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Gesellschaftspolitische Optionen einer Zukunftsplanung | APuZ 40/1967 | bpb.de

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APuZ 40/1967 Gesellschaftspolitische Optionen einer Zukunftsplanung Artikel 1

Gesellschaftspolitische Optionen einer Zukunftsplanung

Rainer Waterkamp

Werden rationale wissenschaftliche Denkmodelle bei der gesellschaftspolitischen Gestaltung der Zukunft als wichtige politische Kraft gegen konventionelle Verhaltensweisen und geistige Stagnation eingesetzt, dann kann Zukunftsplanung zu einem Mittel werden, um die politischen und geistigen Kräfte neu zu orientieren, sie zu mobilisieren und ihnen neue Ansatzpunkte des Denkens und Gestaltens zu bieten. Eine wissenschaftlich fundierte „soziale Phantasie" könnte dazu beitragen, ein neues Zukunftsbewußtsein zu schaffen. „Sie würde die Menschen unserer Zeit . zukunftsbewußt'und . zukunfsfreudig’ machen ..., das geistige Klima entscheidend verändern, weil sie mehr und mehr Menschen lehren würde, das Gegenwärtige nicht nur unter den kleinlichen schuld-und ressentimentbeladenen Aspekten des . Gestern', sondern auch unter denen eines großzügigen . Morgen'zu sehen" Die großen Hoffnungen*), daß eine neue Planungsepoche der Weltgeschichte angebrochen sei, daß „nach einer Epoche des halben oder des Nichtbegreifens, einer Zeit der Erschütterung oder Verwirrung die Menschheit nun in eine Ära erhöhten Welt-und Selbstverständnisses eintreten" könnte, gründen sich technisch auf die Anwendung der elektronischen Computer oder Rechenmaschinen, die als Daten-und Informationsroboter Wissenbestände speichern und durch-rechnen können, und methodisch auf die neuen Wissenschaften Kybernetik (die als Informationstheorie die Selbststeuerung komplizierter Systeme der Natur, Technik und Gesellschaft untersucht), Soziologie und Politologie, mit denen neue Wissenszweige wie Entscheidungstheorie, Operation research, Modell-und Simulationstheorie sowie Spieltheorie entstanden sind. Dabei wird die Politologie weithin als praktische Disziplin interpretiert, die sich „das Vordenken von Praxis, von Handeln zur Aufgabe macht" und methodisch „die Vielzahl der Möglichkeiten verschiedenartiger Bezüge und Bedingungen politischen Handelns in einer Art Synopse" zusammenzufassen versucht Der lange Zeit in Deutschland empfundene Gegensatz von Geist und Macht hat dabei zweifellos „die heute unvermeidliche Kooperation von Wissenschaft und Politik" erschwert. Doch würde gerade „eine stärkere wissenschaftliche Vorbereitung der Politik, eine bessere Bereitstellung der wissenschaftlichen Voraussetzungen politischer Entscheidung, zu einer neuen Unabhängigkeit des Politikers führen" Denn „die Abdankung der Politiker gegenüber den mittleren Sachverständigen könnte durch bessere wissenschaftliche Vorarbeit und durch ein differenziertes Planungsangebot von Sachverständigengremien wieder aufgehoben werden" Wissenschaftliche Vorbereitung der politi3 sehen Entscheidung bewirkt, „daß Politik nicht blind arbeitet und zwischen unbekannten Größen im Grunde zufällige Entscheidungen fällt, sondern sie ermöglicht die Entscheidung an der wesentlichen Stelle" Die Formen solcher Zusammenarbeit bleiben allerdings noch zu entwickeln, „wobei sich Modelle in Brain-Trusts, also den in die Administration eingegliederten, aber nicht eigentlich verantwortlichen wissenschaftlichen Kapazitäten, in selbständigen Gutachtern oder in Mischformen finden lassen"

Vom Politiker kann zwar nicht verlangt werden, daß er auf allen Gebieten des modernen Lebens ein wissenschaftlicher Fachmann ist. Man kann aber erwarten, „ 1. daß er zugänglich ist für die Erkenntnisse, die Fachleute gesammelt haben, und von ihnen sich ein Problembewußtsein erziehen läßt; und 2. daß er alle Kraft dafür einsetzt, die Öffentlichkeit in der Richtung dieses Problembewußtseins aufzuklären"

In der Politik kommt es nicht nur darauf an, „Gegenwartsaufgaben zu lösen" sondern immer wichtiger wird es auch, zur Erkenntnis dessen zu gelangen, was in Zukunft möglicherweise eintreten kann oder wahrscheinlicher-weise eintreten wird. Es müssen Entscheidungshilfen bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit geliefert werden.

Zwar bleibt die Entscheidung über die Rangordnung der politischen Aufgaben weiterhin Sadie der politischen Führung. Aber „diese Entscheidung kann rechtzeitig und sachgerecht nur getroffen werden, wenn sie unbeschwert von vorgefaßten und oft vorindustriellen Leitbildern bleibt und sich statt dessen auf eine die gegebene Situation und die wahrscheinliche Entwicklung beschreibende Analyse und Prognose gründet"

Wichtig wird es auch werden, „die so oft ungenutzten Talente der jungen Menschen an begreifbaren Aufgaben und Zielen der Zukunftsgestaltung in praktisches Handeln" umzuset-Zen, „aber nicht in ein Handeln um der Aktivität willen, sondern in eine nach klaren Wertmaßstäben sinnvoll geordnete solidarische Aktivität"

Eine Rationalisierung des politischen Entscheidungsprozesses ist jedenfalls unumgänglich. „Die zunehmende Politisierung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Beziehungen und das Anwachsen der Staatstätigkeit erfordern eine Rationalisierung des politischen Entscheidungsprozesses. Um die der politischen Führung gestellten gesellschaftlich-politischen Aufgaben mit Erfolg bewältigen zu können, bedarf es in Zukunft mehr noch als heute eines differenzierten Sachverstandes und neuer kooperativer Verfahren. Nur so können politische Entscheidungen zielsicher, sachgerecht und situationsadäquat vorbereitet und verwirklicht und die Ergebnisse des staatlichen Handelns mit den Zielen der Politiker konfrontiert und rational kontrolliert werden."

