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Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse | APuZ 21/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 21/1966 Artikel 1 Eigentum als soziale Ordnungsinstitution Mitbestimmung und evangelische Sozialethik Christliche Ethik und sozialrechtliche Forderungen Mitbestimmung-eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung

Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse

Hans-Jürgen Junghans

Selbstverantwortung auch in der Wirtschaft

Innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat die Diskussion um die Mitbestimmung in der Wirtschaft seit dem Jahre 1919 einen breiten Raum eingenommen. Sie wurde als Mittel betrachtet, um die bestehende Gesellschaftsordnung grundlegend umgestalten zu können. Eines der bekanntesten Bücher aus dieser Zeit ist das Buch von Naphtali über die Wirtschaftsdemokratie und die Demokratisierung der Wirtschaft.

Viele dieser Vorstellungen sind im Lichte der Erfahrungen aus der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern als überholt zu bezeichnen.

Im Godesberger Programm der SPD von 1959 wird zu dieser Frage indirekt an verschiedenen Stellen Stellung genommen. Zunächst sind die Aussagen über die „Grundwerte des Sozialismus", die auf dieses Problem Bezug nehmen, zu beachten:

„Die Sozialisten erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in

Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann.

Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander. Denn die Würde des Menschen liegt im Anspruch auf Selbstverantwortung ebenso wie in der Anerkennung des Rechtes seiner Mitmenschen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und an der Gestaltung der Gesellschaft gleichberechtigt mitzuwirken."

Damit wird postuliert, daß die Gesellschaftspolitik nicht nur den Menschen aus seiner bloßen Objektsituation gegenüber dem Staat befreien soll, sondern daß auch in der Wirtschaft eine Gemeinschaft erreicht werden soll, die man anerkennt, weil man an der Gestaltung der inneren Ordnung dieser Gemeinschaft mitbestimmt. Es geht hierbei nicht um die Frage, als Mensch gut behandelt zu werden, sondern es geht darum, die Möglichkeit zu eröffnen, den Willen, dem der Mensch zu gehorchen hat, selbst mitzubestimmen.

Gefahr des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht

Im Godesberger Programm heißt es aber auch: „Freiheit und Gerechtigkeit lassen sich durch Institutionen allein nicht sichern. Alle Lebensbereiche werden zunehmend technisiert und organisiert. Dadurch entstehen immer neue Abhängigkeiten, die die Freiheit bedrohen. Nur ein vielgestaltiges wirlschaltliches, soziales und kulturelles Leben regt die schöpferischen Kräfte des einzelnen an, ohne die alles geistige Leben erstarrt.

Freiheit und Demokratie in der industriellen Gesellschaft sind nur denkbar, wenn eine ständig wachsende Zahl von Menschen ein gesellschaftliches Bewußtsein entwickelt und zur Mitveranl wortung bereit ist."

Bezogen auf die Wirtschaft bedeuten diese Sätze, daß gleichzeitig mit dem Schutz vor Willkür und der Erhaltung der Würde des Menschen auch im Arbeitsleben die Chancen-gleichheit bei Ausbildung und Bildung gemeint ist.

In dem Abschnitt „Wirtschaftsund Sozialordnung" ist noch der folgende Absatz in diesem Zusammenhang zu betrachten:

„Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatz-wahl sind entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik."

Das Godesberger Programm wendet sich entschieden gegen die Möglichkeit des Mißbrauches wirtschaftlicher Macht infolge des sich ständig verstärkenden Konzentrationsprozesses in der modernen Wirtschaft. Es heißt dort:

„Wer in den Großorganisationen der Wirtschaft die Verfügung über Millionenwerte und über Zehntausende von Arbeitnehmern hat, der wirtschaftet nicht nur, er übt Herrschaitsmacht über Menschen aus; die Abhängigkeit der Arbeiter und Angestellten geht weit über das Ökonomisch-Materielle hinaus. Wo das Großunternehmen vorherrscht, gibt es keinen freien Wettbewerb. Wer nicht über gleiche Macht verfügt, hat nicht die gleiche Entfaltungsmöglichkeit, er ist mehr oder minder unfrei. Die schwächste Stellung in der Wirtschaft hat der Mensch als Verbraucher.

Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft einen Einfluß auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Sie usurpieren Staatsgewalt. Wirtschaftliche Macht wird zu politischer Macht."

In weiteren Abschnitten wird die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht in mehreren Stufen dargelegt. Es ist nicht Sinn dieses Artikels, darauf weiter einzugehen.

Verantwortungsbewußtes Zusammenwirken der Beteiligten

Wichtig erscheint mir aber noch, auf die Aussage des Godesberger Programms im Abschnitt: „Die Gewerkschalten in der Wirtschaft“ hinzuweisen:

„Jeden Arbeitnehmer zu ständiger Mitarbeit fähig zu machen und dafür zu sorgen, daß er diese Fähigkeiten nutzen kann, ist eine große Aufgabe der Gewerkschaften."

Speziell auf die Frage der Mitbestimmung, wie sie in dem Gesetz von 1951 in der Eisen-und Stahlindustrie und im Kohlenbergbau gesetzlich verankert ist und später im Mitbestimmungsergänzungsgesetz von 1956 für die Konzerne in abgewandelter Form gilt, gibt das Godesberger Programm folgende Antwort:

„Die Mitbestimmung in der Eisen-und Stahl-industrie und im Kohlenbergbau ist ein Anfang zu einer Neuordnung der Wirtschaft. Sie ist zu einer demokratischen Unternehmensverfassung für die Großwirtschaft weiter zu entwickeln. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft muß sichergestellt werden."

Den Gedanken der Verhinderung des Machtmißbrauchs durch Mitbestimmung will die SPD in ihrem Grundsatzprogramm nicht, durch zentrale Bürokratie verwirklichen, sondern durch verantwortungsbewußtes Zusammenwirken aller Beteiligten. Immer wenn es darum geht, zu verhindern, daß von einer Hand Macht ausgeübt wird, hat sich die Selbstverwaltung als ein geeignetes Mittel erwiesen. Wenn der Mensch nur die Herrschaftsverhältnisse im Staat demokratisch mitbestimmen kann, so kann es auf die Dauer nicht gut gehen, wenn er im Arbeitsleben weiter die Rolle des Untertanen spielt.

Richtig ist es aber auch, daß der Mitbestimmung im kaufmännischen und technischen Bereich gewisse Grenzen gesetzt sind. Diese Grenzen werden vor allen Dingen durch die Orientierung der Wirtschaft an ein gesundes Wachstum bedingt sein. Professor Dr. Karl Schiller hat das so ausgedrückt:

1. Die Vorschläge für eine Ausweitung der Mitbestimmung müssen unserer freiheitlichen Ordnung entsprechen.

2. Der unternehmerische Investitionswille muß in seiner eigenen Dynamik gefördert werden. Die Vorschläge zur Ausweitung der Mitbestimmung sollten der Bekämpfung des Machtmißbrauchs in der Wirtschaft dienen. Dafür sollten die Formen des Zusammenwirkens von Arbeit und Kapital weiter entwickelt werden.

3. Die Vorschläge müssen zugleich geeignet sein, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie zu stärken; gerade in einem großen europäischen Binnenmarkt werden mehr denn je leistungsfähige Unternehmenseinheiten notwendig sein.

Montanmitbestimmung hat sich bewährt

In Konsequenz dieser Darlegungen sagt die auf dem Parteitag der SPD vom 23. bis 27. November 1964 in Karlsruhe angenommene Entschließung 163 zur Mitbestimmung folgendes aus: „Die laufende Verbesserung unserer Wettbewerbsordnung und die beharrliche Bekämpfung des Machtmißbrauchs in der Wirtschaft sind nur möglich im Rahmen einer klaren ordnungspolitischen Konzeption. Im Rahmen dieser Konzeption, wie sie von der SPD mehrfach dargelegt ist, spielen die Schärfung des öffentlichen Bewußtseins gegenüber Macht und Machtgruppen und die Förderung der öffentlichen Kritik eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß wir seit langem ein modernes Gesellschaftsrecht (z. B. Aktiengesetz) fordern, das durch eine erhöhte Publizitätspflicht der großen Unternehmungen u. ä. eine bessere Offenlegung von Ertragslage und Vermögenszuwachs gewährleistet. Auch die wirtschaitliche Mitbestimmung ist ein Mittel der Kontrolle wirtschaftlicher Macht.

Eine umfassende gesetzliche Neuregelung des wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechts im Rahmen einer grundlegenden Reform des Unternehmensrechts ist anzustreben.

Durch diese Reform muß die qualifizierte Mitbestimmung der Arbeitnehmer über die Montanindustrie hinaus auf alle Großunternehmen ausgedehnt werden.

Aber nicht nur die großen Unternehmungen, sondern auch die wirtschaftlichen Verbände und Vereinigungen beeinflussen heute durch ihre Größe und Stärke den wirtschaftlichen Prozeß. Ihre positive Funktion als Ubermittler der Interessentenwünsche, welche Regierung und Parlament für die Politik kennen müssen, ist dabei nicht zu unterschätzen. Aber auch hier gilt die gleiche Forderung nach größerer Publizität hinsichtlich der Tätigkeit dieser Gruppen. Wir lehnen alle ständestaatlichen Vorschläge ab, die die Verbände und Vereinigungen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben versehen würden. Jedoch müssen Lösungen gefunden werden, damit in Zukunft Regierung und Parlament auf besseren Wegen über die Wünsche der Interessengruppen informiert werden können. “

Damit ist dargelegt worden, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands der Auffassung ist, daß sich die wirtschaftliche Mitbestimmung in der Eisen-und Stahlindustrie und im Kohlenbergbau in der Vergangenheit bewährt hat. Sie hat sich insbesondere bewährt auf den Gebieten der Erzielung größerer relativer Lohngerechtigkeit innerhalb der Betriebe, der Sicherung der Ausbildung und des chancengleichen Ausstiegs in diesen Betrieben, auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit, der Arbeitsmedizin und der Lösung besonders schwieriger wirtschaftlicher Fragen durch eine soziale Komponente, wie zum Beispiel bei verschiedenen Krisenlagen im Steinkohlenbergbau. Die SPD muß aber fragen — und diese Frage ist offengelassen worden —, ob die Institution der Mitbestimmung bei Eisen und Kohle ohne weiteres auf andere Bereiche schematisch zu übertragen ist, denn die Freiheit und Würde des Menschen sind eben nicht nur allein durch Institutionen zu sichern. Es gibt in den verschiedensten Bereichen unserer Demokratie und der Selbstverwaltung sehr viele Möglichkeiten von Repräsentativsystemen. Hierbei ist aber einmal anzumerken, daß auch die Unternehmer, deren unternehmerische Freiheit von uns ebenfalls gesichert sein soll, ihre Vertrauensleute in die verschiedensten Wirtschaftsgremien, wie Aufsichtsräte und Wirtschaftsverbände, entsandt haben, die in den weitaus größten Fällen nicht aus dem eigenen Betrieb kommen; ich denke hier zum Beispiel an die vielen Bankenvertreter in den Aufsichtsräten.

Es ist daher zu sichern, daß entsprechend auch die Arbeitnehmerschaft durch ihre Vertrauensleute in einem solchen Repräsentativ-system hinreichend vertreten ist.

Prüfung durch unabhängige Sachverständige

Im Gegensatz zu Bundeskanzler Erhard, der in seiner Regierungserklärung von 1965 einerseits sagte, die bestehende Mitbestimmung solle nicht ausgehöhlt werden, aber andererseits solle sie nicht ausgedehnt werden, hat der Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag, Fritz Erler, in der Debatte am 29. November ausführlich dargelegt:

„Die einzige klare Aussage (der Bundesregierung, der Vers.) überhaupt betrifft die Ablehnung einer Ausweitung der Mitbestimmung. überall sonst wird wenigstens Prüfung angekündigt. Hier nicht einmal dies. Hier wird gleich verworfen. Dabei ist der Kanzler inkonsequent. Er wehrt sich nämlich gegen die Aushöhlung der Mitbestimmung. Also kann sie so schlecht nicht sein. Von Abs über Adenauer das ganze Alphabet hindurch hört man, sie habe sich bewährt, sie habe dem Arbeitsfrieden, der Steigerung der Produktivität und damit der Wettbewerbsfähigkeit gedient und ein der modernen Industriegesellschaft angemes26 senes Partnerverhältnis von Kapital und Arbeit geschaffen. Fremdes Kapital ist aus den betroffenen Bereichen nicht wegen der Mitbestimmung abgeflossen, sondern nach wie vor in hohem Maße an der deutschen Montanindustrie beteiligt. Oder hat der Kanzler etwa andere Informationen? Deshalb solle die Regierung von den angebotenen Möglichkeiten einer unbefangenen Prüfung durch die vorgeschlagene vom Herrn Bundespräsidenten zu berufende Sachverständigenkommission Gebrauch machen, bevor sie sich festlegt. Das stünde ihr um so besser an, als das CDU-Präsidium am 18. Januar 1965 sich positiv zur Erweiterung der Mitbestimmung geäußert hat. Würde die Regierung ohne Prüfung verwerfen, dann würde es sich wieder schlicht um einen der zahlreichen Wortbrüche der Wählerschaft gegenüber handeln. Vielleicht kann der Herr Bundeskanzler seine Parteifreunde Katzer, Grundmann und Dufhues einmal nach ihren Erfahrungen als Aufsichtsräte in mitbestimmten Industrieunternehmen befragen. Nach den seinerzeit von dem Gewerkschaftsführer Böckler vertretenen Grundsätzen geht es doch wohl darum, daß die Gewerkschaften keine bloße Lohn-und Tarifmaschine seien, sondern überall dabei sein wollten und sollten, wo an unserem Wiederaufbau mitgewirkt wird. Menschenwürde ist mehr als bloßes Konsumenten-dasein. Dabei war es klar, daß diese Bestrebungen nicht als Hintertreppe zur Übernahme der Unternehmen mißbraucht werden können und dürfen."

Durch diese Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden ist deutlich geworden, daß die SPD anstrebt, daß man aus theoretischen Erörterungen herauskommen und in eine Prüfung durch ein unabhängiges Sachverständigengremium eintreten sollte. Es gibt eine Fülle von Literatur, Streitschriften und Vorschlägen zum Thema Mitbestimmung. Sie hilft so lange nicht weiter, wie die politisch Verantwortlichen nicht zu einer möglichst objektiven Prüfung bereit sind. Es geht um den Einfluß der Menschen nicht nur im Staat und im Parlament, sondern auch in der Wirtschaft und auf das Wirtschaftsleben überhaupt, ganz gleich ob am Arbeitsplatz, im Betrieb, im Wirtschaftszweig oder in der Wirtschaftsregion.

Keine kalte Sozialisierung

Dabei wird selbstverständlich auch zu unterscheiden sein zwischen Großunternehmen mit einem hohen Anteil an wirtschaftlicher Macht und kleineren und mittleren Unternehmungen, sowie der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Verbänden und Vereinigungen.

Eine entsprechende Neuordnung des Unternehmensrechts für Großunternehmer müßte also an der Spitze stehen, aber auch eine Überprüfung des Betriebsverfassungsrechts und des Personalvertretungsrechts.

Sicher ist aber, daß die Erfahrungen in der Eisen-und Stahlindustrie und im Kohlenberg-bau ohne ideologische Scheuklappen gewissenhaft geprüft und für Neuordnungen nutzbar gemacht werden sollten. Nur wer böswillig ist, kann aus diesen Erfahrungen die Tendenz zu einer sogenannten kalten Sozialisierung ableiten. Es geht darum, auch in Konkurrenz mit der kommunistischen Ideologie unsere Wirtschaftsverfassung den modernen gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen, allerdings auch unter der Voraussetzung, daß wirtschaftliches Wachstum, Produktivitätserhöhung und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft einen entsprechenden Rang bei solchen Erörterungen haben müssen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans-Jürgen Junghans, MdB (SPD), Diplomingenieur, Kreisvorsitzender der SPD in Salzgitter, Mitglied der IG Metall, 1950 bis 1953 hauptamtlicher Geschäftsführer der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste e. V. in Hannover, seit 1963 Leiter der Hauptabteilung Ausbildung und Förderung in der Hüttenwerk Salzgitter AG, geboren 27. Januar 1922 in Hannover.