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Amerikanische Wirtschaftshilfe für Europa | APuZ 22/1967 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 22/1967 Hilfe für Deutschland Der Marshallplan damals und heute Amerikanische Wirtschaftshilfe für Europa George Catlett Marshall -Mensch und Werk Artikel 1

Amerikanische Wirtschaftshilfe für Europa

Karlheinz Koppe

Die Wirtschaftshilfe der Vereinigten Staaten von Amerika ist eine der großen Leistungen der freien Welt, die um so höher anzusetzen ist, als sie von der amerikanischen Öffentlichkeit nicht nur gebilligt, sondern gefordert und durch zahlreiche private Initiativen wirksam ergänzt wurde.

Die Notwendigkeit gezielter Wirtschaftshilfe hatte sich bereits während des Krieges gezeigt, als die USA ihre Verbündeten mit Pacht-und Leihhilfen unterstützten. Im Gefolge der amerikanischen Truppen wurde dann der Bevölkerung — ganz gleich ob es sich um befreite oder besiegte Länder handelte — großzügig geholfen. Das Sonderprogramm der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNRRA — United Nations Relief and Rehabilitation Administration) wurde fast ausschließlich mit amerikanischen Mitteln finanziert. Der deutschen und österreichischen Bevölkerung kam noch vor Ende der Kriegshandlungen die Hilfe der amerikanischen Armee zugute, die später unter der Bezeichnung GARIOA-Hilfe (Government and Relief in Occupied Areas) weitergeführt wurde und entscheidend zur Linderung der größten Not, vor allem des Hungers im Winter 1945/46 beigetragen hat.

Nach amerikanischen Angaben haben die USA von 1942 bis 1946 einschließlich der erwähnten Pacht-und Leihlieferungen 45, 9 Mrd. Dollar an Auslandshilfe bereitgestellt. Davon entfielen auf Westeuropa (und darunter wieder in erster Linie auf Großbritannien) 26, 6 Mrd. Dollar. Von 1946 bis 1966 wurden weitere 87 Mrd. Dollar Wirtschaftshilfe in aller Welt (davon Westeuropa 31 Mrd. Dollar) geleistet und zusätzlich 36 Mrd. Dollar Militärhilfe. Rund 70 Prozent dieser Hilfeleistungen nach 1946 wurden als nichtrückzahlbare Darlehen, also praktisch geschenkweise gewährt.

Im Rahmen dieser Hilfeleistungen kommt dem Marshallplan eine besondere Bedeutung zu, und zwar weniger von der Größenordnung her als vielmehr von der Methode der Kreditgewährung und dem damit erzielten Erfolg. Dieser Erfolg gründet sich im wesentlichen auf zwei Faktoren: Zum einen wurde die Hilfe nicht zur Grundlegung neuer Wirtschaften (wie heute in Entwicklungsländern), sondern zum Wiederaufbau kriegszerstörter Industrien traditionell leistungsfähiger Wirtschaften zur Verfügung gestellt, zum anderen wurden die beteiligten europäischen Regierungen verpflichtet, ein gemeinsames Programm aufzustellen und damit Doppelarbeit und unnütze Konkurrenz zu vermeiden. Für den Erfolg spricht, daß schätzungsweise die Marshallplan-Kredite Anlageinvestitionen im Werte des sechsfachen Betrages der investierten amerikanischen Mittel bewirkten.