1. Politik und Planung

Sinn der Planung ist das Funktionieren der Massengesellschaft in unserer Zeit. Die Mobilisierung der Naturkräfte, die Verfeinerung der Technik mit Arbeitsteilung, Normung, Typung, Automation, die Konzentration vieler Einzelbetriebe in einem Wirtschaftsunternehmen, die Aufgabenzunahme der öffentlichen Hand, die Ausbreitung der Massenmedien, die Zunahme der verwaltenden Tätigkeit und die immer mehr hervortretende Planung auf allen Lebensgebieten stehen in einem inneren Zusammenhang zueinander

Politik hat Ziele und Aufgaben und sucht diese zu erreichen und zu erfüllen. „Die Geschichte der materiellen und geistigen Welt ist ... zumindest zum Teil das Ergebnis planerischer Absichten." Der Plan muß aber auch in politisch-taktischem Sinne durchsetzbar sein, d. h., da Menschen „von Natur aus zur Beharrung neigen, muß die Plandurchsetzung Widerstände überwinden, um das Planziel zu erreichen"

Unabhängig von der jeweils herrschenden Mentalität geht von den Vorstellungen und Informationen, die von der Regierung entwickelt und vorgelegt werden, eine Art „Signalwirkung" aus. Allerdings „muß es als eine unvertretbare und kaum noch glaubwürdige Naivität gelten, zu hoffen, daß bereits der humane Appell ... genügt, um wichtige praktische Probleme zu meistern"

Dabei muß beachtet werden, daß es sich um eine Planung der staatlichen „Policy-De-cisions" handelt, nicht dagegen um eine staatliehe Bindung oder Kontrolle privater bzw. nichtstaatlicher Investitionen. Es kann allerdings erreicht werden, daß ein „koordiniertes Verhaltensklima" geschaffen wird. Dieser Effekt kommt dadurch zustande, daß Reaktionen hervorgerufen werden, durch die die geplante Entwicklung erleichtert und vorweggenommen wird. Bertrand de Jouvenel unterscheidet drei Arten von Vorausschauen: Für den einzelnen ist die Luftverunreinigung eine herrschende Zukunft: „Sie wird durch Extrapolation erfaßt: Da ich gesehen habe, daß die Anzahl der Autos und die Verunreinigung gestiegen ist, werde ich beides auch noch weiter steigen sehen. Das ist ein vom Subjekt im voraus berechnetes Phänomen, und man kann sagen, es bilde seine Vorausschau."

Für den Staat ist die Luftverunreinigung eine Zukunft, die beherrscht werden kann: „Auch hier wird extrapoliert, dieses Mal jedoch als künftige Gegebenheit, die es zu widerlegen gilt. Und dazu ist eine Handlung erforderlich. Und die Handlung muß durch eine Entscheidung in Bewegung gesetzt werden. ... Die leitenden Männer werden verschiedene Wege Vorschlägen, wie man vorgehen kann, und sie in Erwägung ziehen unter dem Gesichtspunkt ihrer Vor-und Nachteile ... So wird das Subjekt auf der höheren Ebene, das diese Zukunft als beherrschbar betrachtet, durch ihre Beherrschung vor ein Entscheidungsproblem gestellt, das sich nicht auf die einmal gestellte und gelöste Frage beschränkt, eine einzige, bestimmte Handlung vorzunehmen, sondern in der einen oder anderen Weise später eine neuerliche Entscheidung verlangt. In einem bestimmten Zeitpunkt kann man zwischen mehreren Entscheidungen wählen und, sobald neue Gesichtspunkte aufgetaucht sind, diese Wahl mehr oder weniger schnell revidieren." Es werden also drei Arten von Vorausschauen unterschieden: „In erster Linie die Voraus-schau eines für natürlich gehaltenen Verlaufs, die einen Trend sichtbar macht. In zweiter Linie die Vorausschau eines Beratergremiums, die durch die Existenz einer Macht veranlaßt wird und die in Form eines Fächers die verschiedenen möglichen Zukünften oder Futuriblen darstellt, die entsprechend den verschiedenen von der Macht ergriffenen Maßnahmen eintreten können ... Und wir haben eine dritte Art der Vorausschau, wenn es sich jetzt darum handelt, den verschiedenartigen Gebrauch der Macht in seiner zeitlichen Aufeinanderfolge zu berücksichtigen."

Wer für das Gemeinwesen verantwortungsbewußt und richtig handeln will, darf seine Aufgabe nicht nur als Auftrag zur Bewältigung der Tagesprobleme verstehen, sondern muß vielmehr zu erkennen suchen, wohin die gesellschaftliche Entwicklung voraussichtlich gehen wird. Wer eine fatalistische Grundeinstellung ablehnt, wird ein Interesse daran haben, grundlegende Entwicklungslinien im Strom der sich ständig vollziehenden Veränderungen unserer Lebensumstände herauszufinden, die dann beim politischen Handeln in Rechnung gestellt werden müssen. Die Aufgabe des Politikers ist es also, sich ein Bild von den Zusammenhängen und Wechselwirkungen der Ereignisse zu schaffen, das ihm gestattet, mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit den Gang des Geschehens vorauszusehen.

Unsere politischen und gesellschaftlichen Lebensformen unterliegen einem steten Wandel Ständiger Wechsel der sozialen Situation kennzeichnet unser Dasein und zwingt uns zu entsprechenden Reaktionen und Stellungnahmen

Man muß die heutige Gesellschaft kennenlernen, „um ihre Spannungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen" denn heute „sind die Grundstrukturen menschlichen Zusammenlebens (Produktionsverhältnisse, Familie usw.) Wandlungsprozessen von solcher Intensität unterworfen, daß dies bereits innerhalb eines Menschenalters entscheidend verspürt werden kann . . . Nur wer seine . Zeit'bewußt erlebt und wer gelernt hat, die die Gegenwart durchziehenden Entwicklungstendenzen zu erkennen, wird in der Lage sein, die weitere Entwicklung selbst zielbewußt mitzuprägen."

