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Die Sowjetarmee in Ungarn 1956 | APuZ 43/1966 | bpb.de

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APuZ 43/1966 Ungarn von 1945-1965 Die ideologische Diskussion der ungarischen Revolution 1956 Die Sowjetarmee in Ungarn 1956

Die Sowjetarmee in Ungarn 1956

Peter Gosztony

Die sowjetische Besatzung 1945— 1955

Dreimal drangen russische Armeen in den letzten hundert Jahren in Ungarn ein. Im Jahre 1849 die Kosaken des Fürsten Paskiewitsch, die den ungarischen Freiheitskampf nieder-warfen, 1915 die Truppen des Zaren Nikolaus II., die die Karpathen überschritten und bis Mezölaborc vordrangen, und in den Jahren 1944/45 die Rote Armee, die den Krieg auf ungarischen Boden trug und in schweren Kämpfen die deutsche Wehrmacht und die zahlenmäßig unbedeutende ungarische Honved-Armee aus dem Land herausdrängte.

Seit dem 4. April 1945 standen somit russische Truppen in Ungarn. An dieser Tatsache konnte auch der 1947 in Paris unterzeichnete Friedensvertrag nichts ändern, in dem Moskau sich verpflichtete, innerhalb von 90 Tagen seine Armee aus Ungarn zurückzuziehen Österreich war zu dieser Zeit noch in vier Besatzungszonen aufgeteilt, und nach den internationalen Verträgen hatte die Rote Armee das Recht, ihren Nachschub durch ungarisches Territorium zu führen und ihn zu sichern Diesen Vorwand benützte die Sowjetunion, um in unbeschränktem Maße Truppen in Ungarn zu stationieren, deren Anwesenheit sie als „eine innere Angelegenheit der Sowjetunion" betrachtete. Als dann im Jahre 1949 Mtys Räkosi, Generalsekretär der ungarischen Kommunistischen Partei, die Macht der bürgerlich-demokratischen Parteien endgültig gebrochen und die Volksdemokratie errichtet hatte, gab es niemanden mehr im Lande, der in der Öffentlichkeit sein Wort gegen die sowjetische Besatzung erheben konnte. Der Terror der Kommunisten brachte jede Opposition zum Schweigen.

In den zehn Jahren zwischen 1945 und 1955 hatte sich die Sowjetarmee in Ungarn häuslich niedergelassen. Ihre Garnisonen verschwanden nach 1948 allmählich aus Budapest und aus den größeren Städten des Landes und etablierten sich mit Vorliebe in kleineren Orten oder in den Vororten der Großstädte, wo sie nicht ständig den Augen der Bevölkerung ausgesetzt waren. Als Unterkünfte für die Sowjettruppen dienten vorerst die ungarischen Kasernen, die man nach Kriegsende kurzerhand beschlagnahmte. Später, in den frühen fünfziger Jahren, bauten die Russen selber Kasernen. Es entstanden so ganze Kasernen-Städte, die mit ihren modernen Einrichtungen als Ausbildungszentren der Sowjetarmee in Ungarn dienten. Nach zuverlässigen Quellen verfügte Moskau in dieser Zeit über 6 bis 8 voll aufgefüllte Divisionen in Ungarn (Spezial-truppen nicht gerechnet), derenHauptmacht mit Panzern und schweren Waffen ausgerüstete Verbände bildeten. Als dann der jugoslawisch-sowjetische Konflikt ausbrach (1949), gefolgt vom Krieg in Korea (1950), stand Ungarn plötzlich selbst in der Frontlinie: die ungarische Volksarmee wurde in einem enormen Tempo ausgebaut, kriegseinsatzfähig gemacht, zugleich wurden im Lande mehr als zehn Sowjetdivisionen stationiert. Der ungarischen Bevölkerung schien in dieser Zeit der Kriegsausbruch mit Jugoslawien eine Sache von Wochen zu sein.

Trotz dieser Truppenkonzentrationen und Kriegsvorbereitungen sah man in den fünfziger Jahren nur wenige Sowjetsoldaten in den Straßen Budapests. Das Oberkommando der Sowjetarmee in Ungarn achtete sehr streng darauf, daß ihre Soldaten weder in der Hauptstadt noch in anderen größeren Städten zu sehen waren. Die Isolation von der einheimischen Bevölkerung traf nicht nur den gemeinen Soldaten, sondern auch das Offizierskorps, dessen Privatleben das Oberkommando im Ausland besonders überwachte. Die Offiziere der Besatzungsarmee wohnten mit ihren Familien in Wohnkolonien, die man für diesen Zweck gebaut hat, sie kauften in Läden ein, die nur den Russen offenstanden, und sogar für ihre Kulturbedürfnisse wurde gesorgt.

Die Mannschaften wurden noch strenger gehalten. In der Sowjetarmee dienten die Dienst-pflichtigen in der Regel drei bis fünf Jahre. Sie waren während dieser Zeit dem klassischen preußischen Drill unterworfen, hatten kaum Zeit für sich selbst und durften nur selten ihre Kasernen-Städte verlassen.

Nach dem Tode Stalins (1953) und im Zuge der darauffolgenden Liberalisierungstendenzen in der UdSSR wurden die strengen Verordnungen auch für die Sowjetarmee gelokkert. In den Städten, die Mitte der fünfziger Jahre Sowjetgarnisonen beherbergten, begann sich eine lose Verbindung zwischen den Sowjetsoldaten und der Bevölkerung anzubahnen. Doch das war nicht so leicht, denn die Erinnerungen an die ersten Begegnungen mit der Sowjetarmee von 1944/45 mit ihren schrecklichen Ausschreitungen waren bei den meisten Ungarn noch nicht verblaßt.

Am 15. Mai 1955 entstand als Ergebnis der Genfer Viermächte-Konferenz das unabhängige, neutrale Österreich. Aus den vier Besatzungszonen wurden die fremden Armeen abgezogen. Auch die Sowjetarmee mußte den von ihr besetzten Teil des Landes räumen. Die Mehrheit ihrer Truppentransporte wurde durch Ungarn geleitet. In diesen Monaten hegten viele Ungarn die Hoffnung, daß die Sowjetarmee nun auch aus Ungarn abziehen würde. Die rechtlichen Grundlagen für ihre weitere Stationierung in Ungarn waren ja mit dem österreichischen Staatsvertrag ohnehin hinfällig: . Moskau brauchte die ungarische Etappe nicht mehr für die Versorgung ihrer Truppen in Österreich. Doch die Sowjets sorgten rechtzeitig vor.

Der Warschauer Vertrag und Ungarn

Genau einen Tag vor dem Inkrafttreten des Österreichischen Staatsvertrages, am 14. Mai 1955, wurde in der polnischen Hauptstadt Warschau nach einer dreitägigen Sitzung der Vertreter der osteuropäischen Volksdemokratien und der Sowjetunion das unter dem Namen „Warschauer Pakt" bekanntgewordene osteuropäische militärische und politische Vertragssystem unterzeichnet. Von dieser Stunde an waren die in den osteuropäischen Volksdemokratien (namentlich in Polen, in Ungarn und in Rumänien) stationierten Einheiten der Sowjetarmee nicht mehr Besatzungstruppen, sondern „verbündete Streitkräfte", die allerdings weiterhin unter dem Oberbefehl der Sowjetunion (Hauptquartier des Vereinten Kommandos des Warschauer Paktes: Warschau; Oberbefehlshaber: Marschall der Sowjetunion I. S. Konjew) blieben.

Die neugestalteten Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Volksdemokratien brachte den letzteren dennoch einige Vorteile. Das Warschauer Schlußkommunique enthielt unter anderem folgende Sätze: „Die Verteilung der vereinten bewaffneten Formationen auf dem Territorium der Signatarmächte des Paktes wird in Berücksichtigung der Anforderungen der wechselseitigen Verteidigung durch eine Vereinbarung zwischen diesen Staaten durchgeführt." Das heißt, für Truppen-verschiebungen und Truppenverstärkungen bedurfte die Sowjetunion stets die Genehmigung des betreffenden Staates, in dem ihre Truppen sich aufhielten.

Die neue Lage brachte eine Reihe von Veränderungen im Leben der Sowjettruppen in Ungarn. Ihre Isolation von der Bevölkerung wurde gelockert. Nachdem die ungarische Presse öfters die Waffenbrüderschaft zwischen der Volksarmee und der Sowjetarmee betont hat, erhielten ungarische Offiziere Einladungen in russische Kasernen. Kulturensembles durften jetzt gelegentlich in Sowjetgarnisonen auftreten, und die Soldaten erhielten leichter die Erlaubnis, ihre Freizeit in den Dörfern oder Städten zu verbringen. Doch diese Änderungen beeinflußten die grundsätzlichen Direktiven der politischen Stellen der Sowjetarmee nicht, die weiterhin streng darauf achteten, daß die Freundschaft mit der einheimischen Bevölkerung bestimmte Grenzen nicht überschritt.

Im Herbst 1955 erhielt die ungarische Volksarmee neue, moderne Waffen und andere militärische Ausrüstung. Gleichzeitig begann man mit der Vorarbeit für die Aufstellung von zwei ungarischen Elite-Divisionen, die dem Vereinten Kommando des Warschauer Paktes unmittelbar unterstellt und in der Tschechoslowakei bzw. Rumänien stationiert werden sollten. Diese Divisionen hätten bis 1957 ihre neuen Standorte einnehmen sollen. Die Ausbildung und politische Schulung ihres Offizierkorps wollte man in erster Linie in den Garnisonen der Sowjetarmee in Ungarn oder, wie sie jetzt offiziell hießen, in den „Sowjetbasen" durchführen.

