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Die Politik Österreichs bis zum Ausbruch des Krieges im Jahre 1866 | APuZ 24/1966 | bpb.de

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APuZ 24/1966 Das Jahr 1866 in der deutschen und europäischen Geschichte Preußen und das Jahr 1866 Die Politik Österreichs bis zum Ausbruch des Krieges im Jahre 1866

Die Politik Österreichs bis zum Ausbruch des Krieges im Jahre 1866

Hugo Hantsch

Innere Entwicklung Österreichs

Die unglücklichen Ereignisse des Jahres 1859 deckten die innere und äußere Problematik des österreichischen Kaiserstaates schonungslos auf. Die Periode des neoabsolutistischen Zentralismus, die Reaktion auf die in den Jahren 1848/49 zutage tretenden revolutionären Erscheinungen, war infolge der unerwarteten Niederlagen gegen den italienisch-französischen Nationalismus bei Magenta und Solferino zu Ende gegangen. Obwohl der innere Verwaltungsapparat funktionierte und durchaus nicht ganz erfolglos arbeitete, verhinderte der Mangel an Anteilnahme der Bevölkerung den erwünschten allgemeinen Aufschwung der wirtschaftlichen Interessen und die Entfaltung eines arbeitsfreudigen Patriotismus. Zudem stand die äußere Machtstellung der weitläufigen Monarchie, die in ihrer territorialen Ausdehnung alle anderen mitteleuropäischen Staaten übertraf, auf ziemlich schwachen Füßen. Was sich schon im Krimkrieg gezeigt hatte, wurde im italienischen Krieg vollends offenbar, daß nämlich die Monarchie außen-politisch isoliert war und nicht auf Verständnis für ihre Verteidigungspolitik rechnen konnte.

Trotz der Präsidialstellung im wiederhergestellten Deutschen Bund hatte Österreich die durch den Widerstand Preußens herbeigeführte Passivität der deutschen Bundesstaaten nicht überwinden können, so daß die Monarchie sich selbst überlassen blieb und im Kampf um Erhaltung ihrer Integrität keine Unterstützung fand. Unter diesen Umständen und unter dem harten Druck der Realitäten erschien eine innere Regeneration, die auf die Erweckung einer aktiven mitarbeitenden Staatsgesinnung hinauslief und eine Neuorientierung der Außenpolitik, insbesondere in bezug auf die Stellung im Deutschen Bund, als vordringliche Aufgabe der nach dem Frieden von Zürich (10. November 1859) neugebildeten Regierung.

Die Versuche, der aus der einzigartigen inneren Struktur der Monarchie sich ergebenden Probleme Herr zu werden und ein die verschiedenen oft gegensätzlichen Interessen des Vielvölkerstaates überdeckendes Verfassungsschema zu schaffen, fanden aber keine allgemeine Zustimmung. Das Entscheidende war dabei das Verhältnis zu Ungarn, dessen eigenständige Verfassung, das Palladium des nationalen magyarischen Selbstbewußtseins, einer einheitlichen Reichsidee widersprach. Es gab in Ungarn Anhänger eines völligen Separatismus im Geiste Ludwig Kossuths; es gab eine Partei, die an der Aprilverfassung des Jahres 1848 festhielt, die dem Königreich weitgehende Selbständigkeit zugesichert hatte; es gab aber auch eine konservative Partei, die auf den Grundsätzen der Pragmatischen Sanktion des Jahres 1723 fußend für die unzertrennliche Union mit Österreich eintrat, wenn sie auch das Recht der eigenen Staatlichkeit betonte. Die historischen Prinzipien der Selbstregierung, wie sie in den Landtagen der Provinzen zur Geltung kamen, aufrechtzuerhalten, zugleich aber die politische Machtstellung des Gesamtreiches zu bewahren, den drängenden liberalen Strömungen Rechnung zu tragen und zugleich die überlieferten konservativen Grundsätze zu berücksichtigen, erwies sich bald als ein schwer zu bewältigendes Problem.

Das „Oktoberdiplom" des Jahres 1860, als „beständiges und unwiderrufliches" Staats-grundgesetz veröffentlicht, erklärte als den Sinn der neuen Verfassung „die Erörterungen, Rechtsanschauungen und Rechtsansprüche der Länder und Völker mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Monarchie ausgleichend verbinden" zu wollen, „dem geschichtlichen Rechtsbewußtsein der bestehenden Verschiedenheit unserer Länder und Königreiche und den Anforderungen ihres unteilbaren und unzertrennlichen kräftigen Verbandes gleichmäßig zu entsprechen". Insofern das Schwergewicht des politischen Mitwirkens in die Landtage verlegt wurde, aus deren Mitte die 100 Mitglieder des Reichsrates gewählt werden sollten, die zur „Mitwirkung" bei der Gesetzgebung in den Fragen von allgemeinem Interesse eingeladen werden, hat die Verfas-sung des Oktoberdiploms einen aufgelockerten föderalistischen Charakter. Trotzdem behielten sich der Kaiser und die Zentralregierung noch die entscheidende Machtstellung vor, so daß es sich nicht um einen organischen Umbau der Verfassung in wirklich konstitutionellen Sinn handelte, wie ihn der Liberalismus verlangte. Der Widerstand veranlaßte die Regierung zu einer grundsätzlichen Änderung des Oktoberdiploms.

