Die NPD legt Wert auf das Wort „demokratisch" in ihrem Parteinamen. Verschiedentlich haben ihre Führer ein Bekenntnis zum Grundgesetz abgelegt. Ja, gelegentlich gerieren sich die Nationaldemokraten sogar als die wahren Hüter der Verfassung: „Demgegenüber verteidigt in Wirklichkeit gerade die NPD gegenüber dem Herrschaftsanspruch der schon seit Beginn der Bundesrepublik bestehenden Parteien das demokratische Mitspracherecht auch der politischen Minderheiten und die Einhaltung des Grundgesetzes .... Die Behauptung, die NPD gefährde die .freiheitliche Grundordnung', bedeutet also eine genaue Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse . .."
Wichtiger als ein formelles Bekenntnis zum Grundgesetz (denn auch Adolf Hitler hat ein Bekenntnis zur Legalität abgelegt und einen Eid auf die Weimarer Verfassung geschworen) sind jedoch die ideologischen Leitbilder, an denen sich die Reden der NPD-Führer, das auf dem 3. Parteitag der NPD im November 1967 in Hannover verabschiedete Parteiprogramm, das vorausgegangene „Manifest" und die „Grundsätze", die Parteizeitung „Deutsche Nachricht
Sicherlich werden manche die Auffassung vertreten, die Aussagen der NPD seien zu vage, als daß man von einer Ideologie sprechen könne. Es wird hierbei übersehen, daß das Fehlen eines rationalen Kerns, der Mangel an Geschlossenheit, die Unbestimmtheit und der Eklektizismus symptomatisch iür eine rechtsradikale Ideologie sind. So hat Peter Furth in seiner Untersuchung über die Ideologie der 1952 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP) bemerkt: „Ansonsten aber bedeutet Ideologie hier nichts weiter als die Gesamtheit der Stereotypen, welche den aktualitätsbezogenen, wechselnden Phrasierungen der Propaganda unterlegt sind und als Konstanten für deren Kontinuität sorgen." 2)
Am Begriff der Ideologie hält auch Hans-Helmuth Knütter in seiner paradigmatischen Arbeit über die „Ideologien des Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland" 3) fest.
Die Grenzen zwischen Ideologie und Propaganda sind bei einer rechtsradikalen Partei fließend. Dennoch gilt auch für die NPD, was Peter Furth von der SRP geschrieben hat: „Wollte man dem Substanz-und Funktionswandel der Ideologie, wie er sich im Rechtsradikalismus vollzieht, Rechnung tragen, indem man nur mehr von Propaganda anstatt von Ideologie spräche, würde man wohl dem willkürlichen, manipulativen Zweck des rechtsradikalen Gedankengutes gerecht, verfehlte aber seine . objektiven', der Manipulation vor-geordneten Züge, diejenigen Momente an ihm, die sich im Laufe der Zeit verfestigt und der Manipulation gegenüber verselbständigt haben, als seien sie Momente objektiven Geistes."
Wenn auch in der vorliegenden Untersuchung keine genauen Markierungen zwischen Ideologie und Propaganda vorgenommen werden können, so empfiehlt es sich doch, von ihrem Gegensatz oder Anderssein als einem nützlichen und notwendigen Denkmodell auszugehen.
Es lassen sich folgende ideologischen Komponenten der NPD feststellen:
I. Fremdenhaß und Geopolitik
Der emotionale Nationalismus der NPD erschöpft sich im wesentlichen in der Negation des Fremden oder als fremd Empfundenen. Wie in dem vorausgegangenen „Manifest" und den „Grundsätzen", so ist auch im jüngst verabschiedeten Programm der häufige Gebrauch des Attributes „fremd" bzw.der Substantivierungen „Verfremdung" oder „Überfremdung" auffallend. Mit dem lapidaren Satz „Fremde Gewalt lastet auf dem geteilten Deutschland im geteilten Europa" beginnt das Programm. In dem ersten Kapitel „Grundlagen nationaldemokratischer Politik" taucht „fremd“ bzw. „Verfremdung" oder „Fremdherrschaft" gleich zwölfmal auf. Hiermit wird ein dumpfer Fremdenhaß geweckt und die Vorstellung von einer internationalen Verschwörung gegen Deutschland bzw.der Gedanke, Deutschland sei von einer Welt von Feinden umgeben, suggeriert.
Dieser Fremdenhaß wird sehr oft gegenüber Gastarbeitern, die dazu ausersehen sind, die Rolle von out groups in der Gesellschaft zu übernehmen, aktiviert. Der Fremdenhaß richtet sich aber vor allem gegen den wichtigsten Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland und die stärkste Schutzmacht in ihrer Enklave West-Berlin, gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.
Der frühere US-Präsident Roosevelt wird als der eigentlich Schuldige am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges denunziert
Die Amerikaner sind der NPD zufolge für die Lösung der deutschen Frage nicht notwendig und nicht kompetent, ja, es hat sogar den Anschein, als könne die Einheit Deutschlands nur ohne die USA oder gar nur gegen sie erzielt werden: „Die Überwindung der deutschen und europäischen Teilung wird nur erreicht, wenn in Europa ein Raum vorhanden ist, in dem eine deutsche Einheit überhaupt möglich ist. Alle deutsche Politik muß daher von dem Bestreben gelenkt sein, einen solchen Raum entstehen zu lassen. Zur Erringung der staatlichen Einheit Deutschlands ist es daher erforderlich, mit unseren europäischen Nachbarn die endliche Freigabe des europäischen Raumes von jenen Mächten anzustreben, die es heute in Verfolg ihrer Politik von Jalta und Potsdam besetzt und damit geteilt halten."
Eine Antwort darauf, wie gemeinsam mit den Nachbarn Deutschlands die deutsche Einheit erreicht werden kann, wenn gemäß dem Programm der „Anspruch auf das Sudetenland . . . durch niemand, keine Regierung und keine Partei aufgegeben werden" darf, bleibt die NPD allerdings schuldig.
Die Ablehnung der NATO durch die NPD entspricht nicht dem Wunsch nach Ost-West-Entspannung, auch nicht in erster Linie der Sorge um die Einheit Deutschlands. Diese Gegnerschaft resultiert einmal aus dem nationalistischen Aufbegehren gegen jede Form politischer und militärischer Integration und zum anderen dem pathologischen Anti-Ameri-kanismus: „Der Soldat muß wissen, für welche Werte er sich einsetzt und daß ihm niemand zumutet, als Söldner fremder Interessen zu dienen."
So stand es noch in den „Grundsätzen", die dem Parteiprogramm vorausgegangen waren. Im neuen Programm der NPD ist nicht mehr von Söldnern die Rede. Aber unausgesprochen geistert dieses Wort aus der NSDAP-Propaganda in mehreren Passagen des NPD-Programms: „Nationale Wehrpolitik ist auf das Ziel der Ablösung der Truppen fremder Kontinente auszurichten ..."
Immer wieder zielt die Stoßrichtung gegen die atlantische Solidarität: „Der Oberbefehl über deutsche Soldaten muß in deutscher Hand liegen. Die Bildung eines deutschen Generalstabs ist erforderlich."
Bei der Polemik gegen die Amerikaner spielt der geopolitische Aspekt eine bestimmende Rolle. Die Geopolitik orientiert sich einseitig an Begriffen wie „Raum" bzw. „Lebensraum" und „Boden". Im Gegensatz zur politischen Geographie, die die Auswirkungen von Politik und Staat auf Erdräume und Landschaften erfaßt, versucht die Geopolitik der Politik geographisch fundierte Richtlinien zu geben. Dies führte unter dem Nationalsozialismus (Schlagwort vom „Volk ohne Raum" nach dem gleichnamigen Roman von Hans Grimm) zu dem Versuch, ein Programm deutscher Expansionspolitik zu begründen, in dem im Sinne des Gesetzes vom „Lebensraum" ein deutsches Großmachtstreben postuliert wurde. Die rechtsradikale SRP pflegte nach 1945 geopolitische Gedankengänge und verwandte geopolitische Schlagworte. Im „Rundschreiben Nr. 5" des SRP-Landesverbandes von Nordrhein-Westfalen wurde etwa gegen den Einfluß „raumfremder Kräfte" polemisiert. Daran knüpfte die NPD fast wörtlich in ihrem „Manifest" an, in dem esheißt: „Raumfremde Mächte entmündigen die Völker Europas und halten gemeinsam dieTeilung Deutschlands und Europas um ihrer eigenen politischen Ziele willen aufrecht."
Auch im neuen Programm der NPD wimmelt es von geopolitischen — vorwiegend gegen die USA gerichteten — Schlagworten: „Zur Erringung der staatlichen Einheit Deutschlands ist es erforderlich, gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn endlich die Freigabe des europäischen Raumes von fremden Mächten anzustreben, die diesen seit Jalta und Potsdam noch immer besetzt und damit geteilt halten . . 12a)
Im „Politischen Lexikon" der NPD wird das „Volk" unter geopolitischen Gesichtspunkten gesehen: „V. bedeutet zunächst die aus einem oder mehreren Stämmen erwachsene, von gemeinsamer Geschichte und gemeinsamem Lebensraum geprägte Kultur-und Lebensgemeinschaft . . .".
