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Der sowjetische Nationsbegriff Zur gegenwärtigen Diskussion | APuZ 12/1968 | bpb.de

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APuZ 12/1968 Der sowjetische Nationsbegriff Zur gegenwärtigen Diskussion Der „neue Mensch” in Osteuropa

Der sowjetische Nationsbegriff Zur gegenwärtigen Diskussion

Erwin Oberländer

Seit der Verabschiedung des neuen Parteiprogramms der KPdSU auf dem XXII. Parteitag (1961) ist es in der Sowjetunion zu einer lebhaften Diskussion um die verschiedenen Aspekte der nationalen Frage gekommen. Ganz im Sinne der im Parteiprogramm verkündeten „neuen Etappe" in der Entwicklung der nationalen Beziehungen in der UdSSR stand zunächst die Zukunft der sozialistischen Nationen im Mittelpunkt des Interesses Aus dieser Diskussion um die Zukunft aber hat sich im Laufe der Jahre 1961 bis 1965 eine Diskussion um den Nationsbegriff an sich entwickelt, in der die Frage nach den vornationalen „ethnischen Gemeinschaften", den Merkmalen der Nation sowie deren verschiedenen Typen ständig an Bedeutung gewonnen hat.

Die Tendenz zu einer umfassenden Behandlung des Nationsbegriffs im Sinne einer „neuen, zeitgemäßen Begriffsbildung" war von Anfang an mit der Kritik an Stalins Definition aus dem Jahre 1913 verbunden, die bis zu diesem Zeitpunkt unbestritten galt. Schon bald nach dem Erscheinen des neuen Parteiprogramms, im Dezember 1961, forderte das Akademiemitglied E. M. Zukov die Historiker in „Voprosy istorii" auf, die Stalinschen Äußerungen zu diesem Thema gründlich zu überprüfen: „Die seinerzeit'von Stalin formulierten vier Merkmale der Nation können unserer Meinung nach nicht ohne wesentliche Vorbehalte auf die heutigen sozialistischen Nationen ----------------• in der Sowjetunion angewandt werden." Allerdings hat die weitere Diskussion gezeigt, daß sich keineswegs alle Teilnehmer darüber einig sind, inwieweit Stalins Definition aus dem Jahre 1913 revisionsbedürftig ist.

Ob die Partei selbst ein echtes Interesse an der öffentlichen Behandlung eines so zentralen und im innenpolitischen Bereich so heiklen Themas hat, oder ob man darin vor allem ein Entgegenkommen gegenüber einer an der nationalen Frage zunehmend interessierten Öffentlichkeit zu sehen hat, ist schwer zu ermessen Die förmliche Eröffnung einer Diskussion über den Nationsbegriff in der Zeitschrift „Voprosy istorii" ist jedenfalls sicher nicht ohne Zustimmung der Partei zustande gekommen. Abgesehen davon, daß es ihr offenbar geraten erschien, diese Debatte in einer einzigen Zeitschrift zu konzentrieren, mag ihrem Interesse an einer neuen Begriffsbildung besonders die steigende Bedeutung der nationalen Frage im Ausland, vor allem in den Entwicklungsländern, zugrunde liegen. Daß aber angesichts eines so zentralen Problems außer-sowjetische und innersowjetische Verhältnisse nicht zu trennen sind, zeigen nicht nur die Beiträge der Diskussionsteilnehmer, sondern auch die in Heft 1 (1966) abgedruckte Zielsetzung der Redaktion: „Die grandiosen Veränderungen im Bereich der nationalen Beziehungen, die Evolution einzelner Nationen sowohl in der Sowjetunion als auch im Ausland fordern gebieterisch eine Weiterentwicklung der Theorie der Nation. . . Deshalb hat die Redaktion sich entschlossen, in ihrer Zeitschrift folgende Probleme zur Diskussion zu stellen: Entwicklungswege der ethnischen Gemeinschaften; Definition der Begriffe , Nation'und Völkerschaft (narodnost"); Typen der Nationen; die Dialektik in der Entwicklung der nationalen Beziehungen beim Aufbau des Sozialismus und beim Übergang zum Kommunismus; die nationale Frage bei den afrikanischen Völkern; der Nationalismus der unterdrückten und der unterdrückenden Nationen. Selbstverständlich können auch andere Fragen zur Diskussion gestellt werden, die von wissenschaftlichem Interesse sind."

Bemerkenswert und für die Situation in der Sowjetunion bezeichnend ist schließlich auch, daß von der Diskussion keine einheitliche Meinungsbildung erwartet wird. Im Bericht über eine die Diskussion vorbereitende Redaktionssitzung vom Mai 1965, auf der der als Diskussionsgrundlage vorgesehene gemeinsame Aufsatz von P. M. Rogacev und M. A. Sverdlin erörtert wurde, heißt es dazu: „Der verantwortliche Sekretär der Zeitschrift, E. I. Trjapicyn, unterstützte die Auffassung verschiedener Genossen, daß es nicht unbedingt Ziel der Diskussion sei, eine endgültige Bilanz zu ziehen. Wenn sich zwei oder drei Meinungen herauskristallisieren würden, könnte man sie in einem abschließenden Aufsatz darlegen. Das wäre schon ein gewisser Fortschritt." Ob es zu diesem „gewissen Fortschritt" kommt oder ob sich die Partei bereits früher zum Eingreifen genötigt sieht, wird die Zukunft erweisen. Im bisherigen Verlauf der Diskussion (es erschienen bisher 13 Aufsätze und eine Reihe von Leserzuschriften) sind jedenfalls sehr verschiedene Meinungen geäußert worden, vor allem zur Frage des Verhältnisses von Staat und Nation. Zunächst wollen wir uns aber der Diskussionsgrundlage, dem Aufsatz Rogacevs und Sverdlins zuwenden, der den ersten und bisher einzigen umfassenden Versuch zur „Präzisierung und Ergänzung" der Stalinschen Definition bildet.

I. Versuch einer zeitgemäßen Definition

von Der „neue Vilmos Zsolnay: Mensch" in Osteuropa ... S. 20

Fast ein halbes Jahrhundert galt diejenige Definition des Nationsbegriffs im Kreise der Bolschewik! und dann in der Sowjetunion unbestritten, die Stalin in seiner Schrift „Nationale Frage und Sozialdemokratie" formuliert hat.

In dieser auf Anregung Lenins 1912/13 entstandenen Arbeit, die Lenin — sehr zum Mißvergnügen der heutigen Kritiker Stalins — mehrfach lobend erwähnt hat, definiert Stalin folgendermaßen: „Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, die durch Gemeinsamkeit der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinsamkeit der Kultur offenbarenden psychischen Eigenart geeint werden. ... Es muß hervorgehoben werden, daß keines der angeführten Merkmale allein zur Begriffsbestimmung der Nation ausreicht. Mehr noch. Fehlt nur eines dieser Merkmale, so hört die Nation auf, Nation zu sein." Gerade diese letzte Feststellung Stalins gab dem schon erwähnten Zukov 1961 Anlaß, Stalins Formel für unbrauchbar zu erklären, da etwa hinsichtlich der sozialistischen Nationen in der Sowjetunion die Gemeinsamkeit des Territoriums und des Wirtschaftslebens ihre Bedeutung weitgehend verloren und die psychische Eigenart tiefgreifende Wandlungen durchgemacht habe. Als einzig dauerhaftes der vier von Stalin genannten obligatorischen Merkmale habe sich die Sprache erwiesen. Da die sozialistischen Nationen aber trotz des Verschwindens der anderen Merkmale weiterbestehen, bedürfe es einer neuen, auch auf diese Verhältnisse anwendbaren Definition.

Den Versuch, eine solch zeitgemäße Definition zu geben, haben die durch frühere Arbeiten auf diesem Gebiet ausgewiesenen Kandidaten der Philosophie P. M. Rogacev und M. A. Sverdlin (beide an der Hochschule für Kom-* munalwirtschaft in Volgograd) in ihrem Aufsatz „über den Begriff . Nation'" unternommen, der in „Voprosy istorii", Heft 1, 1966, abgedruckt wurde Rogacev und Sverdlin erkennen zwar an, daß Stalins Definition in der Vergangenheit eine positive Rolle gespielt habe; da sie aber auf veraltetem Material beruhe, trage sie dem „Neuen in der Entwicklung der sozialistischen Nationen und den mit dem Zerfall des imperialistischen Kolonial-systems verbundenen Prozessen" nicht Rechnung. Eine Modernisierung der Theorie scheint ihnen überdies auch angesichts der vielfältigen Bemühungen der „bürgerlichen Ideologen" um den Nationsbegriff besonders wünschenswert, da die Entstellung des Wesens der nationalen Beziehungen durch die bürgerlichen Ideologen schon bei der Interpretation des Begriffes Nation beginne: „Alle ihre Theorien'sind idealistisch, weil die objektiven Faktoren, insbesondere die wirtschaftliche und territoriale Gemeinsamkeit, als Merkmale der Nation negiert oder zumindest unterschätzt werden und die Nation als das Produkt des individuellen oder kollektiven Bewußtseins angesehen wird."

Demgegenüber wollen Rogacev und Sverdlin einen Nationsbegriff zur Diskussion stellen, der sich auf die „grundlegenden Thesen W. I. Lenins" und die Erfahrungen sowjetischer Wissenschaftler stützt. Ihrer Meinung nach ist vor allem eine Definition des Begriffs Nation in seiner ganzen Spannweite erforderlich, von dem aus dann im Prozeß der Konkretisierung fortgefahren werden kann. Es kommt ihnen also auf diejenigen Merkmale an, „die erstens alle oder fast alle Menschen einer Nation einen und die zweitens in ihrer Gesamtheit die Grundlage für die Unterscheidung der Nationen voneinander wie auch der Nationen von den vornationalen ethnischen Formen der Gemeinschaft bilden". 1. Die Merkmale der Nation An erster Stelle nennen sie die Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Lebens, die sie zugleich zum wichtigsten Unterscheidungsmerkmal der Nation von der ihr geschichtlich vorangehenden Völkerschaft erklären: „Die Nation unterscheidet sich nicht nur dadurch von der Völkerschaft, daß bestimmte Merkmale deutlicher ausgeprägt sind, sondern vor allem durch einen qualitativ anderen Charakter der wirtschaftlichen Gemeinschaft. . . . Damit sich eine Völkerschaft in eine Nation verwandeln kann, müssen sich unbedingt industrielle und auf ihrer Basis kulturelle Zentren bilden, vor allem aber muß eine nationale Arbeiterklasse und Intelligenz entstehen, die die Hauptkräfte für den Zusammenschluß der Nation und für die Entwicklung der Nationalkultur sind."

So seien etwa die Völker in der Sowjetunion, die es vor der Revolution noch nicht zu einer Nation gebracht hatten, in erster Linie vom Gesichtspunkt des ökonomischen Merkmals her in Nationen verwandelt worden. Als Beispiel verweisen die Autoren auf die Kirgisen, die vor der Revolution nicht über eine eigene Großindustrie und nationale Arbeiterklasse verfügt hätten und infolge ihrer wirtschaftlichen Zersplitterung eine Völkerschaft geblieben seien. Erst als der Sozialismus ihnen eine Großindustrie und infolgedessen eine nationale Arbeiterklasse beschert habe, hätten sich nationale Kulturzentren gebildet, und daraufhin seien die Kirgisen zur Nation geworden. Dazu ist allerdings zu bemerken, daß im Zuge des Aufbaus der Industrie der russische Bevölkerungsanteil Kirgisiens (bei einer gegenwärtigen Gesamtbevölkerung von gut 2 Millionen) von 116 000 im Jahre 1926 auf 624 000 im Jahre 1959 angestiegen ist und da es sich hier zweifellos im wesentlichen um Industriearbeiter handelt, liegt die Vermutung nahe, daß die nationale Arbeiterklasse des kirgisischen Volkes im wesentlichen aus Russen besteht, die damit den Grund zur Nationswerdung der Kirgisen gelegt haben. Hier wie auch an anderen Beispielen tritt die Diskrepanz zwischen sowjetischer Nationalitäten-politik und sowjetischer Nationalitätentheorie deutlich zutage.

