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Plädoyer im Streit um die staatliche Parteienfinanzierung | APuZ 45/1966 | bpb.de

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APuZ 45/1966 Plädoyer im Streit um die Parteienfinanzierung Plädoyer im Streit um die staatliche Parteienfinanzierung

Plädoyer im Streit um die staatliche Parteienfinanzierung

Gerhard Jahn

Herr Präsident! Hoher Senat! Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat den Wunsch, sich zu äußern und zu einer ganzen Reihe von Fragen in diesem Zusammenhang ausdrücklich Stellung zu nehmen.

Namens der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erkläre ich, daß wir den Antrag des Landes Hessen für unbegründet halten. Nach unserer Auffassung verbietet das Grundgesetz die Gewährung von Zuschüssen zur Finanzierung an die politischen Parteien nicht. Die Sozialdemokratische Partei hat bisher — damit möchte ich ausdrücklich andere Darstellungen hier richtigstellen — zu keinem Zeitpunkt aus verfassungsrechtlichen Gründen die Gewährung solcher Zuschüsse an die staatlichen Parteien für unzulässig erachtet. Die Sozialdemokratische Partei hätte das nach meiner Überzeugung auch gar nicht tun können, weil sie sich dann zu einer ständigen eindeutigen und klaren Rechtsprechung dieses Hohen Senats in Widerspruch gesetzt hätte. Ich meine, daß die Mitwirkung der Sozialdemokraten im Verfassungsorgan Bundestag es ihnen verbieten würde, eine solche andere Auffassung zu vertreten. Wir haben dies im Bundestag geltend gemacht und darüber hinaus keine verfassungsrechtlichen, sondern lediglich verfassungspolitische Bedenken gegen die jetzt vorhandene Höhe. Wir haben, um einer eindeutigen Klärung im Parteiengesetz willen, unserer Auffassung als einer vertassungspolitisch wünschenswerten Lösung dahin Ausdruck gegeben, daß wir eine Reihe von Bedingungen aufgestellt haben — Bedingungen aber, von denen wir nicht der Meinung sind, daß sie verfassungsrechtlich zwingende Voraussetzungen dafür sind, daß überhaupt Zuschüsse an die politischen Parteien gewährt werden können, sondern Voraussetzungen, die wir für eine regelrechte Ausgestaltung eines Parteiengesetzes für wünschenswert und nach unserer politischen, verfassungspolitischen Auffassung für notwendig halten. Voraussetzung ist zunächst, daß die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt ist, daß heißt, daß die von seifen des Staates gewährten Finanzierungsmittel die von den Parteien selbst aufgebrachten eigenen Mittel nicht überschreiten, es sich also in jedem Fall um einen echten Zuschuß handelt. Eine zweite Voraussetzung ist, daß die Mittel an einen Zweck gebunden sind, mit dem die politischen Parteien Aufgaben im Allgemeininteresse erfüllen, was sie nach Auffassung der SPD dann tun, wenn sie staatsbürgerliche Bildungsarbeit leisten.

Es ist in der Beweisaufnahme deutlich geworden, daß, wenn man — so wie es die Sozialdemokraten versucht haben, wie es ihr Schatzmeister dargetan hat — die staatsbürgerliche Bildungsarbeit unter ganz bestimmten Voraussetzungen zu sehen und zu bewerten sich bemüht, eine Abgrenzung durchaus möglich ist. Aber es ist auf der anderen Seite auch deutlich geworden, daß der Begriff der politischen Bildungsarbeit eben nicht eindeutig, sondern sehr interpretationsfähig ist. Ich mache keinen Hehl daraus, daß, obwohl wir es nach wie vor für erforderlich halten, diesen Begriff zu verwenden, die Problematik der Abgrenzung uns noch einige Sorgen bereiten wird. Das aber gilt auch für die Abgrenzung, die man aus früheren erklärten Auffassungen des Senats herauslesen kann. Denn wenn der Senat verschiedentlich zum Ausdruck gebracht hat, daß er die Wahlvorbereitungstätigkeit der Parteien u. a. für bezuschussungswürdig und für bezuschussungsfähig hält, dann ist damit ein Maßstab gesetzt, von dem ich zu behaupten wage, daß er mindestens nicht präziser ist als der der politischen Bildungsarbeit; denn wo ist eine Tätigkeit der Parteien nicht irgendwo auch Wahlvorbereitungsarbeit? Ich sage das deshalb so ausführlich, um deutlich zu machen, daß die Frage, in welchem Maße man überhaupt einen rechtlich praktikablen Maßstab finden kann, der als richtige Voraussetzung die Frage der Zweckbindung geeignet macht, mir außerordentlich problematisch zu sein scheint.

Wir haben schließlich als dritten Grundsatz aufgestellt, daß wir daran festhalten, daß die Gleichheit der Chancen im politischen Wettbewerb der Parteien durch eine Gewährung von Zuschüssen an die Parteien nicht beeinträchtigt werden darf. Das beinhaltet die Auffassung, daß es zumindest eine Frage ist, über die man sehr geteilter Meinung sein kann oder ob die jetzige Schwelle von 5 % richtig und angemessen ist, ob diese Schwelle nicht richtigerweise niedriger angesetzt werden muß. Ich stehe nicht an, für mich zu erklären, daß eine niedrigere Schwelle dem Gebot der Chancengleichheit besser gerecht werden würde. Die Sozialdemokratische Partei ist der Meinung, daß nach diesen ihren Auffassungen ein Parteiengesetz mit entsprechendem Inhalt so bald wie möglich verabschiedet werden sollte; sie ist der Auffassung, daß es eine Aufgabe des jetzt tätigen Bundestages ist, diesem Erfordernis so bald wie möglich Rechnung zu tragen. Herr Kollege Benda hat für den Bundestag einiges über die Schwierigkeiten gesagt, das in dieser Wahlperiode zu tun. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Ich bin sehr dankbar dafür, daß in dem Plädoyer des Kollegen Dr. Arndt gestern hier eine Reihe von Klarstellungen erfolgt sind, die Mißverständnisse über die Haltung der Sozialdemokratischen Partei — die ja gelegentlich mit den Auffassungen des Landes Hessen, wenn auch nicht begründetermaßen, identifiziert wird — ausschließt. Ich freue mich feststellen zu können, daß in der notwendigen Klarheit hier deutlich geworden ist, daß auch das Land Hessen mit seiner Auffassung nicht die völlige, absolute Unzulässigkeit der Gewährung von Zuschüssen an die politischen Parteien aus staatlichen Mitteln zum Ausdruck bringen will. Ich freue mich deshalb darüber, weil damit eine sehr schwierige Situation in diesem Verfahren für die Sozialdemokraten auf eine angenehme Weise ausgeräumt worden ist. Allerdings würde es wesentlich zur Erleichterung der weiteren Verhandlung dienen, wenn das, was zur Begründung der hessischen Auffassung gesagt worden ist und was ich in großen Teilen auch inhaltlich, nicht nur im Ergebnis, zustimmend bewerten möchte, nun auch bei der Antragstellung seinen Ausdruck finden würde.

