Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Mitbestimmung und evangelische Sozialethik | APuZ 21/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 21/1966 Artikel 1 Eigentum als soziale Ordnungsinstitution Mitbestimmung und evangelische Sozialethik Christliche Ethik und sozialrechtliche Forderungen Mitbestimmung-eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung

Mitbestimmung und evangelische Sozialethik

Lothar Wiedemann

Im Beziehungsfeld von Anteilseignern, Leitung und Arbeitnehmern gibt es im Unternehmen sowohl gemeinsame als auch divergierende Interessen. Können diese gemeinsamen Interessen durch bestimmte Formen der Kooperation, der gemeinsamen Verantwortung und Entscheidung so stark bewußt gemacht werden, daß auch die widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung der sachlichen Erfordernisse in Formen ausgetragen werden, die verhindern, daß Streik und Aus-sperrung, Unterstellungen und gegenseitige Anklagen als ultima ratio erscheinen? Die Grundfrage lautet also: Wie können die vorhandenen Gegensätze in einer unserer pluralistischen Ordnung angemessenen Weise zur Vermittlung gebracht werden, so daß nicht mehr Machtpositionen, sondern sachliche Gesichtspunkte den Ausschlag geben?

Die bisherige Erfahrung lehrt, daß ein solches partnerschaftliches Verhältnis des fairen Ausgleichs der Interessen zum Wohle und unter Berücksichtigung des ganzen Unternehmens ohne weitere Institutionalisierung offensichtlich nicht zu erreichen ist. Die Mutmaßungen über das Verhalten der anderen Seite im Falle der Mitbestimmung, die weithin die Debatte charakterisieren, zeigen, wie tief das Mißtrauen wurzelt. Dieses ist aber offensichtlich nicht abzubauen ohne den heilsamen Zwang zu jener Kooperation, die das Verständnis für die Sachbedingtheiten, Handlungen und Motive der anderen Seite weckt.

Der evangelische Christ läßt sich bei der Beurteilung dieser Fragen von sozialethischen Erwägungen leiten. Dabei sind zunächst einige Vorgegebenheiten zu beachten:

I. Vorgegebenheiten

1. Der Mitbestimmungsgedanke ist, historisch gesehen, ein Produkt der christlichen Arbeitnehmerbewegung. Im Unterschied zu den Sozialisierungstendenzen der sozialistischen Arbeiterverbände wurde damit versucht, die Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in ein partnerschaftliches Verhältnis zu bringen. Das aber besagt, daß die Mitbestimmung schon von ihrem Ursprung her keine Vorstufe der Sozialisierung, sondern ihr bewußter Gegenpol ist. 2. Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands hat sich bereits 1950 in einer Stellungnahme für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausgesprochen. Sie geht aus vom Gedanken der Selbstverwaltung der Arbeitnehmer und betont, daß in erster Linie die Angehörigen des Betriebes selbst zur Mitverantwortung berufen seien. Eine rechtliche Ordnung der Mitbestimmung wird befürwortet.

Sinn der Mitbestimmung sei es, daß bloße Lohnarbeitsverhältnis zu überwinden.

3. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß der Rat der EKD heute hinter diese Erklärung zurückgehen würde. Eine neue Stellungnahme oder Denkschrift, die zur Zeit allerdings noch nicht abzusehen ist, müßte diese Verlautbarung berücksichtigen.

4. Dabei ist zu beachten, daß es nicht Aufgabe der Kirche sein kann, ein bestimmtes Programm oder ins einzelne gehende Vorstellungen über die Mitbestimmung zu entwickeln. Es kann sich hier nur um den Aufriß der sozialethisch relevanten Punkte handeln, selbstverständlich in Konfrontation mit den entsprechenden Sachgesichtspunkten.

Die bisherigen Stellungnahmen evangelischer Theologen und Sozialwissenschaftler bejahen überwiegend die Mitbestimmung. Diese ist jedoch hier nicht in jedem Falle im Sinne des Montanmodells zu verstehen.

