Eine historische Betrachtung der Rolle, die der Faktor Amerika in der Strategie Hitlers
Unter Strategie — dies sei noch vorausgeschickt — wird hier die Integration von Innenund Außenpolitik, von militärischer und psychologischer Kriegsplanung und Kriegführung, von Wehrwirtschaft und Rüstung durch die Führungsspitze eines Staates zur Verwirklichung einer ideologisch-machtpolitischen Gesamtkonzeption verstanden.
Fernziel: Deutschland als Weltmacht
über Hitlers „letztes" Ziel ist viel gerätselt worden. Lag es in der Aufrichtung eines Kontinentalimperiums in Europa (nach der militärischen Niederwerfung Frankreichs und nach der Zerschlagung der Sowjetunion sowie der damit verbundenen Eroberung des europäischen Rußland), oder hat Hitler letztlich darüber hinaus die „Weltherrschaft" angestrebt? Zwischen diesen beiden Auffassungen schwankte in den ersten Jahren nach 1945 die historische Deutung seiner Intentionen, wenn man von den verschiedenen nicht ernst zu nehmenden verharmlosenden Interpretationen seiner Zielsetzung einmal absieht. Spätestens 1961, nach der Veröffentlichung des „Zweiten Buches" Hitlers aus dem Jahre 1928 2), das gleichsam den Abschluß in der Herausbildung seiner großen, durch die Verknüpfung rassenideologischer Prämissen mit weitgespannten machtpolitischen Zielen kurz zu charakterisierenden Konzeption in der Mitte der zwanziger Jahre darstellt
„Nordamerika wird in der Zukunft nur der Staat die Stirne zu bieten vermögen, der es verstanden hat, durch das Wesen seines inneren Lebens sowohl als durch den Sinn seiner äußeren Politik den Wert des Volkstums rassisch zu heben und staatlich in die hierfür zweckmäßigste Form zu bringen . .. Es ist .. . die Aufgabe der nationalsozialistischen Bewegung, das eigene Vaterland selbst für diese Aufgabe auf das äußerste zu stärken und vorzubereiten"
Daß Hitler an diesem zukunftgerichteten Ziel bis in den Spätherbst 1941, also bis wenige Wochen vor dem Kriegseintritt der USA, ebenso konsequent festhielt wie an der — wenn man so will — die eigene Zielsetzung „eingrenzenden" Vorstellung, daß der Entscheidungskampf zwischen der „Weltmacht“ Deutschland und der „Weltmacht" USA erst nach seiner Zeit ausgetragen werde, geht sowohl aus seinen Ausführungen vor seiner Tafelrunde am 10. 9. 1941 als auch gegenüber dem italienischen Außenminister Graf Ciano sechs Wochen später hervor. „Ich werde es nicht mehr erleben, aber ich freue mich für das deutsche Volk", so erklärte Hitler im vertrauten Kreise seines Hauptquartiers (in einer Zeit, in der sich mit der großen Kesselschlacht ostwärts Kiew in Hitlers Sicht der feldzugentscheidende Höhepunkt der Ost-Operation 1941 anbahnte), „daß es eines Tages mit ansehen wird, wie England und Deutschland vereint gegen Amerika antreten. Deutschland und England werden wissen, was eines vom anderen zu erwarten hat. Und wir haben dann endlich den rechten Bundesgenossen gefunden."
Stufenfolge zur Erreichung des „Fernziels"
Mit welcher Methode sollte nun aber dieses, aus der Sicht des Jahres 1928 betrachtet, phantastisch anmutende und doch in einem stürmischen Anlauf in wenigen Jahren von 1938 bis zum Herbst 1941 der Realisierung recht nahe gebrachte Ziel erreicht werden? Man muß, um Hitlers Methode zu „verstehen", davon ausgehen, daß er sich schon bei der Herausbildung seiner großen Konzeption wie später bei ihrer Verwirklichung in vielfacher Weise mit tat-tatsächlichen wie vermeintlichen Erfahrungen des Weltkrieges 1914/18 auseinandersetzte. Verlauf und Ausgang dieses Krieges hatten Hitler die Aussichtslosigkeit eines deutschen Sieges in einem Kriege gleichzeitig gegen das britische Empire oder gar gegen die beiden angelsächsischen Seemächte und die Hoffnungslosigkeit der Lage Deutschlands in einer — selbst durch Vorfelder nach West und Ost in begrenztem Maße erweiterten — von den Gegnern umschlossenen Bastion in einem „Weltkrieg" erkennen lassen, der schließlich durch das überlegene Wirtschaftsund Rüstungspotential der feindlichen Koalition in einem Material-und Abnutzungskrieg großen Stils entschieden wurde.
