschleunigt verläuft und durch den ständig größer werdenden Einsatz von Forschungs-und Entwicklungsmitteln in-den modernen Industrieländern zunehmende Anteile des Produktionssortimentes in ständig kürzer werdenden Zeitabschnitten veralten oder — wie man in Ost-Berlin sagt — moralisch verschleißen, obwohl die rein technische Funktions-und Verwendungsfähigkeit noch auf Jahrzehnte hinaus gegeben sein mag. Dies gilt insbesondere für den Maschinenbau, die Chemie, Elektronik und Elektrotechnik. Der Satz „das Bessere ist des Guten Feind“ hat an Aktualität nichts eingebüßt. Er bedarf vor allem dann besonderer Beachtung, wenn bei abnehmenden Arbeitskräftezahlen weitere Steigerungen der Arbeitsproduktivität ganz wesentlich von einem leistungsfähigeren Produktionsinstrumentarium abhängen, ökonomisch rationell gewirtschaftet werden soll und man sich dem „Wettkampf der Systeme" und der internationalen Konkurrenz stellen will.
Damit nicht der Eindruck entsteht, alle Forschungs-und Entwicklungsaufgaben seien sachlich gerechtfertigt, muß wenigstens am Rande vermerkt werden, daß es wohl auch eine Reihe von Doppelarbeiten gibt. Teilweise ist dies unvermeidlich, aber auch auf mangelhafte Koordination und Information zurückzuführen, wie dies etwa in der nachfolgenden Bemerkung zum Ausdruck kommt
Wie weit diese Erscheinung-in der Industrie verbreitet ist, ist unbekannt; es muß jedch mit ihr gerechnet werden.
Man kann sich leicht vorstellen, daß unter den obwaltenden Umständen eine beträchtliche Zahl der Forschungs-und Entwicklungsthemen vorzeitig abgebrochen werden mußte, andere nur mit großer Verzögerung Produktionsreife erlangten, wieder andere wissenschaftlich unzureichende, technisch unelegante oder ökonomisch nicht tragbare Lösungen anboten. Nach Ost-Berliner Angaben wurden 1961 215 Mill. Mark an zentralen Forschungs-und Entwicklungsmittein wegen vorzeitig abgebrochener Forschungsarbeiten, die keine Produktionsreife erlangten, als Verlust abgebucht
Im Grunde genommen dokumentieren auch diese Ziffern nur die Zersplitterung der Forschungs-und Entwicklungsstellen in kleine und kleinste Einheiten, wodurch die Vorteile des teamwork in großen Einheiten verloren-gehen. Das Zeitalter, da man wie Otto, Diesel, Siemens, Koch usw. im Alleingang umwälzende technische Erfindungen oder wissenschaftliche Entdeckungen machen konnte, ist längst zu Ende gegangen. Kein Wissenschaftler oder Ingenieur übersieht heute noch alle jene Fachbereiche, die bei einem Forschungsund Entwicklungsthema aus sachlichen Gründen berücksichtigt werden müßten. Erst teamwork in großen Einheiten kann jenen breit fundierten, aus mehreren Fachsparten gespeisten wissenschaftlich-technischen Forschungsansatz garantieren, der in dem „Wettkampf der Laboratorien" zu bestehen vermag. Gilt dies schon allgemein, so ganz besonders für Mitteldeutschland. Die wissenschaftlich-technische Ausbildung ist über ein Jahrzehnt lang sehr spezialisiert gewesen; die Kenntnisse in den Nachbardisziplinen sind relativ dürftig. Hinzu kamen die Schwierigkeiten, sich durch die internationale Fachliteratur über die neuesten Entwicklungen auf dem laufenden zu halten. Teamwork („sozialistische Gemeinschaftsarbeit") und Konzentration der F-und E-Stellen sind darum ein Gebot der Stunde, wenn Mitteldeutschland mit den modernen Industrienationen wenigstens auf einigen wenigen Gebieten mithalten will.