Die Sozialdemokratische Partei hat im übrigen den Schwerpunkt ihres bisherigen schriftsätzliehen Vortrages, auf den ich ausdrücklich Bezug nehmen darf, darauf gelegt, das Problem der verschleierten Parteienfinanzierung aus öffentlichen Haushaltsmitteln zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Sie ist davon überzeugt, daß über die Verfassungsmäßigkeit von Parteizuschüssen nicht entschieden werden kann, wenn nicht gleichzeitig auch sämtliche Finanzierungsmethoden der Parteien eingehend erörtert werden. Denn die Freiheit und Unabhängigkeit der durch eine solche Finanzierung begünstigten Partei, darüber hinaus aber die Funktionsfähigkeit unserer rechtsstaatlichen Demokratie, wird durch diese Methoden der verschleierten Parteienfinanzierung aufs schwerste gefährdet, insbesondere dann, wenn diese bisher schon in einem unerträglichen Maße geübte Praxis künftig noch ausgeweitet werden würde. Das ist zu befürchten, wenn einzelne Parteien, die die für ihre Arbeit notwendigen Mittel aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden nicht aufbringen können, die durch einen Ausfall an offenen, im Haushaltsplan ausgewiesenen staatlichen Zuschüssen entstehenden Lücken durch eine noch stärkere Inanspruchnahme der ihnen als Regierungsparteien zugänglichen finanziellen und personellen Mittel des Staatsapparates schließen würden. Ich kann deshalb — ich bitte um Nachsicht wegen der mir geboten erscheinenden Kritik an der Entscheidung des Senats — die Abtrennung dieses Teils des gesamten Problems aus diesem Verfahren nur bedauern. Die Bedeutung — darauf darf ich noch einmal hinweisen — dieser Frage ist einmal darin festzustellen, daß zur Zeit im Lande Nordrhein-Westfalen, wo im Juni dieses Jahres Landtagswahlen stattfinden werden, in unvermindertem Maße die bereits in früheren Wahlkämpfen, insbesondere anläßlich der letztjährigen Bundestagswahlen, zutage getretenen Praktiken der verschleierten Finanzierung des Wahlkampfes der Regierungsparteien aus Haushaltsmitteln fortgeführt und Millionenbeträge sowohl aus dem Haushalt der Bundesregierung wie aus dem Landeshaushalt hierfür bereitgestellt werden.

Das beweist zum anderen, daß hier über eine Grundsatzfrage diskutiert werden muß — leider diskutiert werden muß — ohne ein wichtiges und bedeutsames Teilgebiet. Die Entscheidungsgrundlagen — das Gericht hat in seiner Diskussion von möglichen, entscheidungserheblichen Sachverhalten gesprochen, die der Klärung bedürfen — sind nach Auffassung der Sozialdemokratischen Partei schon aus diesem Grunde nicht vollständig. Ich meine überhaupt, daß bei einer so entscheidenden Frage, die hier im Grundsatz doch wohl geklärt werden soll, nämlich ob die Gewährung von Zuschüssen aus Staatsmitteln an die politischen Parteien zulässig ist oder nicht, eine Erörterung dieses Problems ohne eine eingehende — und nicht nur auf die finanzielle Basis bezogene — Auseinandersetzung mit der Situation der politischen Parteien in der modernen Demokratie gar nicht möglich ist.

Ich bedauere, daß nach der bisherigen Disposition des Gerichts nicht die Möglichkeit gegeben ist, diese Frage eingehend zu erörtern. Aber die Frage der Zulässigkeit allein muß doch eine Bewertung finden dadurch, daß eine Bewertungsgrundlage gefunden wird in dieser Parteiensituation — beispielsweise durch die Frage, ob denn die Parteien ihre ursprünglichen klassischen Aufgaben, die sie einmal durchaus aus eigenen Mitteln mit Mitgliedsbeiträgen und mit normalen Finanzierungsmethoden leisten konnten, in einer völlig veränderten Umwelt, mit völlig veränderten und wesentlich höheren Anforderungen, die an sie gerichtet werden, heute so eigentlich noch erfüllen können. Eine mir geboten erscheinende sehr gründliche und eingehende Untersuchung dieser Frage würde ergeben, daß das eben nicht mehr geht, daß auch eine gestiegene Leistungsfähigkeit der politischen Parteien auf Grund höherer Mitgliedsbeiträge keineswegs Schritt gehalten hat mit der Vergrößerung ihrer Aufgaben, mit der Vergrößerung des Bereichs, in, dem sie tätig werden müssen. Wenn es gestattet ist, möchte ich das nur an einem einzigen Beispiel deutlich machen, das sich auf eine durchaus persönliche Erfahrung bezieht. Im Jahre 1950 durfte man mir als damaligem Parteisekretär der Sozialdemokratischen Partei ein monatliches Gehalt von 250 Mark anbieten. Ich frage, wo man in aller Welt heute jemandem, der diese Aufgabe vernünftig und sinnvoll gestalten kann und die Voraussetzungen dafür mitbringt, für ein Monatsgehalt von 250 Mark finden, einstellen und auf die Dauer beschäftigen könnte. Idi zeige nur dieses eine Beispiel, um deutlich zu machen, um welche Problematik es mir dabei geht, und ich will zum Ausdruck bringen, daß nach unserer Auffassung die Situation der Parteien in ihrer Gesamtheit einer weiteren Aufklärung bedarf, als es bisher geschehen ist und möglich war.

Mit diesem Vorbehalt möchte ich mich dem eigentlichen Problem, der grundsätzlichen Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Gewährung staatlicher Zuschüsse an die politischen Parteien im einzelnen zuwenden. Diese Frage war bisher nicht zweifelhaft. Es ist eingehend dargetan worden; ich darf es mir ersparen, es zu wiederholen und auf die ganze bisherige Literatur und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im einzelnen einzugehen. Ich halte es nur für erforderlich zur Klarstellung gegenüber dem, was Herr Kollege Arndt zum Ausdruck gebracht hat, noch einmal darauf hinweisen — durchaus in Übereinstimmung, ich habe das früher auch in meiner schriftsätzlichen Äußerung schon gesagt, mit Herrn Professor Friesenhahn —, daß insbesondere nach dem Leitsatz der Entscheidung des Verfassungsgerichts im 8. Bande kein Zweifel darüber bestehen konnte, daß die Gewährung von staatlichen Zuschüssen an die politischen Parteien zulässig ist und daß für diejenigen im Verfassungsorgan Bundestag, auch die dort als Fraktionen mitwirkenden Parteien, eine Vertrauensbasis geschaffen war, von der sie ausgehen durften und ausgehen mußten. Es ist also unrichtig, wenn Herr Kollege Dr. Arndt sagt, indem er die Fragestellung ein bißchen verschiebt: Es sei aber noch gar nichts gesagt worden über das Wie und Ob. Es geht um die grundsätzliche Frage; es geht in diesem Verfahren noch gar nicht um das Wie oder das Ob. Wenn er meint, das entscheidende Rezept fehle noch, dann meine ich, die Rezeptur ist längst gegeben. Worüber man sich noch streiten kann, das mag die Dosierung sein.

Im übrigen befinden sich alle diejenigen, die diese Auffassung mit Recht vertreten haben, deshalb in sehr guter Gesellschaft, weil auch die Hessische Landesregierung durch ihren Ministerpräsidenten in der Vergangenheit regelmäßig eine andere Auffassung vertreten hat.

Der Hessische Ministerpräsident hat in einer Stellungnahme zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Parteiengesetzes, für die Fortentwicklung der Parteien und die Sicherung ihrer Unabhängigkeit von anonymen Geldgebern eintretend, vor dem Deutschen Bundesrat in seiner 210. Sitzung am 23. Oktober 1959 u. a. folgendes wörtlich ausgeführt:

„Darüber hinaus kann man die Aktionsfähigkeit der Parteien auch durch staatliche Finanzierungsbeihilfen sichern. Dies ist nur folgerichtig, wenn man die Unentbehrlichkeit der Parteien für das Funktionieren der Demokratie, besonders für die Durchführung der Wahlen anerkennt. Hiervon geht ja wohl auch der Regierungsentwurf aus, der in § 8 die Zulässigkeit und Möglichkeit staatlicher Leistungen an die Parteien stillschweigend voraussetzt. Eine offene, vom Parlament und von der gesamten öffentlichen Meinung zu kontrollierende staatliche Beihilfe zu den Wahlaufwendungen der Parteien ist in jedem Falle einer Finanzierung durch private, anonyme Geldgeber, mit der immer die Gefahr der Korrumpierung verbunden ist, vorzuziehen. Dabei kommt für eine solche Staatsbeihilfe nicht nur der Weg einer Geldzuwendung oder der Übernahme von geldlichen Aufwendungen in Betracht, sondern es könnte z. B. auch daran gedacht werden, nach englischem Vorbild jeder Partei und jedem Wahlbewerber die Postgebühren für eine Postwurfsendung im entsprechenden Wahlbezirk zu erstatten." (Bundesrat, Bericht über die 210. Sitzung, 23. Oktober 1959, S. 174 A).

