I. Ursprung und Entwicklung des Mitbestimmungsgedankens
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist keine „Forderung unserer Tage". Vielmehr war sie bereits Bestandteil der gewerkschaftlichen Ordnungsvorstellungen, als über ihre konkreten Gestaltungsformen noch nicht gesprochen wurde. In den sechziger/siebziger Jähren des vorigen Jahrhunderts schon forderten mehrere Berufsverbände eine gleichberechtigte Beteiligung der Arbeitnehmer sowohl an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen als auch an wirtschaftlichen Entscheidungen, z. B.der Preispolitik. Konkretisiert wurden solche Forderungen in verschiedenen Tarifverträgen und auf Grund einer Reihe zusätzlicher vertraglicher Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Im Hinblick auf die damals herrschende unsagbare wirtschaftliche Not der Arbeiterschaft war es allerdings verständlich, daß das Interesse der Gewerkschaften zunächst primär dem „Bürgerrecht auf das Existenzminimum“ galt. Trotzdem sollte nicht übersehen werden, daß mit dieser Verbesserung der materiellen Lebenslage der Kampf um die gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer ein-herging. Mit steigendem Bildungsstand, vermehrter Einsicht in politische und wirtschaftliche Zusammenhänge und erhöhtem Selbstbewußtsein wurden den Arbeitnehmern die Gegensätze zwischen der Subjektstellung im politischen Leben und der Objektstellung im wirtschaftlichen Bereich stärker bewußt. Sie forderten deshalb das Recht, auch im Vollzug des Wirtschaftens mitzubestimmen. Der Weg vom ersten Tarifvertrag zur heutigen Forderung nach Mitbestimmung zeigt diese Richtung gewerkschaftlichen Handelns: Es ist der Weg von der Wertung des Arbeitnehmers als marktgerecht zu entlohnendem Produktionsfaktor zur vollen Anerkennung des Menschen im Arbeitsleben.
II. Die gesellschaftliche Bedeutung der Forderung nach Mitbestimmung
In der gegenwärtigen Diskussion um die Forderung nach einer Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung wird von Kritikern der Mitbestimmung behauptet, es handle sich bei ihr ausschließlich um eine Forderung von „Gewerkschaftsfunktionären", allenfalls jedoch um die einer organisierten Minderheit der Arbeitnehmer. Abgesehen davon, daß etwa die Untersuchungen des Kölner Instituts für Selbsthilfe und Sozialforschung den Nachweis dafür liefern, daß 80 °/o der befragten Arbeitnehmer positiv zur Mitbestimmung stehen, kann das Verlangen nach Mitbestimmung aber auch in seinem historischen Ursprung nicht als Anliegen einer „Interessengruppe“ aufgefaßt werden. Im politischen Bereich z. B. wurde die Forderung nach Mitbestimmung schon früh diskutiert. Erste Bestrebungen dieser Art lassen sich bereits in der verfassunggebenden Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche nachweisen. Durch das Gesetz über den „Vaterländischen Hilfsdienst" wurden in der Zeit höchster Not in Deutschland mitbestimmte Ausschüsse in allen kriegswichtigen Unternehmen geschaffen, an denen auch die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmerinteressen beteiligt waren. Im Artikel 165 der Weimarer Reichsverfassung heißt es: „Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn-und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken." Auch das Regierungsprogramm der Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus sah eine weitgehende Mitbestimmung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften vor. Im Programm des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters Goerdeler wurde „eine Beteiligung der Belegschaften an der Betriebsführung" sowie eine Repräsentation der Arbeitnehmer durch ihre Gewerkschaften gefordert. Nach 1945 erhob das Land Nordrhein-Westfalen als das am meisten industrialisierte Land der Bundesrepublik die gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer zum Verfassungsgrundsatz. Es heißt in Artikel 26 der Landesverfassung wörtlich: „Entsprechend der gemeinsamen Verantwortung und Leistung der Unternehmer und der Arbeitnehmer für die Wirtschaft wird das Recht der Arbeitnehmer auf gleichberechtigte Mitbestimmung bei der Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung anerkannt und gewährleistet." Dieser Verfassungsgrundsatz gilt noch heute. Man wird von ihm kaum sagen können, daß er den Zweck hat, den Interessen nur einer Gruppe des Volkes zu dienen.
überhaupt wurde die Mitbestimmung der Arbeitnehmer — nicht zuletzt unter dem Eindruck des totalen Chaos, das Naziherrschaft und Zweiter Weltkrieg hinterlassen hatte — nach 1945 von allen großen politischen Gruppen einmütig unterstützt. Dies gilt gleichermaßen für die CDU wie für die SPD. Nur die FDP hat sich stets gegen eine qualifizierte Mitbestimmung ausgesprochen.
Die Kirchen und die ihnen nahestehenden Gruppen haben ebenfalls die Entwicklung der qualifizierten Mitbestimmung aufmerksam beobachtet. Das der Mitbestimmung zugrunde liegende Prinzip, Freiheit und Selbstverantwortung auch im Arbeitsleben weitgehend zu fördern, wird von ihnen uneingeschränkt bejaht. Wenngleich sich die Kirchen nicht eindeutig auf eine bestimmte institutioneile Form der Mitbestimmung festgelegt haben, betonten sie doch wiederholt, daß gegen diese mit ihr verfolgten Prinzipien nicht verstoßen werden dürfe. Dies gilt sowohl für Mater et Magistra als auch für die Empfehlung des Rats der Evangelischen Kirche Deutschlands aus dem Jahre 1950: „Es ist", so heißt es hier, „der Sinn des Mitbestimmungsrechts, das bloße Lohnarbeitsverhältnis zu überwinden und den Arbeiter als Menschen und Mitarbeiter ernst zu nehmen. Seine Verwirklichung wird nicht nur für den Arbeitnehmer, sondern für den Arbeitgeber und das Gemeinwesen ein Beitrag zur Gesundung unserer sozialen Verhältnisse sein."
