Zur Problematik
Die Zahl der Veröffentlichungen zur politischen Bildung ist kaum übersehbar. Trotz dieser Vielzahl kann festgestellt werden, daß sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundüberzeugungen zum Problemkreis „Politische Bildung" im wesentlichen nach Art eines dialektischen Gegeneinanders herausgebildet und fortentwickelt haben.
In jüngster Zeit hat sich auf dem Gebiete der politischen Bildung immer stärker eine Auffassung durchgesetzt, die ihre didaktischen Grundüberzeugungen gleichsam von der demokratischen „Praxis", dem Erscheinungsbild und der Wirkweise unserer heutigen pluralistischen staatlich-gesellschaftlichen Ordnung abliest und diese didaktischen Grundgedanken in der theoretischen Abstraktion zum didaktischen Modell oder zu didaktischen Grundkategorien elementarisiert. Diese politische Didaktik hat ihren Anstoß empfangen von einer Politikwissenschaft, die bestrebt war und ist, die traditionellen Vorstellungen von Demokratie durch eine demokratische „Theorie" zu ersetzen, die nicht im Widerspruch steht zur demokratischen „Praxis". Es handelt sich also um die allseits bekannte Entideologisierung des Demokratiebegriffes. Eine weitere Erörterung zu diesem Punkt erübrigt sich.
Die auf diese wissenschaftlichen Bemühungen zurückgreifende politische Didaktik möchte den Lehrer aus einer Konfliktsituation befreien, in die er notwendig hineingerät, wenn er zum Beispiel den Demokratiebegriff auf der Grundlage der Identitätslehre von Regierenden und Regierten vermittelt, jedoch gleichzeitig erkennen muß, daß diese demokratische „Theorie“ im Widerspruch zur demokratischen „Praxis" steht. Darunter leiden nicht nur das persönliche Engagement, die Überzeugungskraft und die Bereitschaft des Lehrers zur politischen Erziehung, sondern auch das Interesse, die Aufnahmebereitschaft und die Vertrauenswilligkeit der Schüler. Diesem Übel-stand will die bereits kurz skizzierte politische Didaktik steuern. Eines muß nachdrücklich festgehalten werden: Die Motive und die Ziele, die zur Ablösung einer nicht nur durch die gesellschaftliche Entwicklung, sondern auch aus den eben genannten Gründen überholten politischen Didaktik geführt haben, verdienen sowohl Verständnis als auch Rechtfertigung.
Jedoch muß heute gefragt werden, ob nicht endgültig der Punkt erreicht sei, an dem man in der politischen Bildung mit Notwendigkeit den dialektischen Gegensatz der vergangenen Jahre überwinden müsse, um die vom Sachzusammenhang ausgewiesenen Dimensionen in den Blick zu bekommen. In weiterer Konsequenz ist zu fragen, ob die auf dem Wege der Anschauung (phänomenologisch) gewonnenen didaktischen Grundkategorien und Modelle einer Ergänzung bedürfen, damit nicht nur das Erscheinungsbild und die Wirkweise (das Was? und Wie?) der demokratischen Wirklichkeit, sondern auch das geistige Fundament, die geistigen Voraussetzungen dieser Wirklichkeit berücksichtigt werden, also die Frage ins Spiel gebracht werden müsse, warum unsere heutige staatlich-gesellschaftliche Ordnung sich so organisiert und herausgebildet hat, wie sie sich uns heute darbietet, und warum diese Ordnung trotz ihrer allgemein bekannten Mängel wert ist, verteidigt zu werden. Aus diesem Grunde fordert Hans Maier am Schluß seines Aufsatzes „Zur Lage der Politischen Wissenschaft in Deutschland" zu Recht, daß die Politikwissenschaft nicht bei den Fragen nach der Macht und der funktionel-len Ordnung stehen bleiben dürfe
Zum Selbstverständnis der pluralistischen Demokratie
Es geht also um unser Selbstverständnis von Demokratie und die aus diesem Selbstverständnis resultierenden didaktischen Grundüberzeugungen. Nach dem Stand unserer heutigen Kenntnisse und Erfahrungen kann eine politische Bildung weder auf der bereits skizzierten Ideologisierung des Demokratiebegriffes oder nur auf den von dem Erscheinungsbild und der Wirkweise der pluralistischen Gesellschaft abgeleiteten didaktischen Modelle und Grundkategorien aufbauen noch auf der Voraussetzung eines dialektischen Gegensatzes von demokatischer „Theorie" und demokratischer „Praxis". Grundlage einer politischen Bildung kann heute nur sein: ein klares
Bewußtsein vom dialektischen Zusammenhang demokratischer „Theorie" und demokratischer „Praxis". Das methodische Verfahren hierzu ist das des Aristoteles, nämlich nicht die Suche nach einem „idealen Normbild" des Staates und nicht das Bemühen, irgendeine empirisch gegebene Verfassung zur „versicherten Norm" zu erheben, sondern vielmehr das Aufspüren der „konstitutiven Bedingungselemente" der politischen Ordnung
Auf Grund einer rein formalen Argumentationsweise kann gesagt werden: Wenn dieser beklagte Zustand tatsächlich anzutreffen wäre, dann wären die Gesetzgebung, die ausführenden Gewalten und insbesondere die Rechtsprechung — an ihrer Spitze das Bundesverfassungsgericht — ihrem Verfassungsauftrag überhaupt nicht nachgekommen (Art. 1 Abs. 3 GG). Da dies trotz feststellbarer Unterlassungen ganz offensichtlich nicht der Fall ist, darf zwischen dem, was wir als Geist und Buchstaben unserer Verfassung bezeichnen, und der Verfassungswirklichkeit kein durchgehender Widerspruch konstruiert werden, vielmehr besteht ein integrativer Zusammenhang. Denn nach Wintrich gilt: „Aus dem objektiven Rechtssatz des Art. 1 Abs. 1 ist schließlich der Interpretationsgrundsatz abzuleiten: Bei allen Rechtsvorgängen ist zu beachten, ob und inwieweit der Grundsatz der Menschenwürde in sie hineinwirkt, sich auf sie auswirkt"
Im Hinblick auf die Dynamik unseres modernen Gesellschafts-und Staatslebens, die nach einer vielfach vertretenen Meinung den besagten Widerspruch erzeuge, sei gesagt: Diese Dynamik ist ja nur möglich, weil Gesellschaft und Staat nur im Rahmen von verfassungsrechtlich festgelegten Ordnungsprinzipien tätig werden können und zum Teil auch müssen. Daher ist auch die Dynamik unserer modernen Gesellschaft nur in einem konstitutiven Zusammenhang mit den Voraussetzungen unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung zu begreifen. Wenn jedoch der dynamische Prozeß zu sehr isoliert in den Blickpunkt der Betrachtung gerückt wird und von daher versucht wird, gültige Ordnungsprinzipien aufzustellen, kommt es zu sehr bedenklichen Formulierungen wie folgende: „Das, was der Mensch ist und sein soll, bestimmt sich in unserem Zeitalter nicht mehr ausschließlich und vielleicht nicht einmal mehr zum überwiegenden Teil aus seiner Herkunft, sondern im Vorgriff auf seine Zukunft."