An zweiter Stelle steht bei Rogacev und Sverdlin die „stabile territoriale Gemeinschaft", das heißt: ohne einheitliches Territorium kann es keine Nation geben. Im Zusammenhang mit diesem Punkt haben die Verfasser einige Bemerkungen über das Verhältnis von Territorium, Staat und Nation gemacht, die in ihrem Aufsatz zwar nur einen Absatz ausmachen, die aber in der folgenden Diskussion in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen gerückt sind. Schon im Entwurf zu ihrem Aufsatz, der im Mai 1965 auf einer Sitzung der Redaktion der „Voprosy istorii" dis-kutiert worden war, hatten Rogaev und Sverdlin von der „territorialen Gemeinsamkeit in den Grenzen eines Staates" gesprochen, was heftig kritisiert worden war Die Autoren hatten diese Formulierung daraufhin aus der Definition des Nationsbegriffs gestrichen, sich jedoch vorbehalten, diese These im allgemeinen Text ihres Aufsatzes aufzugreifen. Sie taten dies, indem sie darauf hinwiesen, daß territoriale Gemeinsamkeit nicht nur bedeute, „daß die Menschen geographisch zusammen wohnen, sondern auch, daß sie nicht durch Staatsgrenzen voneinander getrennt sind". Mit Rücksicht auf die außersozialistische Welt erklärten sie es jedoch für verfrüht, die nationale Staatlichkeit zum Merkmal einer jeden Nation zu erklären. Dies sei vorläufig nur bei den sozialistischen Nationen möglich. Hier gelte die nationale Staatlichkeit bereits heute als Merkmal der Nation Wir werden auf das hiermit angesprochene Verhältnis von Staat und Nation zurückkommen.

An dritter und nicht wie bei Stalin an erster Stelle rangiert die Gemeinsamkeit der Sprache. Zwar wird eingeräumt, daß die Gemeinsamkeit der Sprache auch schon ein Merkmal der vor-nationalen ethnischen Gemeinschaften gewesen sei; aber hier bestehe doch ein wesentlicher Unterschied: „In der Nation hat die National-sprache in der Regel das Übergewicht gegenüber den Dialekten, wobei es unbedingt eine Literatursprache gibt. Für die Völkerschaft ist das nicht in dem Maße charakteristisch." Während es die Merkmale Wirtschaft, Territorium und Sprache auch bei Stalin gab, wird als viertes Merkmal das „Bewußtsein der ethnischen Zugehörigkeit" neu eingeführt. Dieser neue Begriff wird sofort gegen das „Nationalbewußtsein" abgegrenzt, dem „der Marxismus-Leninismus als einem Element der Ideologie zwar große Bedeutung beimißt", das aber in der Definition des Nationsbegriffs deshalb unangebracht ist, weil es nach marxistischer Auffassung in den in Klassen gespaltenen bürgerlichen Nationen kein gesamtnationales Bewußtsein, keine „Nationalideologie", sondern nur „Klassenideologien" gibt. Um aber das „elementare Bewußtsein, einer bestimmten Gemeinschaft anzugehören", in der Definition des Nationsbegriffs zu berücksichtigen, sich gleichzeitig aber gegen die bürgerliche Auffassung der Nation abzugrenzen, soll das „Bewußtsein der ethnischen Zugehörigkeit" als Merkmal der Nation gelten. Dies jedoch nur, „wenn es im untrennbaren Zusammenhang mit der wirtschaftlichen, territorialen und sprachlichen Gemeinsamkeit sowie mit anderen Merkmalen betrachtet wird". Denn für sich genommen, so wird richtig bemerkt, ist dieses Bewußtsein auch schon ein Merkmal aller vor-nationalen „ethnischen Gemeinschaften".

Die im Zusammenhang mit dem Nationalbewußtsein bereits angedeuteten Klassengegensätze innerhalb der bürgerlichen Nation wirken sich nach Meinung der Autoren in erster Linie auf die geistige Physiognomie aus, da hier besonders deutlich „die nationale Gemeinsamkeit hinter der Klassengemeinsamkeit zurücktritt". Angesichts der auf Lenin zurückgehenden Lehre von den zwei Kulturen innerhalb der bürgerlichen Nation kann es etwa die als fünftes Merkmal genannte „Gemeinsamkeit der geistigen Physiognomie" (duchovnyj oblik) in echter Form nur bei „sozialgleichartigen", das heißt bei sozialistischen Nationen geben, da das Wichtigste an der geistigen Physiognomie angeblich die Klassen-charakter tragende Weltanschauung ist. In eine allgemeine Definition des Nationsbegriffs kann dieses Merkmal also nur mit Vorbehalten ausgenommen werden. Auch hinsichtlich der „psychischen Eigenart", von der Stalin sprach, verhalten sich Rogacev und Sverdlin sehr zurückhaltend. Sie ziehen es vor, hier noch vorsichtiger von „gewissen nationalen Besonderheiten des Charakters" zu sprechen, „die im Prinzip faßbar sind und sich außerdem nicht nur in der Kultur nachweisen lassen". Hier wird also expressis verbis vom National-charakter gesprochen, wenn auch das Wort als „zu vage" (!) abgelehnt wird. Im übrigen wird versichert, daß die psychischen Besonderheiten zwar erwähnt werden sollten, im Leben einer Nation aber keine entscheidene Rolle spielten.

Als letztes Merkmal, das bei der Definition des Nationsbegriffs angeblich nicht fehlen darf, wird schließlich der Begriff der Tradition genannt, von dem es heißt: „Mit Hilfe dieses Begriffs läßt sich der Unterschied zwischen den wahrhaft nationalen, dauerhaften Zügen des geistigen Lebens und allem, was zeitlich bedingt, vorübergehend, mit einem Wort für die nationale Gemeinschaft nicht charakteristisch ist, unterstreichen. . . . Unter nationalen Traditionen, die die nationale Gemeinschaft festigen, sind progressive Traditionen zu verstehen, auf die sich alle gesunden Kräfte der Nation stützen." Solche Traditionen, die ohne Rücksicht auf die Klassengegensätze dem ganzen Volk gemeinsam sind, hat man im Bereich der Traditionen der Lebensweise (byt), der Kultur und des Befreiungskampfes zu suchen. Bei den letzteren ist offenbar ebensosehr an den „Großen vaterländischen Krieg" gedacht, der heute als die bedeutende gemeinsame Befreiungstat des Sowjetvolkes gilt, wie an die jungen Staaten Asiens und Afrikas, bei denen der gemeinsame Befreiungskampf oft eines der wenigen einigenden Momente darstellt.

Alle diese Erklärungen zusammenfassend, stellen Rogacev und Sverdlin schließlich folgende Definition des Nationsbegriffs zur Diskussion: „Die Nation ist eine historisch entstandene Gemeinschaft von Menschen, die durch stabile Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Lebens (bei Existenz einer Arbeiterklasse), des Territoriums, der Sprache (insbesondere der Literatursprache), des Bewußtseins der ethnischen Zugehörigkeit wie auch gewisser Besonderheiten der Psyche und der Traditionen der Lebensweise, der Kultur sowie des Befreiungskampfes charakterisiert wird.“ Und erklärend wird hinzugefügt: „Jedes Merkmal stellt sich in der Regel für die gesamte Nation einheitlich dar. Eine Nation muß sich in dem jeweiligen Merkmal nicht unbedingt von einer anderen Nation oder von vornationalen Gemeinschaften unterscheiden. Die Gesamtheit der Merkmale macht die Nation jedoch unbedingt in diesem oder jenem Maße zu einer spezifischen, relativ gesonderten Einheit." Von dieser Definition ausgehend, kommen Rogacev und Sverdlin dann zur Typisierung der Nationen. 2. Die Typen der Nation Die Unterscheidung verschiedener Typen von Nationen bzw. die Einführung des Begriffs „sozialistische Nationen" im Gegensatz zu „bürgerlichen Nationen" geht schon auf das Jahr 1949 zurück. Sie entsprang offenbar der Einsicht, daß die Nationen auch im Sozialismus noch lange weiterbestehen würden und daß es deshalb notwendig sei, die Nation auch als besondere Kategorie der sozialistischen Etappe der menschlichen Geschichte zu begründen. Die Theorie von den „bürgerlichen" und „sozialistischen" Nationen wurde Stalin zugeschrieben, der damit angeblich bereits im Jahre 1929 hervorgetreten sei Da die in Frage stehende Schrift Stalins „Die nationale Frage und der Leninismus" jedoch erstmals im Jahre 1953 im XL Band seiner Werke veröffentlicht wurde, die genannten Begriffe aber bis zum Ende der vierziger Jahre in der Sowjetunion ungebräuchlich waren, liegt die Vermutung nahe, daß Stalin hier im Sinne des

Persönlichkeitskults eine kleine Interpolation vorgenommen hat. Darauf deutet auch die Tatsache hin, daß etwa der politische Bericht des Zentralkomitees auf dem XVI. Parteitag (1930) in der Fassung, in der er 1949 im XII. Band der Werke Stalins abgedruckt wurde, um einen die sozialistischen Nationen betreffenden Satz bereichert wurde, der in der ursprünglichen Fassung nicht enthalten war

Abgesehen von diesen Feinheiten sowjetischer Begriffsgeschichte wurden die beiden Typen zur Stalinzeit folgendermaßen unterschieden: Die ökonomische Grundlage der bürgerlichen Nation ist das kapitalistische Wirtschaftssystem, das auf Ausbeutung beruht und den Klassenkampf zur Folge hat, der dafür sorgt, daß die bürgerlichen Nationen keine innerlich geschlossenen Nationen sind. Die herrschenden Kreise suchen von den inneren Gegensätzen durch Aggressivität nach außen abzulenken; daher die Feindschaft zwischen den bürgerlichen Nationen. Die ökonomische Grundlage der sozialistischen Nation ist das sozialistische Eigentum und das sozialistische Wirtschaftssystem, das die Klassengegensätze beseitigt und zur Interessengemeinschaft der Arbeiterschaft, der Kolchosbauernschaft und der werktätigen Intelligenz und somit zur innerlichen Geschlossenheit der sozialistischen Nation führt. Die innere Einigkeit bedingt die Einigkeit zwischen den verschiedenen sozialistischen Nationen, die in voller Gleichberechtigung zusammenleben

Diese einfache Gegenüberstellung von bürgerlich-kapitalistischen und sozialistischen Nationen, die vielleicht noch den politischen Verhältnissen der letzten Jahre Stalins angemes-sen war, hat siqh indessen angesichts der Auflösung der ehemaligen Kolonialreiche und der Entstehung zahlreicher neuer Staaten und Nationen als unbrauchbar erwiesen. Die neuen Verhältnisse zwangen dazu, das vorhandene Schema flexibler zu gestalten, und dieser Aufgabe haben sich Rogacev und Sverdlin mit besonderer Sorgfalt unterzogen. Sie schlagen folgende Differenzierung vor: „Den einen Typ bilden die sozial-ungleichartigen Nationen unter den Bedingungen des entwickelten Kapitalismus, den anderen die sozial-gleichartigen Nationen, die sich im Sozialismus entwickeln. Die Nationen, die dort entstehen, wo das imperialistische Kolonialsystem zusammengebrochen ist, kann man zu einem eigenartigen Übergangstyp rechnen." Was die Autoren über die ersten beiden Typen zu sagen haben, unterscheidet sich kaum von dem, was bisher üblich war. Hervorzuheben ist lediglich, daß sie gegen den Begriff „bürgerliche Nation" polemisieren, da dieser angeblich unterstelle, daß alles in diesem Nationstyp bürgerlich sei, während doch die Züge der herrschenden Klasse keineswegs der ganzen Nation gemeinsam seien Sie empfehlen statt dessen den umfassenderen und, wie sie meinen, wissenschaftlich präziseren Begriff „sozial-ungleichartige Nation".