Wenn man davon ausgeht, daß eine freiheitliche Gesellschaft bei genügendem Industrialisierungsgrad praktisch keine Massenarbeitslosigkeit mehr dulden kann, dann ist die Chance gegeben, ein ständig höheres Wirtschaftswachstum zu erzielen als im vorausgegangenen Zeitraum, zumal wir in bestimmten Bereichen mit einem steten technischen Fortschritt rechnen können. Um diese Entwicklung in Gang zu halten, gibt es verschiedene gesellschaftspolitische Optionen: ,, a) Es besteht z. B. bei gleichbleibendem Wachstum der Produktivität eine Option zwischen einer Erhöhung des Konsums und einer Verkürzung der Arbeitszeit, wobei sich die Arbeitszeitverkürzung in einer Verlängerung des bezahlten Urlaubs oder einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit niederschlagen kann. Es soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden, inwieweit über eine solche Option bei der augenblicklichen Tarifautono-mie der Sozialpartner in einem Plan entschieden werden kann. b) Eine weitere Option könnte sich auf die Struktur des Konsums beziehen, d. h. auf die Frage, in welchem Verhältnis die Konsum-summe auf individuellen und öffentlichen Konsum verteilt werden kann, wobei im Falle des öffentlichen Konsums auch das Problem der Entgeltlichkeit in die Grundentscheidung einbezogen werden könnte. Obgleich diese Frage mit Galbraiths These vom sozialen Ungleich-gewicht in den Vordergrund des theoretischen und politischen Interesses rückte, müssen heute alle Versuche, das Problem der Aufteilung von privatem und staatlichem Konsum auf eine objektive Basis zu stellen, als gescheitert angesehen werden. c) Ebenfalls zu den Grundentscheidungen gehören die Wahlmöglichkeiten, die der Verteilungspolitik offenstehen. Als Alternativen eröffnen sich hier eine unterschiedliche Begünstigung der Erwerbsbevölkerung und der nicht Erwerbstätigen. Bei der Erwerbsbevölkerung könnte differenziert werden nach unterschiedlichen Qualifikationen, Branchen oder Regionen. d) Auch weitere Bereiche der Regionalpolitik fallen unter die hier angesprochenen Grundentscheidungen, solange noch keine objektiven Kriterien einer optimalen Regionalstruktur entwickelt werden. Sofern die regionale Entwicklung nicht durch Zufälligkeiten bestimmt werden soll, kann nur durch eine politische Entscheidung festgelegt werden, in welchem Maße die verschiedenen Regionen an der wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft teilnehmen.

e) Eine letzte Option, die noch genannt werden soll, bezieht sich auf die Struktur der Produktion, d. h. auf die Frage nach der wünschenswerten Faktorkombination bei gegebenem Produktionsergebnis. Wie schon aus der Bezeichnung . wünschenswerte Faktorkombination'hervorgeht, handelt es sich hier um ein Problem, das jenseits der relativ einfachen Kalkulationstechnik einer optimalen Faktorallokation liegt. Es geht hier um Fragen der Faktorkombination, die zugleich ökonomische und politische Bedeutung haben. Solche Fragen tauchen auf bei der Neugründung öffentlicher oder halböffentlicher Unternehmen, bei der Beschleunigung oder Hemmung der Konzentrationsvorgänge im industriellen Bereich und im Handel. Auch das Problem der landwirtschaftlichen Konzentration, d. h. also die Frage, wieweit Abweichungen vom betriebs-technischen Kostenoptimum zur Aufrechterhaltung bäuerlicher Familienbetriebe vertretbar sind, kann nur durch eine politische Grundentscheidung gelöst werden. Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Problem der . wünschenswerten Faktorenkombination'ist die Frage nach dem Grad der Auslandsabhängigkeit, der Autarkie einer Volkswirtschaft, zu nennen."

2. Änderung der Struktur des Konsums

Auch wenn sich die Zahl der Menschen, die keine Begeisterung für die Arbeit aufbringen oder sich vor ihr drücken, nur geringfügig geändert hat, so hat sich doch der soziale Akzent verschoben. Aus Leo Löwenthals Artikel über den Wechsel von den Helden der Produktion zu den Helden des Konsums ergibt sich deutlich, daß, wenn die Massenmedien heute noch Männer der Arbeit schildern, der Nachdruck weniger auf ihrer Arbeit liegt als auf ihrem Golf-Handicap, ihrem Wochenendverhalten, ihrem Familienleben. Noch am Beginn des vorigen Jahrhunderts aber war in einem großen Teil der Land-und Arbeiterbevölkerung dieses Konsumstreben nicht vorhanden

„Das Gewinnstreben der Produzenten führt zu dem ständigen Bemühen, unter Zuhilfenahme wirksamer Reklametechniken stets neue Bedürfnisse im Menschen zu wecken und ganz bewußt ständig Neues zu bieten, um das Alte unmodern erscheinen zu lassen."

Ein gewisser Zuwachsfaktor spielt hier eine Rolle: „In vielen Konsumgütern steckt eine Art Zuwadisfaktor: An einem Haus lassen sich immer Verbesserungen und Erweiterungen anbringen; ein Wagen ist eine ständige Aufforderung zum Reisen und zu abendlichen Ausfahrten; ein Fernsehapparat ist ein einladender Spiegel des guten Lebens." Hier könnte eine Option darin bestehen, „entfremdeten Verbrauch in menschlichen zu verwandeln". Dann allerdings wären Wandlungen jener wirtschaftlichen Vorgänge nötig, die diese entfremdende Konsumtion bewirken. „Allgemein gesprochen bedeutet es, die Produktion auf Gebiete zu leiten, wo vorhandene, echte Bedürfnisse noch nicht befriedigt werden konnten, anstatt dorthin, wo das Verlangen künstlich hochgetrieben werden muß."

Auch die andere Option, zugunsten einer Arbeitszeitverkürzung auf ein bestimmtes Maß der Konsumbedürfnisbefriedigung zu verzichten, erscheint bedroht: „Heute ist für viele Menschen der plötzliche Ansturm der Freizeit eine Abart der durch die Technik bedingten Arbeitslosigkeit; ihre Erziehung hat sie nicht dafür vorbereitet, und die Schaffung neuer Bedürfnisse auf ihre Kosten entwickelt sich schneller als ihre Fähigkeit, diese Bedürfnisse einzuordnen und zu assimilieren." Die Arbeiter sind „einerseits zu intelligent und zu gebildet, um die übliche Routine der Fabrikarbeit zu akzeptieren, andererseits aber noch weit weg von der Bildung des Künstlers oder des Intellektuellen, der in gewissem Umfang sich seine Arbeit mit einem Minimum außen-bestimmter Strukturierung selbst schaffen kann"

Die „Massenproduktion von Zerstreuungen" zumindest in den USA ist heute ebenso „Teil der amerikanischen Lebensart wie die Massenproduktion von Automobilen"