II. Sozialethischer Ansatz

Die evangelische Haltung zur Mitbestimmung wird nicht so sehr von ordnungspolitischen Fragestellungen (etwa den ideologischen Voraussetzungen der Gleichberechtigung von Ka-pital und Arbeit) bestimmt, als vielmehr von der Sorge um den einzelnen Arbeitnehmer und das menschliche Verhältnis der Gruppen im Arbeitsprozeß zueinander. Von hier aus er-gibt sich der personal-und sozialethische Ansatz zur Mitbestimmung:

1. Die Bejahung der Mitbestimmung ergibt sich unmittelbar aus dem christlichen Verständnis des Menschen. Wenn ich diesen als Nächsten, Bruder oder Partner betrachte, so heißt das, daß ich grundsätzlich seine Gleichwertigkeit und Selbstverantwortlichkeit als Person anerkenne. Ich kann daher nicht ohne weiteres über ihn bestimmen, sondern er ist mitverantwortlich und daher berufen, mitzu-

bestimmen. Daraus ergibt sich, daß die Mitbestimmung nicht nur als ein sozialpolitisches Problem zu sehen ist, sondern von ihrem Ansatz her als eine theologische und sozialethische Fragestellung.

2. Diese Auffassung des Menschen erhält für unsere Gesellschaft und Arbeitswelt ihre besondere Aktualität durch die geschichtliche Situation, in der sich dieser Mensch heute befindet. Wenn dieser Mensch mündig geworden ist, so bedeutet dies, daß ich ohne seine Mitwirkung nicht mehr über Dinge entscheiden kann, die ihn bzw.seine Arbeit unmittelbar betreffen. Im staatlichen Bereich hat diese Auffassung des Menschen bekanntlich schon ihre Bestätigung gefunden.

Von diesen Voraussetzungen aus stellt sich die Frage a) nach der Situation des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb, nach den Möglichkeiten seiner stärkeren Teilhabe am Arbeitsprozeß, vor allem in seinem unmittelbaren Arbeitsbereich;

b) nach der Rolle der A. beitnehmer im Produktionsprozeß und ihrem Verhältnis zur Leitung und zu den Eigentümern des Unternehmens im Rahmen der Betriebs-und Unternehmensverfassung, also als Frage nach der Partnerschaft der verschiedenen im Unternehmen zusammenwirkenden Gruppen.

Zu a) Situation des einzelnen Arbeitnehmers Für den Arbeitnehmer, insbesondere für den, der in der Hauptsache mechanische Tätigkeiten in Produktion und Büro auszuüben hat, stellt sich nach wie vor die Frage nach dem Sinn seiner Arbeit und damit auch der Arbeitsfreude. Dieser kann hier nach Lage der Dinge nur in den übergreifenden Strukturen und Zusammenhängen seiner Arbeit liegen, insbesondere in ihrer Sozialstruktur. Der evangelische Theologe Arthur Rich fragt: „Wie soll eigentlich der Arbeiter seine Arbeit als menschliche akzeptieren, freudig akzeptieren können, wenn sie durch ihre Sozialstruktur nicht ihn selber, sondern nur seine Arbeitskraft akzeptiert? Hier gilt es einzusehen, daß die Frage eines neuen Sinngewinns ... nicht loszulösen ist von der Frage des sozialen Status des Arbeiters in seiner konkreten Arbeitswelt". Weiter heißt es: „Erst wenn der Arbeiter über Lohnprobleme, über Verteilung und Verwendung des Sozialertrages sowie über die ihn direkt berührenden Personalfragen mitzureden und mitzubestimmen vermag, was die Möglichkeit einer sachlichen Einblicknahme in die betrieblichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Unternehmens in sich schließt, wenn seine eigene Initiative, Findigkeit und Unternehmungsfreude in der Produktion bewußt gesucht, gefördert und honoriert wird, wird er in der Arbeit zu einer verantwortlichen Stimme und damit zu dem Menschen, der sich im Produktionsprozeß als ein Subjekt verstehen kann.“

Nun bleibt allerdings bei einer Mitbestimmung, die nur in den Willensbildungsorganen des Unternehmens ansetzt und sich also notwendig über Vertreter vollzieht, die Rolle des Arbeitnehmers eine mittelbare. Trotzdem ergibt sich eine andere Bewertung seiner gesellschaftlichen Position, seines sozialen Status, durch seine Anerkennung als eines gleichwertigen Gliedes im Produktionsprozeß, durch den Abbau des Mißtrauens, die Förderung des Vertrauens und größere Gerechtigkeit. Der Direktor der Duisburger Kupferhütte hat z. B. einmal gesagt: „Die Mitbestimmung ist nicht Selbstzweck, sondern sie soll dem Arbeiter die Gewißheit bringen, daß der Betrieb nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit geführt wird."