Vorläufig aber gilt noch, was von Ost-Berliner Seite zu dem Gesamtkomplex Forschung und Entwicklung nüchtern angemerkt worden ist
„Sie (die Forschungs-und Entwicklungskapazitäten [d. Vers. ]) sind niedriger als vielfach in Publikationen angenommen wird. Verglichen mit den in der gesamten Volkswirtschaft bearbeiteten Forschungs-und Entwicklungsthemen, vor allem aber mit der breiten Palette der Erzeugnisse, Erzeugnisgruppen und Verfahren, die durch die Forschung gegenwärtig bearbeitet werden, ist unsere tatsächliche Entwicklungskapazität zu gering, um auf allen diesen Gebieten höchste Leistungen in der heute objektiv erforderlichen Zeit zu erreichen."
Die Gefahr, daß — so wie die Dinge zur Zeit in Mitteldeutschland liegen — große Verluste entstehen und der technologische Abstand zu den modernen Industrienationen erhalten bleibt, ist sehr groß. Die Verluste dürften auch deshalb steigen, weil die Forschungs-und Entwicklungskosten nicht linear, sondern progressiv zunehmen und steigende Summen investiert werden müssen, um bestimmte Effekte zu erzielen.
Sorgenkind metallverarbeitende Industrie
Als besonders unerfreulich werden die Zustände in der metallverarbeitenden Industrie und hier speziell im Industriezweig Werkzeugmaschinen empfunden, da er als Hersteller von Produktionsmitteln aus verständlichen Gründen eine Schlüsselstellung einnimmt. Wie schon gesagt, stellt die metall-verarbeitende Industrie mit etwa 40 000 Personen 4 Prozent ihrer Beschäftigten für Forschungs-und Entwicklungsaufgaben ab
Um die Darstellung der Verhältnisse auf dem Gebiete der Fertigungstechnik-und Organisation nicht über Gebühr auszuweiten, sei nur noch auf die Tatsache verwiesen, daß lediglich 1, 2 Prozent der für sie zur Verfügung stehenden Forschungs-und Entwicklungskapazitäten auf die sonst in allen Veröffentlichungen groß geschriebene Spezialisierung und Konzentration der Fertigung, 0, 5 Prozent auf fertigungstechnische Analysen und 1, 2 Prozent auf ökonomische Variantenvergleiche entfallen und pro Forschungsthema — gerechnet in Vollbeschäftigteneinheiten — lediglich 0, 85 Personen zur Verfügung stehen
Daß Walter Ulbricht dieses nun schon seit einiger Zeit bekannte Datenmaterial erneut aufgriff, um auf eine baldige Änderung zu drängen
Aber selbst wenn es hier zu einer baldigen Verbesserung der Proportionen im Forschungs-und Entwicklungsbereich kommen sollte, ist eine Änderung kurzfristig nicht zu erwarten, weil es allerorten an Personal mangelt, das willens und fähig wäre, die Erkenntnisse der wissenschaftlichen und industriellen Forschung schnell und sachgerecht in die Produktion zu überführen. Einer repräsentativen Untersuchung in 29 Betrieben der metall-verarbeitenden Industrie Mitteldeutschlands zufolge entfallen auf 1000 Produktionsarbeiter nur 56 Technologen, während es in der UdSSR rund 100 sind
Aber selbst eine rein quantitative Vermehrung der Zahl der Technologen wird nicht viel helfen, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, auch die bildungsmäßige Qualifikation dieser Gruppe ganz entscheidend zu heben. Von den vorhandenen Technologen in der metallverarbeitenden Industrie besaßen nämlich nur 4, 9 Prozent einen Hochschul-und 39, 4 Prozent einen Fachschulabschluß
Wie das fachliche Niveau auch der vorgebildeten Technologen einzuschätzen ist, geht indirekt aus einem Diskussionsbeitrag auf der IV. Hochschulkonferenz vom Februar 1967 hervor, in dem es heißt, daß von den Absolventen, die nach dem VI. Parteitag der SED die Technische Hochschule für Chemie Leuna-Merseburg verließen, 42, 1 Prozent die Note „befriedigend" erreichten. Bei den im Studienjahr 1965/66 durchgeführten Prüfungen haben 66, 2 Prozent der Absolventen mit der Note „befriedigend" und schlechter abgeschlossen. Es wird ausdrücklich angeführt, daß derartige „mittelmäßige Leistungen" auch für andere Hochschulen statistisch belegt werden können
Hinzu kommt, daß die Technologen ihre Arbeiten noch immer wie vor 30 oder 40 Jahren, d. h. vorwiegend manuell verrichten
So sehr man Ulbricht in der Gesamteinschätzung folgen muß, so wenig befriedigend ist seine Ursachenerklärung, vermeidet er es doch, danach zu fragen, warum sich die Unternehmensleitungen und Betriebsdirektoren sö und nicht anders verhalten. Holt man dies nach, so entdeckt man eine Reihe von Faktoren, die die Unterschätzung der Bedeutung der Fertigungsprozesse und -Organisation zu erklären vermögen.