Die zunehmende Differenzierung der Berufe, der Mangel an äußerlich sichtbaren „Rangabzeichen" in weiten Bereichen der Berufswelt, der Mangel der Qualifikationsvorstellungen im Verlauf der Mechanisierungsund Rationalisierungsprozesse und eine Vielzahl weiterer Vorgänge lassen die sonst so bedeutsame Berufsposition als Orientierungskriterium hinsichtlich der sozialen Stellung immer ungeeigneter werden, sobald man sich aus dem engeren Bereich der eigenen Berufssphäre entfernt In den anonymen Sozialzusammenhängen der Großstädte und Industrielandschaften wird daher der Konsum fast zum einzigen Mittel, „mit dem man die gegenseitigen Gel-tungs-und Rangansprüche für alle erkennbar anmelden und abstecken kann"

Die „Freizeitberater" — die Angestellten der Reisebüros und Kurverwaltungen, die Trainer, Sportlehrer usw. — wachsen zu einer bedeutsamen Gruppe in unserer Berufswelt heran „Der Mensch in unserer Gesellschaft tritt in der Freizeit eigentlich nur unter eine andere Zwangsgesetzlichkeit der industriellen Gesellschaft, als er sie im Beruf hat, unter die Zwangsgesetzlichkeit des Konsums." Die gelegentliche Kritik an der Freizeit richtet sich deshalb auch nicht gegen die Ausweitung der Freizeit selber, „sondern nur gegen die akute Gefahr, daß die gewonnene Zeit einer Unterhaltungsindustrie im weitesten Sinne zum Opfer gebracht wird" Dennoch könnte die Politik versuchen, den Zuwachs an Produktiv-kraft immer mehr in den Dienst „soziokultu-reller Aufgaben" zu stellen, „anstatt eine auf die Dauer zum Totlaufen verurteilte Auto-Kühlschrank-Psychose zu forcieren"

3. Einschränkung der Konsumtion zugunsten größerer Gemeinschaftsaufgaben

Eine weitere Option könnte darin bestehen, verstärkt Gemeinschaftsaufgaben in Angriff zu nehmen und dafür die Verfügungsgewalt über einen Teil des Einkommens, das zuvor für Konsumgüter weniger dringlicher Art ausgegeben wurde, zu verlangen. Der Mensch lebt grundsätzlich „ 1. vom Ertrag seiner Arbeit. Dabei darf man allerdings nicht allein an vergütete Leistungen denken, die in unserer arbeitsteiligen und kommerzialisierten Gesellschaft einen breiten Raum einnehmen, sondern auch an jene nützlichen Tätigkeiten, die unmittelbar dem Lebensvollzug zum Beispiel im Kreise der Familie dienen .. .

2. von der Nutzung von Vermögen. Auch hier darf man den Blick nicht einengen auf Kapital-besitz und Zinserträge, die nur einem verhältnismäßig kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Sehr viel breiter ist nutzbares Vermögen an Haus, Garten, technischen Einrichtungen im Haushalt, die nirgendwo in einer Vermögensrechnung eingehen, ein Vermögen, das aber viele Milliarden ergäbe, wenn man diese Werte nach den Regeln der gewerblichen Unternehmen bilanzieren würde; 3. von dem Anspruch an Dritte auf Unterhalt, sei es ein Anspruch der Sklaven an den pater familias, der Leibeigenen an den Grundherrn, aber auch der Kinder an ihre Eltern, der Genossen eines Kibbuz an die Genossenschaft. Nur in der Idee oder in einer durch Not erzwungenen Kommandowirtschaft richtet sich ein solcher Anspruch unmittelbar an die Staatsmacht."

Heute bestimmen drei weitere Faktoren das Lebensniveau der Menschen in einer Gesellschaft wie der unseren: „ 1. die Erreichbarkeit infrastruktureller Einrichtungen. Die Infrastruktur wird durch öffentliche Einrichtungen bestimmt, die im Prinzip allen Gliedern einer Gesellschaft ... zugänglich sind: Versorgung mit Wasser, Energie, Straßen, öffentliche Verkehrsmittel, Kanalisation und Müllbeseitigung, Schulen und Krankenhäuser, Telephon, Rundfunk und Fernsehen ... Ob und wie diese öffentlichen Einrichtungen bereitstehen, entzieht sich dem Willen und Können des einzelnen. Die Entscheidung darüber liegt bei dem politischen Willen und der Finanzkraft ihrer zur Zeit lokalen Träger. Sie erfordern für Einrichtung, Unterhaltung und Verbesserung laufend Investitionen, die aus dem Sozialprodukt abge-zweigt werden müssen und in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als . Sozial-investitionen'zu Buche stehen .. . 2.der Anspruch auf soziale Leistungen, sei es in der Form von Geldeinkommen, das nicht auf Leistungsvergütung innerhalb des Marktes beruht, ...sei es in der Form von Dienst-und Sachleistungen, die von dem Empfänger nicht unmittelbar vergütet werden ... 3. die Struktur der Familienhaushalte ... In vorindustriellen Zeiten ... war die Zahl der zum Haushalt gehörenden Personen irrelevant für das Lebensniveau ... Heute führen alte Menschen einen eigenen Haushalt, losgelöst von der nachfolgenden Generation, auch wenn sie kein Arbeitseinkommen mehr haben, Kinder und Jugendliche sind auf immer mehr Jahre . Kostgänger’ ihrer Eltern ..."

Die Bedürfnisse des Menschen zerfallen also in mehrere Kategorien: z. B. solche, die absolut ohne Rücksicht auf Mitmenschen empfunden werden, und solche, die aus einem Gefühl der Überlegenheit über die Nachbarn erwachsen (Prestige-Bedürfnisse), wobei „eine Nachfrage nach diesem Teil der Produktion nicht vorhanden wäre, wenn man ihn nicht fabrizierte"

Anschaulich skizziert auch Galbraith dieses Problem, wenn er schreibt: „Die Familie, die ihr lila-kirschrotes, automatisch geschaltetes, mit raffinierter Luftheizung und -kühlung ausgestattetes Auto aus der Garage holt, um einen Ausflug zu machen, fährt durch Orte mit schlecht gepflasterten und ungereinigten Straßen, verfallenen Häusern, scheußlichen Reklameschildern und Hochspannungs-oder Telegraphenmasten, deren Leitungen man längst schon unter die Erde hätte verlegen müssen. Dann kommen die Ausflügler in eine Landschaft hinaus, die man vor lauter Werbe, kunst'einfach nicht mehr sieht... Unsere Familie genießt am Ufer eines verdreckten Flusses die köstlichen Konserven aus der transportablen Kühlbox und übernachtet dann auf einem Parkgelände, das für Volksgesundheit und öffentliche Moral eine Gefahr ist. Kurz bevor sie auf ihren Luftmatratzen unter dem Dach ihres Nylonzeltes, umgeben von dem Gestank faulender Abfälle, einschlummert, möge sie sich vage Gedanken über die seltsame Unterschiedlichkeit ihrer Genüsse machen." *