Unabhängig von einer Verwirklichung der Mitbestimmung im Unternehmensbereich bleibt daher die in den evangelischen Stellungnahmen zum Problem immer wieder erhobene Forderung nach der stärkeren Teilhabe des Arbeiters in seinem unmittelbaren Arbeitsbereich bestehen. Dies ist jedoch eine Frage der Betriebs-und nicht der Unternehmensverfassung. Zu b) Partnerschaft Die Verwirklichung der Partnerschaft als „konkreter sozialer Gestalt der Nächstenliebe“ (Wendland) ist das zweite in der evangelischen Sozialethik allgemein geforderte Ziel in bezug auf die industrielle Arbeitswelt. Sie verlangt, daß die in einem Unternehmen beteiligten Menschen und Gruppen trotz vorhandener Gegensätze unter gegenseitiger An-erkennung und in fairer Weise gleichberechtigt zusammenarbeiten. Ein solches Ziel kann nicht unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle der Macht erstrebt werden, da auf diese Weise ein positives Verhältnis nicht zu erreichen ist. Es kommt vielmehr darauf an, die im Unternehmen vorhandenen Gruppen-und Interessenrichtungen, wenn auch selbstverständlich nur über Repräsentanten, an der Willensbildung zu beteiligen.

1. Zum Verhältnis von Betriebs-und Unternehmensverfassung Die Forderung nach Erweiterung der paritätischen Mitbestimmung hat als positives Ergebnis die Aufmerksamkeit sehr stark auf das Betriebsverfassungsgesetz, seine Anwendung und den Grad seiner Ausnutzung gelenkt. Hier haben wir sachlich genau umrissene, abgestufte Mitbestimmungsrechte für den Betriebsrat (wie sie zum Teil bereits Friedrich Naumann gefordert hat). Da das Betriebsverfassungsgesetz auch von Seiten der Arbeitgeber heute bejaht wird, kann man also sagen, daß die Beteiligung der Arbeitnehmer nicht mehr grundsätzlich bestritten wird. Zu differenzieren ist jedoch bei dieser Beteiligung zwischen sozialen Mitbestimmungsrechten, die allgemein anerkannt, und wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechten, die umstritten sind. Hier ist nun zu fragen, ob die Arbeitnehmer an mehr interessiert sein können als an den sozialen Konsequenzen wirtschaftlicher Handlungsweisen des Unternehmens und ob damit das Betriebsverfassungsgesetz gegebenenfalls als ausreichende Grundlage für die Arbeitsverfassung im Betrieb angesehen werden könnte. Dem widerspricht jedoch das bereits über die Situation der Arbeitnehmer Gesagte. Zugleich ist festzustellen, daß eine strenge Trennung zwischen wirtschaftlichen und sozialen Mitbestimmungsrechten wegen der vorhandenen Wechselwirkung nicht möglich ist, wenn sich auch im Falle der paritätischen Mitbestimmung die vorhandene Arbeitsteilung relativ stark in dieser Hinsicht auswirkt.

2. Notwendige Begrenzungen Gegenüber dieser grundsätzlichen Bejahung der Mitbestimmung ergeben sich folgende notwendigen Begrenzungen:

a) Die paritätische Mitbestimmung läßt sich nur in Unternehmen durchführen, in denen eine funktionale Trennung von Anteilseignern und Leitung bereits vollzogen ist, also in Kapitalgesellschaften. Dies ergibt sich zum Beispiel aus eigentumsrechtlichen Gründen, da im Falle der privaten Haftung niemand für das haftbar gemacht werden kann, was andere mitbestimmen. Es ist außerdem zu sagen, daß, wenn die Mitbestimmung aus der Tatsache hergeleitet wird, daß auf der einen Seite Sachanlagen und auf der anderen Seite persönliche Leistungen erbracht werden, sich ein Unterschied zu jenen Unternehmen ergibt, bei denen arbeitsleitende Funktion und Kapitaleinsatz in derselben Hand liegen.