Für das Phänomen des Imperialismus gibt das NPD-Lexikon folgende psychologische Erklärung: „Psychologisch gesehen ist I. Ausdruck eines der Urantriebe alles Lebendigen, nämlich der Entfaltung und Behauptung im Raume.“
II. ökonomischer Nationalismus und Agrarromantik
Der Nationalismus der NPD entzündet sich insbesondere an ökonomischen Fragen. Die pauschale Propaganda gegen ausländische Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland kulminiert in grotesken Behauptungen wie: „Deutsche als Arbeiter, Angestellte und Verbraucher — Amerikaner als großverdienende Unternehmer. Das ist die Kehrseite des sogenannten Wirtschaftswunders."
Daß die NPD-Wirtschaftskonzeption an Autarkie-Vorstellungen des Dritten Reiches anknüpft, zeigen besonders deutlich die „Thesen und Forderungen" des Programms zur Landwirtschaftspolitik: „Ohne eine gesunde Landwirtschaft ist unser Volk ein Spielball der Politik fremder Mächte und Interessen."
Die Landwirtschaftskonzeption der NPD — die am meisten dem deutschen Bauern schadet, dem klarer Wein über die wachsende Industrialisierung und Verstädterung und die damit korrespondierende Strukturänderung der Landwirtschaft eingeschenkt werden muß — wird durch meta-ökonomische, agrarromantische Gedanken unterstrichen: „. . .der landwirtschaftlich tätige Bevölkerungsteil stellt aufgrund seines täglichen Umgangs mit dem natürlichen Wachstum, aufgrund seiner hegenden, pflegenden Haltung und seiner Bindung an den ererbten Besitz stetst ein konservatives Element dar, allem Umstürzlerischen abgeneigt. Ohne ein solches beherrschendes Element gerät ein Volk in Gefahr, allzu leicht dem Fortschrittswahn zu verfallen und um jeden Preis, auch den der eigenen Existenz, dem jeweils , Neuen'nachzujagen."
Die Privilegierung der Landwirtschaft und die wirtschaftliche Autarkie wird von der NPD deswegen gefordert, weil sie Deutschland von einer Welt von Feinden umgeben sieht und weil sie Landwirtschaft, Wirtschaft und darüber hinaus das ganze staatliche und gesellschaftliche Leben einseitig auf die Erfordernisse eines Krieges ausrichten will: „Die Vorstellung, ein Volk könne ausschließlich oder vorwiegend mit importierten Lebensmitteln ernährt werden und bedürfe einer eigenen Landwirtschaft nicht unbedingt, ist schon deswegen unrealistisch, weil sie einen ewigen Frieden voraussetzt und den eigenen Friedenswillen auch den Nachbarstaaten unterstellt. Kommt es dennoch zu einem Konflikt — und mit dieser Möglichkeit hat der Politiker zu rechnen, wie es ja auch im militärischen Bereich geschieht —, kann sich jederzeit eine Blockade, wie die im Ersten Weltkrieg und danach die durch England verhängte wiederholen, die trotz eigener Landwirtschaft den Hungertod von Tausenden zur Folge hatte. Ohne eigene oder mit verkümmerter eigener Landwirtschaft würde eine ähnliche Blockade die sofortige Kapitulation erzwingen. Eine Landwirtschaft, die im Konfliktsfall leistungsfähig sein soll, muß auch im Frieden ni’cht nur erhalten, sondern gefördert werden."
III. Rassismus und Antisemitismus
Bei der NPD-Polemik gegen Entwicklungshilfe überschlägt sich der Nationalismus zum Rassismus. In den „Musterreden" der Partei heißt es: „Der Freiheit der jungen Negerstaaten in Afrika werden lange Sende-Zeiten gewidmet, obwohl diese Farbigen kein Volks-, sondern höchstens ein Stammesbewußtsein haben und ihre politische Freiheit im allgemeinen nur dazu benutzen, um sich gegenseitig umzubringen . . .. Mindestens genauso problematisch ist die Entwicklungshilfe, die wir an afrikanische Länder geben. Die ständige Prozession afrikanischer Staatsmänner in die Bundesrepublik wirkt allmählich grotesk. Sie besuchen Westdeutschland, vergießen an der Berliner Mauer einige Tränen, und je mehr sie dort heulen, um so höher sind dann die Schecks, die sie in Bonn kassieren."
Ebenso ist die Propaganda gegen die Gastarbeiter häufig mit rassistischen Akzenten versehen. Der NPD-Vorsitzende Adolf v. Thadden erklärte auf einer Versammlung seiner Partei am 14. Dezember 1966 in Bad Godesberg: „Man ist auch kein Rassist, wenn man die Tatsache respektiert, daß Gott verschiedene Rassen schuf, damit sie auf dieser Welt nebeneinander, miteinander leben und nicht durcheinander leben sollen. Und wenn mich das englische Fernsehen fragte, was wir von der Aufnahme von Negern nach Deutschland hielten, so kann ich darauf nur antworten, daß es Sache der Engländer ist, wie viele Neger und Inder sie auf ihre Insel lassen wollen. Ich bin der Auffassung, daß die Weißen sich neben den Gebieten, die sie auf der südlichen Halbkugel besiedelten und erschlossen, auf die nördliche Halbkugel beschränken und die anderen auf ihre Erdteile gehören."
Während Thadden anscheinend die Rassendiskriminierung auf Deutschland beschränken und Großbritannien das Recht auf eine liberale Einwanderungspolitik zubilligen will, wird hingegen vom NPD-Lexikon Großbritannien wegen seiner Einwanderungspolitik ausdrücklich gescholten: „Die Haltung der Wilson-Regierung . . . liegt hier“ — in der Rhodesienfrage — „ganz auf der gleichen Linie wie in der Frage der Masseneinwanderung von Farbigen nach G., die von der Mehrheit der Engländer . .. durchaus abgelehnt wird und schließlich zur Zerstörung des britischen Volkscharakters führen muß. Man schätzt, daß heute bereits eine Million Farbiger ... als gleichberechtigte Commonwealth-Bürger ... in G. ansässig geworden sind. Damit bahnt sich für England und Europa eine in ihren vollen geschichtlichen Auswirkungen, vor allem auch im Hinblick auf einen früher oder später erfolgenden EWG-Beitritt G's, noch gar nicht übersehbare Entwicklung an."
Eine Schelte durch das NPD-Lexikon erfährt auch Frankreich. Hierbei wird der Gegensatz zwischen dem liberal-humanistischen Nationalismus, der keine Unterschiede der Rasse und der Hautfarbe kennt, und dem Rassismus-Biologismus nationalsozialistischer Provenienz deutlich herausgearbeitet: „Andrerseits aber ignoriert der Französische Staatsnationalismus de Gaulles die biologischen Voraussetzungen einer Nation und fördert z. B. die farbige Masseneinwanderung nach F. offensichtlich mit dem Ziel einer quantitativen Stärkung des Staatsvolkes."
Es nimmt deshalb nicht wunder, daß die NPD ausdrücklich die Apartheid-Politik der südafrikanischen Regierung billigt: „Die Politik der A. geht von der Auffassung aus, daß verschiedenen Rassen auch eine verschiedene Auffassung von Recht, Sittlichkeit, Pflicht, Verantwortung, vor allem ein verschiedenes Maß an Selbstbeherrschung als Grundlage der Kulturfähigkeit eigen ist, daß diese Verschiedenheiten erbbedingt sind und daher durch Erziehungsmaßnahmen nur in sehr beschränktem Umfang überbrückt werden können. Aus solchen Einsichten und langjährigen Erfahrungen wird die Notwendigkeit getrennter Lebensgemeinschaften und Regierungssysteme für den farbigen und den weißen Bevölkerungsteil gefolgert. Eine Vermischung unter verschiedenen Hautfarben wird aus der biologischen Erkenntnis von der begabungsmäßigen und charakterlichen Benachteiligung der Mischlinge und aus jahrhundertelangen entsprechenden Erfahrungen abgelehnt und unter Strafe gesellt....
Die weltweiten Angriffe auf die südafrikanische Regierung und ihre Politik der A., in denen der Sowjetblock, die USA-Presse und die an der Bandung-Konferenz beteiligten Staaten übereinstimmen, richten sich vor allem gegen den Gedanken der Erbverschiedenheit der Rassen .. . Teils wird der Mensch als Geistwesen als außerhalb der Natur und damit außerhalb der biologischen Erbgesetze stehend angesehen, teils als Produkt der Umweltverhältnisse .. . u
Mit ihrer Propagierung des Negerhasses knüpft die NPD einmal an die Tradition der NSDAP mit ihren Gedanken vom „Untermenschen" und der „minderwertigen Rasse" an, zum anderen an die Sozialistische Reichspartei, die die „weiße Rasse" als Verteidigungseinheit gegen die „farbige Weltrevolution" auffaßte
Gegen eine mögliche politische Integration Europas wird folgender rassistisch-biologistischer Gedanke angeführt: „Geht man von den Völkern und Rassen als den biologischen Gegebenheiten aus, so muß man eine totale politische Integration auch für den europäischen Raum verneinen."