Zu nennen wären u. a. die Auswahl der Wirtschaftsführer in der Vergangenheit nach primär politischen Prinzipien, ihre mangelhafte technische, ökonomische und soziologische Vorbildung, ihre starke Arbeitsüberlastung und Überfrachtung mit Detailproblemen, ihre groteske Abschnürung von der internationalen Fachliteratur, die jahrzehntelange Erziehung zur Berücksichtigung quantitativer Bruttokennziffern, zum Planfetischismus und zur Vernachlässigung qualitativer Gesichtspunkte und — was auf der 2. Tagung des ZK der SED erneut gerügt werden mußte — der Hang, „auf Weisungen von oben (zu) warten und sich nach wie vor nicht von den alten Leitungsmethoden (zu) lösen"
Symptome des technologischen Defizits
Das technologische Defizit der mitteldeutschen Volkswirtschaft findet in einer Reihe von Kennziffern seinen Ausdruck. Davon sollen drei hier in der gebotenen Kürze dargestellt und betrachtet werden, vorab der relativ schlechte Mechanisierungs-und Automatisierungsgrad der Industrie. Dabei wird unter dem Mechanisierungsgrad die Zahl der Produktionsarbeiter (nicht der Arbeitsplätze) verstanden, die an Maschinen oder Anlagen arbeiten (Maschinenarbeiter) — bezogen auf die Gesamtzahl der erfaßten Produktionsarbeiter. Der Automatisierungsgrad gibt die Zahl der Produktionsarbeiter und des ingenieurtechnischen Personals mit Kontroll-und Uberwachungsfunktionen an Maschinen und Anlagen an — bezogen auf die Zahl der Produktionsarbeiter insgesamt und des Teiles des ingenieurtechnischen Personals, das Kontrollund Überwachungsfunktionen wahrnimmt. Die Tabelle auf Seite 22 vermittelt einen Über-blick über die bisherige Entwicklung und den derzeitigen Stand der Mechanisierung und Automatisierung
Die Tabelle weist einen relativ hohen Rückstand des technologischen Niveaus aus, wenn auch geringgradige Verbesserungen nicht zu übersehen sind — mit Ausnahme des Schwer-maschinenbaues, der im Vorjahr rückläufig war. Hervorstechend ist das niedrige Mechanisierungs-und Automatisierungsniveau der metallverarbeitenden Industrie, das in erster Linie für das technologische Defizit in den anderen Industriebereichen bzw. -zweigen verantwortlich zeichnet.
Ein weiteres Kriterium des technologischen Defizits ist das niedrige Niveau der Produktionsorganisation in der metallverarbeitenden Industrie. Ein recht beträchtlicher Teil sowohl der Serien-wie der Massenproduktion wird noch immer nach traditionellen Organisationsprinzipien gefertigt, wandert von Werkstatt zu Werkstatt, wo gleichartige Maschinen räumlich zusammengefaßt sind (z. B. Zuschneiderei, Dreherei, Bohrerei, Fräserei, Schleiferei usw.), und beansprucht dabei einen hohen Zwischen-lager-und Transportaufwand mit entsprechenden Zeitverlusten. Diesem genannten Werkstattprinzip stehen die modernen Organisationsprinzipien gegenüber, die die Maschinen nach technischen und technologischen Notwendigkeiten anordnen wie die Produktion in Reihen und die Fließfertigung, insbesondere die automatisierte Fließfertigung. Wie der nächsten Tabelle entnommen werden kann, haben sich diese beiden letzten Prinzipien in Mittel-deutschland zu wenig durchgesetzt
Obwohl 81, 1 Prozent der Produktion Serien-und Massenproduktion waren, wurden nur 33, 7 Prozent in Reihen und nach dem Fließprinzip hergestellt. Noch immer vollziehen sich 65, 7 Prozent der Serienfertigung und 36, 6 Prozent der Massenproduktion nach dem Werkstattprinzip. Nur 18, 6 Prozent der Gesamtproduktion waren Serien-und Massenproduktion nach dem Fließprinzip, wobei das automatische Fließprinzip mit lediglich 0, 5 Prozent zu Buche schlägt
Nach der bisherigen Darstellung kann es kaum noch überraschen, daß auch die Qualität der industriellen Produktion — drittes Symptom des Rückstandes — im Durchschnitt höchsten Anforderungen nicht gerecht wird und selbst dort, wo Spitzenerzeugnisse gefertigt werden, dies in Anbetracht der geschilderten Produktionsorganisation und veralteter Verfahrenstechniken nur unter hohen Kosten möglich ist. Die folgende Aufstellung vermittelt einen Überblick über den Anteil der Produktion, die wegen ihrer hervorragenden Qualität nach Ost-Berliner Urteil als internationale Spitzenklasse zu betrachten ist und das höchste Gütezeichen „Q" zuerkannt erhielt
Dieses Niveau überzeugt nicht; denn wenn man die Aufstellung richtig deutet, so besagt sie doch, daß knappe 90 Prozent der Produktion — wohlgemerkt der prüf-und klassifizierungspflichtigen Produktion — bestenfalls guter Durchschnitt ist. Dies gilt auch für 80 bis knapp 90 Prozent der Produktionsinstrumente — und selbst das erst seit etwa zwei, drei Jahren. Auf diese Weise ist die technologische Lücke nur sehr schwer zu schließen. Die Entwicklung in den modernen Industrieländern bleibt ja nicht stehen, sondern setzt sich sogar beschleunigt fort.
Hinzu kommt noch, daß ein hoher Anteil der Spitzenproduktion an Maschinen, Geräten und Ausrüstungen binnenwirtschaftlich gar nicht verfügbar ist, sondern in den Export geht. Um nicht mißverstanden zu werden: Nicht der Export als solcher ist zu kritisieren, sondern ein Export von modernsten Produktionsmitteln in einer Höhe, die die Modernisierung der eigenen Industrie in dem notwendigen Tempo erschweren muß. Ein Vergleich von Produktion und Ausfuhr ausgewählter Industrieprodukte an Hand der einzelnen Statistischen Jahrbücher läßt nämlich erkennen, daß gerade Rationalisierungsmittel im Schnitt zu etwa 50 Prozent, in Einzelfällen bis zu 80 Prozent exportiert werden. Das ist bei weitem mehr, als die mitteldeutsche Industrie verkraften kann, zumal es sich hier mehrheitlich auch noch um Spitzenerzeugnisse handelt und der Import von Produktionsinstrumenten ihren Abfluß in keiner Weise kompensieren kann. Im Zeitraum 1960— 1962 belief sich der Import von Maschinen, Geräten und Ausrüstungen auf rund 13 Prozent, nahm 1964 um 2, 0 Prozent zu und soll gegenwärtig bei 18 Prozent lie119) gen
Schlußbemerkung
Die SED geht nun mehrere Wege, um die auf die Dauer unhaltbare Lage im Forschungs-und Entwicklungsbereich zu ändern. Eine ganze Reihe von Maßnahmen zielt zunächst einmal auf den Forschungs-und Entwicklungsbereich selbst ab und soll dazu beitragen, das vorhandene Arbeitsvermögen besser zu nutzen und auf lange Sicht hin zu steigern. Hier geht es im wesentlichen um eine Steigerung des materiellen Forschungsund Entwicklungsaufwandes, eine zahlenmäßige Vermehrung des Forschungs-und Entwicklungspersonals, um in den volkswirtschaftlich wichtigen Industrie-bereichen und -zweigen den Anteil dieser Gruppe auf 20 bis 25 Prozent der Gesamt-beschäftigten zu erhöhen
Alle diese Maßnahmen sind bereits seit einiger Zeit anvisiert und wurden durch spezielle Untersuchungen vorbereitet. Es wird nicht bezweifelt, daß diese Maßnahmen angemessen sind, obwohl es noch einige Zeit dauern wird, bis sie sich in der wirtschaftlichen Wirklichkeit, durchsetzen und wirksam werden. Forschungsund Entwicklungspersonal läßt sich ebenso-wenig über Nacht aus dem Boden stampfen wie man sein Qualifikationsniveau und seine Qualifikationsstruktur von heute auf morgen verbessern kann. Ebenso schwierig dürfte es sein, optimal zusammengesetzte F-und E-Stellen zu schaffen; denn hier sind gewachsene Verflechtungen mit einzelnen Betrieben und Unternehmen, Ressort-und Betriebsegoismus, Prestigefragen und vieles andere mehr mit im Spiel. Dabei spielt das Problem, wohin denn eigentlich die Reise gehen soll, eine wesentliche Rolle, worauf weiter unten noch einmal eingegangen wird. Daß zwischen der Deklaration einiger Maßnahmen, die zum Teil schon vier, fünf Jahre und länger zurückliegen, und dem bisher Erreichten noch immer eine erhebliche Diskrepanz besteht, sich vieles nur im Schneckentempo vorwärtsentwickelt, sollte einen vor dem Fehlschluß bewahren, die SED würde auf diesem entscheidenden Sektor die Schwierigkeiten und Hindernisse im ersten Ansturm nehmen.
Die oben genannten Maßnahmen zielen insgesamt auf eine Umorganisation des Forschungs-und Entwicklungsbereiches selbst ab. Damit kann es natürlich nicht sein Bewenden haben — und hat es auch nicht. Der Forschungsund Entwicklungsbereich schwebt ja nicht in der Luft, sondern ist in den Wirtschaftsbereich Industrie eingebettet. Die Koordination mit den wirtschaftspolitischen Zielen dieses Bereiches ist zwingend. Dabei zeigt sich, daß eine Reihe der internen Umorganisationen überhaupt erst möglich sind, wenn die externen Bedingungen des Forschungsund Entwicklungsbereiches verändert werden. Ein haushälterischer Einsatz des relativ knappen Forschungs-und Entwicklungspersonals in funktionsfähigen F-und E-Stellen hängt z. B. von der Spezialisierung der mitteldeutschen Industrie auf einige Industriezweige ab. Erfolgt diese Spezialisierung, dann beginnt also die Bereinigung des Produktionssortimentes, der Verzicht auf Warenhausproduktion und die Konzentration auf Produkte, die in qualitativer und kostenmäßiger Hinsicht internationale Vergleiche aushalten, dann ist auch die Reduktion der Forschungs-und Entwicklungsthemen auf zukunftsträchtige Gebiete möglich und die Voraussetzung für die Konzentration des knappen Forschungs-und Entwicklungspersonals in leistungsfähigen Forschungseinheiten geschaffen.
Dazu zwingen auch die schnell steigenden Forschungs-und Entwicklungskosten. Es übersteigt einfach die Finanzkraft eines kleinen Landes, wenn es forschungs-und entwicklungsmäßig auf allen Gebieten mithalten will. Deshalb ist man in Ost-Berlin auch so ungehalten, daß die internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung im Rahmen des COMECON nur schleppend vorangeht und demzufolge dem eigenen Forschungs-und Entwicklungsbereich nach wie vor Aufgaben aufbürdet werden, die man den COMECON-Partnern gern überlassen würde. Faktisch ist die internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung der Produktion immer noch mehr die Ausnahme als die Regel, was sich indirekt auf den Forschungs-und Entwicklungsbereich im anderen Teil Deutschlands nachteilig auswirken muß
Weiterhin ist in diesem Zusammenhang der Import von Lizenzen und Patenten zu erwähnen, der den eigenen Forschungs-und Entwicklungsbereich von bestimmten Anforderungen entlastet. Allerdings ist dieser Import nicht ganz ohne Risiken; denn bis die Lizenzen in die Produktion übergeführt sind und diese wiederum einen kontinuierlichen Produktionsausstoß erreicht hat, sind die betreffenden Produkte in ihren Ursprungsländern technisch meist schon wieder überholt oder-die Verfahren haben bereits erheblich an Wert eingebüßt. Trotzdem wird man diesen Weg in den relativ unwichtigeren Industriezweigen weiterhin beschreiten müssen, um die dort vorhandenen Forschungskapazitäten abziehen und den Schwerpunktindustrien zur Verfügung stellen zu können. Wenn überhaupt, so ist ein „wissenschaftlich-technischer Vorlauf" — wie man in Ost-Berlin Forschung und Entwicklung auf höchstem Niveau bei schneller Projektierung und Überleitung in die Produktion nennt —• nur zu erkaufen, wenn man auf anderen Gebieten unter den derzeit gegebenen Umständen weiterhin Rückstände akzeptiert. Das japanische Beispiel, so wird in Ost-Berlin argumentiert, habe gezeigt, daß dieser Weg durchaus gangbar und erfolgversprechend sei. Der Unterschied besteht aber darin, daß der japanische Binnenmarkt für den Import modernster Lizenzen und Produktionsmittel offen war, was von dem mitteldeutschen Markt angesichts seiner starken Orientierung nach dem eher rückständigen osteuropäischen Raum nur sehr bedingt gesagt werden kann. Erst eine entsprechend starke Öffnung des mitteldeutschen Marktes für den Import von Lizenzen für modernste Produkte und Verfahren aus den weit fortgeschrittenen Industrieländern würde mit Japan vergleichbare Voraussetzungen schaffen.
Weitere Entlastungen für den eigenen industriellen Forschungs-und Entwicklungsbereich hat sich Ost-Berlin durch einen umfangreichen Informations-und Dokumentationsdienst zu schallen versucht. So soll das Institut für Dokumentation der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin 160 verschiedene Dokumentations-und Informationsstellen unterhalten, die 4600 ausländische Fachzeitschriften aus 43 Ländern auswerten. Ihnen gesellen sich weitere 50 Informations-und Dokumentationsstellen bei den VVB und den Großbetrieben hinzu
Eine der zweifelsohne wichtigsten Entscheidungen, die in der letzten Zeit getroffen wurden, war die Neuorganisation des „Beirates für wissenschaftliche Forschung beim Ministerrat", kurz auch Deutscher Forschungsrat genannt
Grundlage dieser Arbeit sind die Prognosen des Forschungsrates hinsichtlich der wahrscheinlichen internationalen Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik; ihre Adressaten sind der Ministerrat und die Staatliche Plankommission, in deren Entscheidungen die Entwürfe und Vorschläge des Forschungsrates Eingang finden sollen. Außerdem obliegt dem Forschungsrat die Kontrolle über die Durchführung des Planes der naturwissenschaftlichen Forschung und des Planes „Neue Technik", der als Kernstück des Volkswirtschaftsplanes die notwendige Forschung und Entwicklung, Standardisierung, Projektierung, Einführung neuer Erzeugnisse in die Produktion, die Maßnahmen zur Mechanisierung, Automatisierung und Rationalisierung und die dafür notwendigen Investitionen sachlich und zeitlich für die einzelnen Verantwortungsebenen aufschlüsselt und verbindlich festlegt. Weiterhin so dieses Gremium Vorschläge bezüglich der internationalen wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und des Lizenz-imports und -exports, für die Ausbildung von Fach-und Hochschulexperten unterbreiten und Gutachten zu den technisch-ökonomischen Aspekten von Investitionen erstellen. Man erwartet schließlich von ihm Vorschläge zur Verbesserung der Planung und Leitung von Forschung und Technik, zur Anwendung von wirtschaftlichen Kriterien auf diesen Bereich, zur weiteren Entwicklung und Konzentration der Forschungs-und Entwicklungskapazitäten und zu einer umfassenden Nutzung und schnellen Überführung wissenschaftlich-technischer Ergebnisse in die Produktion
Damit hat sich der Ost-Berliner Ministerrat einen zentralen naturwissenschaftlich-technischen Planungs-und Koordinationsstab geschaffen, der die verschiedenartigsten naturwissenschaftlichen, technischen, ökonomischen, organisatorisch, fach-und hochschulpolitischen usw. Faktoren zu einer Einheit integrieren und die Voraussetzungen für eine Wissenschafts-und Forschungspolitik des Ministerrates aus einem Guß schaffen soll, der die politische Zentrale — kurz gesagt — dahin gehend beraten soll, was, wo, wann, wie und von wem im Bereich Naturwissenschaft und Technik bis hinab zur Produktsionsebene getan werden soll.
Die bisherige produktionsmäßige Gliederung der bisher 12, nunmehr 14 Arbeitsgruppen des Forschungsrates nach Industriezweigen stand der Verwirklichung des mammutartigen Aufgabenkataloges hinderlich im Wege. An ihre Stelle trat eine Gliederung nach forschungsimmanenten Gesichtspunkten. Demgemäß wurden die Arbeitsgruppen — ausgehend von der Erkundungsforschung („reine Grundlagenforschung") über die gezielte Grundlagenforschung, die angewandte Forschung bis zur Überleitung in die Produktion — neu durch-organisiert. Die neue Organisationsstruktur berücksichtigt jeweils auch die angrenzenden Wissenschaftsgebiete und Wirtschaftsbereiche, um eine komplexe Behandlung der Gesamt-problematik auf allen Ebenen zu gewährleisten, die bislang nicht garantiert war. Es erscheint uns folgerichtig, daß die Sektionen der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften und der Deutschen Bauakademie, die bisher als führende Gremien des Forschungsrates fungierten, angesichts der umfassenden Aufgabenstellung von der Grundlagenforschung bis zur technischen Verwertung im Zuge der Neuorganisation des Forschungsrates herausgelöst wurden, was wohl nicht ausschließt, daß Angehörige der Akademie gleichzeitig auch Mitglieder des Forschungsrates sein können.