Die Standorte dieser „Sowjetbasen" blieben die gleichen wie in der Zeit der Besatzung. Die Zahl der Anfang 1959 in Ungarn stationierten Sowjettruppen bezifferte man mit drei auf Kriegsstärke gebrachte Divisionen (2. und 17. mot. -mech. -Div. und die 92. Pz. -Div.) zuzüglich Spezialtruppen. Nach zuverlässiger westlicher Quelle befanden sich im Herbst 1956 ca. 40-bis 45 000 russische Soldaten in Ungarn

Die politischen Ereignisse des Sommers 1956 spielten sich im ganzen Land so ab, als wären in Ungarn keine Sowjetsoldaten mehr. Gewiß, die Sowjetregierung übte in dieser Hinsicht eine gewisse Zurückhaltung. Insbesondere nach der Demission Räkosis, des gehaßten Diktators, achtete sie darauf, nicht den Anschein zu erwecken, russische Soldaten mischten sich in die inneren Angelegenheiten Ungarns ein. Die Sowjet-Kasernen in der Umgebung von Budapest erhielten Ausgangssperre; diese Maßnahme wurde später, im August, im Zuge der sich anbahnenden Suezkrise, auch auf die Garnisonen in der Provinz ausgedehnt. Im September, als die ungarische Bevölkerung bereits im Banne der fiebrigen Vorrevolutionszeit lebte und die Spannung von Tag zu Tag zunahm, erfaßte auch eine gewisse Unruhe das Oberkommando der Sowjettruppen in Ungarn. Sie setzten Ende September /Anfang Oktober ihre Truppen in Alarmbereitschaft.

Das erste Eingreifen der Sowjets

Am Abend des 23. Oktober schossen Truppen des ungarischen Staatssicherheitsdienstes in die demonstrierende Menge vor dem Budapester Rundfunkhaus Die Antwort der dort Versammelten war ein Gegenstoß, der sich innerhalb von Stunden zu einem Volksaufstand ausweitete. Während bei den obersten Kommandostellender ungarischen bewaffneten Kräfte (Verteidigungsministerium, Staatssicherheitszentrum, Polizeipräsidium) Chaos und Unschlüssigkeit herrschten, griff der von Belgrad soeben nach Budapest zurückgekehrte Erste Sekretär der ungarischen kommunistischen Partei, Ernö Gero, zum direkten Telefon nach Moskau. Er, der alte Komintern-agent und „Berufsrevolutionär", durchschaute die prekäre Lage sofort und forderte zur Niederwerfung des Aufstandes sowjetische Militärhilfe an.

Geros Bitte kam für die Sowjets nicht unerwartet. Ihre zuständigen Stellen in Budapest waren wahrscheinlich über die sich anbahnen-den Ereignisse in Ungarn besser orientiert als der Erste Sekretär der ungarischen kommunistischen Partei. Auf alle Fälle standen die Sowjettruppen schon um den 20. Oktober in der Karpatho-Ukraine und in Rumänien bereit, die ungarische Grenze jederzeit zu überschreiten. Auf Geros Bitte hin wurden daher die Sowjetgarnisonen in Ungarn sofort in Alarmzustand gesetzt und aufgefordert, in Aktion zu treten.

Die der ungarischen Hauptstadt am nächsten gelegenen Standorte der Sowjettruppen waren am Abend des 23. Oktober Cegled und Stuhlweißenburg, beide etwa 70 km von Budapest entfernt, erstere südöstlich und letztere südwestlich der Hauptstadt. Die Panzer, die aus dem Südwesten kamen, erschienen am 24. Oktober gegen zwei Uhr morgens in Budapest. Sie versuchten die Donaubrücken zu blockieren und mit den aus Cegled ankommenden Panzerkolonnen die Verbindung aufzunehmen. Die erste Überraschung traf sie schon in diesen frühen Morgenstunden. Die in der Hauptstadt ankommenden Sowjettruppen wurden ungarischerseits nicht von Verbindungsoffizieren der Volksarmee erwartet. So mußten sich die Russen in der nächtlichen, spärlich beleuchteten Großstadt mit Karten oder durch Befragung von Passanten orientieren. Sie wollten zum Rundfunkhaus gelangen, da sie von der Schlacht um dieses Gebäude erfahren und die Aufgabe hatten, die Belagerten — die Staats-sicherheitsleute — zu entsetzen.

Was wollten sie dort mit ihren Panzern ausrichten? Eines wissen wir mit Sicherheit: die russischen Truppen hatten am 24. Oktober morgens noch keinen Schießbefehl. Laut ihrem Befehlshaber hatten sie durch ihr bloßes Erscheinen, durch eine Machtdemonstration und geschlossenes Auftreten der Revolte (von deren Ausmaß sie keine Ahnung hatten) im Bereich des Funkhauses ein Ende zu bereiten, ähnlich wie am 17. Juni 1953 in Berlin. An einen offenen Kampf mit den Aufständischen dachten sie überhaupt nicht. Deshalb erfolgte ihr Aufmarsch auch in geschlossenen Kolonnen; die Panzer schlossen ihre Luken nicht, sie bewegten sich mit offenem Panzerturm, als zögen sie ins Manöver.

Die Vorausabteilungen der sowjetischen Truppen erreichten in dieser Nacht das Rundfunk-haus nicht mehr. Sie verirrten sich hoffnungslos in der Großstadt, da sie von den Passanten oft bewußt irregeführt worden waren Als dann der Morgen des 24. Oktober anbrach, war die Schlacht um das Rundfunkhaus bereits beendet. Sieger blieben die Aufständischen — Studenten, Arbeiter und Bürger, denen sich Offiziere und Soldaten der Volksarmee während der Nacht in immer größeren Gruppen angeschlossen hatten

Das Erscheinen der Sowjetpanzer in Budapest versetzte die ungarische Bevölkerung in äußerste Erregung. Bisher haben sie die Geschehnisse als eine „innere Angelegenheit" betrachtet, als eine Auseinandersetzung zwischen dem Volk und der Diktatur der Gerö-Hegedüs-Clique. Mit der Militärintervention einer Großmacht — in diesem Falle der Sowjetunion — hatte niemand gerechnet. In dem „ 16-Punkte-Programm" der Studenten der Technischen Hochschule befanden sich ja keine antisowjetischen oder ausgesprochen antikommunistischen Parolen. Die Studenten verlangten nur, daß die Beziehungen zu der UdSSR in Zukunft „auf der Basis völliger Gleichberechtigung und der Nichteinmischung in die innere Angelegenheiten" bestehen sollten Den Rückzug der Sowjettruppen aus Ungarn forderte man im Zuge der Erfüllung des Friedensvertrages von 1947, und es kam niemandem in den Sinn, etwa eine Demonstration mit antisowjetischen Parolen vor der Botschaft der UdSSR durchzuführen.

Das Erscheinen der Sowjetsoldaten auf den Straßen Budapests gab der kaum einige Stunden alten Revolution neuen Aufschwung und einen anderen Charakter. Die nationalen Gefühle loderten plötzlich auf, und sie wurden stärker als alle Lehren, die seit zehn Jahren den Internationalismus vor den Patriotismus zu setzen versucht hatten. So wurde die Revolution zu einem Volksaufstand und gleichzeitig zu einem Freiheitskampf gegen die fremden Eindringlinge.

An diesem ersten Morgen des Aufstandes waren nämlich die Fronten schon klar. Das Volk sah bereits, daß auf der Seite der Partei (das heißt der oberen Parteibürokratie) höchstens noch der Staatssicherheitsdienst stand. Die Polizei, die Volksarmee und der Grenzschutz verhielten sich neutral oder schlossen sich den Aufständischen an. Die Sowjetarmee schickte sich an, eben dieser Parteiclique und dem gleichermaßen verhaßten Staatssicherheitdienst Hilfe zu leisten. Wenn auch hinsichtlich der zukünftigen politischen Gestaltung des Landes unter den Aufständischen Uneinigkeit herrschte, in einem waren sie sich einig: die Russen hatten in Budapest nichts zu suchen.

So wurde den am Morgen des 24. Oktober in die Hauptstadt einrückenden Sowjetsoldaten ein ganz anderer Empfang bereitet, als diese es sich vorgestellt hatten. Grimmige Gesich-ter, drohende Fäuste und laute Pfui-Rufe begleiteten die Lastwagen der Soldaten auf ihrem Weg durch die von Arbeitern bewohnten Vororte. Dann kam es zu der ersten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Sowjets und Ungarn. Arbeiter und Studenten, teilweise von Angehörigen der Volksarmee geführt, eröffneten das Feuer auf die in Richtung Innenstadt fahrenden sowjetischen Schützenpanzerwagen Einige erwiderten das Feuer, andere kehrten um. Aber das Gros setzte seinen Weg fort. Sie schlossen die Luken, gruppierten sich zu Kampfformationen und luden ihre Maschinenpistolen und Maschinengewehre durch. Der Kampf nahm damit seinen Anfang.

An diesem Vormittag des 24. Oktober standen an verschiedenen Stellen der Hauptstadt Aufständische im Kampf mit den Sowjets. In den Vororten baute man Barrikaden und in der Stadt, an den wichtigsten Straßenknotenpunkten (wie Szena-Platz, Zsigmond-Möricz-Platz, Corvin-Passage, etc.) richteten die sich ad hoc zusammenfindenden bewaffneten Gruppen Widerstandsnester ein und bereiteten sich auf einen Kampf gegen Panzer vor. Die Erfahrungen dazu hatten sie in den vergangenen Jahren gesammelt. Seit fast zehn Jahren wurden sie nämlich durch unzählige Sowjetfilme, Schauspiele oder durch Bücher vorbereitet, wie man mit selbstgebastelten primitiven Waffen feindliche Panzer bekämpfen kann. Die meisten der jungen Leute besaßen dazu noch eine paramilitärische Ausbildung, in der vornehmlich die Partisanentaktik, jene Kampf-form, welche die Russen in ihrer Heimat während des Zweiten Weltkrieges gegen die Deutschen angewandt hatten, gelehrt und geübt wurde. Dies kam jetzt den jungen Kämpfern auf den Straßen von Budapest zugute.

Die Reaktion der Bevölkerung auf das Erscheinen der Sowjettruppen in der Hauptstadt war für das sowjetische Oberkommando in Ungarn unerwartet und unverständlich. Obwohl seit der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober die ungarische Grenze von Osten her an vielen Stellen von neuen Sowjetdivisionen, die sich in Richtung Budapest bewegten, überschritten wurde, erlitten die kämpfenden Einheiten nicht unbedeutende Verluste, bis die Verstärkungen eintrafen Dies hatte seine Gründe: Die Sowjets verfügten nämlich in den ersten Tagen ihrer Intervention kaum über Infanterie in Budapest und schickten ihre Panzer ohne Begleitung von Schützen immer wieder in die von Aufständischen beherrschten Stadtviertel. Daß man dabei die schwerfälligen Panzer aus Kellerluken, von Dachböden oder hinter Barrikaden heraus leicht bekämpfen und vernichten konnte, liegt auf der Hand. Die Kampfvorschriften der Panzerwaffe basieren nicht ohne Grund auf der elementaren Regel, Panzereinheiten nie ohne begleitende Infanterie in Straßenkämpfen einzusetzen.

