Politiker fallen nicht vom Himmel. Eine gewisse Begabung ist selbstverständlich unentbehrlich; aber wie jedes Talent bedarf auch das politische der Schulung. Erst in der Praxis bilden sich die Qualitäten und Fertigkeiten aus, die zur Ausübung der politischen Ämter erforderlich sind. Mit der Wahl zum Abgeordneten oder Minister ist dieser Prozeß der Einübung nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: In Abänderung eines Wortes von Robert M. Hutchins (das von diesem auf die Beamten gemünzt war) könnte man sagen, daß man als Politiker damit beginnen muß, Politiker zu werden.
Derartige Bemerkungen stellen zwar eine Binsenwahrheit dar. Trotzdem — oder vielleicht gerade deshalb — werden sie häufig mißachtet. Besonders in Deutschland besteht seit jeher eine fatale Neigung, Politik als eine Sache der Begnadung oder der Naturgabe aufzufassen, eine Angelegenheit also, die der weiteren Ausbildung nicht bedarf. Man klagt über den Mangel an parlamentarischen und ministrablen Persönlichkeiten; anstatt aber Vorkehrungen zu treffen, um diesem Mangel abzuhelfen, wartet man oft lieber auf das politische Genie, von dem man hofft, daß es alles zum Guten wendet. Dabei wären vielleicht gerade in Deutschland solche Vorkehrungen angebracht, da wir keine Führungsschicht besitzen, in der über Generationen hinweg politische Substanz — Erfahrung, Stil, Führungskunst — angesammelt, gepflegt und tradiert wird und in der die politischen Begabungen von Kindheit an in die Politik hineinwachsen.
Vorausgesetzt, man hält für Politiker eine Lehrzeit für wünschenswert: was kann, was soll diese dann vermitteln? Nur zu einem geringen Teil besteht Politik aus faktischem Sachwissen. Die Kenntnis der dynamischen Umstände ist für das politische Handeln wichtiger als die Kenntnis der statischen Faktoren. Für den Politiker ist es daher vor allem nötig, daß er erlebt, wie ein politischer Körper funktioniert. Nur in solchen Erfahrungen vollzieht sich politische Bildung.
Laufbahnsystem im alten Rom
Alle erfolgreichen politischen Regime haben dem Rechnung getragen. Sie haben dafür gesorgt, daß der politische Nachwuchs Gelegenheit erhält, sich Schritt für Schritt mit dem politischen Handwerk vertraut zu machen, an Aufgaben zu üben und an Schwierigkeiten zu bewähren. Das alte Rom beispielsweise kannte ein strenges Laufbahnsystem, das zunächst durch Gewohnheitsrecht, später durch Gesetz (lex villia annalis, 179 v. Chr.) geregelt war. Danach gab es einmal eine obligatorische Intervallierung der Ämter; bevor ein römischer Bürger ein neues Amt antreten durfte, mußte ein bestimmter Zeitraum verstrichen sein. Sodann waren für die Ämter bestimmte Mindestalter vorgeschrieben; niemand durfte sich vor dem vollendeten 27. Lebensjahr um eine Magistratur bewerben. Endlich — und dies ist in unserem Zusammenhang das wichtigste — herrschte eine geregelte Ämterfolge, der so-genannte „gradus honorum" oder „cursus honorum". Es war, wie Theodor Mommsen in seinem „Römischen Staatsrecht“ schreibt, üblich, „erst als Gehülfe des oberen Beamten sich Übung und Anerkennung zu verschaffen, bevor man sich um das höhere Amt selbst bewarb."
Das englische Beispiel
Das andere große Beispiel für eine systematische und erfolgreiche Nachwuchspflege ist England. Zwar ist dort die Besetzung der Ämter nicht so streng geregelt wie in Rom, dennoch gibt es so etwas wie eine typische Ämterfolge: Bevor jemand Kabinettsminister wird, hat er gewöhnlich eines oder mehrere der Ämter durchlaufen, die zwischen dem Abgeordneten und dem Kabinettsmitglied stehen, ist er Parlamentarischer Privatsekretär, Parlamentarischer Staatssekretär, Minister ohne Kabinettsrang oder, seit neuester Zeit, Staatsminister gewesen. „There is a fairly normal Progression from unpaid Office as parliamentary private secretary to a minor office and from a minor office to a headship of a great office of State."