b) Die paritätische Mitbestimmung läßt sich nur in Großunternehmen durchführen. Wenn schon aus technischen Gründen die Mitbestimmung in kleineren Unternehmen nicht realisierbar ist, so werden doch hier nicht einfach quantitative zu qualitativen Unterscheidungsmerkmalen erhoben. Die Situation des Arbeitnehmers ist in Großbetrieben eine andere, da sich mit zunehmender Größe eine zunehmende Entfernung zur Leitung ergibt und die Beziehungen zwischen den Partnern sich damit qualitativ verändern.

c) Eine paritätische Mitbestimmung sollte nur auf der Ebene des Aufsichtsrates durchgeführt werden, nicht aber im Vorstand. Die sachnotwendige Einheitlichkeit der unternehmerischen Willensbildung muß gewährleistet sein. Deshalb sollte ein Sonderstatus für bestimmte Vorstandsmitglieder entfallen, unabhängig davon jedoch in Großunternehmen das Personal-und Sozialreferat im Vorstand vertreten sein.

3. Mitbestimmung und Eigentum (Kapital)

Die evangelische Sozialethik sieht den Betrieb als Personengemeinschaft, als soziales Gebilde. Dies ist im Grunde von keiner Seite mehr umstritten. Meinungsverschiedenheiten bestehen dagegen bei der Frage, welches Gewicht den einzelnen Gruppen und ihrer Leistung zuzumessen ist. Das geltende Unternehmensverfassungsrecht sieht das Unternehmen als eine primär eigentumsrechtliche Größe an. Das Eigentum ist Quelle der Verfügungsgewalt. Es ist jedoch zu fragen, ob das Eigentum in seiner Bedeutung der Arbeit so überlegen ist, daß daraus seine alleinige oder vorrangige Herrschaftsfunktion ableitbar ist.

Auch eine weitgehende Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand läßt den Status des Arbeitnehmers in seiner Arbeit unverändert. Eigentumsstreuung ist daher kein Ersatz für Mitbestimmung. Das Eigentum ist wertlos ohne die Arbeit des Nichteigentümers und umgekehrt. Es handelt sich daher um gleichermaßen notwendige Leistungen für das Zustandekommen des modernen Produktionsprozesses, der es durch Arbeitsorganisation und notwendige Konzentration der Produktionsmittel nicht mehr gestattet, daß beide Funktionen noch in einer Hand liegen. Die evangelische Denkschrift zum Eigentum ist daher nicht in dem Sinne mißzuverstehen, daß Eigentum nach evangelischem Verständnis eine unantastbare Größe darstellt. In den Verlautbarungen der Weltkirchenkonferenz von Evanston heißt es: „Vom kirchlichen Verständnis des Menschen her aber müssen wir den Befürwortern der Sozialisierung sagen, daß die Institution des Eigentums nicht die Wurzel der Verderbnis der menschlichen Natur ist. Wir müssen gleichermaßen den Verteidigern bestehender Besitzverhältnisse sagen, daß Privateigentum kein unbedingtes Recht ist. Das Eigentum muß deshalb den Erfordernissen der Gerechtigkeit gemäß erhalten, eingeschränkt oder verteilt werden."

Diese Auffassung besagt aber, daß vom Eigentum her keine Bedenken gegen die aus der Mitbestimmung fließenden Mitverfügungsrechte zu erheben sind, zumal seine Substanz dadurch nicht angetastet wird. Allerdings sollte durch die Mitbestimmung nicht mit über Fragen entschieden werden, die ausschließlich die Eigentumsverhältnisse im Unternehmen berühren, wenn diese keinen wesentlichen Einfluß auf die Arbeitsverhältnisse haben.

III. Gewerkschaften, Arbeitgeber und Mitbestimmung

Die Forderung nach Mitbestimmung wirft die Frage a) nach dem Selbstverständnis, einer neuen Standortbestimmung der Gewerkschaften und b) nach einem neuen Bild vom Unternehmer auf, wie es zum Beispiel Bischof Lilje kürzlich gefordert hat.

Zu a) Selbstverständnis der Gewerkschaften Voraussetzung für die Forderung nach Mitbestimmung ist die Bejahung unserer freiheitlichen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung durch die Gewerkschaften. In einem anderen Wirtschaftssystem ist Mitbestimmung nicht möglich, sondern systemfremd. Die Mitbestimmung wäre selbstverständlich nur ein Teilaspekt einer solchen Neuorientierung der Gewerkschaften, aber möglicherweise ein sehr wichtiger, da sich an ihr erweisen kann, ob eine solche Neuorientierung überhaupt möglich ist oder nicht. Mit der Mitbestimmung fordern die Gewerkschaften Teilhabe an unserer Gesellschaft und Wirtschaft anstelle von Klassenkampf. Das bedeutet, daß sie sich nicht nur als Preisverfechter der Arbeiterklasse, sondern als integralen Bestandteil unserer Gesellschaft verstehen wollen.