Der Sowjetsoldat und der Volksaufstand

Inwieweit waren die russischen Soldaten, die man in Budapest einsetzte, über die ungarischen Ereignisse informiert? Was wußten sie von ihren Kampfzielen? Ihre Informationen, die sich aus einigen Schlagworten und Phrasen, die sie durch ihre Offiziere erhielten, zusammensetzten, waren äußerst dürftig. Ein junger Ungar, der die russische Sprache fließend beherrschte und in den Oktobertagen als freiwilliger Helfer in einem Spital des Budapester IX. Bezirkes Dienst tat, berichtet von seinen Erlebnissen mit einem russischen Soldaten: „Meine Kameraden wußten, daß ich Russisch sprach. So bat mich eine Schwester am 25. Oktober, ihre Abteilung aufzusuchen, wo ein verwundeter russischer Soldat lag. Er jammertden ganzen Tag, spricht fortwährend, doch niemand versteht ihn. Iwan — aber es kann sein, daß er Pjotr hieß — wurde mit einer Augen-verletzung ins Spital eingeliefert. Er war sehr jung, fast ein halber Junge noch. Er freute sich riesig über meinen Besuch, da er dachte, seine Kameraden kämen, um ihn nach Hause zu transportieren. Er weinte um sein Augenlicht, da er annahm, daß er bereits blind sei. Aber vor seinem ungewissen Schicksal hatte er noch größere Angst. Er war der festen Über-zeugung, daß die . Faschisten'ihn früher oder später hinrichten würden. Nur mit Mühe konnte ich ihn beruhigen. Dann unterhielt ich mich lange mit ihm. Er verriet mir nicht, zu welcher Einheit er gehörte und sagte nur, daß er schon seit einigen Wochen in Ungarn sei und daß er bereits am Nachnittag des 23. Oktober auf dem Weg nach Budapest war. Uber die Ereignisse in Ungarn war er äußerst schlecht informiert. Zum Beispiel hatte er keine Ahnung von der Regierungsumbildung und wußte nicht, wer Imre Nagy war. Er wiederholte immer und immer wieder, was er von seinen Offizieren hörte: faschistische Provokateure hatten gegen die Staatsordnung eine Revolte organisiert. Die ungarischen Arbeiter baten darauf um Militärhilfe von der Sowjetregierung. . .

Die Sowjetsoldaten suchten diese „ungarischen Arbeiter" aber vergeblich auf den Budapester Straßen. Wenn sie Arbeitern begegneten, dann waren es keine Freunde oder Verbündete, sondern Gegner. Der einfache Sowjet-soldat begann sich nun eigene Gedanken über seinen Einsatz in Ungarn zu machen und ergriff jede Gelegenheit, sich über die Ereignisse aus erster Hand zu informieren.

Die vier Tage zwischen dem 24. und 28. Oktober brachten viele merkwürdige Situationen. An verschiedenen Straßenknotenpunkten und in den Vororten wurde heiß gekämpft, dagegen herrschte in einzelnen Stadtvierteln fast Ruhe. Man sah Passanten auf den Straßen, offene Läden und Zeitungsverkäufer, die die neuesten Ausgaben der revolutionären Zeitungen anboten. An einer Straßenecke las jemand laut Streikaufrufe der Arbeiterräte, nicht weit von ihm standen Sowjetpanzer. Sie versahen ihren Dienst stets in Gruppen von zwei bis drei Fahrzeugen, und es gelang ihnen fast nie, die von ihren Kommandeuren befohlene Isolierung aufrecht zu erhalten. Wo es nicht zu Kampfhandlungen kam, umringten Ungarn die russischen Panzer und versuchten, sich mit den Mannschaften zu verständigen. So geschah es auch am 27. Oktober vor dem Westbahnhof, wo drei T 34 die Straßen bewachten. Die Leute registrierten mit Wohlwollen, daß auf einem russischen Panzer eine ungarische Fahne wehte. Die Ungarn ergriffen als erste das Wort. Da niemand unter ihnen russisch konnte, war vorerst ihr Annäherungsversuch äußerst umständlich. Aber sie stießen auf Verständnis. Ein älterer Mann begann: „Vengerski i ruski charascho“ (Ungarn und Russen sind gut). Der Russe: „Ponjemajem. Vsje ljudi charoschie." (Ich verstehe, diese Leute sind gut.) Wieder der Ungar: „Ruski njet bum-bum. Vengerski njet bum-bum." Der Russe lachte darauf, nickte ihm zu und umarmte den Ungarn. Jetzt tauchte ein Student auf, der gut Russisch sprach. Er holte aus seiner Tasche das Flugblatt heraus, auf dem das „ 16-Punkte-Programm" der Studentenschaft gedruckt war. Er übersetzte dieses Punkt für Punkt. Die Soldaten umringten ihn. Auch der Kommandant, ein junger Oberleutnant, näherte sich. Sie alle hörten sich die Übersetzung ruhig an. Am Ende sagte ein Feldwebel: „Das ist euer Programm? Aber in ihm ist nichts enthalten, was gegen die Volksdemokratie wäre?" Auch der Oberleutnant ergriff das Wort. Er versicherte den Ungarn, er würde nicht auf sie schießen, außer wenn sie angegriffen würden. „Und was ihr mit euren Staatssicherheitsleuten macht, nun, das ist eure Angelegenheit.

Wir mischen uns da nicht ein. . . ."

Am 24. Oktober verließ ein Sowjetmajor, Michail Gregoritsch Akopjan, seine Panzereinheit und bat in einem Budapester Miethaus in gebrochenem Deutsch um politisches Asyl. Er wurde dort ohne weiteres ausgenommen und mit P. P., einem ehemaligen ungarischen Kriegsgefangenen, der mehrere Jahre in Ruß-land verbracht hatte, zusammengebracht. P. P. berichtet über den Sowjetmajor: „Michail Gregoritsch Akopjan hat auf mich einen sehr guten Eindruck gemacht. Er war Georgier, sprach mit innerer Überzeugung und war kein Chauvinist, der die Russen haßte. Er sagte, er sei Sozialist. Obwohl er Verwandte in Griechenland und in den USA hatte, dachte er nicht daran, das Chaos in Ungarn auszunützen, um in den Westen zu flüchten. Er sprach kein Wort Ungarisch, doch er hatte einheimische Freunde, mit denen er sich in deutscher Sprache verständigen konnte. Während seine Einheit in Ungarn stationiert war, nahm er öfters die Gelegenheit wahr, westliche Radio-Sendungen zu hören. Er kannte sich auch in der innenpolitischen Lage Ungarns aus und war der Ansicht, wenn in Ungarn der Aufstand gelänge, würde die revolutionäre Welle auch Rußland auf übergreifen. Deshalb schlug er uns vor, eine politische Aufklärungstätigkeit unter den Sowjetsoldaten zu starten."

Akopjan wandte sich durch P. P. an die Ungarische Revolutionäre Jugend mit der Bitte, ihm die Möglichkeit zu dieser Tätigkeit zu geben. „Der Sowjetmajor hoffte, die Sowjet-soldaten mit dem Gedankengut des ungarischen Volksaufstandes bekannt zu machen: Nach der Rückkehr in ihre Heimat könnten sie dann vielleicht das Rad der Geschichte vorwärts drehen. Dieser Plan, so phantastisch er auch auf den ersten Blick klang, hatte einen gewissen realen Grund" — so schreibt P. P. in seinen Erinnerungen. In den nächsten Tagen gelang es dieser kleinen Propaganda-Truppe, bestehend aus acht jungen Männern, vorwiegend Studenten, die die russische Sprache gut beherrschten, sich ohne zentrale Hilfe zu organisieren. Sie verfügten schnell über einige Schreibmaschinen mit kyrillischen Lettern (aus der Budapester „Gorkij-Schule"), trieben ein Hektographiergerät auf und erhielten sogar von der Postdirektion zwei Lautsprecherwagen zur Verfügung gestellt. Von den vielen Flugblättern, die sie herausgaben, sei hier nur eines zitiert: „AUFRUF AN DIE IN UNGARN STATIONIERTEN ANGEHÖRIGEN DER SOWJET-ARMEE!

Freunde!

Lehnt die Rolle der Henker ab, die zu spielen man euch hierher geschickt hat! Ihr habt die Diktatur des Faschismus gestürzt, aber ihr seid Diener einer anderen Diktatur. Die fortschrittliche Menschheit der ganzen Welt verurteilt euch!

Feunde!

Wir Ungarn wissen, daß ihr nicht die Schuldigen seid. Wir klagen nicht das Sowjetvolk, sondern eure Regierung an!

Freunde!

Ihr dient nicht der Sache des Sozialismus, sondern derjenigen des roten Imperialismus! Auf den Straßen von Budapest liegen zerstörte Panzer, neben ihnen gefallene Sowjetsoldaten. Für wen sind sie gestorben? Haben sie vielleicht ihre Heimat verteidigt? Nein!

In wessen Interesse wird wohl die Freiheit des ungarischen Volkes niedergeworfen? Im Interesse derjenigen, für die die heilige Sache des Sozialismus nicht anderes ist als eine Phrase und die im Namen des Volkes das Volk ermorden!

Freunde! Schießt nicht!"