Die Leiter der ministeriellen Karriere hat viele Sprossen. Zuunterst steht der Parlamentarische Privatsekretär, dessen Stellung unbezahlt ist. Alle Minister, auch der Premierminister, sowie die Mitglieder des Schattenkabinetts und in einigen Fällen sogar Parlamentarische Staatssekretäre haben solche Sekretäre zu ihrer Verfügung. Die nächste Stufe stellt der Parlamentarische Staatssekretär (Parliamentary Secretary) dar, der Parlamentarischer Unterstaatssekretär genannt wird (Parliamentary Under-Secretary of State), wenn der Chef des Ministeriums, wie zum Beispiel beim Foreign Office, den Titel eines Secretary of State trägt. Zu ihnen zählen auch die Finanz-und Wirtschaftssekretäre (Financial-and Oeconomic Secretaries), die es in einigen Ministerien gibt. Ihre Zahl schwankt, ist jedoch im ganzen seit dem Ersten Weltkrieg stark angestiegen. 1914 gab es vierzehn Parlamentarische Staatssekretäre, 1919 bereits siebenundzwanzig, 1939 waren es dreiundzwanzig und 1962 zweiunddreißig
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg würde in einigen Ministerien der Posten eines Staatsministers (Minister of State) geschaffen, der im Rang gewöhnlich zwischen dem Parlamentarischen Staatssekretär und dem Ressort-minister steht. 1962 gehörten der Regierung sechs Staatsminister an, davon zwei dem Auswärtigen Amt, dem außerdem noch zwei Parlamentarische Unterstaatssekretäre zugeteilt sind
Der Drang zu diesen Ämtern ist groß. Wie Duff Cooper in seiner Autobiographie „Old men sorget" schreibt, ist es der Ehrgeiz eines jeden Abgeordneten, ins Ministerium zu kommen; „der Wettbewerb ist scharf und das Erreichen des Zieles gleichermaßen vom Zufall wie vom Verdienst abhängig"
Die Auswahl der Staatsminister und Juniorminister
Die Parlamentarischen Privatsekretäre werden vom Minister, die Parlamentarischen Staatssekretäre und Staatsminister vom Premierminister ausgewählt, selbstverständlich nachdem dieser den zuständigen Ressortchef konsultiert hat und nur im Einverständnis mit diesem. Es wäre wenig sinnvoll, einen Mann zum Gehilfen eines Ministers zu machen, der von diesem nicht akzeptiert wird. Tritt der Minister zurück, treten automatisch auch seine parlamentarischen Gehilfen zurück.
Die Auswahl der Staatsminister und Parlamentarischen Staatssekretäre erfordert von dem Premier nicht weniger Geschick und Menschenkenntnis als die Zusammensetzung des engeren Kabinetts. Neben einzelnen Personen, die auf Grund ihrer Fähigkeiten, ihrer Verdienste, ihrer persönlichen Beziehungen und dergleichen nicht übergangen werden dürfen, müssen auch die verschiedenen Gruppen, Richtungen, Flügel, Clans und Interessen der Fraktion berücksichtigt werden — ohne daß dadurch der Zusammenhalt der Regierung gefährdet wird
Minister und Subminister müssen zueinander passen. Sie brauchen nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein; mitunter ist es besser, wenn sie sich ergänzen, wenn der eine die Qualitäten hat, die dem anderen fehlen. Clement Attlee hat auf diesen Gesichtspunkt besonderen Wert gelegt. Zu seinen Prinzipien gehörte es, beispielsweise einem Gewerkschaftsmann einen Intellektuellen beizugeben. Dabei kam es natürlich vor, „daß der Minister denjenigen nicht mag, dem man ihm zugedacht hatte, weil gerade der die Mängel ausfüllt, die der Minister hat, ohne es jedoch zu wissen"
Ein anderer Grundsatz Attlees bestand darin, keine Experten zu wählen. „Ich habe niemals jemand an die Aufgabe gesetzt, die er zu verstehen glaubt, denn oft erweisen sich die . Experten'als die denkbar schlechtesten Minister in ihrem eigenen Fachbereich. In diesem Land ziehen wir die Herrschaft von Amateuren der Herrschaft der Experten vor.“
Das Lob des Amateurs, das im übrigen ja ganz dem Leitbild des „Gentleman" entspricht, wird häufig nicht ohne eine gewisse Koketterie vorgetragen. So etwa wenn Duff Cooper die ersten Tage seiner Tätigkeit als Junior-Minister im Schatzkanzleramt beschreibt: „Ich hatte befürchtet, meine begrenzten volkswirtschaftlichen Kenntnisse und meine Unwissenheit im Finanzwesen könnten sich als ernsthafte Hindernisse erweisen, doch innerhalb von einer Woche nach meiner Ernennung mußte ich eine Debatte über die Währung im Unterhaus entwickeln und war in der Lage, ohne die leiseste Kenntnis des Themas einen günstigen Eindruck zu erwecken, und erhielt viele Glückwünsche. Ich lenkte einfach die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die Widersprüche in den von den sachverständigen Vorrednern vorgeschlagenen Maßnahmen."