Es ist wichtig, die Mitbestimmung auch unter diesem Aspekt zu sehen. Die Mitbestimmung hat für die Gewerkschaften weitgehendere Konsequenzen, als diesen möglicherweise bewußt ist. Sie bindet die Gewerkschaften stärker in die Verantwortung ein und zwingt sie zur Rücksichtnahme in ihrem Handeln auf die Arbeitnehmervertreter in den Unternehmen.

Es kann freilich nicht Anliegen der Kirche sein, die Macht einer bestimmten Gruppe zu fördern. Die sozialethisch zu befürwortende Minderung der Verfügungsgewalt auf der einen darf nicht zur Stärkung der Machtposition auf der anderen Seite führen. Hier sind zunächst einige Faktoren zu berücksichtigen, die zeigen, daß bei den Gewerkschaften durch die Mitbestimmung nicht Macht in dem Ausmaße entsteht, wie es zumeist dargestellt wird: 1. Ist die aus der Mitbestimmung resultierende größere Mitverantwortung zu beachten.

2. Zeigen die Erfahrungen mit der Mitbestimmung, daß von einer Ausnutzung der mit ihr gegebenen Positionen seitens der Gewerkschaften nicht gesprochen werden kann (man vgl. hierzu die im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführte Untersuchung von Fritz Voigt: Zur Theorie und Praxis der Mitbestimmung, Berlin 1962).

3. Eine zentrale Steuerung der Betriebe von außen ist in einer freien Wirtschaft nicht möglich. Sie hat sich schon bei der bisherigen Mitbestimmung (in nur einer Branche!) als undurchführbar erwiesen.

4. Es kann nicht behauptet werden, daß die Arbeitnehmervertreter die Unternehmens-interessen bisher sachfremden Gesichtspunkten geopfert hätten.

5. Die Arbeitnehmervertreter stellen durchaus nicht immer eine einheitliche und geschlossene Bank im Aufsichtsrat dar. Bei nicht einheitlichen Abstimmungen votieren sie unterschiedlicher als die Kapitalseite. 6. Mitbestimmung bedeutet nicht notwendig, daß die Gewerkschaften mit sich selber als Arbeitsmarktpartei kontrahieren, wie es zur Zeit in der Stahlindustrie der Fall ist. Dies ließe sich verhindern durch den Wegfall des Sonderstatus für den Arbeitsdirektor und zum Beispiel nach englischem Vorbild, das nicht zulaßt, daß Vertreter derjenigen Gewerkschaft in einem Unternehmen Mandate erhalten, für das sie Tarifpartner sind.

Unabhängig hiervon wäre zu fragen, welche institutioneilen Vorkehrungen sich darüber hinaus treffen lassen, etwa durch eine stärkere Verlagerung des Vorschlagsrechtes auf die unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer oder durch eine Auflockerung der Gruppierungen im Aufsichtsrat, in dem zum Beispiel der elfte und der jeweils fünfte Mann von beiden Seiten gemeinsam gewählt werden. Außerdem ist zu fordern, daß die Arbeitnehmervertreter ihre Mandate nicht als Repräsentanten der Gewerkschaften, sondern im Auftrag der Arbeitnehmer des jeweiligen Unternehmers wahrnehmen, was allerdings nicht ausschließen darf, daß überbetriebliche Vertreter, schon aus Gründen der größeren Sachkenntnis und Unabhängigkeit, hinzugezogen werden können und sollten. Aber diese beziehen ihre Legitimation aus der unmittelbaren Repräsentanz der betroffenen Arbeitnehmer und nicht aus der Vertretung einer Gewerkschaft.