Es ist sicherlich richtig, wenn Derbolav bemerkt, daß Aristoteles noch die Schranke eines geschlossenen Staates (Modell: Hauswirtschaft) anerkannt habe, durch die moderne Massendemokratie diese Schranke energisch aufgebrochen worden sei
In diesem Zusammenhang sollte berücksichtigt werden, daß die Politikwissenschaft in den Bereich der „praktischen" Wissenschaften gehört: Und im Bereich der „Praxis" liegt das Prinzip im Handelnden. „Hier kann die Wirklichkeit — das gemeinschaftliche Leben, die politischen Institutionen — vernünftig sein, aber sie braucht es nicht. Menschliches Verhalten, Handeln, der Bereich der Politik sind nicht determiniert."
Auf Grund der historischen Bedingtheit ist Entwicklung nur im Anschluß an Bestehendes möglich. Wollte man diesen Grundsatz mißachten, müßte man die historische Entwicklung verneinen und die Revolution fordern. Aber das wäre in der heutigen Zeit nicht nur die äußerste Bedrohung jeglicher Ordnung, sondern auch jeglicher menschlichen Existenz. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung sollte man die politische Philosophie Aristoteles’, die „klassische Theorie" der Polis befragen. Dann würde man — ohne das Modell übernehmen zu müssen — erkennen: „Weil diese Substanz die Natur des Menschen als Menschen ist, darum werden in diesem Wissen Maßstäbe überliefert, die dann für alle Staaten und Gesellschaften gelten, nachdem eine Gesellschaft des Menschen geschichtlich wirklich geworden ist."
Das von vielen Seiten beklagte, in einer pluralistischen Gesellschaft übliche „Spiel mit dem schwarzen Peter", nach dem Einzelperso-nen und Gruppen bestrebt sind, nicht als Sündenbock für bestimmte negative Folgen verantwortlich gemacht zu werden, zeigt deutlich, daß auch in einer von Interessenkämpfen bestimmten Gesellschaft Maxime gelten, die nicht dem Bereich der Interessenarithmetik angehören. Der Einwand, das „Spiel mit dem schwarzen Peter" diene nur zur Verschleierung der Interessen, trifft nicht ganz! Denn jede Gruppe ist bemüht, den „schwarzen Peter" nicht zu behalten. Diese Bemühungen sind nur dann verständlich und sinnvoll, wenn man der Ansicht ist, die Öffentlichkeit könne davon überzeugt werden, daß die eigenen Handlungen und Strebungen nicht darauf abgestimmt sind — sagen wir es ganz allgemein —, die Rechte und die Möglichkeiten des anderen unbedingt zum eigenen Vorteil zu beschränken. Daß das „Spiel mit dem schwarzen Peter" im allgemeinen dann in Gang kommt, wenn der Versuch, zum Teil in recht massiver Form, unternommen wird, den eigenen Macht-und Einflußbereich auf Kosten anderer zu erweitern, sei nicht bestritten. Jedoch ist der Grund hierfür zunächst nicht in unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung zu suchen, sondern der Grund hierfür liegt in den Voraussetzungen dieser Ordnung.
Eins ist jedoch auch hier festzuhalten: Das oft angeprangerte und vielfach schon mit Resignation hingenommene „Spiel mit dem schwarzen Peter" erscheint nur dann verständlich und sinnvoll, wenn es im angedeuteten Zusammenhang begriffen wird. Daher ist es sicherlich richtiger, wenn an Stelle des mitleidigen Lächelns und resignierenden Achselzuckens ein wenig mehr sachliches, das heißt auf den Sachzusammenhang gerichtetes Denken treten würde. Vielleicht käme man dann zu dem Ergebnis, daß das „Spiel mit dem schwarzen Peter" nicht eine Verfallserscheinung unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung ist, sondern mit Notwendigkeit dazugehört als ein Moment der öffentlichen Kontrolle im Unterschied zur staatlichen Kontrolle.
In diesem Zusammenhang sollte man bedenken, daß das mehr oder weniger reibungslose Funktionieren des „Spiels mit dem schwarzen Peter" nur möglich ist unter der Voraussetzung, daß die Presse-und Informationsfreiheit gewährleistet ist. Man kann das „Spiel mit dem schwarzen Peter“ zwar als ein Übel betrachten; aber wir können nicht umhin hinzu-zusetzen: Es ist ein notwendiges Übel.