Es ist selbstverständlich, daß ein derartiger Rassismus auch einen militanten Antisemitismus, der nur aus Opportunitätsgründen von den meisten NPD-Führern in öffentlichen Erklärungen verhehlt wird, mit einschließen muß. Die NPD greift sogar das alte Klischee von der jüdischen Weltverschwörung wieder auf und suggeriert die Vorstellung, daß an beiden Polen der Welt — in Ost und West — Juden in leitenden Stellen säßen, die sich zur Erlangung der jüdischen Weltherrschaft am Aufkommen des Bolschewismus und an der Entstehung des Zweiten Weltkrieges schuldig gemacht hätten: „Der A. (ntisemitismus) in der nat. soz. Ara beruhte auf dem Verdacht, daß das russische Judentum sowie jüdische Bankhäuser in Amerika bei der Entstehung des Bolschewismus eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Verstärkt wurde er während des Krieges durch die formale Kriegserklärung Chaim Weizmanns ... an Deutschland, durch die deutschfeindliche, antigermanistische Propaganda in der nordamerikanischen Publizistik, insbesondere jüdischer Organe, wie durch die Aufrufe Ilja Ehrenburgs an die Rote Armee nach Beginn des Rußlandfeldzuges."
Das Judentum mischt sich der NPD zufolge auch heute in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten ein und übt einen Gesinnungsterror aus: „Als Form und auch als Interessenvertretung des Gesamtjudentums wurde 1936 der Jüdische Weltkongreß begründet . . .. Dieser Kongreß scheint seine Aufgabe zuweilen als die einer Art . Gesinnungspolizei'zu verstehen und suchte sich schon mehrfach in innere Angelegenheiten verschiedener Länder, vor allem Deutschlands und Österreichs, einzumischen."
Für die NPD kann ein Jude unmöglich Deutscher sein, mag er auch, wie Heinrich Heine, die Taufe angenommen, sich ausdrücklich als deutscher Dichter bezeichnet, der deutschen Sprache die schönsten Gedichte und Prosa-stücke geschenkt und deutsche Komponisten, wie Robert Schumann und Johannes Brahms, zu ihren schönsten Liedern inspiriert haben: „Heine ist Jude, und da die Lyrik noch mehr als jede andere dichterische Gattung Ausdruck des Nationalcharakters und der Volksseele ist, so kann Heine unmöglich der größte Lyriker nach oder mit Goethe sein."
Hier knüpft Hans Severus Ziegler in seinem Artikel „Schmock in Bayreuth — Aus der Schule von Tucholsky, Sternheim und Genossen" in der ersten Ausgabe der „Deutschen Nachrichten" von 1968 an, wo er gegen die Fernsehreportage von Peter Leonhard Braun über die letzten Bayreuther Festspiele polemisiert. Sein Artikel beginnt mit einer Beschimpfung von Tucholsky, Sternheim, Heine und Börne — ganz im nationalsozialistischen Jargon: „Daß diese . . . Literaten mit ihrem ungehemmten Antigermanismus immer noch Schule machen, dafür hat ein gewisser Peter Leonhard Braun einen von den vielen neuzeitlichen Beweisen geliefert. Seine oben genannten Vorbilder haben sich einst auf ihre geistigen Ahnherren Heine und Börne berufen können, die man als Begründer jenes zersetzenden , Feuilletonismus'bezeichnen kann, in dessen Bereich sich negierende Kritikaster seit mehr als hundert Jahren haben austoben können . . ."
Es wird weiterhin die Vorstellung suggeriert, das deutsche Volk würde systematisch von Juden beleidigt und herabgesetzt. Als Beispiel muß Carl Sternheim, unter den deutschen Bühnenautoren einer der schärfsten Kritiker der wilhelminischen Gesellschaft, herhalten: „Das ist die Tonart, die sich der deutsche Mensch von jeher ohne Protest, mit Toleranz und Lammsgeduld bisher hat gefallen lassen. Man erinnere sich beiläufig an Carl Stern-heims Komödienzyklus . Bürger Schippel', in dem der kleine deutsche Bürger in einer nicht zu beschreibenden Verhöhnung seiner Wesensart herabgesetzt wird. Es ist, glaube ich, vollkommen sachlich, wenn man den Lesern die Frage vorlegt, was wohl geschähe, wenn ein Deutscher als Gast in Tel Aviv eine jüdische Familie in ähnlicher Form karikieren wollte! Eine jederzeit zu belegende Feststellung ist die, daß deutscherseits keinerlei Literatur in die Welt gesetzt worden ist, die jüdische Menschen und Sitten auf diese Weise verspottete . . ."
Gegen das deutsche Volk richte sich „immer die gleiche , Chuzpe'einer gewissen Literatur" — das jiddische Wort „Chuzpe", was etwa Frechheit bedeutet, verleiht dem Artikel einen besonders starken antisemitischen Akzent. Die Freunde der Aufklärung und Gottfried Ephraim Lessings mag es besonders schmerzen, daß Ziegler den Schöpfer des „Nathan" einen „deutschen (Fettdruck im Text) Dichter" nennt und ihn den „Literaten" jüdischer Herkunft wie Börne, Heine und Sternheim gegenüberstellt — so als seien diese Künstler deutscher Sprache keine Deutschen gewesen.
Es liegt auf der Hand, daß der rassistisch-biologistische Nationalismus der NPD dem Geist des Grundgesetzes diametral entgegengesetzt ist. Spricht sich doch das Grundgesetz in Artikel 3 gegen jede Diskriminierung von Rassen, in seiner Präambel für ein vereinigtes Europa, in Art. 24 für ein kollektives Sicherheitssystem und in Art. 25 für den Vorrang des Völkerrechtes vor dem allgemeinen Gesetz aus. Es müßte ernsthaft geprüft werden, inwieweit die nationalistisch-rassistische Agitation der NPD mit Art. 26 des Bonner Grundgesetzes kollidiert: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören ..., sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen."
IV. Biologisch-kollektivistische Begründung des Volkes
Dem gegen Neger und Juden gerichteten Rassismus entspricht die biologisch-kollektivistische Begründung des Volkes. Sie ging am eindeutigsten aus dem Referat von Ernst Anrich — der inzwischen zum Mitglied des Präsidiums der NPD und zum Leiter der Abteilung für Politische Bildung beim NPD-Vorstand avanciert ist — auf dem Karlsruher Parteitag von 1966 hervor. Wie so viele Antidemokraten in der Weimarer Republik überakzentuierte er den Gegensatz von (organischer) Gemeinschalt und (summativer) Gesellschaft — in sinn-entstellender Anknüpfung an das 1887 erschienene Buch „Gemeinschaft und Gesellschaft" des Soziologen Ferdinand Tönnies — und erhob die Gemeinschaft zu einer mythologischen und metaphysischen Größe: „Die Gemeinschaft ist vor dem Einzelnen da, der Mensch lebt in einem Teil seines Wesens aus ihr."
Bei der Begründung schlägt der Gemeinschaftsmythos schon ins Biologische um: „Nicht Buchen sind vor der nächsten Buche und waren vor der ersten da, sondern: die Artkraft, Buche sein zu können, der Keim, aus dem sich Buchen entfalten, war das erste. Es muß also heißen: Ein Ganzes, eben jenes , Es'des Menschentums, ist vor jedem und vor allen einzelnen Menschen und allen Menschengruppen da. Deshalb ist die Gemeinschaft Gemeinschaft und nicht Gesellschaft und vor dem Einzelnen und vor allen Einzelnen da. Eine Gemeinschalt ist also nicht beschlossen, sondern ersprossen, und sie hat bleibend diese Kraft, ersprießen zu lassen."
Und so verkündet Anrich als „politologische Grunderkenntnis" vom Volke: „Die Grundartung und Gemeinschaft Menschheit ersproß nicht in einer völlig gleichen Art und Gemeinschaft, sondern, in großen getrennten Räumen, in Unterarten und Untergemeinschaften, in Rassen mit verschiedenen leiblichen und geistigen Stilanlagen der Äußerung und Verarbeitung . . .".
Die Geschichte ist nach Anrich „der Ausdruck dessen, daß wieder ein biologischer Organismus besonderer Artung und Keimkraft vor-B handen ist, aus dem im geistigen Widerspiel bestimmt geartete und in sich geschlossene Menschen . . . hervortreten. Einen solchen Organismus nennen wir ein Volk, seine eigentümliche Artkraft das Volkstum."
Es geht wohl eindeutig aus den Darlegungen hervor, daß Anrichs Anthropologie einseitig biologistisch und seine Volkstumslehre einseitig rassistisch ist. Er wollte sich in der Beilage zu den „Deutschen Nachrichten" vom 24. Februar 1967 gegenüber den Angriffen wegen seines Referats rechtfertigen und sich von dem Verdacht reinigen, NS-Anschauungen geäußert zu haben. Dabei vertrat er wiederum Gedanken eines trüben Fatalismus, einer verballhornten und ins Politische transponierten Lebensphilosophie und eines anthropologisch-politischen Biologismus, wie sie in der Zeit 1933— 1945 offizielle Weltanschauung waren. Vom Menschen erklärte er: „Er stammt schicksalsmäßig aus größeren Ganzheiten, und er ist geartet, und das heißt: begrenzt." Den Staat bezeichnet er als „Urform des Lebens" und als ein „Organ", wobei die Einschränkung: „aber er ist nicht an und für sich da", recht beiläufig wirkte.