Ich bemerke also, der Ministerpräsident des Landes Hessen, Herr Dr. Zinn, spricht hier von staatlichen Finanzierungsbeihilfen. Es handelt sich dabei also um Zuschüsse — das ist auch die Auffassung der Sozialdemokraten —, die in einer angemessenen Relation zu den Eigen-mitteln einer Partei stehen müssen, also diese nicht übersteigen dürfen.

Das Problem der Gewährung staatlicher Zuschüsse an die Parteien ist in der Tat das Problem der Freiheit und Unabhängigkeit der Parteien im Sinne der Art. 21 und 5 des Grundgesetzes, hinsichtlich der Ausgestaltung der Finanzierung auch ein Problem der Chancen-gleichheit unter den Parteien. Mit der Frage der Unabhängigkeit der Parteien gegenüber dem Staat und gegenüber wirtschaftlichen und politischen Interessengruppen ist die grundsätzliche Frage nach der Stellung der Parteien in Staat und Gesellschaft gestellt. Die tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, auf welchen die deutsche Staats-theorie im 19. Jahrhundert aufgebaut hat und die in vieler Hinsicht offenbar heute noch fort-wirkt, haben sich ebenso gewandelt wie diese Staatstheorie selbst. Aus dem liberalen Staat, der Monarchie und der konstitutionellen Monarchie ist die Republik, der demokratische und soziale Rechtsstaat geworden. Ebenso gewandelt hat sich die Stellung der Parteien in diesem Staat: Waren sie ursprünglich reine Wahlvereine, so sind sie heute nach der Entscheidung des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verankerte und gesicherte Einrichtungen der demokratischen Selbstorganisation des Staates geworden. Das entspricht im übrigen auch der gewandelten Auffassung in anderen Ländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten.

Ich darf stellvertretend für andere hier zitieren, was Professor Ehmke in seinem Beitrag „Staat und Gesellschaft als verfassungstheoretisches Problem" über die Stellung der politischen Parteien ausgeführt hat: „Hinsichtlich des verfassungstheoretischen Problems des Meinungsund Willensbildungsprozesses steht heute eine Institution im Vordergrund, die unter der Herrschaft des Psitivismus ein Stiefkind unseres Staatsrechts gewesen und erst in Art. 21 GG als legitimes Kind unserer konstitutionellen Demokratie anerkannt worden ist, die politischen Parteien ... Vom politischen Gemeinwesen her gedacht nehmen sie dagegen in der Staats-und Verfassungstheorie eine Zentralstellung ein, da sie heute ein wesentliches Moment des politischen Integrationsprozesses sind, den Rudolf Smend so eindringlich beschrieben hat. Sie müssen im engen Zusammenhang mit dem Pluralismus, spezieller mit der Frage gesehen werden, wie aus dem Pluralismus der Gruppen — in dem heute eine der wesentlichsten Voraussetzungen politischer Freiheit liegt — ein Gemein-wille gebildet und durchgesetzt werden kann, der auf das Gemeinwesen als Ganzes, nicht nur auf die Summe aller Einzelinteressen, bezogen ist. Die politischen Parteien haben die Aufgabe, unter Einschmelzung und Ausgleich spezieller Interessen Vorstellungen für die Ordnung und Politik des ganzen Gemeinwesens zu entwickeln." (In: StaatsVerfassung und Kirchenordnung, Tübingen 1962, S. 46 f.). Auch die auf der liberalen Theorie fußende scharfe Trennung von Staat und Gesellschaft als zwei getrennten Bereichen ist durch eine differenziertere Betrachtungsweise abgelöst worden, welche das wesentliche Moment des politischen Integrationsprozesses berücksichtigt. Ich verweise hierzu noch einmal auf die überzeugende Darstellung des Problems bei Ehmke, „Staat und Gesellschaft als verfassungstheoretisches Problem", und ebenso auf die Forschungen von Rudolf Smend, die dieser in den „Staatsrechtlichen Abhandlungen" und anderen Aufsätzen veröffentlicht hat.

Zunächst ist zu fragen: Weshalb stellt die Parteienfinanzierung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in erster Linie ein Problem der Freiheit und Unabhängigkeit der Parteien dar? Wir sehen drei Finanzierungsmöglichkeiten:

a) Die unumstrittene Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge, die hier nicht weiter erörtert zu werden braucht, sie ist ohne jedes Bedenken;

b) die zweite Finanzierungsmöglichkeit sind Zuwendungen finanzieller Art oder geldwerter Leistungen durch Private. Dieses Problem ist in der Literatur ausreichend und zutreffend erörtert worden. Ich verweise auf die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, auf den damals von der Zentrumspartei eingebrachten Antrag, welcher schließlich zur Regelung in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG geführt hat.

Ich nehme aber noch einmal ausdrücklich Bezug auf die Äußerungen, die in diesem Zusammenhang der Hessische Ministerpräsident, Herr Dr. Zinn, in der 210. Sitzung des Deutschen Bundesrates am 23. 10. 1959 gemacht hat: „Wer die Wirklichkeit des politischen Lebens kennt, kann nicht die Augen davor verschließen, daß im Zusammenhang mit unserer wirtschaftlichen Entwicklung hier auf dem Gebiete der Finanzierung die eigentlichen Gefahren für die Unabhängigkeit und für die Chancengleichheit der Parteien liegen und daß gar leicht mit den Mitteln des Geldes die Parteien beeinflußt werden können und der Wille des Wählers verfälscht werden kann. Diesem Problem der Parteienfinanzierung, an dessen Lösung sich vielleicht einmal das Schicksal unserer Demokratie entscheidet, kann man nicht allein mit der Pflicht der Parteien zur Offenlegung ihrer Mittel beikommen, schon gar nicht, wenn man, wie der Entwurf der Bundesregierung es tut, hieraus eine bloße Formalie macht. . . . Darüber hinaus sind grundsätzliche Überlegungen notwendig, wie die Parteien dagegen gesichert werden können, daß im Hintergrund bleibende finanzkräftige Mächte sich politischen Einfluß mit Geld erkaufen und wie die Sauberkeit des öffentlichen Lebens gegen die innere Korruption in jeder Erscheinungsform zu schützen ist."

Zuwendungen an die politischen Parteien durch Private sind unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit und Freiheit der Parteien und der unbeeinflußten Ausübung ihrer Aufgaben als Träger der politischen Willensbildung problematisch. Das Problem hat an Aktualität und Eindringlichkeit trotz der langjährigen Diskussion hierüber nichts verloren. Wir haben eine Fülle von zeitgeschichtlichen Beispielen, in denen sich die Gefahr der Finanzierung politischer Parteien durch wirtschaftliche und politische Interessengruppen für die Freiheit dieser Parteien, aber auch die Freiheit der Demokratie, überhaupt erwiesen hat. Die Finanzierung etwa der NSDAP durch maßgebliche Wirtschaftskreise enthob zwar diese Partei 1932/33 schlagartig ihrer finanziellen Sorgen und ermöglichte ihr einen zuvor nicht gekannten Propagandaaufwand bei den anhängigen Wahlen. Diese Entscheidung der deutschen Industrie zugunsten der Nationalsozialisten war aber gleichzeitig eine Entscheidung gegen die staatsbejahenden demokratischen Parteien und Kräfte und führte mit das Ende der Weimarer Republik herauf.