Interessanter aber ist für uns, wie die Übergangsnationen charakterisiert werden, die sich „unter den Bedingungen des Befreiungskampfes formieren". Ihre Klassendifferenzierung ist noch so schwach ausgebildet und ihre Produktionsverhältnisse sind so verschiedenartig, daß sie keinem der beiden Grundtypen zugerechnet werden können. Wichtig ist deshalb der Hinweis, daß „der Begriff . Übergangsnation'nicht nur etwas über das Entwicklungsniveau aussagt, sondern auch die Tatsache bezeichnet, daß der weitere Weg noch nicht klar bestimmt ist. Nachdem der Weg feststeht, verwandelt sich die Übergangsnation in eine Nation einer der beiden Grundtypen." Das heißt aber, daß eine Grundsatzentscheidung der jeweiligen Führer der betreffenden Nation bereits genügt, sie in eine sozialistische oder bürgerliche Nation zu verwandeln. Diese Theorie ermöglicht es den Sowjets, etwa arabische Nationen wie die Ägypter auch dann schon als sozialistische zu bezeichnen und damit in ein engeres Verhältnis zur Sowjetunion zu bringen, wenn diese noch meilenweit vom Sozialismus entfernt sind und das dort praktizierte Wirtschaftssystem nur schwerlich als sozialistisch identifiziert werden kann.

Da schließlich außer der wirtschaftlichen auch die sprachliche Gemeinsamkeit, ja gelegentlich selbst eine einheitliche ethnische Zusammensetzung bei den Übergangsnationen fehlt, kommt auch in der sowjetischen Theorie an dieser Stelle das so verpönte Nationalbewußtsein als nahezu einziges Merkmal dieser Nationen zu Ehren: „Hierbei handelt es sich nicht, nur um das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu der betreffenden Nation, sondern auch um das Bewußtsein, daß die Mehrheit der Nation im Befreiungskampf weitgehend gemeinsame Interessen besitzt. Für die Übergangsnationen ist die Tatsache entscheidend, daß sich der Haupt-feind außerhalb der Nation befindet. Unter diesen Bedingungen dient das Nationalbewußtsein, das einen stark ausgeprägten antikolonialen, antiimperialistischen Charakter annimmt, als ein Mittel, das die Nation zusammenschweißt." Diese mit dem sowjetischen Nationsbegriff, wie wir ihn oben kennengelernt haben, kaum zu vereinbarende Feststellung entspringt zweifellos der Rücksichtnahme auf die neuen „Nationen" Asiens und Afrikas, denen gegenüber es sich die Sowjets nicht leisten können, sie auch nur in der Theorie als zweitklassig zu behandeln. Es geht also nicht nur um marxistisch-leninistisch einwandfreie Begriffe, sondern auch um ein theoretisches Instrumentarium, mit dem sich Politik machen läßt — ein Nebeneinander, das die richtige Einschätzung sowjetischer theoretischer Abhandlungen bisweilen sehr erschwert.

Ein ähnliches Beispiel bietet etwa die These vom nichtkapitalistischen Entwicklungsweg, der direkt vom Feudalismus in den Sozialismus führt. Galt dieser nichtkapitalistische Entwicklungsweg zunächst als auf die Sowjetunion beschränkte Ausnahmeerscheinung, so wurde er zu Beginn der sechziger Jahre zur allgemein geltenden Theorie erhoben, wobei man zugunsten der Erleichterung der sowjetischen Einflußnahme auf die Entwicklungsländer mit der bis dahin geltenden sowjetischen Formationstheorie brach

II. Die Diskussion

Vergleicht man nun diesen Versuch zu einer neuen Begriffsbildung mit der Definition Stalins, so ergibt sich, daß Rogacev und Sverdlin zwar verschiedene wichtige Ergänzungen bringen, in den wesentlichen Punkten aber kaum von Stalin abweichen. Dies ist auch in der folgenden Diskussion immer wieder unterstrichen worden, wobei solche Teilnehmer, die mit Stalins Definition nach wie vor zufrieden sind, hinzuzufügen pflegen, daß das auch gar nicht anders sein könne, da sich Stalin bei der Formulierung seines Nationsbegriffs ja ganz von den Hinweisen Marx', Engels'und Lenins habe leiten lassen Das gilt natürlich besonders für die drei ersten Merkmale der Nation, die Gemeinsamkeit des Wirtschaftslebens, des Territoriums und der Sprache, die sich ja auch schon bei den „Klassikern" nachweisen lassen. Umstritten ist lediglich, ob die von Rogacev und Sverdlin vorgeschlagene Reihenfolge der Merkmale oder die von Stalin sachgerechter ist, der die Sprache an erster Stelle und die Wirtschaft nach dem Territorium an dritter Stelle nannte Auch der Zusatz „bei Existenz einer Arbeiterklasse" zur „Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Lebens" wird nicht von allen Diskussionsteilnehmern gebilligt, da die Nation ja auch dann noch existiere, wenn es keine sozialen Unterschiede mehr gebe

Von den weiteren von Rogacev und Sverdlin vorgeschlagenen Merkmalen ist das „Bewußtsein der ethnischen Zugehörigkeit" fast allgemein akzeptiert worden. Allein Professor I. P. Camerjan, Mitarbeiter des Philosophischen Instituts der Akademie der Wissenschaften, der die Stalinsche Definition von 1913 am nachdrücklichsten verteidigt, lehnt diese Ergänzung mit der Begründung ab, daß es sich bei dem „Bewußtsein der ethnischen Zugehörigkeit" nur um eine subjektive Widerspiegelung der objektiven Existenz der nationalen Gemeinschaft im Bewußtsein des Menschen handele, „eine subjektive Widerspiegelung (ein Element des Bewußtseins) aber nicht in eines der Grundmerkmale des widergespiegelten Objekts (der Nation) verwandelt werden kann Keine einhellige Meinung herrscht dagegen über die beste Formulierung dessen, was die Autoren des Einführungsaufsatzes mit „Besonderheiten der Psyche und Traditionen der Lebensweise, der Kultur sowie des Befreiungskampfes" umschrieben haben. Die besondere Schwierigkeit, der sich die sowjetischen Wissenschaftler hier gegenübersehen, scheint darin zu bestehen, daß die hier genannten Besonderheiten und Traditionen nicht nur Merkmale der Nation, sondern auch Merkmale von Klassen sein können, weshalb sie so definiert werden müssen, daß sie die Definition des Nationsbegriffs nicht mißverständlich machen.

Bis auf den Dozenten an der philosophischen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, S. T. Kaltachcjan, sind sich aber alle Diskussionsteilnehmer darin einig, daß diese Merkmale in irgendeiner Form in der Definition des Begriffes Nation angesprochen werden müssen. Kaltachcjan seinerseits will in einer allgemeinen Definition des Nationsbegriffs überhaupt nur die schon bei Stalin vorhandenen Merkmale (Sprache, Territorium, Wirtschaft) sowie das neu hinzukommende „Bewußtsein der ethnischen Zugehörigkeit" gelten lassen und lehnt alle anderen Merkmale, besonders „die sich in der Gemeinsamkeit der Kultur offenbarende psychische Eigenart" ab. Seine Begründung hält sich im Rahmen der traditionellen Auffassung, wonach das Sein das Bewußtsein bestimmt: „Die Psyche des Menschen", so schreibt Kaltachcjan, „hat immer sozialen Charakter, und keinerlei naturalistische Erklärungen können ihr Wesen ergründen. Aber wenn sogar die individuelle Psyche das Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse ist, kann dann bei der nationalen Psyche der gesellschaftlich-historische Charakter überhaupt fehlen, kann man sie dann nur oder doch hauptsächlich als biologische Vererbung oder als Physiologie der höheren Nerven-tätigkeit erklären?" Geistige Gemeinsamkeiten kann es seiner Meinung nach als Determinanten der Nation nur bei den sozialistischen Nationen geben, niemals aber, solange sich die Menschen in antagonistischen Klassenbeziehungen gegenüberstehen. Im weiteren Verlauf der Diskussion ist neben anderen vor allem A. I. Gorjaceva (Universität Tartu [Dorpat]) dieser Auffassung Kaltachcjans entschieden entgegengetreten Zwar räumt auch sie die große Bedeutung der Klassengegensätze ein, doch hält sie eine Nation ohne eine alle Klassen umfassende „psychische Eigenart" für unvorstellbar: „Im realen Leben gibt es kein Proletariat schlechthin, sondern es gibt ein englisches, ein nordamerikanisches, ein französisches, ein deutsches usf. Proletariat. Die dem ganzen Proletariat oder einer anderen Klasse gemeinsame psychische Eigenart zeigt sich in der Form der Psychologie der gegebenen Klasse einer bestimmten Nation, wo sie bestimmte ergänzende Züge erhält." Dies gilt nach Meinung Gorjacevas um so mehr, als ja nicht nur Gruppen, sondern die Einzelpersönlichkeit Träger bestimmter nationaler Besonderheiten, nationaler Charakterzüge ist, was schon daraus hervorgehe, daß der einzelne diese Züge auch dann behalte, wenn er von seiner Nation getrennt lebe. Das gleiche lasse sich auch von der Sprache sagen, weshalb Sprache und psychische Eigenart die wesentlichsten Merkmale der Nation seien. Ohne auf weitere Einzelheiten wie etwa darauf einzugehen, daß mehreren Diskussionsteilnehmern der Ausdruck „bürgerliche Nation" lieber ist als „sozial-ungleichartige Nation", was grundsätzlich wenig Bedeutung hat, wollen wir uns jetzt drei Themen zuwenden, die von besonderem Interesse sind und die vor allem auch größere politische Bedeutung haben. Es handelt sich erstens um das Verhältnis von ethnischen Gemeinschaften zu sozialökonomischen Formationen, zweitens um das Verhältnis von Staat und Nation und drittens um die Zukunft der sozialistischen Nationen beim Übergang zum Kommunismus. Bei der Behandlung dieser Themen durch die sowjetischen Historiker, Ethnographen und Juristen wird deutlich, daß es ihnen im Grunde weniger um die Definition eines zeitgemäßen Nationsbegiffs als vielmehr um die Diskussion des Nationalitätenproblems innerhalb der Sowjetunion geht. 1. Ethnische Gemeinschaften und sozialökonomische Formationen Wie M. S. Dzunusov, Mitarbeiter des Instituts fü; Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, ausdrücklich hervorhebt, haben die sowjetischen Ethnographen erst in letzter Zeit begonnen, „dem Studium der Nationen, Völkerschaften und ethnographischen Gruppen des ganzen Erdballs größere Auf-B merksamkeit zu schenken" Dabei habe sich auch der Terminus „ethnische Gemeinschaften von Menschen" eingebürgert, den Dzunusov folgendermaßen definiert: „Nach unserer Auflassung ist eine ethnische Gemeinschaft von Menschen ein besonderes System historischer Gemeinsamkeiten von Menschen, das allen sozialökonomischen Formationen (außer der reifen Form des die ganze Welt erfassenden Kommunismus) eigen ist und durch die Gemeinsamkeit der Sprache, des ethnischen Territoriums, der Wirtschaftsbeziehungen, des ethnischen Selbstbewußtseins, bestimmter Kultur-merkmale und Charakterzüge gekennzeichnet ist. Die Kategorien des Stammes, der Völkerschaft und der Nation bezeichnen die Entwicklungsstadien dieser ethnischen Gemeinschaft von Menschen."