In ihrem „Politischen Lexikon" greift die NPD unter dem Stichwort „Kollektivismus" den von dem Ständestaatsideologen Ottmar Spann konzipierten Gedanken des Universalismus auf. Es wird die Priorität der irrigerweise mit einer personalen Würde versehenen Ganzheit gegenüber dem einzelnen postuliert. Der einzelne hat nur insofern Wirklichkeit, als er Glied eben dieser Ganzheit ist. „Dagegen werden von einem universalen K. (oIIektivimus) (Universalismus) wirkliche, überindividuelle Lebenseinheiten gemeint, die nicht lediglich als Summe von Einzelwesen erklärt werden können. Die Zugehörigkeit zu organisch gewachsenen, genetisch festgefügten Gruppen, beispielsweise zu Sippen, Stämmen oder Rassen, ist ein bleibendes, unveränderliches, ein . wirkliches'Indiz der Zusammengehörigkeit. Aus solcher Sicht fallen Individualismus und K. (ollektivismus) zusammen: Ein ursprüngliches, gewachsenes Kollektiv ist in seinen bestimmenden Eigenschaften unver10 änderlich, etwas spezifisches und sö selbst ein Individuum, das sich von anderen erheblich und wesentlich unterscheidet. Seine Pflege und Förderung ist sinnvoll und dem landläufigen, liberalistischen, gemeinschaftsfremden Individualismus überlegen. Das Bewußtsein, einem solchen Kollektiv anzugehören, führt zur Ausprägung eines natürlichen Kollektivstolzes; das Ich-Gefühl wird zum Wir-Gefühl . . .".
In einem so gedachten Volk kann es keine Freiheitsrechte des einzelnen — vor allem keine vorstaatlichen Rechte — geben. Ja, noch nicht einmal die körperliche Unversehrtheit des einzelnen ist garantiert. So ist es durchaus konsequent, daß die NPD in ihrem „Politischen Lexikon" ein Loblied auf die Euthanasie anstimmt. Nachdem die Euthanasie „richtig" definiert worden ist — also nicht nur als beschleunigender „schöner Tod“, sondern vor allem als Tötung von unheilbar Kranken, von frühkindlich Schwachsinnigen und von unheilbar erwachsenen Geisteskranken — heißt es: „Angesichts der bedauerlichen Politisierung des Begriffs der E. (uthanasie) sollte nicht übersehen werden, daß der angesehene deutsche Strafrechtslehrer Binding und der Freiburger Psychiater Hoche bereits 1922 eine eingehende Begründung für die Berechtigung solcher Maßnahmen gegeben haben."
Hitlers Euthanasie-Verbrechen werden im verklärenden Lichte dargestellt und die Proteste der Kirchen nur mit unsachlicher Polemik bedacht. Es wird die unsinnige Behauptung aufgestellt: „Religiöse, ideologische und gesellschaftspolitische Auffassungen stehen teilweise im Gegensatz zu den modernen Erkenntnissen verschiedenster Wissenschaften über die Grundlagen und Zusammenhänge alles Lebendigen." Im Schlußsatz heißt es: „Die Ehrfurcht vor dem Einzelleben gerät leicht in Konflikt mit der Notwendigkeit der Erhaltung des Lebens als Ganzem."
Es besteht kein Zweifel, daß die NPD das Einzelleben nur als Glied des organologisch-biologisch gedachten Volks-Lebens sieht und daß sie demzufolge dafür plädieren muß, kranke Glieder vom Volks-Ganzen zu amputieren.
Angesichts dieses vulgären Biologismus ist es in höchstem Maße unwahrhaftig, daß die NPD den Idealismus — also eine Philosophie, die den Menschen nur oder hauptsächlich als geistiges Wesen betrachtet — für sich in Anspruch nimmt und mit dem Materialismus unserer Zeit konfrontiert: „Die NPD ist der organisierte Protest gegen den Ungeist des Materialismus und seiner kulturfeindlichen Folgen. Voraussetzung für seine Überwindung ist der Idealismus: Ohne Vorbilder und Leitbilder keine höhere menschliche Gesittung."
Auch der Nationalsozialismus kultivierte einen Pseudoidealismus und wollte Werte des Idealismus dem Ungeist des Materialismus entgegensetzen.
V. Antiliberalismus und Antipluralismus
Im Wirtschaftsteil der „Deutschen Nachrichten" ist die Agitation gegen den Liberalismus besonders auffällig. „Liberalistische und ganzheitliche Wirtschaftsauffassung" werden miteinander konfrontiert: „Doch wir leben nun einmal im Zeitalter des Liberalismus, in dem nicht mehr die Gemeinschaft, sondern nur noch der einzelne und sein Recht gelten."
Die These „Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde" des Schriftstellers Moeller van den Bruck, der mit seinem Hauptwerk „Das Dritte Reich" zum geistigen Wegbereiter der Nationalsozialisten wurde, wird in den „Deutschen Nachrichten" nur wenig variiert wiedergegeben: „Es ist der Liberalismus, an dem die Völker verderben ... Es ist schon immer der Liberalismus gewesen, an dem die Völker zugrunde gingen."
Der Wirtschaftsexperte der „Deutschen Nachrichten", Horst Arnold, wird nicht müde, den Liberalismus zu schmähen, wie z. B. in dem Artikel „Staat und Notenbank — Geldschöpfung im liberalistischen und im organisierten Staat": „Es ist hier schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß sich Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung im liberalistischen Staat ausschließen, weil jeder aus seiner Marktsituation herauszuholen hat, was nur irgend drinsteckt. Die Marktmacht, die die Interessenverbände der Arbeitnehmer im liberalistischen Staat einnehmen, führt. .. zur Lohnkosteninflation . . . Gleicht die Notenbank im liberalistischen Staat dem Apotheker, der bei absoluter Rezeptfreiheit dafür verantwortlich ist, daß seine Kunden mit all dem Brutalacety’ keinen Unfug treiben, ... so gibt die Notenbank im Staat mit durchorganisierter Wirtschaft ihre Anregungs-und Beruhigungsmittel nur auf Anweisung und genau dosiert und gezielt aus, und zwar desto gezielter, je besser die Wirtschaft organisiert und je subtiler der Aufbau des Kreditwesens ist. Hier, aber nur hier kann sie zur dienenden Hand der staatlichen Wirtschaftspolitik werden, und hier ist es, wo sie nicht mehr außerhalb des wirtschaftspolitischen Wollens des Staates steht, sondern Organ der staatlichen Wirtschaftsführung ist ..."
Hieraus und aus anderen Verlautbarungen wird ersichtlich, daß es der NPD in ihrem Kampf gegen den Liberalismus letztlich nicht um die — in der demokratischen Auseinandersetzung legitime — Forderung nach einem Mehr an staatlicher Planung geht, sondern um das Leitbild einer durchorganisierten und zentralgesteuerten Kommando-Wirtschaft, in der kein Platz ist für soziale Interessengruppen (deren Bildung und Bestand das Grundgesetz in Art. 9 Abs. 3 garantiert). Diese Tendenz der NPD geht insbesondere auch aus ihrer Agitation gegen den Pluralismus hervor, die im letzten eine Agitation gegen die Bundesrepublik Deutschland als einen nach Art. 9 und Art. 21 GG pluralistisch-demokratisch konzipierten Staat darstellt.
Für Ernst Anrich läuft anscheinend alles auf die zugespitzte Alternative „Nationaldemokratie oder . pluralistische Gesellschaft'" hinaus
Im „Politischen Lexikon" wird der Pluralismus wie folgt dargestellt und herabgesetzt: „Unter P. (luralismus) im weiteren Sinne versteht man eine Weltanschauung, die eine Vielzahl von wirkenden Kräften oder Bereichen der Wirklichkeit annimmt. Im engeren Sinne bezeichnet P. eine Staatsauftassung oder Gesellschaftslehre, die auf der Anerkennung zahlreicher gleichberechtigt nebeneinander wirkender Macht-und Interessengruppen beruht.
Diese letztere Auffassung beläßt dem Staat nur die Funktion einer Art Dachorganisation über bzw. eines Schiedsrichters zwischen den verschiedenen Gruppen und bestreitet ihm das Recht, von sich aus die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der mannigfachen Interessengruppen einzuschränken. Sie führt also den Liberalismus weiter bis an die Grenze des Anarchismus. . . . Der PI. kennt keine Wertung oder Einstufung der verschiedenen Gruppen nach ihrer Lebensnotwendigkeit und Leistung für die Gemeinschaft, da er von keiner Werte setzenden Lebensordnung ausgeht. Auch das hat er mit dem Liberalismus gemein."
Der Antipluralismus richtet sich insbesondere gegen die Gewerkschaften. „Ein roter Staat im Staate" lautete eine Fortsetzungsreihe in den „Deutschen Nachrichten". Das neue Programm bringt an vielen Stellen eine Kampfansage der NPD an den Pluralismus und die Pluralverbände bzw.deren Exponenten, die Funktionäre: „Die Ausübung der Mitbestimmung hat nicht durch betriebsfremde Funktionäre, sondern ausschließlich durch Arbeitnehmer der Betriebe zu erfolgen . . . Die endgültige Über-windung des Klassenkampfes und Bildung einer Leistungsgemeinschaft aller Schaffenden ist unser Auftrag in der industriellen Massengesellschaft. . . . Gewerkschaften und Unternehmerverbände haben vornehmlich diesem Ziel zu dienen. Sie müssen die reaktionären verstaubten Standes-und Klassenvorstellungen des vergangenen Jahrhunderts endlich überwinden. . . . Gewerkschaften und Unternehmerverbände müssen wahrhaft überparteilich sein. Mündige Staatsbürger brauchen keinen Verbandsfunktionär als politischen Vormund! . .. Unternehmerverbände und Gewerk-schäften dürfen keine wirtschaftliche Macht ausüben, außerhalb der Parlamente Einfluß auf die Staatspolitik nehmen oder selbst als Unternehmer tätig werden."
