Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Kurs des VII. Parteitages der SED. Ulbrichts Politik gegen Entspannung in Deutschland | APuZ 30/1967 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 30/1967 Der Kurs des VII. Parteitages der SED. Ulbrichts Politik gegen Entspannung in Deutschland

Der Kurs des VII. Parteitages der SED. Ulbrichts Politik gegen Entspannung in Deutschland

Rudolf H. Brandt

Die Reden und Beschlüsse des VII. Parteitages der SED, der vom 17. bis 22. April 1967 in Ostberlin stattland, waren eindeutig gegen die Entspannung in Deutschland, in Europa und in der Welt gerichtet. Die Formulierungen und Forderungen zur Deutschlandpolitik waren sogar schärfer und aggressiver als auf den vorangegangenen Parteitagen, obwohl die 2199 Delegierten durch einen Offenen Brief des Parteivorstandes der SPD und die Regierungserklärung der Bundesregierung vom 12. April 1967 mit einer Reihe von Vorschlägen zur Entspannung zwischen beiden Teilen Deutschlands konfrontiert waren, was auf keinem früheren SED-Parteitag geschehen war. Die Tagung, an der nur linientreue Funktionäre teilnehmen konnten, stand ganz im Zeichen der intensiven Bemühungen der SED-Führung unter Ulbricht, in Mitteldeutschland eine offene Aussprache über die Fragen der innerdeutsehen Beziehungen und Schritte zur Wiedervereinigung zu verhindern, das totalitäre Herrschaftssystem der SED durch weitere gesellschaftliche Umgestaltungen unter der Parole „Vollendung des Sozialismus in der DDR" weiter auszubauen und zu festigen, die Bindungen an die KPdSU und die Sowjetunion zu verstärken, die gesellschaftliche Ordnung und die Politik der demokratischen Parteien in Westdeutschland und Westberlin, insbesondere die Ostpolitik der Regierung der großen Koalition, als aggressiv und gefährlich für den Frieden in Europa hinzustellen sowie die kommunistischen Staaten auf eine Aktionseinheit gegen den freien Teil Deutschlands festzulegen.

Anteile der Landwirtschaitsbetriebe nach Eigentumsformen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Prozent

Diese intransigente Haltung zu den Fragen der innerdeutschen Beziehungen und die dog-matische Einstellung zu den Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung basiert ausschließlich auf der totalitären Machtposition des Minderheitsregimes Ulbrichts und seiner Anhänger und dessen volle Unterstützung durch die Führung der KPdSU und die Sowjet-macht. Das ist zugleich die machtpolitische Basis, aber auch die politisch-moralische Schwäche der Konzeption des VII. Parteitages der SED, denn hinter ihr steht weder die auf dem Parteitag viel deklamierte „Einmütigkeit und Geschlossenheit" der Parteimitgliedschaft noch die mitteldeutsche Bevölkerung, sie stößt vielmehr überall auf Vorbehalte, offenen Widerspruch und erheblichen politischen Widerstand. Die zentrale Parole dieses Parteitages, zu lesen auf einem großen Spruchband über der Tribüne der Tagungshalle, „Alles für die DDR — unser sozialistisches Vaterland" entspricht keineswegs der Einstellung der Menschen im anderen Teil Deutschlands. Das bestätigte der Parteitag selbst in vieler Hinsicht, wie zum Beispiel mit der Geheimhaltung des Inhalts des Offenen Briefes der SPD und der Vorschläge der Bundesregierung sowie nicht zuletzt mit der Direktive, die intensivere und wirksamere ideologische Erziehung aller „Bür-ger der DDR" sei die wichtigste Aufgabe und ihre Bewältigung sei die unerläßliche Voraussetzung für Erfolge auf allen anderen Gebieten.

Nationaleinkommen, Industrieproduktion, Investitionen, Außenhandelsumsatz (mit Interzonen-handel)

Das sollte bei der Einschätzung der politischen Bedeutung des VII. Parteitages der SED und seiner möglichen Auswirkungen auf die weitere Entwicklung in Deutschland und in Europa stets im Auge behalten werden.

I. Die „Vollendung des Sozialismus" in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens

Abbildung 1

Die Probleme der weiteren gesellschaftlichen Umgestaltung in Mitteldeutschland entsprechend der Theorie des Marxismus-Leninismus und dem Parteiprogramm der SED nahmen auf dem VII. Parteitag in Ostberlin den größten Raum ein. Nach der Parteidoktrin steht in Mitteldeutschland gegenwärtig und für einen weiteren längeren Zeitraum noch immer die sogenannte „Vollendung des Sozialismus" oder, wie auch formuliert wird, der „umfassende Aufbau des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus" auf der Tagesordnung.

Die Theorie und die Geschichtsschreibung der Partei teilen die Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in drei Hauptperioden oder Stufen ein. Danach ist zunächst der „Aufbau einer demokratischen Ordnung" im Sinne der Thesen über die „proletarische Diktatur" und die „Rolle der Partei als Führung der Klasse" an der Reihe. Dann folgt die Periode des „Aufbaus des Sozialismus" und danach als dritte Stufe der „Übergang zum Kommunismus" bzw. die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung.

Die SED ist nach diesem von der KPdSU ausgearbeiteten Schema verfahren und ihre Historiker teilen die Entwicklung in Mittel-deutschland seit 1945 in folgende Abschnitte ein: Aufbau einer „antifaschistisch-demokratischen Ordnung" von 1945 bis 1950; Aufbau des „Sozialismus" ab 1952 und Beginn der Periode der „Vollendung" des Aufbaus des „Sozialismus" ab 1958; nach der „Vollendung des Sozialismus" soll nach dem Vorbild des Parteiprogramms der KPdSU von 1961 der „Übergang zum Kommunismus" erfolgen. Die Periode der „Vollendung des Sozialismus" wird als der letzte Abschnitt der sozialistischen Umgestaltung bezeichnet.

Die parteihistorische Einordnung der Thesen und Beschlüsse des VII. Parteitages der SED für die weitere gesellschaftliche Umgestaltung in Mitteldeutschland wurde schon durch die Tagesordnung deutlich gemacht. Sie enthielt folgende Themen: „Die gesellschaftliche Entwicklung der DDR bis zur Vollendung des Sozialismus", Referent Walter Ulbricht; „Die Durchführung der volkswirtschaftlichen Aufgaben", Referent Willy Stoph; „Die Rolle der Partei in der Periode der Vollendung des Sozialismus", Referent Erich Honecker.

Nun ist jedoch der VII. Parteitag der SED bereits der dritte Parteitag, der sich mit den Aufgaben in der „Periode der Vollendung des Sozialismus" beschäftigt.

Im Juli 1958 war auf dem V. Parteitag der SED beschlossen worden, die Aufgaben der Vollendung des Aufbaus des „Sozialismus" im wesentlichen im Rahmen des Siebenjahrplanes 1959 bis 1965 zu lösen; in diesem Zusammenhang wurde damals auch eine „ökonomische Hauptaufgabe" formuliert, die darin bestehen sollte, bis zum Jahre 1963 den westdeutschen Lebensstandard einzuholen und auf wichtigen Gebieten zu übertreffen.

Doch nach der Krise in den Jahren 1960/61 wurden im Januar 1963 auf dem VI. SED-Parteitag neue Ziele und Termine festgelegt. Zum damals erreichten Stand der gesellschaftlichen Umgestaltung wurde unter Hinweis auf die inzwischen erfolgte Vollkollektivierung der Landwirtschaft sowie auf die weitere Schrumpfung des privaten Sektors im Handel und Handwerk erklärt, jetzt hätten „die sozialistischen Produktionsverhältnisse gesiegt" und damit sei eine entscheidende Voraussetzung für die „Vollendung des Sozialismus" im Zusammenhang mit der Verwirklichung eines neuen Siebenjahrplanes im Zeitraum 1964 bis 1970 geschaffen. Dieser VI. Parteitag beschloß auch ein neues „Programm der SED", in dem es zu diesen Fragen u. a. hieß:

„Das große Ziel dieses Programms ist der vollständige und umfassende Aufbau des Sozialismus in der DDR. ...

Durch die Sowjetarmee vor einer imperialistischen militärischen Intervention geschützt, konnten die Werktätigen hier im Osten Deutschlands ein Beispiel der friedlichen und demokratischen Umwälzung schaffen. ... Der faschistische Staatsapparat wurde zerschlagen und an seiner Stelle von unten nach oben eine antifaschistisch-demokratische Staatsmacht aufgebaut. ...

Durch die antifaschistisch-demokratische Umwälzung .. . war die Voraussetzung geschaffen für den friedlichen Übergang zur sozialistischen Revolution, zur Arbeiter-und Bauernmacht und zum Aufbau des Sozialismus. Mit der Gründung der DDR und dem Übergang zur sozialistischen Revolution ..wurde die antifaschistisch-demokratische Ordnung ... zur Diktatur des Proletariats. ...

Die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus begann mit dem ersten Fünfjahrplan (1951/55)

... Ausgehend von den bis 1958 geschaffenen Grundlagen des Sozialismus legte der V. Parteitag der SED die weiteren Aufgaben zum Ausbau der ökonomischen Basis, zur Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse fest . . . Die sozialistische Umwälzung wurde auf dem Lande durch den vollständigen Übergang der Bauern zur genossenschaftlichen Produktion vollzogen. ... Im Jahre 1961 wurden 84, 9 Prozent des gesellschaftlichen Gesamtprodukts unter sozialistischen Produktionsverhältnissen geschaffen. . . . Der Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse ist die Grundbedingung, daß die ökonomischen Gesetze des Sozialismus zur vollen Wirksamkeit gelangen. . . .

Der Sozialismus ist die erste Stufe des Kommunismus. . . . Der umfassende Aufbau des Sozialismus ist auch in der DDR die Grundlage für den späteren Aufbau des Kommunismus. .. .

Der umfassende Aufbau des Sozialismus und nach seinem Abschluß der Übergang zum Kommunismus in der DDR erfolgen unabhängig von der Entwicklung im westdeutschen Staat."

Als eine der wichtigsten Aufgaben beim „umfassenden Aufbau" und damit der „Vollendung des Sozialismus" bezeichnete bereits dieser VI. Parteitag die Anwendung wirksamerer Methoden der Planung und Leitung der Produktion und der gesamten Wirtschaft. Das sollte durch das „Neue Ökonomische System" der Planung und Leitung der Wirtschaft geschehen, mit dessen schrittweiser Einführung sofort begonnen wurde.

Wenn die Entwicklung in den seither vergangenen vier Jahren entsprechend den Absichten und Erwartungen des VI. Parteitages verlaufen wäre, hätte jetzt der VII. Parteitag eine wesentliche Annäherung an das Ziel der „Vollendung des Sozialismus" und ein Herannahen eines Termins für den „Übergang zum Kommunismus" feststellen müssen.

Auf dem VII. Parteitag wurden jedoch für die Periode der „Vollendung des Sozialismus" erneut eine Reihe von Aufgaben auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Umgestaltung und für die Entwicklung der Wirtschaft gestellt, die bis zum Jahre 1970 nicht zu bewältigen sind und für deren Erfüllung auch kein Termin gesetzt wurde.

Dafür gab es zwei Hauptgründe. Es war noch nicht gelungen, ein komplexes System neuer Wirtschaftsmethoden zu entwickeln und anzuwenden, mit dem es möglich gewesen wäre, den erheblichen Produktivitätsrückstand im Vergleich zu Westdeutschland und westlichen Industriestaaten zu beseitigen oder auch nur wesentlich zu verringern. Deshalb soll das „Neue Ökonomische System" zum sogenannten „ökonomischen System des Sozialismus"

weiterentwickelt werden, das neben den seit 1963 bereits eingeführten neuen Methoden der Planung und Leitung der ökonomischen Vorgänge auch eine neue Preis-, Kredit-und Lohnpolitik einschließen soll.

Zweitens ist die auf den beiden vorangegangenen Parteitagen als wesentlich für die Vollendung des „Sozialismus“ bezeichnete „ideologische Umwälzung" nicht erfolgt. Deshalb soll die totale Durchdringung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens mit der Parteiideologie, auch die Entwicklung einer sogenannten „sozialistischen Kultur", künftig die wichtigste Aufgabe sein.

über die Hauptaufgaben in der neuen Periode der gesellschaftlichen Umgestaltung sagte Ulbricht auf dem VII. Parteitag u. a.