Da aber Sprache, ethnisches Territorium und ethnisches Selbstbewußtsein als Merkmale der ethnischen Gemeinschaft bei deren Entwicklung von der Stammesgemeinschaft über die Völkerschaft bis zu ihrer letzten Stufe, der Nation, nicht verlorengehen, liegen die entscheidenden Unterschiede zwischen diesen Typen auf sozialökonomischem Gebiet Diese Erkenntnis hat immer wieder zu Versuchen geführt, jeder sozialökonomischen Formation auch eine bestimmte Form der ethnischen Gemeinschaft zuzuweisen. Im allgemeinen gilt hier, wobei selbstverständlich entsprechende übergangsformen anzusetzen sind, daß die Sippe (rod) der Urgesellschaft, der Stamm (plemja) der Sklavenhaltergesellschaft, die Völkerschaft (narodnost’) dem Feudalismus und schließlich die Nation dem Kapitalismus und Sozialismus entspricht Hier ergibt sich allerdings eine schwerwiegende Diskrepanz zwischen Theorie und sowjetischer Wirklichkeit. Strenggenommen dürfte es nach dem eben erwähnten Schema höchstens noch im Früh-kapitalismus, auf keinen Fai! aber im Sozialismus Völkerschaften geben. Und doch gibt es in der Sowjetunion über 60 Völkerschaften, die ausdrücklich als solche bezeichnet werden und nach offizieller Lesart bereits lange im Sozialismus leben. Die Auflösung dieses Widerspruchs ist aber keineswegs nur ein theoretisches Problem. Da die Klassifizierung ethnischer Gemeinschaften in Völkerschaften und Nationen in der Sowjetunion ganz im Belieben der Zentralregierung liegt, die Erhebung zur Nation aber mit einer, wenn auch noch so unbedeutenden Selbstverwaltung verbunden ist, geht es politisch gesehen darum, den Ansprüchen der Völkerschaften auf Erhebung zur Nation mit plausiblen Argumenten zu begegnen.

Als einer der ersten hat. im November 1965 der Leiter des Lehrstuhls für Literatur der Völker der UdSSR an der Dagestanischen Universität, A. G. Agaev, dieses Problem aufgegriffen Seine Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, daß es Völkerschaften beginnend mit der Sklavenhaltergesellschaft in allen sozialökonomischen Formationen gegeben habe und sie also auch im Sozialismus gebe, wobei er folgende Merkmale der Völkerschaft zugrunde legt: gemeinsames Territorium, eigene Sprache, in der aber noch die Dialekte die Hauptrolle spielen, vorwiegend von der Landwirtschaft bestimmte Wirtschaftsverhältnisse, Seßhaftigkeit der Bevölkerung, eine nationale Kultur und ein gemeinsames ethnisches Selbstbewußtsein.

Der entscheidende Unterschied zu den sowjetischen Nationen besteht also darin, daß die sowjetischen Völkerschaften es nicht zu einer eigenen Industrie und damit verbundenen „Kulturzentren", also Städten, gebracht haben, was allerdings auch im Zeichen des Sozialismus keineswegs immer in ihrem Belieben stand. Bekanntlich hat die sowjetische Nationalitätenpolitik noch nie die Tendenz gezeigt, mehr Zugeständnisse als unbedingt nötig zu machen, und nötig waren sie gegenüber den sowjetischen Völkerschaften schon deshalb nicht, weil diese zahlenmäßig zu gering sind.

In der Sowjetunion, so bemerkt auch Agaev, gibt es keine, ein zusammenhängendes Territorium bewohnende Gruppe, die es bei einer Bevölkerung von 300 000— 400 000 nicht zur Nation gebracht hätte. Die größte sowjetische Völkerschaft bilden heute die Avarcen mit 270 000 Personen. Der Hinweis auf die mangelnde zahlenmäßige Stärke der sowjetischen Völkerschaften als Hinderungsgrund für ihre Nationswerdung scheint jedenfalls plausibler als der Hinweis auf die ihnen fehlende Industrie und eine ihr entsprechende Wirtschaftsform. Der schon erwähnte Dunusov geht nun in der gegenwärtigen Diskussion noch einen Schritt weiter und fordert unter Hinweis auf die Existenz von Völkerschaften auch im Sozialismus eine stärkere Berücksichtigung der Selbständigkeit ethnischer Prozesse:'„Die Erfahrung, daß sich im Sozialismus Völkerschaften weiterentwickeln, hat allen Anlaß zur Revidierung der Vorstellung gegeben, wonach mit dem Ende der vorkapitalistischen Formen der Klassengesellschaft auch alle vornationalen Typen ethnischer Gemeinschaften von Menschen verschwinden. Diese Vorstellung rechnete nicht mit der Tatsache, daß die ethnischen Prozesse zwar unter Einwirkung der sozialökonomischen Entwicklung stehen, aber doch, wie bereits bemerkt wurde, relative Selbständigkeit besitzen."

Dzunusov ist daher der Meinung, daß die Ursache dafür, daß viele Völkerschaften in der UdSSR auch in der Periode des Übergangs zum Kommunismus bestehenbleiben, „in Erscheinungen zu suchen ist, die nichts mit dem Wesen des Sozialismus zu tun haben: . . . Wenn wir die Ursachen dafür erforschen, daß die Völkerschaften unter den Bedingungen des Sozialismus bestehenbleiben, treten bald die geringe Zahl von Angehörigen dieser ethnischen Gebilde, bald die natürlichen und geographischen Bedingungen in den Vordergrund, bald wirken diese Ursachen zusammen, wie etwa bei den Völkerschaften des Nordens in der UdSSR.

Diese über 20 Völkerschaften des Nordens bilden nur 0, 06 Prozent der Bevölkerung der UdSSR. In Dagestan, wo mehr als ein Drittel aller ethnischen Gebilde unseres Landes konzentriert ist, leben nur 0, 45 Prozent der Gesamtbevölkerung." Vergleichsweise sei darauf hingewiesen, daß die 21 größeren Nationen der UdSSR zusammen 94, 3 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Das sozialistische System aber bietet -nach Dzunusovs Auffassung allen Völkerschaften die Möglichkeit, in Nationen hinüberzuwachsen, wofür etwa die Bildung so kleiner Nationen wie die der Burjäten (253 000), der* Jakuten (273 000), der Kabardiner (204 000), der Karakalpaken (172 000), der Kalmyken (106 000) und der Tuwinen (100 000) Zeugnis ablegten. Diese unterschieden sich ebenso wie die großen Nationen von den Völkerschaften, aber „nicht durch Charakter und Entwicklungsniveau der sozialistischen Gesellschaftsbeziehungen, sondern durch das ethnische Entwicklungsniveau". Allerdings ist Dzunusov zuversichtlich, daß diese und alle anderen Unterschiede in zunehmendem Maße in einer neuen, höheren menschlichen Gemeinschaft aufgehoben werden — im alle sowjetischen Nationen und Völkerschaften umfassenden Sowjetvolk.

Uber den Weg der „sozialistischen Völkerschaften" zu diesem Endziel hat der bereits genannte A. G. Agaev in einem besonderen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion einige interessante Angaben gemacht Danach eröffnet der Sozialismus den Völkerschaften zwei Möglichkeiten: entweder selbst zur Nation zu werden oder mit einer der bestehenden Nationen zu verschmelzen. Da die Nationswerdung von Völkerschaften in der Sowjetunion mehr oder weniger abgeschlossen scheint, liegt die Betonung zweifellos auf der Forderung nach „freiwilliger Verschmelzung mit einer benachbarten Nation", wobei insbesondere an die führende russische Nation gedacht sein dürfte. Schließt man von dieser Vorstellung auf die für eine fernere Zukunft erwartete vollständige Verschmelzung der sozialistischen Nationen, dann liegt die Vermutung nahe, daß auch sie weniger eine echte Verschmelzung als vielmehr ein Aufgehen der jeweils kleineren in die jeweils größere und schließlich in die größte, die großrussische Nation bedeuten könnte. 2. Nation und Nationalstaat Wie oben angedeutet, haben Rogacev und Sverdlin in ihrem die Diskussion eröffnenden Aufsatz den nationalen Staat als Merkmal der Nation im allgemeinen verworfen, ihn aber als Merkmal der sozialistischen Nationen ausdrücklich anerkannt Diese Anerkennung der „nationalen Staatlichkeit" als Merkmal der sozialistischen Nationen ist ebenso wie das Verhältnis von Staat und Nation im allgemeinen heiß umstritten, was kaum verwunderlich ist, da hier das Interesse der nichtrussischen Nationen der Sowjetunion an der Erhaltung ihrer nationalen Staatlichkeit besonders angesprochen wird. So ist es auch verständlich, daß sich vor allem die Diskussionsteilnehmer, die den nichtrussischen Nationalitäten angehören, mit Vehemenz für die Anerkennung der nationalen Staatlichkeit als Merkmal der sozialistischen Nationen einsetzen.

Als erster griff der Mitarbeiter des Instituts für Staat und Recht der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, P. G. Semenov, dieses Thema auf: „Nach unserer Ansicht verdient die Frage nach dem Verhältnis von Nation und nationaler Staatlichkeit besonders ernsthafte Beachtung, vor allem hinsichtlich der UdSSR, wo es gegenwärtig 53 Nationalstaaten und nationalstaatliche Gebilde gibt, und zwar 15 Unionsrepubliken, 20 autonome Republiken, 8 autonome Gebiete und 10 nationale Kreise." Daß es sich aber so verhält, heißt für Semenov noch lange nicht, daß es so geplant war oder gar immer so bleiben soll. Lenin ist nach Meinung Semenovs vor der Revolution niemals für eine national-territoriale Autonomie eingetreten, sondern immer für die Gebietsautonomie, „die im Gegensatz zur national-territorialen Autonomie nicht nur für nationale Gebiete, sondern für alle Teile des in eine Demokratie verwandelten Rußlands gedacht war und eines der wichtigsten Mittel zur Verwirklichung des Prinzips des demokratischen Zentralismus im ganzen Staat sein sollte". Zur föderativen Organisation und zur umfassenden Anwendung der national-territorialen Autonomie habe die Partei erst nach der Oktoberrevolution gegriffen, als offenbar wurde, „daß die nationale Frage in Rußland nicht allein durch allgemeine demokratische Maßnahmen zufriedenstellend gelöst werden konnte". Da sich aber nach sowjetischer Theorie die Nationen im Sozialismus und beim Übergang zum Kommunismus in aufsteigender Linie entwickeln, hätte sich auch die nationale Staatlichkeit zunächst in dieser Richtung entwickelt: „So hat sich z. B. die nationale Staatlichkeit des mordwinischen Volkes, die sich im Jahre 1928 in Form eines nationalen Kreises herauszubilden begann, über das im Jahre 1930 auf der Basis des Kreises entstandene autonome Gebiet zur autonomen SSR (1934) entwickelt. Auch die nationale Staatlichkeit des kirgisischen Volkes nahm folgerichtig zunächst die Form eines autonomen Gebiets (1924), dann die einer autonomen Republik (1926) und schließlich im Jahre 1936 die einer Sowjetischen Sozialistischen Unionsrepublik an." Allerdings kann auch Semenov nicht verschweigen, daß es gelegentlich dieser allgemeinen Tendenz zuwiderlautende Erscheinungen gegeben hat, die er zwar als „seltene Ausnahmen" bezeichnet, die aber doch ein Licht auf die Willkürlichkeit der sowjetischen Nationalitätenpolitik werfen; so wurde etwa die seit 1921 bestehende Abchasische SSR 1930 in eine autonome Republik der Georgischen SSR umgewandelt.