Die „Februarverfassung" des Jahres 1861, die unter Leitung des liberalen Anton Ritter von Schmerling, des ehemaligen Reichsinnenministers in der Zeit der Reichsverweserschaft des Erzherzogs Johann, ausgearbeitet worden war, räumte dem Reichsrat ein wirkliches Gesetzgebungsrecht ein, und seine Zusammensetzung aus den Vertretern der Landtage garantierte zugleich die Interessen der Länder. Der Reichsrat beruhte auf einem Zweikammersystem, bestehend aus Herrenhaus und Abgeordnetenhaus. Da er aus den Landtagen hervorging, deren Kurienwahlrecht dem besitzenden und gebildeten, meist liberalen Bürgertum ein entscheidendes Übergewicht verlieh, besaß auch der Reichsrat ein liberales Gepräge. Man unterschied gewissermaßen zwei Ebenen der Gesetzgebung: den „gesamten Reichsrat für alle österreichischen und ungarischen Länder und den „engeren Reichsrat", dem die Vertreter der ungarischen Krone nicht angehörten. Damit war aber auch der erste Schritt auf dem Weg zum Dualismus getan, dem das Prinzip der Eigenstaatlichkeit Österreichs und Ungarns zugrunde lag.

Trotz den großen Zugeständnissen, die Kaiser Franz Joseph schon aus Rücksicht auf die Stellung Österreichs im Deutschen Bund machte, aber auch um das innere Gefüge der Monarchie zu stärken und den ziemlich prekären Staatsfinanzen aufzuhelfen, vermochte auch die Februarverfassung die Erwartungen nicht zu erfüllen. Den konservativen und föderalistischen Elementen behagte die zentralistische Note nicht; der ungarische und kroatische Landtag weigerten sich, Abgeordnete in den gesamten Reichsrat zu senden; die deutschen Liberalen, die das Heft in der Hand hatten, betonten den zentralistischen Reichs-gedanken und waren nur darauf bedacht, die Kompetenzen des engeren Reichsrates möglichst auszudehnen, um den bestimmenden Einfluß bei der Regierung zu erreichen und die dem Kaiser und seinem Ministerium reservierten Rechte zu beschneiden. Der Kaiser, dem es besonders darauf ankam, das die Vielfalt der Länder zusammenhaltende Band dynastischer Autorität und die machtpolitische Stellung der Monarchie in Europa zu erhalten und zu sichern, war nicht geneigt, weitere Einschränkungen seiner Machtvollkommenheit hinzunehmen oder sich gar die Mittel zu einer letzten Endes von ihm selbst zu bestimmenden Außenpolitik, die Verfügung über das Militär und die Finanzen, aus den Händen winden zu lassen.

Österreich und Ungarn

Die Regierung des liberalen Staatsministers von Schmerling hatte mit Widerständen des liberalen Reichsrates zu kämpfen und beklagte dessen geringes Interesse und Verständnis für die großen außenpolitischen Probleme und die innere Uneinheitlichkeit in den liberalen Anschauungen überhaupt. Wenn man also mit der Verkündung der neuen konstitutionellen Verfassung eine Sammlung der inneren Kräfte der Monarchie bezweckt hatte, so wurde dieses Ziel nicht in jenem Maße erreicht, wie es die Lage des Kaisertums und die bedrohliche außenpolitische Problematik erfordert hätte.

Die Erhaltung des Gleichgewichtes der Mächte und damit des europäischen Friedens schien damals von der Erhaltung der österreichischen Monarchie als Großmacht abhängig zu sein.

Es gab wenige Stimmen, die das bezweifelten. Selbst Lord Palmerston, der die nationalen Bewegungen in Italien durchaus als berechtigt betrachtete, betonte diese Auffassung als seine politische Überzeugung. Es war aber auch klar, daß der staatsrechtliche Separatismus Un-garns diese Großmachtstellung der Monarchie am meisten bedrohte. Deshalb war die Lösung der dornigen ungarischen Frage das Hauptproblem der Monarchie. Da es sich nun erwiesen hatte, daß weder das Oktoberdiplom noch die Februarverfassung die staatsrechtlichen Wünsche Ungarns befriedigte, andererseits aber die drohende Auseinandersetzung mit Preußen die Herstellung einer geeigneten Basis für das Zusammenleben der beiden Reichshälften forderte, suchte man nach ganz neuen Wegen für die Lösung des Problems. In dem ungarischen Politiker Franz Deäk erstand der Mann, der loyale, königstreue Gesinnung mit lauterem ungarischen Patriotismus verband. Seine realpolitische Denkweise erkannte die Vorteile der Union im Rahmen des Habsburgerreiches, seine liberal-nationale Gesinnung aber verlangte, eine solche Union nicht enger werden zu lassen als mit der Erhaltung des selbständigen nationalen Staates zu vereinbaren war. Ausgehend von dem Grundsatz der „Rechtskontinuität" sollte die Pragmatische Sanktion und ihre von den Land-tagen gegebene Interpretation die einzige Grundlage der neuen politischen Gemeinschaft sein, die nicht auf Zwang, sondern auf Übereinkommen beruhte. Deäk wurde so der Führer jenes liberalen Bürgertums, das zu einem tragbaren Ausgleich der gemeinsamen Reichs-interessen und der nationalen Sonderbestrebungen strebte. Doch meldeten auch die Tschechen unter Führung Franz Palackys ihre seit der Schlacht am Weißen Berg (1620) verwirkten staatsrechtlichen Ansprüche an. Sie verließen den zentralistischen Reichsrat, gefolgt von den polnischen Vertretern, die von der polnischen Freiheitsbewegung fasziniert waren und den Aufstand ihrer Landsleute gegen die russische Herrschaft in Polen mit begreiflicher Sympathie verfolgten.

Und das alles geschah, als sich die Gegensätze zwischen Preußen und Österreich gefährlich zuspitzten. In dieser Situation suspendierte der Kaiser die Verfassung, um sich die nötige Entschlußfreiheit sowohl in den ungarischen Verhandlungen als auch in der Außenpolitik zu sichern und die vorhandenen, immer noch beträchtlichen Kräfte auf die bevorstehende Entscheidung zu konzentrieren. Die Mängel der moralischen Rüstung ließen sich allerdings nicht aus der Welt schaffen. In österreich fehlte es zwar nicht an patriotischem Empfinden, aber dieser Patriotismus knüpft sich, außer bei den Deutschen, nicht so sehr an den Staat als an den Kaiser, entsprang einer traditionellen persönlichen Verpflichtung zur Treue gegenüber dem angestammten Herrscherhaus. Der Liberalismus war keine Parteiorganisation, sondern eine Gesinnungsgemeinschaft, die der persönlichen Meinung ihrer Anhänger keine Grenzen setzte. Aber trotz dieser sehr lockeren Struktur war doch die großdeutsche Gesinnung vorherrschend, deren Wortführer der Staatsminister Schmerling selbst war. „Großdeutsch" — das bedeutete Festhalten an der deutschen Basis des Habsburgerstaates, Verteidigung der Stellung Österreichs im Deutschen Bund, aber auch Festigung und Ausbau der Bundeseinrichtungen, die für Österreich Schutz und Schirm und eine Garantie der Rechtssicherheit bedeuteten, auf die sich der Kaiserstaat stets verließ, obwohl die Erfahrungen der Vergangenheit ihn hätte überzeugen können, daß Recht und Machtgelüste nicht vereinbar waren.

Um einen großen Entscheidungskampf zu wagen, entbehrten also die inneren Verhältnisse der Monarchie der nötigen Stabilität und der Grundlagen für ein zielbewußtes Selbstvertrauen. Für einen Staat in Österreichs Lage war die Erhaltung des Friedens geradezu eine Bedingung seiner Existenz. Daher ist es verständlich, daß man sich in Wien bemühte, so lange als möglich und selbst mit nicht unbeträchtlichen Opfern an Prestige und Selbst-achtung das Einvernehmen mit Preußen zu erhalten und auftretende Bruchstellen des alten Bündnisses immer wieder zu überkleistern. Aber allzu viele solcher Reparaturen machten die Brüchigkeit des Bandes nur noch offenbarer.

Allianz mit Preußen oder den Mittelstaaten ?

Der Kern der Auseinandersetzung aber war die deutsche Frage, die nicht nur nationalen, sondern europäischen Charakter besaß. Der Zwiespalt um das Schicksal der Eibherzogtümer Schleswig-Holstein, den das Problem der Rechtsnachfolge und Verfassung ausgelöst und den Krieg gegen Dänemark zu einer schwerwiegenden Macht-und Prestigefrage gemacht hatte, stellt dann die deutsche Frage erst ins rechte Licht und bewies, daß die Sonderinteressen der Bundesstaaten den Bund zur Ohnmacht und Scheinleben verurteilte. Die Tä-tigkeit des Bundes beruhte im wesentlichen auf der Initiative und dem Votum der führenden Mächte Österreich und Preußen, während die Mittelstaaten ängstlich besorgt waren, sich einer Hegemonie zu entziehen. Die Kooperation Preußens und Österreichs in bezug auf die gesamtdeutschen Angelegenheiten wurde aber in Frage gestellt, als Rivalität und Mißtrauen Raum gewannen. Österreich pochte auf den Rechtsanspruch als Präsidialmacht; Preußen auf seinen realen Machteinfluß und seine innere Stärke. Einem so machtbewußten preu-Meinung wohl wenigstens zum Teil nicht fehl, wenn sie diese passiv-neutrale Haltung des Deutschen Bundes dem Einfluß Preußens zu-schrieb, das jeden Prestigezuwachs Österreichs fürchtete und jedes Mißgeschick der Monarchie begrüßte.

Man kam in Wien auf den Gedanken, dem sterilen Deutschen Bund neues Leben einzu-

hauchen. Einer Versammlung der Bundes-fürsten sollte ein Reformentwurf vorgelegt werden, in dem unter anderem ein fünfgliedriges Direktorium unter Österreichs Vorsitz, ständige Ministerkonferenzen und eine Delegiertenversammlung vorgesehen waren und dem Bund das Recht der Entscheidung über Krieg und Frieden eingeräumt werden sollte. Mit jugendlichem Elan ergriff Kaiser Franz Joseph die Initiative. Seiner Einladung folgten alle Bundesfürsten mit Ausnahme des Königs von Preußen, der von dem seit 1. Oktober 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannten Otto von Bismarck überredet worden war, der fürstlichen Versammlung in Frankfurt fernzubleiben.

Es widerstrebte dem preußischen Selbstbewußtsein, Österreich in einer so wichtigen Angelegenheit den Vortritt zu lassen. Obwohl der Kaiser auf seiner Reise nach Frankfurt überall mit Begeisterung begrüßt und der Reform-entwurf angenommen wurde, scheiterte die Durchführung an dem Widerstand Preußens, so daß man in großdeutschen Kreisen Osterreichs (Schmerling) sogar zeitweise an die Gründung eines Sonderbundes dachte, was natürlich zu einem Bruch mit Preußen geführt hätte, den man aber nicht riskieren wollte.

Das war aber nicht der einzige Mißerfolg in den österreichischen Bestrebungen, in Deutschland wieder zu Ansehen zu gelangen und Preußen zu überrunden; denn auch die Versuche, in die Wirtschaftsorganisation des unter Preußens Führung stehenden Zollvereins einzutreten, führten zu keinem Erfolg. Mehr und mehr sah sich Österreich in den Hintergrund gedrängt, während sich Preußen, unterstützt von der Propaganda des deutschen Nationalvereines, immer größeren Einfluß zu sichern verstand.

Die schon längst vorhandenen Spannungen zwischen den beiden führenden Großmächten im Deutschen Bund entwickelten sich schließlich durch die Schleswig-Holstein-Frage zu einer schicksalsschweren Krise. ßischen Patrioten wie Otto von Bismarck, der zeitweise seinen König im Bundestag vertrat, erschien es als eine Herausforderung, daß ein innerlich schwächerer Staat mehr Gewicht haben sollte als Preußen, das schon einmal zur Führung eines kleindeutschen nationalen Einheitsstaates berufen worden war.

Aus diesen Verhältnissen ergab sich für Österreich eine äußerst schwierige Lage. Man erinnerte sich, daß es zu den Grundprinzipien Metternichs gehörte, die Allianz und das Einverständnis der drei konservativen Mächte Österreich, Preußen und Rußland auf jeden Fall aufrechtzuerhalten, und daß ihm besonders die preußisch-österreichische Zusammenarbeit am Herzen lag. An diesem Grundsatz wollte man auch nach dem Ausscheiden Metternichs festhalten, weil es für die Aufrechterhaltung der konservativen Ordnung und damit der Existenz Österreichs notwendig erschien. Kaiser Franz Joseph und seine Außenminister Buol-Schauenstein, Rechberg und Mensdorff hielten an diesem Konzept fest; aber es gab auch hohe Beamte des Ministeriums, die Preußens Streben nach einer gleichberechtigten Führerstellung im Deutschen Bund durchaus ablehnend gegenüberstanden und nicht gewillt waren, Österreichs primatialen Vorrang schmälern zu lassen.

Nun hatte es sich aber gezeigt, daß die maßgebenden deutschen Mittelstaaten, das dritte Deutschland, Bayern vor allem, Sachsen, Württemberg, Baden und Hessen, also hauptsächlich süd-und mitteldeutsche Staaten, sich weder den österreichischen noch den preußischen Interessen zur Verfügung stellen wollten, sondern mehr einer neutralen Rolle zuneigten, die aber in ihrer Auswirkung eher den Ansprüchen Preußens zugute kam. Die österreichischen Staatsmänner standen vor dem Dilemma, sich entweder an die Mittel-staaten zu halten und sich deren Unterstützung zu versichern oder an die Allianz mit Preußen, was nicht ohne Konzessionen machtpolitischer Natur möglich schien. Man konnte sich in Wien zu keiner gradlinigen Politik entschließen, vermochte Preußen nicht zu befriedigen, büßte aber auch allmählich das Vertrauen der Mittelstaaten ein. Die österreichische Regierung wurde schwer enttäuscht, als sie sich bei der Verteidigung ihrer Interessen im Krimkrieg und besonders im Krieg mit Piemont-Sardinien verlassen sah, und ging in ihrer

Schleswig-Holstein

Das Herzogtum Holstein gehörte dem Deutschen Bund an, stand aber mit dem ihm auf ewig verbundenen Schleswig unter der Herrschaft des dänischen Königs. In Schleswig galt die weibliche Erbfolge, in Holstein die männliche. Nationale und staatsrechtliche Gegensätze standen einer einheitlichen Regierung im Wege. Die Einheit der beiden Länder schien zerrissen, als König Christian VIII. und sein Nachfolger Friedrich VII. Schleswig dem dänischen Staat einverleibten. Da die beiden Länder eine wichtige geopolitische Schlüsselstellung im Raum der Ost-und Nordsee einnehmen, war die Frage ihrer staatsrechtlichen Stellung von internationaler Bedeutung, besonders auch für die Handels-und Seemacht-interessen Rußlands und Großbritanniens. Die Lösung brachten die Londoner Protokolle der Jahre 1850 und 1852 in dem Sinne, daß die Integrität des dänischen Gesamtstaates garantiert und nach dem Verzicht des erbberechtigten Prinzen von Augustenburg eine einheitliche Nachfolge des Thronfolgers Christian IX. anerkannt wurde.

Das hatte Versuche zur Danisierung der Bevölkerung in Schleswig-Holstein und dem ebenfalls dänischen kleinen Herzogtum Lauen-burg zur Folge und schwere innere Streitigkeiten, die noch verschärft wurden, als am 30. März 1863 eine Gesamtverfassung veröffentlicht wurde, die einen zentralistischen Reichsrat in Kopenhagen vorsah. Die deutsche Bevölkerung geriet in leidenschaftliche Aufregung und trat für die Schaffung eines neuen deutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein ein. Der Frankfurter Bundestag konnte diese eigenmächtige Verletzung der Bundesverfassung nicht ohne Protest hinnehmen, und als Christan IX.den Thron bestieg, erhob der Sohn jenes Augustenburgers, der auf die Nachfolge in Holstein verzichtet hatte, Anspruch auf die Herrscherrechte in den Elbherzogtümern, da er die Handlungsweise seines Vaters nicht anerkannt hatte. In Wien lehnte man diesen Anspruch aus rechtlichen Gründen ab, da man ja das Londoner Protokoll angenommen hatte; in Berlin stellte sich Bismarck gegen den Augustenburger, weil er bereits damals die Erwerbung der Herzogtümer für Preußen ins Auge gefaßt hatte, die für die machtpolitische und wirtschaftliche Bedeutung Preußens von offensichtlich großer Bedeutung war. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die sich leidenschaftlich ge-gen die Zentralisierungs-und damit verbundenen Entnationalisierungsabsichten Dänemarks wandte, beschloß der Bundestag die militärische Exekution gegen Dänemark.

Nun berührten ja die Dinge, die sich nördlich der Eibmündung abspielten, das weitab-liegende Österreich herzlich wenig, und entsprechend gering war die Anteilnahme der Bevölkerung. Es handelte sich aber um eine Bundessache, von der sich die Päsidialmacht nicht zurückziehen konnte, ohne sich zu kompromittieren und Preußen in die Hände zu arbeiten. Wien und Berlin einigen sich also zum gemeinsamen militärischen Vorgehen. Die deutschen Mittelstaaten wollten sich aber nicht übergehen lassen und entsandten unter dem Kommando des sächsischen Generals von Hake eine Exekutionsarmee, die sich Holsteins bemächtigte und dem Prinzen von Augustenburg, der im Lande begeistert empfangen wurde, gestattete, die Regierung in die Hand zu nehmen. Dieses selbständige Vorgehen der Mittel-staaten veranlaßte die österreichische Regierung, sich rasch mit Preußen zu verständigen und eine eigene militärische Aktion gegen Dänemark in die Wege zu leiten.

Nach Ablehnung eines von den beiden Großmächten an Dänemark gerichteten Ultimatums, in dem die Aufhebung der Verfassung gefordert wurde, begann am 19. Januar 1864 der Krieg. Eine „alliierte Armee" unter dem preußischen Generalfeldmarschall Freiherr von Wrangel, bestehend aus einem preußischen und einem österreichischen Korps unter General Freiherr von Gablenz, drang in Schleswig ein, überschritt am 1. Februar die Eidergrenze und eroberte in kurzer Zeit die dänischen Verteidigungslinien, das Danewerk, die Düppeler Schanzen und die Festung Fridericia, wobei die österreichischen Truppen einen ausgezeichneten Eindruck von Tapferkeit und Schlagkraft hinterließen. Im Vertrauen auf englische Hilfe, zu der Großbritannien ja nach dem Londoner Protokoll verpflichtet gewesen wäre, die aber nun ausblieb, hatte Dänemark alle Vermittlungsvorschläge abgelehnt und kämpfte bis zur völligen Niederlage, die es zwang, im Frieden von Wien am 30. Oktober 1864 die nordelbischen Herzogtümer an Preußen und Österreich abzutreten. Was aber sollte nun mit diesen Ländern geschehen?

Für Bismarck war das eigentlich kein Problem; denn für ihn kam als letztes Ziel nur die Ein-Verleihung in den preußischen Staat in Betracht. Problematisch war nur die Frage, wie das geschehen sollte — mit oder gegen Österreich. Die Entscheidung fiel ihm nicht allzu schwer. Zunächst sollte mit Österreich ein Einvernehmen erzielt werden; falls man aber den preußischen Ansprüchen nicht entgegenkam, schien eine gewaltsame Auseinandersetzung unvermeidlich zu sein. Die Ausgangsbasis der Verhandlungen war für Preußen unvergleichlich günstiger als für Österreich; denn Preußen lockte ein unmittelbarer handgreiflicher Gewinn in der nächsten Nachbarschaft. Österreich hatte keine territorialen Ambitionen, aber es hatte die Bundesrechte zu verteidigen. Wenn sich Österreich dem Bunde versagte, konnte es damit rechnen, seiner führenden Stellung schwersten Abbruch zu tun.

Bismarck hatte ein positives Ziel, Österreich nur ein negatives; Bismarcks Vorgehen hatte offensiven Charakter, Österreich blieb defensiv. Bismarck vertrat den Machtstaatsgedanken, Österreich die Idee des Rechtsstaates aber Macht und Recht sind oft genug wie zwei feindliche Brüder. Man hat der österreichisehen Politik dieser Zeit den Vorwurf gemacht daß sie nicht rechtzeitig durch einen Verzicht auf die Herrschaftsrechte in Holstein, die keinerlei realen Machtzuwachs, sondern nur eine Verlegenheit bedeuteten, Preußen befriedigte und dafür die Nachgiebigkeit des norddeutschen Rivalen im Deutschen Bund und seine Unterstützung bei der Erhaltung der italienischen Stellung, die für Österreich ungleich wichtiger war, einhandelte. Uber die Frage der politischen Zweckmäßigkeit läßt sich natürlich streiten. Viel wichtiger war für Österreich die Frage, ob das Schicksal der nordelbischen Herzogtümer im Einvernehmen mit dem Bund, das heißt den Mittelstaaten, oder durch Sonderverhandlungen mit Preußen entschieden werden sollte. Da es Gründe für die eine und für die andere Alternative gab, war die Wahl schwer; aber nichts schädigt das Vertrauen mehr als unklare Zielsetzungen.

Der Streit über die Zukunft Schleswig-Holsteins

Graf Rechberg entschloß sich, mit Preußen zu verhandeln. Es hätte den Wünschen Österreichs am besten entsprochen, wenn die okkupierten Herzogtümer dem Erbprinzen von Augustenburg überantwortet worden wären, wie es auch wohl ein großer Teil der Bevölkerung erwartete. Bismarck, der ja ganz andere Ziele verfolgte, konnte natürlich eine solche Lösung nicht annehmen. In mehrtägigen Konferenzen auf höchster Ebene in Schönbrunn, an denen Kaiser Franz Joseph, König Wilhelm, Bismarck und Rechberg teilnahmen, kam es zu keiner definitiven Entscheidung. Man einigte sich schließlich auf ein Kondominium, einen Schwebezustand, der zu ständigen Reibereien führen mußte. Graf Rechbergs Kompromißpolitik fand aber im großdeutschen Lager heftigen Widerstand, der ihn schließlich zur Demission zwang. An seine Stelle trat Graf Alexander Mensdorff-Pouilly, der unter dem Einfluß so ausgesprochener Gegner der österreichisch-preußischen Allianz wie des Barons Biegeleben und des beim Kaiser sehr beliebten Grafen Moritz Esterhazy stand, die nicht willens waren, Bismarcks preußischer Machtpolitik zu folgen.

Die Außenpolitik der Monarchie wurde zudem durch innere Schwierigkeiten gehemmt, die zum Sturz des Ministeriums des Erzherzogs Rainer-Schmerling führten und zur Ernennung einer neuen Regierung unter Leitung des böhmischen Feudalen Grafen Richard Belcredi, in der Mensdorff das Außenministerium behielt. Bismarck versäumte keine Gelegenheit, in Schleswig-Holstein für Preußen Stimmung zu machen, dem Kondominium den Stempel einer preußischen Vorherrschaft aufzudrücken und mit Ansprüchen militärischer und wirtschaftlicher Natur aufzutreten. Wollte man den Frieden erhalten, mußte eine klare Abgrenzung der Rechte angestrebt werden. Zu diesem Zwecke wurden in Gastein, wohin sich König Wilhelm ünd Bismarck im Sommer 1865 begeben hatten, Verhandlungen eingeleitet, bei denen der für eine friedliche Lösung des Konfliktes eintretende, sehr fähige österreichische Diplomat Graf Gustav Blome eine führende Rolle spielte. Die am 14. August 1865 unterzeichnete und am 29. August von Wilhelm und Franz Joseph anläßlich einer Zusammenkunft in Salzburg ratifizierte „Gasteiner Konvention" führte eine Verwaltungsteilung ein, der gemäß Österreich in Holstein, Preußen in Schleswig die Verwaltung übernehmen sollte, wobei aber die im Wiener Frieden stipulierten gemeinsamen Rechte nicht aufgegeben werden sollten.

Für Bismarck, der in eiserner Konsequenz dem Endziel der Annektion zustrebte, konnte die Gasteiner Konvention nur die Bedeutung eines weiteren Schrittes zur Verwirklichung seiner Pläne haben. Während er sich in Schleswigs Verwaltung nichts dreinreden ließ, bemühte er sich, den Österreichern in Holstein auf alle mögliche Weise das Wasser abzugraben, Verwirrung zu stiften und die österreichischen Verwaltungsorgane vor peinliche Situationen zu stellen. Jede ihrer selbständigen Regungen wurde genau überwacht, preußische Beteiligung an militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen gefordert, Proteste am laufenden Band eingebracht. Kurz, es wurde alles darauf angelegt, das Land nicht zur Ruhe kommen zu lassen und damit die politische Propaganda für den Anschluß der Provinzen an Preußen zu rechtfertigen. Die Erbitterung in Wien war nicht unbegründet.

Die Absicht Bismarcks, die Verwaltungsautorität Österreichs in Holstein zu untergraben, war zu offensichtlich und sein Bemühen, die Verantwortung für alle Mißstimmung und Mißhelligkeiten auf Österreich zu schieben, viel zu durchsichtig, um nicht Verdacht und Mißtrauen in Wien zu erwecken. Die Stimmen derjenigen hohen Beamten des deutschen Büros am Ballhausplatz, dem Sitz des Außenministeriums, die schon immer vor Preußen gewarnt und die Richtigkeit einer Politik des Zusammengehens mit Preußen bezweifelt hatten, gewannen an Einfluß, als sich herausstellte, daß die listenreiche, aber auch gewandte Politik Bismarcks die Nachgiebigkeit und Unentschlossenheit der österreichischen Regierung stets zum Vorteil Preußens ausnützte. Alles drängte zu einer Entscheidung, da die friedlichen Mittel erschöpft zu sein schienen. Sowohl Bismarck als auch die Wiener Regierung begannen ernstlich mit einer kriegerischen Auseinandersetzung zu rechnen und sich darauf vorzubereiten. Man begann sich nach Bundesgenossen umzusehen.

Preußen und Österreich auf der Suche nach Bundesgenossen

Für Bismarck bot sich das junge italienische Königreich gleichsam von selbst an. über allen inneren Schwierigkeiten, die in den demokratisch-republikanischen Strömungen und in der Frage des Kirchenstaates gründeten, band die italienischen Parteien die leidenschaftliche Sehnsucht nach Vollendung der nationalen Einheit durch die Erwerbung Venetiens zusammen. Für die Stabilisierung der monarchischen Idee war die glückliche Erfüllung der nationalen Ideale geradezu eine lebenswichtige Frage. Schon vor dem Abschluß der Gasteiner Konvention hatte Bismarck die Fühlung mit dem Turiner Hof ausgenommen, um sich über die Haltung Italiens im Falle eines preußisch-österreichischen Krieges zu informieren. Der italienische Ministerpräsident La Marmora war vorsichtig und hielt es durchaus für möglich, daß sich Bismarck Italiens nur als eines Druckmittels bedienen könnte, um Österreich seinen Wünschen gefügig zu machen, im entscheidenden Moment aber nicht eingreifen würde. Der Abschluß der Gasteiner Konvention schien dieses Mißtrauen zu rechtfertigen.

La Marmora gedachte daher die ersehnte Provinz Venetien ohne Krieg zu gewinnen und die zweifelhafte Lage Österreichs auszunützen. Er ließ Österreich eine sehr beträchtliche Geldsumme und gewisse Garantien anbieten, um dafür in den Besitz Venetiens zu gelangen, aber Kaiser Franz Joseph und seine Ratgeber betrachteten ein solches Geschäft als einen unwürdigen und unehrenhaften Handel. Nach dem Verlust der Lombardei und der Sekundogenituren in Toskana, Parma und Modena schien ein freiwilliger Verzicht auf Venetien undenkbar, zumal damit eine Anerkennung des italienischen Königstums verbunden gewesen wäre, die man schon um des Papstes und der katholischen Interessen willen nicht aussprechen wollte. Bismarck kannte solche Hemmungen nicht, und da Kaiser Napoleon III. in einem deutschen Krieg nur eine günstige Gelegenheit sah, seine imperialistische Rhein-politik zu fördern, veranlaßte er den Turiner Hof, sein Mißtrauen aufzugeben und in Bündnisverhandlungen mit Bismarck einzutreten.

Je stärker Bismarck auf die Rechte Preußens in Schleswig-Holstein pochte, je offensicht-licher er sich bemühte, die Besitznahme Hol-steins vorzubereiten, desto empfindlicher reagierte er auf jede Maßnahme Österreichs, die Selbständigkeit des Landes zu sichern, und auf jede Demonstration der zahlreichen Anhänger des Augustenburgers, die den Willen zur Selbstregierung bekundeten. Da die österreichische Verwaltungsbehörde unter dem Freiherrn von Gablenz derartige Aktionen duldete und ihnen Sympathien entgegen-brachte, beschuldigte er Österreich einer herausfordernden und ehrenrührigen Handlungsweise und benützte sie als wirksames und eindrucksvolles Argument, um den König, der sich bisher gegen den Krieg gesträubt hatte, umzustimmen. In dem entscheidenden Berliner Kronrat vom 28. Februar 1866 wurde der Entschluß gefaßt, sich auf den unvermeidlichen Krieg vorzubereiten, also sich gegen Napoleon III. zu sichern und Italien zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die österreichische Monarchie zu gewinnen. Beides gelang. Am 8. April wurde ein drei Monate gültiger Eventualvertrag mit Italien unterzeichnet, indem sich dieses verpflichtete, an der Seite Preußens in den Krieg gegen Österreich einzugreifen, falls er innerhalb dieser Frist ausbrechen sollte.

Napoleon, der sowohl mit Preußen wie mit Österreich verhandelte, um aus dem Zwist möglichst viel Nutzen zu ziehen, trat schließlich mit der Idee einer europäischen Friedenskonferenz hervor, der Bismarck nicht auswich, für die aber Österreich zur Bedingung machte, daß die Verhandlungen keinerlei territoriale Veränderungen betreffen dürften. Das war zweifellos keine kluge Politik; denn zumindest hätte Österreich Zeit gewonnen und das Kriegskonzept Bismarcks gestört. So aber zog es sich den Verdacht zu, den Krieg vorzuziehen. Der Kaiser der Franzosen blieb neutral und gedachte erst nach der Entscheidung als Friedensvermittler hervorzutreten.

In Österreich konnte man kaum mehr zweifeln, daß die Spannung sich zu einer echten Krise entwickelt hatte. Die Regierung traf gewisse, sehr maßvolle militärische Vorbereitungen. Es wurden einige Truppenteile nach Böhmen und Mähren verlegt und die Rüstung betrieben. Daß diese Vorkehrungen begründet und notwendig waren angesichts der bedrohlichen Lage, kann kaum bezweifelt werden, handelte es sich ja keineswegs um eine Mobilmachung. War sie aber taktisch richtig? Heinrich von Srbik nennt sie im 4. Band seines Buches „Deutsche Einheit" „einen schweren politisch-taktischen Mißgriff", weil sie Bismarck — der, wenn es darauf ankam, ein Meister in der Entstellung der Wahrheit war — in unbekümmerter Übertreibung der Tatsachen vor aller Welt als Mobilisierung und Herausforderung hinstellte und Österreich des Angriffswillens beschuldigte, obwohl er sogar offiziell von Wien über das geringe Ausmaß dieser Vorbereitungen informiert worden war.

Eine so starke und entschlossene, zielbewußte Persönlichkeit wie Bismarck hatte Österreich nicht zur Verfügung. Einheitliches und rasches Handeln, wie es solche kritische Situationen verlangten, waren am kaiserlichen Hof nur selten zu finden. Alles geschah zögernd und mehr unter dem Druck der Ereignisse als aus eigener Initiative. Es kam nun darauf an, die Bundesstaaten zu gewinnen. Um Preußen nicht allein vorgehen und die Beute allein für sich in Anspruch nehmen zu lassen, hatte man sich in die Allianz eingelassen und sich die Mißgunst der Bundesstaaten zugezogen. Es war schwer, das verlorene Vertrauen wieder zu gewinnen. Eigentlich konnte man sich nur auf Sachsen verlassen, dessen Minister Graf Beust als unentwegter Gegner preußischer Vorherrschaft für alle Maßnahmen zu haben war, die eine solche Hegemonie verhindern konnten.

Mobilisierung des Deutschen Bundes

Österreich konnte sich aber auf die bundes-feindliche Haltung Bismarcks und auf dessen Vertragsbruch berufen. Es konnte die Bundes-exekution gegen ein Mitglied des Bundes verlangen, das die Bundesakte durch sein bedrohliches Vorgehen so rücksichtslos verletzte. Am 1. Juni stellte die Präsidialmacht den Antrag, die Schleswig-Holstein-Frage vor den Bundestag zu bringen und ihm die Entscheidung zu überlassen. Zugleich wurden die Stände Hol-steins einberufen, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihren Willen kund zu tun, der — wie man überzeugt war — zur Einsetzung des Augustenburgers neigte. Daraufhin rückten preußische Truppen in Holstein ein. Bismarck rechnete dabei mit unausbleiblichen Zusammenstößen mit der österreichischen Besatzungstruppe; aber die Österreicher zogen sich befehlsgemäß zurück.

Inzwischen liefen die Verhandlungen Österreichs mit Napoleon, um diesen unverläßlichen, immer noch für die nationalen Interessen Italiens eingenommenen Herrscher, der Frankreich aus seiner isolierten Lage herausführen und außenpolitische Erfolge erzielen wollte, abzuhalten, sich in einem Krieg feindlich zu Österreich zu stellen und damit die Aussichten auf einen siegreichen Abschluß des Kämpfes zu vermindern. Nur unter dem übermächtigen Druck Napoleons ließ sich Österreich herbei, einen Vertrag abzuschließen, in dem es sich verpflichtete, Venetien auch im Falle eines Sieges über das Königreich Italien zugunsten des französischen Kaisers abzutreten, einer Revision der Ostgrenze Frankreichs und der Bildung eines neuen rheinischen Bundes-staates keine Hindernisse zu bereiten, wogegen Napoleon versprach, Preußen nicht zu unterstützen und einer territorialen Veränderung, etwa in Schlesien oder Sachsen, zugunsten der Monarchie keinen Widerstand entgegenzusetzen. Das hätte bedeutet, daß die Erfolge Preußens im Siebenjährigen Krieg rückgängig gemacht und seine Macht empfindlich beschnitten worden wäre.

