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Die deutschen Mittel-und Kleinstaaten 1866 | APuZ 25/1966 | bpb.de

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APuZ 25/1966 Die deutschen Mittel-und Kleinstaaten 1866 Das Ende des Deutschen Bundes Die Begründung des Norddeutschen Bundes

Die deutschen Mittel-und Kleinstaaten 1866

Ernst Deuerlein

Der österreichische Antrag auf Mobilisierung der Bundestruppen

Der Vertreter 'Österreichs bei der Bundesversammlung des Deutschen Bundes, dem Bundestag, Aloys Freiherr von Kübeck, brachte am 11. Juni 1866 einen Antrag ein, der in einer längeren Präambel die Lage Deutschlands beschrieb und anschließend die Mitglieder des Deutschen Bundes aufforderte, ihre Zustimmung zu geben zu der Mobilmachung des I., II., III., VII., VIII., IX. und X. Bundesarmeekorps. Der österreichische Antrag stellte weiter an die Regierungen das Ersuchen, ihre Bundeskontingente nach der angenommenen Kriegsformation in der Stärke des Haupt-und Reservekontingents ungesäumt auf den Kriegsstand zu setzen und in den innehabenden oder einnehmenden Standguartieren binnen 14 Tagen derart marsch-und schlagfertig aufzustellen, daß es auf ergehende Aufforderung, innerhalb 24 Stunden mit allem Kriegs-bedarf abmarschieren könne, auf die Bildung der Ersatzkontingente Bedacht zu nehmen, in möglichst kurzer Frist, jedenfalls innerhalb der nächsten 14 Tage bei der Bundesversammlung den Vollzug dieser Anordnungen anzuzeigen und die nötigen Einleitungen zu treffen, damit die Bundesversammlung wegen des Oberbefehls Beschluß fassen könne.

Die Bundesversammlung befand drei Tage später, am 14. Juni, über den österreichischen Antrag. Die Stimmabgabe erfolgte nach dem Kuriatvertrag vom 2. April 1816. Dieser regelte die Stimmabgabe innerhalb der zu Kurien zusammengefaßten Staaten und Freien Städte. Neun Stimmen sprachen sich dafür, fünf dagegen aus. Eine Stimme war als Enthaltung zu betrachten. Für den Antrag Österreichs stimmten Österreich, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Hessen, Kurhessen, die 13. Kurie und die 16. Kurie. Innerhalb der 13. Kurie war Nassau stimmführend. Braunschweig war gegen die Annahme des österreichischen Antrags. In der 16. Kurie lehnten ab Lippe und Waldeck; Liechtenstein und Reuss ältere Linie befürworteten den österreichischen Antrag. Schaumburg-Lippe hatte nicht instruiert. Gegen den von Österreich eingebrachten Antrag stimmten Preußen, Luxem-

Ernst Deuerlein:

Das Ende des Deutschen Bundes .... S. 15 Werner Pöls:

Die Begründung des Norddeutschen Bundes .................... S. 31 burg-Limburg, die 12. Kurie, die 14. Kurie, die 15. Kurie und die 16. Kurie. Innerhalb der 12. von den Großherzoglich-und Herzoglich-Sächsischen Häusern gebildeten Kurie sprach sich Sachsen-Meiningen für den österreichischen Antrag aus. In der 14. Kurie, beide Mecklenburg, reservierte Mecklenburg-Strelitz „fernere Entschließungen". Die 15. Kurie, bestehend aus Oldenburg, Anhalt und beiden Schwarzburg, befürwortete geschlossen die Ablehnung des Antrags. In der 17. Kurie, der Vertretung der freien Städte, trat Frankfurt auf die Seite Österreichs.

Uneinheitliche Parteinahme der Mittel-und Kleinstaaten

Die Abstimmung der Mitglieder des Deutschen Bundes zeigt sowohl die politisch-militärische Frontstellung am Vorabend und während des Verlaufs des deutschen Krieges von 1866 als auch die häufig übersehenen Differenzierungen der Parteinahme der Mittel-und Klein-staaten. Zwar sprach sich deren Mehrheit für die Unterstützung Österreichs und gegen die Politik Preußens aus, eine Einheitsfront gegen Preußen kam jedoch nicht zustande. Die Mittel-und Kleinstaaten bezogen uneinheitliche Standpunkte. Durch eine Abänderung der entsprechenden Formulierung des österreichischen Antrages verweigerten die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, die die Auffassung Österreichs teilten und dessen Vorgehen begrüßten, dem Ersuchen, die Sache Österreichs zu ihrer eigenen Sache zu machen, ihre bedingungslose Befürwortung. Das Scheitern der Bemühungen Österreichs, die Mehrheit der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes für eine vorbehaltlose Stellungnahme gegen Preußen zu bewegen, schwächte die moralische Position sowohl Österreichs als auch der dem österreichischen Antrag zustimmenden Mitgliedstaaten. Die letztgenannten versuchten angesichts der Konfrontation zwischen Österreich und Preußen soweit wie möglich eine zuwartende Haltung einzunehmen. Sie glaubten, diesen Gesichtspunkt auch in der Abstimmung vom 14. Juni 1866 zum Ausdrdek bringen zu sollen, indem Sie den österreichischen Antrag modifizierten oder innerhalb ihrer Kurie einen eigenen Standpunkt einnahmen. In den Abänderungsanträgen und in dem Abstimmungsergebnis über den österreichischen Antrag vom 14. Juni schlugen Spaltung und Unsicherheit der deutschen Mittel-und Kleinstaaten durch. Jeder von ihnen befand sich in einer eigenen und eigentümlichen Situation, die eine generalisierende Behandlung und Beurteilung nicht zuläßt. Bayern, Hannover und Sachsen, deren Lage und Politik im Jahre 1866 nachstehend skizziert werden, Stimmten in der Unterstützung des Antrages Österreichs und in der Verurteilung Preußens überein. Sie erlitten unterschiedliche Schicksale: Bayern schloß mit Preußen ein Schütz-und Trützbündnis, Hannover wurde von Preußen annektiert, Sachsen wurde zum Eintritt in den von Preußen geführten Norddeutschen Bund veranlaßt.

Bayern: Trias-Idee gegen Dualismus

Vornehmlich österreichische Autoren wiederholen bis zum gegenwärtigen Augenblick die Auffassung österreichischer Politiker, Militärs und Publizisten des Jahres 1866, Bayern habe in diesem Schicksals]ahr deutscher und europäischer Entwicklung eine, wie der österreichische Ministerpräsident Belcredi es formulierte, „schmachvolle Rolle" gespielt, es habe „Verrat" begangen: In dieser Ansicht kommt die österreichische Enttäuschung übet die nach österreichischer Auffassung unentschiedene bayerische Politik vör Ausbruch der Kampfhandlungen des Jahres 1866 und über die unterlassene militärische Zusammenarbeit bzw. Unterstützung zum Ausdruck.

Der aus den tiefgreifenden territorialen Veränderungen zwischen 1803 und 1810 hervorgegangene moderne bayerische Staat, am 1. Januar 1806 als Königreich proklamiert, hatte auf dem Wiener Kongreß 1814/15 den weitaus größeren Teil seines Gebietsstandes behaupten und abrunden können. Er hatte gleichzeitig seine uneingeschränkte Souveränität gegen alle Benachteiligungen und Einschränkungen erfolgreich verteidigt. Der Prozeß der inneren Integration des aus zahllosen Einzelterritorien eigener Geschichte, eigenen Rechts und eigener Wirtschaftsstruktur und unterschiedlicher Konfession gebildeten Staates beanspruchte das Interesse der bayeri-sehen Könige und der von ihnen berufenen Minister und Gesamtstaatsministerien. Während König Max I. Josef (1806— 1825) auch nach dem Sturz des Schöpfers des modernen bayerischen Staates, des Staatsministers Maximilian Graf Montgelas, seinen Minister bei den Bemühungen um die innere Konsolidierung gewähren ließ, versuchte Ludwig I. (1825— 1848) durch eine zwar auf die Landes-hauptstadt München konzentrierte, jedoch alle Teile des Landes ergreifende Staats-und Kulturpolitik ein gesamtbayerisches Bewußtsein zu entwickeln und zu verstärken. Er fand in der Phase seiner Aufgeschlossenheit für die liberalen Tendenzen der Zeit dafür Zustimmung und Unterstützung, in der weitaus längeren Zeitspanne seiner Hinwendung zu einem das monarchische Prinzip prohonciert betonenden Konservativismus jedoch wachsende Ablehnung. Seine Begeisterung für die Vergangenheit des deutschen Volkes verdeckte nur für kurze Zeit die zunehmende Entfremdung zwischen ihm und der allgemeinen Entwicklung. Nicht an der von Lola Montez ausgelösten Affäre, sondern an der Spannnung zwischen der machtvoll erhobenen Forderung nach Volkssouveränität und dem starren Festhalten an dem monarchischen Prinzip scheiterte schließlich Ludwig I. Seine Vorstellungen über Deutschland als Ganzes orientierten sich am Deutschen Bund; sie zeigten eine romantisch-emotionelle Grundstruktur.

Sein Nachfolger, König Max II. (1848— 1864), war gezwungen, angesichts der Auffassungen und Forderungen des Revolutionsjahres 1848 und der in der Frankfurter Paulskirche tagenden 1. Deutschen Nationalversammlung die Stellung Bayerns als des größten deutschen Mittelstaates in den möglichen Formen der Verwirklichung der Einheit Deutschlands zu bedenken und darzulegen. Er wurde in erster Linie von dem von ihm am 19. April 1849 berufenen Ministerpräsidenten unterstützt. Ludwig Freiherr von der Pfordten, 1811 in Ried im Innviertel geboren, in Franken ausgewachsen, hatte, nachdem er wegen seines Bekenntnisses zum Liberalismus seinen Lehrstuhl in der juristischen Fakultät der Universität Würzburg verloren hatte und strafweise in den Justizdienst versetzt war, eine Professur in Leipzig angenommen. König Friedrich August II. von Sachsen hatte ihn am 16. März 1848 zum sächsischen Minister des Äußeren ernannt. Von König Max II. nach München berufen, leitete er zehn Jahre lang, von 1849 bis 1859, die bayerische Politik. Sein Vorgänger in diesem Amt, Karl Freiherr von Schenk, übte in dieser Zeitspanne die Tätigkeit eines bayerischen Ministerpräsidenten aus. Von 1859— 1864 vertrat er Bayern bei der Bundes-versammlung in Frankfurt am Main. Von

König Ludwig II. im Dezember 1864 erneut mit der Leitung der bayerischen Politik beauftragt, verfolgte von der Pfordten auch in der Schlußphase der Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich eine Politik, die sich noch im Zeitpunkt der Aussichtslosigkeit an den Gedanken eines Ausgleiches klammerte.

König Max II., der in dem Maße die Wissenschaften förderte, wie sein Vater und Vorgänger Ludwig I. die Kunst gefördert hatte, und Staatsminister von der Pfordten, der seine liberalen Ideen, derentwegen er persönliche und berufliche Nachteile hatte hinnehmen müssen, den Forderungen der Behauptung Bayerns opferte, vertraten eine nach Umständen differenzierte Auffassung, die mit dem generalisierenden Stichwort „Trias-Idee" belegt wird. Angesichts des über die Verfassungsvorstellungen und -beratungen bewußt gewordenen Dualismus zwischen Österreich, der Präsidialmacht des Deutschen Bundes, und Preußen, dem nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich rasch aufstrebenden zweiten deutschen Großstaat, war es zwischen 1849 und 1866 das erklärte Ziel der bayerischen Politik, einer Lösung der deutschen Frage zuzustimmen, die die Souveränität Bayerns nicht antastete, sondern zur Verstärkung und Vergrößerung des Einflusses Bayerns in Deutschland beitrug.

Bayerische Bemühungen um einen preußisch-österreichischen Ausgleich

In ihrer in der 207. Sitzung der Frankfurter Nationalversammlung am 28. April 1849 abgegebenen Erklärung, die deutsche Verfassungsfrage betreffend, die von der Pfordten verfaßt hatte, bestritt die bayerische Regierung das von der Nationalversammlung in Anspruch genommene Recht, die deutsche Verfassung einseitig, das heißt ohne Zustimmung der Regierungen, festzustellen. Sie beklagte die durch die inzwischen angenommene Reichsverfassung vorgenommene Ausschließung Österreichs aus Deutschland, worin sie sowohl eine Verletzung der vertragsmächtigen Rechte und Pflichten, die alle zum Deutschen Bund gehörigen Staaten untereinander binden, und des großen Gedankens der Einigung des deutschen Volkes in einer starken Bindung sah. Sie verwarf die von der beschlossenen Verfassung veranlaßte Zentralisierung, die sie „unter Bezugnahme auf Zeugnisse der älteren und neuesten Geschichte als das Grab der gleichmäßigen Entwicklung und Billigung der inneren Ruhe und selbst der Freiheit eines großen Volkes" bezeichnete. Eine „Zentralisation" nannte sie „dem innersten Wesen des deutschen Volkes, dessen geistige Bedeutung vorzüglich aus seinem reich entfalteten Stammesleben hervorgegangen sei, als dem innersten zuwider".

Sie erkannte die Notwendigkeit einer künftigen Einigung der deutschen Nation, machte jedoch gegen die dafür in Frankfurt beschlossene Form erhebliche Einwände. Die zum Verständnis der bayerischen Politik zwischen 1849 und 1866 unerläßliche Regierungserklärung vom 28. April 1849 führte über die Beziehungen Bayerns zu Österreich aus: „Die Trennung von Österreich würde von keinem deutschen Lande schmerzlicher empfunden werden als von Bayern, das durch seine Lage wie durch Stammverwandtschaft eines großen Teiles der Bewohner in die unmittelbarsten Berührungen mit Österreich gesetzt ist. Kein deutsches Land würde aber auch von jener, in der erbkaiserlichen Zentralisation liegenden Vereinigung aller Selbständigkeit schwerer getroffen werden als Bayern, das, wenn man auch von seiner tausendjährigen Geschichte absehen wollte, durch seine Größe und seine eigentümlichen Zustände in der Gegenwart zu verlangen berechtigt ist, daß dieselben bei der Feststellung der deutschen Verfassung genügend beachtet werden. In Frankfurt ist dies nicht geschehen, indem, um nur eines hervorzuheben, die Bestimmungen über die Produktions-und Verbrauchssteuern ganz geeignet sind, die Staatseinkünfte Bayerns um Millionen zu schmälern und den Staatskredit, dessen spezielle Gewährleistung auf jenen Abgaben beruht, zu vernichten. Die ganze Verfassung, wie sie in Frankfurt beschlossen wurde, würde im wesentlichen dahin führen, den Süden Deutschlands dem Norden zu unterwerfen und dadurch die materiellen Interessen des Südens im höchsten Grade zu beeinträchtigen."

Beide Argumente, der Hinweis auf die stam-mesmäßige Verbundenheit zwischen Bayern und Österreich und die in der Umkehrung ausgesprochene Furcht vor einer Majorisierung durch den Norden, das heißt durch Preußen, veranlaßte König und Gesamtstaatsministerium in der Folgezeit eine Politik zu betreiben, die von der Absicht bestimmt wurde, daß Bayern den Gegensatz zwischen Österreich und Preußen benutzen solle, „um in Deutschland emporzukommen". Von der durchaus richtigen Überzeugung geleitet, Bayern werde seine auf dem Wiener Kongreß erfolgreich verteidigte Souveränität nur ungeschmälert behaupten, wenn es zu den beiden deutschen Großmächten Österreich und Preußen aufrücke, wurden König und Gesamtministerium nicht müde, Bayern als den prädestinierten Sprecher und Führer der deutschen Mittel-und Kleinstaaten zu-empfehlen.

Hinter der „Trias-Idee" standen sowohl die Absicht, Bayern in seiner Handlungsfreiheit uneingeschränkt zu behaupten, als auch der Wunsch, Bayerns Position als Anwalt der deutschen Mittel-und Kleinstaaten zu verstärken. Weil diese Absichten allgemein bekannt waren, fand die „Trias-Idee" nur schwachen Beifall. Sie galt als der wenig aussichtsvolle bayerische Versuch, die bestehenden Verhältnisse nicht im Sinne der nationalstaatlichen Forderungen zu verändern, sondern lediglich zu modifizieren. Von der Pfordten versuchte sowohl als Ministerpräsident wie als Vertreter Bayerns beim Bundestag für die bayerischen Ansichten Interessenten und Anhänger zu finden, mußte sich aber mit wenigen nachsichtigen Zuhörern zufrieden geben. Alle Bemühungen der bayerischen Politik, entweder auf die Ebene Österreichs und Preußens zu gelangen oder Vorort einer politisch wirksamen Vertretung der deutschen Mittel-und Kleinstaaten zu werden, mißlangen. Die Ursache dafür lag sowohl in den geographischen und politischen Gegebenheiten als auch in dem während der Regierungszeit des dritten bayerischen Königs Max II. nicht zu eliminierenden Mißtrauen gegenüber Bayern. Eine Vergrößerung der Position und der Verstärkung der Argumentation Bayerns wurde nicht erreicht; im Gegenteil, die bayerische Stellung verschlechterte sich auf Grund der nur allmählichen wirtschaftlichen Entfaltung des Landes und durch den plötzlichen Regierungswechsel im Frühjahr 1864. Unerwartet verstarb am 10. März 1864 König Max II. Die Regierung übernahm sein ältester Sohn Ludwig als König Ludwig II., der für diese Aufgabe in keiner Weise vorbereitet war. Er beauftragte im Dezember 1864 erneut von der Pfordten mit der Leitung der bayerischen Politik. Dieser beobachtete besorgt die wachsenden Spannungen unter den Gliedstaaten des Deutschen Bundes, vornehmlich zwischen Preußen und Österreich. Er sah sich im Herbst 1865 gezwungen, seinem königlichen Herrn dringend nahezulegen, den von diesem nach München berufenen und mit königlichen Ehren und Gunstbeweisen überschütteten Komponisten Richard Wagner zur sofortigen Abreise aus der bayerischen Landeshauptstadt zu veranlassen.

Von der Pfordten mißtraute der Politik sowohl Österreichs als auch Preußens. Mit dem Ausruf: „Geht diese Sisyphusarbeit wieder an", kommentierte er im Frühjahr 1866 die Initiative des preußischen Ministerpräsidenten von Bismarck in der deutschen Frage. Er befürchtete gleichzeitig, die Regierung in Wien werde sich den Anschein geben, den von Preußen hingeworfenen Fehdehandschuh aufzunehmen, es werde bestrebt sein, die deutschen Mittelstaaten, auch Bayern, in dieser Richtung hin zu engagieren, im letzten Augenblick sich jedoch über deren Kopf hinweg mit Preußen verständigen. Trotz dieser Zweifel an der Zuverlässigkeit der Haltung der Regierung am Wiener Ballhausplatz versicherte er dem österreichischen Gesandten in München: „Ich mache den Krieg aus Bundes-pflicht, Rechtsgefühl und der Konsequenz des von Bayern eingenommenen Standpunktes halber — aber alles übrige spricht gegen den Krieg. Bayern kann nur dabei verlieren." Diese Überzeugung bestimmte von der Pford-ten, die Leiter sowohl der österreichischen als auch der preußischen Politik immer wieder aufzufordern, sich gemeinsam um die Über-windung der sich immer deutlicher abzeichnenden Krise zu bemühen. Er versicherte Bismarck: „Gott ist mein Zeuge, daß mich weder Abneigung gegen Preußen noch Sympathie für Österreich leitet. Als Deutscher bitte und beschwöre ich Sie, gehen Sie noch einmal ernstlich mit Ihrer starken Seele zu Rate, ehe das entscheidende Wort gesprochen wird, dessen Folgen unberechenbar sind." Von der Pfordten verweigerte zwar dem Vorschlag Bismarcks, einen Süddeutschen Bund unter bayerischer Führung zu gründen, seine Zustimmung, da er von der Einsicht bestimmt war, der Bund werde nicht die Lebensfähigkeit des Norddeutschen Bundes erlangen, da Bayern gegenüber den süddeutschen Staaten nicht die Position einnehmen könne, die Preußen gegenüber den norddeutschen Staaten beanspruchen konnte und beanspruchte. Politische und rechtliche Gründe und Rücksichtnahmen auf die öffentliche Meinung bestimmten von der Pfordten, bis zuletzt sich um einen Ausgleich zwischen Preußen und Österreich zu bemühen. Als er erkannte, daß eine Verständigung nicht zu erreichen war, betrieb er eine Politik distanzierter Annäherung an Österreich. Er entsprach damit der dynastischen Bindung und auch der innenpolitischen Situation, da ein Teil der öffentlichen Meinung Bayerns, vornehmlich das protestantische Franken, mit Preußen sympathisierte.

Die militärischen Operationen des bayerischen Korps

Erst auf eindringliche Vorstellungen des Ministerpräsidenten fand sich König Ludwig II. am 10. Mai bereit, den Mobilmachungsbefehl zu unterzeichnen. Er begab sich danach nach Berg am Starnberger See und erklärte wenige Tage später seinem Kabinettssekretär, da der Thronfolger, sein Bruder Otto, jetzt volljährig geworden sei, denke er daran, zurückzutreten und sich in die Schweiz, in die Nähe Richard Wagners zurückzuziehen. Inkognito reiste der König in diesen Wochen zunehmender politischer Spannungen und erkennbarer militärischer Vorbereitungen in die Schweiz und besuchte Wagner, der an seiner Oper „Die Meistersinger von Nürnberg" arbeitete.

Bestrebt, Bayern den Weg zu einer Verständigung mit Preußen nicht zu verbauen oder zu erschweren, versagte von der Pfordten der Übereinkunft zwischen dem österreichischen Oberkommando und dem Oberkommando der bayerischen Armee vom 14. Juni, die vorsah, daß die bayerische Armee der österreichischen Nordarmee in Böhmen zu Hilfe kam, seine Zustimmung. Als Begründung für seine Weigerung führte er die Notwendigkeit an, die durch die aufgebotene preußische Mainarmee bedrohten fränkischen Gebiete durch die bayerische Armee beschützen zu lassen. Die Verweigerung der Zustimmung zum Abmarsch der bayerischen Armee nach Böhmen durch von der Pfordten wurde in Österreich und auch in Sachsen als „Verrat" bezeichnet. Die Vertreter dieser Auffassung verwiesen nicht nur auf die bayerisch-österreichische Übereinkunft vom 14. Juni, sondern auch auf den Beschluß des Bundestages, Österreich und Bayern sollten gemeinsam Sachsen schützen. 'Die bayerischen Truppen, das VII. Armee-korps der Truppen des Deutschen Bundes, kämpften unter dem Oberbefehl des Prinzen Karl von Bayern, eines Großonkels des regierenden Königs, glücklos. Der Versuch der bayerischen Armee, der hannoveranischen Armee zu Hilfe zu eilen und gemeinsame Operationen mit dem unter dem Oberbefehl des Prinzen Alexander von Hessen stehenden VIII. Bundesarmeekorps durchzuführen, scheiterten. Politisches Mißtrauen, Mangel an militärischer Ausbildung und Unzulänglichkeiten in der Befehlsgebung und Nachrichtenübermittlung erschwerten sowohl den Einsatz der süddeutschen Truppen als auch die Operationen der bayerischen Armee. Die wenigstens zweimal versuchte Vereinigung zwischen dem VII. und dem VIII. Bundesarmeekorps mißlang. Die bayerische Armee zog sich im Saaletal vor der vormarschierenden preußischen Mainarmee zurück. Der Abmarsch des VIII, Bundeskorps zur Deckung der bedrohten Stadt Frankfurt bezeichnete das Ende erwogener gemeinsamer Operationen. In Franken kam es wiederholt zu Gefechten, bei denen sich die Überlegenheit der preußischen Armee ebenso demonstrierte wie auf dem böhmischen Kriegsschauplatz.

Friedensbemühungen

Ministerpräsident von der Pfordten nahm angesichts der von ihm vorausgesehenen militärischen Entwicklung die aus Wien erhaltene Aufforderung an, einen bayerischen Diplomaten zur Teilnahme an den bevorstehenden Präliminarverhandlungen mit Preußen zu entsenden. Er beschloß, sich selbst nach Wien zu begeben. Eine Besprechung mit den leitenden Ministern von Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt am 20. und 21. Juli verzögerte seine Abreise. Am 22. Juli traf von der Pfordten in Wien ein. Da er auf die Frage, ob die bayerischen Truppen in den in Vorbereitung befindlichen Waffenstillstand einbezogen würden, keine befriedigende Antwort erhielt, entschloß er sich zu einem außergewöhnlichen Schritt: Auf eigene Gefahr verließ er, nur begleitet von seinem Sekretär Skell, am 24. Juli morgens 6 Uhr in einer kaiserlichen Equipage Wien, um durch die österreichischen Linien in das preußische Hauptquartier nach Nikolsburg zu fahren. Die preußischen Vorposten, überrascht, verwundert und unschlüssig, ließen von der Pfordten passieren. Auch der erste preußische Oberst, dem er vorgeführt wurde, gestattete ihm die Weiterreise, wofür er mit 14 Tagen Arrest bestraft wurde. In Nikolsburg angekommen, ließ sich von der Pfordten sofort bei Bismarck melden, der ihm mitteilen ließ, er möge sich als Gefangener betrachten. Bismarck war von dem Erscheinen des bayerischen Ministerpräsidenten unangenehm überrascht. Er verstand sich schließlich jedoch zum Abschluß eines Waffenstillstandes, der am 28. Juli nachmittags 3 Uhr unterzeichnet wurde. Zu dessen Durchführung vereinbarten der bayerische General von Hart-mann und der preußische Oberstleutnant Veith am 4. August in Nürnberg eine Waffenstillstandskonvention, die die Errichtung einer Demarkationslinie zwischen den von Preußen besetzten und den nicht von Preußen besetzten Teilen Nordbayerns vorsah. Zu diesem Zeitpunkt war die Gefahr, daß Bayern Teile Frankens an Preußen abtreten müsse, noch nicht endgültig gebannt. Bismarck hatte zwar bereits in Nikolsburg König Wilhelm I. veranlaßt, im Interesse des zukünftigen Verhältnisses zwischen Preußen und Bayern auf diese Forderung zu verzichten. Der preußische König kam jedoch während der Friedensverhandlungen in Berlin darauf zurück. Diese wurden mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages vom 22. August 1866 beendet. Bayern verlor die Bezirksämter Orb und Gersfeld und die im preußischen Landkreis Ziegenrück gelegene Enklave Kaulsdorf — mehr als zehn Quadratmeilen mit 33 000 Einwohner. Es mußte eine Kriegskonvention von 30 Millionen Gulden bezahlen und sich zum Abschluß eines zunächst geheimen Schutz-und Trutzbündnisses mit Preußen bereit erklären.

Der Ausgang des Krieges, der weder erwartet noch für möglich gehalten wurde, löste eine harte Kritik sowohl an der Politik des Ministerpräsidenten von der Pfordten als auch an der Kriegführung des Prinzen Karl aus. Beide sahen sich gezwungen, ihre Ämter zur Verfügung zu stellen. Nachfolger im Amte des Ministerpräsidenten wurde am letzten Tage des Jahres 1866 der fränkische Standesherr Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingfürst, der wenige Tage später, am 19. Januar 1867, vor der Kammer der Abgeordneten erklärte: „Der Großstaat, an welchen sich Bayern anzuschließen und als dessen Bundesgenosse es im Falle eines Krieges gegen das Ausland sich offen zu erklären hat, ist Preußen.“

Umorientierung nach Preußen

Der Ausgang des Krieges von 1866 hatte für Bayern zahlreiche Auswirkungen. Es wurde gezwungen, sich politisch von Österreich nach Preußen umzuorientieren. Ihm widerfuhr eine Minderung seiner politischen Möglichkeiten — ein Umstand, der es erlaubt, den Ausgang des Krieges von 1866 als den Anfang der „Mediatisierung" Bayerns zu bezeichnen. Militärisch und wirtschaftlich schloß sich Bayern Preußen an. Eine umfangreiche und weitgreifende Gesetzgebung löste die angestauten innenpolitischen Probleme. Die politische Willensbildung wurde durch die organisierte Formung von Parteien gefördert.

Die „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland", leidenschaftliche Verfechter der Erhaltung des Deutschen Bundes und entschiedene Vertreter einer eigenständigen bayerischen Politik, versicherten zu Beginn des Jahres 1867 in „Betrachtungen über die äußere und innere Lage Bayerns", tiefe Verstimmung und Verdrossenheit habe seit langem im Lande um sich gegriffen. Sie beschuldigten zunächst die Politik des König Max II. für die eingetretene Entwicklung, wobei sie schrieben: „Eine Politik, so voll von Impotenz, so voll von Charakterlosigkeit, so voll von innerer Unwahrheit, konnte kein anderes Resultat haben als Bayern ins Verderben zu führen. Möglich, daß unsere Zeit überhaupt die Lebensbedingungen der mittleren und kleineren Staaten nicht mehr erhält; daß in der Gegenwart alle diese Staaten geteilt, nach dem Ausspruch des französischen Imperators bestimmt sind, zu großen National-staatskörpern zu agglomerieren; aber jedenfalls ist doch an dem einst so stattlichen Bayer-land der alte Spruch in Erfüllung gegangen: dei providentia et hominum stultitia mundus regitur".

Die „Historisch-politischen Blätter" bezeichneten die Politik des Königs Max II. und des Ministerpräsidenten von der Pfordten als „bayerische Großmachtpolitik mit einem Schaukelsystem"; sie trafen damit durchaus die Grundlinie einer inzwischen durch zahlreiche Forschungen freigelegten, in sich sehr differenzierten Politik, die letzthin am Gegensatz zwischen den bayerischen Erwartungen und den bayerischen Möglichkeiten zerbrach.

Hannover: Sorge um den Bestand des Staates

König Georg V. von Hannover (1851— 1866) und die von ihm berufenen Minister waren vor allem aus zwei Gründen österreichisch gesinnt: Sie sahen in der Erhaltung des Deutschen Bundes mit Österreich als Präsidial-macht ein Unterpfand für die Stabilität der politischen Verhältnisse in Deutschland. Sie fürchteten angesichts der geographischen Lage des Königreiches Hannover um dessen territorialen Bestand, wenn Preußen durch politische Konstellation oder militärische Erfolge in der Lage sei, bestimmenden Einfluß auf die Gestaltung Norddeutschlands zu nehmen. König und Minister fanden in der Bevölkerung des Königreiches nur teilweise Unterstützung. Die öffentliche Meinung auch des Königreiches Hannover wurde entscheidend beeinflußt von der Tätigkeit des Nationalvereins, der in Hannover seinen Ausgang nahm. Während der überwiegende Teil der öffentlichen Meinung einen Sieg Preußens als Voraussetzung für die Errichtung eines deutschen Nationalstaa-B tes erhoffte, erwarteten König und Regierung eine Niederlage Preußens, da diese die Möglichkeit biete, Deutschland auf föderativer Grundlage neu zu gestalten und zu ordnen. In einer Niederwerfung Preußens sahen König und Regierung aber auch die Chance, den territorialen Bestand des Königreiches unverändert zu erhalten.

Zur Verdeutlichung der Politik förderten König und Regierung in Hannover Beamte und Publizisten, die als erklärte Gegner Preußens galten. Einer von ihnen, Onno Klopp, Archivar des Königs von Hannover, äußerte sich im August 1865 in der „Leipziger Abendpost" über die „Zukunft Preußens". Klopp vertrat die These, daß Preußen vermöge seines Ursprungs und seiner Geschichte ein absoluter Militärstaat sei. Er bezeichnete Preußen als die Quelle allen Übels in der Vergangenheit und Gegenwart. Zu dessen Abwendung forderte Klopp: „Das einzige Mittel der Errettung von allem Unheile und Jammer, die die Politik dieses Staates Preußen ferner ebenso sicher über Deutschland bringen wird, wie sie solches Unheil zu ihrem besonderen Vorteil durch den Verrat am Ganzen bei allen kritischen Lagen des deutschen Vaterlandes bisher gebracht hat: das einzige Mittel, sagen wir, ist das Aufhören dieser Politik durch das Auflösen des Staatsverbandes, auf welchem sie beruht."

Diese Auffassung, vertreten von einem Bediensteten des Königs von Hannover, wurde in Berlin registriert; sie wurde als Interpretation der Politik Hannovers verstanden, die darauf ausging, Preußen zu separieren. Versuche der preußischen Politik, die steigende Animosität und Aversion in Hannover zu überwinden, blieben erfolglos. Es entstand ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Berlin und Hannover, der zunächst auf die Regierungen bezogen war, im Verlauf einer allmählich um sich greifenden Erregung zumindest Teile der Bevölkerung erfaßte.

Ende des Königreiches Hannover

Zur Wahrung ihrer Souveränität entschied sich die hannoversche Regierung zunächst für einen neutralen Kurs. Ihr Vertreter schloß sich zwar am 14. Juni in der Abstimmung des Bundestages dem österreichischen Antrag an, der Preußen des Bruches der Bundesverfassung beschuldigte, hatte jedoch bereits am 13. Juni dem preußischen General Vogel von Falkenstein in Entsprechung einer auf Grund der bestehenden Etappenkonvention nachgesuchten bundesfreundlichen Erlaubnis den Durchmarsch des Manteufelschen Korps von Harburg nach Minden gestattet. An dem Tage, an dem Preußen die Regierung in Hannover mit der Alternative konfrontierte, entweder preußischen Forderungen zu entsprechen oder sich als im Kriegszustand mit Preußen befindlich zu betrachten, standen preußische Truppen auf hannoverschem Gebiet. Die preußische Sommation vom 15. Juni schlug unter im einzelnen bezeichneten Voraussetzungen den Abschluß eines Bündnisses zwischen Preußen und Hannover vor; sie kündigte für den Fall, daß die hannoversche Regierung diesem Ersuchen nicht nachkam, den Eintritt des Kriegs-zustandes zwischen Preußen und Hannover an. Die hannoversche Regierung beantwortete noch am gleichen Tag die preußische Sommation, wobei sie ausführlich auf die preußischen Bedingungen einging. Sie erklärte diese für unannehmbar und betonte, sie sei sich bewußt, auf dem Boden des unanfechtbaren völkerrechtlich garantierten Bundesrechtes zu stehen. Das Festhalten an diesem Recht könne Preußen keine Veranlassung bieten, das Königreich Hannover als im Kriegszustand mit Preußen befindlich zu betrachten.

König Georg V. verließ in den ersten Stunden des 16. Juni zusammen mit dem Kronprinzen die Residenzstadt Hannover, in die er nicht wieder zurückkehrte. Kurz vor seiner Abreise erklärte er einer im Schloß Herrenhausen vorsprechenden Deputation des Magistrats und der Bürgervorsteher der Residenz, die um Erhaltung des Friedens durch Verständigung mit Preußen baten, „als Christ, als Monarch und als Welfe könne er nicht anders handeln". Der König begab sich zu seiner Armee, die sich im Raume Göttingen versammelte, und trat mit dieser den geplanten Marsch nach Süddeutschland an. Dem Sieg der hannoverschen Truppen bei Langensalza folgte die im gleichen Raum vorgenommene Kapitulation, die das Ende des Königreiches Hannover bedeutete.

Sachsen: antipreußischer Kurs

Auch das auf dem Wiener Kongreß durch den österreichischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten Metternich von der vollständigen Annexion durch Preußen bewahrte Königreich Sachsen ergriff im Jahre 1866 Partei für Österreich. Sachsen, das eine bewegte innenpolitische Entwicklung hinter sich hatte, bei der sich demokratische Vorstellungen und soziale Veränderungen durchdrangen und steigerten, glaubte, sich nur im Gegensatz zu Preußen behaupten zu können. Der Leiter der sächsischen Außenpolitik, Friedrich Ferdi-nand Freiherr von Beust, vertrat einen entschiedenen und schroffen antipreußischen Kurs, wobei er auf unnötige Provokationen nicht verzichtete. Beust trat in der Phase intensiver politischer und diplomatischer Auseinandersetzungen um die Reform des Deutschen Bundes mit eigenen Projekten hervor. Er versuchte, zeitweise entschiedener als Bayern, die Führung der deutschen Mittel-und Kleinstaaten an sich zu bringen. Der sächsische König Johann (1854— 1873) bot alles in seiner Kraft stehende auf, um den preußischen König zur Teilnahme am Frankfurter Fürsten-tag 1863 zu gewinnen. Bei den Entscheidungen des Bundestages im Juni 1866 trat Sachsen ohne Zögern auf die Seite Österreichs und der mit ihm verbündeten Staaten des Deutschen Bundes.

Am 15. Juni übergab der preußische Gesandte in Dresden eine preußische Sommation, die sachlich weithin mit dem entsprechenden Ersuchen, das Preußen an die Regierungen in Hannover und Kassel richtete, übereinstimmte. Beust betonte in seiner Antwortnote, die Grundsätze des Deutschen Bundes schlössen dessen Auflösbarkeit aus. Auch versicherte er, der Bund habe unbestritten innerhalb seiner Kompetenz gehandelt, wenn er die vollständige oder teilweise Mobilmachung des Bundesheeres beschlossen habe. Die Ankündigung, Preußen müsse sich mit dem Königreich Sachsen als im Kriegszustand befindlich betrachten, veranlaßte die sächsische Regierung, gegen ein solches Vorgehen mit Bezugnahme auf die Grundgesetze des Bundes laut und entschieden zu protestieren und die Abwehr des Bundes anzurufen.

König Johann verließ am 16. Juni Dresden, nachdem er sich vorher an seine Untertanen mit einer Proklamation gewandt hatte: „Weil wir treu zur Sache des Rechtes eines Bruder-staates standen, weil wir festhielten an dem Band, welches das größere deutsche Vaterland umschlingt, weil wir bundeswidrigen Forderungen uns nicht fügten, werden wir feindlich behandelt." Am Tage der Verkündigung dieser Proklamation trat der König im Verband seiner Armee den Marsch nach Böhmen an, wo sich diese mit der österreichischen Nordarmee vereinigte.

Österreich rettet Sachsen

Die Oberbefehlshaber der nach Sachsen einmarschierenden preußischen Armeen, Prinz Friedrich Karl und General Herwarth von Bittenfeld, wandten sich in Aufrufen an die Sachsen. Prinz Friedrich Karl versicherte: „Wir führen nicht den Krieg gegen das Land und die Bewohner von Sachsen, sondern gegen die Regierung, welche uns denselben ohne allen Grund durch ihre Feindseligkeiten auf-gedrungen hat." General Herwarth von Bitten-feld versicherte in einer Proklamation, die sächsische Regierung sei es gewesen, die nicht eher geruht habe, als bis aus dem Bündnis von Österreich und Preußen die Feindschaft beider entstand. König Johann rechnete mit einem Sieg der Bundestruppen, vornehmlich der in Böhmen vereinigten österreichischen und sächsischen Truppen. Für diesen Fall hatte er bereits politische Überlegungen angestellt. Er teilte Minister von Beust mit, es sei nicht sein Wille, im Falle eines Sieges das 1814 zwangsweise abgetretene Gebiet, die preußische Provinz Sachsen, wieder zu erhalten. Zur Begründung sagte er, es hieße alte Feindschaft verewigen und selbst schlechte, weil abgeneigte Untertanen erwerben. In den Rückzugsgefechten der österreichischen Nordarmee und des sächsischen Korps zeichnete sich letzteres wiederholt aus. Es bewahrte auch in der Schlacht von Königgrätz Umsicht, Mut und Haltung, konnte jedoch die Niederlage der österreichischen Verbände weder aufhalten noch mindern.

Der Ausgang der Schlacht von Königgrätz favorisierte im preußischen Hauptquartier die Absicht, zu der 1814 erhaltenen Provinz Sachsen auch das Königreich Sachsen zu erwerben. Im Sinne der angestrebten territorialen Integrierung Norddeutschlands war Preußen an der Annexion des Königreiches Sachsen lebhaft interessiert. Österreich trat diesem Ansinnen auf das entschiedenste entgegen; so wie es auf dem Wiener Kongreß der Retter eines zwar verkleinerten Königreiches Sachsen war, so wurde es jetzt dessen Bewahrer. Kaiser Franz Joseph machte seine Bereitschaft, Frieden mit Preußen zu schließen, von der Bedingung abhängig, daß das Königreich Sachsen in seinem Gebietsstand unversehrt er-halten bleibe. Nur zögernd gingen Bismarck und vor allem König Wilhelm I. auf dieses Verlangen ein. Sie behielten sich vor, die Bedingungen des Eintrittes Sachsens in den zu gründenden Norddeutschen Bund im einzelnen festzulegen. Der Versuch der österreichi-schen Unterhändler, sich für einen Beitritt Sachsens in den in Aussicht genommenen Süddeutschen Bund zu entscheiden, hatte bei Bismarck schärfste Abfuhr erfahren. Er drohte im Falle der Weiterverfolgung dieser Absicht mit dem Abbruch der Verhandlungen.

Politische und territoriale Neuordnung Deutschlands

Die deutschen Mittel-und Kleinstaaten erfuhren bei der politischen und territorialen Neuordnung, die im Friedensvertrag von Prag und in den Friedensverträgen von Berlin vorgenommen wurde, eine unterschiedliche Behandlung. In den preußischen Staatsverband gingen das Königreich Hannover, das Kurfürstentum Hessen, das Herzogtum Nassau, die Herzogtümer Schleswig-Holstein und die Freie Stadt Frankfurt auf. Die Annexion Hannovers schuf lang anhaltende politische und rechtliche Probleme. Deren teilweise Lösung erfolgte durch eine Eheverbindung. Der Sohn des weifischen Prätendenten, Herzog Ernst August von Cumberland, heiratete 1913 die Tochter Wilhelms II., Viktoria Luise. Den aus dem beschlagnahmten Vermögen des Königs von Hannover gebildeten „Weifenfonds", einen geheimen Dispositionsfonds, benutzte Bismarck, um „bösartige Reptilien zu verfolgen bis in ihre Höhlen hinein", um den Kultur-kampf und die Agitation gegen die Sozialdemokratie zu finanzieren, Agenten zu gewinnen und die Presse zu beeinflussen. Der Kurfürst von Hessen-Kassel, ein entschiedener Feind Preußens, starb, ohne einen direkten Erben zu hinterlassen, bereits 1875. Der Herzog von Nassau ließ sich 1867 mit acht Millionen Taler für seine Rechte abfinden. Die Aussöhnung des Herzogs Friedrich von Augustenburg erfolgte durch eine Ehe-verbindung. Der Enkel Wilhelms I., der spätere Kaiser Wilhelm II., heiratete die Tochter des Herzogs Friedrich von Augustenburg. Die Freie Stadt Frankfurt lehnte es ab, sich freiwillig Preußen anzuschließen. Der nachmalige Reichskanzler Georg Graf von Hertling, der in Darmstadt das Jahr 1866 erlebte, versicherte in seinen 1915/16 niedergeschriebenen „Erinnerungen": „Frankfurt hat sich ganz besonders schnell in die neuen Verhältnisse gefunden, obwohl seine frühere Selbständigkeit darüber verloren ging."

Die Annexion dieser Gebiete versuchte Heinrich von Treitschke in seinem am 30. Juli 1866 niedergeschriebenen Aufsatz „Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten" zu rechtfertigen: „Mit der Beseitigung der kleinen Kronen vollzieht sich nur ein Akt der historischen Notwendigkeit. Wer aus der Vergangenheit aller Nationen Europas noch immer nicht gelernt hat, daß die Kleinstaaterei in gereiften Kulturvölkern keine Stätte hat und der Zug der Geschichte auf das Zusammenballen großer nationaler Massen weist, dem müssen nach den Erfahrungen dieser reichen Wochen endlich die Augen sich öffnen. Die Hülle prahlerischer Phrasen, womit man so lange die Geheimnisse des mittelstaatlichen Lebens verdeckte, ist durch das Schwert hin-weggerissen, und darunter tritt zu Tage — eitel Fäulnis und Moder."

Treitschke mühte sich, die Vorteile der Annexion dieser Gebiete durch Preußen darzulegen: „Die Einverleibung in den preußischen Staat wird für alle gesunden, arbeitenden Klassen des Volks ein reiner Gewinn sein. Darunter leiden werden nur die unmittelbaren Umgebungen der kleinen Höfe, der kleinere, unfähige Teil des Beamtentums (denn die Mehrzahl der mittelstaatlichen Beamten ist sehr wohl imstande, den strengen Anforderungen zu genügen, welche Preußen an seine Diener stellt), der arme Adel, der in den zahlreichen Sinecuren der Kleinstaaten willkommene Versorgung für seine unbrauchbaren Söhne fand, endlich — last not least — die Eitelkeit und Rechthaberei des Professoren-tums. Es ist ein Jammer, welcher armselige Dünkel an den kleinstaatlichen Universitäten aufgewuchert ist, wie diese Hochschulen, berufen dem ganzen Vaterlande hochsinnig zu dienen, zu Brutstätten des erbärmlichsten Partikularismus geworden sind. Der korrekte Göttinger Hofrath würde an seinem Gott verzweifeln, wenn die Georgia Augusta nicht mehr den wohllautenden Namen führte . Juwel in der Weifenkrone'; dem echten Leipziger Professor ist der Gedanke unfaßbar, daß er aufhören soll, eine , Perle im sächsischen Rautenkranze'zu sein. Unbemerkt rauschen die brutalen Tatsachen der Geschichte an dem geschlossenen Auge des Doktrinärs vorüber; wenn sie ihm grausam seine Cirkel stören, so wird er verdrießlich und fühlt sich persönlich beleidigt."

Annäherung zwischen Sieger und Besiegten von 1866

Alle nicht von Preußen annektierten Mittel-und Kleinstaaten Norddeutschlands traten dem Norddeutschen Bund bei. Die Präambel der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 17. April 1867 führte die beigetretenen Fürsten und Freien Städte an. Der Großherzog von Hessen und bei Rhein wurde für seine nördlich gelegenen Teile Mitglied des Norddeutschen Bundes. Politisch wurde damit das Großherzogtum Hessen in eine dem Norddeutschen Bund angehörende und in eine nicht dem Norddeutschen Bund angehörende Hälfte gespalten, doch blieb dieser Vorgang ohne Auswirkungen für Verwaltung und wirtschaftliche Entwicklung des Großherzogtums Hessen.

Die süddeutschen Fürsten, die Könige von Bayern, Württemberg, der Großherzog von Baden und der Großherzog von Hessen für sein südlich des Mains gelegenes Gebiet, gingen bei Abschluß der Friedensverträge zwischen ihnen und Preußen ein Schutz-und Trutzbündnis ein, das sie politisch und militärisch an Preußen band. Der Versuch, einen Süddeutschen Bund zu gründen, scheiterte bereits in seinen Anfängen.

Dieses System unterschiedlicher politischer Zuordnung zu Preußen reichte aus, um eine Annäherung zwischen dem Sieger und den Besiegten von 1866 herbeizuführen. Indem im Sommer 1870 alle süddeutschen Fürsten den Bündnisfall als gegeben bezeichneten und die Volksvertretungen dieser Auffassung beitraten, bezeugten sie die innerhalb von vier Jahren eingetretene Umorientierung der Politik vor allem der Mittel-und Kleinstaaten, die bis 1866 Österreich als ihre Schutzmacht angesehen hatten.

Die Entscheidung des Jahres 1866 betraf nicht nur die territorialen und politischen Verhältnisse in Mitteleuropa und die Beziehungen zwischen dem außerösterreichischen Deutschland und Österreich, sie veränderte auch die innerdeutschen Gegebenheiten. Ein gerechter Kritiker des Vorgehens Preußens, Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteier, Bischof von Mainz, verwies darauf in seiner 1867 veröffentlichten Schrift „Deutschland nach dem Kriege von 1866". Ketteier versicherte: „Aber auch für das übrige Deutschland kann aus den gegebenen Verhältnissen sich Manches entwickeln, was frühere Übelstände beseitigt und die berechtigten nationalen Gefühle des deutschen Volkes wenigstens einigermaßen ausgleicht. Wir sind nämlich immer von der Über-zeugung ausgegangen, daß die völkerrechtliche Souveränität deutscher Fürsten, welche der Rheinbund geschaffen und die Bundesverfassung befestigt hat, ebenso unberechtigt war, als auf der andern Seite das Zerreißen des historischen Verhältnisses der deutschen Fürsten mit ihren Stammländern. Auch hier ist unsere Richtschnur die Idee, in der sich die Verfassung Deutschlands in der Geschichte entwickelt hat, nicht aber die letzte Form, in der sie sich ausgestaltet, die wir deshalb mehr als eine Mißform ansehen. Der deutsche Fürst, der nach einer Macht strebte, die der Einheit des deutschen Volkes entgegensteht, scheint uns nicht minder ein Revolutionär gewesen zu sein, wie es jene sind, welche die wohlerworbenen Herrscherrechte der deutschen Fürsten beeinträchtigen. Die Kleinstaaterei, wie sie sich in Deutschland entwickelte, halten wir deshalb für ein Unrecht an der Stellung, die dem deutschen Volke unter den Nationen gebührt. Wir glauben aber überdies, daß sie auch das deutsche Volk selbst vielfach beschädigt hat." über die weitere Entwicklung der Staaten des Deutschen Bundes meinte Ketteier in seiner Betrachtung: „Wenn aber die Vereinigung des deutschen Südens mit dem deutschen Norden unter Preußens Führung und in unauflöslichem Bunde mit Österreich eine Hoffnung auf Gedeihen haben und das deutschen Rechtsbewußtsein zufrieden stellen soll, so muß die berechtigte Selbständigkeit der deutschen Länder darin ihre sichere Gewährung finden und muß Preußen auf den schließlich nur zur Revolution führenden absoluten Einheitsstaat verzichten und nicht die Mehrung seiner Hausmacht, sondern die Größe und Freiheit Deutschlands und in ihm aller deutschen Stämme, Länder und Fürsten als seine Aufgabe betrachten."

Fussnoten

Weitere Inhalte

Ernst Deuerlein, Dr. phil., o. Professor für Geschichte an der Phil. -Theol. Hochschule Dillingen/Donau. Geb. 9. September 1918 in Rückersdorf bei Nürnberg. Zahlreiche Akteneditionen, Monographien und Aufsätze zur neueren und neuesten Geschichte und zur Verfassungs-und Sozialgeschichte.