Bei der Betrachtung unserer modernen Gesellschaft sollte man endlich nicht mehr wie hypnotisiert auf die Interessen-und Machtkämpfe der verschiedenen Gruppen starren. Dahrendorfs Betrachtungsweise ist zu einseitig ausgerichtet, wenn er zum Beispiel dem „Demokratisierungsprozeß" eine bestimmte Einstellung der Institutionen der parlamentarischen Demokratie zu Interessenkonflikten als implizit gegeben bestimmt, nämlich folgende: 1. unvermeidliche Anerkennung von Divergenzen und Meinungen, 2. darauf beruhende Konzentration auf die Formen und nicht die Ursache von Konflikten, 3. Errichtung von Institutionen, die den gegegensätzlichen Gruppen verbindliche Formen des Ausdrucks bieten, 4. Entwicklung von Spielregeln, an die sich die Konfliktparteien halten können, ohne daß eine von ihnen dadurch bevorzugt oder benachteiligt würde
Die Grundthese Dahrendorfs ist daher die, „daß die liberale Demokratie nur im Verband einer Gesellschaft funktionieren kann, deren Institutionen in ihrer inneren Ordnung durchweg durch die Anerkennung und rationale Kanalisierung von Konflikten gekennzeichnet ist."
Ernst Fraenkel macht also zu Recht einer Politologie, die sich nicht um die Klärung des Begriffes „Gemeinwohl" bemüht, den Vorwurf, „eine Politikwissenschaft ohne Politik zu sein"
Man kann noch einen Schritt weitergehen und sagen, daß unter Berufung auf Art. 19 in seiner Gesamtheit und im besonderen im Hinblick auf Abs. 3, nach dem die Grundrechte „auch für inländische juristische Personen (gelten), soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind", die Freiheit kein Gegenbegriff, sondern ein „Korrelatbegriff zum Institutioneilen" ist
Wenn man das Streben der gemeinnützigen Einrichtungen und Institutionen unbedingt in den allgemeinen Interessen-und Machtkampf einordnen will, muß man aber eine deutliche Unterscheidung treffen zwischen der Verfechtung eigennütziger und gemeinnütziger Interessen. Nicht nur die Motive und Ziele, sondern auch die Möglichkeiten und Methoden sind verschieden. Ob allerdings heute ein angemessenes und von der Sache her notwendig gefordertes Verhältnis besteht, kann zu Recht bezweifelt werden. Das sollte uns jedoch nicht hindern, festzustellen, daß von den Voraussetzungen unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung kein sich ausschließender Gegensatz, sondern ein notwendiger Zusammenhang in der Verfolgung von eigennützigen und gemeinnützigen Interessen besteht. Wenn die eigennützigen Interessen die gemeinnützigen zu weit zurückdrängen, so entsteht die größte Gefahr für die im Grundgesetz geforderte Sozialstaatlichkeit. Wenn jedoch die gemeinnützigen Interessen zu stark gefordert werden, müssen notwendig die eigennützigen Interessen beschränkt werden und damit nicht nur die Freiheit und die Entfaltungsmöglichkeit von gesellschaftlichen Gruppen, sondern auch in unangemessener und im Widerspruch zum Grundgesetz stehender Weise die der Einzelpersonen.
Leibholz kennzeichnet diesen Sachverhalt so: „Diese Spannung (zwischen den liberalen Grundrechten und den sogenannten sozialen Grundrechten) ist notwendig und unaufhebbar."
Es geht hier also nicht um einen theoretischen Versuch zur „Vereinigung des Unvereinbaren". Um das Problem, wie das liberalstaatliche mit dem sozialstaatlichen Prinzip strukturell vereinigt werden könnte, hat sich bereits in zeitgebundener Form Aristoteles bemüht
Nun soll der immer wieder ins Spiel gebrachte Gegensatz von „Idee" und „Interesse", von „Ideal" und „Wirklichkeit" auf seine Stichhaltigkeit im Hinblick auf die Voraussetzungen unserer pluralistischen Gesellschaft untersucht werden. Damit soll keine neue „Theorie“ gefordert werden, die die bereits angesprochenen Mängel in anderer Form wieder aufnimmt. Will man jedoch für das, was gefordert ist, den Begriff „Theorie" verwenden, dann nur unter der Bedingung, die Aristoteles als erster für das „Theoretisieren" über den Menschen erkannt hat. Danach ist „Theorie" nicht ein „beliebiges Meinen über die menschliche Existenz in der Gesellschaft; sie ist vielmehr ein Versuch, den Sinn der Existenz durch die Auslegung einer bestimmten Klasse von Erfahrungen zu gewinnen. Ihr Argument ist nicht willkürlich, sondern leitet seine Gültigkeit von dem Aggregat von Erfahrungen her, auf das sie sich ständig zur empirischen Kontrolle beziehen muß"
Wenn jedoch der bereits angesprochene Gegensatz herausgestellt wird, kann man fast sicher sein, daß in wenig konkreter Form als „Idee" oder „Ideal" die Würde des Menschen bestimmt wird. Dazu sei gesagt: Nach Art. 1 GG ist die Würde des Menschen (und die daraus folgenden Grund-und Menschenrechte) weder als „Idee" noch als „Ideal" postuliert, sondern als Prinzip, das „Gesetzgebung, vollziehende Gewalten und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht bindet". Dieses Prinzip muß also unser ganzes staatlich-gesellschaftliches Leben durchdringen. — Wie weit das bisher erreicht ist, sei einmal dahingestellt. — Es geht zunächst nicht um eine moralische Bewertung unserer politischen Ordnung oder nur um eine Phänomenologie, sondern um das Aufzeigen von strukturellen Zusammenhängen verbunden mit der Frage nach dem Warum. Zwar ist der „Außenweltcharakter" eine der Komponenten des Seins der Gesellschaft, „aber im ganzen ist sie eine kleine Welt, ein Kosmion, von innen her mit Sinn erfüllt durch die menschlichen Wesen, die sie in Kontinuität schaffen und erhalten als Modus und Bedingung ihrer Selbstverwirklichung"
Die Frage nach dem Warum zielt also auf den Seinsgrund ab. Daher geht es letztlich um eine Ontologie unserer politischen Ordnung. Wenn die Würde des Menschen das Grundprinzip unserer politischen Ordnung ist, mündet die Frage nach dem Warum schließlich in eine politische Anthropologie ein. „Politische Anthropologie wäre so als Explikation der genuin politischen Kategorien menschlicher Existenz zu verstehen."