Wer soll der NPD zufolge dafür Sorge tragen, daß Gewerkschaften und Unternehmer-verbände „wahrhaft überparteilich" sind und daß sie „keine wirtschaftliche Macht ausüben, außerhalb der Parlamente keinen Einfluß auf die Staatspolitik nehmen oder selbst als Unternehmer tätig werden"? Die Antwort kann nur lauten: Der Staat, der die Pluralverbände ihrer Eigenständigkeit beraubt und sie in eine sogenannte „Leistungsgemeinschaft" hineinzwingt. Das Ideal der NPD ist die oktroyierte Sozialharmonie mit Zwangskorporationen, in die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewaltsam hineingepreßt worden sind. Als Vorbild dienen die Syndikate Franco-Spaniens und die Deutsche Arbeitsfront des Dritten Reiches.
So schreibt das „Politische Lexikon" unter dem Stichwort „Gewerkschaften" von Spanien: „Auch in Spanien machen sich Tendenzen bemerkbar, die Syndikatorganisationen, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer obligatorisch vereint sind, in sogenannte echte’ Gewerkschaften umzuwandeln. Man will zu den klassenkämpferischen und geldentwertenden Tarifstreitigkeiten zurückkehren, ohne die sich das marxistische Programm nicht vorantreiben läßt. Man sprach dort in diesem Zusammenhang kennzeichnenderweise von dem . lähmenden Geist einer Zwangsehe mit den Arbeitgebern'. Das Rad der Geschichte soll gewaltsam zurückgedreht werden . . .".
Folglich wird auch die gewaltsame Zerschlagung der Gewerkschaften durch den Nationalsozialismus im Jahre 1933 gutgeheißen: „ 1933 wurden die G. durch den Nationalsozialismus im Kampf gegen das marx. Klassendenken aufgelöst."
VI. Gegen die Demokratie
Zwar geben sich die Nationaldemokraten gerne radikal-demokratisch und polemisieren mit vulgär-demokratischen Scheinargumenten gegen die Bundesrepublik. Es fehlt aber nicht an despektierlichen Äußerungen über die Demokratie. So erklärte Peter Lauer auf dem Karlsruher NPD-Parteitag von 1966: „In der so erscheinenden Auswegslosigkeit versuchen dann die Abstrakten mit dem wohltönenden Begriff . Demokratie'einen Richtpunkt zu setzen."
Wer teilt etwa nicht das Unbehagen gegen die „Abstrakten" und gegen wohltönende Begriffe? Und dieses Unbehagen soll von der NPD gegen die Demokratie mobilisiert werden.
Ernst Anrich meinte auf dem gleichen Parteitag, daß „in einer sogenannten Demokratie .. . das Volk nur als Addition der einzelnen Indi-viduen, nur als Gesellschaft aufgefaßt wird und die Volkssouveränität nicht aus der Hoheit des Volkstums und der Volksgemeinschaft verstanden, sondern mit der Souveränität einer Menge verwechselt wird." Demgegenüber habe der absolutistische Staat seine Verfassungsaufgabe gut gelöst und auch eine Diktatur könne eine gute Verfassung sein.
Der Wirtschaftsexperte der „Deutschen Nachrichten", Horst Arnold, entwertet den Begriff „demokratisch" durch den Zusatz „liberalistisch" und stellt dem „demokratischen" oder „liberalistisch-demokratischen" Staat den „organisierten", den „ganzheitlichen" und den Staat, „der sich seiner sozialen Verantwortung bewußt ist", gegenüber
Das „Politische Lexikon" der NPD artikuliert besonders stark das Unbehagen an der — wenn nicht gar die Feindschaft gegen die — Demokratie. Unter dem Stichwort „Demokratie" wird zunächst einmal die Behauptung aufgestellt, die Demokratie sei niemals realisiert worden, „da den Volksmassen die zum Regieren erforderlichen Kenntnisse, der Überblick über das politische Geschehen und auch die nötige Besonnenheit naturgemäß fehlen." Die repräsentative Demokratie wird gerade mit den gegenteiligen Argumenten kritisiert, also mit der Behauptung, das Volk hätte nichts zu sagen und würde entmündigt. In der repräsentativen parlamentarischen Demokratie gibt es der NPD zufolge „ein Mitspracherecht des Volkes nur noch in Form der Parteien-Wahl im Abstand von mehreren Jahren." Die Schicht von Berufsparlamentarier, die sich in den Parteien bilde, habe häufig mit dem Volk keinen echten Kontakt mehr. Hinzu komme, daß das Volk durch die öffentliche Meinungsbildung und die Werbung entmündigt werde. Scheint also die NPD gegenüber der repräsentativen Demokratie die Belange des einfachen Volkes wahrnehmen zu wollen, so zieht sie am Schluß des Artikels mit aristokratischen Schlagworten gegen den Popanz eines längst vergangenen demokratischen Bildungsoptimismus zu Felde: „Der demokratische und sozialistische Bildungsoptimismus, der Glaube, die gesamte Bevölkerung könne durch entsprechende Bildungsmöglichkeiten in den Stand versetzt werden, sich tatsächlich selbst zu regieren, übersieht Verschiedenheit und Mangelhaftigkeit der Begabung und des Bildungsbedürfnisses . .
Genau so simplifiziert die NPD in ihrem Lexikon das Mehrheitsprinzip: „Das nicht nur in allen parlamentarischen Demokratien . . . herrschende M. (ehrheitsprinzip) geht von der Voraussetzung aus, daß die Mehrheit der Stimmberechtigten recht hat bzw. die richtige Entscheidung trifft und daß den Entscheidungen der Mehrheit daher in jedem Falle stattzugeben ist. Diese Voraussetzung ihrerseits beruht wieder auf der Annahme, daß die Menschen gleich sind, nicht nur vor dem Gesetz und vor Gott, sondern auch gleich in ihrer Einsicht und Urteilsfähigkeit. Denn nur dann kann das Urteil der Mehrheit dem Richtigen und Wahren näherkommen als das Urteil einer Minderheit."
Von der qualifizierten Mehrheit heißt es: „Auch in diesem Falle liegt die Vorstellung zugrunde, daß man der richtigen Entscheidung um so näher käme, je größer die erzielte Mehrheit sei, also wiederum der Glaube an die Urteilsfähigkeit der Masse."
Wer wollte nicht den Glauben an die Urteils-fähigkeit der Masse und die Behauptung, die Mehrheit habe immer recht, für töricht halten?
Sind also die Demokraten, die das Mehrheitsprinzip vertreten, nicht reine Narren? Die NPD verkennt, daß nur Autoritäre und Totalitäre daran glauben, mit letzter Sicherheit in der Politik das Richtige und Wahre finden zu können. Die Demokraten respektieren die andere Meinung, ob sie sich jetzt durchsetzt oder unterliegt, in der Überzeugung, daß keine Partei, weder die Mehrheits-noch die Minderheitspartei, ein Monopol auf Wahrheit besitzt. Die Demokraten sind auch der Meinung, daß es letztlich kein sicheres System der Abwägung von Stimmen gibt und daß deshalb jede Stimme als gleich angesehen werden muß. Deshalb ist die Mehrheit — in der Regel — entscheidend; ob sie immer das Richtige trifft, ist damit noch lange nicht gesagt. Mehrheitsbildungen und Mehrheitsentscheidungen können geändert werden. Außerdem haben Mehrheitsentscheidungen ihre Grenze in der Verfassung, deren tragenden Elemente sich oft sogar der Disposition einer qualifizierten Mehrheit entziehen (Art. 79 GG). Es gibt zudem noch in demokratischen Verfassungen Rechtsgarantien für qualifizierte Minderheiten. Dies alles verschweigt die NPD. Sie zeichnet eine Karikatur des Mehrheitsprinzips, um Demokraten und Demokratie lächerlich zu machen.
VII. Das Ideal: Der totale Führerstaat
Das politische Ideal der NPD ist der totale Führerstaat. Dies geht am deutlichsten aus Ernst Anrichs Referat auf dem NPD-Parteitag 1966 in Karlsruhe hervor. Anrich hypostasiert Volk und Staat zu metaphysischen Wesenheiten: „Es gibt eine solche erscheinende, Organ-und Handlungsfähigkeit habende Heraus-stellung dessen, daß Volk mehr ist als die Zahl der augenblicks Lebenden, mehr auch als die Summe der verflossenen Generationen: das ist der Staat." Und an anderer Stelle heißt es: „Der Staat ist höher als der Mensch und als die Menge der augenblicks lebenden Menschen, er hat Souveränität über sie, denn er vertritt das Ganze des Volkes . ..".
Hier wirkt die Einschränkung „aber: wahrgenommen kann der Staat nur werden eben von diesen gerade lebenden Menschen, über denen er im Grunde steht" — zumindest als Einschränkung der metaphysischen Verabsolutierung des Staates — recht nichtssagend.