Um sein weitgespanntes Ziel dennoch zu erreichen, das an die expansiven Grundgedanken extremer deutscher Kriegszielkonzeptionen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges anknüpfte und insofern durchaus in einem geschichtlichen Zusammenhang zu sehen ist, auch wenn es durch die rassenideologische Komponente der Konzeption Hitlers qualitativ etwas anderes darstellte, folgerte Hitler in einer für sein Denken charakteristischen Verknüpfung von machtpolitischen Kalkulationen, geopolitischen Gesichtspunkten und rassenideologischen Grundüberzeugungen, daß das Ziel nur im Verfolg einer systematisierten, innen-und außenpolitisch in den einzelnen Etappen verschieden akzentuierten, taktisch und propagandistisch abgeschirmten Gesamtpolitik Zug um Zug erreicht werden konnte. Dabei mußte sich die Stoßrichtung in jeder Stufe streng auf ein klar abgegrenztes Teilziel beschränken. Das angestrebte Ziel sollte im Endeffekt in wehr-wirtschaftlicher wie militärstrategischer Hinsicht im Blick auf die in fernerer Zukunft erwarteten Großkriege eine Wiederholung der „Weltkriegssituation" Deutschlands für immer ausschließen. Dieses „Programm" war für die (in machtpolitischer wie rassenideologischer Hinsicht gleich entscheidende) zentrale Phase des deutschen „Ausbruchs" nach Osten auf der Grundhypothese aufgebaut, daß bei Zurückstellung einer deutschen Kolonial-und Überseepolitik ein „Ausgleich" mit Großbritannien auf der Basis der Anerkennung der deutschen Herrschaft über Kontinentaleuropa (einschließlich des europäischen Rußland) möglich sei, damit zugleich auch ein Abseitsstehen der USA, da Hitler bei der für sein politisches Denken kennzeichnenden Gleichsetzung von politischen und territorialen Interessen in jeder Großmachtpolitik (die für ihn gleichbedeutend mit „Großraum" -Politik war) für diese Phase seines Expansions-„Pro-gramms" keine Überschneidung deutscher mit britischen und amerikanischen Interessen zu erkennen vermochte.
Die einmal gewonnene deutsche Herrschaft über Kontinentaleuropa ergab dann nach Hitlers Auffassung allerdings bereits auch die Ba-sis für eine deutsche „Weltmacht" -Stellung, die mit Blick auf den zu erwartenden späteren großen Krieg gegen Amerika in einer neuen Stufe imperialen Ausgreifens durch ein weiträumiges Kolonialreich in Afrika und durch eine starke deutsche Flotte auszubauen war — nach Möglichkeit im Einverständnis mit Großbritannien auf Kosten (des noch vor der Verwirklichung des Eroberungszuges nach Osten militärisch niederzuwerfenden) Frankreichs, notfalls aber auch im Gegensatz zu England
Erst wenn alle diese Stufen durchschritten waren, brauchte Deutschland die überlegene wehrwirtschaftliche und rüstungsmäßige Quantität der etablierten „Weltmächte“, auch das Potential der USA, nicht mehr zu fürchten. Die militärgeographische und wehrwirtschaftliche Ausgangsposition Deutschlands, das auf überlegene Qualität statt auf Quantität abgestellte Rüstungsprogramm und Hitlers „Blitzkriegs" -Konzeption als Kern seiner Methode gehören eng zusammen. Wenn alle Prämissen stimmten, mußte nach Hitlers Auffassung auf diesem Wege — trotz offensichtlich so ungünstiger Voraussetzungen — die Aufrichtung eines autarken, blockadefesten, verteidigungsfähigen und der deutschen Führungsmacht für alle Zukunft eine „reale" Unabhängigkeit (nicht mehr nur formale „Souveränität") gewährenden „Großraums" — kurz: die Schaffung einer „Weltmacht Deutschland" neben den anderen „Weltmächten" — gelingen.
Entscheidend war nun, daß dieses Ziel mit Hilfe einer wendigen, skrupellosen außenpolitischen Taktik unter Ausnutzung der Spannungen zwischen den übrigen Mächten erreicht werden mußte, ohne daß der fixierte Hauptgegner der ferneren Zukunft, die nach Auffassung Hitlers im Aufstieg begriffene, aber ihrem machtpolitischen Höhepunkt erst etwa 1980 zustrebende „Weltmacht" Amerika, den Ablauf der verschiedenen Etappen in der Realisierung des „Programms" durch den Einsatz seines von Hitler zwar nicht aktuell, aber doch potentiell hoch eingeschätzten Kräftereservoirs hemmte und damit das Ganze in Frage stellte. Von dieser Warte aus ergibt sich, daß das Tempo in der Aufeinanderfolge der einzelnen Aktionen und „Feldzüge" Hitlers (natürlich nicht allein, jedoch stark) von dem ihm mehr oder weniger drohend erscheinenden Eingreifen der USA in die europäische Auseinandersetzung bestimmt wurde. Dies ist nun im einzelnen genauer zu betrachten, wobei unser Hauptaugenmerk auf der Beziehung zwischen dem tatsächlichen Gang des Geschehens und der Verwirklichung des „Programms" unter dem leitenden Gesichtspunkt der doppelten Rolle des Faktors Amerika in der Realität und in Hitlers Lagebeurteilung liegt.
Realisierung des „Programms" ab 1938
Noch vor dem „Anschluß" Österreichs im März 1938, der den Übergang zur offenen Expansionspolitik Hitlers markierte, hatte Präsident Roosevelt in seiner berühmten „Quarantäne" -Rede in Chikago am 5.