Trotz der auch für die nächste Zukunft zu erwartenden aufsteigenden Entwicklung der sowjetischen Nationen ist Semenov aber der Meinung, daß sich ihre nationale Staatlichkeit nicht wie bisher in der gleichen Richtung entwickeln und sich mithin nicht als Merkmal der sozialistischen Nation erweisen werde: „Ungeachtet dessen, daß alle in geschlossenen Räumen lebenden Nationen in der UdSSR ihre eigene nationale Staatlichkeit besitzen, ist die Existenz einer sozialistischen Nation prinzipiell auch ohne nationale Staatlichkeit möglich." Zwar sei der Aufbau der staatlichen Ordnung in der ersten Entwicklungsperiode des Sowjetstaates in bedeutendem Maße von der nationalen Frage beeinflußt worden, der vollständige und endgültige Sieg des Sozialismus aber habe diesen Einfluß stark abgeschwächt. Semenov ist davon überzeugt, daß die neuen Erfolge der sowjetischen Nationalitätenpolitik diesen Einfluß völlig beseitigen werden: „Diese Tendenz wird auch die zukünftige Entwicklung der nationalen Staatlichkeit in der UdSSR bestimmen, die sich in Form einer erlöschenden Kurve vollziehen wird, im Unterschied zur Entwicklung der sowjetischen Nationen, denen auch im vollentwickelten Kommunismus ein langer Weg bis zur Verschmelzung bevorsteht. . . . Die Nationen werden weiterbestehen, die nationale Staatlichkeit in der UdSSR aber wird absterben. ... Es kann sich nur noch um die Formen und das Tempo ihres Absterbens handeln."

Eine solche „Provokation" konnten die Vertreter der Nationalitäten nicht auf sich sitzen lassen. Schon im nächsten Diskussionsbeitrag hielt der Dozent für Philosophie und Geschichte der KPdSU, M. O. Mnacakanjan, offenbar ein Armenier, Semenov entgegen, man könne aus Äußerungen von Marx, Engels und Lenin entnehmen, daß der Nationalstaat erstens ein wichtiger Faktor für die normale Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaftsbeziehungen und zweitens ein „wichtiges konstituierendes Element, ein Kennzeichen der Nation" sei. Das beweise im übrigen auch die Geschichte, denn „die Analyse der Entwicklung der geschichtlichen Ereignisse von der Entstehungsperiode des Kapitalismus bis in unsere Tage erlaubt es festzustellen, daß keine Nation der Welt auf lange Sicht ihrer Staatlichkeit beraubt werden konnte. Nationen, die bereits ihre eigene Staatlichkeit besessen und diese durch Aggressionskriege verloren hatten, führten einen zähen nationalen Befreiungskampf, um ihre Staatlichkeit wiederzuerlangen." Mnacakanjan sieht im übrigen in der nationalen Staatlichkeit geradezu die Voraussetzung für die Herausbildung der Nationen, die diesem Prozeß erst „seinen bewußten, planmäßigen Charakter" verleiht.

Vor allem aber wendet sich Mnacakanjan gegen die verschiedentlich von Semenov vertretene These, „daß gegenwärtig eine Denationalisierung'der autonomen, ja sogar der Unionsrepubliken vor sich gehe, daß , das Interesse der Nationen an der Form ihrer nationalstaatlichen Organisation notwendigerweise immer schwächer werden müsse'und daß die völlige staatsrechtliche Verschmelzung der Nationen eine Frage der absehbaren Zukunft sei" Demgegenüber berufen sich nicht nur Mnacakanjan, sondern alle Kritiker Semenovs immer wieder auf Lenin, der noch 1920 betont habe, daß sich die nationalen und staatlichen Unterschiede „noch sehr, sehr lange halten werden, sogar über die Verwirklichung der Diktatur des Proletariats im Weltmaßstab hinaus" In diesem Sinne äußert sich übrigens auch das Parteiprogramm der KPdSU, das auf die Notwendigkeit verweist, die Form der sowjetischen nationalen Staatlichkeit weiterzuentwickeln

Mnacakanjan beschließt seine Polemik mit einem für die innersowjetischen nationalen Beziehungen bezeichnenden Aufruf an die Großrussen vom Schlage Semenovs: „Die* Herabsetzung der Rolle der nationalen Staatlichkeit im allgemeinen und der sowjetischen im besonderen ist nicht dazu angetan, die weitere Festigung der Freundschaft unter den Völkern der UdSSR, die Festigung der Einheit des sozialistischen Systems und die ideologisch-politische Eroberung der Massen sowohl in den entwickelten kapitalistischen Staaten als auch in den jungen Ländern, die sich von der kolonialen Unterdrückung befreit haben, zu fördern. Sogar die allgemeine Charakteristik der nationalen Staatlichkeit'zeigt, daß sie ein nicht wegzudenkendes Element der sozialistischen Nationen ist, daß diese beiden Begriffe nicht voneinander zu trennen sind und daß sie voneinander zu trennen bedeuten würde, das Wesen dieser Nationen zu entstellen."

Wir haben es hier also mit sehr verschiedenen Auffassungen zu tun: einmal die Auffassung, daß der Nationalstaat überhaupt kein Merkmal der Nation ist, zum anderen, daß der Nationalstaat ein Merkmal der sozialistischen Nation ist, und schließlich, daß der Nationalstaat ein Merkmal jeder Nation ist, wie es bei Mnacakanjan anklingt. Für uns dürfte in diesem Zusammenhang jedoch der Standpunkt eines anderen sowjetischen Wissenschaftlers, des Mitarbeiters des ethnographischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, V. I. Kozlov, von besonderem Interesse sein, der auf Grund einer Untersuchung über die Entstehung der europäischen, amerikanischen, afrikanischen und asiatischen Nationen zu dem vorsichtig formulierten Schluß kommt, daß die politischen bzw. staatlichen Verhältnisse für die Herausbildung der Nationen möglicherweise viel wichtiger waren als wirtschaftliche Faktoren Die Kompliziertheit des Problems der wirtschaftlichen Gemeinsamkeit der Nation liegt seiner Meinung nach darin, „daß die ökonomischen Faktoren gewöhnlich indirekt auf die Bildung der Nationen einwirken, und zwar durch entsprechende Formen des Überbaus — politische, ideologische u. a. Besonders groß ist die Rolle des politischen Faktors, des Staates".

Kozlov fährt fort: „Eine Analyse des Begriffs wirtschaftliche Gemeinsamkeit führt zu dem Schluß, daß diese Gemeinsamkeit nicht so sehr der Nation als vielmehr dem Staat eigen ist, und daß sie nicht durch nationale, sondern durch politische Grenzen bestimmt wird .. . Der spezifische Charakter der Formierung von Nationen in verschiedenen Ländern der Welt. . . wird hauptsächlich von der Wechselwirkung sprachlich-territorialer und staatlich-politischer Elemente bestimmt." Schließlich seien etwa die großen Nationen Westeuropas nicht auf dem Wege irgendeiner friedlichen wirtschaftlichen Verschmelzung verschiedener Gebiete mit anschließender politischer Verschmelzung entstanden, sondern durch gewaltsame Vereinigung. So habe z. B. die Herausbildung der französischen Nation mit.der politischen Vereinigung auch in ethnischer Hinsicht recht unterschiedlicher Fürstentümer in der Hand der Könige, der Kapetinger, begonnen. Zwar müsse man für eine spätere Zeit hinsichtlich der Nationen, die über einen selbständigen Nationalstaat verfügen, die wirtschaftliche Gemeinsamkeit wohl als Merkmal anerkennen, doch könne dies keineswegs auch für solche Nationen gelten, die etwa in den multinationalen Staaten Osteuropas zusammengefaßt waren, etwa in Rußland und Osterreich-Ungarn. Hier bezog sich die wirtschaftliche Gemeinsamkeit auf den Gesamtstaat, während sie für die einzelne Nation an Bedeutung immer mehr verlor.

Nach Meinung Kozlovs gilt dies in noch stärkerem Maße für die in der Sowjetunion vereinten Nationen: „Es wäre doch seltsam, wenn man heute irgendeine tatarische oder sagen wir baschkirische wirtschaftliche Gemeinsamkeit suchen würde, die sich von der wirtschaftlichen Gemeinsamkeit der russischen Bevölkerung des gleichen Gebiets unterscheiden würde." Wohl besäßen die Unions-und autonomen Republiken noch eine gewisse wirtschaftliche Gemeinsamkeit, doch beziehe sich diese nicht auf eine Nation allein, sondern auf alle in ihrem Gebiet wohnenden Völker, und im übrigen trete sie hinter der wirtschaftlichen Gemeinschaft im Unionsmaßstab immer mehr zurück. Aus diesen Gründen ist Kozlov der Meinung, daß die wirtschaftliche Gemeinsamkeit nicht ein Merkmal aller Nationen sei und folglich nicht in eine allgemeine wissenschaftliche Definition des Nationsbegriffs gehöre.

Seine Stellungnahme zum Verhältnis von Staat und Nation formuliert er, offenbar um im Zusammenhang mit seiner Ablehnung des wirtschaftlichen Merkmals nicht mißverstanden zu werden, sehr vorsichtig: „Das Vorhandensein eines eigenen Staates oder einer bestimmten Form der Autonomie ist anscheinend auch kein unbedingt notwendiges Kennzeichen der Nation, doch die Rolle des Faktors Staat bei der Herausbildung der Nationen und das Streben der Nationen nach einer politisch-territorialen Formgebung ist so groß, daß in der Praxis bei der Beantwortung der Frage, ob ein bestimmtes Volk eine Nation ist, gewöhnlich gerade das Vorhandensein solcher staatlichen Gebilde oder auf territoriale Autonomie ausgehender national-politischen Bewegungen als Zeichen dafür gelten, daß wir es mit einer entstehenden oder schon konstituierten Nation zu tun haben." Dies gilt natürlich in besonderem Maße für die jungen Staaten Afrikas und Asiens, wo „der Einfluß des Staates auf die Bildung neuer Nationen durch politische, wirtschaftliche und kulturelle Annäherung in ethnischer Hinsicht sehr verschiedenartiger Bevölkerungsgruppen in den Grenzen der bestehenden Staaten vielfach von entscheidender Bedeutung ist, und wo Begriffe wie z. B. , Ghanese'oder . Nigerianer'nicht nur politischen, sondern auch ethnischen Sinn erhalten."