Ausgang des Marshallplans war die am 12. März 1947 von Präsident Truman verkündete Doktrin, derzufolge sich die Vereinigten Staaten verpflichtet fühlten, jedem in seiner Freiheit bedrohten Land Beistand zu leisten. Am 5. Juni kündigte dann Außenminister George C. Marshall die Wiederaufbau-Hilfe für das kriegszerstörte Europa an, die anfangs 22 europäischen Regierungen einschließlich der sowjetischen Regierung angeboten wurde. Unter dem Druck Moskaus mußten jedoch die osteuropäischen Staaten das Hilfsangebot ablehnen. Am 12. Juni trat in Paris eine Konferenz von 16 europäischen Regierungen zusammen (Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die S, chweiz die Türkei und Großbritannien — Deutschland wurde durch die Militärgouverneure der drei Besatzungszonen vertreten), um ein Hilfsprogramm (European Recovery Program [ERP]) auszuarbeiten, das am 22. September 1947 von den Regierungen akzeptiert und der amerikanischen Regierung vorgelegt wurde. Auf dieser Sitzung wurde zugleich beschlossen, die drei Westlichen Besatzungszonen an der Marshall-Hilfe zu beteiligen. Auf Grund dieses Programms konnte Präsident Truman am 17. November 1947 eine Soforthilfe für Frankreich, Italien und Österreich beim Kongreß bewirken. Am 19. Dezember 1947 wurde das Auslandshilfegesetz (Foreign Assistance Act) formell eingebracht, dessen zentraler Bestandteil das Gesetz über Wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Act) war. Von diesem Gesetz rührt die offizielle Bezeichnung des Marshallplans als ECA-Hilfe her, die in Europa ERP-Hilfe genannt wurde. Die Gesetze wurden am 3. April 1948 verabschiedet, ihre Dauer auf vier Jahre, beginnend mit dem 1. Juli 1948, begrenzt. Der Gesamtbedarf wurde auf 17 Mrd. Dollar veranschlagt. Nur wenige Tage später, am 16. April, unterzeichneten die sechzehn beteiligten europäischen Regierungen in Paris die Konvention zur Gründung einer Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (Organization for European Economic Cooperation [OEEC]), n Deutschland auch „Europäischer Wirtschaftsrat" genannt. Die OEEC war nunmehr im Zusammenwirken mit der Marshallplan-Verwaltung (Economic Cooperation Administration) unter der Leitung von Paul G. Hoffman für die weitere Abwicklung der Kredite verantwortlich. Schon am 9. April war in Galveston (Texas) der Frachter „John H. Quick" mit 9000 t Weizen an Bord nach Bordeaux abgegangen. Der Marshallplan war angelaufen.

Schon im Jahre 1950 zeichnete sich deutlich die Erholung der europäischen Wirtschaft ab. Im Jahre 1951 — also noch vor Auslaufen des Marshallplans — waren die 1947 gesteckten Ziele weitgehend erreicht. Der Produktionsindex lag Ende 1951 bereits bei 150, gemessen am Stand des Jahres 1938. Die amerikanische Regierung traf deshalb noch in diesem Jahre Vorsorge für die Ablösung des Marshallplans durch Vereinbarungen, die sich in höherem Maße auf Gegenseitigkeit gründen sollten. Das kommt sinnfällig durch das Gesetz über Gegenseitige Sicherheit (Mutual Security Act) zum Ausdruck, das zur Grundlage für weitere Hilfslieferungen Amerikas wurde. Die letzten noch im Rahmen des Marshallplans bereitgestellten Mittel wurden bereits über die neue Einrichtung abgewickelt. Zwei Jahre später wurde die MSA-Verwaltung durch die Foreign Operations Administration (FOA) abgelöst, die schließlich im Juli 1955 im amerikanischen Außenministerium (State Department) aufging. Am 30. September 1961 wurde auch die OEEC in ihrer bisherigen Form aufgelöst und in eine Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Co-operation and Development [OECD]) umgewandelt, in der die USA und Kanada gleichberechtigte Mitglieder sind.

In die Reihe der Maßnahmen, die der Verwirklichung des Marshallplans dienten, gehört schließlich noch die Europäische Zahlungsunion (EZU), die am 19. September 1950 als Organ der OEEC gegründet wurde und die multilaterale Verechnung der Guthaben und Schulden der europäischen Länder ermöglichte. Das heißt: eine Schuld Frankreichs gegenüber Großbritannien konnte auf diese Weise durch ein Guthaben Frankreichs bei der Bundesrepublik verrechnet werden. Bis dahin waren die einzelnen Regierungen darauf angewiesen, ihre Zahlungsbilanzen mit jedem einzelnen Land bilateral auszugleichen. Mit OEEC und EZU waren die Voraussetzungen für eine schrittweise Liberalisierung der Einfuhren und schließlich für die Konvertierbarkeit der Währungen gegeben, womit entscheidende Handelshemmnisse weggeräumt wurden.