Auch in den letzten Jahren haben bürgerliche Parteien in der Bundesrepublik die Erfahrung machen müssen, daß Zuwendungen Dritter in der Regel nicht ohne die Absicht politischer Einflußnahme und die Erwartung eines bestimmten politischen Verhaltens der Begünstigten gegeben werden. Herr Kollege Dr. Arndt meinte, dagegen gebe es das von der Verfassung angebotene Heilmittel der Offenlegung. Ich stimme mit Herrn Zinn durchaus überein, wenn ich sage: das genügt auf keinen Fall. Denn mit der bloßen Offenlegung ist ja noch gar nichs ausgesagt darüber, daß auch die Interessen, die Bedingungen, der politische Wille, die dahinter stehen, offenbart werden müssen. Sie müssen es gar nicht nach dem Wortlaut des Artikels 21, sie werden es im Zweifel auch nicht. Und die Offenlegung kann durchaus erfolgen, ohne daß die Bedingungen, unter denen die Offenlegung erfolgt, damit offenbart werden müßten. Der Gefahr, daß Mutmaßungen daran geknüpft werden, wird man sich zu erwehren wissen, jedenfalls ist sie keinesfalls ein hinreichender Sicherungsgrund. Mit gleichgelagerten Problemen der Einschränkung der Einflußnahme von politischen und wirtschaftlichen Gruppen auf die politischen Parteien und auf ihre Entschließungen haben andere Staaten der westlichen Welt ebenso zu kämpfen. Die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten beschäftigt dieses Problem seit Herausbildung eines modernen Parteienverbandswesens. Vom ausgehenden vorigen Jahrhundert bis in die Gegenwart sind Schritt für Schritt weiterschreitende staatliche Maßnahmen getroffen worden, die die Spenden wirtschaftlicher Konzerne, der Gewerkschaften, schließlich von privaten Personen an Parteien oder Wahlbewerber im Zusammenhang mit Wahlen für politische Ämter kontrollieren, regeln, verbieten oder der Höhe nach beschränken. Stellvertretend für die vielfältigen Veröffentlichungen auf diesem Gebiet verweise ich auf einen in der Zeitschrift „The Reporter" vom 10. 2. 1966 erschienenen Artikel von Neal R. Peirce über „Die Finanzierung unserer Parteien", ferner die in einer Mitteilung des Weißen Hauses vom 4. Oktober 1961 enthaltenen Gründe, die Präsident Kennedy im Oktober 1961 veranlaßten, eine Sachverständigenkommission zum Studium der Wahlfinanzierung zu berufen. Auch die in jüngster Zeit im schwedischen Reichstag geführten Debatten über die Möglichkeit staatlicher Subventionen für die politischen Parteien in Schweden befassen sich mit diesem Problem der Gefährdung der Unabhängigkeit und der Freiheit der Parteien durch solche Zuwendungen. Die Erfahrungen, welche die Parteien mit der Finanzierung durch private Geldgeber gemacht haben, haben schließlich zu der dritten Lösung, der unmittelbaren staatlichen Bezuschussung der politischen Parteien bei uns und damit zu den hier anstehenden Problemen der Verfassungsmäßigkeit solcher Zuwendungen geführt. Bei den unmittelbar im Haushalt offen ausgewiesenen staatlichen Zuwendungen an die politischen Parteien handelt es sich nicht um eine Einwirkung staatlicher Organe in den Bereich der Parteien durch die Eingriffsverwaltung. Eine solche staatliche Intervention im Wege des Eingriffs in den Bereich der Parteien wäre in der Tat mit der verfassungsmäßig gesicherten Freiheit der Parteien nicht vereinbar. Die Frage ist aber, ob der Staat im Wege der Leistungsverwaltung und Daseinsvorsorge, welche nach anerkannter Meinung eine Aufgabe des modernen, vor allen Dingen des sozialen Staates ist, leistend— also nicht verbietend — in den Bereich der politischen Parteien hineinwirken kann, und ob dieses schlechthin —-und nicht nur etwa bei der Verletzung des Gleichheitssatzes — durch eine bestimmte Ausgestaltung verfassungswidrig sein könnte.

Das leistende Einwirken staatlicher Organe oder öffentlich-rechtlicher Körperschaften auf den Bereich der politischen Parteien ist grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Das Gericht hat — etwa in seiner Entscheidung über die Vergabe von Rundfunksendezeiten — keine prinzipiellen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen solche Leistungen der öffentlichen Hand an die Parteien gesehen. Verfassungsrechtlich relevant sind solche Leistungen nur hinsichtlich ihrer Ausgestaltung im einzelnen. Neben der Zuteilung von Rundfunksendezeiten an die politischen Parteien gelten die Zuteilung etwa von Plakatierungsflächen im Zusammenhang mit den öffentlichen Wahlen durch die Kommunen und ähnliche Leistungen staatlicher Organe an die politischen Parteien als durchaus legitim.

Im westlichen Ausland gibt es eine vergleichbare, parallele Praxis, die nirgendwo grundsätzlichen verfassungsmäßigen Zweifeln begegnet ist. In Frankreich etwa — und darin kommt auch etwas zum Ausdruck von der Situation der politischen Parteien in unserer Zeit — übernimmt der Staat weitgehend die Kosten für Papier und Druck der Wahlzettel, Rundschriften, Plakate, Plakatierung sowie des Versandes von Drucksachen und sogar die Benzinkosten der Abgeordneten. Er gewährt für jede eingereichte Wahlliste, unmittelbar an die Parteien, das Recht auf kostenlose Zurverfügungstellung einer begrenzten Anzahl von Plakaten im Wahlbezirk sowie weitere Wahlwerbemittel.

Auch in Großbritannien werden den Parteien kostenlose Sendezeiten in Funk und Fernsehen zur Verfügung gestellt. In den Niederlanden ist eine ähnliche Regelung geplant. Andere Staaten kennen steuerliche Begünstigunyen der Parteien selbst, aber auch der den Parteien zufließenden Mittel und der Spenden.

Die Frage ist, ob direkte Geldzuwendungen gegenüber den geldwerten Leistungen des Staates an die politischen Parteien von qualitativ so anderer Art sind als die letzteren, daß sich hieraus ihre verfassungsrechtliche Unzulässigkeit bereits ergeben müßte. Ich verneine das. Grundsätzlich ist Geld den geldwerten Leistungen, sofern sie offen gegeben werden, gleich zu erachten.

Die Antwort auf die Frage der Zulässigkeit staatlicher Zuschüsse an die Parteien muß Art. 21 GG entnommen werden. Hier stellt sich zunächst die Frage nach dem Inhalt der Parteienfreiheit. Diese muß sich orientieren an der den Parteien in der Verfassung zugewiesenen Aufgabe, nämlich der Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes. Art. 21 GG kann richtig nur verstanden werden in seinem Zusammenhang und auf dem Hintergrund des Art. 20 GG, nämlich der Entscheidung der Verfassung, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht.

Art. 20 GG betrachtet das Volk als Träger der Staatsgewalt, daß heißt, daß der vom Volk, der Summe der Aktivbürger, in Wahlen und Abstimmungen ausgehende Wille kein un-differenzierter gesellschaftlicher, sondern staatlicher Wille ist. Er ist als solcher ein Wille, der sich nach dem gemein-europäischen und man kann sagen allgemeingültigen Sprachgebrauch von einem privaten und gesellschaftlichen Willen dadurch unterscheidet, daß sein unmittelbarer Gegenstand das Gemeinwohl ist, die Gestaltung und Ordnung des Staates, der res publica, des politischen Gemeinwesens, der politeia, weshalb er in der abendländischen Tradition auch als politischer Wille bezeichnet wird. Diesen seinen staatlichen, politischen, das politische Gemeinwesen verantwortlich gestaltenden Willen übt das Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung aus. Von der parlamentarischen Ebene an gewinnt die staatliche Willensbildung Rechtscharakter in Gestalt von Gesetzen, Verwaltungsakten, Urteilen. Jedoch kann man nicht nur diese rechtliche Phase der Willensbildung als dem staatlichen Bereich zugehörig bezeichnen. Die demokratische Verfassung des Grundgesetzes kennt eine Trennung in ein vom Volk als dem Träger der Staatsgewalt losgelöstes obrigkeitliches Herrschaftsund Rechtsetzungsorgan, dem alles übrige als gesellschaftliche, völlig staatsfreie Sphäre gegenübersteht, nicht. Die rechtliche Phase der Willensbildung in Parlament und Regierung ist nur eine Teil-phase der staatlichen Willensbildung. Die letztere geht vom Volke aus, von der Willensbildung der Aktivbürger in Wahlen und Abstimmungen, und an ihr nehmen neben den diesen Willen ausübenden und vollziehenden Organen der Verwaltung und Rechtsprechung und ihn mitbindend auch die Parteien als die politischen Organisationen des Volkes teil: als Wahlvorbereitungsorganisationen sowohl wie in den Jahren zwischen den Wahlen in der Erarbeitung der politischen Zielsetzungen der politischen Gemeinschaft, der Pläne und Entwürfe für die Gestaltung ihrer Wirtschaftsund Sozialordnung, ihres Bildungs-und Erziehungswesens, ihrer Innenpolitik und Außenpolitik. Diese Mitwirkung an der in Art. 20 GG normierten Willensbildung des Volkes ist den Parteien durch Art. 21 GG nicht übertragen oder zugewiesen; sie ist das Wesen der politischen Parteien selbst. Seit das allgemeine Wahlrecht die Bevölkerung politisch zu aktivieren begann, waren es die Parteien, die in Wahlkomitees für die Aufstellung geeigneter Kandidaten sorgten, die Stimmzettel herstellten und verteilten, in den Zeiten der Diäten-losigkeit den Abgeordneten Reisekosten und Tagegelder zahlten, die politischen Zielsetzungen der Bevölkerung und der Abgeordneten erarbeiteten. Diese Funktion ist mit der Parteienfreiheit selbst gewährleistet, wie um ihretwillen die Freiheit der Parteigründung und Betätigung erkämpft worden ist. Art. 21 GG ist nur vor dem historischen Hintergrund unserer vordemokratischen Vergangenheit verständlich, in der man die das Volk politisch aktivierende Tätigkeit der Parteien als Mobilisierung der Gesellschaft gegen den Staat verstand.

Art. 21 GG bringt zum Ausdruck, daß die Parteien von Verfassungs wegen so zu verstehen sind, wie sich das für demokratisches Denken von selbst versteht: als Institutionen der demokratischen Selbstorganisation des Staates oder als „state institutions, governmental agencies, through which sovereign power is exercised by the people", wie es ein amerikanisches Gericht formuliert hat.

Art. 21 GG stellt von Rechts wegen also fest und gewährleistet, daß sich die demokratische Selbstbestimmung nicht in Wahlen oder parlamentarischen Beschlußfassungen erschöpft, sondern sich zugleich in und durch die Parteien realisiert, die sich deshalb auch ihrerseits im Unterschied zu allen gesellschaftlichen Verbänden und Vereinigungen demokratisch organisieren müssen.

Art. 21 GG ist in diesem Sinne ein Freiheitsrecht. Es konstituiert — das ergibt sich aus Art. 20 — die Freiheit der staatlichen Willensbildung durch das Volk. Art. 20 und 21 sind in dem Sinne Freiheitsrechte, als sie eine freie und unabhängige demokratische Willensbildung und politische Selbstbestimmung des Volkes garantieren und gewährleisten. Sie fordern und suchen eine freie und unabhängige staatliche politische Willensbildung zu gewährleisten, das heißt eine die Ordnung des Gemeinwesens gestaltende und deshalb dem Gemeinwohl verpflichtete Willensbildung. Die politischen Parteien sind als politische Vereinigungen im Unterschied zu allen übrigen gesellschaftlichen Verbänden in ihrem Wesen dadurch bestimmt, daß sie daran mitwirken, daß ein Gemeinwille gebildet und durchgesetzt wird, der auf das Gemeinwesen als Ganzes bezogen ist. Der Aktivstatus des Staatsbürgers kann heute also aus historischen und gesellschaftspolitischen Gründen wirksam nur noch über die Parteien als der politischen Selbstorganisation des Staates realisiert werden. Politische Willensbildung ist elementare Aufgabe und Betätigung der Parteien bzw.der Staatsbürger durch die Partei. Diese politische Willensbildung muß frei von Zwang und Beeinflussung ausgeübt werden können. Gewährleistet durch die Verfassung ist die Gründungsfreiheit der politischen Parteien wie deren Betätigungsfreiheit im weitesten Sinne. Es muß also verfassungsrechtlich gesichert werden, daß sich auch neue politische Parteien bilden können, die gegenüber dem vorhandenen Bestand an politischen Auswahlmöglichkeiten — immer im Rahmen der Verfassung natürlich — Alternativen erarbeiten und anbieten können, für oder gegen die sich der einzelne Staatsbürger frei entscheiden können muß.

Politische Willensbildung vollzieht sich auf drei Ebenen, und es ist zu untersuchen, ob durch staatliche Zuschüsse an die politischen Parteien die Unabhängigkeit dieser politischen Willensbildung konkret auf einer dieser Ebenen in unzulässiger Weise vom Staat oder seinen Organen her beeinflußt, gesteuert, gelenkt oder beeinträchtigt werden kann.

Die politische Willensbildung geschieht zuerst im Bereich des Wahlrechtes im weitesten Sinne. Hierüber darf ich nähere Ausführungen beiseite lassen. Das Verbot unzulässiger Wahlbeeinflussung ist in den verschiedenen Rechtssätzen so gesichert, daß hier eine auch verfassungsrechtlich wirksame, ausreichende Sicherung angenommen werden kann.

Auf der parlamentarischen Ebene der politischen Willensbildung wird ihre Freiheit und Unabhängigkeit in erster Linie durch das Verbot des imperativen Mandates gesichtert. Art. 38 GG verpflichtet den Abgeordneten, sich in der Ausübung des Mandates von seinen gewissenhaften Überzeugungen zum Wohl des Ganzen leiten zu lassen. Dies sichert ihn also sowohl gegen ministerielle Weisungen wie gegen die politische Entscheidung bindende Aufträge und Weisungen aus dem gesellschaftlichen Bereich, durch die Abgeordnete sich Verbänden zur Stimmabgabe in deren Interesse verpflichten.

Auch hier ist durch offen ausgewiesene staatliche Zuschüsse an die politischen Parteien die Unabhängigkeit der Mandatsausübung nicht gefährdet, wohl aber durch die Einflußnahme von Interessengruppen aus dem gesellschaftlichen Bereich und durch die verschleierte Parteienfinanzierung aus öffentlichen Mitteln.

Ich versage es mir, hier im einzelnen auf vorhandene und denkbare Beispiele einzugehen, verweise aber noch einmal darauf, daß gerade in diesem Zusammenhang eingehende Untersuchungen auch in anderen Ländern der westlichen Demokratie im Gange sind.

Ähnlich wie das heute hinsichtlich der staatlichen Parteienfinanzierung behauptet wird, haben früher liberal gesinnte Abgeordnete des Deutschen Reichstags die Abgeordneten-diäten als eine staatliche Beeinflussung der Mandatsträger angesehen. Später wurden die Diäten gerade deshalb gewährt, um den Abgeordneten einen freien und unabhängigen Status und damit eine freie und unabhängige politische Willensbildung auf der parlamentarischen Ebene zu sichern.

Die dritte Ebene der politischen Willensbildung ist die im Bereich der politischen Parteien. Ihre Freiheit und Unabhängigkeit sichert Art. 21 GG durch das Recht der freien Parteigründung gegen die Organe der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Sie unterwirft um der Freiheit der demokratischen Willensbildung willen ferner die Parteien selbst einer dem im übrigen freien Vereinsrecht unbekannten gesetzlichen Ordnung und Kontrolle ihrer inneren Ordnung. Die Möglichkeit des Parteienverbots ist ein Beweis dafür, daß es einen absolut freien gesellschaftlichen Bereich, in dem sich die Parteien bewegen, im liberalen Sinne des Laisser-faire gar nicht gibt. Allerdings ist der Eingriff staatlicher Organe, der bis zur Existenz-vernichtung einer Partei geht, nur auf Grund eines verfassungsgerichtlichen Spruches möglich, nimmt also eben diese Einwirkungsmöglichkeit auf die Parteienfreiheit aus dem Bereich der Verwaltung heraus.