Diese nur scheinbare Paradoxie kennzeichnet einen Zusammenhang, der in Wahrheit die Wurzeln (nicht in historischer Sicht) unserer politischen Ordnung aufdeckt, jedoch durch ein sattsam bekanntes, in Antinomien verfangenes Denken nicht erschlossen werden kann. Leben, Freiheit, Eigentum und die damit zusammenhängenden Strebungen und Interessen genießen nicht rechtsstaatlichen Schutz um ihrer selbst willen; „sie genießen Schutz als Attri-bute eines höheren Werte, nämlich als Attribute des Menschseins des Menschen — der Personalität des Individuums. Das Grundgesetz umschreibt diese Personalität des Menschen mit dem Begriff . Menschenwürde'."
Es muß klar erkannt werden, daß diese Menschenwürde Grundprinzip unserer politischen Ordnung ist und daraus mit Notwendigkeit folgt, daß jedes Mitglied dieser politischen Ordnung seine Interessen ungehindert vertreten darf, auch in der Organisation von Gruppen. Fraenkel sagt daher zu Recht: „Pluralistisch ist nicht ein Staat, der nur pluralistisch, pluralistisch ist ein Staat, der auch pluralistisch ist. Pluralismus ist ein dialektischer Begrifi.
Um es noch einmal zu sagen: Pluralismus bedeutet Übereinstimmung und Differenzierung."
Daher treibt die Frage nach den Prinzipien der politischen Ordnung die Frage nach Wesen und Sinn dessen hervor, der in dieser Ordnung lebt
Wer jedoch unter einem „antipluralistischen Komplex" leidet und glaubt, nur in der uniformen Massengesellschaft und nicht in der pluralistisch differenzierten Gesellschaft komme dieses Prinzip zu seinem Recht, dem sei mit Fraenkel gesagt: „Nur sollte er sich darüber im klaren sein, daß ihre Verwirklichung (der uniformen Massengesellschaft) nicht nur das Ende der Politik, sondern auch das Ende der Demokratie bedeutet."
Unter dieser Voraussetzung ist eine Verbindung der „Demokratiewissenschaft“ mit den herrschenden wertungsfreien Wissenschaften heute möglich und sogar unausweichlich. Daher fordert Krockow die gegenseitige Zuwendung der „praktischen“ Wissenschaft, der „Demokratiewissenschaft" und der wertungsfreien Wissenschaften
Somit ist die pluralistische Demokratie als offene Gesellschaft anerkannt und institutionell abgesichert, jedoch nicht für alle Fälle und für alle Zeiten. Es treten durchaus „Defekte" auf. Diese „Strukturdefekte" der Demokratie und deren Überwindung hat Fraenkel in dem bereits zitierten Aufsatz behandelt. Nadi Fraenkel liegt ein Strukturdefekt der Demokratie stets dann vor, „wenn entweder a) mangels Vorliegens einer wirksamen generellen Anerkennung eines gültigen, die Grundprinzipien der staatlich-gesellschaftlichen Ordnung erfassenden Wertkodex der gesellschaftliche Pluralismus zur staatlichen Desintegration führt, oder wenn b) mangels Vorliegens einer ausreichend intensiven und konkreten, das heißt aber in Einzelheiten notwendigerweise differenzierten politischen Willensbetätigung breiter Bevölkerungsschichten der gesellschaftliche Pluralismus in einer demokratisch organisierten, zwar präzis funktionierenden, aber leerlaufenden Staatsmaschinerie erstarrt."
Die hier angesprochenen Defekte können sich lebensbedrohend für die pluralistische Demokratie auswirken. Deshalb sollte hier politische Erziehung ansetzen und nicht mit der Verdammung anderer politischer Ordnungen beginnen.
Zum Verhältnis von Politik und Pädagogik
Die Frage lautet nun: Welche Konsequenzen sind zu ziehen im Hinblick auf das Problem „Politische Erziehung"? Mit dieser Frage wird bereits vorausgesetzt — was kaum ernsthaft bestritten, aber vielfach nur als Anhängsel angeführt wird —, daß Politikwissenschaft eine grundlegende Bedeutung für die politische Erziehung hat und daß politische Bildung letzlich abhängig ist von den politischen Verhältnissen, in deren Rahmen sie geschieht
Hennis klagt darüber, daß die Pädagogik sich zur Zeit in der gleichen Lage befinde wie die Politik, deren Wissenschaftsbegriff sie teile, daß sie nämlich ebenso wie ihren die Politik »praktischen" Charakter abgelegt habe, um sich als “, als „theoretische „Erziehungswissenschaft“ zu verstehen, und dadurch ebenso wie oder das die Politik „Wozu" dem Zeitgeist den jeweiligen Anforderungen der „Gesellschaft" überlassen habe
Nach Fischer gibt es in Analogie zur Politik keine „rein theoretische Grundwissenschaft" der Pädagogik, „vielmehr erstreckt sich das Problem der Erziehung durch alle Schichten der hier in Betracht kommenden Erwägungen und Untersuchungen derart hindurch, daß die theoretische Auffassung des Tatbestandes Erziehung einerseits, die praktische Stellungnahme zu den Aufgaben der Erziehung andererseits gleichsam sekundäre Ausgestaltungen einer Grundeinstellung zum Problem Erziehung überhaupt sind, die über dem Gegensatz von Theorie und Praxis, Tatsachenforschung und Zielsetzung steht."