Die für Hitler vordringliche Frage war demgemäß, ob England tatsächlich, wie er es einkalkuliert hatte und trotz einer stärker ambivalenten Haltung seit Ende 1937 weiterhin hoffte, sein expansives Vorgehen in Europa hinnehmen würde, also die Grundlage der eigenen „Existenz" nicht durch die ständige Verbreiterung des deutschen Herrschaftsraumes in Kontinentaleuropa als gefährdet ansah — eine Entwicklung, die der traditionellen, von Hitler allerdings (im Gegensatz zu den von ihm allein anerkannten maritimen und imperialen Traditionen Großbritanniens) nicht als Realität angesehenen bzw. nicht mehr als zeitgemäß und daher nicht ernst genommenen britischen Europa-Politik zuwiderlief. Auf dem Höhepunkt der sogenannten „Sudetenkrise" wiederholte und präzisierte der deutsche Geschäftsträger in Washington, Thomsen, am 12. 9. 1938 den von Dieckhoff schon dreiviertel Jahr zuvor dargelegten weltpolitischen Gefahrenpunkt für die deutsche Expansionspolitik in Europa
Die Zäsur des 3. September 1939
Der durch die Politik des Präsidenten Roosevelt geförderte Entschluß der britischen Regierung, nach der Hinnahme der „friedlichen" Annexionen in den Jahren 1938/39 schon dem ersten der von Hitler vorgesehenen, dem großen Eroberungszug nach Osten zeitlich weit vorgestaffelten lokalisierten „Feldzüge" und damit der weiteren Abwicklung seines „Programms" entgegenzutreten, das heißt Englands und Frankreichs Kriegserklärung vom 3. 9. 1939, zwei Tage nach Beginn des deutschen Angriffs auf Polen, traf daher Hitlers außenpolitische Grundvorstellungen und die darauf aufbauenden Kriegsvorbereitungen (in der Stufenfolge von Kontinental-„Feldzügen" und — erst danach — See-und Luftkrieg in ozeanischen Weiten) in einem zentralen Axiom. Damit geriet er mit der nun gegebenen Notwendigkeit, sich gegen die britisch-französische Koalition im Westen zu wenden, schon im Hinblick auf den noch keineswegs abgeschlossenen Aufbau der Wehrmacht, speziell auf die Schwäche der deutschen Kriegsmarine, bereits in einer sehr frühen Phase der Realisierung seines „Programms" in eine
Zwangslage, aus der er nur durch schnelles, risikovolles militärisches Handeln wieder herauskommen konnte. In jedem Falle mußte er nun die Weiterverfolgung der eigenen Fernziele viel stärker noch als bisher mit den politischen und militärstrategischen Möglichkeiten der tatsächlichen und potentiellen Gegenmächte, voran der USA, in Einklang bringen, wenn er nicht in immer größere Schwierigkeiten geraten und schließlich — was für ihn allerdings undenkbar und unvollziehbar war — aufgeben und „kapitulieren" wollte. Wie sehr er sich schon jetzt in Zeitnot befand, wurde nicht zuletzt durch eine Analyse des Wirtschaftsstabes des OKW unter General Thomas über die amerikanische Rüstungskapazität vom Herbst 1939 deutlich, in der es hieß
Vor dem Hintergrund dieser Lagebeurteilung wie auch bei Berücksichtigung von Hitlers Zweifeln an einer längeren Fortdauer der wohlwollenden, die deutschen Kriegsanstrengungen fördernden „neutralen" Haltung der Sowjetunion wird erst richtig verständlich, wa-rum er nach dem erfolgreichen Abschluß des Polen-Feldzuges alles daran setzte, um den ihm zur Unzeit „aufgezwungenen" Krieg im Westen durch eine militärische Niederwerfung Frankreichs und einen „Ausgleich" mit England auf der Grundlage der alten Zielvorstellung der Anerkennung seiner Herrschaft über Kontinentaleuropa sowie der für später wichtigen Rückgabe der deutschen Kolonien in Afrika so schnell wie möglich zu einem Ende zu bringen, und bestrebt war, die Westoffensive gegen alle militärtechnischen Bedenken möglichst schon im Herbst 1939 beginnen zu lassen. Am 27. 9. 1939, bei Bekanntgabe seines Angriffsentschlusses, erklärte Hitler gegenüber den Spitzen des OKH, v. Brauchitsch und Hal-der, in mehrfach wiederholten Wendungen, warum die Zeit militärisch und vor allem wehrwirtschaftlich gegen ihn arbeite
Das „große Spiel" des Frühjahrs 1940
Bei dem großen Spiel, das mit der Westoffensive im Mai/Juni 1940 von Hitler gewagt wurde, ging es um drei eng miteinander verknüpfte Ziele: 1. Frankreich militärisch aus dem Felde zu schlagen, zugleich aber mit der französischen Regierung zu einem Arrangement zu gelangen, so daß die von den deutschen Waffen nicht erreichbare Flotte und nach Möglichkeit auch das Kolonialreich Frankreichs aus dem Kampf ausschieden; 2.frühzeitig, schon während des Feldzugs-ablaufs, Fühler nach England auszustrek-
ken, um mit diesem unter dem unmittelbaren Eindruck der Niederlage Frankreichs zu einem „Ausgleich" zu kommen, wobei das britische Empire und die britische Seemacht unangetastet bleiben sollten; schließlich 3. durch die Art der Niederwerfung und des Waffenstillstandes mit Frankreich wie durch den „Ausgleich“ mit England, auch durch propagandistische Beeinflussung der amerikanischen Öffentlichkeit (Ausdeutung der Monroe-Doktrin unter der Parole „Amerika den Amerikanern, Europa den Europäern" in seinem Sinne) in den USA den Kräften das Übergewicht zu verschaffen, die sich für eine Beschränkung des außen-und militärpolitischen Engagements der USA auf dem amerikanischen Doppel-kontinent einsetzten.
Alle drei Einzelziele zusammen sollten jene politisch-strategische Ausgangssituation in Europa herbeiführen, die Hitler bisher immer für seinen Eroberungszug nach Osten, das heißt für die Vollendung seines Kontinental-imperiums, als Voraussetzung angesehen hatte; denn um diese Etappe seines „Programms" handelte es sich jetzt. Um das Wesentliche kurz zusammenzufassen: Das erste Ziel (hinsichtlich Frankreichs) wurde bekanntlich voll erreicht, das Gelingen des zweiten und dritten (also hinsichtlich Großbritanniens und der USA) lag einige Wochen lang, und zwar noch während des Feldzuges im Mai/Juni, im Bereich des Möglichen.
Schon während der ersten Phase der Westoperation, als sich der durchschlagende Erfolg des „Sichelschnittes" abzeichnete, erklärte Hitler am 20. 5., „die Engländer könnten jederzeit Sonderfrieden haben nach Rückgabe der Kolonien
Daß sich Churchill, der nicht nur auf der vorgeschlagenen Basis einer Teilung der Welt, sondern prinzipiell jeden Frieden mit Hitler ablehnte, in England gegenüber der „Friedensgruppe" durchsetzen konnte, hing wesentlich mit der Grundentscheidung des Präsidenten Roosevelt in der großen Krise des „Westens" im Mai/Juni 1940 zusammen. Wie schon angedeutet, hatte auch in den USA die Waage zunächst geschwankt. Am 22. 5. hatte General Marshall, der Chef des amerikanischen Armee-Generalstabes, auf Grund einer Lagebeurteilung des Planungsstabes gefordert, daß angesichts der Schwäche des gegenwärtigen amerikanischen Rüstungsstandes und der geringen Schlagkraft des amerikanischen Heeres alle Verteidigungsanstrengungen auf den Bereich der „westlichen Hemisphäre" (also den amerikanischen Doppelkontinent mit einem weiteren Seeraum) beschränkt werden sollten
Wann ist sich Hitler über diese Grundentscheidung Roosevelts mit allen Konsequenzen für die eigene Position in Europa klar geworden? Der deutsche Militärattache in Washington, General v. Boetticher, der über gute Kontakte zum amerikanischen Generalstab verfügte, hatte über die Schwankungen in der Lagebeurteilung in den Monaten Mai/Juni 1940 berichtet, wobei er nach seiner pessimistischen Voraussage im Herbst 1939, die sich offensichtlich nicht bewahrheitet hatte, nun zu einer optimistischen, zeitweilig sogar zu einer illusionären Deutung der Situation überging. In Überschätzung des Einflusses des Generalstabes auf die Entscheidungen des Präsidenten meldete er am 24. 5., daß „man" sich bereits „mit einer Niederlage Frankreichs und einer Niederwerfung Englands, ja vielleicht einer Zertrümmerung des englischen Reiches" abzufinden beginne
Erst ein paar Tage später lag Hitler die Analyse der großen Rede Roosevelts vom 19. 7. (also vom selben Tage, an dem er seinen „Friedensappell" an England gerichtet hatte) durch den seit seiner Rückberufung nach Berlin im Dezember 1938 im Auswärtigen Amt als Amerika-Experte tätigen Botschafter Dieckhoff vor. Dieser bezeichnete die Rede des Präsidenten als „klare Kampfansage" an Deutschland
Eroberung Rußlands als Ausweg aus dem Dilemma im Westen
Hitler war sich nun darüber im klaren, daß, wenn der Krieg im Westen fortdauerte — und er zweifelte mit Recht daran, daß es mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus der durch die erfolgreichen „Feldzüge" gewonnenen, aber für einen langen Krieg zu schmalen wehrwirtschaftlichen Basis in Mittel-und Westeuropa möglich sein werde, England „mit Gewalt zum Frieden zu zwingen" —, Roosevelt zu einem ihm psychologisch wie militärisch möglichen Zeitpunkt Amerika voll an die Seite Großbritanniens führen würde, das seine stärksten Hoffnungen auf die USA richtete und seine strategische Konzeption und seine Rüstung bereits ganz auf die Koorperation mit Amerika hin abstellte. Als Fazit mußte Hitler Ende Juli 1940 erkennen: Die Zeit arbeitete im Westkrieg weiter gegen ihn, und der so erfolgreiche Frankreich-Feldzug hatte nicht mehr als nur eine Atempause eingebracht. Da die USA für ihn selbst unerreichbar waren, blieb Hitler nur die Lösung einer indirekten Ausschaltung des wichtigsten britischen Hoffnungsfaktors, Amerika. Den einzigen Weg hierzu meinte er in der (ihm wie seinen Beratern militärisch möglich erscheinenden) Ausschaltung des zweiten britischen Hoffnungsfaktors, Rußland, zu sehen
Die Zertrümmerung der Sowjetunion — so kalkulierte Hitler — würde Großbritannien die „letzte Hoffnung" in Kontinentaleuropa nehmen, der eigenen strategischen und wehr-wirtschaftlichen Basis die nötige Breite geben und zugleich eine machtpolitische „Aufwertung" Japans in Ostasien herbeiführen, so daß die USA durch die Bedrohung von der pazifischen Seite her angesichts der Gefahr eines Zwei-Ozean-Krieges in ihrer Handlungsfreiheit im Atlantik paralysiert würden und sich mit der neuen durch Deutschland und Japan beherrschten Situation in der „östlichen Hemisphäre" abfinden müßten. Damit gewann für Hitler Ende Juli 1940 der Krieg, der bisher in seiner Vorstellung (trotz der für ihn überraschenden Konstellation bei Beginn im September 1939) den Charakter einzelner, möglichst durch „Pausen" voneinander getrennter europäischer „Feldzüge" gehabt hatte, weltweite Dimensionen. Der bis dahin ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der alten Zielvorstellung eines Eroberungszuges zur Vollendung seiner Herrschaft über Kontinental-europa betrachtete Feldzug gegen die Sowjetunion erhielt nun zugleich eine wesentliche — oder wie Hitler meinte: entscheidende — Bedeutung als Etappe auf dem Wege, Großbritannien friedensbereit zu machen, die USA aus dem Kriege herauszuhalten und den Gesamtkrieg zu seinen Gunsten zu beenden — ein Ziel, das auf andere Weise — wie es ihm schon zu diesem Zeitpunkt, in der bedeutsamen Besprechung am 31. 7. 1940, schien — kaum noch erreicht werden konnte. Dies stellte eine durch den hartnäckigen Widerstand Großbritanniens und seine Unterstützung durch die USA herbeigeführte Umkehrung der bisherigen Zielvorstellungen Hitlers dar. Nun wurde die bisherige zentrale Etappe seines „Programms", die Eroberung des europäischen Ost-raums, zugleich zum Mittel, mit den angelsächsischen Seemächten fertig zu werden, die nicht bereit waren, sich mit seiner Herrschaft über die mittleren und westlichen Teile Kontinentaleuropas abzufinden, sondern sie ihm streitig machten.
Da sich inzwischen herausgestellt hatte, daß der Feldzug gegen die Sowjetunion aus militärtechnischen Gründen nicht im Herbst 1940, sondern frühestens im Mai 1941 durchführbar war, bestand die Gefahr, daß in der Zwischen-zeit das amerikanische Engagement zugunsten Englands bereits wesentlich stärker wurde, ja bedrohliche Ausmaße annahm. Um dieser als gefährlich angesehenen Entwicklung entgegenzuwirken, entschloß sich Hitler Mitte August 1940, durch den Abschluß eines möglichst spektakulär erscheinenden Bündnisses mit Japan und die Einfügung möglichst vieler europäischer und asiatischer Staaten in dieses soge-nannte „Dreimächtepakt" -System (Deutschland — Italien — Japan) einen „Kontinentalblock" mit Spitze gegen die Seemächte aufzubauen. Durch das Gewicht der darin zusammengefaßten Potenzen sollte auf diplomatisch-politischem Wege das gleiche „Nahziel" gegenüber dem „Westen" erreicht werden, das eigentlich in anderer, radikal wirksamer Weise, durch die im Herbst 1940 nun nicht mögliche militärische Ost-Lösung, hatte erreicht werden sollen: die USA zu „re-neutralisieren" und England durch die Trennung von Amerika doch noch „friedensbereit" zu machen.
Wohl gelang der Abschluß des „Dreimächtepaktes" mit der angestrebten Schnelligkeit schon am 27. 9. 1940, das heißt zeitgerecht vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen am 5. 11., auf die der Pakt zusammen mit den angestrebten Erweiterungen im Sinne Hitlers wirken sollte. Aber die Ausweitung zum „Kontinentalblock" scheiterte sowohl in der größeren eurasischen Variante, der beabsichtigten Einbeziehung der Sowjetunion, als auch in der kleineren, anfangs nur eine Teilkomponente darstellenden westeuropäischen Variante. Letztere hatte über einen Interessenausgleich zwischen Deutschland, Italien, Spanien und Vichy-Frankreich über den Kolonial-besitz in Afrika zur Eroberung Gibraltars und zum Aufbau einer deutschen Bastion in Nord-westafrika einschließlich der vorgelagerten spanischen und portugiesischen Atlantikinseln mit Blick auf Amerika im Spätherbst 1940 oder im Winter 1940/41 führen sollen. Daher sah sich Hitler schließlich unter ungünstigeren Bedingungen als im Sommer 1940 zur Rückkehr zur militärischen Ost-Lösung ohne vorherige Klärung im Westkrieg im Sommer 1941 als der letzten im Sinne seiner großen Zielsetzung überhaupt erfolgverheißenden Lösung genötigt. Sie schien auch der einzige Weg, um Japan, das im Winter 1940/41 vom „Dreimächtepakt " -Kurs abzuweichen drohte und einen zweiseitigen modus vivendi mit den USA ansteuerte, auf die Bahn einer gewaltsamen Expansion nach Süden vorwärtszustoßen, wenn durch die (nach Hitlers Planung allein von der deutschen Wehrmacht in einem „kurzen Feldzug" zu erzwingende) Niederwerfung der Sowjetunion die Rückenbedrohung für Japan fortfallen würde.
„Blitzkriegs" -Planung im Weltmaßstab
Der im Spätherbst 1940 nach der Aufgabe der (als Zwischenlösung gedachten) „Kontinental-block" -Konzeption von Hitler improvisierte Kriegsplan sah für 1941 einen — so könnte man ihn nennen — „Weltblitzkrieg" in der „östlichen Hemisphäre" mit folgenden Etappen vor:
1. Niederwerfung der Sowjetunion in einem Feldzug von drei, höchstens vier Monaten, wobei die eigentliche Entscheidung schon im ersten Monat erwartet wurde (Unternehmen „Barbarossa"). Daher war bereits für Anfang August der Abtransport der Masse der Infanterie-Divisionen des Ostheeres, für Anfang September der Abtransport der motorisierten Verbände und der Panzerdivisionen für die weiteren Aufgaben in neue Aufmarschräume vorgesehen. Im Osten sollten dann nur 50— 60 Divisionen für Besatzungsaufgaben im Raum bis zur Astrachan-Archangelsk-Linie verbleiben, die auch für raidartige Vorstöße bis an und über den Ural vorgesehen waren. 2. Im Herbst 1941 eine Zangenoperation mit drei Stoßkeilen, einer über den Kaukasus nach Iran hinein, einer von Bulgarien über die Türkei in Richtung Syrien—Irak und der dritte aus Libyen über Ägypten—SuezKanal—Palästina ebenfalls in den britischen Nahost-Raum. Anschließend Aufbau einer deutschen Operationsbasis in Afghanistan, von wo aus Indien, das „Herz des britischen Empire", bedroht werden sollte. 3. Möglichst schon im Mai 1941 Vorstoß der Japaner nach Süden zur Eroberung Singapurs und damit zur Bedrohung Indiens von Osten. Dabei Umgehen der Philippinen, um Amerikas Eingreifen in diesen britisch-japanischen Krieg zu verhindern. Diese Planung wurde von Hitler im Februar/März 1941 mit dem japanischen Botschafter in Berlin, Oshima, und dann auch mit dem zum Besuch in Deutschland weilenden Außenminister Matsuoka besprochen, ohne daß der Zusammenhang mit dem Unternehmen „Barbarossa" und den anschließend geplanten Operationen in den Nahen und Mittleren Osten enthüllt wurde. Daß diese Anregung von den japanischen Führungsgremien abgelehnt wurde, erfuhr Hitler auf offiziellem Wege nicht. Darauf ist noch zurückzukommen. 4. Ebenfalls im Herbst 1941 Eroberung Gibraltars mit oder ohne Zustimmung Francos, auf diese Weise Abschließung des Mittel-meeres auch von Westen, anschließend Aufbau einer deutschen Bastion in Nord-westafrika mit vichy-französischer Unterstützung (Marokko, eventuell Dakar) in Frontstellung gegen Amerika.
Diese ganze weitgespannte „Weltblitzkriegs" -Planung für 1941 stand unter dem einen großen Gesichtspunkt, den Hitler am 17. 12. 1940 gegenüber Jodl in der Formel zusammenfaßte, „daß wir 1941 alle kontinental-europäischen Probleme lösen müßten, da ab 1942 (die) USA in der Lage wären, einzugreifen"
Die Zeit der großen Illusionen: Juli 1941
In der Tat schien der Verlauf der ersten Wochen des Feldzuges gegen die Sowjetunion (seit dem 22. 6. 1941) Hitlers hochgespannte Erwartungen nicht nur zu erfüllen, sondern noch zu übertreffen. Bereits am 3. 7. notierte der Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Halder, in sein Tagebuch: „Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß der Feldzug gegen Rußland innerhalb von 14 Tagen gewonnen wurde"
Doch nicht nur der anfängliche militärische Verlauf wurde von Hitler optimistisch beurteilt, sondern auch die von ihm erwarteten und einkalkulierten Auswirkungen des Ost-feldzuges auf die USA wie auf Japan trafen zunächst ein oder schienen doch zumindest einzutreten. Hatte Roosevelts Politik der immer stärkeren Unterstützung Großbritanniens seit dem Sommer 1940 eine allmählich recht breite Basis in der amerikanischen öffentlichen Meinung wie im Kongreß gefunden, so löste der deutsch-sowjetische Krieg eine aus verschiedenen Quellen zusammenfließende neue isolationistische Welle aus, die sich in zunehmender Opposition gegen Roosevelts Kurs „short of war" (am Rande des Krieges) äußerte — eine Entwicklung, die den Präsidenten in seiner Entscheidungsfreiheit beträchtlich hemmte, zumal Hitler während des Ablaufs des „Barbarossa" -Unternehmens bestrebt war, unter allen Umständen, auch unter Hinnahme eines Prestigeverlustes und unter Verzicht auf Ausnutzung von Chancen im Seekrieg, Zwischenfälle mit den USA im Atlantik zu vermeiden. Unklarer im Sinne Hitlers waren hingegen die Absichten Japans. Wohl entsprach der (ihm nicht bekannt gewordene) Entschluß der japanischen Führungsspitzen vom 2. 7. 1941, gegen die Sowjetunion nicht militärisch vorzugehen (jedenfalls so lange nicht, wie sie noch als ernst zu nehmender Faktor zu gelten hatte), sondern mit der Besetzung Süd-Indochinas die südliche Expansionsstoßrichtung fortzusetzen, Hitlers Zielvorstellungen. Die Verwirklichung dieses Schrittes Ende Juli 1941 löste auch die erwünschte Verschärfung der Spannungen im Pazifik aus. Entscheidend war aber die (Hitler ebenfalls verborgen bleibende) Auffassung der jetzt in einer Schlüsselstellung befindlichen und sich in den Führungsgremien durchsetzenden japanischen Marineleitung, daß England und Amerika politisch und militärisch nicht zu trennen seien, daß daher ein japanischer Angriff allein gegen Singapur ausgeschlossen sei, es vielmehr im Sinne des Staatsinteresses Japans das Ziel der Politik der kommenden Monate sein müsse, aus einer durch die gewonnene Rückenfreiheit erreichten „Position der Stärke" nach Möglichkeit zu einem zweiseitigen „modus vivendi" mit den USA unter Anerkennung der japanischen Führung im „Großraum" Ostasien zu gelangen, notfalls aber — wenn sich dieses als unerreichbar herausstellen sollte — unter Ausnutzung einer günstigen weltpolitischen Situation, aber ohne Rücksicht auf die Interessen des verbündeten Deutschland den Krieg gegen die USA und Großbritannien zu wagen.
Vor diesem Hintergrund war ein Scheitern der zunächst ohne Billigung Hitlers eingeleiteten Bemühungen Ribbentrops seit dem 28. 6. 1941, Japan zu einem Kriegseintritt gegen die Sowjetunion zu bewegen, unvermeidlich. Das Drängen Ribbentrops steigerte sich indessen in Unkenntnis der bereits gefallenen gegenteiligen Entscheidung bis zum 10. 7. 1941 immer mehr: Botschafter Ott sollte in Tokio — so hieß es in dem Telegramm dieses Tages —
„Vernichtung" der USA als neues Ziel?
In dieser vom scheinbaren Triumph im Osten bestimmten Situation und ihrer optimistischen Ausdeutung ist Hitler — wie einleitend angedeutet — für einen Moment über die Grundlinie seiner Zielsetzung im großen Zusammenhang seiner Konzeption hinausgegangen. Am 15. 7. 1941 empfing er in seinem Hauptquartier in Ostpreußen den japanischen Botschafter Oshima und machte ihm in knappster Form das Angebot eines umfassenden Kriegsbündnisses zwischen Deutschland und Japan
Dann aber, nach Abschluß dieser Besetzungsunternehmung, müßten sich Deutschland und Japan gemeinsam gegen die USA wenden. Indessen, solange der Feldzug gegen die Sowjetunion noch lief, wollte Hitler einen Konflikt mit den USA unbedingt vermeiden. Nach Besetzung der innerhalb des deutschen Operationsgebietes liegenden Insel Island durch amerikanische Streitkräfte am 7. 7. 1941 erbat der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Raeder, von Hitler die „politische Entscheidung, ob (dies) als Kriegseintritt (der USA) zu betrachten oder (nur) als Provokation aufzufassen sei, die ignoriert werden solle“
Noch am 23. 7. 1941 hielt die optimistische Beurteilung der Ostlage an. „Etwa in einem Monat (25. 8.)", so formulierte Halder für den Vortrag bei Hitler an diesem Tage
Dann erforderte die Versteifung des sowjetischen Widerstandes aber Ende Juli ein erstes Zurückstecken des Zeitplans im Osten, das sich sogleich auf die weitere strategische Planung auswirkte, indem auf die Vorstöße von Libyen und von Bulgarien—Türkei aus gegen die britische Nahost-Stellung für 1941 verzichtet werden mußte. Der langsame Fortgang des Ostkrieges im August machte weitere Abstriche notwendig. In der „Denkschrift des OKW über die strategische Lage im Spätsommer 1941" vom 27. 8. 1941
1941
Auch die durch den Erfolg der Kesselschlacht von Brjansk und Wjasma Anfang Oktober 1941 noch einmal aufgeflammte optimistische Erwartung Hitlers, daß er die Hauptetappe seines großen „Programms" für 1941, die Sowjetunion zu zerschlagen, um auf ihren Trümmern ein deutsches Ost-Imperium aufzurichten („Europa autark, daß uns Amerika gestohlen bleiben kann" — wie es der Generalquartiermeister des Heeres, General Wagner, in einem Privatbrief vom 20. 9. 1941
Das Scheitern des Kriegsplans
Im November 1941 kündigte sich mit dem Steckenbleiben der Ostoperationen indessen erstmals eine spürbare Resignation bei Hitler an. Am 11. 11. hatte er noch gefordert, daß „vor Eintreten starken Schneefalles ... es einen äußersten Einsatz rechtfertigen (würde), im Süden durch einen Vorstoß auf Stalingrad bzw. durch baldiges Gewinnen von Maikop und im Norden durch die Besitznahme von Wologda die beiden Einfuhrlinien für englischamerikanisches Kriegsmaterial zu durchschneiden bzw. unsere beschränkte Erdölversorgung zu verbessern und zu sichern"
1941 kam dann aber in Hitlers Ausführungen im kleinen Kreise — wie Halder notierte — die für die Teilnehmer dieser Besprechung überraschende „Erwartung" Hitlers „zum Ausdruck, daß die Erkenntnis, daß die beiden Feindgruppen sich nicht vernichten können, zu einem Verhandlungsfrieden führt"
Dabei hatte er schon Ende November erfahren, daß die japanisch-amerikanischen Verhandlungen gescheitert waren, ein Kriegsausbruch im Pazifik, in den die USA von vornherein einbezogen waren, also mit höchster Wahrscheinlichkeit bevorstand. Hitler hatte auch hier resigniert und sich mit der Unvermeidbarkeit eines Kriegseintritts der USA auf dem Wege über Japan zu einem unerwünschten Zeitpunkt (von der deutschen Situation aus betrachtet) abgefunden. Diese Form des Kriegseintritts Amerikas war, weil sie die USA in einen Zwei-Ozean-Krieg zwang, für ihn in der gegebenen Lage — das Scheitern nicht nur des „Barbarossa" -Plans, sondern des gan-zen improvisierten Kriegsplans vom Herbst 1940 stand jetzt unumstößlich fest — immer noch das kleinere Übel gegenüber dem mehrere Wochen lang im Bereich des Möglichen liegenden zweiseitigen japanisch-amerikanischen Arrangement, das eine Verlagerung des Schwerpunktes der amerikanischen Macht nach dem Atlantik und nach Europa zur Folge gehabt hätte. Die Kriegserklärung Hitlers an die USA am 11. 12. 1941, die dem japanischen Angriff auf die pazifischen Besitzungen der USA und Großbritanniens folgte, entsprach dennoch nicht einer zielbewußten außenpolitischen Entscheidung Hitlers, war kein frei gefaßter großer Entschluß, der irgendwie mit seiner Entscheidung zum Ostkrieg verglichen werden könnte, sondern eine Geste, die verschleiern sollte, daß er die Entwicklung des Krieges, die seine Pläne zerstört hatte, nicht mehr steuern konnte, daß die Initiative für alle folgenden großen Entscheidungen auf die Gegenseite übergegangen war. Das Eingeständnis gegenüber dem japanischen Botschafter Oshima vom 3. 1. 1942, er wisse „noch nicht", „wie man die USA besiegen könne"
Die einzige noch verbliebene „Chance", die militärstrategische Initiative wenigstens in der „östlichen Hemisphäre" doch noch wiederzugewinnen, ein in den ersten Monaten des Jahres 1942 möglich scheinendes Zusammenwirken mit Japan im Raume Indien—Mittlerer Osten nach Abdrängen der Roten Armee aus dem Don-Wolga-Gebiet und Vorstoß über den Kaukasus, ging vorüber, da Hitler nach den verlustreichen Winterschlachten im Osten erst Ende Juni 1942 im Südabschnitt der Ostfront und in Ägypten zur erneuten Offensive in der Lage war, zu einem Zeitpunkt, in dem die japanische Offensivkraft im großen schon gebrochen war (See-Luft-Schlacht bei Midway Anfang Juni 1942).
Hitlers Alternative zur deutschen „Weltmacht": der Untergang des Reiches
Schon in der tiefen Resignation im November 1941 hatte Hitler erstmals die letzten Konsequenzen eines Scheiterns seines großen improvisierten Kriegsplans angedeutet, als er während des Empfangs der Außenminister der „Antikominternpaktstaaten" in Berlin am 27. 11. 1941 — einer Schau glanzvollen Scheins, die nur dürftig den Ernst der Situation verschleiern konnte — dem dänischen Außenminister Scavenius erklärte
Mochten auch im Sommer 1942 während des Vormarsches in Richtung Stalingrad und Kaukasus noch einmal illusionäre Erwartungen auftauchen, so sah sich Hitler doch im Grunde bereits seit Dezember 1941, dem Beginn des „Weltkrieges" sowohl im Wortsinne als auch der von ihm befürchteten, für Deutschland katastrophalen Kriegsform, in einer Situation, die ihn vor eine — ihm selbst nach innerster Überzeugung unlösbar erscheinende — Doppelaufgabe stellte, wie er am 26. 8. 1942 gegenüber Raeder ausführte
könne, zu erobern und gleichzeitig den „Ausgang und Dauer" des Gesamtkrieges bestimmenden „Kampf gegen die angelsächsischen Seemächte" zu führen, um Großbritannien und die USA „friedensbereit" zu machen. Es war eine Folge des Scheiterns des Unternehmens „Barbarossa", daß die in den Planungen und Erwägungen des Herbstes 1940 und des Winters 1940/41 erkennbare Offensivkonzeption im Westkrieg, die dem Aufbau einer deutschen „Weltmacht" -Stellung mit Schwerpunkten im Nahen Osten und in Nordwestafrika dienen sollte, nun nicht mehr heraustrat, sondern latent blieb, so daß der Defensivcharakter des Krieges Deutschland ge-gen die angelsächsischen Mächte für den tatsächlichen weiteren Ablauf des Geschehens bestimmend blieb. Hitler gewann nicht die mit der erstrebten erfolgreichen, zeitgerechten Beendigung des Ostkrieges erhoffte Entscheidungsfreiheit für die Realisierung seiner weiträumig angelegten Strategie und mußte daher — statt, wie geplant, aus einer festgefügten „Großraum" -und „Weltmacht" -Position in Europa—Nordafrika—Vorderasien einer nach schnellen Niederwerfung der Sowjetunion — aus der Enge der nur lückenhaft abgesicherten improvisierten „Festung" Kerneuropas den Kampf gegen die vereinigten angelsächsischen Mächte im Westen neben dem von ihm ausgelösten, auf Deutschland zu-rückschlagenden Vernichtungskrieg im Osten führen.
Endgültig ab September 1942, nachdem sein letzter Versuch, „das Schicksal zu wenden" — um diese Formulierung Jodls
Die Alternative „Weltmacht oder Untergang", die sein großes, „letztes" Lebensziel schon im „Kampf" -Buch bezeichnet hatte, blieb aber auch jetzt im wörtlichen Sinne für ihn gültig. Da selbst durch extreme, „fanatische" Anstrengungen in politischer, militärischer, technischer, wehrwirtschaftlicher wie kriegspsychologisch-propagandistischer Hinsicht in den Jahren ab 1942 innerhalb des allmählich schrumpfenden Machtbereichs Hitlers das erstere nicht mehr zu erreichen war, führte die Konsequenz des letzteren zu jenem Inferno des Krieges in Europa, das seinen Charakter in der Schlußphase von 1943 bis 1945 kennzeichnete.