Ferner schützt Art. 21 GG die freie politische Willensbildung auch gegen Infragestellungen aus dem gesellschaftlichen Raum, und zwar erklärtermaßen unter dem Gesichtspunkt der Parteienfinanzierung. Die Gründungsfreiheit der Parteien wird durch direkte staatliche Zuwendungen an die politischen Parteien nicht beeinträchtigt, außer durch ihre Ausgestaltung, also in der Hauptsache im Bereich des Gleichheitssatzes. Generell aber ist die Gründungsfreiheit durch Zuwendungen an politische Parteien nicht berührt. Sofern solche staatlichen Zuwendungen in angemessenem Verhältnis zu den eigenen Mitteln einer Partei stehen, bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich einer Beeinträchtigung der Aktionsfreiheit der politischen Parteien. Innerparteiliche demokratische Willensbildung wird durch unmittelbare Staatszuschüsse an die politischen Parteien ebenfalls nicht beeinträchtigt. Die innerparteiliche Demokratie ist Verfassungsgebot. Wenn sie etwa ganz abgeschafft würde, wäre eine Partei verfassungswidrig und könnte durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgelöst werden.

Ein Parteiengesetz wird dem Verfassungsgebot entsprechend bestimmte Anforderungen an die Organisation der Parteien festlegen müssen. Verletzungen dieses Gesetzes könnten also auch — wie in allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens — auf dem Rechts-wege berichtigt werden. Beeinträchtigung der politischen Willensbildung im Bereich der Auslese und Aufstellung von Kanditaten für die Wahlen zu den öffentlichen Körperschaften ist durch das Wahlrecht so festgelegt, daß staatliche Zuschüsse an die Parteien nicht — wie dies in manchen Publikationen befürchtet wird — der Parteispitze ein Übergewicht gegenüber den unteren Parteiorganisationen geben würden. Die Rechenschaftslegung, Belegungspflicht über die Herkunft der Mittel, ist ein weiterer in einem Parteiengesetz zu regelnder Komplex, der ebenfalls im Sinne der Durchsichtigkeit und Publizität antidemokratischer Manipulationen im innerparteilichen Bereich vorbeugt. Hinsichtlich der offen im Haushalt ausgewiesenen staatlichen Zuschüsse an die Parteien ist eine solche Rechenschaftslegung über die Herkunft noch nicht einmal nötig, da jedermann — seien es Parteimitglieder, seien es Außenstehende — sich durch Einsichtnahme in die Haushaltspläne des Bundes und der Länder davon überzeugen kann, welche Mittel den Parteien hier zufließen.

Schließlich haben die Parteien durchweg Satzungen; diese müssen der innerparteilichen Demokratie entsprechen, sie müssen eingehalten werden. Dem einzelnen Mitglied steht notfalls der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten — nach der derzeit geltenden Rechtslage — offen.

Es ist nicht einsichtig, aus welchen Gründen staatliche Zuschüsse an die Parteien die in-28 nerparteiliche Demokratie und die freie Willensbildung gefährden sollen. Das ist kein Problem der Freiheit und des Eingriffs staatlicher Organe in das innerparteiliche Leben, sondern vielmehr eine Frage der Anteilnahme, der Bewußtseinslage, der Willensbildung der Parteimitglieder und ihrer Mitarbeit in den Parteien. Wie stark innerparteiliche Demokratie tatsächlich praktiziert wird, steht und fällt mit der Anteilnahme der Parteimitglieder. Hierauf haben staatliche Organe oder von diesen unterstützte Parteizentralen keinerlei Einfluß. Die Parteimitglieder blieben z. B.frei zu beschließen, die den Parteien zur Verfügung gestellten Gelder entsprechend auf die verschiedenen Stufen der Parteiorganisation zu verteilen; daran könnte sie niemand hindern. Und nicht zu vergessen, daß auch die Parteiorgane — eben jene hier gelegentlich apostrophierten Parteispitzen, denen gegenüber man solch einen ungerechten Verdacht ausgesprochen hat — in demokratischen Wahlen jeweils nur auf Zeit ihr Mandat erhalten und ohne weiteres abgewählt werden können — beispielsweise dann, wenn ihnen die Mitgliedschaft der Partei den Vorwurf macht, daß sie ihr Amt nicht redlich ausüben, wozu auch der Vorwurf unzulässiger, unrichtiger Verwendung der staatlich gewährten Zuschüsse gehören würde.

Herr Kollege Dr. Arndt hat gesagt, die jetzige Regelung im Haushaltsgesetz beeinträchtige die Freiheit der Parteien, weil kein eindeutiger Anspruch statuiert werde. Ich unterstütze ohne Vorbehalt das, was Herr Prof. Friesen-hahn dazu gesagt hat. Hier wird durch den Gesetzgeber ein eindeutiger Auftrag an die Exekutive erteilt. Die Exekutive ist gebunden, sie kann nicht frei verfügen über das, was durch Gesetzesbeschluß des Parlaments festgelegt ist. Sicherlich wäre es verfassungspolitisch wünschenswert, daß die Situation der Parteien auch insofern im Rahmen eines Parteiengesetzes klarer gefaßt würde. Aber wir haben hier auch Argumente gehört, daß es besser sei, die Parteien von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr ein wenig zappeln zu lassen, um damit eine zusätzliche Sicherheit dafür zu schaffen, daß sie nicht gar zu sehr in die Versuchung kämen, sich auf die Ruhebank zu legen. Ich will über dieses Argument nicht streiten; ich will nur sagen: Von daher ist also die Forderung, die zwingende Forderung nach einem Gesetz keineswegs überzeugend dargetan.

Was hinsichtlich der Kontrolle gesagt ist, daß nach dem Motto „wer da Geld gibt, damit auch kontrolliert", ist doch in diesem Zusammenhang, gerade im Zusammenhang mit der im einzelnen sich nicht festlegenden Regelung durch ein Flaushaltsgesetz völlig unrichtig. Es gibt doch keine staatliche Kontrolle gegenüber den Parteien. Diese ist hier in gar keiner Weise statuiert worden und es bedürfte erst einer besonderen Statuierung, wenn sie ausgeübt werden sollte. Denn die Kontrolle, die im Zusammenhang mit dem Haushaltsplan ausgeübt wird, ist lediglich die Kontrolle über die ordnungsgemäße, bestimmungsgemäße Verwendung der Haushaltsmittel. Diese erfolgt ausschließlich durch das Parlament und den Bundesrechnungshof. Niemand anders übt eine Kontrolle aus. Es ist eine einfache Unterstellung, wenn behauptet wird, daß dadurch, daß im Haushalt des Bundes Mittel vorgesehen seien, damit eine Kontrolle in die Parteien hinein stattfindet.

Eine Gefährdung der Freiheit der Parteien durch direkte staatliche Subventionen kann deshalb auch für diesen Bereich nicht festgestellt werden. Im Gegenteil: die Freiheit der politischen Willensbildung würde durch solche Zuschüsse dann besonders gefördert und verlebendigt, wenn sie im Sinne unserer Vorstellungen zum Zwecke der politischen Bildung auch innerhalb der Parteien verwendet würden. Die Kompliziertheit der politischen Vorgänge erfordert eine viel weitgehendere Information des Staatsbürgers und der einzelnen Parteimitglieder, als dies in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten der Fall war. Eine Förderung der Parteien durch staatliche Subventionen im Bereich der politischen Bildung würde das politische Wissen, vor allem aber auch das kritische Bewußtsein des Bürgers fördern, ihn so zu einer besseren und entschiedeneren Anteilnahme an der politischen Willensbildung führen und auch deren direkte Beeinflussung innerhalb der Parteien im Bereich der Erarbeitung politischer Konzeptionen stärken.

Das könnte im ganzen gesehen in keiner Weise die Freiheit der Parteien beeinträchtigen, sondern im Gegenteil sie bewußt ausweiten. Das wäre wünschenswert nicht nur im Interesse einer einzelnen Partei, sondern als eine Verwirklichung der Möglichkeiten, des Wirkungsbereichs, der Funktionen der politischen Parteien zum Nutzen des gesamtten Staates.

Solche politische Bildungsarbeit ist im Grunde genommen nur eine dem modernen demokratischen Rechtsstaat angemessene und obliegende Pflicht, eine entwicklungsmäßig notwendige Ausgestaltung und Weiterführung der politischen Willensbildung, die durch den Unterbau der politischen Information und Bildung der Staatsbürger erst richtig und effektvoll ausgeübt werden kann.

Die Sozialdemokraten haben deshalb mit gutem Grunde dafür plädiert, daß unmittelbare Zuwendungen des Staates an die politischen Parteien gerade für diese Zwecke gegeben werden und Verwendung finden sollen. Es handelt sich hier nicht um irgendeine Auftragsangelegenheit, die die politischen Parteien von irgendwelchen anderen Trägern übernehmen und ausführen sollten, sondern eine zum Wesen der politischen Parteien als Träger der politischen Willensbildung gehörige Aufgabe.

Ich muß an dieser Stelle auch Bedenken anmelden gegenüber einigen Überlegungen des Bevollmächtigten der CDU in deren Schriftsatz vom 1. April 1966. Es ist dort davon die Rede — auf S. 35 ff. —, daß nicht bestimmte Modellvorstellungen für die Struktur der politischen Parteien Ausgangspunkt für die Interpretation des Art. 21 GG sein dürfen. Es ist richtig, daß das Grundgesetz den politischen Parteien weitgehend die Freiheit läßt, sich in verschiedenen Formen zu organisieren. Es gibt aber bestimmte Vorstellungen über politische Parteien, die mit dem Wesen der politischen Willensbildung, wie sie Art. 20 und 21 GG verstehen, nicht vereinbar sind. Reine Wählerparteien, die hier gefordert worden sind — ich glaube, es war der Kollege Benda, der die Freiheit der Parteien, sich so zu gestalten, wohl in diesem Sinne interpretierte —, halte ich für mit Art. 21 GG nicht vereinbar. Dort wird nämlich die politische Willensbildung, und zwar sowohl im Bereich der Wahl-vorbereitung, also der Kandidatenauslese und -aufstellung, als auch der Erarbeitung politischer Programme und Alternativen innerhalb einer Partei, nur von einer kleinen Schicht von Honoratioren vorgenommen. Der Staatsbürger als Wähler dieser Parteien wäre darauf beschränkt, das, was ihm diese Parteien vorsetzen und was er im Bereich der politischen Willensbildung auf der Parteiebene in keiner Weise auf Grund seiner Mitgliedschaftsrechte beeinflussen kann, lediglich durch seinen Stimmzettel an der Wahlurne zu akzeptieren. Das wäre eine rein passive Rolle, die dem Aktivbürgerstatus, für den sich das Grundgesetz entschieden hat, nicht entspricht. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus; sie darf also nicht im Wege der Wählerparteien auf eine bestimmte Parteienaristokratie beschränkt bleiben -— gleichgültig, ob es sich dabei um Honoratioren handelt oder aber um jene Übergänge zu einer mit der demokratischen Struktur nicht zu vereinbarenden Führerpartei im faschistischen Sinne, wo bestimmte, mit der Führerqualität ausgestattete Personen unter sich allein die Willensbildung vollziehen und dem Staatsbürger zweiter Klasse nur deren Akzeptierung zugestehen.

Es gibt also nach wie vor keine bessere Garantie für demokratische und freiheitliche Parteien als die, welche sich am Modell der Mitgliederpartei orientieren. Gerade in Deutschland mit seiner im Bewußtsein des Volkes nur unzureichend verankerten Parteiendemokratie, welche vielen Gefährdungen ausgesetzt ist, wie uns unsere eigene neuere Geschichte lehrt, ist es erforderlich, gerade den hier dargelegten Aspekt besonders im Auge zu behalten. Sicher sind auch die Wählerparteien davon abhängig, daß ihnen bei den öffentlichen Wahlen die Staatsbürger ihre Stimme geben. Die geschichtliche Erfahrung zeigt aber, daß Krisenlagen und sachfremde Gesichtspunkte die Wählerentscheidungen zu beeinflussen und beachtliche Veränderungen der Stimmverhältnisse und der Bedeutung der Partei herbeizuführen vermögen. Solange weltanschauliche Gesichtspunkte, die sich erfreulicherweise allerdings immer mehr im Abbau befinden, für Wahlentscheidungen überhaupt noch ausschlaggebend sein können oder unter dem Eindruck innen-, wirtschafts-oder außenpolitischer Krisen, wie wir es am Ende der Weimarer Republik erlebt haben, die Staatsbürger ideologischen Einflüssen extremistischer Gruppierungen verfallen können, müssen die Weichen in Richtung auf das unserer Verfassung am besten entsprechende Modell der Mitgliederpartei gestellt werden.

Ich komme also zu dem Ergebnis, daß auf keiner der drei dargestellten Ebenen eine Verfassungswidrigkeit der unmittelbaren staatlichen Zuwendungen an die Parteien festgestellt werden kann.

Zu einem überzeugend gleichen Ergebnis kommen wir, wenn man sich einen Moment noch der staatlichen Parteienfinanzierung zuwendet. Erwin Hielscher hat sich in seinem am 25. Mai 1955 in der Hochschule für politische Wissenschaften in München gehaltenen Vortrag „Die Finanzierung der politischen Parteien" für eine Finanzierung aus öffentlichen Mitteln eingesetzt und dabei auf Pläne Stresemanns aus der Weimarer Zeit hingewiesen, welcher als Vertreter einer spezifisch kapitalistischen Partei am Ende seines Lebens sich damit befaßt hat, die Macht des Geldes bei den Wahlen einzudämmen. Hielscher hat dabei auch ausgesprochen, daß es sich bei der staatlichen Parteienfinanzierung praktisch „nur um die Fortsetzung einer Entwicklungslinie" handelt, „die schon in den Anfängen des Parlamentarismus begonnen hat", nämlich bei dem Streit um die Einführung der Abgeordneten-diäten. Unter der Herrschaft der konstitutionellen Monarchie im deutschen Reich war politische Willensbildung wesentlich Sache des Wahlrechts und der Mandatsausübung durch die Abgeordneten im Reichstag und in den Vertretungskörperschaften der einzelnen Bundesstaaten. Im Laufe der bereits aufgezeigten historischen und verfassungsrechtlichen Entwicklung vollzieht sich die politische Willensbildung des Souveräns „Volk" heute tatsächlich nur noch durch die Parteien. Sie sind die eigentlichen Träger der politischen Willensbildung geworden. Abgesehen davon könnten wegen der Komplizierung und der Vielschichtigkeit der politischen Probleme heute einzelne Abgeordnete nicht mehr — wie damals — wirksam politisch tätig werden, wenn ihnen nicht erhebliche Arbeiten durch die Parteien und ihre Organisationen abgenommen würden.

Das, was also damals Aufgabe einzelner Abgeordneter war, ist heute weithin Aufgabe der Parteien geworden. Insofern besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der staatlichen Finanzierung der Mandatsträger durch die Diäten und die staatliche Bezuschussung der politischen Parteien heute. Das übersieht Herr Kollege Dr. Arndt, wenn er meint, es gehe hier um ein falsches Beispiel. Die Sicherung der Freiheit der Abgeordneten damals ist heute weithin das Problem der Sicherung der Freiheit der Parteienwirksamkeit geworden.

Die Behandlung des Diätenproblems im Deutschen Reichstag vermag also, weil es sich um eine vergleichbare politische Frage handelt, Aufschluß zu geben über das Problem unmittelbarer staatlicher Zuschüsse an die Parteien. Auch das Problem der Abgeordneten-diäten ist durchaus zutreffend eben als ein Problem der Freiheit und Unabhängigkeit der politischen Willensbildung behandelt worden, so wie dies heute bei der staatlichen Parteien-finanzierung der Fall ist. Sowenig man damals bereit war einzusehen, wie notwendig die Freiheit des Abgeordneten als Voraussetzung für eine demokratische Entwicklung ist, so scheint mir, ist es heute offenbar schwierig, deutlich zu machen, daß auch das Problem der Freiheit der Parteien im gleichen Sinne gesehen werden muß. Damals wie heute stand man in gesellschaftspolitischen Entwicklungsphasen, die Veränderungen in der Gestaltung des modernen Staatswesens forderten.