Diese Option würde also von der Annahme ausgehen, daß eine Erhöhung des Lebensstandards nicht nur die Verbesserung des jeweiligen individuellen Lebensstandards bedeutet, sondern zum großen Teil durch Dienstleistungen und Einrichtungen von Kommunen, Ländern und Bund, also dem Staat, garantiert wird. „Erst wenn man darauf kommt, daß ein hohes Einkommen einzelner Menschen der Masse der Menschheit keine Immunität gegen Cholera, Typhus und Unwissenheit erkaufen und ihr noch weniger die Vorteile von Bildungsmöglichkeiten und wirtschaftlicher Sicherheit bieten kann, erst dann beginnt die Gesellschaft langsam, zögernd und unter lauten Prophezeiungen von moralischem Niedergang und wirtschaftlichen Katastrophen kollektiv für jene Bedürfnisse zu sorgen, die kein gewöhnlicher Mensch, auch wenn er sein Leben lang Überstunden macht, selbst zu befriedigen vermag."

Darüber hinaus ist die Wandlung des Staates zu einem „Haftungsverband", der den einzelnen Bürger gegen alle denkbaren Lebens-risiken (Alter, Krankheit, Unfall, Tod, Geburt usw.) versichert, eine logische und reale Konsequenz der modernen staatlichen Entwicklung. „Während die alte Sozialversicherung einen Lastenausgleich innerhalb einer Schicht vollzieht, also sozusagen , die Armen für die Armen zahlen läßt’, führt die aus Steuermitteln gewährte Versorgung einen Leistungsfluß von oben nach unten herbei. Es ist aber nicht nur dieser Leistungsfluß von oben nach unten, der das Versorgungsprinzip in den Augen der Politiker anziehend macht; nicht minder anziehend wirkt der Gedanke, daß eine Versorgung, die allen Bürgern unterschiedlos und unabhängig von Bedürftigkeit und Vorleistung gewährt wird, bei den minderbemittelten Gruppen nicht mehr die Vorstellung, sie allein seien auf Unterstützung und Hilfe angewiesen, aufkommen läßt."

4. Mehr Freiheit oder mehr Einkommen

Auch in der Berufsstruktur vollziehen sich wichtige Wandlungen, die bei der politischen Planung beachtet werden müssen. „Ein ständiges und regelmäßiges Wachstum des Sozial-produkts führt zu tiefgreifenden Wandlungen im Wirtschaftsgefüge. Umgekehrt sind diese Strukturwandlungen Voraussetzung für dieses Wirtschaftswachstum. Die Folge ist der Berufswechsel für mindestens eine Million Beschäftigte allein in der Industrie, nicht gerechnet die Wanderung von der Landwirtschaft in die Industrie und in den Dienstleistungsbereich. Dabei wird sich der Spannungszustand zwischen den Bereichen der Wirtschaft mit hoher Produktivität und dem tertiären Sektor mit seiner geringeren Produktivität noch verschärfen — der Spannungszustand, der ein struktureller Hauptgrund für die schleichende Geldentwertung ist. Die Leistungsunterschiede zwischen den Branchen können nämlich nicht dahin führen, daß ein Metallarbeiter doppelt so viel verdient wie die nichtindustriell Beschäftigten. Denn ein Kumpel, ein Maurer oder ein Bauer sind nicht schuld, daß sie nicht am Fließband produzieren können."

Jean Fourastie hat darauf hingewiesen daß wir uns hinsichtlich der Berufsstruktur gegenwärtig in einer Übergangszeit befinden, deren Endphase vermutlich dadurch gekennzeichnet sein wird, daß ca. 80 °/o der Erwerbstätigen in Dienstleistungen und nur noch ca. je 10 °/o in den primären und sekundären Beschäftigungsgruppen der Landwirtschaft und Industrie tätig sind.

Die Wahl der Berufe, jahrtausendelang zu 85 bis 90 % im Bereich der Landwirtschaft, wird sich nur noch zu 3 bis 4 °/o auf den Agrarsektor erstrecken; die Berufe des tertiären Sektors werden an Bedeutung gewinnen. „Schon heute sind in den USA 90%, in der Bundesrepublik fast 50 % der Bevölkerung im tertiären Sektor angesiedelt. Im Frankreich des Ancien Regime waren von 20 000 Menschen noch 18 000 Bauern." % der Bevölkerung im tertiären Sektor angesiedelt. Im Frankreich des Ancien Regime waren von 20 000 Menschen noch 18 000 Bauern." 49) Die physische Arbeit wird an Bedeutung verlieren und durch scharfe Beobachtung, die Aufnahme und Aussendung von Symbolen ersetzt werden. „In der vorindustriellen Gesellschaft waren 80 bis 90 % der Bevölkerung erforderlich, um die Gesamtbevölkerung zu ernähren ... In der vollentfalteten Industriegesellschaft werden nur noch 10% für die landwirtschaftliche Produktion gebraucht, wie heute schon in den Vereinigten Staaten von Amerika, auf die Dauer wahrscheinlich noch weniger, man rechnet mit 3, 2 %." 50)

Für die Herstellung einer ständig größer werdenden Gütermenge wird also immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt. „Nach Berechnungen des amerikanischen Arbeitsministeriums wird in 10 Jahren nur noch etwas mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen mit der Herstellung von Gütern beschäftigt sein, während zwei Drittel . Dienste'aller Art leisten werden ... In der Bundesrepublik sind ... noch rd. 62 % der Erwerbstätigen in der Güterproduktion beschäftigt, soviel wie in den USA vor 30 Jahren." Der Strukturwandel im amerikanischen Kohlenbergbau reduzierte die Zahl der Beschäftigten zwischen 1947 und 1957 um fast 200 000. In den darauffolgenden Jahren bis 1965 verloren weitere 100 000 Bergarbeiter ihre Arbeitsplätze. Heute produzieren weniger als 100 000 Bergleute annähernd so viel Kohle wie 400 000 vor 20 Jahren. „Für ungefähr 95 % des Wertes sämtlicher Güter und Dienstleistungen, die in den Vereinigten Staaten hergestellt bzw. verrichtet werden, braucht man irgendwelche Maschinen; vor 100 Jahren waren es weniger als 100/o."