Es liegt auf der Hand, daß der von Anrich konzipierte Staat sich der rationalen Sinngebung entzieht und von einem demokratischen Konsensus unabhängig sein muß: „Der Staat ist die Handlungsform des Volkes. Auch er nicht in dem Sinn, daß er von Menschen zu einer bestimmten Zeit aus praktischer Vernunft erfunden und beschlossen worden sei. Der Staat kommt so wenig aus Beschluß wie die Gemeinschaft, deren Handlungsform er ist . ... Denn wo sie (die Gemeinschaft) auch immer auftritt, geschieht dies in einer organischen Form, das heißt in einer solchen, die mit überindividuellem Organ daran wirkt, daß der Einzelne und die Vielzahl der Einzelnen dem Lebensauftrag und der richtigen Lebensform der Gemeinschaft möglichst richtig zugeordnet und unterstellt sind."
Ein solcher Staat, wie ihn Anrich sieht, kann nur ein totaler Staat sein: „Dazu muß der Staat eine Befehlsgewalt über die einzelnen Menschen und über die gesamte Menge der jeweils augenblicklich lebenden Menschen haben. Eine echte Befehls-und Einordnungsgewalt muß aus einer echten Befugnis dazu, das heißt aus einer Hoheit kommen. Der Staat, der in seinem Wesen ausschließlich die zum Handeln herausgetretene Ganzheitskraft von Volkstum und Volk ist, hat eine solche Befehlsgewalt. Sie kommt ihm von diesem Wesen aus zu. Denn er hat aus ihm eine echte Souveränität über die Einzelnen, über die Menge, über die Generation. Eine Souveränität, die eben nicht aus einem aus praktischer Überlegung kommenden Beschluß der Einzelnen kommt . . .".
Dem mythologisch-biologischen Volks-und Staatsbegriff entspricht der Wunsch, die rationale Kontrolle durch die irrationale Akklamation zu ersetzen und den Parlamentarismus durch das Mittel des Referendums auszuhöhlen. Deshalb verlangt Anrich die „Einführung des Volkentscheides für wichtige Einzelfragen sowohl als Pflicht für das Parlament wie darüber hinaus als Forderungsmöglichkeit für das Volk". Ähnlich heißt es im neuen NPD-Programm: „Bei entscheidenden Lebensfragen ist das Volk zu hören. Volksbegehren und Volksentscheid sind daher einzuführen. Sie sind Ausdruck wirklicher Volkssouveränität."
Die NPD knüpft an die Programmatik der SRP an, die ebenfalls bestimmte Tagesfragen von grundsätzlicher Bedeutung einem direkten Volksentscheid unterwerfen wollte. Auch für die NSDAP gehörten Volksbegehren und Volksentscheid zum eisernen Bestand des antiparlamentarischen Arsenals in der Weimarer Republik. Schließlich ist Hitler als nationaler Trommler auf der Woge des Volksbegehrens gegen den Young-Plan 1929 hochgespült worden, was entscheidend zum sensationellen Erfolg der NSDAP bei der Reichstagswahl von 1930 beitrug. Deshalb hat Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat Plebiszite treffend als Prämien für Demagogen bezeichnet. Anrich ist sich auch bewußt, daß Volksbegehren und Volksentscheid zum Untergang des Parlamentarismus beitragen; er fordert auch ausdrücklich die Zerstörung des Parlamentarismus. So setzt er sich über das Referendum hinaus für eine „starke Straffung der Arbeitsweise des Bundestages", das heißt nach dem Vorbild des alten Reichstages des konstitutionellen Zeitalters auf „einige Wochen im Jahr" ein. Zusätzlich soll durch eine starke Stellung des Bundespräsidenten der letzte Lebensfunke des Parlaments ausgetreten werden: Dem direkt „durch das Volk" gewählten Bundespräsidenten soll es zustehen, aus der „Legitimierung durch das Volk dann der Ganzheit Handlungsfähigkeit zu geben, wenn unklare Mehrheitsverhältnisse oder sonstige bestimmte Situationen dem Parlament ein Handeln nicht ermöglichen." Ähnlich heißt es im neuen Programm der NPD: „Der Bundespräsident ist vom Volk selbst zu wählen. Seine Rechte sind zu stärken. Er verkörpert Volk und Staat."
Hiermit wird der Sehnsucht der Nationaldemokraten nach einem neuen Führer in einem totalen Staat Ausdruck verliehen.
VIII. Die Agitation gegen die Bundesrepublik Deutschland
Die NPD vertritt nicht nur Leitbilder, die im Gegensatz zur Demokratie stehen, ihre Agitation gegen die Bundesrepublik läßt auch den Schluß zu, daß sie mit allen möglichen Mitteln bestrebt ist, die Demokratie hier zu untergraben. Der Mobilisierung gegen die Bundesrepublik dient die Konspirationstheorie. Diese Theorie geht von der Auffassung aus, die Politik werde von kleinen und mächtigen Gruppen — meist der fünften Kolonne fremder Mächte — kontrolliert und korrumpiert. Nur die Führer der NPD haben die Einsicht, den Mut und die gewissenhafte nationale Haltung, um diesen Gruppen entgegentreten zu können. Wegen des Einflusses der anonymen Gruppen — in den „Musterreden" werden sie die „volksfeindlichen Mächte" genannt — und des feigen Zurückweichens der politischen Führung wird der Staat zerstört oder in eine halbe Diktatur verwandelt. So wird z. B. in den „Musterreden" folgendes Bedauern ausgesprochen: „Unsere politische Meinung wird nicht von der politischen Führung geleitet, sondern vom Fernsehen diktiert." Daraus folgt: „Wir Nationaldemokraten glauben, daß dieser Zersetzungsprozeß, gegen den unsere politische Führung sich als hilflos erweist, nur noch von unten her durch die Bildung einer starken und volksbewußten Partei aufgehalten werden kann."
Im Zusammenhang mit der Konspirationstheorie steht die von NSDAP und SRP übernommene Unterstellung, die Demokratie sei praktisch nur eine Vorstufe des Kommunismus. Der höhnische „Beweis" hierfür lautete in den „Musterreden" so: „Sie sehen das unter anderem daran, daß im Fernsehen und im Rundfunk Kommentatoren, die ihre kommunistische Grundgesinnung gar nicht mehr zu verbergen suchen, Abend für Abend um Verständnis für die Außenpolitik des Kreml werben . . . Die Anzeichen sprechen leider dafür, daß der Widerstand, der jedem denkenden Menschen gegenüber dem Kommunismus angeboren ist, in der Bundesrepublik immer mehr und mehr aufgeweicht'wird, denn sonst könnten die politischen Thesen des Ostblocks nicht täglich — und noch dazu für unser Geld — in unserer Öffentlichkeit propagiert werden."
Die NPD betrachtet nur faschistische und nationalsozialistische Regime als Garanten im Kampf gegen den Bolschewismus.
So schreibt das NPD-Lexikon zum Thema „Antifaschismus": „Unter Faschismus verstehen die Antifaschisten jede Weltanschauung und politische Richtung, die sich der kommunistischen Weltrevolution tatkräftig widersetzt, insbesondere wenn dieser Widerstand auf nationaler Basis geleistet wird. Vorwiegend die staatliche Autorität betonende Anschauungen wie die des italienischen Faschismus, der spanischen Falange oder der rumänischen Eisernen Garde werden von einer mehr auf das Volkstum ausgerichteten Anschauung wie der des deutschen Nationalsozialismus nicht unterschieden. Lediglich der sog. Klerikal-Faschismus . . . findet besondere Beachtung . .
Es wird vollständig verschwiegen, daß die Kommunisten das Wort „Faschismus", dieses „Schlagwort der Sowjetpropaganda für den organisierten Kampf gegen alle den Kommunismus eindeutig ablehnenden politischen und ideologischen Bestrebungen" (NPD-Lexikon), vornehmlich gegen Demokraten, ja gegen Sozialdemokraten — die als „Sozialfaschisten" denunziert wurden — gebrauchten. So will die NPD unterstellen, daß nur Nationalsozialisten und Faschisten zuverlässige Antikommunisten sind. Eng verwandt mit der Konspirationstheorie ist die stereotype Korruptionsverdächtigung als ein probates Mittel, um die Demokratie zu diskreditieren.
Die pauschale Abwertung anderer Parteien als die „Etablierten", „Kartellparteien", „Monopolparteien" und als „Lizenzparteien" stimmt teilweise wörtlich mit der früheren SRP-Propaganda und sinngemäß mit der NSDAP-Propaganda („System-Zeit" und „System-Politiker") gegen politische Gegner überein. Mit diesen Schlagworten sollen die im Bundestag vertretenen Parteien als quasi-diktatorisch, als Handlanger fremder Mächte und als überflüssig denunziert werden. Adolf von Thadden artikulierte das Sendungsbewußtsein der NPD auf ihrem Parteitag vom November 1967: „Wir brauchen eine politische Kraft, die unser Volk zur Selbsthilfe aufruft und unseren Notstand beseitigt, ehe die von der Bundesregierung mit Recht befürchteten Ereignisse eintreten! Deshalb ist die NPD etwas ganz anderes als die in Bonn etablierten Parteien. Wir sind das Sammelbecken für die Wiedergeburt der deutschen Nation . . .. Wir haben einen geschichtlichen Auftrag zu erfüllen, dessen Maßstäbe weit über jedes Parteiengezänk hinausgehen."