Als Folge der industriellen und sozialen Revolution hat sich im vergangenen Jahrhundert der Übergang vom monarchischen Staat zur konstitutionellen Monarchie und zum liberalen Rechtsstaat vollzogen. Die Auflösung der überkommenen bürgerlichen Lebensverhältnisse, das Aufkommen neuer sozialer Schichten verlangte ein neues Verständnis und eine neue Gestaltung der staatlichen und sozialen Wirklichkeit.

Rudolf Gneist hat in seiner Schrift „Der Rechtsstaat" bereits 1879 diese Entwicklung richtig erkannt und beschrieben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist auch jener Begriff des sozialen Rechtsstaates zum ersten-mal gebraucht worden, welcher als ein Grundprinzip in unserer Verfassung eingegangen ist. „Sozialer Rechtsstaat" aber bedeutet, daß die Freiheit in unserer Zeit nicht nur eine Frage des Schutzes vor staatlichen Eingriffen ist, sondern zugleich auch eine Frage der umfassenden Wirksamkeit und Betätigung im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich, der organisierenden, planenden, verantwortlichen Gestaltung durch die politische Gemeinschaft. Es ist eine unverzichtbare Seite des Freiheitsproblems, daß den überkommenen Grundrechten des Eigentums, der Familie, der Berufs-freiheit, der Wissenschafts-und Lernfreiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung, der Vereinigungs-und Glaubensfreiheit nach der Zeit der sozialen Umbrüche und Inflationen wieder soziale Wirklichkeit zurückgegeben wird, indem sich der Staat als leistender Sozialstaat dieser Freiheiten durch fördernde Einwirkungen annimmt.

In den Diätendebatten des Reichstags des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichstags ging es darum, nicht nur eine privilegierte Schicht — wie das zuvor der Fall war — an der Staatsgestaltung und politischen Willensbildung zu beteiligen, sondern jeden Staatsbürger. Nachdem das allgemeine und gleiche Wahlrecht in die Verfassungsurkunden Eingang gefunden hatte, kam es darauf an, diesem auch politische Wirklichkeit zu verschaffen. Für uns heute muß gelten: Nachdem die Verantwortung der politischen Parteien für die Mitwirkung an der politischen Willensbildung verfassungskräftig verbürgt ist, kommt es darauf an, diese Verantwortung in Freiheit möglich zu machen.

Herr Kollege Arndt meint, daß der Vergleich deshalb hinke, weil der Abgeordnete ein Amt im Sinne des Art. 48 ausübe und es sich insofern nur um die zulässige Selbstfinanzierung der Staatsorganisation handle. Aber ohne wirkungsfähige Parteien kommen wir zu keiner Staatsorganisation. Wir müssen den Begriff des government in einem weiteren Sinne verstehen, und wir müssen die mitverantwortliche Funktion der Parteien anerkennen.

Die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 17. April 1867 und die Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 enthielten in dem gleichlautenden Art. 20 die Bestimmung: „Der Reichstag geht aus allgemeinen, direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor." Beide Verfassungen enthielten aber in ihrem Art. 32 die in unmittelbarem Zusammenhang damit stehende weitere Bestimmung: „Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen." Beide Artikel standen in engstem Zusammenhang; der zweite war für Bismarck wie für die Regierungen der deutschen Einzelstaaten die Bedingung des ersten. Wenn ein allgemeines Wahlrecht, dann nur ohne Diäten. Das dahinterstehende Motiv ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden: Man versprach sich von der Diätenlosigkeit kurze Parlamentssessionen, also eine möglichst begrenzte Beteiligung des Volkes an der politischen Willensbildung; man wollte die Einführung einer berufsmäßigen Parteipolitik verhindern, und man sah in der Versagung der Diäten vor allen Dingen das einzige Mittel des Ausschlusses der sozial niederen Schichten aus den Parlamenten.

Bei der Beratung dieses Verfassungsartikels im Reichstag des Norddeutschen Bundes gibt es Diskussionen und Ausführungen, die nicht nur wegen der Verwandtschaft des Problems lesenswert sind, sondern die teilweise im Verhältnis zur heutigen Diskussion eine geradezu verblüffende Übereinstimmung der Argumente bis hinein in wörtliche Formulierungen haben. Ich muß es mir versagen, das hier im einzelnen zu zitieren. Aber ich muß doch darauf hinweisen, welche Bedeutung für die Beurteilung unseres Problems nach meiner Auffassung dieses Problem für eine richtige Bewertung des gesamten Komplexes hat.

Für die demokratischen Parteien des Reichstags — die Sozialdemokraten, das Zentrum und die linken Liberalen — war der seit der verfassungsberatenden Versammlung des Norddeutschen Reichstags von ihnen regelmäßig wiederholte Antrag auf Bewilligung von Diäten eine Forderung der politischen Freiheit, und zwar in drei Richtungen: Es geht bei den Diäten um die soziale Realität des aktiven und passiven Wahlrechts, um ausreichende Parlamentssitzungen und um die Sicherung der politischen Unabhängigkeit wirtschaftlich abhängiger und unselbständiger Abgeordneter vor dem Einfluß der Interessengruppen.

Es geht heute bei der Frage um die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien um die Möglichkeit ihrer Arbeit in einem freien Raume, es geht darum, zu sichern, daß sie ihrer Verantwortung gerecht werden unter den geänderten Bedingungen unserer Zeit gegenüber jenen Jahren, in denen sie gegründet worden und entstanden sind, es geht darum, ihnen die freie politische Betätigung zu ermöglichen.

Wir dürfen nicht übersehen, daß die Parteien gerade in der Bundesrepublik Deutschland darüber hinaus noch in einer besonderen Situation sind. Sie sind in einem anderen, viel weiter gehenden, viel stärkerem Maße als die demokratischen Parteien irgendeines anderen Landes dieser Welt — ob sie es wollen oder nicht und ganz gleich, in welcher Form sie es im einzelnen praktizieren — gezwungen zu einer unmittelbaren Auseinandersetzung nicht nur mit anderen demokratischen Parteien, sondern mit jenen undemokratischen Scheingebilden, die sich auch Parteien nennen, auch als Parteien auftreten, die aber als Staatsparteien auf einer ganz anderen Basis funktionieren und wirken können — beispielsweise im unfreien Teile Deutschlands. Kann es eine richtige Entscheidung im freien Teile Deutschlands sein — so frage ich —, wenn wir unseren Parteien nicht die Möglichkeit geben, ihren Auftrag, der auch darin besteht, ihren Beitrag zur Sicherung der Freiheit zu leisten, dadurch erschweren, daß wir ihre Arbeitsund Funktionsfähigkeit selber in Frage stellen? Das ist die Grundfrage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, deren Auffassung ich hier zu vertreten habe, befindet sich in einer anderen Situation als die anderen Parteien. Sie ist auf Grund ihrer Tradition, auf Grund ihrer großen Organisation, auf Grund ihrer Erfahrungen und Praxis auf diesem Gebiete in der glücklichen Situation, daß es für sie nicht unmittelbar eine existenzbedrohende Frage ist, ob die Funktionsfähigkeit der politischen Parteien auch von Staats wegen mit unterstützend gesichert wird. Aber ebenso wie die Sozialdemokraten vor 50 Jahren im Deutschen Reichstag in der Diätendebatte erklären konnten: „Wir haben das Problem für uns gelöst", und dennoch dafür eingetreten sind, daß zur Wahrung und Sicherung der Freiheit der Abgeordneten eine vernünftige Diätenregelung erfolgte, sagen auch die Sozialdemokraten heute, daß nach ihrer Auffassung zur Sicherung der freiheitlichen Betätigung der Parteien eine verfassungsmäßige Lösung zur Sicherung der Parteienfreiheit gefordert werden muß.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Gerhard Jahn, Rechtsanwalt, seit 1957 Mitglied des Deutschen Bundestages, geb. 10. September 1927 in Kassel.