Diese Wandlung des Berufsbildes ist eine Folge der wirtschaftlich-industriellen Umstrukturierung, die sich in den jeweiligen Sektoren der Wirtschaft unterschiedlich vollzieht.

„Der britische Professor Ubbelohde, Technologe an der Universität London, ... hat die tertiäre Gesellschaft Fourasties auf den Namen . Tektopia'getauft. Er versteht darunter eine Gesellschaft, die den materiellen Unterbau, die ökonomische Basis für die Errichtung eines , Dealstaates'besitzt, nun aber vor der Aufgabe steht, die . Begrenzung des menschlichen Wesens zu meistern'. Als Platon seine . Republik'entwarf und Thomas Morus sein . Utopia', hatten sie ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie man den Menschen verwandeln und die Gesellschaft höheren Werten und Zwecken untertan machen könne. Ihr Problem war, eine materielle Grundlage für ihre Idealstaaten zu finden. Heute stellt sich die Frage ungekehrt. In Utopia sind die Menschen gut. In Tektopia sind es nur die Verhältnisse."

Mit dem technologischen Fortschritt, mit der systematischen Erziehung zu Maschinenkenntnis und Maschinenvertrautheit „wird sich das Verhältnis unserer Kinder zu der Größe verändern, die wir heute noch fälschlicherweise als , Beruf bezeichnen. Ausgehend von einer kulturbestimmten, religiös überhöhten Wertschätzung der Arbeit, der Romantisierung einer Ärbeits-und Gesellschaftsordnung, die sich durch einen geringen technologischen Wandel auszeichnete, wurde der Beruf zu einem Wert an sich"

Eine mobile industrielle Gesellschaft, eine Gesellschaft in permanentem Wandel bedarf der mobilen Arbeitskraft, und „je bewußter diese Arbeitskraft mobil ist, je genauer sie weiß, wie sie ihr Fähigkeitspotential einzusetzen vermag, desto geringer werden die Störungen dieser Gesellschaft sein und um so mehr werden unsere Kinder an den Früchten einer Gesellschaft des Überflusses teilhaben können"

Die Beobachtung zeigt nun aber, daß der Mensch mit steigendem Realeinkommen Wünsche und Bedürfnisse entwickelt, die sich durch sein Einkommen nicht befriedigen lassen. Er wird z. B. anspruchsvoll in der Berufswahl, er verringert seine Arbeitszeit und nimmt selbst eine Senkung des Lebensstandards in Kauf, um mehr Freizeit zu erlangen. „Mit dem durchschnittlichen Reichtum des Menschen steigt auch sein Bedarf an Dienstleistungen, weil er nach einem Kompromiß zwischen den ihm angebotenen Freuden aller Art und der ihm zur Verfügung stehenden Zeit sucht."

Hier bietet sich eine weitere Option, die zugunsten der Freizeitverlängerung und Arbeitszeitverkürzung geht. Jean Fourastie zitiert in seinem Buch eine französische Untersuchung, die ergab, daß eine durchschnittliche Arbeitszeitverkürzung von 2 Stunden pro Woche etwa 2, 7% vom Lebensstandard „koste": „Da der Lebensstandard in unseren Nationen seit etwa 10 Jahren jährlich um 3— 4 % steigt, und es zwar möglich, zugleich aber auch schwierig ist, diesen Rhythmus von 3 % beizubehalten, wird vermutlich jede Arbeitszeitverkürzung von zwei Stunden pro Woche das weitere Ansteigen des Lebensstandards um ein Jahr oder fast ein Jahr verzögern, genauer: den Fortschritt der Produktivität um ein Jahr aufhalten, dasselbe gilt, in fast gleichem Umfang, für einen Jahresurlaub von anderthalb Wochen, für ein Jahr längeren Schulbesuch und für die Herabsetzung des durchschnittlichen Ruhestandsalters um ein Jahr." Die Entscheidung zugunsten der Arbeitszeit-verkürzung zwingt also zu einer Entscheidung zwischen Lebensstandard und Lebensweise Die Verkürzung der Arbeitszeit führt zu zahlreichen Nebenwirkungen, z. B. in Hinsicht auf die Gesundheit und die Sicherheit, auf die berufliche Vervollkommnung und Weiterbildung der Arbeitnehmer und vor allem auf die Produktivität pro Stunde Sie bietet weit mehr Frauen die Chance, berufstätig zu sein, als bisher. Arbeiten, die starke körperliche Anstrengungen erfordern sowie Schmutz-, Geruch-und Lärmbelästigungen mit sich bringen, werden zurückgedrängt werden.

Verkürzung der Arbeitszeit heißt also in einem bestimmten Ausmaß Zurückstellung von Bedürfnissen wirtschaftlicher Art zugunsten längerer Schulpflicht, größerer Freizeit und Hinführung der Masse des Volkes zu einer höheren Lebensweise. Zu den Formen der Freizeitvermehrung und damit Arbeitszeit-verkürzung wird man gesellschaftspolitisch auch rechnen müssen den späteren Eintritt der Kinder in das Berufsleben, die Gewährung von mehr Urlaub und u. U. das Festsetzen einer elastischeren Altersgrenze. „In der Quantität wird die Anzahl der Arbeitsstunden etwa gleichermaßen reduziert durch 1. Verkürzung der effektiven Arbeitswoche um eine Arbeitsstunde;

2. Bewilligung einer Urlaubswoche pro Jahr für alle Arbeiter;

3. Verzögerung des Eintritts in das Berufsleben um ein Jahr;

4. Vorverlegung des Ausscheidens aus dem Arbeitsprozeß um zwei Jahre."

Es könnte sein, daß die bevorzugte Art der Arbeitszeitverkürzung „nicht in der massiven Verkürzung (Jahre des Ruhestandes) und auch nicht in der zunehmenden Beschneidung der Arbeitswoche (sobald sie einmal unter eine bestimmte Dauer gesunken ist) liegen wird, sondern vielmehr in . substantiellen Paketen', das heißt nicht in einem Jahresurlaub, sondern in zwei, später vielleicht drei Urlaubsperioden, mit der Tendenz, das Arbeitsjahr dem Charakter des Schuljahres anzugleichen"

Mit der Option zugunsten der Arbeitszeitverkürzung ist die Hoffnung verbunden, daß aus der Freizeit möglich würde — eine Erhöhung des Lebensalters für den Eintritt in das Berufsleben — eine Herabsetzung der Zahl der Wochen-arbeitsstunden — eine Herabsetzung des Pensionierungs-

bzw. Rentenalters — eine Ausweitung der Urlaubszeit — eine Intensivierung der bezahlten Freistellungszeiten für die berufliche Ausbildung und Umschulung der Erwachsenen.

Sowohl im Lehrberuf wie unter Stahlarbeitern wehren sich aber viele der Älteren weiter gegen die Pensionierung, da die mürrische Gewohnheit an die Arbeit das einzige ist, was ihrem Leben bisher eine feste Ordnung gibt Zweifellos „wird die arbeitsverkürzende und konsumsteigernde Automation die Lehre vom überzweckhaften Eigenwert der Arbeit zugunsten der Überzeugung vom selbstverständlichen Eigenwert freier Zeit verdrängen" Dabei wird davon ausgegangen, „daß alle Anregungen im Sinne der Vermenschlichung der Arbeit nicht zum Ziel haben, die Produktion zu erhöhen oder größere Befriedigung durch die Arbeit an und für sich zu erzeugen. Sie gewinnen ihren Sinn nur innerhalb einer völlig anderen sozialen Struktur, in der die wirtschaftliche Betätigung nur ein Teil — und zwar ein untergeordneter Teil — des sozialen Lebens ist. Man kann die eigentliche Arbeit nicht von politischer Tätigkeit, vom Gebrauch der Freizeit und vom persönlichen Leben trennen"

Das Ziel ist nicht erhöhte Produktivität oder höherer Lohn, sondern ein neuer Lebensstil; „Schmutz, Lärm und Gestank, die sich heute noch mit dem Fabriksaal verbinden, werden wahrscheinlich aus der Fabrik der Zukunft ebenso verschwinden wie der armselige Umkleideraum und die schäbige Fabrikuniform des Mannes in blauem Hemd. Eine Zeitlang werden noch überkommene Zugehörigkeitsgefühle und traditionelle Bräuche Schwierigkeiten auslösen, wenn der Arbeiter sich in der Fabrik gut anzieht und sich aufspielt, als gehöre er zum Mittelstand'. Aber ... in einem Maße, in dem die Arbeit in der Fabrikhalle sicherer und bequemer wird, geraten auch Raufereien innerhalb und außerhalb der Fabrik zunehmend in Verruf."

Die zukünftige Gesellschaft wird also nach diesen Vorstellungen zwar eine Wachstums-und Wohlstandsgesellschaft sein. Doch nicht allein Ernährung, Wohnung und Kleidung werden ihren eigentlichen Luxus ausmachen, sondern die sozio-kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten, „die aus der Befreiung von der Fron der Schwerarbeit, aus der Ausdehnung der Freizeit und aus der für die Industriegesellschaft unerläßlichen Hebung des Bildungsniveaus sich ergeben: die Befreiung von Ignoranz, die Freisetzung schöpferischer und spiritueller Fähigkeiten für immer breitere Schichten der Bevölkerung"

Eine optimistische Zukunftsplanung, die das Zurückdrängen des künstlich geweckten Bedarfs, die Vermehrung der Freizeit und die endgültige Ausschaltung des Disziplinierungsmittels Arbeitslosigkeit erwartet, fordert eine Verarbeitung der Eindrücke und eine weitsichtige und rechtzeitige Option verantwortlicher Politik. Jede politische Entscheidung sollte eine genaue Kenntnis der sich vollziehenden Veränderungen im gesellschaftlichen Bereich besitzen, um die politische Entscheidung in voller Verantwortung rational und zukunftsweisend fällen zu können. Die in den letzten beiden Jahrzehnten entstandenen Wissenschaften des Operations Research, der Kybernetik, der Informationstheorie, der Spieltheorie, des Systems Engineering — um nur die wichtigsten zu nennen — haben hierfür mannigfaltige Ansätze bieten können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Robert Jungk, in: Modelle für eine neue Welt, hrsg. von Robert Jungk/Hans Josef Mundt, Bd. I: Der Griff nach der Zukunft. Planen und Freiheit, München/Wien/Basel 1964, S. 35.

  2. Jean Fourastie, Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Köln-Deutz 1954.

  3. Robert Jungk, in: Modelle für eine neue Welt, hrsg. von Robert Jungk/Hans Josef Mundt, Bd. II: Wege ins neue Jahrtausend. Wettkampf der Planungen in Ost und West, München/Wien/Basel 1964, S. 556.

  4. Dieter Oberndorfer, Politik als praktische Wissenschaft, in: Wissenschaftliche Politik. Eine Einführung in die Grundlagen ihrer Tradition und Theorie, hrsg. von Dieter Oberndorfer, Freiburg i. Br. 1962, S. 20 f.

  5. Hellmut Becker, Wissenschaft als Voraussetzung von Politik, in: Modelle für eine neue Welt, Bd. III: Deutschland ohne Konzeption? Am Beginn einer neuen Epoche, München/Wien/Basel 1964, S. 254.

  6. Derselbe, ebda. S. 264.

  7. Derselbe, ebda. S. 255.

  8. Klaus von der Groeben, Bürokratie und Bürokratismus, in: Die politische Meinung, Heft 1/1967, S. 8t f.

  9. Alexander Mitscherlich, Planen für die Freiheit. Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen der Städteplanung, in: Modelle für eine neue Welt, hrsg. von Robert Jungk/Hans Josef Mundt, Bd. III: Deutschland ohne Konzeption? Am Beginn einer neuen Epoche, München/Wien/Basel 1964, S. 159.

  10. Friedrich Glum, Das parlamentarische Regierungssystem in Deutschland, Großbritannien und Frankreich; München/Berlin 1950, S. 368.

  11. Ulrich Lohmar, Politik ohne Planung?, in: Die Zeit vom 3. 12. 1965.

  12. Walter Fabian, Planung und Öffentlichkeit, in: Modelle für eine neue Welt, Bd. I: Der Griff nach der Zukunft. Planen und Freiheit, München/Wien Basel 1964, S. 453.

  13. Otto Stammer, Der Politikwissenschaftler als Berater der politischen Praxis, in: Wissenschaft und Praxis. Festschrift zum 20jährigen Bestehen des Westdeutschen Verlages, Köln/Opladen 1967, S. 35.

  14. Siehe Peter Habermehl, Die Grundlagen der Planung, in: Zeitschrift für Politik, Heft 3/1965, S. 254.

  15. Derselbe, ebda. S. 256.

  16. Ernst August Kern, Skizzen zur Methodik und zum System der Planung, in: Planung II, hrsg. von Joseph H. Kaiser, Baden-Baden 1966, S. 355.