Zwei Tage vor Ausbruch des Krieges, am 12. Juli, wurde dieser Vertrag unterzeichnet, der nur in äußerster Bedrängnis zustande kam. Österreich war also zu dem Verzicht auf Venetien entschlossen. Warum aber kämpfte es dann darum und teilte eine Armee, die konzentriert an der Hauptfront eingesetzt einen Erfolg, wenn nicht sicher, so doch wahrscheinlich gemacht hätte? Weil die Zeit drängte und weil eine Neuordnung der Verhältnisse nach einem siegreichen Krieg in Deutschland bei aktiver Einmischung Napoleons nicht durchgeführt werden konnte. Trotzdem hinterläßt dieser ominöse Vertrag den Eindruck eines schlecht improvisierten, übereilten Ausflucht-mittels in einer Lage, der die österreichische Diplomatie nicht mehr gewachsen war.

Am 11. Juni brachte die Präsidialmacht in Frankfurt den Antrag ein, die Bundestruppen zu mobilisieren. Mit neun gegen sechs Stimmen der von Preußen eingeschüchterten nord-und mitteldeutschen Staaten wurde der Antrag angenommen und damit der Krieg beschlossen, den also Österreich auch im Namen des Bundes führte. Die militärische Organisation des Bundes, der man in 50 Friedens]ahren keine Aufmerksamkeit gewidmet hatte, war allerdings gering, und nur Sachsen war wirklich bereit zu kämpfen. Dennoch war es doch für Österreich wichtig, wenigstens die moralische Autorität des deutschen Bundes hinter sich zu haben. Die Bevölkerung nahm die Entscheidung hin. Begeisterung war eigentlich im Volke nirgends zu bemerken, weder in Österreich noch in Preußen noch im übrigen Deutschland. Die Wege der hohen Politik waren am wenigsten verständlich, wenn sie zu solchen Krisen führte und solche Opfer verlangten. Immerhin war man doch im In-und Ausland der Überzeugung, daß die Macht-und Annexionspolitik Preußens und vor allem der zielbewußte Wille Bismarcks diese Katastrophe der mitteleuropäischen Staatenordnung und Staatengemeinschaft herbeigeführt hatte. Was aber daraus in der Folgezeit erwuchs, war in den Sternen geschrieben.

Man hat die Politik der österreichischen Monarchie in diesen schicksalschweren Jahren oft kritisiert, ihre Winkelzüge als Folge der Unentschlossenheit angegriffen. Man wird dieser Kritik in manchen Details recht geben müssen, wenn sie auch zuweilen weit übers Ziel schießt und die Lage der Monarchie und ihre Lebensinteressen zu wenig berücksichtigt. Ohne Zweifel schätzten die österreichischen verantwortlichen Staatsmänner und Berater des Kaisers und dieser selbst die Bedeutung der innerpolitischen Basis einer erfolgreichen Außenpolitik zu gering ein. War Österreich zu einer solchen Kraftanstrengung, wie es ein Zweifrontenkrieg bedeutet, überhaupt imstande? Hätten nicht die Ereignisse im Krimkrieg und im Jahre 1859 eine Warnung sein müssen, eine zweifellos vorhandene bedeutende militärische Schlagkraft zu überschätzen? Die diplomatischen Mittel, die Österreich anwandte, waren zu kleinlich, entbehrten des großen Zuges. So ehrlich und redlich es Staatsmännerwie Rechbergund Mensdorffmeinten, dasFormatumsichtiger, weitschauender und entschlossener Führer hatten sie nicht. Dazu fehlte eben auch der innenpolitische Hintergrund; denn der Vielvölkerstaat gewährte, wie auch die Zukunft lehrte, persönlicher Kraft und persönlichem Wollen wenig Raum, hing doch alles von viel zu viel unwägbaren Einflüssen ab. Die Versuche Bismarcks, die nationalen Gegensätze in der Monarchie auszunützen, die Schwierigkeiten der Verfassungsproblematik in seine Rechnung zu stellen, trafen in der Tat die schwachen Punkte des inneren Zusammenhalts des Kaiserstaates.

Die Folgen

Österreich führte einen Kampf um sein Lebensrecht, und erst der Untergang der Monarchie und die Auflösung Europas läßt so recht erkennen, wie berechtigt die Verteidigung ihrer mitteleuropäischen Machtstellung für Europa, Deutschland und für die eigene staatliche Existenz gewesen ist.

Nach der Niederlage von Königgrätz und dem Prager Frieden mußte sich die Monarchie auf einer neuen Lebensbasis rekonstruieren. Der Sieg der nationalen Ideen, der sich in dem Ausscheiden der Monarchie aus Deutschland und Italien manifestierte, warf Probleme auf, mit denen sie niemals ganz fertig geworden ist. Der Umbau des Kaisertums Österreich in eine dualistische, zweigeteilte Monarchie, die völlige Veränderung ihres politischen und wirtschaftlichen Wirkungskreises brachte einzigartige Aufgaben mit sich, die erst allmählich in ihrer ganzen objektiven Schwierigkeit ins Bewußtsein traten. Mit aller Schärfe und ihren beispiellosen Anforderungen an die vielseitige Beanspruchung eines komplizierten Behördenapparates stellte sich das Problem der multinationalen Staatsorganisation dar, in der Vielheit die Einheit zu bewahren und dem vielen Mißgeschick und den großen Verlusten zum Trotz eine mitteleuropäische Großmacht zu bleiben.

Fussnoten

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Hugo Hantsch, P., OSB, Dr. phil., o. Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien, Mitglied und Direktor des Instituts für Geschichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen u. a.: Die Entwicklung Österreich-Ungarns zur Großmacht, 1933; Die Geschichte Österreichs, Bd. I, Graz 1937 (19584), Bd. II, Graz 1948 (19532); Die Nationalitätenfrage im alten Österreich, Graz 1953; Graf Leopold Berchtold, 2 Bde., Graz 1963.