Krockow setzt Politik und Pädagogik ebenfalls in Vergleich und kommt zu dem Ergebnis: »Auch die Pädagogik steht ja im Banne der Frage, was im Lichte des Möglichen und wünschbar Guten geschehen könne und solle, und sie kann diese Frage als eigenständige statt als Dienstmagd fremder Mächte beantworten von der Mündigkeit des Menschen her, der sie in ihrem praktischen Tun als ihrem Ziel zustrebt und deren Bedingungen der Möglichkeit sie als Wissenschaft erforscht. Vielleicht kann man sagen, daß die Pädagogik sich auf den mikrokosmischen, individuellen Pol jenes dialektischen Gefüges bezieht, dessen makrokosmischem, kollektivem Pol die Politikwissenschaft zugewandt ist. Die dialektischen Beziehungen kommen darin zum Ausdruck, daß das Individuum in stets seinen gesellschaftlichen Verflechtungen gesehen werden muß, während umgekehrt eine , Demokratiewissenschaft’ stets die optimale Entfaltungsmöglichkeit des Individuums im Auge behalten muß. Empirisch zeigt sich die Zusammengehörigkeit etwa in den Grenzbereichen von Sozialpädagogik, politischer Erziehung und Bildungspolitik. Vor allem aber zeigt sie sich in der Richtungnahme auf Bildung selbst, sofern diese praktisch sein, also auf das Verhalten und Handeln der Menschen sich auswirken soll. Denn ohne Zusammenwirkung müßte praktische Bildung ihr Ziel verfehlen: Individualerziehung, die von allen Gesellschaftsbezügen abstrahiert, bleibt als in den Traum reiner Innerlichkeit gebannte nicht nur ohne praktische Auswirkung, sondern gerät in eine gefährliche Gesellschaftsfeindlichkeit und damit in der Praxis nur zu leicht in den Sog autoritärer Staatssysteme hinein. Politische Bildung andererseits, die nichts im Auge hätte als kollektive Verhaltensmuster, erreichte nicht nur das Individuum in einem die Autonomie der Persönlichkeit formierenden Sinne gar nicht, sondern geriete nur zu leicht in den Sog kollektivistischer Dogmen, welche in individuellen Prägungen nichts mehr zu sehen vermögen als asoziale (Abweichungen'.“
Zentrum allen politischen und pädagogischen Fragens und Handelns ist also der Mensch. Diese Fragestellung ist nur möglich, wenn man sowohl die „Politikwissenschaft" als auch die „Erziehungswissenschaft" als „praktische" Wissenschaften versteht. Von der zentralen Fragestellung und damit auch ihrem Wissenschaftsbegriff her besteht also zwischen „Er-Ziehungswissenschaft" und „Politikwissenschaft" eine enge Beziehung. Der Grund dessen, was Krockow als „dialektisches Gefüge" bezeichnet, ist der Mensch in seinem Sein und Dasein. Die Struktur dieses Gefüges ist — soweit es allgemein verbindlich postuliert ist — im Grundrechtsteil der Verfassung enthalten. Aus diesem Grunde kann man sagen, daß der Grundrechtsteil unserer Verfassung neben der politischen zugleich die Axiomatik heutiger Pädagogik sei, so daß politische Erziehung Teil der allgemeinen Erziehung sei mit dem Ziel der Person, die sich dem Gemeinwesen aus Freiheit verpflichtet weiß
So wirkt die politische Bildung selbst in den Religionsunterricht hinein, weil im Religionsunterricht aller Schularten „politische Erziehung geübt wird"
Es ist also keine Abwertung der Didaktik und Methodik der Glaubensunterweisung bzw. eine unangemessene Aufwertung der politisehen Bildung, wenn ihr auch für die Glaubens-unterweisung eine Kontrollfunktion zuerkannt wird. Das gilt selbstverständlich auch für viele andere Fächer und in bestimmter Weise — zumindest was Methodik und Struktur anbelangt — für jede Art von pädagogischem Bemühen. Unter der Bedingung der Anerkennung ihrer Kontrollfunktion ist es deshalb keineswegs reine Spekulation, die politische Bildung auch als die politische „Theorie" der Pädagogik zu verstehen, die die politischen Implikationen aller Aufgaben und Probleme der Erziehungswissenschaft bewußt macht
Für die Institution der Pädagogischen Hochschule ergibt sich unter der Bedingung der Anerkennung des „praktischen" Wissenschaftscharakters von Pädagogik und Politik: „Die Bedingungen der Möglichkeit praktischer Wissenschaft sind die Bedingungen der Möglichkeit von Pädagogik und Didaktik, wie sie in den Pädagogischen Hochschulen institutionalisiert wurden. Sie sind ebenso die Bedingungen der Möglichkeit einer Wissenschaft von der Politik, der deshalb ein wichtiger und legitimer Platz in den Pädagogischen Hochschulen gebührt."