„Zum Wesensinhalt des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus gehört vor allem:

Die Durchdringung aller Sphären des gesellschaftlichen Lebens durch die sozialistische Ideologie. . . . Die zielstrebige Verwirklichung unseres einheitlichen sozialistischen Bildungssystems. Das Kernstück des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus ist das ökonomische System des Sozialismus. .. . Das ökonomische System des Sozialismus beruht auf der aktiven Teilnahme der Werktätigen an der Planung und Leitung, ... auf hochentwickelter sozialistischer Gemeinschaftsarbeit. Viele Maßnahmen stecken noch in den Anfängen. Wir verwechseln nicht Einzelbeispiele und erste Erfahrungen mit dem allgemeinen Stand.

Nun kommt es darauf an, alle anderen Teilbereiche des gesellschaftlichen Lebens, wie Bildung, Kultur, Recht, Demokratie, Ideologie, politische Massenarbeit usw., auf ein gleiches fortgeschrittenes Niveau zu bringen und dadurch in einem Prozeß bewußt gestalteter Wechselbeziehungen mit geringstmöglichem Aufwand und in historisch kürzestmöglicher Frist die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu schaffen. .. .

Unsere Partei hat auf dem VI. Parteitag mit dem Programm der SED eine Prognose der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR gegeben. Jetzt kommt es darauf an, auf dieser Grundlage die wesentlichen Elemente des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in ihrer komplexen Verflechtung herauszuarbeiten. . . .

In dem vor uns liegenden Zeitraum muß die sozialistische Kultur zur Kultur des ganzen Volkes der DDR, zum festen Bestandteil seines Lebens, seines Fühlens, Denkens und Handelns werden. . .. Die sozialistische Kultur hilft allen Bürgern unserer Republik, sich mit ihrer Weltanschauung und Lebensauffassung auf den Klassenstandpunkt, des Sozialismus zu erheben. Sie .. . gewöhnt sie daran, ihr Verhalten am Arbeitsplatz, in der Familie und im gesellschaftlichen Leben nach den Normen der sozialistischen Moral zu gestalten. . . .

Das sozialistische Bewußtsein der Menschen, ihr Bildungsniveau, ihre Gemeinschaftsarbeit, ihre Bindung an unseren sozialistischen Staat zu fördern, das ist die erste und wichtigste Aufgabe unserer Partei."

Die SED beabsichtigt also eine weitere tief-greifende Änderung der Arbeits-und Lebensbedingungen in Mitteldeutschland. So bedeutet zum Beispiel die angekündigte „Durchdringung aller Sphären des gesellschaftlichen Lebens durch die sozialistische Ideologie" nicht nur die praktische Verwirklichung des Gesetzes über das „einheitliche sozialistische Bildungssystem" vom 25. Februar 1965, sondern auch weitgehende Veränderungen in allen Bereichen des kulturellen Lebens sowie u. a. die Komplettierung des „sozialistischen Rechtssystems" durch ein neues Strafgesetzbuch, für das im Februar 1967 bereits ein Entwurf veröffentlicht wurde. Dazu kommt die vorgesehene konsequentere praktische Anwendung bereits erlassener Gesetze und Verordnungen, die der Durchsetzung der „sozialistischen Moral" und der Bindung der Menschen an den „sozialistischen Staat" dienen sollen. Zu diesen neuen „Rechtsgrundlagen", die seit Beginn der Periode der „Vollendung des Sozialismus", also seit dem V. Parteitag 1958 geschaffen wurden, gehören vor allem das „Gesetzbuch der Arbeit" vom April 1961 mit dem „Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzbuches der Arbeit" vom November 1966, das neue „Familiengesetzbuch der DDR" vom Dezember 1965, das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem"

vom Februar 1965 und das „Gesetz über die Staatsbürgerschaft der DDR" vom Februar 1967.

Weitere Veränderungen der Lebensbedingungen im anderen Teil Deutschlands sollen sich aus der Weiterentwicklung des „neuen ökonomischen Systems" zum „ökonomischen System des Sozialismus" ergeben. Die angekündigte neue Lohnpolitik, die einen wesentlichen Teil des Arbeitseinkommens vom Betriebsergebnis abhängig machen soll, würde gleichzeitig die Auizwingung einer Mitverantwortung für den Produktionsablauf und die Planerfüllung durch materielle Haftbarmachung ohne entsprechendes Recht der Mitbestimmung bedeuten.

Die auf dem VII. Parteitag der SED angekündigten weiteren Umgestaltungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in Mittel-deutschland vertiefen die Unterschiede und Gegensätze zwischen den gesellschaftlichen Systemen in beiden Teilen Deutschlands noch mehr und sind demokratischen Ordnungsvorstellungen genau entgegengesetzt.

II. Der private Sektor und die ökonomischen Hauptprobleme

Anteil der Eigentumsformen am Aufkommen des gesellschaftlichen Gesamtprodukts in Prozent

Nach der Parteidoktrin gehört zur Vollendung des „Sozialismus" die Beseitigung des privaten Sektors in der Wirtschaft. Als einzige privatwirtschaftliche Betätigung soll am Ende dieser Periode nur noch die private Bewirtschaftung der kleinen Hauswirtschaften der Arbeitskräfte der LPG (Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften) und der VEG (Volkseigene Güter) zugelassen sein.

Die Behandlung dieses Problems spielte auf dem VII. Parteitag bei weitem nicht mehr eine so bedeutende Rolle wie auf den beiden vorangegangenen Parteitagen. Der Hauptgrund ist offensichtlich darin zu sehen, daß der Schrumpfungsprozeß des privatwirtschaftlichen Sektors seit dem V. Parteitag 1958 schon weit fortgeschritten ist und nun für die Liquidierung des Restes ein größerer Zeitabschnitt vorgesehen wurde, in dem der Entwicklung von wirksameren Methoden der Planung und Leitung der Wirtschaft und der Modernisierung der Produktionsanlagen und Fertigüngsmethoden ein Vorrang eingeräumt wird. Dabei ist die Beseitigung des restlichen privaten Sektors unmittelbar mit der Einführung und Anwendung neuer Methoden der Planung und Leitung der Wirtschaft verbunden worden. So soll zum Beispiel die Umwandlung der LPG Typ I, in denen nach dem Statut noch eine private Viehhaltung zugelassen ist, in die Endstufe der vollkollektivierten LPG künftig in der Regel im Zuge der Kooperation der LPG verschiedener Entwicklungsstufen sowie einer weitgehenden Spezialisierung im Zusammenhang mit einem Übergang zu industriemäßigen Methoden der landwirtschaftlichen Produktion erfolgen.

Bei der Entwicklung neuer Formen der Organisation der industriellen und handwerklichen Produktion werden zum Beispiel auch die noch vorhandenen privaten Betriebe in Industrie und Handwerk schrittweise und fast automatisch in die staatliche Wirtschaftsorganisation eingegliedert und ihres privatwirtschaftlichen Charakters entkleidet.

Aus den Angaben in den Statistischen Jahr-büchern der SED-Regierung ergibt sich das folgende Bild der Schrumpfung des privaten Sektors in der mitteldeutschen Wirtschaft seit 1958, also seit Beginn der sogenannten Periode der Vollendung des „Sozialismus":

Die Reduzierung des privaten Sektors in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen war bei dieser Entwicklung relativ ungleichmäßig, wie die folgenden Angaben der offiziellen Statistik zeigen:

Die weitere Veränderung der Anteile der verschiedenen Eigentumsformen an Produktion und Leistung bis zum VII. Parteitag im April 1967 bzw, der bis Ende 1966 erreichte Stand kann noch nicht angegeben werden, weil die Zahlen für 1966 noch nicht veröffentlicht wurden und auf dem Parteitag selbst außer über die Entwicklung im Handwerk überhaupt keine Angaben und Ausführungen über die seit 1958 eingetretene Schrumpfung des privaten Sektors gemacht wurden. Deshalb enthalten die hier zusammengestellten statistischen Übersichten in der Regel keine Zahlen für das Jahr 1966, während in der folgenden Aufstellung über die Entwicklung im Handwerk die auf dem VII. Parteitag im Rechenschaftsbericht des ZK angegebenen Zahlen für 1966 hinzugefügt wurden:

In der folgenden Aufstellung über die Entwicklung im Einzelhandel sind auch die Gaststätten eingeschlossen. Die Kommissionshandelsbetriebe sind praktisch bereits als Filialen des staatlichen Einzelhandelsnetzes zu betrachten und entsprechen in ihrem vermögensrechtlichen Status und nach ihrer wirtschaftsorganisatorischen Position den halbstaatlichen Betrieben in der Industrie. Unter „Staatlicher Handel" sind auch die „Konsumgenossenschaften" einbezogen.

Bei den hier zusammengestellten Angaben über die Entwicklung in der Land-und Forstwirtschaft in Mitteldeutschland seit dem Beginn der Periode der „Vollendung des Sozialismus" im Jahre 1958 sind die LPG der verschiedenen Entwicklungsstufen zusammengefaßt; es ist also dabei nicht berücksichtigt, in welchem Umfang innerhalb der LPG Typ I über den Rahmen der auch in der Endstufe noch zugelassenen privaten Hauswirtschaften noch eine private Viehwirtschaft und privater Obst-und Gemüseanbau betrieben wird. In der Landwirtschaft gilt die Vollkollektivierung seit 1962 bzw.seit dem VI. Parteitag im Januar 1963 als abgeschlossen. In diesem Bereich ist nach dem Parteiprogramm in der Periode der „Vollendung des Sozialismus" die Aufgabe gestellt, alle LPG auf die höchste Stufe der Kollektivierung zu bringen, die der LPG Typ III entspricht.

Diese Umwandlung der LPG Typ I und II in LPG Typ III ist ebenfalls bereits weit vorangetrieben. Ende 1965 hatten die LPG Typ I und II nur noch rund 309 000 Beschäftigte und eine Nutzfläche von 1, 7 Millionen Hektar; die LPG Typ III hatten zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits rund 601 000 Beschäftigte und eine Nutzfläche von 3, 7 Millionen Hektar. Seit 1965 bis zum VII. Parteitag der SED im April 1967 wurde diese Umwandlung in noch schnellerem Tempo betrieben, und es kann angenommen werden, daß sich gegenwärtig die LPG der unteren Kollektivierungsstufen zum größten Teil schnell dem Status der LPG Typ III annähern.

Die Hauptmethode war dabei im Jahre 1966 der Zusammenschluß der LPG verschiedener Entwicklungsstufen in größeren Kooperationsgemeinschaften mit weitgehender Spezialisierung der Produktion. Nach den Ausführungen Ulbrichts auf dem VII. Parteitag sollen in solche Kooperationsgemeinschaften auch die VEG einbezogen werden. Das bedeutet in der Konsequenz eine schrittweise Verschmelzung von LPG und VEG zu landwirtschaftlichen Großunternehmen neuer Art. Diese sollen Direktbeziehungen zu den Organen des Handels und der Lebensmittelindustrie aufnehmen und mit diesen zusammen organisatorisch regional und zentral gemeinsamen Planungs-und Leitungsorganen unterstellt werden.

So wird auch in der Landwirtschaft wie in den anderen Wirtschaftsbereichen die Beseitigung des restlichen privaten Sektors mit der Einführung neuer Formen der Organisation, Planung und Leitung der Wirtschaft verbunden.

Die angeführten Übersichten über die Entwicklung der Anteile der Eigentumsformen in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft an der Produktion und Leistung zeigen deutlich, daß der private Sektor schon weitgehend liquidiert ist und seine Restbestände auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung keinen Einfluß mehr nehmen können. Deshalb soll die Aufsaugung der privatwirtschaftlichen Restbetriebe durch die staatlichen Unternehmungen in allen Wirtschaftsbereichen nun allmählich ohne das Risiko zusätzlicher Schwierigkeiten im Zuge der Entwicklung des sogenannten „ökonomischen Systems des Sozialismus" erfolgen. Im nächsten Abschnitt der Periode der „Vollendung des Sozialismus" ist deshalb die weitere Veränderung der Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft entsprechend der Partei-doktrin nicht mehr eine der Hauptaufgaben. Es geht jetzt vielmehr in erster Linie und hauptsächlich darum, den nach der fast völligen Beseitigung der Privatwirtschaft noch immer vorhandenen Rückstand in der Produktivität und der Leistung der verschiedenen Wirtschaftszweige im Vergleich zum anderen Teil Deutschlands und den westlichen Industriestaaten zu verringern und möglichst zu überwinden. Darum ist auf dem VII. Parteitag der SED die Weiterentwicklung des „neuen ökonomischen Systems" zum „Ökonomischen System des Sozialismus" bzw. die Anwendung weiterer neuer Methoden in der Planung und Leitung zur Hauptaufgabe in der Wirtschaft erklärt worden.

III. Vom „neuen ökonomischen System" zum „Ökonomischen System des Sozialismus"

Anteile der Industriebetriebe nach Eigentumsformen an der Produktion in Prozent

Die Formulierung von weiteren neuen Aufgaben und Zielen der Wirtschaftspolitik für den letzten Abschnitt des Aufbaus des „Sozialismus", von denen zuvor in der Politökonomie der Partei und auf den seit Beginn dieser Periode der „Vollendung des Sozialismus" stattgefundenen zwei Parteitagen noch keine Rede war, ist die Schlußfolgerung aus der Tatsache, daß die fast völlige Enteignung der privatwirtschaftlichen Betriebe in allen Wirtschaftszweigen und deren Eingliederung in die Staatswirtschaft mit zentraler Planung und Leitung die nach der Theorie zu erwartende überlegene Effektivität der Wirtschaft nicht gebracht hat und daß auch die auf dem VII. Parteitag eingeleitete Anwendung der Methoden des „neuen ökonomischen Systems" der Planung und Leitung noch nicht zu einem einer Durchbruch zu neuen Qualität führte. Das Ausbleiben einer produktivitätssteigernden und überhaupt effektivitätsfördernden Auswirkung der sogenannten „Vergesellschaftung der Produktionsmittel" wird indirekt mit der erst in den letzten Jahren formulierten neuen These zugegeben: Es genüge eben nicht, die „proletarische Diktatur" zu errichten und durch Abschaffung der Privatwirtschaft „sozialistische Produktionsverhältnisse" zu schaffen, um die „Überlegenheit" der neuen Gesellschaftsordnung im Bereich der Ökonomie zu sichern; es sei vielmehr eine sich stets neu stellende Aufgabe, die „ökonomischen Gesetze des Sozialismus“ auch in der Praxis durch Anwendung wirksamer Methoden der Planung und Leitung ungehindert wirken zu lassen. Dazu sagte Ulbricht bereits auf dem vorangegangenen VI. Parteitag im Januar 1963 u. a. folgendes:

„Nachdem die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR endgültig gesiegt haben, hängt der gesellschaftliche Fortschritt und das Lebensniveau des Volkes davon ab, wie die Partei, der Staat, die Arbeiterklasse, die Genossenschaftsbauern und die anderen Werktätigen das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus und die anderen ökonomischen Gesetze, insbesondere das Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft, das Gesetz des stetigen Wachstums der Arbeitsproduktivität, das Gesetz der Verteilung nach der Leistung und das Wertgesetz ausnutzen. ... Die Lösung der Aufgabe ... erfordert eine neue, höhere Qualität der Leitung der Volkswirtschaft und der Planung. . . . Zum Maßstab der Qualität der Leitung der Volkswirtschaft und der Planung wird der volkswirtschaftliche Nutzeffekt der geleisteten Arbeit."

Danach wurden in den folgenden vier Jahren unter dem Sammelbegriff „Neues ökonomisches System der Planung und Leitung" eine Reihe von neuen Methoden eingeführt und zur Anwendung gebracht. Im Vordergrund stand dabei die gesetzliche Anordnung, in der Regel die Planposition „geplanter Betriebsgewinn"

zum entscheidenden Maßstab für die Planer-füllung zu machen. Dazu erfolgte ein schrittweises Abgehen vom System der starren Planpreise und die Festsetzung neuer Industriepreise, die unter der Voraussetzung „normaler"

Produktionskosten — dem westlichen Niveau angenähert — errechnet wurden. Von Bedeutung war auch die Reduzierung der von den zentralen Organen vorgegebenen Plan-zahlen und die erweiterte Verantwortung der Leitungen der VVB (Vereinigungen Volkseigener Betriebe) und der VEB (Volkseigenen Betriebe) für die Aufschlüsselung auf die Industriezweige und die einzelnen Betriebe.

Während der Vorbereitung des VII. Partei-tages war bereits davon die Rede, das neue ökonomische System habe noch wesentliche Lücken und müsse durch eine neue Kredit-, Preis-und Lohnpolitik komplettiert werden.

Im Referat auf dem VII. Parteitag führte Ulbricht dazu u. a. aus:

„Da wir das ökonomische System noch nicht als Gesamtsystem verwirklicht haben, bestehen gegenwärtig noch Mängel in der Ausnutzung des Gesetzes der Ökonomie der Zeit.

. . . Oft geht die Steigerung der Arbeitsproduktivität noch zu Lasten der Fondseffektivität, die Selbstkostensenkung noch zu Lasten der Qualität. Die Qualität wird nicht selten mit unzulässigen Kostensteigerung erkauft. einer Anknüpfend an die bisherige Entwicklung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung ... erfolgt jetzt die weitere Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus in der DDR. Nunmehr kommt es darauf an, alle Teilfragen koordiniert in ihren Wechselbeziehungen zueinander anzupacken und das ökonomische System als Gesamtsystem durchzuführen.

Damit leiten wir im Prozeß des umfassenden Aufbaus des Sozialismus von der quantitativen und zunächst auf Teilfragen bezogenen qualitativen Veränderungen über zur entscheidenden qualitativen Veränderung, die das ökonomische Gesamtsystem des Sozialismus als Kernstück der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR verwirklicht."

Uber die mangelnde Effektivität der seit 1963 bereits eingeführten neuen Methoden der Planung und Leitung und über weitere noch ungelöste Probleme auf diesem Gebiet machte Politbüromitglied und Zonenministerratsvorsitzender Stoph auf dem VII. Parteitag u. a. folgende Ausführungen: „Die bisherigen Methoden in der Planung und Leitung reichen nicht mehr aus, die sozialistische Ökonomie konsequent durchzusetzen und die wissenschaftlich-technische Revolution zu meistern. ...

Es gilt, die Übereinstimmung zwischen den individuellen und Kollektiv-sowie den gesamten gesellschaftlichen Interessen herzustellen. Das erfordert von den leitenden Staats-und Wirtschaftsfunktionären wissenschaftliche Voraussicht und exakte Analysen-, denn ... diese Übereinstimmung muß ständig aufs neue herbeigeführt werden. ... Jeder weiß, das ist leichter gesagt als getan. ...

Wir brauchen eine solche Zusammenarbeit zwischen den Betrieben und VVB, daß die Kooperation wie ein Räderwerk reibungslos funktioniert. . . .

Es gibt berechtigte Beschwerden, daß von leitenden Staats-und Wirtschaftsfunktionären in einer Reihe von Fällen formal-bürokratisch gearbeitet, Vorschläge und Hinweise , zuständigskeitshalber’ von einem zum anderen geschoben und wichtige Regelungen oder Anordnungen nicht bzw. nicht rechtzeitig getroffen werden. Dadurch entsteht oft beträchtlicher Schaden und große Verärgerung. Auch darum ist es notwendig, exakt festzulegen, wer entsprechend seiner Funktion was zu entscheiden hat."

Das bezog sich keineswegs nur auf innerbetriebliche Vorgänge oder auf Einzelerscheinungen in zwischenbetrieblichen Beziehungen, sondern auch auf Vorgänge, die für die Gesamtentwicklung eine wesentliche Bedeutung haben. Das unterstrich Stoph selbst am Beispiel der Pläne für die Kohle-und Energie-wirtschaft, bei denen die Auswirkungen auf andere Bereiche der Wirtschaft und auf die Gesamtentwicklung nicht berücksichtigt wurden. Er sagte u. a. wörtlich:

„Ausdruck dafür sind in der Kohle-und Energiewirtschaft ausgearbeitete Prognosen, die eine unwissenschaftliche Bedarfseinschätzung bei gleichzeitiger Überbetonung des extensiven Produktionszuwachses und die Vernachlässigung der Rentabilität zum Inhalt haben. Ressortdenken sowie die ungenügende komplexe Zusammenarbeit mit anderen Industrie-zweigen und Staatsorganen in den Bezirken sind die Usachen. ... So ist z. B. die Konzeption zur Entwicklung der Braunkohlenindustrie mit all ihren bekannten Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben ohne genügende Abstimmung mit den Bezirken und anderen Industriezweigen erarbeitet worden. Im Ergebnis dessen ... haben sich bestimmte Disproportionen ergeben...“

Die Lehren aus diesem Beispiel verallgemeinernd, sagte Stoph in seinem Referat auf dem VII. Parteitag zu diesem Thema dann weiter: „Es ist daher für die weitere Prognosearbeit von entscheidender Bedeutung, die volkswirtschaftlichen Verflechtungen sowie die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung in den Bezirken zu beachten.

Dazu gehört unter allen Umständen, daß die Staatliche Plankommission zu den von den Ministerien vorgelegten prognostischen Untersuchungen die volkswirtschaftliche Gesamt-rechnung aufmacht."

Nicht weniger schwerwiegend war die Kritik, die Stoph an Mängeln in der Organisation und Planung der Forschungs-und Entwicklungsarbeiten für die in den letzten Jahren gestellten Aufgaben auf dem Gebiet der Modernisierung der Produktion übte. Er sagte dazu u. a.:

„Betrachten wir die Erfüllung einiger Schwerpunktaufgaben, dann zeigen sich große Zeit-und Kräfteverluste durch unvollkommene Aufgabenstellungen, unklare Lösungswege, mangelnde Kooperationsbeziehungen und Disproportionen in den Forschungs-und Entwicklungskapazitäten sowie durch ungenügende Vorbereitung der Produktion....

Viele Beispiele beweisen, daß progressive wissenschaftlich-technische Ergebnisse, die in kurzer Zeit erarbeitet wurden, ungenutzt bleiben, weil die Kapazitäten im Muster-, Nullserien-, Vorrichtungs-und Werkzeugbau oder in der Projektierung und in der technologischen Vor-B bereitung nicht ausreichend entwickelt waren.

Es nützt uns wenig, nur an vorhandenen veralteten Technologien . . . herumzuexperimentieren. In erster Linie sind neue Fertigungsverfahren und -methoden zu entwickeln und Produktionswirksam zu machen."

Auch die ungenügende Ausnutzung von Maschinen und Produktionsanlagen auf Fertigungsgebieten mit Engpässen und die permanenten Störungen im Produktionsablauf in den Betrieben als Folge von Mängeln in der Organisation waren wieder wie auf früheren Parteitagen ebenfalls Gegenstand der Kritik auf dem VII. Parteitag. Dazu sagte Stoph u. a.:

. Ungenügend ist die Ausnutzung der hoch-produktiven Anlagen und Maschinen in den Betrieben der Elektrotechnik und Elektronik — 54 Prozent — und, trotz einiger guter Ansätze, des Verarbeitungsmaschinen-und Fahrzeugbaus — 66 Prozent.

über die Hälfte aller Stillstandszeiten der hochproduktiven Anlagen in diesen Bereichen ergeben sich aus schlechter Produktionsorganisation." über Stillstandszeiten in den Industriebetrieben und über die negativen ideologischen Auswirkungen für die Partei unter den Belegschaften klagten auf dem Parteitag auch Delegierte aus mehreren Bezirken. So sagte zum Beispiel der Zweite Sekretär der SED-Bezirks-leitung Ostberlin, Naumann, über die Auswirkungen, die solche Erscheinungen auch auf haben: Parteimitglieder in den Betrieben „Viele klassenbewußte Arbeiter sind mit Recht ungehalten darüber, wenn die Arbeitsorganisation und der Produktionsfluß nicht ordentlich organisiert sind und sie selbst nur mangelhaft über die Dinge informiert werden, die mit ihrer eigenen Arbeit Zusammenhängen.“ Mit solchen kritischen Feststellungen begründete die Parteiführung auf dem VII. Parteitag ihre neue Formulierung über die Weiterentwicklung des „neuen ökonomischen Systems" zu einem „Ökonomischen System des Sozialismus" bzw. über die Notwendigkeit der Anwendung weiterer neuer Methoden in der Wirtschaft, über dieses „Ökonomische System des Sozialismus" machte Ulbricht in seinem Referat auf dem VII. Parteitag u. a. folgende Ausführungen:

„Das ökonomische System des Sozialismus beruht in allen seinen Seiten auf einem entscheidenden Grundgedanken: Die zentrale staatliche Planung und Leitung der Grundfragen des gesellschaftlichen Gesamtprozesses nämlich ist organisch zu verbinden mit der eigenverantwortlichen Planungs-und Leitungstätigkeit der sozialistischen Warenproduzenten einerseits und mit der eigenverantwortlichen Regelung des gesellschaftlichen Lebens im Territorium durch die örtlichen Organe der Staatsmacht andererseits. . . .

Dabei ist vom Gesamtsystem her zu sichern, daß die Betriebe dieser Eigenverantwortlichkeit als Warenproduzenten . . . gerecht werden können, und zwar nicht autonom, sondern als organisierter Bestandteil der gesamten sozialistischen Planwirtschaft.

Es ist notwendig, die bisher überwiegend administrativen Finanzbeziehungen zwischen Betrieb und Bank zu echten ökonomischen Beziehungen zu entwickeln. ... Bei der Kreditierung muß sich die Bank in erster Linie auf Maßnahmen zur Sicherung der Perspektivplanziele konzentrieren. Dabei muß sie darauf hinwirken, daß ein hoher ökonomischer Effekt erzielt wird. Sie unterstützt die Betriebe auch bei der kurzfristigen Überbrückung finanzieller Schwierigkeiten. Damit übt die Bank zugleich eine gesellschaftliche Kontrolle über den geplanten Einsatz und die effektivste Nutzung der Grund-und Umlauffonds, über die Senkung der Kosten und über die Entwicklung der Rentabilität der Betriebe aus. ... Die Betriebe können nur dann volkswirtschaftlich richtig handeln, wenn zusammen mit den verbindlichen Planzielstellungen durch die wirtschaftliche Rechnungsführung in ihrem gesamten Wirtschaftsprozeß so auf sie eingewirkt wird, daß sie die ökonomischen Gesetze beachten, die volkswirtschaftlichen Aufgaben lösen und einen hohen Effektivitätszuwachs erzielen. ... Sind die Preise, die Finanzen und die Rolle der Banken im ökonomischen System des Sozialismus richtig organisiert, ... so muß das Interesse der Warenproduzenten zur Erzielung eines möglichst hohen Nettogewinns in der Tendenz den generellen volkswirtschaftlichen Erfordernissen ... entsprechen." Neben den „ökonomischen Hebeln" Kredite, Preise und Gewinn soll auch ein neues System von Prämien und eine neue Lohnpolitik auf die Betriebe stimulierend in der Richtung auf effektivere Leistungen in Überein-stimmung mit den Planzielen einwirken. Auf dem VII. Parteitag kündigte Ulbricht die Ausarbeitung der neuen Politik auf dem Gebiet der Löhne, Gehälter und Prämien an und führte dazu u. a. aus: „Es kommt jetzt vor allem darauf an, ... in den Betrieben eine moderne Produktionsorganisation durchzusetzen und die technologischen Prozesse voll zu beherrschen. ... Dabei muß die Anwendung neuer produktivitätsfördernder Lohnformen und die richtige Verbindung von Lohn und Prämie eine bedeutende Rolle spielen.

Nicht die Zugehörigkeit zu einem Betrieb oder Kombinat entscheidet über die Höhe der Löhne, sondern das Erreichen der technischen und ökonomischen Parameter, die Herstellung von Erzeugnissen, die in ihrer Qualität und den Kosten dem Weltstand entsprechen. Darüber sind Richtlinien zwischen VVB-oder Kombinatsleitung und Gewerkschaften zu vereinbaren. Diese Richtlinien sind selbstverständlich dem Ministerrat und dem Bundes-vorstand des FDGB zur Bestätigung vorzulegen.

Wir wissen, daß es in der Lohngestaltung einige Ungereimtheiten gibt, die noch aus der Zeit der offenen Grenze herrühren. Aber formale Rechnereien bringen uns nicht weiter. Die Mittel für den materiellen Anreiz sind abhängig vom Wachstum des Nationaleinkommens. Wir müssen sie so einsetzen, daß sie uns den größten volkswirtschaftlichen Nutzen bringen.

Eine überhöhte Inanspruchnahme des Lohn-fonds ohne entsprechende Leistung ist in Zukunft aus den Prämienmitteln zu finanzieren. Diese Ordnung sollte auch innerhalb der Betriebe gelten; die Arbeiter werden sich dann mit denjenigen auseinandersetzen, die Geld verbrauchen, das sie nicht erarbeitet haben, also auf Kosten anderer leben.

Da der Prämienfonds unmittelbar vom Gewinn abhängt, ist er eine wirksame Hilfe zur Entwicklung des kostenbezogenen Denkens. Besonders durch die Jahresendprämie wird der Zusammenhang zwischen der persönlichen Leistung und dem Ergebnis der Arbeit des gesamten Kollektivs deutlich. Wir sind dafür, daß sich die Betriebe mit steigender Effektivität höhere Prämienfonds erarbeiten, so daß in einigen Jahren Betriebe mit guter Wirtschaftsführung Jahresendprämien in der durchschnittlichen Höhe eines Monatslohnes zahlen können."

Nähere Angaben über die neuen „produktivitätsfördernden Lohnformen" wurden auf dem VII. Parteitag der SED nicht gemacht. Auf vorhergehenden ZK-Tagungen war jedoch erläutert worden, daß die Höhe des Arbeitseinkommens — auch der Löhne und Gehälter — künftig vom Ausmaß der Erfüllung der Plan-position „Betriebsgewinn" abhängig sein soll. Bei den ersten Experimenten mit einer Jahresendprämie fand dieses Prinzip bereits die erste praktische Anwendung. In der „Verordnung über die Bildung und Verwendung der Prämienfonds in volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben und den VVB für das Jahr 1968" (Gesetzblatt der DDR, Teil II, Nr. 17 vom 28. Februar 1967), die offiziell als Ubergangsregelung bezeichnet wird, ist sowohl die Gewährung wie die Höhe der Jahresendprämie vom Ausmaß der Erfüllung des Planzieles „Betriebsgewinn" abhängig gemacht.

Nach allem, was auf dem VII. Parteitag der SED über die Planungs-und Leitungsmethoden des „ökonomischen Systems des Sozialismus" gesagt wurde, will die Führung der SED in einer wesentlichen Frage nicht über die bisher von ihr gezogenen Grenzen hinausgehen, nämlich hinsichtlich der „Eigenverantwortlichkeit" der VVB-Generaldirektionen und der VEB-Leitungen auf dem Gebiet der Planung sowie der Nutzung der Marktsituation. Uber die nach wie vor zu enge Begrenzung dieser propagandistisch so sehr herausgestellten „Eigenverantwortlichkeit" geben die gesetzlichen Regelungen Aufschluß, die einige Wochen vor dem VII. Parteitag in der „Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes" (Gesetzblatt der DDR, Teil II, Nr. 21 vom 9. März 1967) getroffen und in einem veröffentlichten Entwurf zur „Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Plichten der VVB" (Wortlaut in „Die Wirtschaft" — Beilage vom 30. März 1967) angekündigt wurden. Danach besteht der eigenverantwortliche Tätigkeitsbereich hauptsächlich in der maximalen Nutzung der betrieblichen Reserven, vor allem der „Masseninitiative" der Belegschaften, um die von oben vorgegebenen Planziele zu erfüllen und die vorgegebenen Produktionskosten möglichst zu unterschreiten, damit finanzielle Mittel für die Rationalisierung erwirtschaftet werden können.

Das Hauptziel des „ökonomischenSystems des Sozialismus" soll die Senkung der überhöhten Produktionskosten bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität der Produktion sein. Diese überhöhten Produktionskosten bzw. die im Vergleich zu westlichen Industrien relativ niedrige Produktivität sind ohne Zweifel zu einem wesentlichen Teil durch die spezifischen Belastungen und Hemmnisse einer zentral verwalteten totalstaatlichen Wirtschaft unter den Bedingungen eines totalitären politischen Herrschaftssystems systembedingt; sie sind aber nicht in ihrem ganzen Ausmaß system-bedingt, sondern zu einem beträchtlichen Teil auf die Überalterung der Produktionsanlagen und die damit verbundene Rückständigkeit der Fertigungsmethoden in der mitteldeutschen Wirtschaft zurückzuführen.

Auf den letzteren Umstand wurde deshalb auf dem VfL Parteitag der SED ebenfalls mit allem Nachdruck hingewiesen. Die Durchführung der wissenschaftlich-technischen Revolution, die Entwicklung und systematische Nutzung der Produktionskraft Wissenschaft, die Modernisierung der Industriebetriebe, der Bauwirtschaft, des Verkehrswesens, die Automatisierung unter Einsatz von Computern, das alles wurde als eine dringend zu lösende Aufgabe und gleichzeitig als Voraussetzung für die Erreichung des Anschlusses an die relativ weit vorgeschrittene Entwicklung in westlichen Industriestaaten bezeichnet.

Die wesentliche Frage nach den materiellen bzw. finanziellen Mitteln für diese Modernisierung der mitteldeutschen Wirtschaft wurde auf dem VII. Parteitag aber nicht anders beantwortet als in den vergangenen Jahren. Diese Mittel sollen im Verlauf eines längeren Zeitraumes durch die Arbeitsleistungen der mitteldeutschen Bevölkerung aufgebracht werden. über die Möglichkeit, die Modernisierung der, Wirtschaft in relativ wesentlich kürzerer Zeit durch Inanspruchnahme entsprechender umfangreicher und langfristiger Kredite und — wie Ulbricht es selbst in den letzten Jahren einmal formulierte — den „Import technischer Revolution aus dem Westen" durchzuführen, wurde auf dem Parteitag nicht gesprochen, obwohl der Erste Sekretär der SED dort in seinem Referat zu diesen Fragen u. a. auch sagte:

„Wir müssen künftig auch die wissenschaftlich-technischen Ergebnisse aus kapitalistischen Staaten stärker ökonomisch nutzen. Diesen Erfordernissen entspricht unsere Lizenz-tätigkeit noch nicht. Die Inanspruchnahme von Lizenzen muß vor allem den konzentrierten Einsatz des wissenschaftlich-technischen Potentials ermöglichen und vorhandene Rückstände und Lücken beseitigen."

Es fehlte auf dem VII. Parteitag auch nicht an Hinweisen auf den enormen Bedarf sowie das Fehlen der notwendigen Investitionsmittel für eine umfassende Rationalisierung in einem Zeitraum von etwa fünf bis zehn Jahren, insbesondere auf das Fehlen von modernen Geräten und Maschinen für die Automatisierung. Die im Perspektivplan bis 1970 sowie in den

Prognosen für die Zeit von 1971 bis 1980 vorgesehenen Investitionsmittel sind nur für Schwerpunktbereiche disponiert, weil sie für die Modernisierung in der gesamten Wirtschaft nicht ausreichen. Die dabei nur unzulänglich berücksichtigten oder leer ausgehenden meisten Betriebe sind auf die „Eigenerwirtschaftung" der Investitionsmittel verwiesen worden, was in der Regel nur durch Über-erfüllung der Planauflagen ermöglicht werden könnte. Die als Voraussetzung erforderliche wesentlich höhere Leistungsfähigkeit der Betriebe soll durch die Methoden des „ökonomischen Systems des Sozialismus" erreicht werden, deren Wirksamkeit nach den Reden auf dem VII. Parteitag jedoch entscheidend von einer bewußten und systematischen Mitarbeit eines jeden Beschäftigten abhängig ist. Im Referat Ulbrichts auf dem VII. Parteitag hieß es dazu u. a.:

„Im nächsten Jahrzehnt muß die Automatisierung auf Schwerpunkte orientiert und progressiv entwickelt werden, da heute kein Land gleichzeitig in der ganzen Breite automatisieren kann. . . . Um den aufgezeigten Entwicklungsrichtungen der Automatisierung in der verarbeitenden Industrie in den nächsten Jahren voll zum Durchbruch zu verhelfen, sind der schnellere Übergang von der Werkstatt-fertigung zur fließenden Fertigung und die Sicherung gleichbleibender Eigenschaften der eingesetzten Materialien wesentliche Voraussetzungen. Außerdem ist die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Automatisierungsmitteln, wie werkstückprüfende oder -messende und die Einrichtung steuernde und regelnde Geräte, notwendig. ... Für die Industriezweige sollten deshalb Betriebe bestimmt werden, die die Entwicklung und Produktion von zweig-spezifischen Automatisierungsmitteln .. . übernehmen. In den Kombinaten und Erzeugungsgruppen ist die eigene Entwicklung und Produktion von Automatisierungsmitteln zu organisieren. ...

Die entscheidende Voraussetzung für die Automatisierung ganzer Produktionsprozesse sind rationelle Organisationsformen der Produktion, ist die Gewährleistung der Kontinuität der Produktion. . ..

Die ... im Produktionsprozeß eng miteinander verbundenen Betriebe müssen ihre Lieferbeziehungen durch die Bildung von Kooperationsketten bzw. Kooperationsverbänden reibungslos gestalten und die Direktbeziehungen stark entwickeln.... Entscheidende Grundlage für qualitative Veränderungen in der Produktion und für die hohe Steigerung der Produktivität ist das umfassende Studium aller Bedingungen der Arbeit. . . . Das Studium der Arbeitsbedingungen und der Wirksamkeit der Arbeit geht also alle an, den Dreher ebenso wie den Minister. Es beginnt bei Weltstandsvergleichen, bezieht die Ergebnisse prognostischer Einschätzungen ein, umfaßt die Kostenanalyse am Arbeitsplatz und, daraus abgeleitet, die Festlegung von kostensenkenden Maßnahmen. Es schließt das ständige Vergleichen der eigenen Arbeit mit der Arbeit der Besten ein.

Arbeitsstudium und Arbeitsgestaltung sind demzufolge Methode und Weg zur Durchführung der komplexen sozialistischen Rationalisierung und zur Vorbereitung der Automatisierung ganzer Prozesse."

Diese Ausführungen ergänzte Stoph auf dem VII. Parteitag in seinem Referat über „Die Durchführung der volkswirtschaftlichen Aufgaben" u. a. mit folgenden Worten: „Zugleich bildet das Arbeitsstudium eine wichtige Grundlage für die Arbeitsnormung, die .. . die Anwendung der materiellen Interessiertheit der Werktätigen in Übereinstimmung mit den volkswirtschaftlichen Interessen gewährleistet. . . . Einige Wirtschaftsfunktionäre vertreten die falsche Auffassung, man könne die Werktätigen über das Kostenbild nicht informieren, wenn dieses zu hoch liegt. . . . Mit allem Nachdruck unterstreichen wir, daß die Werktätigen genau über den Kostenanteil zu informieren sind, der auf ihren Arbeitsbereich entfällt, damit sie einen aktiven Einfluß auf dessen Senkung nehmen können.

Das schafft die Voraussetzungen, die wirklichen Kosten mit dem Haushaltsbuch (der Brigaden und Arbeitsgemeinschaften) zu erfassen, um die entscheidenden Faktoren für deren Reduzierung in den Mittelpunkt des sozialistischen Wettbewerbs zu rücken. . . .

Das verantwortungsbewußte Denken und Handeln der Millionen Arbeiter, Bauern, Meister, Ingenieure, Wissenschaftler und anderen schaffenden Menschen und die Mobilisierung ihrer schöpferischen Fähigkeiten und Potenzen sind für die Vollendung des Sozialismus die entscheidende Voraussetzung."

Die Forderung, die bewußte und schöpferische Mitarbeit aller Bürger durch ideologische Erziehung und materielle Anreize im Sinne der Partei zu organisieren, weil dies die Voraussetzung für die volle Verwirklichung der gesetzten Ziele auch im ökonomischen Bereich sei, wurde jedoch schon auf den vorangegangenen Parteitagen erhoben; eine Wende in dieser Richtung ist aber bisher nicht eingetreten. Hier wirkt sich das Machtmonopol der Partei immer wieder in entgegengesetzter Richtung aus. Das Konzept des VII. Partei-tages für die Weiterentwicklung des „neuen ökonomischen Systems" in ein sogenanntes „Ökonomisches System des Sozialismus" aber ist trotz aller ernsthaften Bemühungen um die Anwendung effektiverer Wirtschaftsmethoden grundsätzlich darauf angelegt, die totalitäre Minderheitsherrschaft der Partei zu sichern und läßt keinen Raum für demokratische Mitbestimmung der arbeitenden Menschen in der Gesamtentwicklung und in ihren Arbeitsbereichen. Damit sind zugleich die Grenzen einer möglichen Wirksamkeit der Methoden des „Ökonomischen Systems des Sozialismus" gegeben. Ob entgegen der Zielsetzung dieser Konzeption durch neue Formen und Methoden in der Wirtschaftspolitik ungewollt Entwicklungstendenzen in einer anderen Richtung ausgelöst werden können, ist eine ganz andere Frage, die auf dem VII. Parteitag nicht erörtert wurde.

IV. Ausgangsbasis und Ziele des Perspektivplanes bis 1970

Anteile der Handwerksbetriebe nach Eigentumsformen an der Gesamtleistung des Handwerks in Prozent

Dem VII. Parteitag lag noch kein Entwurf für einen Perspektivplan bis 1970 vor, obwohl bereits der VI. Parteitag im Januar 1963 die Ausarbeitung eines Perspektivplanes für den Zeitraum von 1964 bis 1970 beschlossen und Schlüsselzahlen dafür festgelegt hatte. In den Referaten von Ulbricht und Stoph wurde die Ausarbeitung eines neuen Perspektivplanes bis 1970 angekündigt und für den Zeitraum 1966 bis 1970 einige Hauptkennziffern genannt. Für die folgenden Zeitabschnitte bis 1975 und bis 1980 sollen Prognosen erarbeitet werden, für die auf dem VII. Parteitag ebenfalls einige Richtzahlen und Zielsetzungen bekanntgegeben wurden. Einige Wochen nach dem Parteitag, am 26. Mai 1967, beschloß der Zonenministerrat ein „Gesetz über den Perspektivplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR bis 1970" (Wortlaut in „Die Wirtschaft" — Beilage Nr. 22/1967) und dazu nicht veröffentlichte Kennziffern. Auf der Grundlage dieses Gesetzes sowie der Kennziffern soll die Aufschlüsselung auf die Wirtschaftszweige und Betriebe sowie auf die Bezirke und Kreise und die Ausarbeitung entsprechender Perspektivpläne in diesen Bereichen erfolgen.

Für das Jahr 1970 nannte Stoph in seinem Referat auf dem VII. Parteitag vor allem die folgenden Ziele:

„Das Nationaleinkommen soll im Jahre 1970 gegenüber 1965 um 28 bis 32 Prozent steigen. Die entscheidende Voraussetzung hierfür ist die Erhöhung der Arbeitsproduktivität in der Industrie um 40 bis 45 Prozent, in der Bau-industrie um 35 bis 40 Prozent und in der Landwirtschaft um 30 bis 35 Prozent. . ..

Die Investitionen werden 1970 gegenüber 1965 um 48 bis 52 Prozent wachsen. Das erfordert die Erhöhung der Bauproduktion um mindestens 40 Prozent.

Bis 1970 ist eine Steigerung der Industrieproduktion auf 137 bis 140 Prozent vorgesehen. Dabei haben diejenigen Erzeugnisse und Erzeugnisgruppen, Betriebe und Zweige Vorrang, die für die Durchführung der wissenschaftlich-technischen Revolution und für die Erhöhung der volkswirtschaftlichen Effektivität besondere Bedeutung besitzen....

In der Landwirtschaft ist die Produktion von tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen so zu erhöhen, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln weitgehend aus eigenem Aufkommen gesichert werden kann. Die tierische Marktproduktion soll bis 1970 auf insgesamt 120 bis 125 Prozent anwachsen.

Der Außenhandelsumsatz wird im Jahr 1970 insgesamt etwa 33 bis 35 Mrd. Mark betragen.

Das Realeinkommen je Kopf der Bevölkerung wird im Zeitraum bis 1970 auf 119 bis 121 Prozent steigen. ... Das Angebot an Industriewaren ist bis zum Jahre 1970 auf etwa 128 bis 130 Prozent und an Nahrungs-und Genußmitteln auf 118 bis 120 Prozent zu erhöhen.“

Für den Zeitraum von 1970 bis 1980 machte Ulbricht auf dem VII. Parteitag einige Ausführungen, die auch verschiedene Richtzahlen für die Aufgabenstellung in den Prognosen enthielten, die für den genannten Zeitraum noch ausgearbeitet werden sollen. Er führte u. a. aus:

„Die Hauptzüge der künftigen Struktur der nationalen Wirtschaft der DDR im Zeitraum 1975/80 kann man etwa wie folgt zusammenfassen: Die Entwicklung der nationalen Wirtschaft wird in diesem Zeitraum durch die zunehmende Mechanisierung und Automatisierung vieler Prozesse der Produktion, die umfassende Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung, die wachsende Chemisierung der Volkswirtschaft und den Einsatz neuer hochbeanspruchbarer Werkstoffe sowie die Nutzung der Atomenergie charakterisiert werden. ...

Beispielsweise wird eingeschätzt, daß wir allein im Bereich der Elektronik bis 1980 nur für die Errichtung neuer Forschungseinrichtungen und die ständige Modernisierung ihrer gerätemäßigen Ausstattung zwei Milliarden Mark investieren müssen. Das entspricht vergleichsweise den Investitionsaufwendungen für den Ausbau von Leuna II und Erdölverarbeitungswerk Schwedt zusammengenommen.

Jeder vierte unserer jetzigen Schulanfänger muß ein Hoch-oder Fachschulstudium absolvieren, um in den kommenden Jahrzehnten die neuen Produktivkräfte gestalten und nutzen zu können....

Die proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft erfordert die Erhöhung der Bauproduktion bis 1980 auf das zweieinhalbfache. ..." Ein Vergleich der für 1970 genannten wichtigsten Planziele mit dem erreichten Stand zur Zeit des V. Parteitages 1958 und des VI. Parteitages Januar 1963 sowie mit den in der offiziellen Statistik angegebenen Istzahlen für 1965, auf die sich die Zuwachs-Prozentzahlen für 1970 beziehen, ergibt folgendes Bild: Wenn diese für die Öffentlichkeit bestimmten Zahlen mit der tatsächlichen Entwicklung auch nicht ganz übereinstimmen sollten, so kann doch ein stetiger Zuwachs der Produktion und eine Steigerung der Leistungen der mitteldeutschen Wirtschaft annähernd in der Größenordnung dieser Zahlen angenommen werden, und es ist ohne Zweifel auch mit einer weiteren erheblichen Steigerung in den neuen Planzeiträumen zu rechnen.

Das wichtigste Problem ist aber weniger der mengenmäßige Zuwachs, besonders in den von der Planung bevorzugten Produktionsbereichen, sondern die Steigerung der Erzeugung bei gleichzeitiger Senkung der Produktionskosten und Verbesserung der Qualität, wobei die gesetzten Ziele an westlichen Maßstäben orientiert sind.

Eine wichtige Voraussetzung wäre der Ersatz der weitgehend veralteten Produktionseinrichtungen durch moderne Maschinen und Anlagen sowie eine moderne technische Ausrüstung auch in der Bauwirtschaft, im Verkehrswesen und in der Landwirtschaft. Aber in dieser Hinsicht wird im Perspektivplan bis 1970 und in den Prognosen für die folgende Zeit nicht mit einer wesentlichen qualitativen Veränderung vor 1970 gerechnet, auch dann nicht, wenn es tatsächlich gelingt, in den nächsten Jahren die vorgesehene Steigerung der Arbeitsproduktivität wie geplant zu erreichen, vor allem durch bessere Ausnutzung der Arbeitszeit mit Hilfe und Initiative aller Beschäftigten.

Das wirkt sich in erster Linie zuungunsten der Bevölkerung aus. So sind die Planziele für den Wohnungsbau auch für die kommenden Jahre überraschend niedrig. Im Zeitraum von 1966 bis 1970 sollen durch Um-und Ausbau und durch Neubau rund 400 000 Wohnungen geschaffen werden. Das sind durchschnittlich 80 000 Wohnungen in jedem Planjahr. Im Zeitraum 1961 bis 1965 betrug die Zahl der ausgebauten und neugebauten Wohnungen nach der offiziellen Statistik ebenfalls rund 400 000. Hier ist also überhaupt keine Steigerung der Leistungen, abgesehen von der beabsichtigten Senkung der Baukosten, vorgesehen, obwohl infolge der permanenten Vernachlässigung der Instandhaltung, der Wiederherstellung und des Neubaus von Wohnraum das Wohnungsproblem in vielen Gebieten Mitteldeutschlands seit Jahren Gegenstand von Fragen und Beschwerden der Bevölkerung auch in Versammlungen ist.

Ein anderes Beispiel ist die Autoproduktion. Trotzdem die Verkaufspreise sehr hoch liegen, besteht ein enormer ungedeckter Bedarf, für dessen Deckung die eigene Produktion und die Importe längst nicht ausreichen. Die Jahresproduktion von Personenkraftwagen soll jedoch von rund 103 000 Stück im Jahre 1965 nur auf 145 000 bis 150 000 Stück bis zum Jahre 1970 gesteigert werden.

Aber auch in anderen Bereichen der Wirtschaft, die für die Gesamtentwicklung von großer Bedeutung sind, wie zum Beispiel im Verkehrswesen, sind die Planziele bis 1970 im Gegensatz zu den dringend notwendigen Erfordernissen überraschend niedrig angesetzt. Im Gesetz über den Perspektivplan für 1970 ist für das Straßenwesen nur die folgende Aufgabe konkret erwähnt: „Gemeinsam mit dem Bauwesen sind bis 1970 die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, damit Anfang 1970 mit dem Autobahnbau der Strecke Leipzig—Dresden begonnen werden kann."

Auf dem VII. Parteitag hatte Ulbricht außerdem noch erwähnt, daß auch die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden müßten, damit ab 1970 auch der Bau der Autobahnabschnitte Halle—Magdeburg und Berlin—Rostock begonnen werden könne. Zum Verkehrswesen sagte er u. a.: „Die Hauptaufgabe im Verkehrswesen in den nächsten Jahren ist es, die Eisenbahn im Zusammenhang mit einer technischen Rekonstruktion durchgängig zu rationalisieren. Die wichtigste Aufgabe der komplexen Rationalisierung im Eisenbahnwesen ist der rasche Übergang vom jetzigen Dampflokbetrieb auf moderne Traktionsarten."

Aus der eigenen Produktion kamen im Jahre 1965 insgesamt 289 Diesel-und 283 Elektrolokomotiven; sie waren jedoch zum großen Teil für den Export bestimmt. Für die Modernisierung des Eisenbahnwesens ist nach den Zahlen des Perspektivplanes ebenfalls ein längerer Zeitraum vorgesehen, der über das Jahr 1970 weit hinausreicht.

Solche Beispiele lassen sich auch aus anderen Bereichen der Wirtschaft anführen. Sie zeigen, daß die vorrangige Entwicklung bestimmter Produktionszweige, für die hohe Lieferverpflichtungen gegenüber den kommunistischen Staaten bestehen, unter Vernachlässigung anderer Bereiche der Wirtschaft und zu einem großen Teil auf Kosten der Arbeitsbedingungen und des Lebensstandards der mitteldeutschen Bevölkerung erfolgte.

Das wird sich auch in der neuen Planperiode nach den Ausführungen auf dem VII. Parteitag und nach dem „Gesetz über den Perspektivplan bis 1970" nicht wesentlich ändern. Auch das Mißverhältnis zwischen dem Zuwachs der Industrieproduktion und den Planzielen für die Entwicklung des Lebensstandards bleibt weiterhin bestehen.

Diese Tendenz wird auch nicht aufgehoben durch die Verbesserungen, die auf dem VII. Parteitag angekündigt und in den folgenden Wochen durch Verordnungen des Zonenministerrats verfügt wurden, wie zum Beispiel die Einführung der durchgängigen Fünf-Tage-Arbeitswoche ab Ende August 1967 bei Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 43 3/4 Stunden bei ein-und zweischichtiger Arbeit und auf 42 Stunden bei dreischichtiger oder durchgehender Arbeit (bisher 45 bzw. 44 Stunden), aber bei Fortfall einer Reihe bisheriger Feiertage. Zu diesen Verbesserungen gehören auch die Verlängerung des Mindesturlaubs von 12 auf 15 Tage, die Erhöhung der Mindestrenten von monatlich 129, — auf 150, — Mark, die Erhöhung der Mindestbruttolöhne von 220, — auf 300, — DM monatlich sowie die Erhöhung des Kindergelds für das vierte Kind von monatlich 40, — auf 60, — Mark und für jedes weitere Kind von 45, — auf 70, — Mark. Für die monatlichen Bruttolöhne unter 400, — Mark wurden differenzierte Erhöhungen vorgenommen. Eine allgemeine Erhöhung der zum weitaus größten Teil sehr niedrigen Renten erklärte Ulbricht auf dem VII. Parteitag in absehbarer Zeit für unmöglich. Die einzige Antwort auf die ständigen Forderungen nach einer allgemeinen Erhöhung der Renten bestand neben der erwähnten Erhöhung der Mindestrenten in der Einführung einer freiwilligen Versicherung für eine Zusatzrente.

Auch die geplante Entwicklung des Arbeitseinkommens zeigt deutlich, daß auch künftig die Arbeiter und Angestellten nicht damit rechnen können, einen wesentlich höheren Anteil am Ertrag ihrer Arbeit zu erhalten. Das Realeinkommen der Bevölkerung soll nach dem Plan im Zeitraum bis 1970 um 19 bis 21 Prozent steigen, die Arbeitsproduktivität in der Industrie jedoch um 40 bis 45 Prozent, in der Landwirtschaft um 30 bis 35 Prozent und die Industrieproduktion soll um 37 bis 40 Prozent erhöht werden. Bei den Plan-Prozentzahlen für die Erhöhung des Realeinkommens sind, wie aus dem Gesetz über den Perspektivplan bis 1970 hervorgeht, die erwähnten Erhöhungen der Mindestlöhne, der Arbeitseinkommen unter 400, — Mark monatlich sowie der Mindestrenten und des Kinder-geldes bereits einbezogen. Auch die in Aussicht gestellten Miet-und anderen Zuschüsse an Familien mit vier und mehr Kindern sind dabei schon berücksichtigt. Für die Entwicklung der Löhne und Gehälter wurden keine Planziele festgelegt. Wie bereits im vorhergehenden Abschnitt dargelegt, soll mit der Entwicklung des „ökonomischen Systems des Sozialismus" das System der Löhne, Gehälter und Prämien wesentlich verändert werden, es soll stärker einen „produktivitätsfördernden" Charakter erhalten. In den letzten beiden Jahren ist außerdem in weiten Bereichen durch den Abbau des alten Prämiensystems sowie durch neue Arbeitsnormen eine Reduzierung des Arbeitseinkommens erfolgt. Dazu kamen Preiserhöhungen für eine große Zahl von Konsumgütern des täglichen Bedarfs.

Der Perspektivplan bis 1970 zeigt erneut, wie nachteilig die einseitige Orientierung der Planziele auf die „Wirtschaftsgemeinschaft mit der UdSSR" und auf die vorwiegend von der Sowjetunion bestimmte Arbeitsteilung und Kooperation im Rahmen des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) für die Entwicklung der materiellen Lebensbedingungen der mitteldeutschen Bevölkerung ist und wie dringend notwendig eine Verbesserung der innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen wäre.

V. Mit „klassenkämpferischer" Deutschlandkonzeption gegen Entspannungsvorschläge der Bundesregierung und der SPD

Anteile der Einzelhandelsbetriebe nach Eigentumsformen am Gesamtumsatz in Prozent

Während einerseits die innenpolitische Linie des VII. Parteitages unter der Parole „Vollendung des Sozialismus in der DDR“ auf die weitere Vertiefung der Unterschiede und Gegensätze zwischen den grundverschiedenen ge-sellschaftlichen Systemen in beiden Teilen Deutschlands gerichtet war, kam auch in den Stellungnahmen zur Deutschlandpolitik das gleiche Bestreben zur Verschärfung der Spannungen zum Ausdruck. In der monatelangen propagandistischen Vorbereitung des VII. Parteitages war die Parteiführung bereits bemüht gewesen, gegen so-genannte „Illusionen in der nationalen Frage" anzugehen, Feindschalt und Haß gegen die staatliche und gesellschaftliche Ordnung in Westdeutschland und West-Berlin zu erzeugen und Sympathie und Begeisterung für das „sozialistische Vaterland DDR" zu wecken.

Diese intensive Propagandakampagne begann nach Abbruch des öffentlichen Dialogs mit der SPD und dem offenkundigen Ausweichen vor einer unmittelbaren Konfrontation mit den Vertretern der SPD in den zuvor vereinbarten öffentlichen Veranstaltungen in beiden Teilen Deutschainds.

Die Führung der SED sah sich in den Fragen der Deutschlandpolitik auch vor der Bevölkerung Mitteldeutschlands in die Defensive gedrängt. Ihre These, der SED-Staat sei die staatliche Repräsentation der „Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten werktätigen Schichten" in Deutschland und die Bundesrepublik die Staatsmacht und damit das Klassen-instrument des „staatsmonopolistischen Kapitalismus und Imperialismus", stieß selbst bei sehr vielen Mitgliedern und Funktionären der Partei auf Ablehnung und offen vorgetragene Gegenargumente.

Deshalb kam es der Parteiführung darauf an, den VII. Parteitag mit ausschließlich linientreuen Teilnehmern zu einer Demonstration für die Deutschlandkonzeption der Ulbricht-Anhänger zu machen und in diesen Fragen der Öffentlichkeit eine nicht vorhandene Einheit und Geschlossenheit vorzutäuschen.

Darum kam es auf dem VII. Parteitag zu keiner echten Diskussion und sachlichen Beratung über den Offenen Brief der SPD an die Delegierten des Parteitages und über die beigefügte Regierungserklärung mit den Vorschlägen der Bundesregierung zur Entspannung der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Das Ulbricht-Zentralkomitee wußte sehr gut, daß der Inhalt des Offenen Briefes und die Vorschläge der Bundesregierung den Hoffnungen und Forderungen der mitteldeutschen Bevölkerung und vieler Mitglieder der SED entsprachen und auch der Stimmung in weiten Kreisen der Funktionäre entgegenkamen. Darum wurden beide Dokumente nicht veröffentlicht und über ihren Inhalt auch auf dem Parteitag keine sachlichen Angaben gemacht.

Den Entspannungsvorschlägen, die überhaupt nicht öffentlich bekanntgegeben wurden, setzte Ulbricht die Konzeption des „Klassenstandpunktes in der deutschen Frage“ entgegen. Er sagte in seinem Referat, das durch besonderen Beschluß zur verbindlichen Stellungnahme des Parteitages erklärt wurde, dazu u. a. folgendes: „Wir stehen heute vor der Situation, daß es zwei nicht nur in der Gesellschaftsordnung, sondern auch in den Prinzipien der Innen-und Außenpolitik gänzlich unterschiedliche deutsche Staaten gibt, deren weitere Auseinanderentwicklung die Tendenz hat, voranzuschreiten.

Eine Vereinigung der sozialistischen DDR mit einem imperialistischen Westdeutschland ist natürlich nicht real. Für die DDR . . . gibt es keine Rückkehr zum Kapitalismus, . .. keine Rückkehr ins Mittelalter der gesellschaftlichen Entwicklung. . . .

Im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten vollzieht sich seit über zwanzig Jahren ein Klassenkampf, der um die Klärung der Frage , Wer — Wen? ’ ausgefochten wird.

Zu den geschichtlichen Aufgaben der DDR gehört es, dazu beizutragen, daß auch Westdeutschland den Weg zur Überwindung von Militarismus und Imperialismus findet. Erst wenn das erreicht ist, kann die Vereinigung der beiden deutschen Staaten aktuell werden.

Wir wissen, daß die Überwindung der friedensfeindlichen militaristischen und neonazistischen Kräfte (in Westdeutschland) nur im Kampf um die elementarsten demokratischen Forderungen und durch den Zusammenschluß und die Verständigung aller demokratischen Kräfte, von der Vorhut der Arbeiterklasse bis zu den werktätigen Bauern und der fortschrittlichen Intelligenz bis zu den demokratischen Kräften des Bürgertums, möglich ist. . ..

Was der Imperialismus gesprengt hat, wird die Arbeiterklasse der beiden deutschen Staaten in engstem Bündnis untereinander wieder einen....

Doch bevor das geschehen kann und damit das geschehen kann, müssen sich die Arbeiterklasse der DDR und die Arbeiterklasse Westdeutschlands zum gemeinsamen Handeln vereinen. .. . Die Einigung der Arbeiterklasse beider deutscher Staaten ist die elementarste Voraussetzung auch iür die Sicherung des Friedens, für den Kampf um die Demokratie in Westdeutschland und für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. . . .

Die gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse der DDR und der Arbeiterklasse Westdeutschlands werden zu den verschiedensten Formen der Zusammenarbeit sozialistischer Organisationen, Gewerkschaftsorganisationen, der Jugendverbände, Frauenvereinigungen mit der SED und anderen gesellschaftlichen Organisationen in der DDR führen. . . .

Die Arbeiterklasse Westdeutschlands und auch die Arbeiterklasse Westberlins — und alle anderen mit ihnen verbündeten werktätigen Schichten —, dessen sind wir sicher, werden auf die Dauer die ihnen zugemutete Unterdrückung nicht dulden. . . .

Im Endergebnis jedenfalls sind Demokratie und Sozialismus für die westdeutsche Bundesrepublik die einzige Alternative. . . .

Als Marxisten-Leninisten wissen wir, daß der Fortschritt, daß Demokratie und Sozialismus keinen Umweg um Westdeutschland und Westberlin machen werden. . . . Wir haben große Erfahrungen für jene Entwicklung gesammelt, die auch aus Westdeutschland eines Tages einen friedlichen, fortschrittlichen, demokratischen und antinazistischen Staat machen wird.

Und so kommt also früher oder später die Zeit, da es zwei deutsche fortschrittliche, antinazistische und antiimperialistische Staaten nebeneinander geben wird. . . .

Wenn aber erst einmal zwei fortschrittliche deutsche Staaten nebeneinander und miteinander leben, jeder von ihnen unter Führung der Arbeiterklasse . . ., dann kann es nicht lange dauern . .., bis sie sich über den Weg zur Schaffung eines friedlichen, antiimperialistischen und fortschrittlichen deutschen Staates einigen."

Diese Darstellung des Problems der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands aus der doktrinären Sicht der Marxismus-Leninismus hatte Ulbricht in einem parteiinternen Brief vom 31. Januar 1967 an alle Grundorganisationen und Funktionäre der SED als Richtlinie für die Stellungnahmen zu den Fragen der Deutschlandpolitik in den Mitgliederversammlungen der Partei und für die Auseinandersetzung mit anderen Argumenten und Ansichten in der Partei und unter der Bevölkerung formuliert. In diesem parteiinternen Brief war zu den bereits zitierten Formulierungen, die Ulbricht auch auf dem Parteitag vortrug, u. a. noch folgendes hinzugefügt: „Die Klassenauseinandersetzung in Deutschland tritt heute einerseits als Auseinandersetzung zwischen dem sozialistischen und dem imperialistischen deutschen Staat und andererseits als Klassenkampf zwischen der westdeutschen Bundesrepublik in Erscheinung . . .

Zum ersten Mal seit vielen Jahren gibt es in der westdeutchsen Bundesrepublik auf breiter Ebene ernsthafte ökonomische Schwierigkeiten, die von einer außerordentlichen Verschärfung der antagonistischen Widersprüche des Monopolkapitalismus in Westdeutschland zeugen. . . .

Die Klassengegensätze verschärfen sich. Es beginnt die Desillusionierung über die bürgerlichen und sozialdemokratischen Theorien vom . krisenfreien Kapitalismus', von der . Sozial-partnerschaft', von der , Klassenharmonie'im modernen Kapitalismus usw. . . .

Leider gibt es in Westdeutschland bisher noch keine genügend starke demokratische Kraft, die in der Lage wäre, alle diese Strömungen in eine fortschrittliche Massenbewegung einmünden zu lassen. . . .

Die Mehrheit der Bevölkerung ist sich der Ursachen der ernsten Folgen der Bonner Politik noch nicht bewußt. Diejenigen, die warnen und öffentlich protestieren, sind vorerst immer noch eine kleine Minderheit, deren Einfluß auf das Gesamtgeschehen in Westdeutschland gering ist.

Es ist daher eine unerhört wichtige Aufgabe, die heute in Westdeutschland objektiv vorhandenen Möglichkeiten, die Unsicherheit und Unruhe, in politisches Bewußtsein und politische Kampfkraft umzuwandeln, den Werktätigen die vor sich gehenden Entwicklungsprozesse bewußt zu machen und auf möglichst breiter Basis das Klassenbewußtsein der Arbeiter zu fördern."

In diesen Ausführungen kommt ebenso wie zum Beispiel in den Offenen Briefen an die SPD das Bestreben der Parteiführung unter Ulbricht zum Ausdruck, ihrerseits in einem öffentlichen Dialog wie auch auf der Ebene der vielfältigen offenen oder internen Infiltrationsgespräche mit Bürgern in Westdeutschland und Westberlin oder mit Besuchern aus dem anderen Teil Deutschlands im eigenen Machtbereich keine Fragen und Diskussionen über Veränderungen in der „sozialistischen DDR" zuzulassen und ausschließlich im Sinne der erwähnten Klassenkampfthesen die gegen Ordnung im anderen Teil Deutschlands zu argumentieren und zu taktieren.

Auf dem Parteitag wie auch im parteiinternen Brief Ulbrichts und in vielen anderen Stellungnahmen der SED-Führung wurde stets nachdrücklich betont, daß der von der SED in Westdeutschland erhoffte Prozeß einer „demokratischen Umgestaltung" im Sinne der Partei-doktrin nur im Verlaufe eines längeren historischen Zeitraumes, der nicht abzuschätzen sei, möglich werde; einmal, weil das „Kräfteverhältnis zwischen den beiden Weltsystemen" in absehbarer Zeit keine staatliche Wiedervereinigung Deutschlands wegen der damit verbundenen „großen Veränderung des Kräfteverhältnisses" zulassen werde, und weil außerdem in Westdeutschland mit einem sehr langen Reifeprozeß hinsichtlich der Entwicklung eines „Klassenbewußtseins" sowie mit vielen Zwischenphasen in einer allmählichen Wandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse gerechnet werden müsse. Im parteiinternen Brief Ulbrichts an die Grundorganisationen und die Funktionäre der Partei hieß es dazu weiter:

„Jetzt viel von Vereinigung der deutschen Staaten reden, so, als ob sie gegenwärtig oder in naher Zukunft möglich wäre, hieße also, die historische Klassenauseinandersetzung durch einen mystizistischen Nationalismus zu ersetzen und damit letztlich die Geschäfte der Imperialisten zu besorgen.

Es ist auch nicht zulässig, die friedliche Koexistenz der beiden deutschen Staaten mit der Vereinigung in einen Topf zu werfen und dafür Begriffe wie . Lösung der deutschen Frage'im Sinne der Vereinigung von Feuer und Wasser anzuwenden. . . ."

In einem vom VII. Parteitag beschlossenen „Manifest an die Bürger der DDR" wurden die Hauptparolen dieser „Klassenkampf" -Konzeption in den folgenden Formulierungen wiedergegeben: „Der Sozialismus wird in der ganzen Welt siegen. ... Auch in Westdeutschland werden die Arbeiter ...den Weg der Demokratie beschreiten und schließlich den Sozialismus errichten. ...

Das ist die einzige Möglichkeit, dereinst zur Vereinigung beider deutscher Staaten zu kommen.

Damit die westdeutschen Arbeiter zu diesem großen Werk beitragen können, müssen sie ihre Macht zur Geltung bringen. . . .

Die Imperialisten haben Deutschland gespalten. Die Arbeiterklasse der beiden deutschen Staaten wird es zusammenfügen. Wir wissen: dieser Prozeß wird lange dauern. . . .

Es ist Sache der Westdeutschen, endlich in Bonn eine Regierungspolitik zu erzwingen, die Beziehungen der friedlichen Koexistenz zwischen beiden deutschen Staaten ermöglicht. Es ist Sache auch der Westberliner, endlich eine Senatspolitik durchzusetzen, die normale und für beide Seiten nützliche Beziehungen zwischen der DDR und der besonderen politischen Einheit Westberlin ermöglicht.

Nur eine solche Entwicklung bringt eine tatsächliche Entspannung, führt zur Abrüstung und liegt auch im Interesse der europäischen Sicherheit."

Diesen Leitsätzen entsprachen auf dem VII. Parteitag auch die Ausführungen Ulbrichts zum Brief der SPD an die Delegierten des Parteitages und zur Erklärung der Bundesregierung, sowie die Erklärung eines Sprechers der SED-Delegation Ostberlin und auch eine besondere „Stellungnahme des VII. Parteitages zum Brief des Parteivorstandes der westdeutschen Sozialdemokratie und zur Erklärung des westdeutschen Bundeskanzlers Kiesinger" (Wortlaut in „Neues Deutschland" vom 21. April 1967). Diese Verlautbarungen stellten übereinstimmend grundsätzlich den „Klassenstandpunkt" heraus, setzten der Aufforderung der SPD zur freien offenen Diskussion in beiden Teilen Deutschlands über die möglichen Schritte zur Entspannung die „klassenkämpferischen" Thesen und Parolen der Volksfront-taktik entgegen, gingen einer sachlichen Stellungnahme zu den Vorschlägen der SPD und der Bundesregierung, deren Inhalt nicht einmal bekanntgegeben wurde, aus dem Wege und gipfelten in der Forderung, jeder Beratung anderer Fragen der Beziehungen zwischen der „souveränen sozialistischen DDR" einerseits und der Bundesrepublik sowie dem „besonderen Territorium Westberlins" andererseits müsse die „Anerkennung der DDR und ihrer Grenzen" und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen wie zwischen drei verschiedenen Staaten vorausgehen.

VI. Das Aktionsprogramm gegen Westdeutschland und Westberlin

Anteile der Land-und Forstwirtschaitsbetriebe nach Eigentumsiormen in Prozent

In Zusammenhang mit der Herausteilung des „Klassenstandpunktes in der nationalen Frage" entsprechend der Parteidoktrin erfolgte auf dem VII. Parteitag auch eine umfassende Darlegung des gegenwärtigen Aktionsprogramms der SED für ihre nächsten taktischen Ziele in ihrer Politik gegenüber Westdeutschland und Westberlin und in Europa.

Dieses Aktionsprogramm geht grundsätzlich von den bereits wiedergegebenen Thesen über den angeblichen „Klassencharakter" der Auseinandersetzungen in der deutschen Frage und — unter Berufung auf das Kräfteverhältnis — von der Einstellung auf eine lange „historische Periode des Nebeneinanderlebens beider deutscher Staaten" aus.

Dazu kommt die Behauptung, die Bundesrepublik betreibe in Übereinstimmung mit den USA eine „aggressive" Politik, die den Frieden in Europa gefährde. Aus dieser Behauptung wird die Forderung abgeleitet, der gegenwärtige machtpolitische und territoriale Status in Deutschland müsse völkerrechtlich von allen europäischen Staaten anerkannt und durch Vereinbarungen einer europäischen Friedenskonferenz garantiert werden; dies sei die dringendste Maßnahme zur Sicherung des Friedens bzw. zur Abwehr einer angeblich vom „westdeutschen Imperialismus" ausgehenden Kriegsgefahr.

Bei seinen Ausführungen über die Forderung nach Einberufung einer Konferenz aller europäischen Staaten zur Sicherung des Friedens in Europa berief sich Ulbricht auf die Deklaration der Partnerstaaten des Warschauer Vertrages, die im Juli 1966 auf der Konferenz in Bukarest beschlossen wurde, und sagte u. a.: „Der Kampf gegen die Revanchepolitik der herrschenden Kreise der westdeutschen Bundesrepublik wird immer stärker zu einem gesamteuropäischen Anliegen. Das von den Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages entwickelte konstruktive Programm zur Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa weist Ziel und Weg.. . .

Wichtiger Bestandteil des Kampfes der sozialistischen Staaten um die europäische Sicherheit ist die Durchsetzung der Erkenntnis, daß die gleichberechtigte Einbeziehung der DDR in das System der europäischen Sicherheit unentbehrlich ist. ...

Zur Gewährleistung der europäischen Sicherheit würden — neben der Anerkennung des Status quo — Nichtangriffsverpflichtungen aller europäischen Staaten gegenüber allen anderen Staaten, einschließlich der DDR, verbunden mit der Anerkennung aller Grenzen, erheblich beitragen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Völker der westeuropäischen Staaten und an deren führende Staatsmänner, an Präsident de Gaulle, an Premierminister Wilson, an Präsident Saragat, an Präsident Kekkonen, an König Gustav VI. von Schweden und an die Regierungschefs der anderen Länder appellieren: Unterstützen Sie die Bestrebungen nach Gewährleistung der europäischen Sicherheit unter Teilnahme aller europäischen Staaten einschließlich der beiden deutschen Staaten. Distanzieren Sie sich unmißverständlich von den westdeutschen Politikern, die Grenzveränderungen fordern und den Status quo in Europa verneinen. Denn deren Politik ist darauf gerichtet, die Gewährleistung des europäischen Friedens zu verhindern. Wir aber, die Regierung und die Bürger der DDR, wollen nichts anderes als Frieden und Sicherheit für unser Volk wie für alle Völker und Staaten Europas. Ich bin der Überzeugung, auch die Völker Westeuropas haben keinerlei Interesse an einer Änderung des Status quo zugunsten der westeuropäischen Imperialisten."

über die nächsten taktischen Ziele des Aktionsprogramms der SED gegenüber der Bundesrepublik machte Ulbricht auf dem VII. Parteitag u. a. folgende Ausführungen:

„Das, was heute in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten möglich, aktuell und notwendig ist, habe ich in der Neujahrs-botschaft der DDR dargelegt. Ich erneuere heute unsere Vorschläge für folgende nächste Schritte:

Wir schlagen vor, daß die Regierungen der beiden deutschen Staaten eine Vereinbarung über die Aufnahme normaler Beziehungen zueinander treffen.

Wir schlagen vor, daß die Regierungen der beiden deutschen Staaten einen Vertrag schließen, der den Verzicht auf die Anwendung von Gewalt in den gegenseitigen Beziehungen zum Inhalt hat. Wir schlagen vor, daß die Regierungen der beiden deutschen Staaten in gleichlautenden vereinbarten Erklärungen die gegenwärtig bestehenden Grenzen in Europa anerkennen.

Wir schlagen vor, daß die Regierungen der beiden deutschen Staaten vertraglich die Herabsetzung ihrer Rüstungsausgaben um jeweils die Hälfte vereinbaren.

Wir schlagen vor, daß die Regierungen der beiden deutschen Staaten ihren Verzicht auf Besitz, Verfügungsgewalt oder Beteiligung an der Verfügungsgewalt über Atomwaffen in jeglicher Form erklären. Zugleich vereinbaren und versichern sie verbindlich in gleich-lautenden und gleichzeitigen Erklärungen ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einer atomwaffenfreien Zone in Europa.

Wir schlagen vor, daß sich die Regierungen beider deutscher Staaten für die Herstellung normaler Beziehungen beider deutscher Staaten zu allen anderen europäischen Staaten und für die Herstellung diplomatischer Beziehungen aller europäischen Staaten zu beiden deutschen Staaten einsetzen . . .

Wir schlagen deshalb vor, daß der Vorsitzende des Ministerrates der DDR und der Bundeskanzler der westdeutschen Bundesrepublik — von Delegationen unterstützt und mit gehörigen Vollmachten versehen — an einem noch zu vereinbarenden Ort Zusammentreffen, um über diese ersten Schritte auf dem Wege zu einer Verständigung der beiden deutschen Staaten zu verhandeln und die entsprechenden Verträge abzuschließen.

Dann werden wir auch über alle anderen Fragen sprechen können, die von den Regierungen der beiden deutschen Staaten auf den Verhandlungstisch gelegt werden."

Ein Vergleich mit den Formulierungen und Forderungen zu diesem Thema auf dem vorangegangenen VI. Parteitag vom Januar 1963 ergibt eine wesentliche Verschärfung in der Tonart und in der Festlegung der nächsten taktischen Ziele. Auf dem VI. Parteitag und in dem damals beschlossenen Parteiprogramm der SED stand noch der Vorschlag im Vordergrund, auf der Grundlage „eines Minimums an korrekten Beziehungen und Vereinbarungen" eine Konförderation zu bilden, deren Organe „Empfehlungen an die Parlamente und Regierungen der Teilnehmer der Konföderation" beschließen sollten. In der propagandistischen Vorbereitung des VII. Parteitages hatte das ZK der SED jedoch erklärt, die Bildung einer Konförderation könne nicht der nächste Schritt sein, Westdeutschland und Westberlin müßten durch eine demokratische Umwälzung erst „konföderationsreif" gemacht werden; jetzt müsse die volle diplomatische Anerkennung der SED-Regierung durch die Bundesregierung sowie durch den Senat von Westberlin an erster Stelle stehen.

Gegenüber Westberlin war dann auch bei neuen Verhandlungen über Passierscheine von den Vertretern der SED entsprechend verfahren worden. Zum Thema Westberlin sagte Ulbricht auf dem VII. Parteitag u. a.: „Westberlin ist eine besondere politische Einheit und liegt auf dem Territorium der DDR ... Und unter gar keinen Umständen wird Westberlin jemals zur westdeutschen Bundesrepublik gehören.

Wir sind aber bereit, im Einvernehmen mit der UdSSR, für Westberlin vertraglich einen unabhängigen Status als besondere politische Einheit zuzugestehen.

Wir sind bereit, auf Grund entsprechender Verträge dieser besonderen politischen Einheit Westberlin auch die Benutzung der Transitwege der DDR zu gestatten.

Wir streben normale und gute Beziehungen zwischen der Regierung der DDR und dem Senat von Westberlin an. Wir sind zur Zusammenarbeit auf ökonomischem Gebiet und auch auf anderen Gebieten bereit.

Natürlich ist Voraussetzung, daß Westberlin, dem wir gute Beziehungen zu allen Ländern, einschließlich Westdeutschland wünschen, den westdeutschen Imperialisten und Revanche-politikern nicht als Brückenkopf des kalten Krieges und der Diversion gegen die DDR dient.

Diese unsere Position ist seil langem bekannt. Ich habe sie heute noch einmal zusammenhängend formuliert, weil es mir dringlich erscheint, das Westberlin-Problem zwecks Herbeiführung der europäischen Sicherheit dauerhaft zu entschärfen.

Im Interesse der europäischen Sicherheit und zur Beseitigung der Reste des zweiten Weltkrieges sind wir bereit, im Einvernehmen mit der Sowjetunion, ordentliche staatliche Verträge mit den USA, England und Frankreich über den zivilen Luftverkehr nach und von Westberlin unter Benutzung des Luftraumes der DDR wie auch über den Verkehr unter Benutzung der Eisenbahnen der DDR abzuschließen“.

In der auf Entspannung gerichteten Ostpolitik der Bundesregierung sieht das Ulbricht-ZK für die Durchsetzung des Aktionsprogramms für die Erreichung der nächsten taktischen Ziele gegenüber Westdeutschland und Westberlin und für die Gewinnung aller Partner-staaten des Warschauer Vertrages für ein gemeinsames Handeln in dieser Richtung ein Hindernis. Die Parteiführung der SED behauptet deshalb, die Entspannungsvorschläge der Bundesrepublik seien taktische Manöver mit dem Ziel der Diversion in Mitteldeutsch-land, der Isolierung der SED und der Aufspaltung der Gemeinschaft der kommunistischen Staaten in Osteuropa. Entsprechend dieser Linie des VII. Parteitages trat Ulbricht wenige Tage später auf der Konferenz europäischer kommunistischer Parteien in Karlsbad (24. bis 26. April 1967) auf, um die Forderung nach einem gemeinsamen Vorgehen aller kommunistischen Staaten und Parteien Europas im Sinne des Aktionsprogramms der SED zu begründen. Im Ton sogar noch schärfer als zuvor auf dem Parteitag sagte Ulbricht dort u. a.: „Die Hauptform des Kampfes des westdeutschen Imperialismus gegen die europäische Sicherheit ist gegenwärtig der Kampf gegen die DDR, seine Hauptmethode ist die aggressive Alleinvertretungsanmaßung . .. Die Alleinvertretungsanmaßung, die Nichtanerkennung der bestehenden Realitäten ist eine potentielle Kriegserklärung gegen die DDR.

Damit wird die Anerkennung des Status quo zur Grundlage jeder Friedensordnung in Europa, die Anerkennung der DDR zum Kernproblem für reale Fortschritte und die Gewährleistung der europäischen Sicherheit.

Wer die Politik des westdeutschen Imperialismus, die Politik der Regierung Kiesinger/Strauß beurteilen will, der lasse sich nicht von den unverbindlichen Worten des Kanzlers und dem Lächeln seines Außenministers täuschen•. Die Regierung Kiesinger/Strauß geht davon aus, daß gegenwärtig die Kräfte des westdeutschen Imperialismus noch nicht ausreichen, um mit Hilfe der Politik der Stärke die bestehenden Grenzen zu revidieren und die DDR zu annektieren.

Deshalb hat sie sich zu Umwegen, zu einer elastischen Politik entschlossen. Die Bonner Regierung hat sich zur Verwirklichung ihrer Ziele folgenden taktischen Fahrplan zurechtgelegt:

In der ersten Etappe dieser Expansionspolitik soll der . Anschluß'der besonderen politischen Einheit Westberlin als 11. Bundesland an Westdeutschland vollzogen werden.

Gleichzeitig konzentriert die Regierung Kiesinger/Strauß ihre Anstrengungen auf das Eindringen in die sozialistischen Staaten, um die gemeinsame, in der Bukarester Deklaration vom Juli 1966 festgelegte Politik der Warschauer Vertragsstaaten zu zerstören und damit das Haupthindernis der Expansion des westdeutschen Imperialismus zu umgehen.

Als zweite Etappe soll dann die DDR sozusagen im Zuge einer innerdeutschen Polizeiaktion liquidiert und dem westdeutschen Staat als , 12. Bundesland'einerverleibt werden . ..

Danach soll erst der große , Ritt nach dem Osten'beginnen und der alte Traum des deutschen Imperialismus verwirklicht werden: Ein Europa unter seiner Vorherrschaft vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer."

Von den Partnerstaaten des Warschauer Vertrages forderte Ulbricht, sie sollten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik von der vorherigen „Anerkennung der DDR und ihrer Grenzen" durch die Bundesregierung abhängig machen. Er warnte vor einem Verzicht auf diese Vorbedingung und fügte hinzu: „Die Expansionspolitik der herrschenden Kreise Westdeutschlands kann man nicht mit der Politik der . Beschwichtigung'bekämpfen."

Dieser schärfere Kurs der SED in der Deutschlandpolitik fand auf dem Parteitag und einige Tage später auf der Karlsbader Konferenz die volle Zustimmung und Unterstützung des Generalsekretärs der KPdSU Leonid Breshnew. Eine Übereinstimmung zwischen Ulbricht und Breshnew bestand auch in der Einschätzung der Situation in Europa und in der Welt; und das ist offensichtlich eine wesentliche Ursache für die gegenwärtige Verschärfung des Kurses. Von größerem Gewicht ist dabei ohne Zweifel die Einschätzung der Lage durch die Führung der KPdSU.

Danach ist angeblich, besonders in Europa, eine Entwicklung eingetreten, die die Voraussetzungen für die Politik der kommunistischen Staaten und Parteien bereits günstiger gestaltet hat und ihre Erfolgsaussichten weiterhin verbessert.

Entsprechend dieser gegenwärtigen Lageeinschätzung sagte Breshnew auf dem VII. Parteitag, die Deutschland-und Ostpolitik, der Bundesregierung sei mit den Interessen der anderen europäischen Völker in Kollision und damit in eine Sackgasse geraten, in der Bundesrepublik selbst werde die Opposition gegen diese Politik ebenfalls stärker, und es könne keinen Zweifel daran geben, daß diese Kräfte immer mehr Einfluß auf die Politik Westdeutschlands gewinnen würden. Aufschlußreicher und ausführlicher war seine unmittelbar danach auf der Konferenz in Karlsbad vorgetragene Beurteilung der Situation. Er sprach von wachsenden Gegensätzen zwischen den USA und den westeuropäischen Staaten, durch die die „Einheitsfront des Welt-kapitalismus zerrüttet" werde, von Gegensätzen zwischen den Staaten in Westeuropa und insbesondere zwischen diesen und der Bundesrepublik und von günstigeren Bedingungen für die kommunistischen Parteien in allen westlichen Staaten. Dieses selbstgeschaffene Bild von wachsenden Gegensätzen im westlichen Lager hat offensichtlich dazu verleitet, jetzt einer aggressiveren Politik der SED zuzustimmen.

Im Zeichen dieser Spekulationen und dieser Verhärtung wurde der Kurs des VII. Partei-tages festgelegt, der sich gegen die Entspannung und damit gegen die Interessen und Hoffnungen der Menschen in beiden Teilen Deutschlands richtet.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Rudolf H. Brandt, Journalist, Bonn. Veröffentlichungen in „Aus Politik und Zeitgeschichte“: Der V. SED-Parteitag und die „Vollendung" der Sowjetisierung Mitteldeutschlands (B 34/58 v. 27. August 1958); Ziele und Methoden Chruschtschows. Die Generallinie des XXI. Parteitages der KPdSU (B 20/59 v. 20. Mai 1959).