Nicht immer natürlich werden diejenigen Personen bevorzugt, deren politischer Ehrgeiz am stärksten entwickelt ist und von deren politischen sich am meisten verspricht. man Mitunter sind für die Wahl rein taktische Motive ausschlaggebend. So gehört es ja seit jeher zu den bewährtesten Mitteln eines Premierministers, einen Rebellen dadurch zum Schweigen zu bringen, daß er ihm ein Amt gibt und damit der Regierungsdisziplin unterwirft.
Unterschiedliche Stellung
Staatsminister bilden die unterste Stufe der Senior-Minister. Sie sind Minister der Krone und werden von der Königin ernannt. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, den Ministern einen Teil ihrer Arbeit abzunehmen, „und zwar in einem größeren Umfang, als es für den im Range niedriger stehenden Parlamentarischen Staatssekretär statthaft wäre"
Für beide gilt auch die Regel von der kollektiven Verantwortung der Regierung, das heißt, „wenn einer von ihnen die Politik oder einen Beschluß der Regierung mißbilligte, würde er zurücktreten müssen. .. . Alle Minister, ob Mitglieder des Kabinetts oder nicht, tragen eben eine kollektive Verantwortung, und zwar nicht nur für Kabinettsbeschlüsse, sondern auch für Beschlüsse der Kabinettsausschüsse, auch wenn sie bei diesen nicht im geringsten mitgewirkt haben. Das klingt sehr hart und ist es auch in manchen Fällen. Aber die Regierung muß wie ein Mann zusammenstehen, und die Minister dürfen einander nicht widersprechen, sonst würden im Gebäude der Regierung Risse sichtbar werden. Für eine gute Regierung würde dies schädlich, womöglich tödlich, auf jeden Fall peinlich sein. Wer ein Amt in der Regierung übernimmt, muß sich mit dieser Bedingung abfinden; sie ist gewissermaßen Bestandteil seines Dienstvertrages."
Was die Parlamentarischen Staatssekretäre betrifft, so gibt es keine verfassungsrechtlichen Bestimmungen, die ihre Stellung und ihre Rechte definierten. Zwischen ihnen gibt es deutliche Rangunterschiede. Am angesehensten sind das Amt des Parlamentarischen Unterstaatssekretärs im Foreign Office, des Finanzsekretärs und des Wirtschaftssekretärs im Schatzamt. Seit 1957 haben die Inhaber dieser Ämter die gleichen Einkünfte und fast denselben Status wie die Staatsminister. (Eine Zeitlang, 1950 und 1951, trugen der Finanz-und der Wirtschaftssekretär auch den persönlichen Titel eines Staatsministers.) Der Finanz-sekretär gilt seit jeher als Anwärter auf den nächsten freien Sitz im Kabinett. Von den 52 Finanzsekretären von 1868 bis 1959 wurden 33 in der Folge Kabinettsminister
Der Platz der Parlamentarischen Staatssekretäre innerhalb der Ministerien ist nicht scharf und ein für allemal gültig zu definieren. Zum Teil haben sich in den einzelnen Departments unterschiedliche Gewohnheiten herausgebildet, die eng mit der Organisationsstruktur des betreffenden Amtes Zusammenhängen und unabhängig von den jeweiligen Amtsinhabern tradiert werden. Wie Eden berichtet, war zu Beginn der dreißiger Jahre das Auswärtige Amt „das einzige Ministerium, in dem der Ständige Unterstaatssekretär, ein Beamter, im Rang höher stand als der Parlamentarische Unterstaatssekretär, der Ministerrang hatte. Die Folge war, daß ich zwar damit rechnen konnte, die meisten Dokumente zu gegebener Zeit zu erhalten, daß sie aber zunächst vom Ständigen Unterstaatssekretär den Weg hinauf zum Minister gingen und ich sie erst auf dem Weg nach unten zu sehen bekam. Handelte es sich um eine dringende Angelegenheit, die von dem Ständigen Unterstaatssekretär sofort erledigt werden mußte, so konnte es geschehen, daß ich die Akten noch später zu Gesicht bekam. . . Damals wurde der Außenminister förmlich abgeschirmt von höheren Beamten, und der Parlamentarische Unter-staatssekretär mußte sich selber zurechtfinden."
Im wesentlichen hängt die Stellung des Parlamentarischen Staatssekretärs jedoch von der Person des zuständigen Ministers ab. Einen unmittelbaren und automatischen Zugang zu den Akten hat er nicht. Offiziell kann er keinerlei Ansprüche stellen. „Es steht vollkommen im Ermessen des Ministers zu bestimmen, welche Entscheidungen oder welche Kategorien von Entscheidungen ohne seine Zu-ziehung unmittelbar von einem Parlamentarischen Sekretär ... getroffen werden dür-fen."
Nicht zuletzt kommt es natürlich auch auf das Verhältnis an, das die Parlamentarischen Staatssekretäre zu den höheren Beamten des Ministeriums gewinnen. Diese zeigen „den Junior-Ministern häufig die kalte Schulter, betrachten sie mehr als Laufburschen denn als politische Chefs."
Angesichts der Tatsache, daß die Stellung eines Junior-Ministers entscheidend von persönlichen Faktoren abhängt, nimmt es nicht wunder, wenn sein Amt so ganz verschieden beurteilt wird. „Je nach der Haltung, die der Minister ihm gegenüber einnimmt, und je nachdem, wie er sich mit den höheren Ministerialbeamten stellt, kann das Leben eines Parlamentarischen Sekretärs hochinteressant und ausgefüllt, aber auch tödlich langweilig und leer sein."
Allem Anschein nach ist das Ansehen der Parlamentarischen Staatssekretäre in der letzten Zeit gestiegen. Die Minister und Beamten scheinen allgemein eingesehen zu haben, daß sich Junior-Minister nützlich einsetzen lassen; infolgedessen sind sie auch eher bereit, ihre Arbeit im Rahmen des Möglichen mit ihnen zu teilen
Die Aufgaben der Parlamentarischen Staatssekretäre
Parlamentarische Staatssekretäre können eine fünffache Aufgabe erfüllen:
Zum einen können sie dem Minister gesellschaftliche Verpflichtungen und Korrespondenzen abnehmen, ihn bei Veranstaltungen vertreten und dergleichen mehr.
Zum andern können sie dazu beitragen, den Kontakt zwischen dem Ministerium und dem Parlament aufrechtzuerhalten, indem sie den zuständigen Amtsstellen die Stellungnahmen, die Beschwerden und die Gesuche der Abgeordneten zuleiten und umgekehrt den Parlamentariern den Standpunkt und die Wünsche des Ministeriums nahebringen. Diese beiden Aufgaben teilen die Junior-Minister mit den Parlamentarischen Privatsekretären
Drittens können Parlamentarische Staatssekretäre den Minister auf dessen Wunsch im Unterhaus (beziehungsweise im Oberhaus, falls sie diesem angehören) vertreten, Anfragen beantworten oder Erklärungen abgeben. Vorausgesetzt natürlich, daß das Parlament damit einverstanden ist und nicht den Ressortchef selber zu hören wünscht. Auf jeden Fall trägt der Ressortchef die volle Verantwortung für die Handlungen seines Junior-Ministers.
Viertens können Parlamentarische Staatssekretäre an der politischen Leitung der Ressorts beratend beteiligt werden. (Wohlgemerkt an der politischen, nicht an der administrativen Leitung, die stets in der Hand des beamteten Ständigen Staatssekretärs bleibt.) Es gibt Ressortchefs, die ihre Junior-Minister zu den wichtigsten Beratungen hinzuziehen, die sie Einblick in die Akten nehmen lassen, die ihnen das Recht einräumen, Angelegenheiten zur Sprache zu bringen, Memoranden zu verfassen, Empfehlungen abzugeben und so fort. Minister, die ihrem Junior-Minister die Befugnis eines politischen Beraters zugestehen, räumen ihm damit einen Einfluß auf die politische Führung des Ministeriums ein, was natürlich nichts an der Tatsache ändert, daß die letzte Entscheidung beim Minister bleibt.
Fünftens können Parlamentarische Staatssekretäre mit bestimmten Aufgaben innerhalb des Ministeriums betraut werden, entweder von Fall zu Fall oder von vornherein. Als Duff Cooper Finanzsekretär im Kriegsministerium war, händigte ihm sein Chef, Sir Laming Worthington-Evans, „manchmal ein fürchterliches Aktenbündel mit den Worten aus: , Das scheint eine komplizierte Frage zu sein. Ich habe noch nicht hineingeschaut und auch nicht die Absicht, es zu tun. Sie können nach Ihrem Gutdünken entscheiden’.'1
Die folgende Beschreibung zeigt, wie er dabei vorging. Als er das Ministerium für innere Sicherheit übernahm, bestimmte er zunächst den Kreis der Geschäfte, die ihres geheimen Charakters oder ihrer Delikatesse wegen ihm direkt zur Entscheidung vorzulegen waren. Alle anderen Akten und Memoranden sollten jedoch „grundsätzlich über den zuständigen Parlamentarischen Sekretär (laufen), der sie zu lesen und schriftliche Empfehlungen und Vorschläge zu machen hatte. Schließlich über-trug ich eine ganze Anzahl von weniger wichtigen Geschäften zur Entscheidung den Parlamentarischen Sekretären mit der Auflage, mir auch diese vorzutragen, wenn sie eine Angelegenheit für besonders wichtig hielten oder befürchten mußten, daß irgendwelche Komplikationen daraus entstehen könnten, oder wenn der betreffende Parlamentarische Sekretär in der Sache mit den Beamten des Ministeriums nicht einer Meinung war"
Verantwortlichkeit und Weisungsbefugnis
Es ist klar, daß gerade die ständige Delegation von Befugnissen leicht zu Spannungen und Reibereien zwischen den Parlamentarischen Staatssekretären und der Ministerialbürokratie führt. Das mußte auch Morrison erfahren, als er das Foreign Office übernahm und dort dieselbe Regelung einführen wollte, die er zuvor im Ministerium für Innere Sicherheit so erfolgreich ausprobiert hatte. Als er seinen beiden parlamentarischen Mitarbeitern bestimmte Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen wollte, warnten ihn die Beamten „vor den praktischen Schwierigkeiten, vor der Gefahr von Mißverständnissen oder davor, daß Maßnahmen getroffen werden könnten, die nicht meine Billigung fänden“. Im Hintergrund dieser Warnung stand unausgesprochen die Furcht der Beamten, daß ihre Macht sich vermindert und ihre Arbeit erschwert wird, wenn zwischen ihnen und dem Minister noch ein Junior-Minister steht, der nicht umgangen werden darf. Sie befürchteten, „daß sie über eine Angelegenheit womöglich erneut Vortrag halten und dadurch die doppelte Zeit und Arbeit aufwenden müssen, wenn der Parlamentarische Sekretär gegen ihre Ansicht votiert."
Sieht man einmal von den Macht-und Prestigefragen ab, dann schälen sich aus diesen Schwierigkeiten zwei Probleme heraus: Einmal das der Verantwortlichkeit. Nach englischer Tradition ist der Minister für die Handlungen seiner Untergebenen verantwortlich. Seine Verantwortlichkeit erstreckt sich dabei nicht nur auf die Handlungen seiner Beamten, sondern auch auf die seiner politischen Mitarbeiter, seiner Staatsminister und seiner Junior-Minister. Die Frage ist, ob dieser Grundsatz überhaupt noch durchführbar ist, wenn die Arbeitsüberlastung den Minister zwingt, einen Teil seiner Zuständigkeiten zu delegieren. Eine Reihe von Kommissionen haben sich mit diesem Problem befaßt, ohne dafür eine Lösung zu finden
Das andere Problem ist das des Weisungsrechtes. Während die Junior-Minister in der Regel für sich ein Weisungsrecht wünschen, lehnen die Beamten es in der Regel ab. Die Praxis sieht so aus, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär gegenüber den Beamten des Ministeriums nur insoweit ein Weisungsrecht besitzt, als ihm ein solches vom Minister zur Erledigung bestimmter Aufgaben eingeräumt worden ist. Er hat also allerhöchstens eine partielle und jederzeit widerrufbare, keine generelle Weisungsbefugnis. Und auch diese scheint gewöhnlich eingeschränkt zu sein, wie etwa aus der Regelung hervorgeht, die Morrison in seinem Ministerium getroffen hat: Stimmt ein Parlamentarischer Sekretär in einer Angelegenheit nicht mit den betreffenden Beamten überein, ist er gehalten, die Ent-scheidung des Ministers einzuholen
Das Recht auf Information und Gehör
Nicht weniger umstritten als die Frage der Verantwortlichkeit und des Weisungsrechtes ist der Anspruch auf Information und Gehör. Formal gesehen besitzen die Junior-Minister keinen solchen Anspruch. In der Praxis wird er ihnen in unterschiedlichem Maße gewährt.
An Kabinettssitzungen nehmen sie im allgemeinen nicht teil. (Ist ein Minister verhindert, vertritt ihn gewöhnlich sein Staatsminister oder ein Kollege.) Auch Kabinettspapiere bekommen Junior-Minister selten zu sehen. Für diese Regelung lassen sich vernünftige Gründe anführen. Diese fallen jedoch weg, wenn, wie es häufig vorkommt, Junior-Minister auch von den Beratungen und Informationen innerhalb ihres eigenen Ministeriums ausgeschlossen werden. Manche Minister ziehen ihre Parlamentarischen Staatssekretäre nur wenig zu Beratungen heran und lassen sie nur in geringem Maße oder verspätet Einblick in die Akten nehmen. Im Foreign Office scheint dies früher die Regel gewesen zu sein. Wie Edward Grey berichtet, sah er zwar alle wichtigen Telegramme und sonstigen Ausfertigungen, aber erst, nachdem sie erledigt und abgesandt waren
Eine solche Abschnürung von den Informationen und Beratungen ist natürlich nicht gerade dazu angetan, das Ansehen der Junior-Minister zu erhöhen und ihre Selbstachtung zu stärken. Verständnisvolle Minister haben sich daher stets dafür eingesetzt, daß die Junior-Minister so weit wie möglich über die Angelegenheiten des Ministeriums informiert und zu den Beratungen hinzugezogen werden. Und dies nicht nur, um ihr Ansehen zu festigen und ihre Selbstachtung zu steigern, sondern auch noch aus zwei anderen, entscheidenden Gründen: Je mehr nämlich die Junior-Minister an der Arbeit ihres Ministeriums beteiligt werden, desto größer ist auch der Nutzen, den sie selbst aus ihrem Amte ziehen können und den das Amt von ihnen hat. Wiederum ist es Herbert Morrison, der dies ganz klar sieht: „Eine Ungerechtigkeit gegenüber den Parlamentarischen Sekretären ist es auch, wenn man sie nicht zu den Sitzungen und Konferenzen innerhalb des Amtes zuzieht. Aus nahe-liegenden Gründen ist ihre Gegenwart nicht in allen Fällen richtig und angebracht; schließt man sie jedoch systematisch aus, so lernen sie die Hintergründe der politischen Entscheidungen nicht kennen. Abgesehen davon bedeutet es für sie eine nützliche Lehre für den Fall, daß sie selbst einmal einen Posten mit höherer Verantwortung bekleiden sollten, wenn sie auch nur zuhören können, wie ihr Chef solche Sitzungen leitet Ich habe es mir deshalb stets zur Regel gemacht, die betreffenden Parlamentarischen Sekretäre zu solchen Konferenzen zuziehen zu lassen, und ich achtete darauf, daß sie Gelegenheit erhielten, ihre Ansichten zu äußern, auch wenn diese keineswegs immer akzeptiert wurden. Dieses Ver-fahren war für unsere Beratungen förderlich und half oft, den Kern der Probleme herauszuschälen. Andererseits konnten die Sekretäre die schwierige Kunst des Umgangs mit Ministerialbeamten erlernen. Wenn ich schließlich derjenige war, der die Entscheidung traf, so verließ doch jeder die Konferenz, auch wenn er mit seiner Meinung nicht durchgedrungen war, ohne Groll und im Bewußtsein, daß er bei der Beratung und beim Zustandekommen der Entscheidung seinen Teil beigetragen hatte."
Pro und Contra
Bedenkt man, wie wenig Rechte der Parlamentarische Staatssekretär besitzt, wie sehr er auf das Wohlwollen des Ministers angewiesen bleibt und wie unterschiedlich die Praxis ist, dann versteht es sich von selbst, daß das Urteil über diese Einrichtung nicht einhellig ist. Je nachdem, welche Erfahrungen der Beobachter oder Betroffene vor Augen hat, fällt sein Urteil anders aus.
Wilkinson: Das Wort von Ellen „Geringer als der Staub", wurde schon angeführt. Duff Cooper urteilt: „Das Leben eines Junior-Ministers — ich sollte es im ganzen sechs Jahre führen — war nicht unangenehm, doch bietet es wenig Gelegenheit zur Vorbereitung auf noch höhere Verantwortlichkeit, zu der es hinführen sollte. Es beraubt zugleich den jungen Politiker der Möglichkeit, sich auszuzeichnen oder seine (Verfahrenstechnik'im Unterhaus zu verbessern... Junior-Minister werden in Wirklichkeit einfach kaltgestellt, und wenn ihre Kaltstellung lange dauert, können ihre Fähigkeiten aus Mangel an Beschäftigung leiden und sogar verkümmern. Allzuoft geschieht es, daß ein vielversprechender back-bencher, der ein fähiger Unterstaatssekretär gewesen war, sich bei der Beförderung als große Enttäuschung erweist."
Hingegen Edward Grey spricht von einer „wundervollen und interessanten Schulung."
In diesen Worten wird deutlich, worin der eigentliche Sinn der Institution des Junior-Ministers liegt. Nicht so sehr darin, den Ressortchef zu entlasten, als darin, den Abgeordneten in die Kunst des Regierens einzuführen. Anders als beim Staatsminister liegt der Wert der Juniorministerschaft in erster Linie nicht in dem Nutzen, den der Minister davon hat, sondern in den Erfahrungen, die der jeweilige Inhaber in seinem Amte zu sammeln vermag. Parlamentarische Staatssekretäre sind, wenn der Vergleich erlaubt ist, gleichsam die Lehrlinge in der Regierungskunst, Staatsminister die Gesellen. Zweck des Amtes des Parlamentarischen Staatssekretärs ist es, seinen Inhabern einen Einblick in die verschiedenen Tätigkeiten des Staates zu verschaffen, sie der Technik der Entscheidung, der Kunst der Delegation, den Methoden der Verwaltung bekannt zu machen, ihnen die Fähigkeit zu vermitteln, in unvorhergesehenen Lagen sich zurechtzufinden, sie den Umgang mit der Ministerialbürokratie zu lehren und so fort. Die Jahre als Junior-Minister sind eine Schule für diejenigen, die selbst einmal Minister werden wollen
Staatsminister und Parlamentarische Staatssekretäre in Deutschland
Wir haben die britische Praxis so ausführlich an Hand von Zitaten englischer Staatsmänner dargelegt, weil die Pläne, Parlamentarische Staatssekretäre nun auch bei uns einzuführen, auf das englische Beispiel zurückgehen, zum mindesten auf dieses Beispiel immer verweisen, ohne daß im allgemeinen eine genauere Anschauung darüber herrscht, wie diese Einrichtung in England eigentlich funktioniert.
An sich ist der Plan, in einigen Bundesministerien Junior-Minister zu ernennen, nicht neu. Entsprechende Vorschläge wurden noch bei jeder Regierungsbildung seit 1949 erörtert
Stellung Pate, wohingegen bei dem Gegenentwurf des Rechtsausschusses des Bundestages eindeutig die erstere Vorstellung dominiert.
Nun ist kein Zweifel, daß beide Einrichtungen in der Bundesrepublik angebracht und verfassungsrechtlich durchaus zulässig wären
Was die Staatsminister
Dieser Vorschlag ist auch heute noch aktuell. Um die Funktionsfähigkeit der Ministerien nicht zu beeinträchtigen und um das Prinzip der obersten Ressortleitung durch den Bundesminister und dessen parlamentarische Verantwortlichkeit nicht zu verletzen, muß man sich allerdings darüber im klaren sein, daß Staatsminister keine Neben-, sondern nur Hilfsminister sein dürfen. Sie bleiben dem jeweiligen Ressortchef untergeordnet und können nur in dessen Namen und im Rahmen der von diesem auf sie delegierten Befugnisse handeln. Die Verantwortung gegenüber dem Kabinett und dem Parlament bleibt in jedem Falle beim Ressortminister; auch dann, wenn dieser die Staatsminister beauftragt, bestimmte Aufgaben oder Aufgabenkreise selbständig zu erledigen, handeln sie nicht in eigener Verantwortung, sondern nehmen nur die Verantwortlichkeit des Ministers wahr. Dem Kabinett können sie nicht angehören, wohl aber können sie den Minister auf dessen Wunsch und im Einverständnis mit dem Kanzler dort vertreten. Auch im Parlament, im Ausland, in der Öffentlichkeit können sie im Namen des Ministers sprechen, müssen dabei aber stets die Politik der Regierung vertreten; sind sie mit dieser nicht einverstanden, haben sie den Abschied zu nehmen. Ein Weisungsrecht gegenüber den beamteten Staatssekretären steht ihnen nicht zu. Protokollarisch können sie einen höheren Rang als diese einnehmen; im Amt aber stehen sie neben, nicht über ihnen. Auf Verlangen des Ministers oder des Regierungschefs können sie jederzeit entlassen werden
Daneben sollte man aber unbedingt auch an der Ernennung von Parlamentarischen Staatssekretären festhalten, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht. Die Parlamentarischen Staatssekretäre könnten die Verbindung zwischen dem Parlament und den Ministerien aufrechterhalten, sie könnten den Minister bei bestimmten Gelegenheiten — unter Umständen auch im Kabinett — vertreten, sie könnten im Ministerium bestimmte Sonderausgaben übernehmen und so fort; ihr Hauptzweck sollte jedoch darin bestehen, dem ministeriellen Nachwuchs die Möglichkeit zur Erprobung zu eröffnen. Bei der Auswahl der Parlamentarischen Staatssekretäre, der Ausgestaltung ihres Amtes, der Zuweisung der Aufgaben an sie, sollte dieser Zweck stets im Vordergrund stehen und am meisten berücksichtigt werden.
Bedingungen des Erfolgs
Daß dieser Zweck auch erfüllt wird, hängt vor allem von vier Punkten ab:
Erstens von der Auswahl der Parlamentarischen Staatssekretäre. Sie sollten als Personen, nicht als Vertreter irgendwelcher Interessen, Gruppen oder Flügel gewählt werden. Anciennität, Versorgungsgesichtspunkte, konfessioneller Proporz und so weiter sollte keine Rolle spielen. Auch Ressortkenntnisse dürften nicht ausschlaggebend sein. Desgleichen nicht Verdienste in der Partei oder Fraktion. In England gehört es zu den seltenen Ausnahmen, wenn Abgeordnete, die eine Karriere innerhalb der „Fraktionsgeschäftsführung“ — als Whip (Einpeitscher) und dergleichen — gemacht haben, Minister werden
Drittens spielt natürlich die Person des jeweiligen Parlamentarischen Staatssekretärs eine Rolle. Er muß zu dem Minister und dem beamteten Staatssekretär passen und sich mit ihnen verstehen. Er muß ihnen gegenüber loyal sein. Er darf dem Staatssekretär nicht in die Leitung der alltäglichen Geschäfte hineinreden. Er darf und soll seine Meinung zu allen politischen Fragen offen äußern — aber dann, wenn die Entscheidung gefallen ist, muß er sie respektieren und sich zu eigen machen, andernfalls muß er zurücktreten.
Viertens endlich kommt es darauf an, daß bei künftigen Regierungsneubildungen oder -Umbildungen das Regierungspersonal auch aus den Reihen der Parlamentarischen Staatssekretäre genommen wird. Ausnahmen sollten natürlich immer möglich sein; auch in England ist nicht jeder Minister zuvor „Parliamentary Secretary" gewesen. Aber in der Regel sollten bewährte Junior-Minister den Vorrang vor allen anderen Abgeordneten genießen. Es werden sich kaum genügend qualifizierte Leute für das Amt eines Junior-Ministers interessieren, wenn dieses mehr einem „Abstellgleis" als einer „Durchgangsstation" zu höherer Verantwortung gleicht.
Die Stellung der Parlamentarischen Staatssekretäre sollte zunächst möglichst flexibel, die positiv-rechtliche Regelung auf das nötigste beschränkt werden, bis konkrete Erfahrungen vorliegen. (Alles was in dieser Beziehung nötig ist, ist in dem Entwurf der Bundesregierung über die Stellung der Parlamentarischen Staatssekretäre gesagt,) Fürs erste sollte man es auch bei der vorgesehenen Zahl von sechs Junior-Ministern belassen. Im Bundeskanzleramt sollte man auf die Ernennung eines solchen verzichten, da die Gefahr groß ist, daß dieser eine den übrigen Junior-Ministern übergeordnete, fast ministerähnliche Stellung erhält