Es geht letztlich um eine fruchtbare Zusammenarbeit der Politikwissenschaft als „Demokratiewissenschaft" und der Pädagogik mit der Aufgabe und dem Ziel, die konstitutiven Bedingungselemente unserer pluralistischen Demokratie und damit neben der politischen zugleich die Axiomatik heutiger Pädagogik bewußt zu machen und diesen Grundüberzeugungen in dem dialektischen Gefüge unserer politischen Ordnung, die einerseits durch die gesellschaftliche Verflechtung des Individuums und andererseits durch das Bemühen, dem Individuum die optimale Entfaltungsmöglichkeit zu geben, bestimmt ist, eine jeweils angemessene und sachgerechte Berücksichtigung zu ermöglichen. Somit haben sowohl die Wissenschaft von der Politik als „Demokratiewissenschaft" als auch die Pädagogik einen ausgesprochenen politischen Charakter, wobei sich beide wiederum als „praktische" Wissenschaften ausweisen.
Zur politischen Bildung der Lehrkräfte
Die Forderung nach Anerkennung der Kontrollfunktion der politischen Bildung ist nur dann sinnvoll, wenn die Personen, die das Lehrgut didaktisch aufbereiten, politisch gebildet sind und diese Kontrollfunktion bejahen. Aus diesem Grunde ist der Ruf nach politischer Bildung der Lehrkräfte — in diesem Zusammenhang muß man einen großen Teil der Hochschullehrer durchaus einschließen — nicht nur sinnvoll, sondern notwendig
Im Hinblick auf dieses wissenschaftliche Bemühen fordert Sontheimer, man solle sich in Deutschland mehr um eine „Verwissenschaftlichung, ja Objektivierung des Gemeinschaftskundeunterrichts bemühen, aber nicht unbedingt jene übertriebenen Formen der Verwissenschaftlichung zum Vorbild nehmen, wie sie etwa im Modelldenken, in dem Streben nach Generalisierungen oder in der Verwendung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden in der Schule selbst zum Ausdruck kommen"
Der Ausbildungsstand der politischen Erzieher auf dem Gebiete der Wissenschaft von der Politik als „Demokratiewissenschaft" muß den Grad erreichen, daß auf seiner Grundlage die Erschließung von Gemüt und Gewissen möglich wird und dadurch politisches Fachwissen politische Bildung bewirkt. Dazu ist neben der Pädagogik gerade die praktische Wissenschaft von der Politik in hervorragender Weise geeignet, weil der Mittelpunkt allen politischen und pädagogischen Fragens und Handelns der Mensch sein muß, jedoch nicht in ideologischer Absicht, sondern auf der Grundlage einer sachlichen „Analyse". Nur auf Grund eines sachlich fundierten politischen Engagements gewinnt man Überzeugungskraft und dadurch die Möglichkeit, das sachlich fundierte politische Engagement bei anderen zu wecken. Nur unter dieser Voraussetzung kann man im Hinblick auf das Erziehungsziel sagen: „Alle Einsichten im Bereich des Ethisch-Politischen setzen ein gewisses Maß innerer Differenziertheit, das heißt Problemgefühl und Unterscheidungsvermögen voraus, die auf bloß intellektuellem Wege nicht erworben werden können."
Es ist also keine sterile Verwissenschaftlichung in der Ausbildung der Lehramtskandidaten gefordert, jedoch eine strengere wissenschaftliche Ausbildung als bisher. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß in den Pädagogischen Hochschulen der Politikwissenschaft in der Nachbarschaft der Pädagogik ein wichtiger und legitimer Platz zuerkannt wird, das heißt konkret, daß der Wissenschaft von der Politik als „Demokratiewissenschaft" in der Fächer-gruppierung ein Platz im Bereich der Grund-wissenschaften zugeordnet werden muß. Diese Zuordnung wird allerdings vielfach nicht nur abgelehnt, sondern der Politikwissenschaft in den Pädagogischen Hochschulen das Hausrecht verweigert. Die Kombination von Didaktik der Geschichte mit politischer Bildung (oder umgekehrt) ist in doppelter Hinsicht unbefriedigend, einmal von der Sache her und zum anderen als eine im allgemeinen unzumutbare Belastung des Lehrenden, will er beide Fachgebiete in sachgerechter Weise wahrnehmen.