Die Akopjan-Gruppe konnte schon in kürzester Zeit die ersten Erfolge verbuchen. Mit ihren Lautsprecherwagen führte sie mehrere Einsätze durch, hauptsächlich in der Umgebung des Ostbahnhofes. In der Nähe der Waitczer-Straße hatten sie wenig Glück: einer ihrer Wagen wurde unter Feuer genommen und brannte völlig aus. Am 28. Oktober erwog P. P.den Plan, ihre Aufrufe künftig über den Kurzwellensender des ungarischen Rundfunks durchzugeben, und bemühte sich, einen UKW-Sender aufzutreiben. Da Major Akopjan die meisten Wellenlängen der Sowjetpanzer kannte, bestand die Hoffnung, per Funk die Panzerbesatzungen einzeln anzusprechen. Doch die rasche Folge der Ereignisse vereitelte diesen Plan

Wenige Tage nach Beginn der sowjetischen Militärintervention begannen sich die Fronten zwischen Ungarn und Sowjetsoldaten zu klären. Auch der einfachste Soldat begriff jetzt, daß er über die Ziele der ungarischen Bewegung falsch informiert worden war. Während ihrer Patrouillen auf den Budapester Straßen konnten sie sich vergewissern, daß ein Volk gegen sie kämpfte und hinter der ungarischen kommunistischen Partei (die meisten Soldaten wußten ohnehin nur, daß sie Räkosi vertei-digten) außer der Sowjetarmee keine bewaffnete Kraft stand. Zudem konnten sie sich davon überzeugen, daß ihre Gegner sie nicht haßten und daß sie eine Gefangennahme nicht zu fürchten hatten. So geschah es, daß vom 27. Oktober an sogar die Panzerkommandanten so manövrierten, daß direkte Zusammenstöße mit den Aufständischen möglichst vermieden wurden. Vom 28. Oktober an kam es häufiger vor, daß Sowjetsoldaten ihre Einheiten verließen und sich den Aufständischen ergaben. P. P., der in diesen Tagen viel in Budapest auch „Gefangenenlager" herumkam, ein im IX. Bezirk, im Hauptquartier der dortigen Aufständischen, in dem er auf mehr als 40 Gefangene stieß. „Die meisten von ihnen wurden mit Brandwunden aus ihren brennenden Panzern geborgen. Als ich sie Ende Oktober besuchte, waren sie guten Mutes. Sie spielten den ganzen Tag Karten, hörten Radio und versuchten sich mit ihren Wachen zu unterhalten. Ihre Verpflegung war gleich der der Aufständischen."

Es ist eine unleugbare Tatsache, daß jeder Russe, der sich ergab oder verwundet in die Hände der Aufständischen fiel, nichts von diesen zu fürchten hatte. Von Lynchjustiz oder Mißhandlungen konnte keine Rede sein. Das ungarische Volk konnte auch in den Tagen einer blutigen Revolution zwischen Unterdrückten und Unterdrückern unterscheiden, und da es in den einfachen Sowjetsoldaten nicht seine potentionellen Gegner, sondern nur Werkzeuge der sowjetischen Regierung sah, betrachtete es sie nur so lange als Feinde, als sie ihre Waffen gegen das Volk erhoben.

Die russischen Freiwilligen

Es gab aber auch Soldaten der Sowjetarmee, die bereit waren, mit der Waffe auf die Seite der Aufständischen überzutreten. Ein ungarischer Student, Imre Mt, der an der Universität Slawistik studierte, berichtet: „Am 27. Oktober gelang es mir, mit einem usbekischen Offizier ins Gespräch zu kommen. Ich selbst beherrsche das Usbekische nicht, spreche aber kumenisch, da meine Familie den Kumanen entstammt. Da das Kumenische mit der usbekischen Sprache — wie alle türkischen Sprachen — verwandt ist, konnte ich mich mit ihm verständigen. Er berichtete mir viele interessante Einzelheiten über die Sowjetarmee. So zum Beispiel, daß sowohl in Ungarn als auch in den anderen volksdemokratischen Ländern sehr viele Soldaten aus den nicht-russischen Nationalitäten der Swjetunion stammen, da diese Leute den Russen nicht vertraut sind und deswegen gern zum Militärdienst außer Landes geschickt werden. Er sagte auch voraus, daß man diese Truppen aus Ungarn bald abziehen werde, um an ihrer Stelle rein russische Verbände zu setzen — was nach dem 4. November tatsächlich geschah.

Er erklärte sich bereit, sich uns anzuschließen, und es gelang ihm sogar, einen anderen Offizier, einen ukrainischen Leutnant, zu bewegen, dasselbe zu tun. Übrigens war es dieser Offizier, der vor einigen Tagen das Feuer auf ungarische Staatssicherheitsdienstleute vor dem Parlamentsgebäude eröffnet hatte. Sie beide kamen in dieser Nacht mit mir zu unserem Quartier auf dem Lägymänyos, wo wir noch andere Soldaten der Interventionsarmee überreden konnten, sich den Aufständischen anzuschließen, darunter auch zwei Russen. Am schwersten fiel die Überredung zweier kasachischer Soldaten, die zuerst nicht glauben wollten, daß wir für eine sozialistische Unabhängigkeit kämpften. Man sagte ihnen doch von . oben', daß in Ungarn ein faschistischer Putsch ausgebrochen sei! Noch in dieser Nacht kamen wir mit sowjetischen Truppen in ein Feuergefecht, wo meine . neuen Soldaten'sehr gut ihren Mann gestellt und ihre Treue und Tapferkeit bewiesen haben."

Wie Mate später berichtete, befanden sich Ende Oktober 1956 unter seinem Kommando 87 Ungarn, 4 Usbeken, 17 Kirgisen, 14 Kasachen, 5 Tscheremizen, 13 Ukrainer, 4 Russen, 1 Mongole, 3 Tataren und 2 Weißrussen. Die meisten fielen dann in den Kämpfen nach dem 4. November, und nur einigen gelang es, nach dem Westen zu entkommen, wo sie heute in der Nähe von München leben

Auch andere Quellen berichten über die Teilnahme russischer Freiwilliger am ungarischen Freiheitskampf. So hat zum Beispiel in Ujpest, einem Industrievorort von Budapest, eine kleine Gruppe ukrainischer Soldaten mit der dortigen Nationalgarde am 4. November den Kampf gegen die sowjetische Übermacht ausgenommen. Ihr Anführer — man nannte ihn Mischa — war ein Sergeant aus der 32. mot. Division, der am 7. November auf den Barrikaden fiel.

Die Sowjetintervention in der Provinz

Die von Ernö Gero ins Land gerufenen Sowjettruppen beschränkten ihre Intervention nicht nur auf Budapest. Bereits während des Aufmarsches ihrer Divisionen in Richtung der ungarischen Hauptstadt bekamen die Sowjets die Verachtung zu spüren, die das Volk ihnen gegenüber empfand. In einzelnen Orten verbarrikadierten die Einwohner die Straßen, versuchten die Brücken unbrauchbar zu machen oder stellten sich mit einigen Gewehren und Handgranaten dem mächtigen Gegner entgegen. Der Widerstand in der flachen Ebene zwischen Donau und Theiß wurde dabei schnell gebrochen, und die Russen konnten ihren Vormarsch fast ungehindert bis Budapest führen.

Anders dagegen war die Lage in Transdanubien, wo die sowjetische Militärmacht nur allmählich ihren Machtbereich ausbreiten konnte. Die Topographie, die vielen Wälder und Berge dieses Gebietes, begünstigte die Sache der Ungarn. Dazu kam, daß viele Orte dieser Gegend von Arbeitern und Bergleuten bewohnt sind, die sich schon in den ersten Tagen des Aufstandes organisieren und auch zur Wehr setzen konnten. So geschah es zum Beispiel in Vrpalota, einer mittelgroßen Stadt Transdanubiens, daß, als der machtlose Parteisekretär zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung Sowjethilfe anforderte, die sowjetischen Truppen von der aufgebrachten Menge mit der Waffe in der Hand empfangen wurde. Die Russen büßten dreizehn Tote und zwei Dutzend Verwundete ein und mußten sich aus der Stadt zurückziehen

Es gab aber auch Kommandeure sowjetischer Garnisonen, die die innere Lage Ungarns kannten und versuchten, sich von den Geschehnissen fernzuhalten. In Raab (Györ) zum Beispiel verließen die sowjetischen Soldaten bereits am 24. Oktober die Stadt und kampierten in einem nahen Wald. Ihr Kommandeur, Oberstleutnant Schwarz, begründete diesen Schritt dem Vorsitzenden des Raaber Nationalrates wie folgt: „Wir beabsichtigen nicht, uns in eure Angelegenheiten zu mischen. Den Aufstand des ungarischen Volkes gegenüber seinen Führern, die das Volk unterdrückten, halten wir berechtigt. Wir werden keinen Angriff auf euch vorbereiten, weil für uns der Friede in Raab genau so wichtig ist wie derjenige in der ganzen Welt."

In Miskolc, dem bedeutenden Industriezentrum in Nordungarn, sprach Ende Oktober sogar ein Sowjetkommandeur öffentlich zu den Aufständischen und gab sein Wort, daß er, solange er Kommandogewalt habe, es nicht zulassen werde, daß russische Soldaten Aufständische bekämpften. Er betrachte die ungarische Revolution als eine gerechte Bewegung des Volkes I (Dieser Offizier, ein älterer Oberstleutnant, erschoß seine Frau, sein Kind und sich, als nach dem 4. November die aus der Karpatho-Ukraine eingetroffenen Sowjettruppen Miskolc besetzten.)

Die Studenten von Keszthely fertigten Flugblätter in russischer Sprache an, die sie an die Soldaten der Sowjetgarnisonen in Hajmasker und Papa verteilten. Die Kommandeure ließen dies zu, um persönlich Informationen über die Geschehnisse in Ungarn zu erhalten. Daß diese Tätigkeit der Studenten erfolgreich war, wird z. B. dadurch bewiesen, daß der Kommandeur der Sowjetgarnison in der Nähe von Keszthely sich weigerte, nach dem 4. November die Studenten anzugreifen. Die Studenten mußten von NKWD-Truppen der neuangekommenen Sowjeteinheiten entwaffnet werden

In Jaszbereny machte der sowjetische Kommandeur, von zwei Offizieren begleitet, dem dortigen Revolutionsrat einen Besuch. Er versprach, daß er sich nicht in ungarische Angelegenheiten einmischen würde und daß seine Truppen die Kasernen nicht verlassen würden, um Zusammenstöße zu vermeiden. In Debrecen zogen sich die sowjetischen Streitkräfte aus der Stadt aufs Land zurück, da sie — wie ihr Kommandeur sagte — nichts mit den ungarischen Angelegenheiten zu tun haben wollten

Das Zentralblatt der ungarischen Volksarmee, „Magyar Honved", berichtete am 2. November 1956 über eine Sowjeteinheit in der Nähe von Gyöngyös, die ihre Waffen den Aufständischen aushändigte und erklärte, daß sie nicht gewillt sei, gegen die Revolutionäre vorzugehen Diese und ähnliche Fälle veranlaßten die Ungarn, die Regierung Nagy zu ersuchen, denjenigen russischen Soldaten, die nicht mit der Sowjetarmee das Land verlassen wollen, politisches Asyl zu gewähren. Ein Aufruf in diesem Sinne wurde am 3. November im Zentralblatt der sozialistischen Partei Un-garns.. „Nepszava", veröffentlicht.

Die sowjetischen Manöver in den letzten Oktobertagen

„Sowjetische Panzer und Truppenverbände zogen heute aus der vom Kriege gezeichneten Hauptstadt ab; sie nahmen ihre Toten mit. Sie verließen eine schwer angeschlagene Stadt, in welcher der aus den rauchenden Ruinen emporsteigende Gestank des Todes sich mit dem eisigen über der Donau liegenden Nebel mischt. Ich kam hierher aus Warschau — mit dem Flugzeug, dem Wagen und zu Fuß —, die letzten fünf Kilometer mußte ich laufen.

Während wir uns Budapest näherten, sah ich die ersten nach Süden fahrenden sowjetischen Truppenkolonnen. An der Spitze fuhren zwei Panzerspähwagen, gefolgt von zehn T-34-Panzern, und dahinter zahlreiche Motorräder und Lastwagen. Die Panzer waren vom Pulver-rauch geschwärzt, ölverschmiert und mit Blut besudelt. Auf dem Heck eines Panzers lag ein toter Sowjetsoldat. Auch auf den Armeelastwagen lagen mehrere Tote.

Die russischen Soldaten starrten düster und verbittert vor sich hin. Am Straßenrand standen Ungarn, die schweigend den Abmarsch beobachteten. Ein ungarischer Bauer spuckte einen der an ihm in Armlänge vorüberfahrenden sowjetischen Panzer an. Die Sowjetsoldaten taten so, als sähen sie es nicht. ... Alle Geschütze der dem Konvoi voranfahrenden Panzer waren besetzt, und hinter den Maschinengewehren, mit denen die Lastkraftwagen bestückt waren, standen die Schützen in Schußbereitschaft ...“ — so beschreibt der englische Journalist A. J. Cavendish von „United Press" am 29. Oktober 1956 den Abzug der Sowjettruppen aus Budapest. Der Rückzug erfolgte, nachdem es Imre Nagy gelungen war, die sowjetischen Politiker Mikojan und Suslow — die sich zur Zeit in Budapest aufhielten — zu veranlassen, in Moskau die Zustimmung für die Räumung Budapests zu fordern. Sie hatten eingesehen, daß das weitere Ver-bleiben der sowjetischen Truppen . in der ungarischen Hauptstadt nicht nur die Lage ungünstig beeinflußte, sondern auch die Konsolidierung der Nagy-Regierung — der die Sowjets noch vertrauten — vereitelte. Der Abzug der Sowjettruppen aus Budapest — und nur aus Budapest — begann am 29. Oktober und wurde laut amtlicher Mitteilung des ungarischen Rundfunks bis zu den frühen Morgenstunden des 31. Oktober beendet

Aber die Hoffnung, daß der Abzug der Sowjettruppen sich nicht auf Budapest beschränken, sondern auch auf die Provinz übergreifen würde, hielt nur einige Stunden an. Der Miskolcer Rundfunk, der seit einigen Tagen in die Hände des Arbeiterrates des Komitates Borsod übergegangen war, brachte als erste Rundfunkstation des Landes am 31. Oktober 13. 17 Uhr die Hiobsbotschaft über „unverständliche" neue Manöver der Russen: „Wie schon gemeldet, hat der Abzug der sowjetischen Einheiten begonnen. Jedoch haben aus Gründen, die wir und die Bevölkerung des Landes nicht verstehen, große sowjetische Truppenverbände — Flakeinheiten, Panzer und Infanterie — ihre Richtung geändert. Uber Zähony haben sie ungarisches Gebiet betreten und bewegen sich auf Nyiregyhäza zu. Die Ursache für diese kreisförmige Bewegung der sowjetischen Truppen ist uns unbegreiflich. Wir haben sie mit Hilfe verschiedener Nachrichtenquellen die ganze Nacht hindurch beobachtet und den Ministerpräsidenten über die Ereignisse unterrichtet. Wir telefonierten mit Staatsminister Zoltan Tildy sowie mit dem Stellvertretenden Verteidigungsminister und ersuchten nachdrücklich darum, die Frage höchst energisch mit den sowjetischen Befehlshabern zu klären. .. Auf Grund unserer Bemühungen wurde der Ministerrat einberufen. ..."

Seit dieser Stunde mehrten sich die beunruhigenden Nachrichten aus dem Osten des Landes, die alle den Grenzübertritt von neuen sowjetischen Truppen meldeten. Die Regierung Nagy war vorerst ratlos: hatten doch Mikojan und Suslow am Morgen des 31. Oktober, am Tage ihrer Abreise nach Moskau, Imre Nagy versprochen, daß man nicht nur Budapest militärisch räumen, sondern auch diejenigen Sowjettruppen aus Ungarn abziehen würde, die sich nicht auf Grund des War-schauer Vertrages im Lande aufhielten Darüber hinaus sollte die Sowjetregierung angeblich bereit sein, über den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Paktsystem Verhandlungen zu führen

Was mochte in den letzten Oktobertagen in Moskau geschehen sein? Was hatte die Sowjetregierung bewogen, ohne die Konsultation ihrer Budapester Emmissäre militärische und politische Maßnahmen zu ergreifen, die die zweite sowjetische Militärintervention in Ungarn vorbereiteten? Noch heute, zehn Jahre nach den Ereignissen und trotz des Sturzes von Ministerpräsident Chruschtschow, wissen wir über die Gründe dieses Entschlusses (außer Gerüchten und verschiedenen „Theorien") nichts Sicheres außer der Tatsache, daß an dem Tage, als der letzte Sowjetsoldat Budapest verlassen hatte, der Aufmarsch der Sowjetarmee gegen Ungarn zur Niederwerfung des Aufstandes seinen Anfang nahm

Die Regierung Nagy verhandelt mit dem Sowjetbotschafter

Um eine Panik zu vermeiden und die Gruppen bewaffneter Aufständischer von unüberlegten Handlungen abzuhalten, versuchte die Regierung Nagy vorerst, die Nachrichten über die sowjetischen Truppenbewegungen vor der Bevölkerung zu verheimlichen. Doch dies gelang nur für einige Stunden, weil Eisenbahner, die ungarische Luftwaffe, aber auch verschiedene Organe der Aufständischen dafür sorgten, daß die Rundfunkstationen und die Zeitungen über die Bewegungen der Sowjettruppen informiert wurden. Da es keine Zensur mehr gab, wurde die Bevölkerung laufend über die Entwicklung der Dinge unterrichtet. Umsonst waren die verschiedenen Verhandlungen Imre Nagys mit dem sowjetischen Botschafter Andropow, umsonst forderte er den Botschafter mehrmals auf, die Proteste gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn nach Moskau weiterzuleiten. Andropow erfand stets neue Erklärungen für diese Truppenbewegungen. „Er versicherte der ungarischen Regierung, daß es sich bloß um Bewegungen von Polizei-kräften handele und daß keine neuen Militär-formationen die Grenze überschritten hätten. Andropow fügte noch rein informativ hinzu, die Sowjets müßten Formationen der NKWD nach Ungarn schicken, damit in den eigenen Einheiten die Disziplin wiederhergestellt werde und sich während des Rückzugs der Truppen keine unliebsamen Zwischenfälle ereigneten" — so erinnert sich Dr. György Heltai, Stellvertretender Außenminister der Regierung Nagy und betont weiter, daß trotz dieser „Versicherungen" des sowjetischen Botschafters Imre Nagy sich nicht irreführen ließ und weiter auf eine Stellungnahme Moskaus drängte. Am 1. November ließ Imre Nagy Andropow wieder zu sich bitten und setzte nun den Botschafter von neuen Einzelheiten in Kenntnis, zeigte ihm auf der Landkarte die Richtung, in der sich die Sowjettruppen bewegten und ersuchte ihn dringend, bei seiner Regierung zu intervenieren, daß diese ihr feierliches Versprechen vom 30. Oktober einhalte und in Erfüllung der Bestimmungen des Warschauer Paktes die im Lande stationierten Sowjettruppen dem Befehl des ungarischen Verteidigungsministeriums unterstelle. Der Botschafter versprach wiederum mit unbewegter Miene, daß er in dieser Angelegenheit in Moskau Erkundigungen einziehen werde.

Nach den Erinnerungen Dr. Heltais telefonierte der Botschafter um 11. 40 Uhr mit dem Ministerpräsidenten. „Der Botschafter ließ mich den bevollmächtigten außerordentlichen Gesandten Peter Möd in sein Büro rufen und faßte die Antwort Moskaus in drei Sätzen zusammen. Imre Nagy übersetzte die Antwort unmittelbar und diktierte sie Satz für Satz dem Gesandten Möd. Die Antwort hatte im wesentlichen folgenden Inhalt:

Die feierliche Erklärung vom 30. Oktober bezüglich des Abzugs der Sowjettruppen wird eingehalten werden.

Die ungarische Regierung wird aufgefordert, eine Kommission zur Prüfung der durch die Kündigung des Warschauer Paktes aufgeworfenen Fragen zu ernennen.

Man werde eine Militärkommission zusammenstellen, die mit den Verhandlungen über die militärischen und technischen Modalitäten des Abzugs der Sowjettruppen betraut wird.

Ministerpräsident Imre Nagy verlangte hierauf ein förmliches Versprechen, daß keine neuen sowjetischen Truppen nach Ungarn entsandt werden. Der sowjetische Botschafter lehnte es jedoch ab, eine diesbezügliche Verpflichtung einzugehen.

Der Ministerpräsident berief daraufhin eine Konferenz der Parteiführung ein, an der Imre Nagy, Jänos Kädär, Ferenc Münnich, György Lukäcs, Zoltan Szäntö, Geza Losonczy, Ferenc Donath, Sandor Haraszti, Antal Aprö und Käroly Kiss teilnahmen.

Dieses Gremium beriet über die der Regierung übermittelten Berichte und stellte fest, daß die Sowjetunion ihre aus dem Warschauer Pakt resultierenden Verpflichtungen de facto verletzt habe. Die Anwesenden drückten ihre Besorgnis über die militärischen Verstärkungen aus, die ihrer Meinung nach geeignet seien, als Provokation ausgelegt zu werden, eine Katastrophe auszulösen und neues Blutvergießen hervorzurufen. Infolgedessen empfahlen sie, daß Ungarn unter Berufung auf die Mißachtung der Verpflichtungen durch die UdSSR aus dem Warschauer Pakt austrete. Um Provokationen zu vermeiden, sollte der Ministerpräsident so rasch wie möglich die Neutralität Ungarns proklamieren.

Von allen Mitgliedern der Parteiführung erhoben nur György Lukäcs und Zoltän Sznt Einwände. Imre Nagy führte aus, daß Ungarn, wenn es gegenüber der Sowjetunion eine freundschaftliche Neutralität beobachte, diesem Lande seiner Meinung nach politische und wirtschaftliche Vorteile biete. Antal Apr schlug vor, mich mit der sofortigen Ausarbeitung der durch die Ereignisse erforderlichen Noten und der Neutralitätserklärung zu beauftragen. Der Ministerpräsident machte die Ausarbeitung und Absendung dieser Dokumente von der Zustimmung des Ministerrates abhängig. Dieser trat in Anwesenheit Istvän Dobis, des Vorsitzenden des Präsidialschaftsrates, sofort zusammen. Der Ministerrat stimmte dem Vorschlag der Parteiführung zu. In seiner Eigenschaft als Staatschef begrüßte Istvän Dobi den Vorschlag und genehmigte ihn.

Am Nachmittag des 1. November berief Ministerpräsident Imre Nagy den Botschafter Andropow wieder zu sich. In Anwesenheit der Regierungsmitglieder und der Militärexperten legte er ihm neue, präzise Beweise über sowjetische Truppenverstärkungen vor und erläuterte ihm die Gründe für die sofortige Kündigung des Warschauer Paktes und die Proklamierung der Neutralität Ungarns. Im Namen der gesamten Regierung teilte er dem Botschafter mit, daß im Falle einer Weigerung der Moskauer Regierung, die im Gang befinliche militärische Aktion gegen Ungarn einzustellen und die Überschreitung der Grenze durch neue Truppen zu untersagen, die ungarische Regierung die Vereinten Nationen auffordern werde, die ungarische Frage auf die Tagesordnung ihres Sicherheitsrates zu setzen.

In seiner Eigenschaft als Erster Sekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei erklärte Jänos Kädär im eigenen Namen wie im Namen der Parteiführung, daß er dies uneingeschränkt billige. Er fügte hinzu, diesmal nur im eigenen Namen, daß die Anwesenheit der Sowjettruppen in Ungarn eine konterrevolutionäre Provokation hervorrufen könnte. AIs ungarischer Kommunist habe er die Pflicht, wenn nötig mit der Waffe in der Hand gegen diese Truppen zu kämpfen. Der Botschafter Andropow nahm die ihm gegebenen Erklärungen zur Kenntnis und versicherte, daß er seine Regierung unverzüglich hiervon unterrichten werde."

Die Vorbereitung der zweiten sowjetischen Intervention

Um die Bevölkerung zu beruhigen, aber nicht zuletzt um die ganze Weltöffentlichkeit über die Ungarn drohende Gefahr zu informieren, entschloß sich Imre Nagy, ein Kommunique im ungarischen Rundfunk zu veröffentlichen.

„Freies Kossuth Radio Budapest" strahlte am 1. November, 18. 12 Uhr, folgende Sendung aus: „Achtung, Achtung! Wir senden jetzt eine außerordentlich wichtige Mitteilung!

Ministerpräsident und Außenminister Imre Nagy berief heute den Botschafter der UdSSR, einer Andropow, zu Unterredung. Nagy hielt ihm vor, die ungarische Regierung sei im Besitz authentischer Informationen über die Verlegung neuer sowjetischer Einheiten nach Ungarn. Er verlangte ihren umgehenden Abzug und unterrichtete den sowjetischen Botschafter davon, daß die ungarische Regierung mit sofortiger Wirkung aus dem Warschauer Pakt austritt und Ungarn zum neutralen Land erklärt. Ungarn appellierte an die Vereinten Nationen und an die vier Großmächte, die Neutralität des Landes zu garantieren.

Der sowjetische Diplomat nahm den Protest zur Kenntnis und versprach, seine Regierung um unverzügliche Antwort zu ersuchen. Der Ministerpräsident informierte ferner sämtliche Leiter der in Budapest akkreditierten diplomatischen Missionen über den Inhalt seiner Unterredung mit dem sowjetischen Botschafter. Ferner unterrichtete er den Generalsekretär der Vereinten Nationen telegraphisch von dem Beschluß der ungarischen Regierung und ersuchte ihn, den Fall Ungarn auf die Tagesordnung der nächsten Generalversammlung zu setzen."

In diesen Tagen gab es keine revolutionäre Organisation oder Gruppe, die in ihren Forderungen nicht den Rückzug der Sowjettruppen aus Ungarn ausgenommen hätte. Aber wann hat schon Moskau den Forderungen des Volkes Gehör geschenkt? Der Aufmarsch der Sowjettruppen ging auch am 1. und 2. November ungestört weiter. Die ungarische Volksarmee und die bewaffneten revolutionären Gruppen (seit 31. Oktober hießen sie offiziell „Nemzetör" -Einheiten, das heißt Nationalgardisten) erhielten von der Regierung strikte Anweisungen, die Manöver der Russen nicht zu beeinträchtigen. General Maleter, der neue Verteidigungsminister, fürchtete nämlich mit Recht, daß die Sowjetregierung einen Zusammenstoß zwischen Ungarn und Russen als einen willkommenen Vorwand für ein militärisches Eingreifen benützen würde. So konnten die Sowjettruppen ungehindert die strategisch wichtigen Punkte des Landes — die Flußübergänge, die Verkehrsknotenpunkte, die Theiß-und Donaubrücken etc. — in Besitz nehmen. Am 3. November kontrollierten sie sogar die in-und ausländischen Flughäfen und stellten jeglichen Flugverkehr ein. An diesem Tage meldete der Rundfunk aus Steinamanger (Szombathely): „Wie verlautet, ist die österreichisch-ungarische Grenze durch sowjetische Truppen hermetisch abgeriegelt worden. Jedes Verkehrsmittel, das in Richtung Wien fuhr, wurde angehalten und die Insassen in sowjetischen Gewahrsam genommen ..."

Auch das amtliche ungarische Nachrichtenbüro, das Magyar Tävirati Iroda, konnte seine Besorgnis über die Entwicklung der Lage im Osten des Landes nicht unterdrücken: „Im Laufe des Freitags erreichten uns weitere Nachrichten über sowjetische Truppenbewegungen, insbesondere im östlichen Teil des Landes. Am Vormittag meldete der Grenzbahnhof Zähony die Ankunft zweier sowjetischer Panzerzüge. Die Sowjetarmee besetzte den Bahnhof und soll im Anschluß daran in ähnlicher Weise mit der gesamten Eisenbahn-linie von Zähony nach Nyiregyhäza verfahren sein. Der Universitätssender von Miskolc erwähnte das Eintreffen einer großen Panzereinheit in Kisvärda. Auch Debrecen berichtet vom ununterbrochenen Durchmarsch sowjetischer Truppen. Von Osten kommende Panzer-und Artillerieeinheiten sind durch Szolnok nach Westen weitergezogen, während in entgegengesetzter Richtung nur Lieferwagen beobachtet werden. Etwa 200 Panzer, die sich einige Tage zwischen Szolnok und Abony aufgehalten hatten, rollen jetzt nach Westen weiter. . . . Am Donnerstag und Freitag kamen Panzerbataillone im Gebiet von Gyöngyös an und verschanzten sich dort. In der Gegend von Nagyrede kampieren sowjetische Truppen. In keinem der genannten Orte ist in den vergangenen Jahren nur ein einziger sowjetischer Soldat stationiert gewesen. Ein sowjetisches Panzerkorps hat den Flugplatz Taszär, einige Kilometer von Kaposvär, umzingelt. Sowjetische Militärfahrzeuge sind bereits bis in die Vororte von Kaposvär vorgedrungen ..."

Der Sender Freies Miskolc meldete am Abend des Tages in höchster Aufregung: „Panzer rollen heran. . .. Niemand ist auf den Straßen, nur sowjetische Patrouillen. Nyiregyhäza ist eingeschlossen ... Das ganze Gebiet ist besetzt ... Die Situation hat den höchsten Spannungsgrad erreicht.

Von der ungarischen Hauptstadt aus konnte in dieser Situation nichts mehr unternommen werden. Sie war seit dem 2. November von russischen Einheiten eingeschlossen, die am Stadtrand in Stellung gegangen waren. Umsonst bat Imre Nagy Botschafter Andropow nach Erklärungen für diesen Schritt der Sowjets; die Antwort blieb aus, bis Andropow am 3. November mitteilte, daß nach Angaben Moskaus von nun an keine neuen Truppen nach Ungarn geschickt werden. Dies war jedoch in der gegenwärtigen Situation auch nicht mehr nötig. Nach Angaben des Ungarn-Ausschusses der Vereinten Nationen bezifferte man später die Stärke der Sowjettruppen am Vorabend der zweiten Militärintervention in Ungarn mit rund 150 000 Soldaten, die von rund 3500 Panzern und Schützenpanzern unterstützt wurden

Am 3. November befand sich eine ungarische Regierungsdelegation, die die Aufgabe hatte, über die technischen Fragen des Abzuges der Sowjetarmee aus Ungarn zu verhandeln, auf dem Weg nach Tököl, nach dem sowjetischen Hauptquartier. Am 2. November hatte das Oberkommando der Sowjettruppen in Ungarn der Regierung Nagy nämlich noch mitgeteilt, daß sie bereit sei, in dieser Frage mit Regierungsbevollmächtigten zu verhandeln. So trat am 3. November, 10 Uhr morgens, eine ungarisch-sowjetische Militärkommission im Parlamentsgebäude zusammen, um die praktischen Modalitäten des Abzugs der Sowjettruppen zu besprechen, die infolge der Kündigung des Warschauer Paktes Ungarn in kürzester Zeit verlassen sollten. Die Verhandlungen dauerten vier Stunden und verliefen in einer günstigen Atmosphäre. Am frühen Nachmittag wurden sie unterbrochen; der Chef der sowjetischen Delegation, Generaloberst M. S. Malinin, lud die ungarischen Verhandlungspartner ein, am Abend in Tököl, einem •kleinen Ort ca. 30 km südlich von Budapest, in sowjetischen Hauptquartier die Verhandlungen fortzusetzen, wo sie Gäste der Sowjetarmee sein würden. Es blieben ohnehin nur einige technische Fragen (wie z. B. die Regelung des Nachschubes, Transportkapazitäten etc.) zu besprechen, da sich Generaloberst Malinin schon an diesem Vormittag bereit erklärt hatte, den Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn bis zum 15. Januar 1957 zu beenden. In diesem Sinne wurde auch ein Protokoll angefertigt, das von Malinin unterzeichnet wurde.

Der Leiter der ungarischen Delegation, General Maleter, zeigte dieses Protokoll am Spät-nachmittag des 3. November in der Kilian-Kaserne mehreren Offizieren, unter anderem auch dem Kommandanten der Kaserne, Hauptmann L. Csiba

Diese günstig verlaufenen Verhandlungen bildeten auch den Grund dafür, daß die ungarische Regierung keine größeren militärischen Vorkehrungen für einen eventuellen sowjetischen Angriff getroffen und den Generälen der Sowjetarmee Gehör geschenkt hat.

Der Überfall

Am Morgen des 4. November — es war ein Sonntag, nach Hitlerischen Prinzipien der beste Tag für einen Überfall — eröffnete die Sowjetarmee das Feuer auf die schlafende Hauptstadt und ging zum Angriff gegen Budapest wie gegen die Provinz über. Die unvorbereiteten Provinzstädte kapitulierten — mit einigen Ausnahmen, wie zum Beispiel die „erste sozialistische Stadt Ungarns" Sztälinväros —• bald; sie waren der russischen Übermacht in keiner Weise gewachsen. Nur in Budapest flammten schwere Kämpfe auf, die fast eine ganze Woche dauerten. Obwohl die Angriffs-divisionen des Generalmajors Grebennyk die vordersten Linien der Budapester Verteidigung schon nach wenigen Stunden durchbrechen und einige Stadtviertel rasch besetzen konnten, wurde der Widerstand, je näher sie an das Stadtzentrum heranrückten, immer erbitterter. General Bela Kiraly, Befehlshaber der Nationalgarde und Stadtkommandant von Budapest, erinnert sich: „Alles geschah auf einmal. Russische Panzerkolonnen strömten in die Stadt. Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen. Einige mit aufgesessener Infanterie rollten in Richtung Kilian-Kaserne und Corvin-Passage, die beiden Hauptstützpunkte der Freiheitskämpfer, und schon unterwegs eröffneten sie das Feuer. Andere Gruppen versuchten von der Budaer-Seite über den Szna-Platz die Donau-Brücken zu erreichen. ... Ich griff zum Telefon, das mich über eine direkte Leitung mit dem Ministerpräsidenten verband. Es war ungefähr gegen vier Uhr morgens. Ich meldete ihm, daß die Russen in die Stadt einfielen und bat um Feuererlaubnis. Nein, nein', sagte Nagy. . Beruhigen Sie sich. Der sowjetische Botschafter ist gerade in meinem Büro. Er wird sofort Moskau anrufen. Es handelt sich um ein Mißverständnis. Sie dürfen nicht schießen!'Verwirrt legte ich auf. ... Etwa eine halbe Stunde später hörte ich ihn im Radio sprechen. Die Nation befand sich im Kriegszustand."

Die Panzerkeile, die die Russen bis zum Regierungsviertel vortrieben, besetzten bis zum Mittag des 4. November das Polizeipräsidium, das Innenministerium und die meisten Donau-Brücken. Das Verteidigungsministerium kapitulierte, ohne einen Schuß abgegeben zu haben. Die meisten Kasernen der Volksarmee konnten durch Verrat stalinistischer Offiziere kampflos von den Russen eingenommen werden. In der Kaserne „Zalka Mate“ versuchten einzelne Offiziere und Soldaten, den eingebrochenen Russen Widerstand zu leisten. Die Kiliän-Kaserne wurde in der Morgendämmerung des 4. November von Sowjetpanzern umstellt. Die Nationalgardisten ließen die Russen durch ihre Sperrlinien passieren, da sie annahmen, daß sie vom Westen her kommend und die Petöfi-Brücke in Richtung Osten überquerend, sich auf dem Wege in die Heimat befanden.

Imre Nagy war nicht zu erreichen. Nachdem er am Morgen dieses Tages in einer dramatischen Rundfunkansprache das ungarische Volk über den heimtückischen Sowjetangriff unterrichtet hatte, begab er sich, da sich russische Panzer bereits dem Parlament näherten, in Sicherheit. Kurze Zeit später umzingelten starke Sowjeteinheiten das Parlamentsgebäude und zwangen die schwache Wache zur Kapitulation. Allein General Kiraly gelang es, mit seinem engeren Stab rechtzeitig den Russen zu entweichen und über eine noch in den Händen der Nationalgardisten befindliche Donaubrücke nach Buda zu entkommen. In den Budaer Bergen, in einem Sporthotel, versuchte der General die Verteidigung der Stadt in die Hand zu nehmen. Seine Bemühungen waren jedoch ohne Erfolg. Das Verteidigungsministerium war bereits im Besitz der Russen, die mit einigen stalinistischen ungarischen Offizieren — an ihrer Spitze General Janza — alle Einheiten der Volksarmee über die vorhandenen Nachrichtenmittel aufforderten, den Angriffs-truppen keinen Widerstand zu leisten und „im Interesse der Freundschaft der beiden Völker" die Waffen an die Sowjets abzuliefern Ihre Befehle — als „Regierungsbefehle" ausgegeben —-wurden in den meisten Fällen befolgt. Der rechtmäßige ungarische Verteidigungsminister, General Päl Maleter , und sein engster Mitarbeiter (der Chef des Stabes und Leiter der Operationsabteilung) befanden sich zu dieser Zeit bereits in sowjetischem Gewahrsam. Sie wurden noch während den Verhandlungen in Tököl in der Nacht vom 3. auf den 4. November von NKWD-Einheiten, die von General Serow persönlich geführt wurden, unter Nichtbeachtung ihrer Eigenschaft als Parlamentäre verhaftet und im Keller des sowjetischen Hauptquartiers eingesperrt.

Sieg der Übermacht

Die Kampfkraft der sowjetischen Angriffs-divisionen war für die Budapester Verteidiger eine böse Überraschung. Ihre Bewaffnung war grundverschieden von der Ausrüstung der Einheiten, die am 29. /30. Oktober Budapest geräumt hatten. Die neuen Truppen verfügten über die modernsten Panzer der Sowjetarmee, den nagelneuen T-55 (T-10), mit flachem Turm und wesentlich erhöhter Feuerkraft. Diese Panzer wurden von starken Infanterie-Einheiten — meist in Schützenpanzerwagen — begleitet Trotz der aussichtslosen Lage gaben die Na-tionalgardisten den Kampf nicht ohne weiteres auf. Sie waren erfinderisch sowohl in der Taktik.der Verteidigung als auch bei der Beschaffung von „neuen" Waffen. In einigen Orten verfügten sie über kleine Glasampullen mit Nitroglyzerin (hergestellt von den Arbeitern der Budapester Chinoin-Werke), die sich als sehr wirksame Waffen gegen die Panzer erwiesen. Es gelang ungarischen Jugendlichen verschiedentlich, unbemerkt rotweiß-grüne Fahnen auf russischen Panzern zu befestigen, die dann, einige Straßen weiter, von ihren eigenen Leuten als „Feinde" beschossen und vernichtet wurden. Die Studenten auf dem Vär-Berg ließen öl auf die einzige, sehr ansteigende Straße gießen und bewirkten damit, daß die russischen Kettenfahrzeuge ineinander fuhren. Andere hatten schwarz bemalte Milchflaschen und flache Teller auf das Pflaster gelegt, die aus einiger Entfernung wie Panzer-minen aussahen. Diese und andere Methoden dienten dazu, die Sowjets in ihrem Vorhaben, die Stadt schnellstens zu besetzen, zu stören.

Der Kampf um die ungarische Hauptstadt dauerte vom 4. November bis 9. November (auf der Insel Csepel bis 11. November). Das sowjetische Oberkommando hatte einen solch harten Widerstand nicht erwartet. Besonders die Soldaten und Offiziere stellten sich die Frage, wer und warum man gegen sie kämpfte? Um sie zu beruhigen, sorgten die sowjetischen Politstellen für eine passende „Erklärung". In diesem Sinne sagte Oberleutnant Anjiszow, einer der Angehörigen der Interventionstruppen, im Frühjahr 1957: „Während wir in Budapest gegen konterrevolutionäre Banden kämpften, wurden wir oft in schwere Kämpfe verwickelt. Ich konnte mich dabei vergewissern, daß die Aufständischen von erfahrenen, aus dem Westen nach Ungarn entsandten, militärisch gut ausgebildeten Männern geführt wurden.

Ich erinnere mich an einen Vorfall, als wir mit unseren ungarischen Genossen in einem Mietshaus eine konterrevolutionäre Gruppe gefangennahmen. Unter ihnen befand sich ein fünf-zehnjähriges Mädchen. Es erzählte, die Banditen hätten ihm gedroht, es umzubringen, falls es nicht auf uns schieße. Es erstaunte mich auch, als das Mädchen sagte, daß ein Ausländer ihm viel Geld versprochen habe, das es jedoch nur dann erhalten werde, wenn >das kommunistische Regime'zu existieren aufhöre. Unter den Gefangenen befanden sich auch sehr viele Ausländer."

Die Sowjets machten mit denjenigen, die mit einer Waffe in der Hand gefangengenommen wurden, kurzen Prozeß. Die meisten wurden an Ort und Stelle erschossen. In jenen Vierteln, wo am härtesten gekämpft wurde (wie z. B. im VIII. und IX. Bezirk), wurden ungarische Honveds, die man ohne Waffe in einem Keller gefangennahm, trotz der Versicherungen der Russen gegenüberZivilisten, daß ihnen nichts geschehen würde, an der nächsten Straßenecke füsiliert. Am Zsigmond-Möricz-Platz in Buda, wo die Russen besonders schwere Verluste erlitten hatten, rächten sie sich dadurch, daß sie durch Beschuß mit Phosphor-granaten die Häuser in Brand steckten und auf die flüchtenden Zivilisten schossen.