Zum gleiche Ergebnis kommt der Ethnograph B. V. Andrianov in einer sehr gründlichen Untersuchung der afrikanischen Verhältnisse: „Es ist unzweifelhaft, daß im Verlauf der antikolonialen Revolution, die Völker ohne Unterschied der Stammeszugehörigkeit, der Sprache und der Kultur vereinigte, die Grundlagen für ein einheitliches Staats-und Nationalbewußtsein gelegt und die Konturen nationalpolitischer Gemeinschaften — zukünftiger Nationen — sichtbar wurden." Interessanterweise deckt sich diese Auffassung von der Rolle des Staates weitgehend mit den Ergebnissen einer polnischen Diskussion zum Thema „Staat und Nation", in der ebenfalls unter besonderer Bezugnahme auf die jungen Staaten Afrikas und Asiens festgestellt wurde, daß der Staat eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Herausbildung der Nation und folglich auch eines ihrer Merkmale ist 3. Die Zukunft der sozialistischen Nationen Werfen wir nun noch einen kurzen Blick auf die Zukunft der sozialistischen Nationen, die seit der Verkündung des neuen Parteiprogramms von 1961 die Gemüter in der Sowjetunion erregt hat Ganz allgemein ging man davon aus, daß der gemeinsame Einsatz aller Völker der Sowjetunion bei der Schaffung der materiellen Grundlagen des Kommunimus zugleich auch ein wichtiger Schritt zur weiteren Annäherung und Verschmelzung der sozialistischen Nationen und Völkerschaften sei. In diesem Sinne heißt es auch im Parteiprogramm selbst: „Der entfaltete kommunistische Aufbau bedeutet für die Entwicklung der nationalen Beziehungen in der UdSSR eine neue Etappe, die durch die weitere Annäherung der Nationen und die Erreichung ihrer völligen Einheit gekennzeichnet wird. Der Aufbau der materiell-technischen Basis des Kommunismus bringt eine noch engere Vereinigung der Sowjetvölker mit sich." Diese zunehmende Annäherung und Verschmelzung soll auch nach Aussage des Parteiprogramms durch eine weitere Blüte und Entfaltung der Wirtschaft, Kultur und nationalen Staatlichkeit der sowjetischen Nationen erreicht werden, das heißt, die zukünftige Entwicklung der Nationen wird durch zwei grundlegende Tendenzen gekennzeichnet: Blüte und Verschmelzung. Da aber nach übereinstimmender Meinung aller Beteiligten ein Ende des Verschmelzungsprozesses noch gar nicht abzusehen ist, wird in letzter Zeit in zunehmendem Maße die Entstehung eines Sowjetvolkes als nächste Etappe in der Entwicklung der nationalen Beziehungen in der Sowjetunion bezeichnet. Dieses Sowjetvolk soll eine neue, höhere und zwar internationale Gemeinschaft von Menschen verkörpern. Faßt man alles, was bisher über das Sowjetvolk und seine besonderen Merkmale gesagt wurde, zusammen, so stellt sich erstaunlicherweise heraus, daß es die gleichen Merkmale besitzt, die im sowjetischen Nationsbegriff enthalten sind. Daß das „Sowjetvolk" schon heute über eine gemeinsame Wirtschaft und ein gemeinsames Territorium verfügt, ist kaum zu leugnen. Auch hinsichtlich der geistigen und psychischen Gemeinsamkeiten ist etwa das Parteiprogramm sehr optimistisch: „Bei Sowjetmenschen verschiedener Nationalitäten haben sich gemeinsame Züge ihrer geistigen Physiognomie herausgebildet, die auf Grund des neuen Typs gesellschaftlicher Beziehungen entstanden und die besten Traditionen der Völker der UdSSR in sich vereinen. . . . Das Verschwinden der Grenzen zwischen den Klassen und die Entwicklung kommunistischer gesellschaftlicher Beziehungen führen dazu, daß die Nationen in ihrem sozialen Aufbau immer homogener werden, und fördern die Herausbildung gemeinsamer kommunistischer Züge der Kultur, der Moral und der Lebensweise sowie die Festigung ihres gegenseitigen Vertrauens und ihrer Freundschaft."

Da das „Bewußtsein der ethnischen Zugehörigkeit" auf die Dauer dem internationalistischen Bewußtsein, ein Sowjetmensch zu sein, Platz macht fehlt eigentlich nur noch ein Merkmal, nämlich die gemeinsame Sprache. Diese gemeinsame Sprache aber wird — auch das ist im Parteiprogramm nachzulesen — das Russische sein, das schon jetzt „zur gemeinsamen Verkehrssprache und zur Sprache der Zusammenarbeit aller Völker der UdSSR geworden ist". Zwar wird nicht angenommen, daß die Sprachen der nichtrussischen Völker deshalb in absehbarer Zeit aussterben, aber es wird eine umfassende Kampagne für die Zweisprachigkeit aller nichtrussischen Sowjetmenschen geführt, womit, was allerdings nicht besonders hervorgehoben wird, wohl auch die Basis für eine ebenso umfassende Russifizierungskampagne geschaffen wird.

Immerhin ist es interessant festzustellen, daß die gleichen Merkmale, die eben noch die Nation charakterisierten, nun auch für ein Volk, das im Entstehen begriffene Sowjetvolk, gelten. Man ist unwillkürlich geneigt zu fragen, ob es sich beim sowjetischen Nationsbegriff, wenigstens bei den bisherigen konkreten Versuchen, ihn zu definieren, nicht doch in erster Linie um die Definition eines Volksbegriffs handelt, namentlich dann, wenn der Nationalstaat nicht als Merkmal der Nation anerkannt wird. Andernfalls müßte man im Sowjetvolk der Zukunft ja eine Art Super-nation, etwa nach amerikanischem Vorbild, sehen. Diese und ähnliche Probleme und Schwierigkeiten haben auch in der Sowjetunion gelegentlich die Frage laut werden lassen, ob es denn überhaupt sinnvoll sei, einer allgemeinen Definition des Nationsbegriffs nachzujagen, deren wissenschaftlicher Wert ohnehin umstritten sei, und ob man nicht besser gleich „differenzierte Definitionen" des Begriffs „Nation" suchen sollte

III. Der sowjetische Nationsbegriff und die Entwicklungsländer

An diesem Punkt setzt auch die innersowjetische Kritik am bisherigen Verlauf der Diskussion und ihren Ergebnissen ein, die bezeichnenderweise aus dem Kreis jener Fachleute kommt, die sich mit den Problemen der sogenannten Entwicklungsländer, insbesondere mit den Völkern Asiens und Afrikas beschäftigen. Wie wir bereits im Kapitel „Nation und Nationalstaat" gesehen haben, sahen sich die Ethnographen V. I. Kozlov und B. V. Andrianov gezwungen, angesichts der afrikanischen Verhältnisse die besondere Rolle des Staates bei der Entstehung der Nationen auf diesem Kontinent zu unterstreichen, neben dem Andrianov nur noch den Antikolonialismus, daß heißt den Befreiungskampf, der die verschiedenen sozialen, ethnischen und religiösen Gruppen eint, als formendes Element gelten lassen will Geht es Andrianov dabei noch in erster Linie um die Anpassung des sowjetischen Nationsbegriffs an die Realität, so kommt ein anderer Kritiker des bisherigen Diskussionsverlaufs, der Ethnograph Ju. I. Semenov, in einem sehr beachtenswerten Auf-satz in der Zeitschrift „Narody Azii i Afriki"

(Völker Asiens und Afrikas) zu dem wesentlich radikaleren Schluß, daß man im Grunde zwischen der Definition des Begriffs Nation und echter Erkenntnis der Wirklichkeit zu wählen habe Angesichts der großen Aufmerksamkeit, die die sowjetischen Führer der Politik gegenüber den Entwicklungsländern schenken, erscheint es angemessen, auf die Ausführungen Semenovs näher einzugehen.

Semenov ist der Meinung, daß die Diskussion solange nur wirklichkeitsferne Varianten des traditionellen Nationsbegriffs hervorbringen werde, solange die Teilnehmer der Diskussion die Nationstheorie auf die Formulierung des Begriffs Nation reduzierten und zu dessen Bestimmung eine kleinere oder größere Anzahl von Merkmalen aufzählten, die der Konfrontation mit der Wirklichkeit nicht standhielten. So habe man sich etwa angewöhnt, von einer guineischen, malischen, ghanaischen, kongolesischen oder indonesischen Nation zu sprechen, obwohl die in diesen Ländern wohnenden Bevölkerungsgruppen keinerlei sprachliche oder kulturelle Gemeinsamkeit besitzen und mithin keine der bisher vorgebrachten Definitionsvarianten auf sie anwendbar ist. Trotzdem wage niemand zu erklären, daß es sich hier nicht um Nationen handele, wofür Semenov vor allem politische Gründe verantwortlich macht: „Wenn man nämlich nicht von einer guineischen, malischen oder anderen ähnlichen Nationen sprechen kann, dann kann man auch nicht den Kampf der Bevölkerung dieser Länder als nationalen Befreiungskampf charakterisieren. Daß es sich hier aber um einen nationalen Befreiungskampf handelt, gilt ja als unumstößliche Tatsache." Jedoch nicht nur hinsichtlich Afrikas und Asiens fühlt sich Semenov von den verschiedenen Varianten des sowjetischen Nationsbegriffs im Stich gelassen: Er fragt etwa nach der polnischen Nation zur Zeit der Teilungen, nach den 5, 5 Millionen Italienern und den 800 000 Franzosen, die in den USA leben, nach den 800 000 Deutschen und 480 000 Ukrainern, die in Kanada leben usf. Und Semenov schließt den Katalog der ungelösten Probleme mit der lapidaren Feststellung: „Unserer Meinung nach ist nicht eine Berichtigung und Modernisierung der bestehenden Definition des Begriffes Nation, sondern eine entschiedene Absage an alle Definitionen dieser Art notwendig, weil sie scholastischen Charakter tragen." Semenov geht es also nicht um eine generelle Begriffsbildung, sondern um die Erkenntnis jener Prozesse, die zur Entstehung der Nationen in ihrer verschiedenartigen Gestalt führen. Dabei erscheint ihm zunächst einmal die Einsicht wichtig, daß die offenbar allenthalben akzeptierte These, wonach die Begriffe Nation und ethnische Gemeinschaft mehr oder weniger identisch seien, falsch ist : „Die ethnische Gemeinschaft und die Nation sind Erscheinungen, die zwei ganz verschiedenen Bereichen angehören. Wenn sich das Wesen der ethnischen Gemeinschaft am deutlichsten in den ethnischen Prozessen zeigt, so tritt das Wesen der Nation am deutlichsten in den nationalen Bewegungen hervor." Den „grundsätzlichen qualitativen" Unterschied zwischen beiden Erscheinungen beschreibt Semenov folgendermaßen: „Ethnische Prozesse sind Prozesse, die sich unabhängig vom Willen und Bewußtsein der Menschen vollziehen, nationale Bewegungen aber sind Aktivität der Massen, die auf die Erreichung eines bestimmten Zieles gerichtet ist. Wenn die ethnischen Prozesse zum Bereich der Ethnographie gehören, dann gehören die nationalen Bewegungen in das Gebiet der Politik."