Zur politischen Didaktik
Mit der Forderung nach politischer Bildung der Lehrpersonen als Voraussetzung für die nach gültigen demokratischen Grundsätzen zu erfolgende politische Erziehung der heranwachsenden Jugend ist natürlich bei weitem noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn damit ist noch nichts gesagt zur didaktischen Aufbereitung des Politischen. Die Frage nach den didaktischen Grundkategorien und Modellen muß unausweichlich gestellt werden. Zur Beantwortung dieser Frage ist es nicht nur zweckmäßig, sondern notwendig, sich die Aussagen der „praktischen“ Wissenschaft von der Politik in Form der „Demokratiewissenschäft“ zu vergegenwärtigen und sich noch einmal den Zusammenhang von Politik und Pädagogik klar zu machen. Dieser Zusammenhang besteht darin, daß sowohl der Wissenschaft von der Politik als auch der Erziehungs-Wissenschaft der „verantwortliche Bezug" zur „Praxis" eigen ist. Dieser „verantwortliche Bezug" zur „Praxis" ist auch das Kernproblem der Didaktik. Dieses Problem gründet, „wissenschaftstheoretisch gesehen, doch wohl in der Frage nach den Möglichkeiten einer Umsetzung theoretischer in praktische Wissenschaft, von wertungsfreien Erkenntnissen in den Werthorizont von Bildungskonzeptionen, die den individuellen, gesellschaftlichen und politischen Bedürfnissen der Gegenwart und der Zukunft im Lichte der Frage nach dem Möglichen und wünschbar Guten angemessen sind"
Bei der Umsetzung von wertungsfreien Erkenntnissen in einen bestimmten Werthorizont kommt die Ethik ins Spiel, jedoch nur so weit, wie dieser bestimmte Werthorizont berührt wird. Es kann also nicht Aufgabe der Didaktik sein, eine allgemeine Versittlichung im privaten, gesellschaftlichen und politischen Bereich als Zielvorstellung anzusteuern. Das Sittliche hat unter dieser Voraussetzung seinen Ort nur da, „wo der Mensch mit seinem Handeln und seinen geistigen Gaben in der Welt steht, in der das Gute und Rechte im Zusammenhang des gemeinsamen menschlichen Seins gefordert werden"
Selbst wenn im Laufe der Entwicklung das gültige Menschenbild Korrekturen erfahren sollte — eine Möglichkeit, die nicht bestritten wird —, bleibt das „neue" gültige Menschenbild, das heißt das auf dem Seinsgrund des Menschen aufruhende Grundprinzip der politischen Ordnung — allerdings vorausgesetzt, daß nach dem heutigen Stand unserer Erkenntnisse und Erfahrungen zwar eine Entwicklung, aber keine Revolution mehr stattfindet und anerkannt bleibt, daß die Würde des Menschen Grundprinzip unserer staatlich-gesellschaftlichen Ordnung sein muß. Werden diese beiden Voraussetzungen nicht erfüllt, dürfte menschenwürdiges Dasein heute kaum mehr möglich sein. Daher ist es keineswegs abwegig festzustellen, daß der Grundrechtsteil unserer Verfassung zugleich die Axiomatik heutiger Pädagogik sein müsse, „so daß politische Erziehung Teil der allgemeinenen Erziehung ist mit dem Ziel der Person, die sich dem Gemeinwesen aus Freiheit verpflichtet weiß" (s. oben S. 14).
Damit ist natürlich nicht das durch die Richtlinien intendierte politische Verhalten gemeint, das oft einfach dem des tugendhaften Menschen entspricht und politische Tugendhaftigkeit als gegeben annimmt, wenn ein Mensch rücksichtsvoll, hilfsbereit, höflich und partnerschaftlich ist
Dieser Gefahr steht zu ihrer Abwendung eine pädagogische Forderung gegenüber. Diese Forderung intendiert jedoch nicht — wie vielfach angenommen wird — das Modell eines Bürgers, den es schlechterdings nicht mehr gibt, nämlich den Menschen, „der die Weisheit und Klugheit des Philosophen mit dem sachlichen Wissen des Sozialwissenschaftlers verbindet und der überdies neben hohen charakterlichen Qualitäten auch noch die Erfahrung des im Machtkampf erprobten Politikers für sich in Anspruch nehmen kann"
Das unbedingte „Muß" zum verantwortlichen politischen Handeln ist also nicht gefordert und darf auch nicht gefordert werden. Denn dann würden sowohl die Grundvoraussetzungen unserer politischen Ordnung als auch die Grundüberzeugungen der politischen Bildung in Frage gestellt. — Der enge Zusammenhang zwischen Politik und Pädagogik tritt wieder deutlich in Erscheinung. — Jedoch darf man nicht alle Tätigkeit und Verantwortung der Staatsmaschinerie überlassen, da nämlich auch stets dann ein Strukturfehler der Demokratie vorliegt, wenn eine „ausreichend intensive und konkrete, das heißt aber in Einzelheiten notwendigerweise differenzierte politische Willensbetätigung breiter Bevölkerungsschichten" nicht stattfindet und der gesellschaftliche Pluralismus zur leerlaufenden Staatsmaschinerie erstarrt (s. oben S. 12).
An dieser Stelle unsere Überlegungen wird wiederum die eminent wichtige Bedeutung der politischen Erziehung offenbar, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit und die Dynamik der pluralistischen Gesellschaft, sondern auch — und das in erster Linie — auf die Grundvoraussetzungen der pluralistischen Gesellschaft, die auch gleichzeitig die Grundüberzeugungen der politischen Bildung beinhalten. Deshalb muß man sowohl von der „Demokratiewissenschaft" her als auch von der politischen Bildung einen Pluralismus bejahen als „das Mit-und Gegeneinander von autonomen Gruppen mit einem lebendigen Gruppeninteresse, einem ausgeprägten Gruppenbewußtsein und einem hochentwickelten Gruppenstolz der Gruppenmitglieder"
Jedoch ist es eine Überbewertung des Konflikts, ihn zum Grundprinzip politischer Tätigkeit zu bestimmen, wie Dahrendorf es darlegt. Zu Recht wendet sich Krockow gegen diese Überbewertung des Konflikts
Unausweichlich stellt sich nun die Frage: Gibt es überhaupt ein der „Praxis" angemessenes didaktisches Grundmodell? Die Antwort muß schlicht und einfach — so erschreckend sie auch für manche sein mag — lauten: nein!