  17. Otto Walter Haseloff, Schicksalsideologie und Entscheidungsplanung, in: Modelle für eine neue Welt, Bd. III: Deutschland ohne Konzeption? Am Beginn einer neuen Epoche, München/Wien/Basel 1964, S. 65.

  18. Wilhelm Krelle, Programmiertes Wachstum, in: Der Volkswirt vom 20. Dez. 1963, S. 77.

  19. Bertrand de Jouvenel: Die Kunst der Voraus-schau, Politica, Bd. 34, Neuwied/Berlin 1967, S. 69.

  20. Derselbe, ebda. S. 70.

  21. Ebda. S. 72.

  22. Bernhard Menzel, Deutschland und die Welt im Jahre 1985, in: Geplante Zukunft? Perspektiven für die Welt von morgen, hrsg. von Reinhard Schmid/Werner Bede, Göttingen 1966, S. 7.

  23. Karl Martin Bolte/Dieter Kappe, Struktur und Entwicklung der Bevölkerung, in: Deutsche Gesellschaft im Wandel, Opladen 1966, S. 70.

  24. Bolte/Aschenbrenner: Die gesellschaftliche Situation der Gegenwart, in: Deutsche Gesellschaft im Wandel, hrsg. von Karl Martin Bolte, Opladen 1966, S. 62 f.

  25. Bolte/Aschenbrenner, a. a. O., S. 25.

  26. Klaus Kästner, Gesamtwirtschaftliche Planung in einer gemischten Wirtschaftsordnung, in: Wirtschaftspolitische Studien, Bd. 5, Göttingen 1966, S. 27 f.

  27. Vgl. Löwenthal: Biographes in Populär Magazines, in: Radio-Research 1942— 1943, hrsg. von Paul F. Lazarsfeld/Frank Staaton, New York, Duell, Sloan, Pearce 1944.

  28. C. Jantke, Der Vierte Stand, Freiburg 1955, S. 138 ff.

  29. Bolte/Aschenbrenner, a. a. O., S. 31.

  30. David Riesman, Wohlstand wofür?, Frankfurt/Main 1966, S. 105.

  31. Erich Fromm, Der Moderne Mensch und seine Zukunft, Frankfurt/Main 1960, S. 295.

  32. David Riesman, a. a. O., S. 82.

  33. Derselbe, S. 86.

  34. Robert Bendinger, Could You Stand a Four Day Week?, in: Reporter vom 8. Aug. 1967, S. 11.

  35. H. Kluth, Das Geltungsbedürfnis im Lebensstandard, in: Zeitschrift der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, Bad Harzburg, Heft 6, Berlin/Zürich 1960, S. 17.

  36. Ebda., S. 19.

  37. Bolte/Aschenbrenner, a. a. O., S. 52.

  38. Helmut Schelsky, Zukunftsaspekte der industriellen Gesellschaft, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, Tübingen 1966, S. 38.

  39. P. Meyer-Dohm, Bemerkungen zur Konsumkritik, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, Tübingen 1960, S. 174.

  40. H. K. Schneider, Planification als normatives Informationssystem und als Koordinationsprinzip, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, April 1964, S. 331.

  41. Klaus Kästner, a. a. O., S. 84.

  42. Ludwig Neundörfer, Selbstverständliche und neue Aufträge an Staat und Gesellschaft, in der von der Gesellschaft für VersicherungsWissenschaft und -gestaltung e. V. Köln herausgegebenen Publikation mit dem Titel: Sozialer Ordnungsauftrag im letzten Drittel unseres Jahrhunderts. Optimale Sicherung der Gesellschaft, Bielefeld 1967, S. 79 ff. 4

  43. John Kenneth Galbraith, Gesellschaft im Überfluß, München/Zürich 1963, S. 176.

  44. Ebda. S. 269.

  45. Ebda. S. 267.

  46. Manfred Friedrich, Opposition ohne Alternative, Köln 1962, S. 15.

  47. Wilhelm Bittorf, Das Verbraudierparadies mit Problemen, in Bd. 44 der Beckschen Schwarzen Reihe, hrsg. von Hans-Joachim Netzer, Die Gesellschaft der nächsten Generation, München 1966, S. 87 f.

  48. Jean Fourastie, Die große Hoffnung, a. a. O.

  49. Ebda. S. 270 f.

  50. K. O. Pöhl, Der Arbeiter stirbt aus, in: Die Zeit vom 17. 2. 1967.

  51. Walter Buckingham, Automation — Herausforderung an das 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, vom 9. 10. 1963.

  52. Wilhelm Bittorf, Das Verbraucherparadies, a. a. O., S. 91 f.

  53. Theo Pirker, Drei Tage Arbeit — vier Tage Freizeit?, in: Die Gesellschaft der nächsten Generation, hrsg. von Hans-Joachim Netzer, München 1966, S. 97.

  54. Derselbe, ebda., S. 99.

  55. Jean Fourastie, Die große Hoffnung, a. a. 0. S. 274.

  56. Jean Fourastie, Die 40 000 Stunden, Düsseldorf/Wien 1966, S. 95.

  57. Derselbe, Die 40 000 Stunden, a. a. O., S. 87.

  58. Derselbe, ebda., S. 89.

  59. de Jouvenel, Die Kunst der Vorausschau, a. a. O., S. 177.

  60. Ebda., S. 178.

  61. Eugene A. Friedmann/Robert J. Havighurst, The Meaning of Work and Retirement, University of Chicago Press 1954.

  62. Otto Walter Haseloff, Lebensanspruch und Moralität an der Schwelle des 3. Jahrtausends, in: Geplante Zukunft, hrsg. von R. Schmid/Werner Beck, Göttingen 1960, S. 42 f.

  63. Erich Fromm, Der moderne Mensch und seine Zukunft, Frankfurt/M. 1960, S. 289.

  64. Riesman, a. a. O., S. 73.

  65. Nicolaus Sombart, a. a. O., S. 272.

Weitere Inhalte

Rainer Waterkamp, Diplom-Politologe, geb. 31. Oktober 1935 in Brandenburg/Havel, 1960 Assistent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, 1963— 65 beim Presseamt der Stadt Kiel, 1965— 66 bei der Staatlichen Pressestelle Hamburg, 1966 Studienleiter des Europahauses Berlin, zur Zeit in der Pressestelle der hessischen Landesregierung in Wiesbaden. Veröffentlichungen: Atomare Abrüstung, Berlin 1965, und Zeitschriftenaufsätze vornehmlich zu außenpolitischen Fragen.