Selbst bei einer wohlwollenden Interpretation dieser Worte kann man die Forderung nach einer Ein-Partei-Herrschaft heraushören. Zudem verlangt der von Thadden proklamierte „Nationale Notstand", dem die Demokratie nicht gewachsen erscheint, nach einer Diktatur.
Verschiedene Sätze in den „Musterreden" verraten, wie sehr sich die NPD gegen den Parteienpluralismus als solchen und gegen die staatliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, gegen das „System" wendet: „Sie (unsere Gegner) wissen ganz genau, daß sie von der politischen Bühne gefegt werden, wenn unser Volk erst einmal seine Wirklichkeit begreift . . .. Ein System, in dem das Volksbewußtsein zerstört und der Begriff Nation entwertet ist, hat die psychologische Grundlage verloren, für die Nation zu sprechen oder gar zu handeln."
Die schärfste Kampfansage gegen unseren Staat und die Pflicht, das demokratische Gemeinwesen zu zerstören, verkündete Ernst Anrieh auf dem Karlsruher Parteitag von 1966: „Denn es ist festzuhalten: Diese Souveränität des Staates ist keine eigene, sie kommt nicht aus ihm, wie er selbst nicht aus sich kommt. Diese Souveränität fließt nicht aus seiner Herrschaft, sondern aus seinem Dienst. Aus seinem Dienst an jener Ganzheit, deren wahrnehmender Ausdruck er ist: der des Volkes und des Volkstums . . .. Verläßt der Staat diesen Dienst, verabsolutiert er sich oder übernimmt er andere Dienste, eventuell an Gruppeninteressen, so löst sich diese Zuordnung — so schwindet seine Souveränität und Befehls-gewalt über die Menschen. Die Beseitigung, der Umsturz dieser leeren Hülse ist dann unter Umständen sittliche Pflicht."
Aus den weiteren Darlegungen Anrichs geht klar hervor, daß er die Bundesrepublik als „leere Hülse" betrachtet, die beseitigt werden muß. Denn dieser Staat bzw. Pseudostaat diene ja Gruppeninteressen: „Das Volk wählt alle vier Jahre nicht seine Boten, sondern es kann lediglich Parteien wählen . . .. Die herrschenden drei Parteien dürften nicht viel mehr als 3 0/0 des deutschen Volkes zu Mitgliedern haben. Da keine Partei bisher die Gesinnung gezeigt hat, freie und auch nach der Wahl freibleibende Menschen allgemeiner Hochachtung auf ihre Listen zu setzen und sich so auch über jene 3 °/o doch als Sachwalter des Volkes zu spüren, kann von einer Auswahl der Kandidaten aus dem Volk als Ganzem durch die Parteien keine Rede sein . . .. Die Parteien sind dabei ...den Staat zu unterjochen .. Es gäbe auch keine Zuordnung des Staates zum Volk: „Der Staat als politischer Faktor ist in keiner Weise unmittelbar dem Volk zugeordnet, das heißt aus dem Volk hervorgehend sichtbar gemacht."
Auch die Frage: „Ist der Staat aber immerhin als Staat da und unabhängig von den Parteien in seiner Verwaltung?", beantwortet Anrich völlig negativ; er entrüstet sich darüber, „in welch außerordentlichem, ja schamlosem Maß Beamtenstellen des Staates . . . nach dem Gesichtspunkt der Parteimitgliedschaft" besetzt werden. Selbst das Recht als das letzte „Organ der Verfassungs-und Zuordnung" zeige erhebliche Mängel, denn „die tiefere Erläuterung, Berechtigung und Bindung des Wesens und der Ausübung der Souveränität der Menge" sei „bisher nicht darin erfolgt". So ist Anrich zufolge die Souveränität des Staates nirgendwo verankert und „der Umsturz der leeren Hülse ... sittliche Pflicht".
Die Kampfansage an die Demokratie als eine leere Hülse wird insbesondere deutlich, wenn man die Parteitagsrede von 1966 mit der Rede zur Reichsgründungsfeier der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität vom 18. Januar 1934 vergleicht, wo ebenfalls von der „Hülse" gesprochen wurde: „Die Souveränität dieses Staates kommt also nicht aus einer Delegation, aus einer Übertragung einzelner Rechte von einzelnen Menschen, in gar keiner Weise. Diese Souveränität kommt aus einer übermenschlichen Rechts-quelle. Aber diese Souveränität ist keine unbeschränkte: In dem Augenblick, in dem der Staat diese Inbezugnahme auf nichts anderes als auf den Antrag der Nation verläßt, ist gegen ihn bzw. gegen die Hülse, die dann bleibt, zu kämpfen — wir erlebten es — nicht unsittlich, sondern sittliche Pflicht."
IX. Der sittliche Puritanismus
Wie bei vielen extremen Parteien, so spielt auch bei der NPD der Puritanismus eine große Rolle. Dieser Puritanismus überbetont sexuelles Wohlverhalten im Bereich des Sittlichen, verallgemeinert vereinzelte sexuelle Exzesse, leugnet den Pluralismus sittlicher Anschauungen und macht Regierung, Staat und Demokratie für jede Abweichung von der sittlichen Norm, sofern sie publik wird, verantwortlich. Die Polemik gegen „Sex" bedeutet meist nichts anderes als der Versuch einer Diskreditierung der Demokratie. Die Kombination von Puritanismus und Nationalismus knüpft an eine lange geistige Tradition an, nämlich an den Gedanken vom sittlichen Ost-West-Gefälle und vom Gegensatz zwischen germanischer Zucht und westlichem Sittenverfall. Während für die Nationalisten des 19. Jahrhunderts Frankreich der Inbegriff der sittlichen Dekadenz war, so hat diese Rolle — schon unter dem Nationalsozialismus — Amerika übernommen. Die Kombination von Puritanismus und Antiamerikanismus geht am deutlichsten aus der Rede des Parteivorsitzenden v. Thadden auf dem NPD-Parteitag vom November 1967 hervor: „Es ist ein Nationaler Notstand, wenn unser Volk einer Welle von Kriminalität und Sex ausgesetzt wird, die vielleicht in den USA vom Wilden Westen her eine traditonelle Erklärung finden mag, aber in Europa schon deshalb unerträglich ist, weil wir dem. kommunistischen Osten unmittelbar konfrontiert sind, wo man mit derartigen Zersetzungserscheinungen fertig zu werden versteht. Wenn in Deutschland eine Jugend heranwächst . . ., deren Denken nur noch um den Sex kreist, dann ist ein Nationaler Notstand gegeben, den wir zu beseitigen haben."
Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß Thadden für die diktatorischen Staaten des Ostblocks (die ja mit den „Zersetzungserschei-nungen" fertig werden) größere Sympathien hegt als für die USA. Dies entspricht auch einer gewissen „rechten“ Tradition, nach der Rußland — auch noch unter der Herrschaft des Kommunismus — als das Land des einfachen Lebens gepriesen und den angeblich westlich-dekadenten Ländern gegenübergestellt wurde.
Anti-Amerikanismus, Puritanismus und autoritäres Staatsdenken werden insbesondere in dem Artikel „Die Mode, ordentlich zu sein" von Brigitte Pohl zu einem unlösbaren Triptychon zusammengefügt. So heißt es von der derzeitigen Mode: „Die Mode heißt im Augenblick: Amerikanismus." Später wird verallgemeinernd behauptet: „Kleine Kinder werden Mütter, genau wie beim Tier folgt bereits dem Eintritt der Geschlechtsreife das Erwachsensein ...". Daraus wird gefolgert: „Europas Mitte ist aufgerufen, eine , Mode'vorzuleben, werbende Kräfte für sie zu entwickeln, die uns retten soll. Von außen dürfen wir nichts weniger als nichts erwarten. Die anderen werden folgen, wenn wir vorangehen. Vorderhand will man uns noch mit aller Gewalt daran hindern, die Löcher, aus denen die Schlammfluten quellen, die unser Gewässer vergiften, zuzustopfen, den Schlammerzeugern das Handwerk zu legen .... Wir wissen heute, daß der Mensch in seinem tiefsten Wesen die Anarchie verabscheut, daß er über-und Unterordnung bejaht und zu allen Zeiten bejaht hat .. ."
Yenny Ringhoff polemisiert in dem Artikel „Das Schwinden aller Moral" ähnlich wie die Nationalsozialisten („Die deutsche Frau raucht nicht, trinkt nicht, schminkt sich nicht") recht einseitig gegen den Gebrauch von Kosmetika: „Schon Schülerinnen besuchen den Unterricht mit verschminkten Augen und beschmierten Lippen . ... Der verlockende Mund eines natürlichen Mädchens, der Traum aller Jünglinge aus der Zeit vor der gesteuerten Sittenlosigkeit, wird als Ausdruck von Zurückgebliebenheit und Dummheit verlacht."
Ringhoffs Bedauern, daß „die Offiziellen so kläglich versagen" und daß „eine ethische und moralische Idee, .. . eine Ideologie" fehle, verrät das Ideal eines vom Staat mit Zwangsmitteln oktroyierten uniformen Leitbildes von Sitte, Anstand und Mode.