Uber die Verteilung der Kredite beschlossen die beteiligten europäischen Regierungen gemeinsam. Das ging — vor allem zu Beginn — nicht immer ohne Schwierigkeiten ab. Bezeichnend ist der Versuch einer Regierung, Anfang 1949 über ihren Anteil bilateral mit der amerikanischen Regierung zu verhandeln. Washington lehnte telegrafisch mit dem eindeutigen Hinweis ab, daß die Gewährung der Mittel von der Zusammenarbeit der europäischen Regierungen in der OEEC abhänge.

Die Weiterleitung der Mittel lief dann über die nationalen Regierungen. Die Regierungen selbst (für öffentliche Investitionen wie Straßenbau, Elektrizitäts-und Wasserversorgung, sozialen Wohnungsbau) oder auch einzelne Unternehmen konnten in der Höhe der zugesprochenen Kredite Waren in den Vereinigten Staaten einkaufen und Frachten bezahlen. Diese Leistungen mußten in der jeweiligen nationalen Währung bezahlt werden (wodurch die äußerst knappen Devisen gespart wurden). Diese sogenannten Gegenwertmittel konnten von den Regierungen wiederum investiert werden, so daß ein kräftiger, die Wirtschaft anregender Geldumlauf in Gang gesetzt wurde, der nur dadurch teilweise eingeschränkt wurde, daß einige Regierungen diese Gegenwertmittel zur Deckung von Haushalts-defiziten benutzten und damit dem stimulierenden Kreislauf entzogen.

Wegen des Überschneidens verschiedener amerikanischer Hilfsmaßnahmen sind unterschiedliche Angaben über die tatsächliche Höhe der im Rahmen des Marshallplans eingesetzten Kredite im Umlauf. Nach Vergleich und Abstimmung amerikanischer und deutscher Statistiken beliefen sich die Marshallplan-Kredite auf insgesamt 13 055 Mio Dollar, von denen auf die Bundesrepublik rund 10 Prozent, nämlich 1389 Mio Dollar entfielen. 50 Prozent dieser Mittel wurden in der Bundesrepublik für industrielle Zwecke ausgegeben, 42 Prozent für Nahrungsmittel und landwirtschaftlichen Bedarf, die restlichen 8 Prozent entfielen auf Frachten. Eine Sonderstellung nahm in diesem Programm Berlin ein, wo die Anlageinvestitionen zeitweilig zu über 60 Prozent aus Marshallplan-Mitteln finanziert wurden.

Insgesamt erhielt die Bundesrepublik in den Jahren 1945 bis 1956 3698 Mio Dollar, die sich wie folgt aufteilen:

GARIOA-Hilfen (einschließlich 1945/46)

2000 Mio Dollar ERP-Hilfen (Marshallplan 1948— 1951)

1283 Mio Dollar MSA und spätere Hilfen 253 Mio Dollar (teilweise noch Marshallplan) Sonderanleihe 1952 16, 9 Mio Dollar Summe 3552, 9 Mio Dollar.

Hinzu kommen in den Jahren 1953 bis 1956 noch einige kleine Kredite in Höhe von rund 146 Mio Dollar, so daß sich die anfangs genannte Summe ergibt.

Diese Zahlen lagen im Februar 1953 den Verhandlungen über die deutschen Auslandsschulden in London zugrunde. Dabei wurde beschlossen, daß von den GARIOA-, ERP-und MSA-Hilfen nur 1000 Mio Dollar ab 1958 in 60 Halbjahresraten zurückzuzahlen sind, wobei der jeweils noch anstehende Betrag mit 2, 5 Prozent verzinslich ist. Ein Teil dieser Raten ist bereits vorzeitig zurückgezahlt worden.