Da die Nation nach Semenovs Auffassung also in erster Linie eine politische Größe ist, sieht er den Schlüssel zum Verständnis ihrer Entstehung in der Kategorie „sozialer Organismus". Unter einem sozialen Organismus versteht er eine „gesonderte, konkrete Gemeinschaft, die sich mehr oder weniger unabhängig von anderen ähnlichen Gemeinschaften entwickelt. Soziale Organismen gehören gewöhnlich in vergleichsweise große Systeme, die man ihrerseits als Systeme höherer Ordnung bezeichnen kann." Als Beispiel führt Semenov u. a. das mittelalterliche Deutschland an, das kein sozialer Organismus, sondern eine Art Föderation sozialer Organismen wie etwa Bayerns, Sachsens, Thüringens usf. war. Eine solche Föderation sozialer Organismen kommt dann zustande, wenn sich innerhalb dieses oder jenes Systems sozialer Organismen Kräfte entfalten, die auf seine Umwandlung in einen einheitlichen sozialen Organismus hinwirken: „Von dem Augenblick an, da die Tendenz zur Vereinigung für die Dauer die Oberhand über die Tendenz zur Absonderung gewinnt, haben wir es schon nicht mehr mit einer Föderation sozialer Organismen, sondern mit einem einzigen sozialen Organismus zu tun, wenn dieser auch zunächst noch föderativ ist und aus Suborganis-men besteht. Mit dem völligen Verschwinden der Tendenz zur Absonderung verwandelt sich der föderative soziale Organismus in einen unitarischen sozialen Organismus." Semenov stimmt mit den anderen Diskussionsteilnehmern darin überein, daß es vor allem die Entstehung des Kapitalismus mit seinem Streben nach großen Märkten war, der die Tendenz zur Verwandlung des föderativen sozialen Organismus in einen unitarischen sozialen Organismus förderte. Als Träger dieser Umwandlung werden die Klassen und sozialen Schichten genannt, deren Interessen sich mit der notwendigen Weiterentwicklung des sozialen Organismus deckten, also die Bourgeoisie, die Bauernschaft und die Stadtarmut. Sie begannen den revolutionären Kampf gegen den Feudalismus, in dessen Verlauf „die Interessen des sozialen Organismus als Interessen des Vaterlandes und damit aller wahren Patrioten verstanden wurden, die zusammengenommen die Nation bilden. So wird sich die Kraft, die gegen den Feudalismus auftritt, als patriotische, nationale Kraft, als Nation bewußt." Nur wenn diese Kraft im wesentlichen aus Angehörigen einer ethnischen Gemeinschaft gebildet wird, ergibt sich eine enge Verbindung zwischen den Begriffen Nation und ethnischer Gemeinschaft. Semenov hebt allerdings ausdrücklich hervor, daß das nicht die Regel sei, und als Beweis für den vorwiegend politischen Charakter der Nation verweist er auf die Bevölkerung Elsaß-Lothringens, die ihrer ethnischen Herkunft nach zwar deutsch sei, aber ebenso unzweifelhaft zur französischen Nation gehöre wie die Angehörigen der französischen ethnischen Gemeinschaft. Neben dieser „klassischen" Form der Herausbildung der Nation unterscheidet Semenov aber, offenbar mit Rücksicht auf die historische Entwicklung der Nationen auf dem Territorium der Sowjetunion sowie der ehemaligen Kolonialländer, auch noch eine andere Form der Konstituierung der Nation, „die sich im Prozeß des Kampfes um die Befreiung von fremdem Joch vollzieht". Da ja nach seiner Auffassung Nationen vor allem politische Größen sind, mußte das Vorhandensein verschiedener ethnischer Gruppen in einem Lande an sich noch keineswegs zur Bildung mehrerer Nationen führen, wie man dies am Beispiel der Schweiz unschwer erkennen könne. Die Möglichkeit zur Entstehung mehrerer Nationen aber wird von dem Augenblick an zur Wirklichkeit, in dem eine ethnische Gruppe diskriminiert und unterdrückt wird und in dem sich daraufhin eine Nation als eine Kraft konB stituiert, „die gegen die nationale Unterdrükkung und für die Schaffung eines eigenen unabhängigen Vaterlandes kämpft". In diese Kategorie ordnet er etwa auch die Bewegung des polnischen Volkes ein, die noch dadurch besonders kompliziert worden sei, daß die Polen zu dieser Zeit ja nicht nur zu einem, sondern zu drei selbständigen sozialen Organismen gehört hätten.

In wiederum besonderer Weise vollzieht sich in den Augen Semenovs die Entwicklung in Afrika südlich der Sahara. Hier hätten die Kolonialherren zwar vom ethnischen Standpunkt aus völlig unsinnige Grenzen gezogen, doch hätten diese Grenzen heute hervorragende Bedeutung erlangt. Denn im Bereich aller sich innerhalb dieser Grenzen formierenden sozialen Organismen sei es schließlich zu einer politischen Bewegung gekommen, die diesen Organismus als ihr Vaterland betrachtet und nach seiner Befreiung gestrebt habe, wobei nicht die ethnische Zugehörigkeit, sondern die Zugehörigkeit zur „Stammbevölkerung" des jeweiligen Gebiets das wichtigste Kriterium gewesen sei: „Als Ergebnis entstanden Nationen, die aus Menschen bestehen, die den allerverschiedensten ethnischen Gemeinschaften angehören. Ihre Zukunft hängt davon ab, inwieweit die Rechtsgleichheit der, Angehörigen der verschiedenen ethnischen Gemeinschaften auf die Dauer gesichert wird. Wenn sich die Praxis einer Diskriminierung auf ethnischer Grundlage entwickeln wird, wird das innerhalb des sozialen Organismus unausweichlich die Bildung mehrerer Nationen auf ethnischer Grundlage zur Folge haben."

In diesem Zusammenhang weist Semenov schließlich noch auf solche ethnischen Gemeinschaften hin, die in anderen ethnischen Gemeinschaften verstreut leben, wie etwa die Juden außerhalb Israels, die Semenov aber nicht ausdrücklich erwähnt. Insofern Angehörige solcher ethnischen Gemeinschaften diskriminiert und unterdrückt werden, formieren sie sich auf der Grundlage ethnischer Zugehörigkeit zum Widerstand. Dennoch sind sie nach Meinung Semenovs keine Nation im eigentlichen Sinne, da sie nicht nach der Bildung eines selbständigen sozialen Organismus streben und auf Grund ihrer Zerstreutheit auch nicht streben können. Ihr Kampf hat also nicht ein eigenes Vaterland, sondern die Rechtsgleichheit mit den übrigen Angehörigen des existierenden sozialen Organismus zum Ziel. Als Beispiel für eine solche Bewegung nennt Semenov die Bewegung der Neger in den USA. Zwar wäre es zu einer Zeit, als die Masse der Neger noch im Süden der USA lebte, nicht ausgeschlossen gewesen, daß sie eine eigene und von der amerikanischen Nation verschiedene Nation gebildet hätten, doch sei eine solche Möglichkeit heute, da die Neger über das ganze Land verstreut leben, nicht mehr denkbar: „Die amerikanischen Neger haben kein anderes Vaterland als die USA, und in diesem Sinne muß man von ihnen als von einem Teil der amerikanischen Nation sprechen." Solange sie aber diskriminiert würden, bildeten sie eine Bewegung, die ihre eigenen Interessen hat, die sich von den Interessen der übrigen amerikanischen Nation unterschieden. Immerhin schließt Semenov seine Ausführungen zur Negerfrage in den USA mit der bemerkenswerten Feststellung, daß die Neger nur um Rechtsgleichheit und endgültige Aufnahme in die amerikanische Nation kämpfen und nicht den Wunsch haben, in Zukunft eine besondere politische Kraft, bzw. eine besondere ethnische Gemeinschaft zu bilden.

Die Bilanz der Untersuchung Semenovs ist sicher besser als die Definitionsversuche der Diskussionsteilnehmer in „Voprosy istorii" dazu geeignet, den Realitäten der Gegenwart — und nicht nur der Gegenwart — gerecht zu werden: „Zieht man Bilanz, dann kann man sagen, daß die Nation immer eine politische Kraft besonderer Art ist, die sich im Kampf um die Umgestaltung eines bestehenden oder die Schaffung eines neuen sozialen Organismus formiert, wobei dieser Kampf als Kampf für die Interessen des Vaterlands oder für die Befreiung des Vaterlands von fremder Unterdrückung begriffen wird. Im weiteren erweist sich die Nation als eine politische Kraft, die die Interessen eines bestimmten sozialen Organismus vertritt, die sie als ihre eigenen, als die Interessen des Vaterlands versteht. Der soziale Organismus ist immer eng mit einem bestimmten Territorium verbunden und kann ohne dieses nicht existieren. Deshalb setzt die Existenz der Nation die Existenz des Territoriums voraus, das sie für ihr eigenes hält, das sie für ihr von anderen nationalen Vaterländern deutlich unterschiedenes Vaterland hält."

Dieser Versuch Semenovs zur Beschreibung des Phänomens Nation unterscheidet sich von allen früheren Definitionsversuchen besonders durch seine aus der Geschichte der Nation gewonnene Anerkennung des Staates — denn „sozialer Organismus" bedeutet ja zumindest hinsichtlich der Neueren Geschichte nichts anderes als Staat — als des entscheidenden formenden Elements und Merkmals der Nation. Zum anderen sucht Semenov mit seiner Beschreibung möglichst vielen Erscheinungsformen des Phänomens Nation gerecht zu werden, wodurch sein „Nationsbegriff" eine Flexibilität erhält, die auch den Führern der sowjetischen Politik auf die Dauer wünschenswert erscheinen mag. Der bisherige sowjetische Nationsbegriff (und seine in der Diskussion aufgetauchten modifizierten Versionen) erlaubt es beispielsweise nicht, die Bewohner zahlreicher afrikanischer Staaten als Nation zu bezeichnen, ja er hätte in diesen Gebieten, würde er von den Sowjets konsequent propagiert und von den afrikanischen Führern beherzigt, zu einem vollständigen Chaos führen müssen.

Im Gegensatz dazu erlaubt es die Formulierung Semenovs durchaus, hier von Nationen zu sprechen und damit den konservativen Zug der sowjetischen Politik in diesem Gebiet, die hier ganz deutlich an der Erhaltung der bestehenden Staatsgrenzen interessiert ist, zu rechtfertigen. Dieser Vorteil auf außenpolitischem Gebiet würde allerdings möglicherweise im innenpolitischen Bereich dadurch aufgehoben, daß eine solch starke Betonung des Faktors Nationalstaat der politischen Führung angesichts der innersowjetischen Verhältnisse kaum recht sein kann. Aber abgesehen von allen möglichen politischen Konsequenzen verdient Semenovs Aufsatz schon deshalb besondere Beachtung, weil er von den bisherigen Schemata am weitesten wegführt und für die Diskussion wichtige Anregungen gegeben hat.

Auf die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen einigermaßen adäquater Wiedergabe der Wirklichkeit und dem für den Marxismus typischen Streben nach genereller Begriffsbildung darf man gespannt sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl.den deutschen Text bei Boris Meissner, Das Parteiprogramm der KPdSU 1903— 1961, Köln 1962, S. 223.

  2. Vgl. u. a. P. G. Semenov, Das Programm der KPdSU über die Entwicklung der sowjetischen nationalstaatlichen Beziehungen (russ.), in: Sovetskoe gosudarstvo i pravo, Nr. 12, 1961, S. 15— 25; M. S. Dzunusov, Zur Charakteristik des Prozesses der Annäherung der sowjetischen Nationen im Verlauf des Aufbaus des Sozialismus und des Kommunismus (russ.), in: Istorija SSSR, Nr. 3, 1962, S. 26— 47; G. Pavlov, Blüte und Annäherung der sozialistischen Nationen (russ.), in: Kommunist, Nr. 18, 1962, S. 40— 50; E. V. Tadevosjan, Die weitere Annäherung der sozialistischen Nationen in der UdSSR (russ.), in: Voprosy filosofii, Nr. 6, 1963, S. 3— 12; V. S. Lukosko, Die Annäherung der sozialistischen Nationen in der Periode des umfassenden Aufbaus des Kommunismus (russ.), Moskau 1963.

  3. E. M. Zukov, Der XXII. Kongreß der KPdSU und die Aufgaben der sowjetischen Historiker (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 12, 1961, S. 8— 9.

  4. In diesen Zusammenhang gehört auch die sowjetische Föderalismus-Diskussion. Vgl. dazu Grey Hodnett, The Debate over Soviet Federalism, in: Soviet Studies, Bd. XVIII, Nr. 4, 1967, S. 458— 481.