Der Puritanismus der NPD schlägt häufig zum Biologismus um. Das Begriffspaar „sittlichunsittlich" wird absorbiert von bzw. identifiziert mit dem Begriffspaar „gesund-krank". In den „Deutschen Nachrichten" wird „sittlicher und gesundheitlicher Verfall" nebeneinander gestellt und eine Apotheose des Gesunden angestimmt: „Es wird hohe Zeit, daß die Gesunden sich gegenüber . . . gemeingefährlichen Vorstößen der Kranken ihrer Haut wehren, ihre Gesundheit verteidigen und die dreist gewordenen Psychopathen energisch in ihre Schranken verweisen. Gesund ist der, dessen seelische Vitalität ebenso stark entwickelt ist wie seine Körper-und Geisteskräfte. Gesund ist, wer noch die Kraft zur Innerlichkeit, romantischem Empfinden und mystischer Steigerung aufbringt, unabhängig von den sogenannten . pluralistischen’ Tendenzen bindungsloser, im Nihilismus sich verlierender Rationalisten. Gesund ist, wer die Grenzen der Ratio, des bloßen Intellekts erkennt und sich dem manipulierten Zeitgeist widersetzt."
Gerade mit ihrem Puritanismus vermag die NPD viele Menschen anzusprechen, denn Untersuchungen haben ergeben, daß nur die Hälfte der Bevölkerung einen Pluralismus in Fragen von Sitte und Moral gutheißt.
X. Kulturpessimismus
Besonders auffällig ist, wie in der Kulturpropaganda der NPD der Kulturpessimismus zu einer Kolportage des Verfalls gesteigert wird. Der Kulturpessimismus impliziert auch einen ausgeprägten Antiurbanismus, die Vorliebe für das Epigonale, für „Blut und Boden" und die stereotype Gegenüberstellung des Gesunden mit dem Kranken. Die „Deutschen Nachrichten" unterstützen ihren eigenen Worten zufolge seit Anbeginn „das Ringen um die Wiedergeburt der Werte europäischer Kunstgestaltung gegen die modernistische Kulturzersetzung"
Kulturpessimismus tönt auch aus den Artikeln zur Literatur unserer Zeit. So wird vom „Ende des mit Steuermitteln gefütterten Kunstverfalls" auf der Bühne
Den für Antidemokraten symptomatischen Antiurbanismus pflegt Fritz Stüber (Wien) in einem Artikel zum 100. Geburtstag des österreichischen Dramatikers Karl Schönherr: „Die Geringschätzung, ja der offene Hohn, mit denen man seit Kriegsende die Werte , Blut und Boden’ abtut, sind nicht die letzte Ursache dafür, daß einer der größten Dramatiker unseres Jahrhunderts . . . Dr. Karl Schönherr heute fast gänzlich vom Spielplan unserer Bühnen verschwunden ist .... Er hat . . . die Kaffeehausschwaden der damaligen ästhetisierenden großstädtischen Asphaltliteratur wie ein Gletschersturm weggefegt."
Heftig wird von den „Deutschen Nachrichten" auch gegen die Musik des 20. Jahrhunderts polemisiert. Felix-Eberhard von Cube versteigt sich in dem Aufsatz „Die Verfremdung der deutschen Musik/Die Zwölftöner wirken nur noch unter der Diktatur der Massenmedien" zu der Behauptung, Arnold Schönberg, der geniale Komponist und Schöpfer des Zwölfton-Systems, sei „ein im Grunde unmusikalisch und unschöpferischer Geborener" gewesen.
Die musikalische Moderne bezeichnet er als „atonale, polytonale, dodekaphonische, elektronische, primitivistische oder schlechtkomponierende Modernistik", die „auf einem sozusagen pseudolegalen Wege ihre Restauration" betrieben habe. Besonders hervorstechend und für die rechtsradikale Publizistik charakteristisch ist das biologistische und pseudomedizinische Vokabular der Polemik. Es wird von der „atonalen Infektion der zwanziger Jahre", von „modernistischen Viren", vom „Übel", das während des Dritten Reiches „in anderen Wirtskörpern latent weitergeschwelt und, wie zumeist, durch überleben der virulentesten Stämme an Bösartigkeit zugenommen hatte", und von „Krankheit" gesprochen. Gegen die moderne Musik soll der „musikalische Instinkt des Volkes", der sich von vornherein dem „durch intellektualistische Reflexion" erstickten Tonsinn der Sachverständigen als überlegen erweise, mobilisiert werden. Das hindert den Verfasser aber nicht, den modernen Komponisten gleichzeitig „Kunstmerkantilismus" vorzuwerfen
Gerade in kulturellen Beiträgen wird die Tendenz besonders sichtbar, die gute alte Zeit von 1933— 1945, in der es keine zersetzend modernistischen Einflüsse gegeben habe, mit dem Sitten-und Kulturverfall in der Demokratie der Gegenwart zu kontrastieren. Dies zeigt sich in der einseitigen Förderung des „guten", weil vor 1945 gedrehten Filmes. Dies zeigt sich aber auch in vielen Artikeln des DN-Teiles „Aus Kultur und Geistesleben". Am charakteristischsten ist ein Aufsatz über den Bildhauer Josef Thorak, in dem es u. a. heißt: „Mir gegenüber an der Wand hingen in Kohle die Porträtskizzen prominenter Persönlichkeiten: Friedrich Ebert, Paul von Hindenburg, Kemal Atatürk und Adolf Hitler. Inzwischen war auch eine Hitler-Büste entstanden, die später Dino Alfieri, der Berlinbotschafter Italiens, für den Duce ankaufte. Beim Betrachten alles dessen, was hier liebevoll zusammengetragen und aufgebaut worden war, gerieten wir von einem Staunen ins andere . . .. Und von nun an erlebten wir auf Hartmannsberg, umgeben von schwarzen Schwänen und edlen Araberhengsten, die Hitler als Modelle dem Schloßherrn zum Geschenk gemacht hatte . . zauberhafte Tage und Nächte . . .. Für den Schreiber dieser Zeilen besteht um der Wahrheit willen kein Zweifel, daß einem Genie wie Josef Thorak die Niederlage des Reiches das Herz gebrochen hat. Aus seinem Staatsatelier in Baldham bei München wurde eine Spielbank. Der Haß feierte Triumphe."
XI. Verherrlichung des Nationalsozialismus
Die NPD unterstreicht ihre neonazistischen Tendenzen durch eine verklärende Darstellung des Nationalsozialismus. Da „durch die Umerziehung . . . überdies dafür gesorgt" wurde, „daß unsere Jugend nur Böses über den Nationalsozialismus hörte" (Musterreden), muß die NPD in ihrem „Politischen Lexikon" den Nationalsozialismus folgendermaßen erläutern: „Der deutsche N. S. — 1920 bis 1945 — stellte den Versuch dar, die vier Grundelemente menschlichen Lebens, nämlich das biologische Element der Arterhaltung, das ökonomische der Artversorgung, das politische zur Regelung des Zusammenlebens und das religiöse zur letzten Sinndeutung des Lebens, miteinander in Einklang zu bringen. Vordergründig blieb dabei der Versuch einer Synthese von Nationalbewußtsein und praktisch zu verwirklichender sozialer Gerechtigkeit. Aus der Überzeugung, daß jedes Volk seinen eigenen Weg der Selbstvollendung zu gehen und seine eigene Form des Sozialismus zu finden hat, wurde der marxistische Klassenkampf tatsächlich überwunden und — vorübergehend — durch einen Wohlstand und Berufsstolz schaffenden Arbeitsfrieden abgelöst."
Der Beginn der braunen Gewaltherrschaft wird von Hans W. Hagen in seinem Artikel zum 60. Geburtstag des SA-Barden Herbert Böhme als „Aufbruchzeit" bezeichnet und die heutige „Darstellung des vielschichtigen geistigen Gefüges" als „grobschlächtig und oberflächlich" kritisiert. So war es auch „kein Zufall", daß Herbert Böhme als ein „Dichter im Kampf um die Kultur . . . im Jahre 1933 an vielen Universitäten zu Dichterlesungen gerufen wurde.“ Adolf Hitler wird zu einem Vorkämpfer gegen den Bolschewismus stilisiert. Aus der Tatsache, daß Theodor Heuss nach vielen Händeln mit Nationalsozialisten schließlich resignierend und in der Absicht, Schlimmeres zu verhüten, für das Ermächtigungsgesetz Hitlers gestimmt hatte, wird gefolgert, er habe als Vertreter des „vor die Entscheidung links oder rechts" gestellten Bürgertums Hitler als den Mann empfohlen, „der als einziger noch die Gewähr bieten könne, daß unser deutsches Volk und sein Reich vor der Bolschewisierung bewahrt blieben."
„Der Gedankengang zu einer möglichen Rechtfertigung jeder Verschwörung gegen Hitler ist der folgende: Schon bei Beginn der Agitation gegen Hitler in den zwanziger Jahren war das Argument: , Wer Hitler wählt, wählt den zweiten Weltkrieg!'Auch innerhalb der NSDAP wirkte diese Parole in den vielen Rivalitätskämpfen etwa zwischen den Brüdern Strasser und Hitler. Nach seiner Machtübernahme wurde diese Parole hinausgetragen in alle Welt und dort mit großem Geschick vom Leftismus’, der von Moskau geführten Weltlinksbewegung, die schon damals mit der antigermanistischen Weltbewegung identisch war, planmäßig propagiert. Sie erhärtete sich zu einem Glaubenssatz, der gerade heute wieder einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Aber Hitler hatte bis zum Ausbruch des Krieges gerade dadurch, daß er seine großen außen-