Die politische Erziehung des Volkes ist zum geringsten Teil „ Verdienst" der politischen Erzieher, das heißt, die Möglichkeiten zur politischen Erziehung im Sinne politischer Bildung sind für die Lehrpersonen äußerst gering. Die resignierende Haltung über den geringen Erfolg ist deshalb unbegründet. Denn politische Erziehung des Volkes geschieht zum überwiegenden Teil durch andere Bildungsmächte; durch die Politik selbst und in allen Lebensbereichen wird das Politische entschieden
Die möglichst freie und umfassende Information, die erreicht werden kann, muß deshalb eine Hauptforderung sein und bleiben. Um aber die Entscheidungen im Bereich des Politischen mit angemessener Kritik beurteilen und daraufhin auch bei Gelegenheit tätig werden zu können, und zwar auf Grund eines sachlich fundierten Urteils, das den verantwortlichen Bezug miteinbezieht, ist die wissenschaftliche Ausbildung der politischen Bildner außerordentlich bedeutungsvoll. Nur dann können sie ihrer Aufgabe in der politischen Erziehung der heranwachsenden Jugend in angemessener Weise nachkommen, nur dann ist es möglich, das in der politischen Erziehung der heranwachsenden Jugend einzig mögliche und der Sache angemessene „methodische Prinzip auf Einsicht und Einsehen abzielenden Unterrichts“ zu pflegen, nämlich die . Diskussion, womit über die Form ihrer Verwirklichung nichts ausgesagt ist. Hierfür bieten sich alle Formen an, denen das freie Gespräch immanent ist. Das Prinzip des Führungsstils im Unterricht ist die Debatte, das heißt, das freie Gewährenlassen verschiedener Meinungen und Urteile"
Die gründliche und umfassende Ausbildung der politischen Bildner ist deshalb so außerordentlich wichtig, weil sie ihr intentionales Erziehungsziel nur auf dem Umweg der funktionalen Erziehung ansteuern können und dies nur möglich ist, wenn eine breit fundierte sachliche Einsicht in die Wissenschaft von der Politik vorhanden ist. Das bedeutet zunächst: Einsicht in die Grundvoraussetzungen unserer politischen Ordnung. Diese Einsicht ist Grundlage für das, was sowohl Aufgabe und Zweck der Wissenschaft von der Politik ist, als auch der Möglichkeiten, Aufgaben und „Intentionen" aller politischen Bildung und in bestimmter Weise allen pädagogischen Bemühens.
Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen der Wissenschaft von der Politik und der politischen Bildung mit ihrem doppelten Aspekt, nämlich sowohl der Wahrnehmung der Kontrollfunktion, die auf der Grundlage der Wissenschaft von der Politik als „Demokratiewissenschaft" der Pädagogik die politischen Implikationen ihrer Aufgaben, Probleme, Möglichkeiten und Ziele bewußt machen soll, als auch der didaktischen Aufbereitung des Politischen, die ebenfalls nur auf Grund der Ergebnisse der Wissenschaft von der Politik als „Demokratiewissenschaft" erfolgen kann. Nur dann hat es Sinn, von einer fundamentalen Demokratisierung unseres staatlich-gesellschaftlichen Gemeinwesens zu sprechen.
Sowohl die Volksschule und die Höhere Schule als auch die Hochschule und die Universität gehören zu diesem Gemeinwesen und können nicht unter Berufung auf eine falsch verstandene Autonomie von Institutionen und bestimmten Wissenschaftszweigen sich abkapseln, ein Eigenleben führen, das in seiner Struktur und damit im wesentlichen in den Grundsätzen des allgemeinen Verkehrs, des Verhaltens, des Entscheidens und Handelns sich diametral — sagen wir ganz allgemein — von der öffentlichen Ordnung unterscheidet. Sonst müßten wir vielleicht in naher Zukunft wieder wie in den vergangenen Jahren das politische und — man kann nicht umhin zu sagen — menschliche Versagen der Schule, Hochschule und Universität beklagen.
Die politische Bildung als Teil der allgemeinen Bildung kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden. Weil politische Bildung konstitutiver Bestandteil der allgemeinen Bildung ist, geschieht politische Bildung in allen Lebensbereichen und spielt in alle Lebensbereiche hinein, selbst in die Intimsphäre der Familie“
Zum Thema „politische Erziehung" hat sich in jüngster Zeit ausführlich Hermann Giesecke geäußert
Die Grundlegung in Lehrer-heft didaktische dem zu dem überaus erfolgreichen Unterrichts-werk „Fragen-Urteilen-Handeln" von Hilligen
Hilligen versucht also nicht, zunächst den Grund dieser Dialektik aufzudecken, sondern sie in einer abstrahierenden Betrachtungsweise zu beschreiben und dann didaktische Folgerungen zu ziehen. So lebensnah und wirklichkeitsbetont das Unterrichtswerk von Hilligen gestaltet ist, die didaktische Grundlegung dazu ist zu systematisiert, zu schematisiert.
Der Vorstoß zu existentiellen Fragen ist dadurch erschwert, obleich hinzugefügt werden muß, daß diese existentiellen Fragen nicht isoliert von der „Praxis" betrachtet werden dürfen, damit sich nicht erneut das Ideal einer wirklichkeitsfremden, von der Gesellschaft abgekapselten Innerlichkeit einschleicht.
Folgerungen
Politische Bildung und in bestimmter Weise Pädagogik überhaupt ist heute ohne ausreichende Kenntnisse der „Demokratiewissenschaft" nicht mehr möglich. Unter dieser Voraussetzung kann man sagen, „daß die Pädagogik sich auf den mikrokosmischen, individuellen Pol jenes dialektischen Gefüges bezieht, dessen makrokosmischem, kollektivem Pol die Politikwissenschaft zugewandt ist" (s. oben S. 13). Zur strukturellen Aufhellung dieses dialektischen Gefüges bedarf es noch vieler Untersuchungen, die sowohl für die Wissenschaft von der Politik als auch für die politische Bildung und die Pädagogik insgesamt erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen dürften. Insbesondere müßte das heute allgemein gültige Selbstverständnis der Pädagogik neu durchdacht und neu formuliert werden, wie die Wissenschaft von der Politik sich als „Demokratiewissenschaft" neu zu artikulieren versucht. Die Pädagogik müßte sowohl ihre wissenschaftstheoretische Grundlage als auch ihre Aufgaben und Ziele neu erarbeiten und bestimmen.