Zu b) Arbeitgeber In gleicher Weise ist von den Arbeitgebern zu fordern, daß sie sich von partnerschaftlichen Vorstellungen mit den Arbeitnehmern auf der Grundlage der Gleichberechtigung leiten lassen. Bisher werden zwar von Arbeitgeberseite die Ansatzpunkte der Kirchen bejaht, insbesondere auch die Selbstverantwortlichkeit des Menschen, aber es werden daraus andere Folgerungen gezogen, vor allem unter Hinweis auf die Durchlässigkeit unseres Gesellschaftssystems und die Möglichkeit des individuellen Aufstiegs durch Vermehrung der Bildungschancen. Dies ist zwar richtig und notwendig, berührt aber die Mitbestimmungsfrage in ihrem Kern nicht, da diese Chancen lediglich auf einzelne bezogen sind und den Status derer unverändert lassen, die weiterhin ausführende Arbeit zu leisten haben.

Von Seiten der Arbeitgeber wird außerdem zugegeben, daß die „humane Forderung nach stärkerer Anteilnahme der Arbeitnehmer unbestreitbar'1 sei. Abgelehnt wird aber ihre Institutionalisierung, ohne die eine solche Anteilnahme im eigentlichen Sinne nicht zustande kommt. Das vorhandene Mißtrauen hat auch hier zur Folge, daß den Arbeitnehmern im Falle einer Mitbestimmung Verhaltensweisen unterstellt werden, die das Unternehmen gefährden würden. Dies aber muß, insbesondere, wenn man das bisherige Verhalten der Arbeitnehmervertreter berücksichtigt, als zumindest unbewiesen bezeichnet werden.

Kann die Freiheit in der Wirtschaft nur als unternehmerische Freiheit verstanden werden, in einer Wirtschaft, in der nur noch ein sehr geringer Teil der in ihr tätigen Menschen selbständig wirtschaften kann, oder muß sie nicht für alle am Wirtschaftsprozeß Beteiligten gleichermaßen gelten?

IV. Zusammenfassung

Aus dem evangelischen Verständnis des Menschen als selbstverantwortlicher, mündig gewordener Person und dem Streben nach Partnerschaft ergab sich die grundsätzliche Bejahung der Mitbestimmung. Hinsichtlich ihrer rechtlichen Ordnung war festzustellen, daß „institutionelle Ordnungen das Wachsen der Partnerschaft fördern" können (Wendland). Solche Ordnungen veranlassen zur Kooperation auch in Bereichen, in denen das bisher nicht üblich war. Eine Vermehrung der Einsicht in die Gesamtzusammenhänge kann dabei, zusammen mit einer Minderung des Arbeitskampfes, zu einer Verbesserung der Arbeitsverhältnisse beitragen.

Dabei sollte über die Diskussion um die Erweiterung der Mitbestimmung nicht das Betriebsverfassungsgesetz aus dem Auge verloren werden, das nach wie vor wesentliche Grundlage der Arbeitsverfassung bleibt. Allerdings ist auch in diesem Gesetz der einzelne Arbeitnehmer gar nicht angesprochen. Gegenüber Stellungnahmen von kirchlicher Seite ist immer wieder der Einwand erhoben worden, daß der Mensch zu idealistisch gesehen würde. Macht man es sich damit nicht zu leicht?

Es ist schon einmal behauptet worden, die Verwirklichung der Demokratie würde den Staat zugrunde richten. Auch dies geschah unter der Voraussetzung, daß dadurch Unberufene Mitbestimmungsrechte erhalten würden, daß Vertreter in die leitenden Funktionen des Staates kämen, die nicht über die notwendige Sachkenntnis verfügen. Es ist aber nicht einzusehen, daß die Arbeitnehmervertreter im Unternehmen gegen die wirtschaftliche Vernunft handeln könnten, da dies ihr eigener Schaden wäre. Im Hinblick auf eine sachge-rechte Beurteilung der Mitbestimmungsfrage erscheint daher der Abbau vorgefaßter Meinungen mit seiner Unterstellung ganz bestimmter Verhaltensweisen im Falle des Zugeständnisses von Entscheidungsrechten als besonders vordringlich. Eine Minderung der sozialen Spannungen und eine stärkere Verantwortlichkeit aller Beteiligten am Produktionsprozeß ist anzustreben, und es ist zu fragen, ob sich neue Formen der Kooperation finden lassen, durch die dieses Ziel leichter zu erreichen ist.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Lothar Wiedemann, Dr. phih, geboren 1921 in Rossendaal/Holland, Direktor der Evangelischen Sozialakademie Friedewald. Studium der Philosophie und Germanistik, anschließend der Soziologie und Volkswirtschaft, seit 1954 Dozent für Soziologie. Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften.