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Die Frage nach dem Sinn der Geschichte | APuZ 51-52/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 51-52/1966 Die Frage nach dem Sinn der Geschichte Das individuelle Selbstverständnis des modernen Menschen als politisches Problem

Die Frage nach dem Sinn der Geschichte

Richard Schwarz

I. Geschichte und menschliche Existenz

I.

II. III. IV.

V. VI. VII. VIII. INHALT Geschichte und menschliche Existenz Typen der Geschichtsdeutung Geschichte als Fortschritt der Menschheit

Historismus und Relativität Die Abschaffung Gottes Die Krise des christlichen Existenzbewußtseins Technische Weltzivilisation als Erfüllung der Geschichte Gibt es eine Antwort?

Es gibt Zeiten, in denen der sinnende Mensch eher vom Unsinn der Geschichte sprechen möchte. Es scheint dann, als sammelten alle Geschehnisse nur noch das Beweismaterial zu dieser verzweifelten Verlegenheit. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte scheint wahrhaft der fragwürdigsten aller philosophischen Disziplinen anzugehören

Geschichtliche Katastrophen und umwälzende Ereignisse haben von jeher den Menschen zum Nachsinnen über die Frage nach dem historischen Geschehen gestimmt, zum Bemühen, den geschichtlichen Prozeß zu begreifen und theologisch oder philosophisch zu rechtfertigen. Von solchen Nahtstellen im Geschichtsverlauf zeugen die Begebenheiten, wie sie das Buch Daniel widerspiegelt, die Erschütterung durch die Perserkriege, das Innewerden jener „Fülle der Zeit", wie sie die Geburt des Christentums anzeigt. Allein — was uns hier näher steht — nach der Französischen Revolution waren es die beiden großen Kriege, die das menschliche Fragen im gesteigerten und bedrängenden Maße der Frage nach dem Sinn der Geschichte zuwenden ließen. Bedrängend deshalb, weil das Bewußtsein einer möglichen krisenhaften Katastrophe der Menschheit heute uns alle den inneren Zusammenhang der geschichtlichen mit der menschlichen Problematik notvoll empfinden läßt — eben weil der Mensch in der Geschichte weithin sich selbst zur Fragwürdigkeit geworden ist. In einer Zeit des Umbruchs und des fundamentalen Wandels in allen Lebensbereichen, dann also, wenn viele überkommene Tafeln nicht mehr tragen, neue Sinn-und Werttafeln aber noch keine Gültigkeit anzeigen, wenn also der Mensch in der „Krise" steht — in solcher Zeit wird die Frage nach der Existenz eines Fluchtpunktes, der Bestand hat, der bleibt, die Frage nach einer ziel-und sinnbestimmten und -bestimmenden Ordnung, besonders brennend. Wenn sich dieser Mensch als ein in die Unendlichkeit des Seins erbarmungslos „geworfenes" und daher verlorenes Wesen erfährt, so bedeutet das Fragen nach dem menschlich-geschichtlichen Daseinssinn eine Unruhe, die uns wahrhaft „auf den Leib" rückt. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte steht in unabdingbarer Korrespondenz mit der Frage nach dem Sinn des Menschseins überhaupt. Der Mensch ringt um die Sinnhaftigkeit der geschichtlichen Welt letzthin deshalb, weil es um seine eigene Existenz geht.

So werden sich Geschichtsanschauung und Weltanschauung jeweils entsprechen, sofern unter Weltanschauung der Sinnbezug der menschlichen Existenz, das Insgesamt aller Stellungnahmen, Erkenntnis-und Fühlweisen eines Menschen, seines Lebenszieles, seines Lebensstiles und seiner bewußten und unbewußten Grundhaltungen zur Welt und zu sich selbst als integrierender Lebensiorm verstanden wird. Gewiß gibt es eine Objektivität der Geschichtswissenschaft als notwendige Selbstkritik und Selbstkontrolle. Allein es war ein verhängnisvoller Irrtum, von einer absoluten erkenntnistheoretischen Objektivität im Sinne der Voraussetzungslosigkeit der Geisteswis-B senschaften zu sprechen. Denn es gibt kein Geschichtsbild ohne vorgegebene Wertgesichtspunkte, und es gibt keine Wertordnung ohne eine dies begründende Sinnordnung, die als „letzte Stellungnahme“ in der jeweiligen Weltanschauung — unreilektierter oder wissenschaftlicher Art — verhaftet liegt.

Wissenschaftlichem Ethos entspricht dies zutiefst, die Dinge und Verhalte so sehen zu wollen, wie sie an sich selber sind. Doch hier hat ebenso eine neuere Perspektive weit tiefer gesehen, daß es kein „Sehen" ohne „Werten" gibt, daß keine wissenschaftliche Erkenntnis ohne Voraussetzungen besteht, daß Erkenntnis letzthin ein existentieller Akt ist. Und es begegnet hier die Einsicht, daß man nur aus dem, woraus man lebt, auch erkennen kann, jener alten Weisheit eines Augustinus: Tantum Deus cognoscitur inquantum diligitur. Nur insoweit wird Gott erkannt, als er geliebt wird. Eine Geschichtswissenschaft aber, die sich nicht zugleich dieser persönlichen und letzthin in der wert-und sinnhaften Maßstabs-gebundenheit unüberschreitbaren Bedingtheit bewußt bleibt, wird sich in quellenkundlichen Erhebungen, Vergleichen und Abhängigkeitsnachweisen historischer Fakten erschöpfen müssen. Gewiß sind dies hohe Ziele der Forschung — aber doch nur Wege zum Ziel, die sich ihrer eigenen Befangenheit oft kaum noch bewußt werden. Wo aber gar nicht gefragt wird nach den unterschwelligen Motivationsantrieben der geschichtlichen Persönlichkeit, nach den existentiellen Grundlagen eines Zeitalters und seinem Ordo in einem übergreifenden Gesamt als Sinnzusammenhang, wo nicht zur Entscheidung gefragt wird nach dem Bezug eines geschichtlichen Faktums zur Gegenwart, ja zur persönlichen Existenz, kann nicht von einer gültigen Wissenschaftshaltung gesprochen werden. Erst jene Forschung wird im Geiste einer wesenhaft abendländischen Wissenschaftstradition stehen, die letzthin immer nach den Prinzipien, den Gründen und Begründungen, den Wert-und Sinnaspekten des Seienden zu fragen sich bemühte.

Wenn überhaupt, so zeigt eine verbreitete Auffassung von Geschichtswissenschaft heute an, wie ratlos der Mensch vor seiner Existenz steht, wenn er hier wie auch in einer bestimmten modernen Psychologie oder Soziologie versucht, diese seine fundamentale Ratlosigkeit eines übergreifenden Existenzsinnes hinter dem Befund nur vermeintlich exakter Bestandsaufnahmen zu verbergen. Wenn überhaupt, so zeigt aber ebenso der Umgang mit dem Phänomen des Geschichtlichen an, daß ein solcher Positivismus nicht einmal den „Vorhof" einer gültigen kritischen Wissenschaftlichkeit zu erreichen vermag, die sich der Grenzen ihres „rein" objektiven Bemühens als Voraussetzung einer Wissenschaft als einer wahren menschlichen Aufgabe bewußt wurde. In jedem geschichtswissenschaftlichen Standort — und wer wollte behaupten, daß er ohne einen Standort als wert-und sinn-neutral zu existieren, zu denken und zu forschen vermöchte? — ist immer auch eine jeweilige normative Fixierung eines Aspektes, eines Maßstabes der fundamentalen Gesamtbeurteilung notwendig und im letzten Grunde unüberschreitbar schon mitgegeben. Einer empirisch-analytischen Methode in der Soziologie, Kultursoziologie und anderswo, die von einer wert-und sinn-neutralen Forschung spricht, er-mangelt im Grunde ein wesentliches Merkmal der Wissenschaftlichkeit: die existentielle Selbstkritik des Forschers, die sich der eigenen Maßstabsgebundenheit nicht einmal bewußt wird

Man braucht dabei nicht in gewisse historistische oder existentialphilosophische Konsequenzen zu verfallen, wenn diese neue Erfahrung ebenso unkorrigierbar besteht: daß der Mensch nicht nur das Wesen ist, das Geschichte erlebt, um die Geschichte weiß, vielleicht auch Geschichte gestaltet, sondern auch selbst ein geschichtliches Wesen ist. Geschichtlichkeit ist eine Struktur des geschichtstragenden Subjekts, wie Martin Heidegger es erfährt, wenn auch gewiß nicht nur dies! Und Karl Jaspers unterscheidet ebenso ein historisches Bewußtsein als das Wissen von der eigenen Geschichte und der Abhängigkeit von ihr von dem geschichtlichen Bewußtsein als dem Wissen um die eigene Geschichtlichkeit. Ortsbestimmung und kritische Begründung des jeweiligen Standortes des Menschen vor sich selbst, in der Welt und vor den überweltlichen 3 Bezirken und Mächten erscheint dann als die letztgültige Aufgabe aller Wissenschaft. Denn Wissenschait heißt doch letzthin auch, sich des eigenen Standorts in der Welt kritisch zu versichern, soweit dies eben auf solchem Wege möglich ist.

Es steht hier nicht jenes logische Problem der Prinzipien des historischen Erkennens als der Erforschung und Darstellung geschichtlicher Verhalte in Frage, nicht eine „Kritik der historischen Vernunft" im Sinne Diltheys, sondern die philosophische Frage nach Prinzipien und Ursachen, nach Wesen und Endziel der Dinge und des Geschehens. Wenn aber Geschichte jenes Geschehen ist, das sich durch die Zeit an uns und durch uns vollzieht, so fragt die philosophische Problematik nach dem Sinn der Geschichte, nach ihren Faktoren, Ursachen und Gesetzen. Geschichte ist nicht nur Entwicklung und Entfaltung. Geschichte ist der Weg der Menschheit und der Weg des besonderen Menschen in der Begegnung mit dem Schicksalhaften bzw.dem Geschickten.

Allein hier erst beginnen die eigentlichen Fragen. Ist Geschichte aus Bedürfnissen und Handlungen und Leidenschaften der einzelnen und der Massen zu erklären? Ist Geschichte also aus den psychischen Determinanten zu erheben und zu verstehen? Oder ist Geschichte aus einer übergeschichtlichen Idee, einer göttlichen Idee, einem „Heilsplan" zu begreifen? Wird Geschichte von einzelnen, von Gruppen oder von Massen „gemacht"? Machen Männer die Geschichte? Oder aber sind sie nur Werkzeuge, „Vollstrecker" eines gesellschaftlichen, „unterschwelligen" Willens, zeit-und situationsbedingter Strebungen, die zu ihrer Zeit, dem Kairos, wirkmächtig werden? Gibt es eine Gesetzlichkeit im Geschichtsverlauf, wie sie etwa mit dem Dreistadiengesetz von Auguste Comte, also mit der Abfolge vom mythischen über das metaphysische zum positiven Zeitalter bestimmt wurde? Gesetzlichkeit als Spannungsausgleich von Reaktion und Revolution, von dialektischen Prozessen usf.?

Hat die Geschichte im Ganzen einen Sinn? Hat nicht jene These Recht, die schon eine solche Fragestellung in das Museum der Irrtümer des menschlichen Geistes verweist? Ist Geschichte nur innerweltlich zu verstehen? Oder gibt es noch eine übergeschichtliche Wirklichkeit? Hat sie einen Anfang und ein Ende? Gibt der Geschichtsverlauf für eine optimistische oder eine pessimistische Beurteilung hinreichenden Anhalt? Hat also Geschichte einen Sinn als ein sich erfüllendes Ziel? Oder ist Geschichte mit Theodor Lessing als „Sinngebung des Sinnlosen" zu betrachten? „Keineswegs aber wird durch Geschichte ein verborgener Sinn, ein Kausalzusammenhang, eine Entwicklung in der Zeit per se offenbar; sondern Geschichte ist Geschichtsschreibung, das heißt die Stiftung dieses Sinnes, die Setzung dieses Kausalzusammenhangs; die Erfindung dieser Entwicklung. Sie vorfindet nicht den Sinn der Welt, sie gibt ihn." Der Gedanke der Konstitution in der gegenwärtigen „kritischen" Geschichtsphilosophie, wonach objektiv-geschichtliche Erkenntnis erst aus dem Subjekt selbst heraus möglich, „konstituiert" wird wird hier ins Extrem überspannt. Daß freilich Geschichte immer auch eine Bemühung im schöpferischen Sinne des Historikers ist, dessen eigene Struktur, seine Kategorien, seine gesamte kulturelle Bildung das jeweilige Geschichtsbild mitgestalten, wurde bereits angemerkt.

II. Typen der Geschichtsdeutung

Schon Homer weiß von dem Grundproblem alles geschichtlichen Seins: der Antinomie von Freiheit und Notwendigkeit. Von Hesiod wurde die ganze Menschheitsentwicklung unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gestellt mit der Überzeugung eines fortschreitenden Niedergangs als des Abfalls von einem Goldenen Zeitalter. Und die Klage über seine eigene eherne Gegenwart als die Zeit äußerster Verwilderung sollte schließlich zum stetig wiederholten Thema der zeitgeschichtlichen Klagelieder werden — bis zu Walther von der Vogelweide und dem Zeitalter der „vollende-ten Sündhaftigkeit", in dem Fichte zu leben wähnte, bis zu Burkhardt und Nietzsches äußerster Kulturkritik.

Ebenso aber fehlen in der Antike auch nicht die Stimmen, die von einem stetigen Fortschritt, einer geistigen und kulturellen Höherentwicklung der Menschheit wissen. Von Xenophanes stammt das kennzeichnende Wort:

„Nicht gleich anfangs zeigen die Götter den Sterblichen alles, sondern wir finden das Bessere suchend im Laufe der Zeiten."

Und gegen das Vertrauen in eine in der Geschichte sich auswirkende sittliche Weltordnung, wie sie von Herodot empfunden wurde, berührt Thukydides den religiösen Bezirk nur insoweit, als er psychologisch oder staats-erzieherisch in Betracht kommt. Hier schon findet sich die These vom Wesen der Politik als eines Strebens nach Macht, wonach sich sogar die Gerechtigkeit jeweils relativ bestimmt. Hier schon wird aus der Gesetzmäßigkeit, den Ursachen und Wirkungen der Geschichtsablauf natürlich erklärt und — wie es heißt— „mit Sicherheit" vorausbestimmt.

So scheinen schon in der Antike grundlegende Modelle für die spätere Geschichtsbetrachtung vorgezeichnet: Die Abstiegstheorie, die Aufwärtsentwicklung, die Stillstands-Hypothese wie jene wesenhaft östlich-griechische Idee des Kreislaufs als einer ewigen periodischen Wiederkehr des gleichen — ein Gedanke, der noch bei Nietzsche Anklang fand. Ebenso wußte man aber schon hier von göttlichen und menschlichen Faktoren wie von der Soteria als dem Vertrauen in eine Rettung des von Klippe zu Klippe stürzenden Weltprozesses, als heilende Rettung vor dem auslöschenden Tod.

Die eigentliche Frage nach dem Sinn der Geschichte vermochte jedoch erst im geistigen Raum der jüdisch-christlichen Weltdeutung zu erwachsen. Erst hier hatte die Geschichte der Menschheit einen Anfang und ein Ende. Erschaffen waren die Welt und die Menschen von einem persönlichen Gott, der sich in der Zeit offenbarte, um die ganze Menschheit einem bestimmten Ziele zuzuführen. Der Kreislauf, letzthin für uns Abendländer ein Symbol der Sinnlosigkeit, wich dem einmaligen historischen Prozeß mit einem Endziel von absolutem Wert und von absoluter Dauer. Die schon von der Stoa religiös-metaphysisch begründete Einheit des Menschengeschlechts, jene im Grunde ungriechische Idee, wurde nun überhöht durch die Verkündigung der Einzigartigkeit der Menschenseele und — was selbst oft im christlichen Bezirk noch übersehen wird — auch des Menschenleibes. Nun bedeutet individuelle Personalität und Vereinzelung nicht mehr einen Fluch, wie mit Buddha analog noch Hebbel lehrte, auch keine Strafe für eine vorweltliche Verschuldung, wie alle Gnosis die menschliche Leiblichkeit deutete. Begründet aber war diese hohe Wertigkeit des Einzelmenschen und seiner persönlichen — nicht nur griechisch-kollektiven — Freiheit in jener zutiefst religiösen, nicht etwa philosophischen oder naturwissenschaftlichen Kategorie der Schöpfungstatsache, in dem Mysterium der Inkarnation, in dem Gott selbst in diese menschlich-geschichtliche Weltzeit eintrat und die menschliche Natur wie den Kosmos heimholte in seine göttliche Würde. Mit der christlichen Erlösungswirklichkeit war die antike Tragik einer innerweltlichen Kausalität von Schuld und Strafe und Schicksal durchbrochen, war jeder einzelne bei seinem Namen gerufen in seine freie und geschichtliche Verantwortung. Christliches Geschichtsdenken lebt innerhalb umrissener, objektiv gesicherter Grenzen, ist befestigt zwischen Schöpfung — Sündenfall — Erlösung — Endgericht. Die Parusie des wiederkommenden Herrn erscheint als das Ende der Zeit, als der absolute Grund-bezug jedes geschichtlichen Maßstabes.

Christliches Geschichtsdenken sieht Geschichte als Stätte der Entscheidungsmöglichkeit des Menschen, als Ort seiner Selbstfindung zwischen den Mächten des Himmels und des Satans. Für Nicolai Berdjajew T) liegt der Sinn der Geschichte geradezu in der Enthüllung dieser Prinzipien. „Das Menschengeschick, das der Geschichte zugrunde liegt“, so heißt es hier weiter, „setzt ein übergeschichtliches Ziel voraus, einen übergeschichtlichen Prozeß, eine über-geschichtliche Lösung des Geschichtsgeschickes in einer anderen, ewigen Zeit." Niemand freilich vermag auch hier einem Einzelgeschehen oder Zeitgeschehen einen fixierten Sinn zuzuweisen. Das Übel als Folge jenes mysterium iniquitatis, das in dem geschichtlichen Lauf als Terror, Gewalt, Kriege, Grausamkeiten erscheint, ist auch in einer Theodizee nie auflösbar. Selbst eine theologia crucis wird eine noch so positive Sinndeutung des Leids und des Leidens nur als stete Anfechtung bestehen können. Mit dem Buddhismus teilt das Christentum die Überzeugung, daß es keinen letzten Sinn der Geschichte innerhalb der Geschichte selbst gibt. Aber es lehrt andererseits nicht die Sinnlosigkeit einer endlosen Bewegung um der Bewegung willen, sondern einen Sinn jenseits der Geschichte. Wenn nun auch die menschliche Geschichte im christlichen Bewußtsein als Vorbereitung des Neuen Him mels und der Neuen Erde verstanden wird, so hat man dennoch von einer „Vorwegnahme des Neuen Himmels und der Neuen Erde'1 gesprochen Danach hat die Geschichte auch immanent einen Sinn. Sinn kommt der Geschichte also nicht erst am Ende zu, „er ist vielmehr in ihr selbst gegenwärtig, aber er ist nicht an ihr selbst erkennbar. Die menschliche Geschichte kann sich selbst nicht verstehen." Fast bestürzend müssen dagegen ernsthafte Versuche (etwa von Th. Haecker, K. Thieme, A. Schütz u. a.) erscheinen, eine gültige christliche Theologie der Geschichte aufzuweisen und an dem konkreten Geschichtsverlauf zu erhärten. Zumeist wird hierbei das Römische Reich als ein für immer zentrales Fundament betrachtet. Man hat mit Recht dagegen geltend gemacht, daß es sich hier um ein Mißverständnis handelt, um einen „christlichen Integralismus", der das Christentum mit einem bestimmten Moment seiner Entwicklung gleichsetzt. Doch nirgends haben die Lebensformen des Christentums etwas Endgültiges erreicht. Weder das Mittelalter kann als prinzipielles Richtbild noch der Thomismus als eine nicht mehr überschreitbare Philosophie noch der Latinismus als eine möglicherweise nicht zu erweiternde „Gestalt" betrachtet werden, was uns heute im Zeichen eines neuen planetarischen Zeitalters fast selbstverständlich erscheint. Auf der anderen Seite will man in dem Heilsgeschehen gar kein welthaftes Geschehen erblicken, eher ein Gegenteiliges. Mit Karl Barth stellt Kari Löwith die These auf, daß der christliche Glaube unvereinbar sei mit dem Glauben an die Weltgeschichte und ihre philosophisch faßbare Erfüllung.

Wenn Augustinus, auf dessen kaum zu überschätzende Bedeutung für jede folgende Geschichtsphilosophie in diesem Rahmen nur hingewiesen werden kann, als das Thema der Weltgeschichte den Kampf zwischen Glauben und Unglauben charakterisiert, wenn der Sinn des Zeitgeschehens in der Rückkehr der gefallenen Menschheit zu Gott, in der Sicherung der Ewigkeitsbestimmung des einzelnen gesehen wird, die in der menschlichen Natur gott-ebenbildlich angelegt ist, so hat diese Geschichtstheologie im christlichen Lebensraum und darüber hinaus weithin Gültigkeit behalten — trotz mancher tiefen Problematik, die sich mit dem Augustinischen Gottesstaat, einer civitas Dei und einer civitas terrena, verbindet.

Hiermit sind aber auch schon die typischen Möglichkeiten für das Verständnis des Geschichtsverlaufs gekennzeichnet. Im Bilde des Kreislauis wird ein vorgegebenes allgemein-gültiges Prinzip angenommen, das die Geschichte bestimmt. Im Geschehen manifestiert sich dieses determinierende Prinzip immer in gleicher Weise. Geschichte im eigentlichen Sinne, wie wir sie heute verstehen, gibt es in dieser Vorstellung noch nicht, die die griechische Welt bestimmte und auch orientalischen Vorstellungen entspricht. Denn die notwendig zum Wesen der Geschichte gehörenden Momente der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit fehlen hier. Man hat dabei für die Kreislauftheorie als von einer Analogie zur Natur sprechen wollen. Doch wird dem heute bereits auch von der Naturwissenschaft widersprochen, da es ebenso in der Natur echte geschichtliche Vorgänge gäbe Unter dem Bilde der Spirale werden zwar einmalige geschichtliche Entwicklungen und Vorgänge als unwiederholbar bestimmt, doch herrschen auch hierin noch die allgemeinen Prinzipien und Gesetzlichkeiten, die vorgegeben sind. Alles Sein, auch das geschichtliche Werden, wird von einer universalen Gesetzlichkeit beherrscht. Auch diese Theorie besteht nicht ohne Determinismus und Mechanismus. Die mathematisch-statistische Behandlung der geschichtlichen Ereignisse erlaubt eine Vorhersagbarkeit. Auch hier bleibt das Individuell-Einmalige noch dem Allgemeinen wesentlich untergeordnet, wenn auch ein spezifischer Spielraum belassen werden soll. Hier aber erscheint auch das zentrale Problem aller Geschichtsphilosophie ganz scharf als das letzthin unlösbare Problem eines Ineinander vom Individuellen, was doch das Historische charakterisiert, und dem Allgemeinen, das die übergreifende Gesetzlichkeit vertritt. So wird die Antinomie von Freiheit und Notwendigkeit, geschichtsphilosophisch gewendet, von Handlungs-und Entscheidungsfreiheit des einzelnen bzw.der historischen Entwicklung und einer allgemeinen Gesetzlichkeit, die als Naturgesetz, als Schicksal in seinen verschiedenen Bedeutungsstufen oder auch als Lenkung der Geschichte und des einzelnen durch einen per-sönlichen göttlichen Willen gelten könnte, zum Grundproblem der Geschichtsphilosophie.

In der christlichen Theologie erscheint diese Problematik unter dem Gegensatzpaar von Gnade und Freiheit, wozu insbesondere vier Lösungsansätze bereitgehalten werden, die freilich nie ganz zu beruhigen vermögen. Der Thomismus des Spaniers Banez wendet das Prinzip der Allwirksamkeit auch auf das Gebiet des übernatürlichen an. Keine sekundäre Ursache kann in Tätigkeit übergehen, ohne daß sie von der ersten wirksam bestimmt ist. Doch bewegt Gott jede Kreatur nach ihrer Natur, die unfreie, daß sie notwendig, die freie, daß sie frei handle. Gottes Einwirkung ist unwiderstehlich. Der Augustinismus des 18. Jahrhunderts ersetzt die physische Vorherbestimmung durch eine siegreiche Lust (delectatio victrix), die Gott dem Willen vorher einflößt. Die physische wird durch eine moralische Einflußnahme bestimmt. Der Molinismus des 16. Jahrhunderts sucht das Freiheitsmoment mehr zu betonen, der Kongruismus legt den Akzent auch auf die individuellen Umstände, unter denen die Gnade den Menschen trifft. Sind diese der Gnade günstig, kongruent, so wird sich gewiß der freie Wille dafür entscheiden. Im Grunde aber wird jeweils das eigentliche Problem nur einen Schritt zurückverlagert. Die jeweilige Antwort über das Verhältnis des Reiches der Gnade zum geschichtlichen Geschehen gründet jedoch schon in der jeweiligen Stellungnahme zum Ursprung des geschichtlichen Daseins. Eine breite Richtung der protestantischen Theologie erblickt den Ursprung der Geschichte wie der geschichtlichen Ordnungen im Sündenfall, im sündhaften Selbstsein des Menschen. Wenn dieses Wesen durch die Erbsünde in seinem Mark wurzelhaft verdorben ist, muß auch sein gesamtes kulturelles Schaffen und sein geschichtliches Handeln unter das „Gericht“ gestellt sein. Anders im katholischen Bewußtsein, wonach auch für den geschichtlichen und kulturellen Bezirk jenes Grundaxiom des Thomas von Aquin gilt, daß die Gnade die Natur nicht zerstört, sondern voraussetzt und vollendet zu ihrer möglichen Wirksamkeit. Diese Fragestellung wurde näher berührt, weil sie jener geschichtsphilosophischen Antinomie analog, ja integrierend ist.

Auch die dritte Theorie, den geschichtlichen Verlauf unter dem Zeichen der Linie zu sehen, entbehrt nicht großer Fragezeichen. Zwar sucht man die Allgemeingültigkeit in ihrer Macht über die Geschichte einzuschränken, die Abläufe sind nicht mehr gesetzlich geordnet bzw. „verordnet", sie werden vielmehr nur zu Maßstäben, Zielen, Idealen einer vorgegebenen Wertordnung „degradiert“, doch gewinnt hierbei wiederum diese vorgegebene objektive Wertordnung in ihrem Zusammenhang mit einer übergreifenden Maßstabsgesetzdichkeit ihre tiefe Problematik. Dieser Weg führt schließlich zum Primat des Individuellen im Historismus, wovon noch die Rede sein soll.

III. Geschichte als Fortschritt der Menschheit

Mit der fortschreitenden Herauslösung des Menschen aus der abendländischen Daseins-ordnung ging auch fortschreitend das Herzstück eines Geschichtsbildes verloren, nach dem der Mensch erst von Gott her weiß, was Mensch-sein heißt. An Stelle einer im Mysterium verankerten Heilsordnung und Eschatologie trat eine „aufgeklärte" welthafte Heilsgewißheit: das neue Evangelium vom Fortschritt der Menschheit. Die Fortschrittsidee in der Geschichte setzt immer ein Wissen um ein Ziel der Geschichte voraus, das angesteuert und zum Ende gebracht werden soll: In der Linie eines religiösen bzw. metaphysischen „Geschichtsoptimismus" hat Herder in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" noch eine organische Geschichtsauffassung vertreten, die noch im christlichen Bezug steht: „Die Geschichte ist Schauplatz einer leitenden Absicht auf Erden, wenngleich wir nicht die letzte Absicht sehen sollen, Schauplatz der Gottheit, wenngleich nur durch Öffnungen und Trümmer einzelner Szenen." Kant hingegen bestimmt das Ziel der Geschichte der Menschengattung als die Vollziehung eines verborgenen Planes der Natur. Worin aber besteht dieses Ziel? In der Erreichung einer allgemeinen, das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft, in einem allgemeinen weltbürgerlichen Zustand, der auch der göttlichen Vorsehung entspricht. Dies ist nach dem Königsberger der Sieg des guten Prinzips über das Böse und die Gründung des Reiches Gottes auf Erden: die Ersetzung des Kirchen-glaubens durch Moralität. Für Fichte steht am Anfang das Zeitalter der „natürlichen Unschuld", es wird abgelöst durch das Zeitalter der „vollendeten Sündhaftigkeit". Im dritten Zeitalter erfolgt die Umkehr: daß die Menschheit ihre Zustände „mit Freiheit und der Vernunft gemäß" ordne. Fast naiv muß seine Überzeugung erscheinen: „Dieses Erdenleben samt seinen Nebengliedern läßt sich aus dem schon hienieden vollkommen möglichen Einheitsbegriff des ewigen Lebens ableiten." Christliche, nationale und dialektische Gedanken laufen hier zusammen. In Schelling verbindet sich der dialektische Dreiklang mit dem Gedanken einer Entfaltung der christlichen Idee vom Petrinischen über das Paulinische zum Johanneischen Christentum Und stehen nicht noch heute viele nichtchristliche Ideologien einer Erziehung des Menschengeschlechts unter dem vernunfttheologischen Aspekt Lessings?

Für Hegel ist die Dialektik Angelpunkt der Systematik: Die Wirklichkeit ist die Selbstentfaltung des absoluten Geistes, der in Gegensätzen und ihrer Aufhebung fortschreitet. Eine Idee wird gesetzt, ihr setzt sich die Gegenidee entgegen, beide werden vereinigt, „aufgehoben" in dem dreifachen Sinn des Negiertwerdens, des Aufbewahrtwerdens und des Hinausgehobenwerdens zu einer höheren Einheit. Geschichte ist Entfaltung des absoluten Geistes bis zur Bewußtheit seines Wesens, und das ist Freiheit. Hegel sieht mit Fichte das vollendete Zeitalter mit seiner Zeit heraufziehen: Der preußische Staat ist die Vollendung der Staats-idee, das protestantische Christentum die Vollendung der religiösen Idee, die Hegeische Philosophie die Vollendung der Philosophie überhaupt. Wenn die These besteht, wonach alle philosophischen und in Sonderheit geschichtsphilosophischen „Systeme" über dem Hintergründe einer je bestimmten Weltanschauung möglich sind, wonach jede Philosophie im Kontrapunkt zu einer bestimmten „Theologie" steht von der sie zugleich gleichsam lebt als von einem fundamentalen „Existential", so wären die Philosophien des Deutschen Idealismus, zumal seine Geschichtsmetaphysik, wie auch die Humanitätsidee der Goethezeit ein eindeutiger Beweis dafür, die nur aus ganz bestimmten religiös-synkretistischen Ursprüngen her verständlich werden können. Eine solche Einsicht verbietet dann von selbst jene verbreitete These, daß anderswo abhängige Philosophien, hier aber „reine" Denkweisen den Anspruch auf voraussetzungslose Allgemein-gültigkeit erheben könnten.

Geschichte ist die Selbstverwirklichung und Selbstvollendung der Weltvernunft, ist der Weg des Menschen zu sich selbst, ist demnach der „Fortschritt des Geistes im Bewußtsein der Freiheit" — dieses panlogische System Hegels, mit dessen Zusammenbruch auch zugleich die tiefe Ratlosigkeit jeder neuzeitlichen sinn-erhellenden Geschichtsphilosophie offenbar wurde, lebt indes noch fort, gewissermaßen „umgestülpt" im historischen Materialismus. Eine Zauberformel als „Weltformel" bezieht sich auf den „Prozeß" — Prozeß als determinatorischer, das heißt nach notwendigen, unabänderlichen Gesetzmäßigkeiten sich vollziehender Ablauf alles inneren und äußeren Geschehens, in der Natur, in der Gesellschaft, in der Geschichte, ja auch im Menschen selbst. In diesem ideologischen System sind Natur und Geist nur verschiedene Formen der sich bewegenden Materie. Natur und Geschichte stellen ein einheitliches Ganzes dar, von dem her auch der Mensch gedeutet werden muß. Eine alles umgreifende Gesetzmäßigkeit durchzieht die Geschichte, die Gesellschaft, die Natur. Daher ist auch der Mensch den Grundsätzen der Gesellschaft unterworfen. Denn Materie, Natur und Gesellschaft zeigen einen unüberschreitbaren gesetzmäßigen prozeßhaften Charakter, wobei die Materie mit ihren Produktionskräften die treibende Kraft bleibt. Dieser geschichtliche Prozeß hat seinen Anfang „in einer ihrer noch nicht selbst bewußten Menschheit" und findet Abschluß und Ziel „in einer sich selbst bewußten Gesellschaft". Erst in der Zukunft liegt das Paradies — jener christliche Himmel ewiger Seligkeit — nur in das Diesseits übertragen. Der Mensch muß sich seiner personalen Möglichkeiten freiwillig begeben — dies allein heißt hier Freiheit — und sich den wissenschaftlich erkennbaren Gesetzmäßigkeiten unterordnen, ihnen zu ihrer Verwirklichung verhelfen. Der Mensch wird zum Funktionär eines gesellschaftlich-geschichtlichen 'Weltprozesses. Erkennen ist für den Menschen dann nur ein „Abbilden" der gesetzmäßig bestimmten Wirklichkeit und ihrer Entwicklung. Wissenschaft erhält in einem solchen System einen höchsten Rang: Wissenschaft wird zum Heilsgeschehen schlechthin. Hier bedeuten nur noch wirtschaftliche Tendenzen wirksame geschichtliche Triebkräfte; auch alle geistigen Strebungen, wie Religion, Wissenschaft, Kunst, sind nur als abhängige Funktionen ökonomischer Gesellschaftsstrukturen und Arbeitsprozesse zu betrachten. Endziel des dialektischen Prozesses bildet die klassenlose Gesellschaft — ein wirtschaftssoziologisches Paradies Wissenschaft, auch und besonders die Wissenschaft von der Geschichte, bedeutet dann nur den Weg zur Erkenntnis der soziologisch-ökonomisch-technologischen Gesetzlichkeit als Schlüssel zur mitvollziehenden Erfüllung des determinatorischen Geschichtsprozesses.

Diese Lehre von der Lebens-und Weltgesetzlichkeit ist somit nicht nur ein politisch-ökonomisches Phänomen, wie dies noch häufig genug mißverstanden wird. Jene Lehre will innerweltliche Heilslehre, Botschaft eines neuen Erlösungsweges des Menschen und der Menschheit sein, trägt also numinosen, das heißt doch dann religiösen, zumindest aber quasi-religiösen Bedeutungscharakter. Die neue Verkündigung dieses östlichen Heils, das ja letztlich aus westlichen Wurzeln stammt, will Heilsmission im eigentlichen Sinne sein. Die Sehnsucht nach dem „Ewigen Reich", dem Idealreich, dem Reich der Vollendung zeichnet den Hintergrund ab „für alle Vorstellungen und Hoffnungen, die mit jener Idee von den Tagen des Urchristentums bis zum'modernen philosophischen Idealreich und bis zum chiliastischen Eschatologismus in der abendländischen Geschichte zu verfolgen sind"

In der Idee des Fortschritts liegt also für das moderne Denken noch der einzige Ansatz zur* Lösung des Geschichtsproblems Seit der Aufklärung ist man sich bewußt, daß die Zeit der Freiheit in der Vernunft, der wahren Menschlichkeit angebrochen ist, daß es eine Erziehung des Menschengeschlechts zur wahren Menschlichkeit gibt. Neben diese Fortschrittsidee trat der Gedanke der Entwicklung, womit die bis dahin negativ beurteilte geschichtliche Vergangenheit unter der Perspektive der anthropologischen Entwicklung und Reifung ihre relative Wertigkeit fand, wovon noch die Rede sein soll. Daß dieser Aspekt den Ansatz für die Eigenwertigkeit jeder Zeit-epoche und jedes Volkes bedeutete, ja schließlich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sei nur angemerkt. Fortschritt, Entwicklung, Gesetzmäßigkeit und Natur bilden seitdem die fundamentalen Kategorien, unter denen sich neuzeitliches Geschichtsdenken zu begreifen sucht. Doch reichen eben alle rationalen Begründungen zur Befestigung eines irdisch-schönen Endzustandes nicht aus. Leben nicht alle diese wissenschaftlichen, weltanschaulichen und politischen Ideologien auch von einer geheimen, im Grunde religiösen Hoffnung, daß die „Tragödie der Weltgeschichte" einmal zu Ende gehen werde? Von hier aus ergibt sich auch die psychologische Beweiskraft jener These, die für die Staatslehre C. Schmitt für die geschichtlichen Perspektiven Karl Löwith u. a. vertreten haben, daß alle Fortschrittslehren wie auch Staatsbegriffe der Neuzeit säkularisierte, das heißt aus der zentralen Gottbezogenheit losgelöste Begriffe sind. Aber wenn — wie der Positivismus es meint — die Abfolge vom religiösen über das metaphysische zum „positiven" Stadium in der menschlichen Geistesentwicklung gerade keinen Abfall, kein Symptom des Endes, sondern Fortschritt darstellt? — Fortschritt? Man fragt: Zu welchem Ziel? Zur reinen Vernunft, zum allgemeinen geistigen oder wirtschaftlichen Glück? Fortschritt um des Fortschritts willen — also das strebende Bemühen als der Weisheit letzter Schluß? Und wenn als Endziel die Humanität in Frage steht: Welchen Inhalt soll dieser Wert haben? Die Harmonie der Gesamtpersönlichkeit oder der ganzen Menschheit? Die Menschlichkeit — als Gott-zugehörig oder nur dem Menschen zu eigen? Oder vielleicht gar nur als ein verschwommenes Ideal-bild Dies sind keine formalen, dies sind unüberschreitbare Entscheidungen in der Bestimmung der persönlichen wie geschichtlichen Sinngebung. Begnügt man sich aber im Sinne von Auguste Comte mit der Erfahrung des Bedingten, des Relativen, löst man die Geschichtsphilosophie auf in eine Gesellschaftslehre, dann sollte man sich ebenso nicht darin täuschen, daß eine solche Lehre ohne letzt-gültigen Sinnbezug bleiben muß.

IV. Historismus und Relativität

Indes wird der eigentliche Antrieb der neuzeitlichen Problematik zur Sinnfrage der Geschichte, deutlicher: des Geschichtlichen, in der Entdeckung des geschichtlichen Bewußtseins erblickt. Platonismus und Rationalismus glauben an eine einzige und gleichbleibende Idee vom Menschen. Der wesentliche Kern des Menschen ist immer und zu allen Zeiten derselbe. Seine Substanz ist im Ewigen verhaftet — unabhängig von den Wandelbarkeiten der Geschichte, die den Kern nicht berühren, nur äußerlich bleiben. Hier gibt es eigentlich keinen spezifisch geschichtlichen Bezirk des Menschen als jene „Dimension der menschlichen Selbstentfaltung" Da im überzeitlichen Urbild, in der reinen Idee das Wesen des Menschen schlechthin gründet, bleibt sein Wesen konstant, soweit es seinen innersten Kern betrifft. Der Kern des Historismus dagegen besteht in der Ersetzung einer generalisierenden, das heißt typischen Betrachtungsweise geschichtlich-menschlicher Kräfte durch eine individualisierende Mit diesem neuen Sinn für das Individuelle in seiner geschichtlichen Einmaligkeit, mit dieser wesenhaft geschichtsphilosophischen Denkweise, nach der an Stelle der einen Menschheitskultur eine Fülle von Kulturen trat und der Mensch — zu allen Zeiten ein anderer — in immer andere Gestalten zerfloß, ging trotz allen Bemühens das übergreifende der Wahrheit, des Wertes, des Geschichtsbewußtseins im Grunde verloren. Hier gibt es keinen gemeinsamen Kern des Menschen. Er ist ganz in den geschichtlichen Wandel selbst einbezogen. „Der Typus Mensch zerschmilzt in dem Prozeß der Geschichte." An Stelle des festen Typus Mensch tritt die Variabilität des Menschseins. Man kann von einem „ontologischen Verflochtensein“ des Mensch-seins mit dem Geschichtlichen sprechen. Die Geschichte ist danach der Inbegriff dessen, was aus menschlicher Freiheit hervorgeht. „Weil er frei ist, deshalb ist er geschichtlich so wechsel-voll."

Noch Herder vermochte weit-und zugleich volksgeschichtlich zu denken. Aber gerade schon sein Geistesweg ist wesentlich gekennzeichnet durch jenes bedrängende Spannungsfeld zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen, zwischen transzendent-göttlicher Lenkung und weltimmanent-naturgesetzlichen Faktoren, zwischen dem Machtbereich Gottes und dem Wirkbereich des Menschen in der Geschichte. Seine organische Betrachtung jedoch, wonach Geschichte unter dem Bilde der Entwicklung, der Eigenbedeutung der Lebensalter, unter der Symbolik des Baumes als naturhaf-ter Wachstumsprozeß begriffen wird — wonach jede Nation den Mittelpunkt ihrer Glückseligkeit in sich selber trägt, wie jede Kugel ihren Schwerpunkt —, dies ließ neue Perspektiven geschichtlicher Wertbeurteilung, eben die Eigenbewertung eines jeden Zeitalters und Volkes, wirksam werden. Und während auch noch Rankes Überzeugung, daß jede Zeit unmittelbar zu Gott sei, daß ihr Wert gar nicht in dem beruhe, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, den Anspruch eines personalen Gottesglaubens und das universal-christliche Geschichtsziel einer Bildung, Erhaltung, Ausbreitung der Kulturwelt anerkannte, bleibt mit dem Schwinden eben dieses Glaubens an einen göttlich-absoluten Bezugs-pol nur noch der relativistische Zerfall in je besondere Standpunkte und Blickpunkte. Sinn kann die Geschichte danach nur als zentrierender Teilaspekt erhalten, als isolierter Sinn-gehalt einer jeweiligen Zeitepoche, Gesellschaftsform, Religionsform, ja eines jeweiligen Menschseins. Was mit der Preisgabe einer im Sein der Dinge wie in der Konstanz der menschlichen Natur verhafteten objektiven allgemeingültigen Wahrheit verloren ging, suchte man schließlich in der unmittelbaren existentiellen „Begegnung", der reinen „Gleichzeitigkeit" und „Wiederholung", als die je meinige Wahrheit und Geschichtlichkeit zu retten, die nur noch im Bezug zur „reinen Existenz“, das heißt zur „reinen Innerlichkeit" steht

V. Die Abschaffung Gottes

Mit dem Schwund des Gottesglaubens im christlichen Verständnis wuchs die wesenhaft neuzeitliche Erfahrung des Menschen: daß diese Menschen ohne Hilfe eines Gottes so recht eigentlich Mensch sein wollen, daß also das Heil des Menschen vom Menschen und in seiner Welt allein erwartet wird — nicht aber mehr von einem Gott her als Befreiung von Sünde und Schuld erfahren wird. Die Selbst-genügsamkeit des Menschen, sein Rückbezug auf eine nur menschliche und in sich verschlossene, diesseitige Weltansicht können geradezu als Charakteristikum der Moderne gelten.

Der Überzeugung, daß der Mensch erst von Gott her weiß, was Menschsein heißt, steht eine große neuzeitliche Gegenbewegung, ja Gegenkirche gegenüber. Ihre Dogmatik reicht von den unspezifischen, unpersönlichen Gottesvorstellungen bis zu der Forderung, daß es keinen Gott geben könne, wenn der Mensch ganzer Mensch sein soll, das heißt, daß die absolute Freiheit des Menschen ihn als solchen bestimmt. Für diesen postulatorischen Atheismus stehen die Namen Friedrich Nietzsche, Max Scheler, Nikolai Hartmann bis zu Camus und Sartre. In einer einzigartigen Weise hat sich die These von Max Scheler in zunehmender Weise erhärtet: „In keinem Zeitalter sind die Ansichten über Wesen und Ursprung des Menschen unsicherer, unbestimmter, mannigfaltiger gewesen, als in dem unsrigen ... Wir sind in der ungefähr zehntausendjährigen Geschichte das erste Zeitalter, in dem sich der Mensch völlig restlos problematisch'geworden ist; in dem er nicht mehr weiß, was er ist, zugleich aber auch weiß, daß er es nichtweiß." Der Weg zum Menschen aber führt, so heißt es hier weiter, über den Bruch mit allen Traditionen über Gott und den Menschen. In dem neuen postulatorischen Atheismus des Ernstes und der Verantwortung tritt für Scheler die Person in allen ihren Attributen und Ansprüchen an die Stelle Gottes. „Der Mensch ist Person" bedeutet, daß „die Fülle der Verehrung, der Liebe, der Anbetung, die einst die Menschen auf Gott und ihre Götter ausgeschüttet haben, dann dieser Art von Personen gebührt.“ In Abwandlung solcher Thesen wird Gott als Schöpfer seiner selbst, als homo Creator, erfahren, Gott aber mit der Kultur in eins gesetzt. Religion wird dann zum nur zweckbedingten Mittelwert. Sie hat nur noch Gültigkeit, um mit Hilfe ihrer Leitbilder den Menschen über sich selbst hinauszuführen. Wenn vordem die Auffassung galt, daß Religion wesenhaft nur Maß und Mitte aller Bezüge sein kann, so tritt an die Stelle der Religion die Gesellschaft. Aus der Gesellschaft gewinnt der Mensch die Maßstäbe seines Handelns.

Solche Grundhaltungen sind nicht eine atheistische Kampfansage an Gott und die Religion. Sie sind nicht einmal das. Sie werden bestimmt von einer Gleichgültigkeit der Gottesfrage gegenüber. Als latenter und praktischer Atheismus zeichnet ein solches Selbstverständnis eine Existenzmöglichkeit ab, jenseits von Gott und Transzendenz sein zu können Es bedarf eines Gottes nicht mehr, um sich als Mensch begreifen zu können. Religion wird zum Relikt vergangener Zeiten, nötigenfalls noch zum tolerierten Hilfsmittel für „höhere Gesichtspunkte", die oft genug nur den Verlust eines echten Gesichtspunktes überhaupt anzuzeigen vermögen. Gott wird — wenn überhaupt — in Augenhöhe mit dem Menschen erfahren und somit im Grunde verloren. Dieser homo Creator, der als „Macher" dieser gemachten Welt sich selbst und nur sich selbst als Schöpfer versteht — hier erscheint die genaue Umkehrung der Erfahrung jenes Veni Creator Spiritus einer jahrtausendealten christlichen Existenzerfahrung im Abendland. Das letzte Wort des Heils bezeichnet dann die existentielle Entschlossenheit, trotz aller offenbaren Sinnlosigkeiten einfachhin fraglos zu existieren und das zu tun, was eben gerade „anfällt". Ethos besteht dann nur noch in dem stoisch-gezeichneten Ertragen dessen, was auf uns zukommt — uns trifft. Das Scheitern gehört zur Merkmaligkeit jedes menschlichen Beginnens — im Denken und im Handeln. Dabei jedoch bliebe eine solche Erfahrung des Scheiterns fundamental anders zu fixieren als jene Kontingenzerfahrung von der Vorläufigkeit und Ohnmacht des Menschen und seiner Hilfsbedürftigkeit durch die Gnade Gottes, wie es einem wesenhaft christlichen Existenzbewußtsein eignet. In jener Desillusionierung alles denkenden und handelnden Bemühens im Ringen um eine Sinnfindung für den Menschen und seine Welt bleibt ein so verstandener atheistischer Humanismus in seinen heute so vielschichtigen Bedeutungen und Begründungen das letzte Wort. Ernüchterung, Lebensekel und Angst mit ihren offenkundigen neurotischen und sonstigen psychopathologisehen Folgeerscheinungen markieren die Grundbefindlichkeiten eines solchen „heroischen" Daseinsverständnisses. „Ohne absoluten Grund zu fassen, halten wir uns gegenseitig in der Schwebe über dem Abgrund" — so hat Eberhard Grisebach diese Unheimlichkeit einer solchen menschlichen Situation letzter Ausweglosigkeit charakterisiert. Es ist schon bezeichnend, daß heute das In-der-Welt-sein von vielen als die eigentliche Tragik empfunden wird. Heute fehlt diesen Menschen der „Grund" zur Übernahme jener bedrängenden inneren Spannung zwischen Selbstverhaftung und Weltverstrickung, zwischen dem Anspruch des Lebens und einer sinnlosen, zumindest aber unbefragten oder unbeantwortbaren Daseinsbestimmung. über solchen Erfahrungen gewinnt unsere Frage nur noch den Horizont des Nihilismus, der einst von Nietzsche als die „Umwertung aller Werte", als die neue Botschaft, daß Gott tot sei, für den Menschen nichts bedeutet verkündet wurde. Seine Proklamation des „Übermenschen" mit der Bejahung der Tragik im „Willen zur Macht" mündete in die Bejahung im Willen zur Sinnlosigkeit. Was blieb, ist die Einsicht, daß das Leben nur immanent erfahren werden kann, daß die Vergänglichkeit keine Lösung oder Erlösung von den „Übeln" zuläßt, daß der Mensch nur selbst zum Erlöser des Daseins werden muß.

Eine Flut von Veröffentlichungen befaßt sich mit den Gründen, den Formen, den Wirkungen des Atheismus in der Gegenwart. Das Leben als Lebensmöglichkeit ohne Gott hat eine breite Bewußtseinslage eingenommen, die von dem postulatorischen, systemgebundenen kollektivistischen Atheismus bis zu dem existentiellen, konstruktiven, neurotischen, praktischen Atheismus reicht. Ja, darüber hinaus wird die Erfahrung aktuell, daß auch im christlichen Raum Gott keine Wirklichkeit zugesprochen werden kann, weil nach der existentialtheologischen These Gott nicht als Objektivierung einer Idee oder einer Macht verstanden werden kann Jene andere Meinung, daß im Grunde ein gottloser Mensch gar nicht denkbar wäre, daß es sich heute nur um eine Umschichtung des Gottes-und Glaubensbewußtseins handele, sollte als These ernsthaft erwogen werden, obwohl wir hierfür wenig Anhalt zu gewinnen vermögen.

In solchem Zusammenhang wird der Gedanke interessant, inwieweit die großen philosophischen Systeme als „Entwürfe" von Menschen-, Welt-und Geschichtsbildern in der heilsmäßigen Ebene datiert werden müßten. Dies gilt ebenso für die Platonische Heilslehre, für die Erlöserlehre Plotins wie für die großen Systembildungen des Deutschen Idealismus eines Kant, Fichte, Hegel. Der „Philosophische Glaube" von Karl Jaspers könnte heute neben den Existentialisten und den Soziologisten als sehr beweiskräftiger Be-leg dienen. Indem Jaspers alle Mythen und Religionen nur als „Chiffren" betrachtet wissen möchte, zerstört er alle bestimmten Inhalte und sucht die Flucht gewissermaßen „nach oben", über die Aufklärung hinaus in die „freischwebende Bodenlosigkeit des Denkens". Er hält sich selbst, ohne einen Halt zu haben — eine Bemühung, die trotz mancher Beschwörung der Transzendenz letzthin ohne wesen-hafte Transzendenz bleibt. In die Ebene einer Selbst-und Weltdeutung ohne das Göttliche gehört dann Marfin Heideggers These, der Gott oder die Götter einem Sein unterordnen will, dessen Hirte der Mensch sei Dies nur als Beispiele, daß auch philosophische „Systeme" — denn solche sind es, auch wenn sie es nicht sein wollen — Verkündigungen sind, die Sinn und Sein der menschlichen Existenz deuten und erhellen wollen und daher mit einem oft ideologischen Absolutheitsanspruch durchaus heilsmäßigen Charakter tragen.

Die Umkehrung der menschlichen Bewußtseinslage an der Schwelle zur Neuzeit bewirkte jene „kopernikanische Wende", die von dem objektiven Sinngehalt der seienden Dinge, den man erkennen konnte, das Gewicht in das menschliche subjektive Bewußtsein verlagerte, welches den Dingen erst Sinn verbürgte. Dieser neuzeitliche souveräne Mensch erfuhr sich fortschreitend als allein auf sich selbst gestellt, der dem Sein und der Geschichte erst einen Sinn zu leihen vermochte. Jetzt also erst wurde der Mensch im eigentlichen Sinne das geschichtliche Wesen, das sich seine Weltanschauung selbst erst schöpferisch ermöglichen kann. Dann also ist es in der Tat so, daß wir nun „immer vor dem Nichts stehen, wenn wir uns nicht für eine bestimmte Weltanschauung entscheiden" Die Eroberung der „absoluten" Freiheit wurde damit aber ebenso zum tiefsten Problem, das sich in der Verlegenheit um einen selbstgesetzten Sinn für die menschliche Existenz und die Geschichte anzeigt Zum Signum unserer Epoche wurde weithin der „absurde Mensch" der Mensch also, der um seinen Sinn nicht weiß, in dem Streben, an sich selber Genüge zu finden. Damit aber erscheinen alle jene bedrängenden Denkungsarten und Lebenshaltungen, die mit dem Namen Nihilismus verbunden sind. Bedrängend deshalb, weil für den Menschen von sich aus und allein aus sich heraus keine Möglichkeit besteht, zu einem tragenden Sinnbezug zu gelangen. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte mußte dann notwendig als absolut unlösbares Fragezeichen Stehenbleiben.

VI. Die Krise des christlichen Existenzbewußtseins

Doch ist unser Geschichtsverständnis nicht weithin noch aufgehoben im christlichen Glaubens-und Lebensverständnis? Verbürgt nicht dieser Raum noch einen solchen dominanten Akzent auch in der Gegenwart?

Für das abendländische Bewußtsein war das Christentum in seiner verschiedenen Gestaltwerdung der Konfessionen, der Gemeinschaften, der Begegnung Verbindung und Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Strömungen der abendländischen Geistesgeschichte, der Antike, dem Humanismus, dem Idealismus und so fort strukturell bestimmend gewesen. Ohne diese Perspektiven gäbe es nicht das, was wir „Abendland" nennen. Dies zu bestreiten, hieße verfälschende Geschichtsklitterung betreiben. Allein um so berechtigter erscheint dann die Frage: Hat diese christliche Religion heute noch einen den einzelnen und die Geschichte strukturell, das heißt doch einen wesenhaft bestimmenden Stellenwert und Bedeutungscharakter? Haben jene Recht, die behaupten, die Christianisierung des Abendlandes, sofern man darunter die Christianisierung der Einzelseele versteht, sei mißlungen? Und welches Christentum ist denn gemeint: das katholische oder das lutherische, das idealistisch-ethische oder das liberale? Oder nur das aus Tradition überkommene nominelle, das nicht mehr fragt oder zu fragen wagt nach seinem eigentlichen Sinn und Grund? Das Christentum war im Mittelalter und auch noch im 19. Jahrhundert die herrschende Religion. Heute ist dies nicht mehr zutreffend. Es ist zwar noch offiziell die Religion der Mehrheit der Bürger als Religionszugehörigkeit — Zugehörigkeit, nicht etwa Bekenntnis oder gar existentieller Lebensvollzug. Was heute unsere Situation bezeichnet, ist die noch fortschreitende Herauslösung des Menschen aus einer noch christlich signierten Daseinsordnung, mehr noch aus dem christlichen Existenzbewußtsein, was eben mehr besagen soll als die korrekte Zugehörigkeit oder die konventionelle Inanspruchnahme der Kirchen bei einigen Stationen des Lebenslaufes wie bei der Geburt, der Eheschließung, dem Tod. Ja, man hat von einer Abwanderung des nervösen Menschen vom Seelsorger zum Nervenarzt gesprochen Eine nur noch traditionell übernommene und in statistischer und macht-politischer Gültigkeit stehende Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession mußte notwendig zur Unechtheit, ja für viele zu einer unaufhebbaren seelischen Konfliktsituation, zur geheimen Lebenslüge führen. Nimmt man aber das Christentum als eine den Menschen in seiner Tiefe erfassende Heilsbotschaft, so bleibt wohl nur eine „kleine Herde“ gegenüber jenen Massen, die außerhalb dieses Lebensbekenntnisses stehen und im Grunde eine vielschichtige, schwer bestimmbare „dritte Konfession" bilden. Christliche Existenzerfahrung wurde und wird doch oft genug verwechselt mit quantitativen Bestätigungen oder gar mit politischen Gruppenstärken, mit gesellschaftlichen und staatlichen Befestigungen. Vor allem wird die beschwichtigende Rede und Ausrede von dem noch erhaltenen Restbestand christlicher Existenzformen, Moralismen und gesellschaftlicher und humaner Werttafeln, die sich als säkularisierte Relikte kristallisiert haben, ständig an Wirklichkeitsdichte und Überzeugungskraft verlieren müssen. Dies schon deshalb, weil etwa ein kapitalistisches System als Lebensform mit dem genuin Christlichen nicht aufgeht, ja geradezu als eine Verkehrung des Christlichen erfahren werden könnte. Dies um so mehr, als die traditionelle Verbindung des kirchlichen Christentums mit Besitz und Kapital und Macht den Weg zur Verwirklichung dieses Evangeliums mit dem Kennzeichen der Hilfe und der Armut und der Selbstverleugnung oft genug verstellte. Der Sozialismus klagt mit Roger Garaudy an, daß die konstantinische Tradition der Kirche alle Klassenherrschaften sanktioniert hat: Sklaverei, Leibeigenschaft, Lohnarbeit. Aber war nicht der Sozialismus einstmals die auslösende Kraft zur Rückbesinnung auch der Kirche auf die Sorge um die Rechte des unterdrückten und vergessenen Menschen, für den sonst oft genug nur der Trost der Hoffnung auf den himmlischen Lohn bereit stand?

Man hat von einer verhängnisvollen Zweigleisigkeit im modernen Bewußtsein gesprochen, jenem Dilemma, das den Menschen heute zwischen die religiös-kulturelle Tradition und ein neues naturwissenschaftliches Weltbild stellt — in seine persönliche Fragwürdigkeit. Tatsächlich ist nun aber der Einbruch neuer naturwissenschaftlicher, tiefenpsychologischer, soziologischer, moralischer Dimensionen so gewaltig, daß diese Aspekte bisher noch nicht organisch hineingenommen werden konnten in den religiösen, theologischen, philosophischen, kultursoziologischen Bereich jener christlichen Tradition. Heute ist jeder Mensch irgendwie auch in seiner „Weltanschauung" von jenen neuen Denkformen mitbestimmt. In der Frage aber, welchen Platz dieses neue Weltverständnis jeweils einnimmt — ob es sich einer traditionellen Weltanschauung einfügt, oder ob es einseitig dominierend keinen Platz für andere angestammte Denkformen und Verhaltensweisen beläßt, ob es als gefahrvoll verbannt wurde, also einen unbewältigten Fremdkörper bildet —, liegt jene persönliche Grundentscheidung, die zugleich auch die Antwort auf die Frage nach der Wahrheit und der Lebenskraft der christlichen Botschaft einschließt. Dies betrifft ebenso bestimmte neue anthropologisch-biologische Erkenntnisse wie auch jene umstürzenden neuen Erkenntnisse über die Materie, die Substanz und die tiefenseelischen und geschichtlich-personalen Grunderfahrungen.

Hier aber tritt die eigentliche Problematik zutage: Beides ist wirklich, die christliche Tradition mit ihren Sinn-und Wertbezügen und die neuzeitliche Aufklärung mit ihren neuen geistes-und naturwissenschaftlichen Perspektiven. Damit erscheint eine im tiefsten bedrängende Fragestellung, die eine klare Stellungnahme zu einer Problematik abfordert, welche die Möglichkeiten und Grenzen einer „Aufklärung" und „Modernisierung" des Christli-chen und des Christentums betrifft. In den großen christlichen Konfessionen stehen sich heute die Traditionalisten und die Progressisten wie feindliche Brüder gegenüber. Hier geht es um fundamentale Entscheidungen über das Verständnis des Christlichen, um Entmythologisierung, Preisgabe zentraler Glaubenssätze, etwa der Erbsünde, der Erlösung, der Gottessohnschaft Christi. Andererseits wird eine scholastische Tradition mit ihrer Verbindung von griechischer Seinsmetaphysik und Evangelium in Frage gestellt, um das Eigentlich-Christliche in seinem personalen Bezug freizustellen Dabei soll man sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die nicht mehr aufhebbare Kategorie der Geschichtlichkeit immer und notwendig auch zugleich in die Konsequenz der Relativierung geraten kann, ja vielleicht geraten muß. Hier leuchtet ein Problem auf, das heute in der leidenschaftlichen Diskussion über Christentum, absolute Wahrheit und geschichtliche, zeit-und situationsbedingte Existenz das traditionelle kirchliche Glaubensbewußtsein beider Konfessionen in seine wohl eigentlichste Zerreißprobe stellt

Die neue Welt ist versachlichte Welt. Ein neuer Menschentyp scheint sich anzumelden. Wir meinen den kühlen, rechnenden, praktischen, kritischen Kontrollund Erfolgsmenschen. Die ganze Skala des Stimmungsbogens, die Gefühls-und Wertgerichtetheit, die seelische Innenlenkung, die Besinnung und Gesinnung, steht jenem Bild geradezu entgegen. Ein neuer Wandel zur versachlichten Welt, zur Sache, mußte notwendig eine Wandlung des Menschen selbst und des Menschlichen bewirken. Die tiefste Frage lautet dann: Wie weit und wie tief und wie radikal diese Umstrukturierung des neuen Menschen greift. Bedeutet dies auch eine prinzipielle Änderung der Bewußtseinsstruktur? Wäre dann womöglich gar kein „Organ" für die Erfahrung einer bisher geltenden Wertwelt, des Rechts, der Liebe, der Schuld, ja auch des Heiligen mehr vorhanden? Woran sollte aber dann die christliche Botschaft noch einen Wirkungsansatz finden, wenn diese Kategorien, auch also die Person als der Inbegriff der geistig-seelischen „Mitte", gar nicht mehr erreichbar wären? Aber weisen nicht die Banalitäten unserer modernen Bühnen-, Film-und Fernsehproduktion wie auch die zahllosen Druckerzeugnisse oft genug nur noch in den Grenzraum zur schizophrenen Psychopathologie, zur sexuellen Reizschwelle oder zur Kriminalsensation hin?

Im Gedränge solcher Massenwirkungen findet sich heute die christliche Botschaft fast wie jene Dome, die inmitten der modernen Städte noch wie Museumsstücke ihr Leben fristen, wie metaphysische Zeugen in einer nur noch physikalischen Umwelt.

Die Strebungen zur Vereinheitlichung in einer globalen Welt müssen notwendig eine Auflösung der individuellen Differenzierungen zur Folge bzw. schon zur Voraussetzung haben. Auch die Welt der Religionen drängt immer enger zusammen. Die christliche Botschaft gerät in die Vergleichsebene zu anderen Welt-religionen. Zwischen dem Anspruch auf absolute Wahrheit und brüderliche Toleranz wird sie künftig nur schwerlich noch ihren Weg finden können. Die Relativierung aller Glaubensformen in der Welt steht am Horizont einer übergreifenden Einheitstendenz der „Vereinten Religionen", welche die „Wahrheit an sich" nicht mehr kennt. Das neue Bewußtsein um die geschichtliche Existentialität muß letzthin auch in diesem Bezug in den Grenzraum relativistischer Bedeutungen geraten. Der neue Gott einer neuen Welt, das Kollektiv, das wie ein nicht aufzuhaltender Welfprozeß sich zu erfüllen scheint, steht aber teilweise der Religionswelt einer asiatischen Renaissance weit näher als der personalen christlichen Botschaft.

Das Christentum wird nicht mehr nur eine abendländische Signatur zum Maßstab haben können. Ein neuer Maßstab wird notwendig sein, um jene Denkungsart, wonach die Weltgeschichte mit dem abendländischen Menschentum und den christlichen Bewegungen gleichzusetzen wäre, abzulösen. Die Erkenntnis, daß es daneben hohe Formen eines asiatischen Menschentums und seiner Religionen gibt, beginnt sich zu behaupten. Die wesenhaft mit der geschichtlichen Perspektive verbundene christliche Religion muß im asiatischen Raum problematisch werden. Das „statische" Lebensgefühl des Asiaten ist, wie auch sein religiöses Existenzverständnis, weithin ungeschichtlich. Geschichte als ein fortschreitender und zielbestimmter Prozeß mit einem Anfang und einem Ende, wie sie von der christlichen Offenbarungsreligion erfahren wird, kann dort nicht genuin nachvollzogen werden, eben weil dies für die asiatische Seelenhaltung atypisch ist. Denn die Asiaten, hier näherhin die Ost-asiaten, sehen die Geschichte nicht als kontinuierliche Entwicklung, sondern als ein Panorama Zwar messen sie der Vergangenheit hohe Bedeutung zu, doch eben nur in ihrem stets gegenwärtigen Bedeutungscharakter. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte als eines chronologischen Ablaufs kann daher gar nicht gestellt werden. In diesem Verständnis sind die Asiaten „geschichtslos".

Die christliche Religion in ihren kirchlichen „Gestalten" stand im geschichtlichen Raum von jeher in einer offenbar unüberschreitbaren Zuordnung zu den jeweiligen geschichtlichen zeitgenössischen gesellschaftlichen, staats-und verfassungsrechtlichen Gegebenheiten und Entwicklungen. Der Rede, daß die Kirche mit keinem Gesellschaftssystem zu identifizieren, daß sie vielmehr immer eschatologisch bezogen sei, daß es keine „Verquickung von Verheißungsgeschichte und Gesellschaftsprozeß" geben dürfe, daß schließlich Kirche nicht eine Funktion eines gesellschaftlichen „Status quo" sein solle, stehen die harten geschichtlichen Tatsachen entgegen. Unterliegt „Kirche" als gesellschaftliche Größe nicht notwendig auch dem Gesetz der Geschichtlichkeit? Immer fanden sich die Kirchen beider Konfessionen in Korrespondenz, ja im „Abbildcharakter" mit den jeweiligen Herrschaftssystemen und ihren sozialen und wirtschaftlichen Prägungen, eben mit den Kultursystemen überhaupt. Dies gilt ebenso für die mittelalterliche Feudalgesellschaftsordnung wie für das „Landesherrliche Kirchenregiment" wie ebenso auch für die fürsterzbischöfliche Barockgesellsaft, deren Verabschiedung heute noch so schwer fällt. Die Verbindung von Thron und Altar und privilegierten Oberschichten, die Kanonisierung bestimmter Gesellschaftssysteme ist doch von der Sicht des Evangeliums aus ebenso fragwürdig wie die Verbindung von Münze und Altar. Erst heute aber, mit der wachsenden Herrschaft der breiten Masse, der Arbeiterschaft als soziologisch und zunehmend auch als kulturell und lebensstilistisch bestimmender Kategorie, wird jene benannte Korrelation problematisch. Der hierarchische Ordo im herkömmlichen Verständnis entspricht nicht dem Prinzip einer Lebensform als „Gottesvolk".

Wohl zum erstenmal in der Geschichte — von der besonderen inneren und äußeren Situation der Urkirche abgesehen — finden die Kirchen in der Industriegesellschaft nur schwerlich noch eine spezifische Entsprechung, was ihre „Weltansicht", aber auch nicht nur diese, angeht. Doch könnte nicht die These gültig sein, daß Kirche als Sozialgestalt nun geradezu ihre Sternstunde erfahren könnte, indem sie sich ihrer franziskanischen Botschaft erinnerte, für alle Menschen als Menschen, zumal aber für die Armen und Notleidenden, das Antlitz ihrer Knechtsgestalt aufleuchten zu lassen?

Dem bürgerlichen Christentum war und ist die Religiosität meßbar. Die Praktizierung von Religionsübungen ist der Gradmesser und Garant der Frömmigkeit, besser — was nicht dasselbe sein muß —: der Kirchlichkeit. Man dachte und denkt in staatsrechtlich abgesicherten Institutionen, weniger in Personen. Sollte dies nicht endlich fragwürdig werden? Ist immer noch ein Mensch, der sich korrekt äußerlich mit einer „Lebensversicherung" gegen den Himmel dokumentiert, in solchen Kreisen genehmer als ein Mensch, der — wie man hier sagen würde — in den Herden der verlorenen Schafe um die Wahrheit und um seinen Gott ringt? „Eine äußerlich homogene christliche Gesellschaft in Sitte, Recht und öffentlich verlautbarer Überzeugung" bedeutet doch noch keineswegs, daß — wie hierzu Karl Rahner bemerkt — „dieses Christliche auch wirklich in freiem Glauben, Hoffen und Lieben getan wird und so wirklich Ewigkeit zeitigt. Es kann auch sein, daß solches Christliche nur wirkt wie eine Art Dressur, fast als eine Weise subtiler Gehirnwäsche, als soziologischer Zwang und Routine, die bürgerliches Christentum, aber keine Freiheitstat erwirken und letztlich vor Gott belanglos bleiben."

Hier wird deutlich, daß es heute keine neutrale Sphäre der Entscheidungslosigkeit mehr geben kann. Lebensüberzeugung kann es nur noch als Bekenntnis, das heißt als freie, verantwortlich übernommene Stellungnahme zu einer ganz persönlich gewonnenen und erlittenen Sinngebung des Daseins geben. Die Freiheit der Religion im öffentlichen Raum sollte dabei ebensowenig einer besonderen Begründung bedürfen wie die nun endlich auch im II. Vatikanischen Konzil proklamierte Unverletztlichkeit und Respektierung des persönlichen Ge-wissensenIscheids des einzelnen. Der Nach-vollzug der Reformation als die Mündigkeitserklärung des abendländischen Menschen, nämlich die Übertragung eigener Entscheidung und Verantwortung, bedeutet im katholischen System-und Gehorsamsdenken eine Revolution Doch die These von der Mündigkeit kann auch hier nicht länger nur Hypothese bleiben. Aber sind denn hier wie auch im protestantischen Raum bei allen die geistigen und menschlichen Voraussetzungen dazu überhaupt gegeben? Erscheint hier nicht jenes große Fragezeichen, das auch die demokratische Lebensform oft genug in Frage stellt? Freiheit des einzelnen ist immer unbequem, ja gefährlich. Dies gilt ebenso für den religiösen wie für den geschichtlich-politischen Raum. Doch ohne das „Wagnis in der Freiheit" gibt es auch keine Verantwortung und keine gereifte Persönlichkeit. Aber gilt diese Freiheit tatsächlich auch im innerkirchlichen Raum und im Leben des Staatsbürgers? Ein offenes oder geheimes Staatschristentum ist in jeder Form eine mögliche Unterdrückung des Gewissens. Das sogenannte „Christliche Abendland" kann heute nicht mehr mit diktatorischer, parlamentarischer oder konventioneller Gewalt erzwungen werden. Dies gilt auch für Schul-und Kulturfragen. Christentum wird in dieser geschichtlichen Stunde nur insoweit noch wirklich sein, inwieweit es eben Christen gibt, die „an ihren Früchten“ erkennbar sein müßten. Christentum muß in dieser Stunde von jedem Menschen jeden Tag neu errungen werden, weil es ihm — um mit Max Picard zu sprechen — „in jedem Augenblick von der Zeit, in der wir leben, weggesogen wird"

Die christliche Botschaft von der Erlösung und vom Frieden, die allen jenen verheißen werden, die guten Willens sind, steht heute gegenüber den neuen Evangelien der gesellschaftlichen und technokratischen Revolution in der Entscheidung. Richtig ist, daß das Christentum seine geschichtliche Stunde annehmen muß. Unrichtig wäre, wenn man das Heil nur von Fortschritts-und Anpassungskomplexen erwarten wollte. Die christliche Botschaft kann nicht nur an den Strukturen und Meinungen einer totalen Gesellschaft gemessen werden, der Gott keine Wirklichkeit mehr ist. Wir meinen hier nicht etwa nur den Osten. Nicht nur die Gesellschaft hat die Fragen zu diktieren, das Evangelium hat ebenso und unpopulär und undiplomatisch auch eine solche Gesellschaft in Frage zu stellen — selbst um den Preis einer quantitativen Dezimierung. Der Bazillus der „Flucht nach vorn" bewirkte, daß viele im christlichen Raum, die gestern noch von vorgestern waren, heute schon von übermorgen sind. Die Welt dieser Wahrheiten und Werte aber ist höher, als daß sie sich nur dem Tages-anspruch oder existentiellen Geschichtlichkeiten anzupassen hätte. Die christliche Botschaft erfordert nun einmal eine Achsendrehung unseres gesamten Existenzbewußtseins. Wovon so wenig gesprochen wird: die „Bergpredigt" als ein Herzstück dieser Botschaft geht nun einmal in dieser Welt nicht auf, ja schlägt vielen angestammten Wert-, Rechts-und Lebens-tafeln geradezu ins Gesicht. Erst wenn Du Deinem Bruder vergeben hast, hat Deine Gabe vor dem Opferaltar einen gültigen Sinn. „Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen". Den Feind zu lieben — das alles hat mit Anpassungszeremonien gar nichts zu tun. Die Formen mögen sich ändern — die Vergebungstat, die Hilfe und die Liebe unter Verleugnung des eigenen Selbst haben sich auch im Maschinen-und Mondzeitalter nicht geändert, oder aber jene Botschaft wurde in ihrem Kern schon preisgegeben.

Unbezweifelbar erscheint, daß Bewahrung und Herstellung des Friedens in der Welt zum wesenhaften Bestand einer christlichen Geschichtsauffassung gehören Der Friede des Christen ist kein Waffenstillstand, ist auch kein „bewaffneter Friede". Im Grunde ist er der Anruf der Liebe an alle Menschen, die guten Willens sind, die also bereit sind, womöglich auch unter Verzicht auf welthafle Rechtstitel dem Menschen als Menschen die Hand zu reichen. Allein eine solche Botschaft ist ebenso davon überzeugt, daß es keinen Frieden in der Welt geben kann, der nur von Gnaden dieser Welt ist. Bleibt nicht eine Friedenssicherung ohne eine wie auch immer gedachte höhere Rückverpflichtung in der Verantwortlichkeit der Verantwortlichen letzthin unverbindlich, wenn das „höhere Gebot der Stunde" regiert? Ebenso freilich ist anzumerken, daß die sichtbare Wirksamkeit der christlichen Friedensidee in der Geschichte nicht ohne Pessimismus zu beurteilen ist. Neben der Treuga Dei, jener mittelalterlichen Friedensmission, stehen auch ganz andere Kapitel, wenn im Namen des Christlichen selbst Kriege geführt wurden, wenn schließlich das institutioneile Christentum keineswegs immer jene Botschaft vom Frieden, der höher ist denn alle Vernunft, zum Anlaß seines Handelns nahm. Und sind es wirklich immer nur Freiheiten und Menschenfreundlichkeiten, für die christlich signierte Staatsmänner Krieg führen?

Nicht die äußere, auch nicht die innere Herrschaft über den Menschen, sondern der Dienst am Menschen erscheint uns als das letztgültige Kritierium des christlichen Evangeliums — als Quelle folgenreicher Mißverständnisse über die Jahrhunderte. Nur insoweit wird diese Botschaft vom Menschen als eines geschöpf-liehen und der Erlösung und des Heils bedürftigen Wesens heute noch Überzeugungskraft gewinnen, als diese neue Lebenswirklichkeit unter Abweisung aller welthaften Machtzeichen und in der Echtheit und Freiheit einer unbedingten Wahrhaftigkeit des Gewissens-anrufes den Dienst „am geringsten meiner Brüder" zum zentralen Richtbild zu nehmen bereit ist. Dies ist persönlich gemeint. Dies hat mit Wohlfahrtsamt, Tombola und Massenfürsorge zunächst gar nichts zu tun. Das Versagen der Christenheit ist in diesem Bezug eine tragische Bilanz in einer Welt, wo Not und Armut weithin gar nicht bemerkt werden.

So zeichnet die christliche Existentialität weithin das Antlitz dieser Menschen und dieser Zeit — trotz mancher sinnfälliger Transparente und publizistischer Kenntnisnahmen, für die das Christliche oder besser gesagt: das Kirchlich-Institutionelle eher nur ein Gewicht im Bedeutungsspiel von weltpolitischen oder auch von provinziellen Ereignissen und Machtpositionen interessant und eben als tages-gerecht gewichtig erscheint. Es ist jedoch der Versuch, die religiöse Sphäre als „Privatsache" aus dem Zusammenhang mit den übrigen Lebensbereichen auszuklammern, heute eine typische Erscheinung. Wie eine Wegmarkierung könne es gelten, wenn Sigmund. Freud schreibt: „Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank." Eine solche Feststellung müßte dann ebenso für die Sinnfragen überhaupt, auch des Geschichtlichen und der Geschichte, Gültigkeit haben. Wenn nun aber hingegen das Religiöse überhaupt noch einen Stellenwert haben soll, dann heute wie immer nur als Richtbild aller sonstigen Bezüge, Sinn-und Werthaltungen, ja auch der geschichtlichen Entscheidungen und Handlungen.

Doch ist dem wirklich so? Gibt es tatsächlich Zeichen dafür, daß etwa im öffentlichen Raum die Grundhaltung des Christen sich generell und grundsätzlich von anderen Haltungen unterscheidet? Ist hier etwas von dem zu spüren, was eine wesenhaft christliche Beurteilung der Geschichte der Menschheit anzuzeigen vermöchte? Gibt es überzeugende Anhalte dafür, daß jene wesenhaft christliche Botschaft als eschatologische Verkündigung hier wirklich wirksam wäre? Es bedarf keiner Begründung, daß ein christliches Geschichtsbewußtsein zumeist in der Realität des Tages ohne wesenhaften Wirklichkeitscharakter bleibt.

VII. Technische Weltzivilisation als Erfüllung der Geschichte

Wissenschaft ist heute zur Grundlage unseres Lebens, ja unseres Lebensverständnisses überhaupt geworden. Unsere Lebensform selbst hat. sich der wissenschaftlichen Denkform angepaßt, sie wurde von ihr geprägt. So wurde die Wissenschaft, insbesondere die Naturwissenschaft und ihre technologische Anwendung zum Schicksal unserer Existenz. Dies ist in einem zweifachen Sinne zu verstehen: Im äußeren Sinne als ökonomische Nutznießung, als Daseinsbewältigung und als militärische Zerstörungstechnik, vor allem aber auch in einem inneren Sinne als strukturelle Verwandlung unseres Lebens-und Denkstils, unseres gesellschaftlichen Gefüges, ja unseres Existenz-und Daseinsverständnisses überhaupt. Hier also wird nicht nur nach der Bedeutung der modernen Technik zwischen Hoffnung und Verzweiflung gefragt. Hier wird gefragt nach dem Bedeutungscharakter, dem Sinn moderner Wissenschaft überhaupt. Wissenschaft hat heute weithin die Rolle der Religion übernommen. Nur was wissenschaftlich ausgewiesen* ist, hat Aussicht auf Anerkennung. Dies gilt für die Fragen nach der menschlichen Natur ebenso wie für die Fragen nach den gesellschaftlichen, historischen, ökonomischen, psychologischen, biologischen Lebensgesetzen. Dies gilt im besonderen Maße aber heute auch für den von Soziologen, Statistikern, Politologen und Funktionären verwalteten Bildungsbereich, nicht zuletzt aber für die letzten Fragen unserer menschlichen Existenz selbst, unsere Weltanschauung. Und genau hier ist jene Stelle, wo die moderne Wissenschaft den Stellenwert der Religion als Heilstatsache in zunehmendem Maße zu übernehmen scheint.

Mit der Übertragung naturwissenschaftlicher Denkformen und Methoden auf die Geistes-wissenschaften und Sozialwissenschasten, auch auf die Pädagogik, wird eine Wissenschaftsidee zu erweisen gesucht, die in der reinen Objektivität der Richtigkeiten sich über alle subjektiven Voraussetzungen „restlos" zu erheben vermeint. Wissenschaft und menschliche Existenz liegen dann auf verschiedenen Ebenen — eine These, die genau so falsch wie vordergründig ist. Ernst Bloch hat nicht zu unrecht gemeint: „Die reine Tatsache ist das Dümmste, was es gibt." Denn alle Tatsachen sind immer schon je gedeutete Tatsachen. Jede Wirklichkeit muß qualifiziert gedeutet werden, nach Kriterien, die niemals allein aus der vorgefundenen Wirklichkeit erhebbar sind. Einen Menschen, der sich über alle Voraussetzungen erheben könnte, sich ihrer bewußt werden könnte, gibt es nicht, wovon eingangs schon die Rede war. Nicht unbedingt, aber weithin steht ein solcher, heute das Feld beherrschender Positivismus im Zeidien eines „Mythos atheos", von dem her die Aufschließung der Daseinsrätsel erwartet wird. Jene Auffassung der Wissenschaftsbildung als religiöser Vorgang reicht zurück in Idealismus und Neu-humanismus, die man sonst ja heute so gern abtun möchte. Hier ein Beispiel: Auch die „Zahmen Xenien" Goethes „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, Hat auch Religion.

Wer jene beiden nicht besitzt, Der habe Religion." bedeuten eine fundamentale Glaubensentscheidung, wonach dem Volke die „Volksreligion", das heißt hier doch der Glaube an festgelegte Wahrheiten, dem „Eingeweihten" aber die „höhere Religion" der Wissenschaft und Kunst entspricht. Das ist auch eine Glaubenshaltung, nur eine andere, was oft genug übersehen wird. Von solchen Maximen datieren dann die neuen Glaubenssätze einer aufgeklärten Vernunftreligion, einer globalen Humanitätsidee, die sich über die als „provinziell“ zurückgelas-senen Glaubenssätze der Religionen erhebt, sich von diesen distanziert. Das Menschenbild dieser so gewonnenen Humanität, die nicht mehr Erlösung durch reine Menschlichkeit, vielmehr Erlösung durch Wissen verkündet, ist dann der mobile, nur zweckrationale, mündige Mensch, der sich aus allen vorgegebenen transzendentalen und traditionalen Bindungen befreit hat Allein auch diese weltbürger-liche „wissenschaftliche" Humanität trägt nicht nur formalen Charakter. Es liegen hier ebenso inhaltlich sehr bestimmte Glaubensvorstellungen als logische, ethische und historische Vor-entscheidungen zugrunde, die nicht mehr aus der Wissenschaft erhebbar sind Mit einem ideologischen Absolutheitsanspruch wird Geschichte als Gang der Menschheit vom Glauben zum Wissen betrachtet. Die Vollendung der Fortschrittsidee als Ziel und Methode wird aber dann in der technischen Weltzivilisation erblickt, jenem Prozeß, der den Weg zur Erfüllung der Geschichte anzeigt.

Ein verbreitetes Phänomen einer neuen Form der Heilserwartung, die als Fortschrittsideologie Ost und West verbindet, ist heute der Glaube an die Mission der Technik als technische Perfektion. Diese Technisierung durchgreift alle Lebensbereiche. Der Glaube an die Vollendbarkeit gilt ebenso für die Konstruktion des gesellschaftlichen Zusammenlebens wie für die physikalisch-chemischen Fortschritte in der Eroberung der Raumwelt und der humangenetischen Steuerbarkeit aller menschlichen biologischen und seelischen Vorgänge und Reaktionen. Die Manipulierbarkeit des Menschen und der Gesellschaft, der Glaube an die automatischen Prozesse und damit an die Automatisierung und Generalisierung des Menschen überhaupt ist eine beherrschende Form der geschichtlichen Heilserwartung geworden. Mit einer futurologischen Anthropologie wird ein Ultra-Mensch konzipiert, als Zukunftserwartung eschatologisch verkündet. Die vollendete Möglichkeit zur Steuerung des Menschen in einem „System von absoluten Kontrollvorgängen'1 wird als Erlösung von der Last der Freiheit erfahren, die in der „Verplanung" aufgehoben erscheint. Geist als nur noch technische Intelligenz, Handeln nur noch als plangerechte Erfüllung von vorgefertigten und gesteuerten Ablaufsmechanismen werden als die neuen Strukturen der Technisierung, Automatisierung, Rationalisierung, Zivilisie-rung erkannt und als Heilswege zur Lösung des „Welt-Rätsels", zum glückhaften Leben empfunden. Die Ambivalenz des technischen, insbesondere des kybernetischen Phänomens stellt für das tiefere Denken zwar die Frage des Humanen, des Menschlichen, vor ganz neue schockierende Perspektiven: Ist dieses menschliche Dasein dann wirklich noch ein menschliches in unserem Verständnis? Allein der rauschhafte Siegeszug der technischen Perfektion übertönt weithin alle zögernden Bedenken. Die Heilsmission der Technik wird als das geschichtliche Heilsgeschehen am Menschen selbst erfahren. In dieser fortschreitenden Technokratie wurde die industrielle Revolution als Ersatzziel der 'Welterlösung und damit als Lebens-und Geschichtsprinzip begriffen. Allein dies geschieht um den Preis eines ebenso fragwürdigen Prozesses, der in der alles beherrschenden Anpassungstendenz der Konformität und der Nivellierung notwendig zur Entpersönlichung und Entmenschlichung des Menschen führen muß

Als neues Leitbild für die technischen Lebensprozesse gilt dann der „vollkommene Mensch". Die Automation verlangt den gefühlsfreien Kontrollmenschen, den Menschen, der gesteuert werden kann, der automatisch, nicht mehr menschlich reagiert. Man hat hierbei von einer „Verformung" des Menschen und des Menschlichen gesprochen, während andere Stimmen hierin gerade den Fortschritt zur Vollendung des Menschentums erblicken wollen. Eine weitgespannte neue Pädagogik als jene Auffassung von Bildung und Erziehung, die allein mit Kenntnissen und Fertigkeiten „plangerecht" zu solcher Menschenformung hin bilden und erziehen will, wird dann zum Heilsweg für diesen neuen Menschen. Daß hiermit der Gebrauchs-und Verbrauchsstandpunkt als Maßstab mitgesetzt wird, daß der Mensch soviel wert ist, wie er gesellschaftlich „gilt", wie er einsatzmäßig „rentiert", bedarf keiner Begründung.

Das Heil des Menschen wird damit in seiner Bereitschaft gesehen, sich der Anonymität des von den persönlichen Sorgen, Leiden und Ängsten befreienden Kollektivs anheimzugeben. Der Mitsorge, Fürsorge, Vorsorge wird er selbst enthoben. Die plangerechte Erfüllung seiner Lebensbefriedigung wird von der funktionierenden Gesellschaft gesteuert und garantiert. Der Sinn der menschlichen Existenz und damit der Geschichte wird in Analogie zu einer christlichen Eschatologie in dem fortschreitenden „futurologischen" Weg zu einem Endzustand gesehen, dessen Merkmaligkeit jener „neue Mensch" in der technischen Perfektion ist. Technische Perfektion ist dann auch „geschichtliche Perfektion" als Erfüllungsprozeß der Geschichte.

So also wird die technische wissenschaftliche Weltzivilisation mit ihren Zeichen jener benannten neuen Humanität zu einem neuen Mythos der Selbst-und Welterlösung, die sich als Endziel der Geschichte versteht und damit dem menschlichen Leben einen Sinn verbürgt. Wissenschaftsgläubigkeit und Weltzivilisation des Technizismus, Fortschrittsglaube und Pragmatismus dieser oder jener Fundierung — hier zeichnen sich die Konturen eines neuen Welt-, Selbst-und Geschichtsverständnisses ab, das in diesem Bezug kein „Eiserner Vorhang" mehr trennt.

Die Entstehung der neuen totalen oder totalitären Ideologien zeichnet sich ab als eine Ablösung vom Christlichen, als Umformung, als Übertragung ursprünglich sakraler Inhalte in säkularisierte weithaft oder quasi-religiöse Bedeutungen. Wie man auch immer in der derzeitigen regen Diskussion den Prozeß der Säkularisierung beurteilen mag so hat doch Paul Hazard^) recht mit der Bemerkung, daß der Prozeß gegen das Christentum ein Wesens-moment der Neuzeit ausmacht. Denn genau in dem Augenblick, als dem europäischen Menschen die Wirklichkeit Gottes fragwürdig wurde, begann jener Prozeß zur Begründung neuer Lebensmaßstäbe, neuer Heilslehren und Geschichtsdeutungen. Hierher zählen die atheistischen Humanismen ebenso wie der technische Chiliasmus mit seinem Programm einer konformen Weltzivilsation, einer neuen „globalen Humanität". Hierher aber gehören auch jene Heilslehren als jene neue Formen und Mythen der Selbst-und Welterlösung, wie sie durch den determinatorischen Weltprozeß im Dialektischen Materialismus, durch die Ideologisierung von Blut und Rasse und Nation zu kennzeichnen sind. Den Charakter von Ersatz-religionen tragen auch noch jene Versuche, die durch Auflösung der sexuellen Tabus wie durch die Massensuggestion des Sports als Ersatzreligionen die „Entfremdung" des Menschen zu bewältigen suchen.

VIII. Gibt es eine Antwort?

Die Frage nach dem Sinn der Geschichte ist wesentlich eine Frage nach dem Geltungsbereich der Faktoren, die dem geschichtlichen Prozeß eingeräumt werden. Wo es nur um „Geschichtlichkeit" als der eigentümlichen Struktur des geschichtlichen Subjekts geht, nicht mehr um einen objektiven Geschehens-zusammenhang, wo es nur ein Sein als In-der-Welt-sein gibt, woraus der personale Gott verbannt oder zumindest neutralisiert wird — hier müssen Ursprung und Ziel der Geschichte dunkel bleiben. Für Karl Jaspers 49a) bedeutet die Konzentration der Geschichte in Christus eine „erstarrte" und „gefrorene" Geschichtlichkeit. Daß dann die „Achsenzeit" — bisher die Geburt Christi — neu gesucht und nur im Menschen als Maß und Kriterium der geschichtlichen Entwicklung gefunden werden kann, ist nur konsequent.

Trotz aller umfassenden Deutungen und Konstruktionen der Verlaufsgesetze der Geschichte bleibt jedoch die Sinnfrage völlig ratlos; höchstens noch vermag man sich seiner eigenen bedingten Sicht bewußt zu werden. Dies gilt ebenso für jene Wissenschaftszweige, die als Kultursoziologie, Kulturmorphologie und Kulturanthropologie die Lebensgesetze der Kulturen aufzuhellen suchen. Wenn Oswald Spengler die schon augustinische Idee der Lebensalter der Organismen auf den allgemeinen Kulturprozeß überträgt, wonach der Tod jeder Kultur ebenso gesetzmäßig erscheint wie ihre Jugend und ihre Reife, wenn in diesem kulturorganischen Lebensprozeß die Individuen nur im notwendigen Ablauf des Ganzen dienende Funktionäre sind, so bleibt zu fragen: Worin besteht der Träger dieser „Kulturseelen"? Kultur als ein großes Lebewesen besagt hier wie immer eine sehr bestimmte metaphysische Voraussetzung eines Kultur-maßstabes, eines Wertbewußtseins, das die Normatividee der Kultur, die sogenannte Kulturentelechie, nur im historischen Prozeß selbst zum inhaltlichen Bewußtsein zu bringen sucht. Und wenn nach Spengler dann noch eine individuelle Freiheit bestehen soll: Wie ist dies möglich und welchen Sinn hat sie? Wenn für Erich Rothacker Kulturen Lebensstile sind, das heißt Weisen der Lebensführung menschlicher Gemeinschaften, wenn die Kernbilder dieser Lebensstile „Haltungen" sind, deren Äußerungen die verschiedenen Weltanschauungen, Weltbilder, Mythen darstellen, kann die — wie es heißt — polare Spannung universaler und partikularer Ideen eine letzte Sinnhaltigkeit garantieren? — Danach aber wird in der modernen Geschichtsphilosophie als einer immanenten Wissenschaft, die sich nur um die Formalkategorien des Kulturverständnisses bemüht, auch nicht mehr gefragt. Dies gilt letzthin auch noch für Arnold Toynbees Geschichtsdenken. „Historische Ideen" sind verstanden worden als Gedanken Gottes, als Volksgeister, als un-ableitbare große Gestalten geschichtlichen Lebens, die wie Pflanzen blühen und vergehen, als biologische Kategorien und Wachstums-gesetze, als Tendenzen eines Zeitalters, als charakterologische Triebkraft menschlicher Leidenschaften, als Verwirklichung von Werten, als Ruf und Antwort. A. Wenzl verzeichnet vier Grundklassen für das politische Geschehen: Den individuellen und kollektiven Machttrieb, die wirklichen oder vermeintlich wirtschaftlichen Interessen, die geschichtsund herkunftsbedingten Zusammengehörigkeitsund Gegensatzgefühle und die Ideen und Ideologien. Bisherige Geschichtstheorien seien zumeist einseitig, indem sie sich der absoluten Dominanz eines dieser Grundmotive verschrieben.

Doch es bleibt die Frage: Ist ein ganzheitlicher Sinn der Geschichte überhaupt zu begründen? Wäre etwa mit Hegel die Weltgeschichte als das Weltgericht zu erhärten angesichts der Tragödie des offenbar Sinnlosen, des Triumphs des Unrechts, des Terrors, des Leids, angesichts der — wie Burkhardt mit Lassaulx meinte — an sich schon bösen, wenn auch notwendigen Macht?

Wie aber, wenn alles versinkt, wenn ein religiöses Glaubensbewußtsein keinen tragenden Anhalt mehr findet? Da die Sinnfrage des menschlichen Daseins und seiner welthaften Ordnungen heute weithin aus dem religiösen Bereich in die politische und wirtschaftliche, in die soziologische und naturwissenschaftliche Ebene verlagert ward, darf man von einer Krise auch des gegenwärtigen Geschichtsbewußtseins sprechen.

Was der Mensch sei, sagt uns nicht allein die Geschichte. Kann sie uns heute noch Trost und Hoffnung leihen? — Der geheime Begleiter unseres Lebens wurde die Angst. Nicht weil die Geschichte sinnlos geworden, kam dieses über uns: diese Ausweglosigkeit und Ratlosigkeit, die oft in der Politik nicht mehr über den Machtkomplex, in der Philosophie nicht mehr über den existentiellen Selbstbezug, in der Religion nicht mehr über die kasuistische Versittlichung der Lebenstriebe hinauszugreifen vermag. Weil dieser Mensch sich selber iragwürdig wurde, darum mußte ihm auch seine Geschichte fragwürdig werden. „Es gibt Schicksale, die man tragen kann, weil sie ihren Sinn haben, sei es, daß man ihn einsieht, sei es, daß man ihn glauben darf. Wenn aber eine ganze Welt und Zeit vergeht, dann ist in allem anderen Elend dies das größte Unheil, daß alle Schicksale sinnlos werden. Von diesem tieferen Schicksal werden — wenn die Tradition abreißt — auch die größten Geister entmächtigt, an denen man sich bisher orientiert hat, und daher kommt es wohl, daß sich auch umgekehrt die meisten großen Menschen, die die Geschichte anscheinend machen, meist nur von einem dunklen Schicksal getrieben oder sich in einem blinden Gehorsam von höheren Mächten beauftragt fühlen"

Dabei ist die Angst zum Signum der Zeit geworden.

Angst auch und vor allem um die Beantwortung der existentiellen Sinnfrage in der Geschichte und — was in eins steht — des persönlichen Lebens. Was eine moderne Psychotherapie als „existentielle Frustration" bezeichnete, die Entleerung des Lebens mit dem Verlust des Daseinssinnes — hier greifen wir an die Wurzel auch der bedrängenden geschichtsphilosophischen Fragestellung in der heutigen Zeit, deren bezeichnendstes Phänomen darin erscheint, daß man aus Angst vor der Ausweglosigkeit diese Frage grundsätzlich ausklammert, ohne zu erfahren, daß dann nicht nur unsere gesamte kulturelle, auch ebenso unsere wissenschaftliche Bemühung ohne eigentlichen Sinn besteht, sondern auch — was an die Wurzel greift — unser gesamtes persönliches Leben. Tatsachenerhebungen und tätige Betriebsamkeit, ja selbst Weltraumeroberungen verbleiben aber im sinnlosen Raum, wenn jene Maßstabsfrage des Ganzen und für das Ganze nicht einmal mehr gesehen oder gar als die Frage des Lebens, der Kultur und der Wissenschaft zentral gestellt und in steter Bemühung als Leitproblem angegangen wird. Angst und Tod — Angst vor dem Leid, der Not, der Einsamkeit, der Sinnlosigkeit des Daseins, Angst vor dem Tod als dem unbeantworteten Fragezeichen, Angst vor dem Schuldigwerden und der Verantwortlichkeit für sein Tun — hier erreichen wir die eigentlichen Triebkräfte und seelischen Antriebs-komponenten für die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz, dem Sinn der Geschichte, dem Erlösungsstreben und Heilsverlangen. Quelle der Angst aber wurde für den gegenwärtigen Menschen ebenso die Erkenntnis seiner totalen Geschichtlichkeit. Denn dadurch fühlt er sich der Grundlagen beraubt, die den Glauben an eine allgemeingültige übergeschichtliche Wahrheit und die Antwort auf die Sinnfrage seiner Existenz verbürgen könnten Wenn es nun kein Dasein ohne Glauben gibt, so wird der Glaube in dieser menschlichen Tiefenschicht menschlicher Bedürfnisse geboren. Nicht nur die Religionen, auch die Ersatzreligionen, die Philosophien haben ihren „Grund" in dem bewußten oder noch unbewußten sehnenden Bemühen: dem persönlichen Leben einen Sinn abzugewinnen, der die Angst und den Tod besiegt oder beherrscht oder aber auch nur „ausschaltet“. Hier treffen sich alle Wegmarkierungen der mythischen und religiösen, ja letzthin auch der philosophischen Glaubensüberzeugungen, wie ebenso der gesellschaftlichen, politischen und anderen Ideologien. Angst und Tod werden zu aufschließenden und heilsmäßigen Fakten.

In dem atheistischen Existentialismus sollen Angst und Tod durch das trotzige unbefragte „Dennoch" bezwungen werden. In dem modernen technischen Zivilisationsprozeß sollen Angst und Tod im Prozeß des Perfektionismus aufgesogen und eingeklammert werden. In einem modernen Wissenschaitsglauben soll im Vertrauen auf die rationale Erhebbarkeit aller Lebensrätsel, ja aller unserer triebhaften und unbewußten Anfechtungen die Angst gewissermaßen in die Retorte gebannt und ihrer Wirkmächtigkeit beraubt werden. Im Kollektiv als „Wahrheit der Allgesetzlichkeit" soll die Angst durch Einschmelzung des einzelnen in den geschichtlichen Weltprozeß überwunden werden. In einer bestimmten Psychoanalyse sollen die Lebensängste erkannt, durchschaut und damit behoben werden. In einer „christlichen Erlösungsbotschaft sollen Angst und Tod ihres „Stachels" entmächtigt werden.

Mit diesen Schemata sind auch bereits die Hintergründe für die jeweiligen Antworten auf die Frage nach dem Sinn der geschichtlichen Existenz und damit der Geschichte umschrieben worden. Die jeweiligen weltanschaulichen Vorentscheidungen entscheiden also über unsere geschichtsphilosophischen oder geschichtstheologischen Antworten.

Echte Sinnhaltungen aber werden geboren in der persönlichen Belastung, in der Not, in der Bedrängnis und — was so ganz abhanden kam — in der Stille einsamer Begegnungen mit dem Ich, der Natur, dem Innenraum seelischer Versenkung. Was uns heute an „neuer Geborgenheit", an neuen ethischen Tafeln und an neuen Tragflächen für die Existenz angeboten wird, leidet doch zumeist an seelischer Kurzatmigkeit und trägt das Signum verdrängter Verzweiflung und Ausweglosigkeit gar zu deutlich zutage. Sollte seelische Vertiefung, menschliche Reife, humane Gesinnung wirklich auch heute wieder nur aus notvoller äußerer und innerer Bedrängnis erwachsen können, welche die betroffene Erfahrung zu leihen vermögen, daß der Mensch doch mehr ist als Lebensstandard, Tourismus und Glücks-und Triebbefriedigung in Wohlstandsgesellschaften? Wenn Philosophie der Geschichte auch immer zugleich Philosophie der Tradition einschließt, so gewinnt dieses Phänomen im Selbstverständnis des heutigen Menschen eine für unsere Thematik aufschließende Bedeutung. Auf der Tradition beruht die Identität des Seienden trotz seines Wandels in jenem Prozeß, den wir Geschichte nennen.

Die bewußte Traditionslosigkeit gehört zum Erscheinungsbild der heutigen jüngeren Generation. Ihre Vergangenheit projiziert sich nicht auf die Zukunft, weil diese keine Konsonanz mit ihr hat. Was die Geschichte offenbart, kann in diesem Verständnis für eine so seltsam profilierte Zukunft kaum noch als Muster oder Vorbildlichkeit gelten So unbedingt wird der absolute Neubeginn als Zeichen einer neuen Existenzbedingung betrachtet, daß allein in dem radikalen Traditionsbruch die Folgerichtigkeit gegenwärtigen Selbstverständnisses erblickt werden soll, wie dies unter einem bedrückenden zweigesichtigen Aspekt G. Krüger formulierte: „Wir leben nur noch von unserer Inkonsequenz, davon, daß wir nicht wirklich alle Tradition zum Schweigen gebracht haben... Wir gehen der radikalen Unmöglichkeit der sinnvollen und gemeinsamen Existenz entgegen, obwohl sich dieses Ende niemand vorstellen kann." Dieser Traditionsbruch meint nun nicht nur Kultur-tradition, Ethos, Gesellschaftsform, Gesittung, sondern ebenso jene Überlieferung, die als „göttliche Verbürgung der Welt und des menschlichen Heils" die menschliche Existenz getragen hat. Mit der radikalen Absage an die Tradition als an die Autorität, das Vertrauen und die Ehrfurcht wird aber die Grundlage der menschlichen Kultur und eines genuin geschichtsphilosophischen Denkens aufgehoben. Doch es erhebt sich hier wiederum jene oben schon benannte Frage, ob eine solche Identität als Konstanz des menschlichen Seins als Bewußtseinsgegebenheit noch heute überhaupt Gültigkeit besitzen kann, oder aber, ob mit dem Wandel der geschichtlichen Gegebenheiten auch der Mensch in seinem Kern, in seiner Bewußtseinsstruktur so verändert ist, daß auch eine Umschichtung in der Gesamt-person, in ihren unbewußten Lebens-und Erlebnisvorgängen, in der „Triebökonomie", also in der Ordnung jener Einheit seelisch-geistigen und damit auch untrennbar physischen Verhaltens sich anzeigt, die uns als Grundverfassung des Charakters, der Lebensgrundstimmung, der Offenheit oder Verschlossenheit, des Vermögens zur Wertempfänglichkeit für je bestimmte Werte oder auch für eine überzeitliche Wertordnung erscheint. Diese Perspektiven sind nicht neu, auch nicht überzeugend, zumal auch ebensolche Erfahrungen als Gegenargumente dem entgegenstehen, die eine Konstanz der menschlichen Natur, der menschlichen „Grundperson" zu belegen vermögen Es ist nur eine entsprechende Folge, daß das geschichtsphilosophische Denken unter solchen Zeichen sich selber aufhebt, mit der Leugnung jeder kontinuierlichen Konstanz im Geschichtsprozeß sich in die punktuelle Momentaneität von möglichen subjektiven Sinnschöpfungen verlieren muß.

Was hier nicht ausgelassen werden darf, betrifft die aktuelle, uns heute unmittelbar angehende Problematik, die mit den Begriffen der Planung, Verplanung, Manipulierung des Menschen und Selbstmanipulierung des Menschen umschrieben werden kann, was schon im Zusammenhang mit der technischen Perfektion angedeutet wurde. Die um eine Verbindung von Entwicklungslehre, Kosmologie und christliche Mysterien bemühten geschichtlichen Zukunftsvisionen des Teilhard de Chardin gehören ebenso in diesen Umkreis. Grundsätzlich darf gelten, daß heute die Planung jene Rolle übernommen hat, die bis dahin die Utopie und die Geschichtsphilosophie einnahmen. Keine Zeit zuvor war wie diese auf die Zukunft gerichtet. Erst dieser moderne Mensch lebt grundsätzlich aus der Zukunft. Keine Zeit zuvor versuchte aber auch wie diese, die Zukunft des Menschen und seiner Welt durch Planung und Manipulierung in den „Vorgriff“ zu bekommen. Geschichtliches Denken ist heute zukunftsoffenes Denken. Es wurde schon bedeutet, welche ernsten Fragen nach Sinn, Möglichkeit und vor allem nach den humanen und ethischen Grenzen solchen Beginnens in der gesellschaftlichen, technischen, genetischen, medizinischen und physikalischen Ebene sich hier erheben. Planung und Manipulierbarkeit des Menschen und seiner Welt sind nicht zu überschreitende existentielle Probleme. Ist also die plangerechte Züchtung des „Übermenschen" ein mögliches Ziel für das, was wir Erfüllung der Geschichte nannten? Und wo sind die Richtbilder dafür zu suchen, was hier möglich sein darf? Fast möchte man bemerken, daß eine manische Besessenheit diesen Prozeß vorwärts treibt — ins übermorgen. Und auch die Bemühungen um die Einordnung solcher Perspektiven in eine christliche Theologie der Geschichte stehen erst am Anfang, wenn etwa das Christentum als die „Religion der absoluten Zukunft" bestimmt wird Wie aber, wenn beides konstitutiv dazugehört, die geschichtliche Existenz des Menschen zu erhellen? Wir meinen die Vergangenheit und die Zukunft, um „Gegenwart" gültig und sinnvoll bestimmen zu können. Der Mensch bestätigt sich nur so lange als geistiges Wesen, als er ein Fragender ist. Soweit reicht der philosophische Weg. Allein erst vom „überschritt" her wird das Geheimnis seiner Persönlichkeit ganz offenbar, insofern der Mensch sich selbst mit seinen Gütern nicht nur als den Fragenden, sondern als den Gefragten erfährt. Dies gilt auch für seine Frage an die Geschichte, die ihm zugleich sein „Schicksal" auferlegt als jene Lebensfrage an ihn selbst, wie er seine Eixstenz versteht, wie er mit dem, was ihm widerfährt, „fertig" wird, es sinnvoll einzuordnen vermag in sein Lebensverständnis und seine persönliche Lebenslinie. Jeder Mensch, der nicht nur betriebsam vegetiert, wird einmal dieser fordernden Rechenschaft begegnen, zumindest aber immer dann, wenn der Tod in sein beteiligtes Lebens-feld tritt, sofern nicht auch dieser nur noch als Störungsfaktor im Funktionszusammenhang der Organisation und einer manipulierten Zukunft gesehen wird. Die fatalistische Verlegenheit, es kommt doch alles, wie es bestimmt ist, glaubt ja fast heute niemals mehr an einen Urheber dieser Bestimmung, an einen Gott, der das Schicksal schickt. So kann die Frage nach dem Sinn, nach dem, was uns „begegnet", leidvoll widerfährt, geschieht, oft zum quälenden Anlaß letzter Verzweiflung werden. Was aber für den persönlichen Bezirk ebenso gilt wie für den geschichtlichen Raum, in dem und durch den wir ja erst zu existieren vermögen, ist die Einsicht, daß nur eine göttliche, weil überpersönliche und übergeschichtliche Wirklichkeit einen letztgültig tragenden, das heißt „ausreichenden" Sinn zu verbürgen imstande wäre. Hier aber mündet die Geschichtsphilosophie, sofern sie nach den Prinzipien und letzten Zielen des Geschichtsprozesses fragt, in das Glaubensproblem. Problem deshalb, weil jene Frage Fedor Dostojewskis in seinen Dämonen, ob dieser moderne, technisierte Mensch überhaupt noch glauben kann, heute das eigentlichste und zugleich notvollste Problem geworden ist. Dieses Problem um Glauben und Wissen ist so alt wie das Ringen der Menschheit um ihre Lebensrätsel. Und es wird gewiß auch nicht dadurch aus der Welt verbannt, wenn jene neuzeitliche These vermeint, man könnte die Wissenschaft anstelle des Glaubensgrundes — wie immer dieser auch bestimmt werden möge — stellvertretend deklarieren. Fast drängt sich hier die verzweifelte Klage auf, die J. H. Newman in seiner „Philosophie des Glaubens" anhebt: „Warum schreibt unser Schöpfer und Herr nicht seine sittliche Natur mit großen Buchstaben auf die Stirn der Geschichte und bringt den blinden tumultarischen Lauf nicht in eine himmlische hierarchische Ordnung? Warum bewilligt er uns in der Struktur der Gesellschaft nicht wenigstens so viel von Offenbarung seiner selbst, wie die Religionen der Heiden darzureichen versuchen?" Diese Frage liegt auch und besonders unserem Geschlecht mit der Version Und Gott schweigt dazu? als resignierende Absage an jede Theodizee auf den Lippen. Und die Antwort Newmans: „Es ist ein verborgener Gott, und mit allen unseren Anstrengungen können wir an der Oberfläche der Welt nur wenige blasse und fragmentarische Ansichten von ihm zusammenlesen", vermag häufig genug nicht mehr darüber zu beruhigen, daß der geoffenbarte Gott der Güte und der Erbarmung, der Gerechtigkeit und des Friedens, wie ihn das christliche Glaubensbewußtsein vorstellt, das Mysterium eines auch nur andeutungsweise in der Geschichte zu erkennenden göttlichen Weltplanes als eines Heilsplanes für die Menschheit, auch für viele Christen, zur tiefsten Fragwürdigkeit wurde.

In einer solchen Situation bleiben heute die Bemühungen um reine Formalkategorien des Geschichtsverständnisses ohne Belang. Wenn A. Weber der die Geschichtsphilosophie durch Kulturphilosophie ersetzen will, als Ergebnis der bisherigen Geschichte bucht, daß die Menschheit zu der Welt-und Daseinsangst der Primitiven zurückkehre, wenn W. Solowjew der Ansicht ist, daß der Fortschritt als der bemerkbare beschleunigte Fortschritt immer ein Symptom des Endes sei, so findet die abendländisch-christliche Geschichtsphilosophie heute im Widerstreit von schrankenlosem Fortschrittsoptimismus und quälender Untergangsstimmung nur schwerlich zu ihren eigentlichen Wesenszügen. Sie alle, Herder, Kant, Fichte, Fr. Engels und andere, verbindet die gemeinsame Linie, wonach der historische Prozeß allein aus diesen oder jenen innergeschichtlich-notwendigen Kräften zu einem Endzustand der Vollkommenheit führt. Auch noch die Atlantic Charta lebt von diesem Geiste, wenn sie von einem Frieden spricht, „der Gewähr dafür geben wird, daß alle Menschen in allen Ländern ihr ganzes Leben lang frei von Furcht und ohne Not leben können". Dem entgegen steht jedoch jenes christliche Geschichtsdenken, das mit einem katastrophalen Endzustand der Geschichte rechnet rechnen muß, mit dem Scheitern aller menschlichen Bemühungen in den Macht-und Kultur-bereichen, mit dem Scheitern des „Kulturwillens“, worauf sich doch aller Fortschritt gründet, wenn er nicht nur biologisch-ökonomisch-technisch verstanden werden soll. Nicolai Berdjajew scheute hier nicht vor der Konsequenz zurück, daß auch die Geschichte des Christentums „gleichsam ein vollständiger, großer Mißerfolg" war, weil selbst das Christentum auf Erden seinem gültigen Wesen nach nie gelang und auch nie gelingen könne. Nach der christlichen Verkündigung gehört jenes Scheitern zum Wesensbestand des Menschen und seiner Welt, so daß eine innergeschichtliche Rettung schlechthin unmöglich erscheint. Will man hier diesen Maßstab ansetzen, so müßte man von einer radikalen Auflösung des genuin christlichen Geschichtsbildes in Neuzeit und Gegenwart sprechen — und dies im weltpolitischen Erscheinungsbild ebenso wie in verbreiteten christlichen Eigen-räumen als Folge eines mangelnden Selbstverständnisses und einer „weitläufigen“ Inkonsequenz, wovon schon die Rede war. Damit soll nicht einem bedrückenden christlichen „Kulturpessimismus 11 das Wort geredet werden, wohl aber einer „Unterscheidung des Christlichen", das man im geschichtlichen, politischen und auch personalen Raum, ja im persönlichen Lebensgefühl oft genug kaum noch von jenen doch ganz anders verwurzelten Ideen, Ideologien und Verhaltensweisen zu unterscheiden vermag.

Wer wollte heute angesichts dieser unserer Erfahrungen in der gegenwärtigen Zeit nicht überdrüssig, ja verzweifelt manchmal sein Fragen nach einem Sinn des Ganzen im Weltgeschehen begraben, angesichts des Terrors, der Not, der abgründigen Unwahrhaftigkeit und der Versklavung von ganzen Erdteilen?

Es bedarf heute wahrhaftig eines fast heroischen Glaubens an eine göttliche Seins-und Heilsordnung, an eine göttliche Lenkung der Geschichte, angesichts dieser Perspektiven der Zukunft, die eine Welt zu vernichten drohen. Doch dieses Bewußtsein vermag uns ebenso wieder zu erheben, daß wir heute mehr denn je spüren: Es geht in diesem Weltenkampf nicht nur um Macht und Rohstoffe und Territorien, es geht spürbar um die fundamentalen Mächte, um die Werte des Menschseins, um unsere Freiheit und Menschenwürde — um den Menschen als Menschen überhaupt, ja um das Haltmachen des Staates vor dem persönlichen Gewissen.

Was uns aber von einem Historiker des 12. Jahrhunderts, Otto von Freising, verkündet wird über das Bild des Antichrists in der Geschichte, erscheint uns erschütternd und zudringlich zugleich. Der widergöttliche Herrscher wird alle Lehren der christlichen Kirche zerstören, weil sie der selbstherrlichen Vernunft und der Sinnenlust zuwider sind. Er wird nicht nur das Bewußtsein der Sünde ausrotten, sondern auch die Machf des gottlosen Weltreiches aufzurichten versuchen, und zwar — wie es hier wörtlich heißt — „unter dem Zeichen der Lüge und unter dem Scheine der Religion und unter dem Bilde der Vernunft“. Sein glorioles Bild wird einem römischen Imperator gleichen. Fast noch erschreckender aber vernehmen wir die prophetische Stimme des großen moselländischen Kardinals Nikolaus von Cues, der im Jahre 1450 eine Zeit kommen sieht, da der Gottesglaube ganz aufgesogen sein wird vom Glauben an den Menschen — da aber wird ein großes Volk aus dem Osten das Geschick Europas in seine Hand nehmen Sollte doch Nicolai Berdjajew recht behalten für eine Zukunft sub specie Antichristi venturi?: „Die Welt hat eine Barbarisierung zu gewärtigen. Der Mensch ist Schöpfer nicht nur im Namen Gottes, sondern auch des Teufels."

Wie auch unsere Antwort auf jene Frage, die die Geschichte an uns stellt, lauten mag — nicht aufgehoben wird jene polare Spannung zwischen einem Schicksalhaften, dem wir Menschen im Gang des Geschehens offenbar doch weithin ausgeliefert sind, und wiederum jene andere Erfahrung, daß dennoch Geschichte auch in der menschlichen Freiheit, zumindest nicht ohne unser Zutun geschieht. Die notvolle Frage, ob der moderne Kulturprozeß noch lenkbar sei ja ob der Kultur-und Geschichtsprozeß überhaupt lenkbar sei, zeigt an, wie tief man der überindividuellen Prozeßgesetzlichkeit als einem unabweislichen Geschehensablauf verfallen ist — und dies in Ost und West! Und trat nicht eine anonyme Geschichtsmächtigkeit als ein sich erfüllender Gesellschaftsprozeß an die Stelle Gottes, zusammen mit jener säkularisierten Fortschrittsidee, die als selbstgenügsamer Humanismus zur neuen Ersatzreligion wurde? Dieses Sich-ausgeliefert-Fühlen an den Geschichts-, Kultur-und Zivilisationsprozeß als an jenen Raum, der mit der unheimlichen Mächtigkeit eines kollektiven Ablaufs auch das einzelne Leben zu tragen scheint, wirkt als lähmende Erfahrung für eine Sinnfindung in der Geschichte, der der heutige Mensch eher in die „Intimsphäre“ seiner Privatexistenz zu entfliehen sucht. War schon bei Hegel jener „Prozeß“ nur noch im „Anonym" eines absoluten Geistes befestigt — Gott als logischer Begriff, als allgemeine Wesenheit der Dinge im Grunde pantheistisch verstanden —, so datiert von da an, mit der Preisgabe jenes genuin christlichen Bewußtseins, daß Gott der personale Herr der Geschichte, nicht nur „logischer Begriff" oder „absolute Kausalität“ ist, die fortschreitende Auslieferung der menschlichen ge-wissentlich-freien Person, von der im Christlichen der ganze Weltgedanke ausgeht, an eine allgemeine Gesetzlichkeit, die wahlweise in der Natur, in der Gesellschaft oder sonstwie begründet wurde. Im Grunde wurde schließlich die Hegeische Konzeption zum Nährboden der Staatsomnipotenz und bestimmter Totalitarismen der modenen Zeit

Auch wer die Geschichte als eine Reihe von Sinnkatastrophen begreift, kommt nicht umhin, nach der Möglichkeit seines eigenen sinnvollen Menschseins und damit auch nach dem Sinn der Geschichte als Vollzugsstätte dieses Menschseins zu fragen. Denn wir alle suchen doch heute jene Kraft weltanschaulicher Über-zeugung, die befähigt, unser Leben in Freiheit und Verantwortung sinnvoll zu tragen. Wurzelt aber nicht gerade hierin die tiefste Verlegenheit unserer ebenso fortschrittlichen wie verzweifelten Zeit? Führt die These wonach der Sinn der Geschichte in der Gegenwart liege, wonach der Mensch den Sinn der Geschichte in der Verantwortung erfaßt, in die er je gestellt ist, wirklich zu einer Beruhigung? Allein die Bemühung, unser eigenes Schicksal als Aufgabe zu betrachten, zu übernehmen, zu einem Sinn zu überhöhen im persönlich-ge-wissentlichen Bezug zu unserem Lebensweg — wäre dies nicht auch schon ein erster Anfang zu einer wahren, ebenso menschlichen wie geschichtlichen Besinnung?

Im Grunde gibt es nur zwei Verhaltensweisen zur Geschichte, die heute zur Entscheidung stehen. Geschichte wird als absolute Notwendigkeit erfahren, als ökonomisch-gesellschaftliche Bewegungsgesetzlichkeit, die vorgezeichnet und wissenschaftlich feststellbar ist. Der einzelne hat Gültigkeit nur als Vollzugsorgan dieses Weltprozesses, dem er sich einzuschmelzen hat. Die andere Ansicht sieht die Freiheit zur Verantwortung des einzelnen im Schicksalsgeschehen der Geschichte — trotz aller Zudringlichkeiten. Geschichte ist hier um der freiheitlichen Würde der Person willen, die ihre Bestimmung und Tathandlung allein aus dem Gewissensbezug der „Innerlichkeit" oder eines frei übernommenen göttlichen Anrufes herleitet. Beide Grundhaltungen können jedoch nicht etwa mit der Grenzlinie von „Ost" und „West" markiert werden. Das eigentliche bedrängende Problem einer Rettung der freien Personwürde liegt heute viel tiefer, da jener östliche Prozeß-Fatalismus in einer verbreiteten westlichen determinatorischen Soziologie und psychologischen Anthropologie mit ihren neuen Evangelien unbedingter „Anpassung" und „funktionaler" Substanzlosigkeit seine Entsprechung findet. Ob man wohl diese Konsequenzen überall bemerkt, wenn man für „Freiheiten" kämpft, deren Wurzelboden bereits die Keime zur Zerstörung der Persönlichkeitswürde wissenschaftlich und politisch und gesellschaftlich zur Reifung bringt?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dem vorliegenden Beitrag liegen Gedanken zugrunde, die in teilweise veränderter Fassung über den Südwestfunk, den Hessischen Rundfunk, den Bayerischen Rundfunk, den Sender Freies Berlin, den Saarländischen Rundfunk und den Österreichischen Rundfunk vorgetragen wurden.

  2. Vgl. Vers., Das Problem einer christlichen Philosophie (Philos. Jb. 60, 1960, S. 228 ff.): ders., Wissenschaft und Bildung, 1957, S. 177 ff.; ders., Idee und Verantwortung der Universität, in: Universität und moderne Welt. Ein internationales Symposion (Bildung — Kultur — Existenz I, hrsg. von Richard Schwarz, 1962); ders., Situation und Krise der heutigen Universität. Antrittsvorlesung an der Universität München, in: Dt. Univ. -Ztg. 1/1965.

  3. Sein und Zeit, 19537, S. 382: „Das Dasein hat faktisch je seine Geschichte und kann dergleichen haben, weil das Sein dieses Seienden durch Geschichtlichkeit konstituiert ist.“

  4. Philosophie II, 1932, S. 118.

  5. Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, 19213.

  6. Vgl. dazu W. Brüning, Geschichtsphilosophie der Gegenwart, 1961, S. 115 ff. — Zum Ganzen vgl. auch J. Thyssen, Geschichte der Geschichtsphilosophie, 1960 3.

  7. Der Sinn der Geschichte, o. J., S. 300 ff.

  8. M. Schmaus, Elemente einer christlichen Geschichtstheologie (Sinn und Sein. Ein philosophisches Symposion, hrsg. von R. Wisser, 1960, S. 784 f.)

  9. Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1956 3.

  10. C. Fr. von Weizsäcker, Die Geschichte der Natur, 1956. — Vgl. zu dieser Typologie W. Brüning, a. a. O„ S. 9 ff.

  11. Der Sieg des guten Prinzips über das Böse und die Gründung des Reiches Gottes auf Erden, 1792, I, Abschn. VIII.

  12. Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, hrsg. von Fr. Medicus, o. J., S. 13. — Vgl. bes. E. von Sydow, Der Gedanke des Idealreiches in der idealistischen Philosophie von Kant bis Hegel, 1914.

  13. Vgl. hierzu A. Demps, Sacrum Imperium. Ge-schichtsund Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, 1929.

  14. J. Pieper, Was heißt philosophieren?, 1948.

  15. Vgl. u. a. H. Köhler, Das Menschenbild des dialektischen Materialismus, 1963 2; G. A. Wetter, Der dialektische Materialismus, 1952; M. Reding, Der politische Atheismus, 1957; H. Meyer, Geschichte der abendländischen Weltanschauung V, 1949, S. 77 ff.; H. Arendt, Fragwürdige Traditionsbestände im politischen Denken der Gegenwart, 1957, S. 9 ff.

  16. W. Nigg, Das ewige Reich. Geschichte einer Hoffnung, o. J. 2.

  17. In diesem Sinne auch G. Krüger, Geschichte im Denken der Gegenwart, 1947, S. 23; jetzt auch in: Freiheit und Weltverantwortung, 1958. — Vgl. auch den Sammelband, Die Idee des Fortschritts, hrsg. von E. Burck, 1963.

  18. Politische Theologie, 1922.

  19. A. a. O.; N. Berdjajew, a. a. O., S. 275 ff.

  20. Vgl. Vers., Humanismus und Humanität in der modernen Welt, 1965.

  21. M. Landmann, Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der Kultur, 1961, S. 79.

  22. Fr. Meinecke, Die Entstehung des Historismus 1946 a, S. 2.

  23. W. Dilthey, Ges. W. VIII, S. 6.

  24. M. Landmann, a. a. O.

  25. Vgl. bes. B. von Wiese, Herder, 1939; Th. Litt, Kant und Herder als Deuter der geistigen Welt, 1930.

  26. Mensch und Geschichte, 1929, S. 8 f. u. a. O. — Vgl. auch R. Wisser, Des Menschen Menschlichkeit, in: Die neue Sammlung Jg. 4, 4/1964, S. 341 ff.

  27. M. Müller, Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart, 1964 2, S. 34, hat die Frage gestellt, „ob es im Sein selbst nicht eine Synthese zwischen Absolutheit und Relativität, zwischen Gültigkeit und Werden, Beständigkeit und Entwicklung, Ewigkeit und Geschichtlichkeit geben könne. Ob nicht z. B. Normen unbedingt und absolut und ohne Willkürsetzung gelten können, auch wenn sie nur für eine Epoche oder einen Kulturkreis derartig unbedingte Gültigkeit haben; ob nicht eine Ordnung die gesollte Norm eines Zeitalters oder Kulturkreises sein kann, obwohl nicht alle Zeitalter oder Kulturkreise sich zu ihr bekennen müssen “ Hiermit ist die eigentliche Problematik der „Geschichtlichkeit" angesprochen, die in diesem Zusammenhang jedoch nur benannt werden kann.

  28. Vgl. auch H. Köhler, Humanismus und Atheismus, in: Schule und Leben, 1/1965, S. 7f.; Fr. -J. von Rintelen, Philosophie der Endlichkeit als Spiegel der Gegenwart, 1951.

  29. Vgl. M. Heidegger, Nietzsches Wort „Gott ist tot", in: Holzwege, 1957 3, S. 193 ff.

  30. Vgl. W. Knevels, Die Wirklichkeit Gottes, 1966, S. 165 ff.

  31. Vgl. hierzu jetzt auch den Versuch von M. Hochgesang, Mythos und Logik im 20. Jahrhundert, 1965, S. 102 ff.

  32. G. Krüger, Geschichte im Denken der Gegenwart, S. 17.

  33. Vgl. u. a. Horkheimer, Rahner, v. Weizsäcker, über die Freiheit, 1965.

  34. A. Camus, Le mythe de Sisyphe, Paris 1942.

  35. V. E. von Gebsattel, Not und Hilfe, in: Christentum und Humanismus, 1947, S. 87; ferner: J. Hasenfuß, Soziologismus und Existenzialismus als Religionsersatz, 1965, S. 121 f.

  36. Garaudy, Metz, Rahner, Der Dialog oder Ändert sich das Verhältnis zwischen Katholizismus und Marxismus?, 1076, S. 53.

  37. Vgl. Vers., Das Problem einer christlichen Philosophie, a. a. O.; ders., Humanismus und Humanität in der modernen Welt, 1965, S. 87 ff.

  38. Vgl. u. a. K. Rahner, Zur Geschichtlichkeit der Theologie, in: Integritas. Geistige Wandlung und menschliche Wirklichkeit, hrsg. von D. Stolte und R. Wisser, 1966, S. 75 ff.

  39. L. Abegg, Ostasien denkt anders, 1949, S. 389 ff.

  40. Ursprünge der Freiheit (Deutsche Tagespost v. 6. — 7. August 1965, Nr. 93).

  41. Vgl. hierzu die Beiträge in: Concilium. Internat. Zeitschr. für Theologie, Jg. 2, 8/1966.

  42. Zit. nach P. Schütz, Das Wagnis des Menschen, 1966, S. 15.

  43. Vgl. Vers., Die christliche Friedensidee als Erbe und Aufgabe, in: Wissenschaft und Weltbild, 4/1959; Fr. Heiler, Die Bedeutung der Religionen für die Entwicklung des Menschheitsund Friedensgedankens, in: Okumen. Einheit, Jg. 2, 1/1951.

  44. Briefe von 1873— 1939, 1960, S. 429.

  45. R. F. Behrendt, Der Mensch im Licht der Soziologie, 1962, S. 58 f.

  46. Vgl. Vers., Humanismus und Humanität in der modernen Welt, a. a. O. — Es darf hier schon hingewiesen werden auf das vom Verfasser herausgegebene und mitverfaßte zweibändige Gemeinschaftswerk „Menschliche Existenz und moderne Welt. Ein internationales Symposion zum Selbstverständnis des heutigen Menschen", worin etwa 75 namhafte Autoren aus Wissenschaft, Kunst und Politik aus aller Welt das Wort nehmen. (Bildung — Kultur — Existenz, hrsg. von Richard Schwarz, Bd. II und III, Berlin 1967.)

  47. Vgl. u. a. K. Sontheimer, Soziologie als Instrument des Konformismus, in: Frankfurter Hefte 8/1956, S. 531 ff.; O. Oberndorfer, Von der Einsamkeit des Menschen in der modernen amerikanischen Gesellschaft, 1961 2.

  48. Vgl. u. a. H. Blumenberg, Säkularisation. Kritik einer Kategorie historischer Illegitimität, in: Die Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt, hrsg. von H. Kuhn und Fr. Wiedmann, 1964, S. 221 ff.; ders., Legitimität der Neuzeit, 1966; K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1956 3; H. Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideen-politischen Begriffs, 1965; C. H Ratschow, Art. Sä-kularismus, RGG Vs, Sp. 1288 ff.

  49. Die Herrschaft der Vernunft, 1949, S. 24.

  50. O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1920. — Zur Kritik der neuzeitlichen Theorien: P. A. Sorokin, Kulturkrise und Gesellschaftsphilosophie, 1953, S. 233 ff.

  51. Kulturanthropologie, 1948.

  52. O. Anderle, Das universalhistorische System A. J. Toynbees, 1955.

  53. Die sechs Typen von Sinndeutung der Geschichte (Geistige Welt I—II, 1946): — E. von Kahler, Der Sinn der Geschichte, 1964, S. 18, unterscheidet zwischen „Ereignisgeschichte" und „Bewußtsein-Geschichte".

  54. G. Krüger, Die Geschichte im Denken der Gegenwart (Freiheit und Weltverantwortung, 1958, S. 97 ff.).

  55. V. E. Frankl, Das Menschenbild der Seelenheil-kunde, 1959, S. 43. — Zum Phänomen der Angst vgl. u. a. V. E. von Gebsattel, Anthropologie der Angst, in: Hochland 43, 1951; P. Tillich, Der Mut zum Sein, 1943, S. 28 ff.; Aspekte der Angst, hrsg. von H. von Ditfurth, 1965. — Zum Problem des Nihilismus: H. Thielicke, Der Nihilismus, 1955; A. Rauschning, Masken und Metamorphosen des Nihilismus, 1954; E. Mayer, Kritik des Nihilismus, 1958.

  56. Vgl. auch H. Freyer, Die Geschichte, das Unge-schichtliche und das übergeschichtliche, in: Integri-tas, a. a. O., S. 62.

  57. J. Ortega y Gasset, Vergangenheit und Zukunft im heutigen Menschen, 1955, S. 36 f.; A. Rüstow, Kulturtradition und Kulturkritik (Stud. gen. IV, 6/1951).

  58. Geschichte und Tradition, 1947, S. 71 ff.

  59. J. Pieper, Bemerkungen über den Begriff der Tradition (Hochland 49, 1957, S. 409 ff.).

  60. Vgl. Vers., Wissenschaft und Bildung, S. 362 f.; A. Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, 1957; ders., Urmensch und Spätkultur, 1956.

  61. K. Rahner, Experiment Mensch, in: Die Frage nach dem Menschen. Festschrift M. Müller, 1966, S. 62.

  62. Der dritte oder der vierte Mensch, 1953, S. 283; ders., Prinzipien der Geschichtsund Kultursoziologie, 1951.

  63. Drei Gespräche, 1947, S. 130.

  64. J. Pieper, Uber das Ende der Zeit, 1950, S. 96.

  65. A. a. O., S. 294.

  66. Vgl. E. Benz, Ost und West in der christlichen Geschichtsanschauung, in: Die Welt als Geschichte I, 1935, S. 488 ff. — Auch Vers., Ost und West in der religiösen und politischen Prophetie, in: Universitas, Jg. 13, 9/1958.

  67. N. Berdjajew, a. a. O.

  68. Vgl. E. Spranger, Ist der moderne Kulturprozeß noch lenkbar? (Kulturfragen der Gegenwart, 1953, S. 42 ff.); ders., Leben wir in einer Kulturkrise? (Wo stehen wir heute?, hrsg. von H. W. Bähr, 1960, S. 17 ff.).

  69. „Bei der Freiheit muß man nicht von der Einzelheit, vom einzelnen Selbstbewußtsein ausgehen, sondern nur vom Wesen des Selbstbewußtseins; denn der Mensch mag es wissen oder nicht, dies

  70. R. Bultmann, Das Verständnis der Geschichte im Griechentum und Christentum, in: Der Sinn der Geschichte, hrsg. von L. Reinisch, 1961, S. 65.

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Richard Schwarz, Dr. phil., geb. 29. Mai 1910 in Hagenau/Elsaß, deutsche und österreichische Staatsangehörigkeit. Akademische Daten: Privatdozent der Philosophie an der Universität Würzburg (1949), ordentl. Professor der Psychologie und Pädagogik an der Staatl. Phil. -Theol. Hochschule Bamberg (1951), ordentl. Professor der Pädagogik und Kultur-philosophie und Vorstand des Instituts für Pädagogik an der Universität Wien (1958), ordentl. Professor der Pädagogik und Vorstand des Pädagogischen Seminars an der Universität München (1963), Vorsitzender des Schulausschusses der österreichischen Rektorenkonferenz (1961) und der Bayerischen Schulkommission (1964), Mitglied der österreichischen UNESCO-Kommission, Gastvorlesungen an Universitäten in Fribourg, Tokio, Uppsala. Träger des Dr. -Ludwig-Gebhard-Wissenschaftspreises (Bayreuth 1957).