  5. Redaktionelle Vorbemerkung zum Aufsatz von P. M. Rogacev und M. A. Sverdlin, über den Begriff „Nation" (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 1, 1966, S. 33.

  6. Vgl.den Bericht von R. F. Vinokurova, Beratung über den Aufsatz von P. M. Rogacev und M. A. Sverdlin „über den Begriff . Nation'" (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 2, 1966, S. 171.

  7. I. Stalin, Nacional'nyj vopros i social-demokratija, in: Prosvescenie, Nr. 3, 1913, S. 54. Hier zitiert nach T. Burmistrova, Einige Fragen der Nationstheorie (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 12, 1966, S. 102. Es ist interessant, daß Stalin diese Definition beim Wiederabdruck seiner Schrift in seinen Gesammelten Werken 1946 leicht veränderte: „Die Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, die auf der Basis der Gemeinsamkeit der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinsamkeit der Kultur offenbarenden psychischen Eigenart entstanden ist". I. Stalin, Socinenija, Bd. 2, S. 296.

  8. P. M. Rogacev und M. A. Sverdlin, über den Begriff „Nation" (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 1, 1966, S. 33— 48.

  9. Ebd. S. 34. Vgl. dazu auch E. A. Bagramov, Die nationale Frage und die bürgerliche Ideologie (russ.), Moskau 1966.

  10. E. A. Bagramov, a. a. O., S. 273.

  11. Vgl. R. F. Vinokurova, a. a. O., S. 169.

  12. Rogacev und Sverdlin, a. a. O., S. 37.

  13. Ebd. S. 45. In einer inzwischen erschienenen umfangreicheren Untersuchung zu diesem Thema haben die beiden Autoren „nach weiterer Arbeit an diesem Problem" eine etwas kürzere Formulierung vorgeschlagen: „Die Nation ist eine große Gruppe von Menschen, die durch eine stabile Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Lebens (bei Existenz einer Arbeiterklasse), des Territoriums, der Literatursprache, des Bewußtseins der ethnischen Zugehörigkeit und von Besonderheiten der Psychologie und der progressiven Traditionen charakterisiert wird." P. M. Rogacev und M. A. Sverdlin, Nationen —-Volk — Menschheit (russ.), Moskau 1967, S. 12.

  14. Vgl. etwa M. Kammari, Genosse Stalin über bürgerliche und sozialistische Nationen (russ.), in: Bol'sevik, Nr. 16, 1949, S. 27— 39

  15. Vgl. dazu die ausführliche Untersuchung von Aleksander Jurcenko, Das Problem der Entwicklung der Nationen in der Zeit des „Aufbaus des Kommunismus" in der UdSSR, in: Sowjetstudien, Nr. 9, 1960, S. 43— 74.

  16. Vgl. dazu W. Koslow, Bürgerliche Nationen und sozialistische Nationen, Moskau 1954, 54 S.

  17. Rogacev und Sverdlin, a. a. O., S. 45.

  18. Vgl. dazu auch ihren Leserbrief: über den Begriff „Bürgerliche Nation" (russ.), in: Voprosy filosofii, Nr. 10, 1964, S. 179— 180.

  19. Rogacev und Sverdlin, a. a. O., S. 48.

  20. Vgl. dazu u. a. die Zusammenfassung der 1964/65 in Voprosy istorii KPSS geführten Diskussion: Einige Schlußfolgerungen aus der Diskussion von Fragen des nichtkapitalistischen Entwicklungsweges (russ.), in: Voprosy istorii KPSS, Nr. 6, 1965, S. 54— 64.

  21. Vgl. M. S. Dzunusov, Die Nation als sozial-ethnische Gemeinschaft von Menschen (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 4, 1966, S. 20, und I. P. Camerjan, Aktuelle Fragen der marxistisch-leninistischen Nationstheorie (russ.)., eod., Nr. 6, 1967, S. 107 bis 115.

  22. Vgl. dazu N. A. Tavakaljan, Einige Fragen des Begriffs „Nation" (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 2, 1967, S. 117, und den Leserbrief von F. I. Verevkin in Voprosy istorii, Nr. 12, 1966, S. 113.

  23. Dzunusov, a. a. O., S. 18; F. I. Verevkin, a. a. O., S. 113.

  24. Camerjan, a. a. O., S. 111.

  25. Kaltachcjan bedient sich in diesem Fall selbst der Formulierung Stalins, nicht der Rogacevs und Sverdlins. Vgl.seinen Aufsatz: Zur Frage des Begriffs „Nation" (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 6, 1966, S. 33.

  26. A. I. Gorjaceva, Ist die psychische Eigenart ein Kennzeichen der Nation? (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 8, 1967, S. 91 — 104; hier S. 92, 100, 104.

  27. M. S, Dzunusov, a. a. O., S. 21.

  28. L. P. Lasuk, über die Formen vornationaler ethnischer Verbindungen (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 4, 1967, S. 77— 92.

  29. Vgl. etwa I. P. Camerjan, Stamm, Völkerschaft, Nation als historische Formen der Gemeinschaft von Menschen (russ.), Moskau 1963, 55 S. Neuerdings hat S. A. Tokarev den Versuch gemacht, dieses Schema durch Einführung des Begriffes „Demos" als für die Sklavenhaltergesellschaft typische ethnische Gemeinschaft von Menschen flexibler zu gestalten. Vgl.seinen Aufsatz: Das Problem der Typen von ethnischen Gemeinschaften (russ.), in: Voprosy filosofii, Nr. 11, 1964, S. 43— 53. Auf S. 53 bringt er eine interessante graphische Darstellung zu diesem Thema.

  30. A. G. Agaev, Die Völkerschaft als soziale Gemeinschaft (russ.), in: Voprosy filosofii, Nr. 11, 1965, S. 26— 36, hier bes. S. 31— 36.

  31. M. S. Dzunusov, S. 27.

  32. A. G. Agaev, Die Nation, ihr Wesen und Selbstbewußtsein (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 7, 1967, S. 87— 104; hier S. 92.

  33. Rogacev und Sverdlin, a. a. O., S. 37.

  34. P. G. Semenov, Nation und nationale Staatlichkeit in der UdSSR (russ.), in Voprosy istorii, Nr. 7, 1966, S. 72— 81, hier S. 72.

  35. Ebd. S. 81.

  36. M. O. Mnacakanjan, Nacija i nacional’naja gosudarstvennost', in: Voprosy istorii, Nr. 9, 1966, S. 27— 36, hier S. 33. Mnacakanjan verweist in diesem Zusammenhang auf folgende Arbeiten Semenovs: Programma KPSS o razvitii nacional'no gosudarstvennych otnosenij, a. a. O., S. 23— 25, und: Die staatsrechtlichen Formen der Lösung der nationalen Frage in der UdSSR in den Werken Lenins (russ.), in: Voprosy gosudarstva i prava v trudach V. I. Lenina. Sbornik, Dusanbe 1963, S. 89, 94, 96.

  37. Vgl. V. I. Lenin, Detskaja bolezn’ „levizny" v kommunizme, in: ders., Polnoe sobranie socinenij, Bd. 41, S. 77.

  38. Vgl. die deutsche Übersetzung des Parteiprogramms von 1961 in: Boris Meissner, Das Parteiprogramm der KPdSU 1903— 1961, Köln 1962, S. 223.

  39. V. I. Kozlov, Einige Probleme der Nationstheorie (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 1, 1967, S. 88— 99.

  40. Ebd., S. 94; vgl. auch seinen Aufsatz: über die Erarbeitung der theoretischen Grundlagen der nationalen Frage (russ.), in: Narody Azii i Afriki, Nr. 4, 1967, S. 75— 85.

  41. Ebd. S. 99; die große Bedeutung staatlich-politischer Faktoren neben dem ethnischen, ökonomischen und sprachlichen Faktor hat Kozlov auch in dem von ihm und G. B. Starusenko verfaßten Artikel zum Stichwort „Nation" in der Sowjetischen Historischen Enzyklopädie besonders unterstrichen. Vgl. Nacija, in; Sovetskaja Istoriceskaja Enciklopedija, Bd. 10, Moskau 1967, S. 78— 79.

  42. B. V. Andrianov, Probleme der Bildung von Völkerschaften und Nationen in den Ländern Afrikas (russ.), in: Voprosy istorii, Nr. 9, 1967, S. 101 bis 114; hier S. 110.

  43. Ein Bericht über die polnische Diskussion, deren Protokoll in der polnischen Zeitschrift „Z pola walki", Nr. 3, 1966, S. 45— 142 abgedruckt war, findet sich in Voprosy istorii, Nr. 5, 1967, S. 187 bis 193 (Verfasser: S. T. Kaltachcjan und Z. M. Cholonina).

  44. Vgl. Anmerkung 2; im Verlauf der Diskussion in „Voprosy istorii" ist bisher nur ein der Zukunft der Nation gewidmeter Aufsatz erschienen: N. P. Anancenko, Von der Nation zur internationalen Gemeinschaft von Menschen (russ), in: Voprosy istorii, Nr. 3, 1967, S. 82— 96.

  45. Vgl. die deutsche Übersetzung von Boris Meissner, a. a. O., S. 223.

  46. Vgl. dazu u. a. 1. im Rahmen der Diskussion in „Voprosy istorii" S. T. Kaltachcjan, a. a. O., S. 43, und M. S. Dzunusov, a. a. O., S. 27; 2. unter den in Anin. 2 zitierten Arbeiten: G. Pavlov, E. V. Tadevosjan und V. S. Lukosko; 3. folgende weitere Untersuchungen: A. M. Egiazarjan, Uber die Grundtendenzen der Entwicklung der sozialistischen Nationen der UdSSR (russ.), Erevan 1965, S. 46— 50; G. Zimanas, Internationales und Nationales im Leben der Völker (russ.), in: Kommunist, Nr. 6, 1965, S. 52— 60; A. I. Cholmogorov, Der XXIII. Parteikongreß über die Entwicklung der nationalen Beziehungen in der UdSSR (russ.), in: Vestnik Moskovskogo Universiteta, Nr. 3, 1966, S. 3— 15; G. O. Zimanas, über das Wesen des Annäherungsprozesses der sozialistischen Nationen (russ.), in: Voprosy filosofii, Nr. 7, 1966, S. 3— 12.

  47. Vgl. die deutsche Übersetzung bei Boris Meissner, a. a. O., S. 223.

  48. N. A. Tavakaljan, a. a. O., S. 123.

  49. M. O. Mnacakanjan, a. a. O., S. 36.

  50. B. V. Andrianov, a. a. O., S. 109.

  51. Ju. I. Semenov, Zur Definition des Begriffs „Nation" (russ.), in: Narody Azii i Afriki, Nr. 4, 1967, S. 86— 102; hier S. 86— 89.

  52. Vgl. etwa A. G. Agaev, a. a. O., S. 100.

  53. Ju. I. Semenov, a. a. O., S. 91— 92.

  54. Ebd., S. 101.

Weitere Inhalte

Erwin Oberländer, Dr. phil., Mitarbeiter am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln, geb. 1937 in Königsberg. Veröffentlichungen: Tolstoj und die revolutionäre Bewegung, München 1965; Sowjetpatriotismus und Geschichte. Dokumentation, Köln 1967; Herausgeber (zusammen mit Frits Kool, Amsterdam) von „Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur", Bd. II der Reihe „Dokumente der Weltrevolution", Olten 1967; Mitverfasser des Sammelwerks „Internationaler Faschismus 1920— 1945", München 1966.