Die Bundesregierung hat die amerikanischen Kredite am konseguentesten eingesetzt und zu diesem Zweck ein unabhängiges Kreditinstitut, die „Kreditanstalt für Wiederaufbau" in Frankfurt, ins Leben gerufen. Die sogenannten Gegenwertmittel aus den GARIOA-, ERP-und MSA-Mitteln bilden zusammen das ERP-Sondervermögen des Bundes, das zu günstigen Zinssätzen zur Finanzierung wirtschaftlicher und sozialer Aufgaben wieder ausgeliehen wird. Am 31. Dezember 1965 belief sich dieses Sondervermögen auf die stattliche Summe von 8610 Mio DM.

Ein letztes Wort noch zu der Bedeutung, die die Auslandshilfe im allgemeinen und der Marshallplan im besonderen für Amerika hatte und hat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die amerikanische Öffentlichkeit den Marshallplan zum Teil enthusiastisch begrüßte. In den Jahren 1948 bis 1952 hatten die Vereinigten Staaten teilweise 2, 7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Auslandshilfe aufgebracht, im Durchschnitt dieser Jahre 1, 8 Prozent. Gemessen am Staatshaushalt betrug die Hilfe in diesen Jahren im Durchschnitt 10, 9 Prozent, im Jahre 1948 sogar 16, 8 Prozent. Würde man diese Größenordnung auf den Bundeshaushalt des Jahres 1966 übertragen, so müßte die Bundesregierung fast 10 Mrd, DM für Hilfeleistungen an das Ausland zur Verfügung stellen.

Es fehlte deshalb auch nicht an kritischen Stimmen, die vor einer Störung der Handels-ströme und Verfälschung des Wettbewerbs warnten. Auf der einen Seite wurden nach amerikanischen Schätzungen mehrere Jahre lang zwischen 600 000 und 1 000 000 Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen und der landwirtschaftliche und gewerbliche Export gefördert. Auf der anderen Seite wurde die europäische Wirtschaft sehr schnell konkurrenzfähig, so daß sie in den amerikanischen Markt einbrechen konnte und immer mehr US-Firmen veranlaßte, sich in Europa niederzulassen. Beides trug mit dazu bei, daß sich die soge-nannte Dollar-Lücke schneller als erwartet von Europa nach Amerika selbst verlagerte. Kanada und andere Agrarexportländer klagten, daß die amerikanische Kreditpolitik ihren Handel mit Westeuropa empfindlich störe. Kritisiert wurde auch, daß sich gerade in Jahren der Stahlknappheit durch den Marshallplan ein zusätzlicher Druck als Folge europäischer Käufe ergab, der zu Preissteigerungen auf dem amerikanischen Markt führte, während zu gleicher Zeit die Demontagen in Deutschland weiterliefen und die deutsche Stahlproduktion künstlich niedrig gehalten wurde. In der Tat sind diese Mängel erst in späteren Jahren endgültig abgestellt worden. Sie hatten auch deutsche Kritik hervorgerufen, weil befürchtet wurde, daß sich die westeuropäischen Länder vom traditionellen deutschen Markt für Investitionsgüter abwenden könnten und nicht nur während der Marshallplan-Periode, sondern auch in Zukunft in Amerika einkaufen könnten. Wie nicht selten in der Geschichte erwiesen sich jedoch die Prognosen der Optimisten richtiger als die der Pessimisten. Die durch den Marshallplan hervorgerufene Initialzündung war so gewaltig, daß schließlich alle am Welthandel beteiligten Nationen auf ihre Kosten kamen.

Eine richtige Politik zur richtigen Zeit hatte ihre Früchte gezeitigt. Dieser Erfolg ist das Bleibende des Marshallplans ebenso wie die sich daraus ergebende Verpflichtung zu Gemeinsamkeit und Solidarität aller Völker.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Schweiz zeigte sich an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit interessiert, hat aber keine amerikanischen Kredite in Anspruch genommen.

  2. Quellen: Der Bund als Finanzier 1966, Bad Godesberg 1964, und Kretzschmar, Auslandshilfe als Mittel der Außenwirtschafts-und Außenpolitik, München 1964.

Weitere Inhalte

1966, Köln 1967; zahlreiche Artikel über europäische Probleme in Fachzeitschriften.