Der historischen Wahrheit halber muß jedoch auch erwähnt werden, daß es russische Soldaten gab, die mit den Aufständischen fühlten. Istvän Stolte, ein politischer Häftling, der am 31. Oktober aus der Haft befreit wurde, versuchte am 6. November aus Budapest zu entkommen. In einem Vorort, in Räkospalota, besuchte er dabei einen Bekannten. Zu seinem größten Erstaunen traf er bei diesem Mann drei bis an die Zähne bewaffnete Sowjetsoldaten, die friedlich am Küchentisch saßen. Sie konnten etwas Ungarisch, da sie zu den „alten"

Besatzungstruppen gehörten, und erzählten dem Exhäftling, daß ihre Einheit auch den Befehl erhalten habe, am 4. November in die ungarische Hauptstadt einzudringen. Da sie genau über die Ereignisse in Ungarn informiert waren, spürten sie keine Lust, ihre Waffen gegen die Budapester zu richten. Sie sprachen ganz offen mit Stolte. „Die Uniform, die wir tragen, haßt man jetzt in Budapest", sagte der eine. „Wenn sie uns sehen, werden sie auf uns schießen, und wir müssen notgedrungen, um unser Leben zu verteidigen, auch von der Waffe Gebrauch machen. Um das zu vermeiden, haben wir uns entschlossen, in diesem Haus zu bleiben und das Ende der Ereignisse hier abzuwarten." „Das Ende der Ereignisse" trat tatsächlich Mitte November mit dem endgültigen Zusammenbruch des Budapester bewaffneten Widerstandes ein, wenn auch in der Provinz noch kleinere und größere Partisanengruppen die sowjetischen Truppen bis Ende Dezember bekämpften (wie zum Beispiel im Mecsek-Gebirge). Die Sowjetarmee konnte stolz sein: Sie erzielte einen unbestreibaren Sieg über das kleine Ungarn. Ihren Truppen, die über die modernsten Waffen und Panzer verfügten, gelang es innerhalb von zehn Tagen, den Widerstand der ungarischen Intellektuellen, Arbeiter und Bauern niederzuringen und ihrer Revolution, die staatliche Unabhängigkeit und eine sozialistische Demokratie zum Ziele hatte, ein Ende zu bereiten

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe: Die Friedensverträge mit Italien, Rumänien, Bulgarien und Finnland, Heidelberg 1947, S. 125.

  2. Ebenda. S. ferner: Die Sowjetregierung und der österreichische Staatsvertrag. Bericht und Dokumente 1943— 1953, zweite, erweiterte Fassung, Wien 1953.

  3. Päl Darnoy, Die sowjetische Militärintervention in Ungarn, in: Wehrkunde, Nr. 2, München 1957.

  4. Einzelheiten siehe bei Tibor Mray: 13 Tage die den Kreml erschütterten, München o. J.

  5. Aczel Tamäs, Az elsö ejszaka (Die erste Nacht. Erlebnisbericht), in: Irodalmi Ujsäg, London 23. Oktober 1961.

  6. Sogar die ersten Veröffentlichungen der Kdr-Regierung haben zugegeben: „Um der historischen Wahrheit die Ehre zu geben muß gesagt werden, daß sich unter der Menschenmenge auffallend viele Honved-Offiziere und etliche Polizeioffiziere befanden. Bei den Honved-Offizieren vor dem Funkhaus handelte es sich überwiegend um Offiziere der Politakademie , Petöfi‘. Ein Teil von ihnen wandte sich in Worten und Taten gegen die Kämpfer .des Staatsschutzes, die das Funkhaus verteidigten. Andere beteiligten sich dagegen mannhaft an der Verteidigung des Funkhauses. Auch bei den Zusammenrottungen vor dem Ostbahnhof und an anderen Punkten der Stadt waren vielfach Honved-Offiziere die Haupträdelsführer." Siehe Jzsef Solyom — Ferenc Zele: Harcban az ellenforradalommal (Im Kampf gegen die Konterrevolution), Budapest 1957, S. 19. — Der Abschnitt, dem dieses Zitat entnommen ist, fußt nach Mitteilung der Verfasser auf schriftlichen Aufzeichnungen des ehemaligen Kommandos „Innere Einsatzbereitschaft" des Staatssicherheitsdienstes.

  7. Siehe den Text des „ 16-Punkte-Programms“ im ersten Beitrag dieser Ausgabe, S. 9 f.

  8. Aufzeichnungen des Oberleutnants der Volksarmee a. D. Jänos Decsi (unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Verfassers).

  9. Die ungarische Staatspolizei in Nyirbätor berichtete am 24. Oktober um 1 Uhr morgens dem Verteidigungsministerium, daß sowjetische Truppen aus Rumänien nach Ungarn gekommen seien. Siehe: Was in Ungarn geschah. Der Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen, Freiburg i. Br. 1957, S. 51.

  10. Nach Mitteilung von A. T. an den Verfasser.

  11. Erlebnisbericht von P. P.: Oroszok, akik velünk voltak. Ismeretlen adatok a magyar forradalom törtenetehez (Russen, die mit uns waren. Unbekannte Begebenheiten zu der Geschichte der ungarischen Revolution). Unveröffentliches Manuskript im Besitz des Verfassers.

  12. Siehe Anmerkung Nr. 11.

  13. Ebenda.

  14. Nach der zweiten sowjetischen Militärintervention am Morgen des 4. November versuchte Major Akopjan mit einer kleineren Gruppe von Ungarn und ehemaligen russischen Soldaten in den Ofener-Bergen einen Partisanenkrieg zu entfalten. Er fiel mit dem Gros seiner Gruppe am 7. November in Obuda.

  15. Mt Imre, Emlekeim a magyar forradalomröl (Meine Erinnerungen über die ungarische Revolution). Unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Verfassers.

  16. Nach zuverlässigen Quellen sollen etwa 200 russische Soldaten nach der Niederwerfung des ungarischen Volksaufstandes nach dem Westen entkommen sein. Diejenigen, die ihre Flucht nicht in Richtung Österreich, sondern nach Jugoslawien unternahmen, wurden von dem UDBA (jugoslawischer Staatssicherheitdienst) in Gewahrsam genommen, in separate Lager gebracht und später vollzählig den Sowjetbehörden ausgeliefert.

  17. Vädirat, Az ellenforradalom Veszprem megyben (Die Konterrevolution im Komitat Veszprem), Budapest 1957, S. 41.

  18. Szöllösy Arpad, A forradalom Györött (Die Revolution in Raab), in: Uj Lätohatär, München, September 1961, S. 419.

  19. Siehe Tikos Lszl, A forradalom Keszthelyen, különös tekintettel a keszthelyi Mezögazdasägi Akademia tevekenysegere (Die Revolution in Keszthely unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit der Keszthelyer Landwirtschaftlichen Akademie). Unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Verfassers.

  20. Siehe: Was in Ungarn geschah ..., S. 54.

  21. „Magyar Honved“ (Budapest), 2. November 1956.

  22. Mitgeteilt im Weißbuch von Melvin J. Lasky: Die ungarische Revolution, Berlin 1958, S. 144 ff.

  23. Siehe: A magyar forradalom es szabadsägharc a hazai rädiöadäsok tükreben. 1956 Oktober 23 — november 9. (Die ungarische Revolution und der Freiheitskampf im Spiegel der heimatlichen Rundfunksendungen), New York 1957, S. 207.

  24. Siehe: A magyar forradalom .... S. 234.

  25. Siehe dazu das sehr aufschlußreiche Kapitel «Besuch von Mikojan und Suslow“ im Buch von Tibor Meray, a. a. O., S. 150 ff.

  26. Jzsef Kövg, der ehemalige Bürgermeister von Budapest, gab folgende Erklärung über dieses Thema vor dem Sonderausschuß der Vereinten Nationen am 28. Januar 1957 ab: „Am 30. Oktober war ich zugegen, als Mikojan ... einen Staatsmini-

  27. Diese sowjetischen Truppenbewegungen aus dem Osten wurden sowjetischerseits als „Ablösung der schon seit langer Zeit in Ungarn stationierten Sowjettruppen" bezeichnet. Siehe Darnoy, a. a. O.

  28. Heltai György, Visszaemlekezes 1956 oktbernovemberre (Erinnerungen). Unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Verfassers.

  29. Die Erklärung der Sowjetregierung über die Notwendigkeit einer neuen Regelung der gegenseitigen Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern wurde am 31. Oktober 1956 in der Mos-

  30. Siehe Anmerkung 28

  31. A magyar forradalom ..., S. 267

  32. A magyar forradalom ..., S. 288

  33. A magyar forradalom ..., S. 352.

  34. A magyar forradalom ..., S. 356

  35. Was in Ungarn geschah ..., S. 56

  36. Mitteilung des Hauptmanns a. D. L. Csiba an den Verfasser

  37. Kiraly Bela, A nemzetörseg a forradalomban (Die Nationalgarde in der Revolution). Unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Verfassers

  38. Zalka Mikios, Aknamezö (Minenfeld), Budapest 1962, II. Bd„ S. 308

  39. Siehe: „Igaz Szöval", (Budapest), Extra-Ausgabe 1957, S. 21

  40. Mitteilung an den Verfasser

  41. Daß der „Ungamfeldzug 1956" nicht auf das Ruhmesblatt der Sowjetarmee gehört, fühlen selbst die Russen. Obwohl im vergangenen Jahrzehnt unzählige Bücher über die Geschichte und Taten der Sowjetarmee erschienen sind, finden wir keine einzige Veröffentlichung, die sich mit der Rolle der Armee in Ungarn 1956 beschäftigt.

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Peter Gosztony, Dr. phil., Geschäftsführer der Schweizerischen Osteuropa-Bibliothek, Bem, geboren 2. Dezember 1931 in Budapest, Studium der Nationalökonomie an der „Karl Marx Universität" in Budapest; während des ungarischen Volksaufstandes Offizier der Volksarmee und Teilnehmer an den Kämpfen in Budapest, nach der Niederwerfung des Aufstandes im Exil in Wien und Zürich. Von 1957 bis 1961 Studium der Geschichte an der Universität Zürich; Promotion 1962. Veröffentlichungen u. a.: Der Kampf um Budapest 1944/45, München-Zürich 1964; Der ungarische Volksaufstand in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1966; zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften verschiedener Länder.