Ob der Forschungsrat in seinem neuen Gewände effizienter als in den vorhergehenden Jahren sein wird und dem Ministerrat und der Staatlichen Plankommission den „grand design" einer integrierten Wissenschafts-, Forschungs-und Entwicklungspolitik wird liefern können, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Es bleibt außerdem abzuwarten, wieweit Ministerrat, Staatliche Plankommission und Politbüro einem solchen „grand design" werden folgen wollen. Ganz ohne Auswirkungen wird er sicherlich nicht sein. Mit einer weiteren Verwissenschaftlichung zentraler wirtschaftspolitischer Entscheidungen ist zu rechnen. Was allerdings aus ihnen wird, wenn sie — etwa geronnen in dem Plan „Neue Technik" — in den industriellen Forschungs-und Entwicklungsstellen. wissenschaftlich-technischen Zentren und Industrieinstituten Gestalt gewinnen sollen und in die rauhe Atmosphäre der wirtschaftlichen Wirklichkeit des mitteldeutschen Wirtschaftssystems eintauchen, das entzieht sich weitgehend dem unmittelbaren Einfluß des Forschungsrates. Als Stabsorgan des Ministerrates verfügt er nur über beratende, teilweise kontrollierende Funktionen und besitzt keine direkte Möglichkeit, in den Forschungs-und Entwicklungsbereich einzugreifen und Anordnungen zu erteilen. Ihm ist es lediglich aufgegeben, die politische Zentrale mit jenen Informationen und Gutachten zu versorgen, die es ihr möglich machen, die eingangs schon zitierte Umstrukturierung des gesamten Forschungs-und Entwicklungssystems nach sachlichen und organisatorischen Gesichtspunkten mit dem Mittel der Globalsteuerung in Gang zu bringen. Das letzte, weil wirtschaftlich entscheidende Wort sprechen jedoch die Verhältnisse in der eigentlichen industriellen Forschungsorganisation, das Maß (bzw.der Mangel) an des Forschungs-und -Integration Entwicklungs bereiches in die wirtschaftlichen Abläufe und das Wechselspiel zwischen Forschung und Entwicklung auf der einen Seite und den ökonomischen, sozialen und psychosozialen Faktoren auf der anderen Seite. Auf dieser Ebene bestehen eben noch andere Gegebenheiten, Einflüsse, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten (Fachministerien, VVB). Und hier werden sofort wieder alle jene prinzipiellen und akzidentiellen Faktoren und Kräfte akut, die bislang schon eine schnelle und durchgreifende technische und technologische Modernisierung der mitteldeutschen Volkswirtschaft erschwerten.
Einen dieser Faktoren wollen wir zum Schluß noch herausgreifen, weil er von zentraler Bedeutung ist und bislang selbst dann Innovation verhinderte, wenn weiterreichende Einsicht und subjektiver Wille von Werkdirektoren und Generaldirektoren der VVB bereit waren, Forschung und Entwicklung das zu geben, was ihnen gebührte. Gemeint ist die Konstanz der Industriepreise, die auch nach der Industriepreisreform beibehalten wurde. Bislang erzielten die Betriebe bei neuen Erzeugnissen wegen der Forschungs-und Entwicklungskosten, der Errichtung von Pilot-Anlagen, Versuchsserien, Produktionsumstellungen mit ihren zwangsläufigen Verlusten usw. bei Neueinführungen weniger Gewinn als bei solchen Produkten, die bereits über mehrere Jahre mit sinkenden Kosten hergestellt wurden. Schon aus diesem Grunde bildete sich bei ihnen kaum ein Interesse heraus, neue Produkte zu entwickeln und in die Produktion zu überführen. Solange der Hersteller zum neu entwickelte Produkte gleichen Preis wie die schon lange eingeführten verkaufen muß und ausschließlich der Abnehmer von den höheren Gebrauchswerteigenschaften und der besseren Leistungsfähigkeit der Neuproduktion profitiert bzw. profitieren würde, kann nicht erwartet werden, daß insbesondere die Produktionsmittelhersteller sich sonderlich anstrengen, Forschung und Entwicklung zu forcieren. Bei der neuerlich starken Gewinn-orientierung werden sie im Gegenteil alles daran setzen, einen möglichst hohen Gewinn einzuheimsen — und sei dies auch auf Kosten der Innovation. Um sie zu betreiben und eine moderne Produktion anzubieten, fehlte einfach der ökonomische Anreiz, der eine Monopolstellung der Hersteller verhinderte.
Nunmehr ist ein erster Schritt getan, diese im höchsten Grade unliebsamen Erscheinungen zu steuern. Erstmals wird von der Konstanz der Industriepreise abgewichen, ein höherer Preis bei Neuproduktionen zugelassen und der Preis für veraltete Erzeugnisse stufenweise redu29 ziert
Forschung und Entwicklung zu betreiben. So töricht es wäre, von den in diesen Schlußbemerkungen genannten Maßnahmen wahre Wunder zu erwarten, so falsch wäre es, sie zu unterschätzen und die der mitteldeutschen Wirtschaft neu erschlossenen Chancen zu einer sukzessiven Modernisierung in Abrede zu stellen.