Diese und andere Stellungnahmen zur Mitbestimmung sowie die Praxis der Mitbestimmung selbst lassen erkennen, daß die Mitbestimmung nicht einfach als eine Forderung gewerkschaftlicher „Funktionäre" oder einer gewerkschaftlich organisierten Minderheit betrachtet werden kann
III. Mitbestimmung und gewerkschaftliche Ordnungsvorstellungen
1. Die Mitbestimmung kann nur dann voll verstanden und gewürdigt werden, wenn man sie im Rahmen der gewerkschaftlichen Ordnungsvorstellungen insgesamt sieht. Während das Modell der „Wirtschaftsdemokratie", das bis zum Jahre 1933 von den Freien Gewerkschaften vertreten wurde, nur als eine Etappe auf dem Wege zur Sozialisierung betrachtet wurde, hat die Forderung nach Mitbestimmung, wie sie der Münchner Gründungskongreß des DGB erhob, ihre ursprüngliche und eigenständige Bedeutung. Im Grundsatzprogramm des DGB aus dem Jahre 1949 wird gesagt, daß die formale politische Demokratie nicht ausreiche, eine demokratische Wirtschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des politischen Lebens müsse deshalb durch eine Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden. Die Mitbestimmung erhält in diesem Programm ihren eigenen Standort, und zwar neben den anderen in diesem Programm genannten Zielen.
2. Noch deutlicher wird diese Stellung der Mitbestimmung im Düsseldorfer Grundsatzprogramm des DGB aus dem Jahre 1963. Dieses Programm läßt außerdem noch stärker eine Verschiebung des Schwergewichts der Mitbestimmungskonzeption vom wirtschaftspolitischen Bereich in Richtung auf die Einzel-unternehmen erkennen. Es erklärt eindeutig, daß gesamtwirtschaftliche Maßnahmen — wie Planung und Gemeineigentum — nicht alle gesellschaftspolitischen Probleme lösen könn-ten. Vielmehr seien zahlreiche — auch einzel-wirtschaftliche — Maßnahmen notwendig, um die Entwicklung unserer freiheitlichen Wirt-schaftsund Gesellschaftsordnung zu fördern. Im Düsseldorfer Grundsatzprogramm des DGB heißt es wörtlich: „Die Wirtschaft hat der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung der Persönlichkeiten innerhalb der menschlichen Gemeinschaft zu dienen . . . Die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist eine der Grundlagen der freiheitlichen und sozialen Gesellschaftsordnung. Sie entspricht dem Wesen des demokratischen und sozialen Rechtsstaates.“
Aus dieser Formulierung wird ersichtlich, daß die Mitbestimmung innerhalb der gewerkschaftlichen Ordnungsvorstellungen nicht irgendeinen, sondern den entscheidenden Platz einnimmt: Sie ist konstitutiver Bestandteil einer Gesellschaftsordnung, zu der die Gewerkschaften und mit ihnen die Arbeitnehmer sich bekennen wollen. Die Mitbestimmung wird als ein wichtiges Element zur Neuordnung der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen und zur vollen Integration der Arbeitnehmer in eine demokratische Gesellschaft bezeichnet.
3. Es ist im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Forderung nach einer Ausweitung der Mitbestimmung mehrfach gesagt worden, die deutschen Gewerkschaften entfernten sich auf Grund der „Mitbestimmung" von ihrem unsprünglichen Weg. Einzelne Soziologen behaupten, die Mitbestimmung führe zur Verwischung der bisher bestehenden klaren Interessengegensätze und sei einer auf Interessenpartikularismus beruhenden demokratischen Gesellschaft nicht gemäß. Dabei wird allerdings übersehen, daß das Modell, von dem diese Theoretiker ausgehen, einseitig und willkürlich konstruiert ist. Es ist das Modell einer „kapitalistischen" Gesellschaft, in der es immer nur eine Gruppe (An-teileigner bzw. das von ihm bestellte Management) gibt, welche die Wirtschaft leitet, während eine andere (die Arbeitnehmer) in ihr ausschließlich passiv, das heißt ausführend tätig ist. Die Möglichkeit einer Beteiligung der bisher nur ausführend tätigen Gruppe an den Leitungsfunktionen wird prinzipiell ausgeschlossen: Leitung und Ausführung verhalten sich wie Feuer und Wasser. Eine Verbindung zwischen ihnen erscheint nicht möglich. Den Anlaß für die Anwendung dieser „Theorie" auf die Mitbestimmung bot der Arbeitsdirektor. Bekanntlich kann er nach dem Montanmitbestimmungsgesetz nicht gegen die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bestellt oder abberufen werden. Obgleich der Arbeitsdirektor im übrigen mit der auch sonst für Vorstandsmitglieder üblichen Mehrheit bestellt wird, behandeln ihn die Konflikttheoretiker als „Arbeitnehmervertreter im Vorstand". Wegen dieses — im übrigen auch innerhalb der Gewerkschaften keineswegs unumstrittenen — Bestellungsmodus des Arbeitsdirektors aber das gesamte System der Montanmitbestimmung — das heißt auch den paritätisch besetzten Aufsichtsrat — ablehnen zu wollen, hieße jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten. In der Tat läßt sich die Konflikttheorie — wenn überhaupt — nur gegen einen von der Mehrheit der Arbeitnehmergruppe im Aufsichtsrat völlig abhängigen Arbeitsdirektor verwenden, nicht aber gegen das Modell der Montanmitbestimmung ganz allgemein.
Die deutschen Gewerkschaften haben sich nicht zufällig, sondern bewußt für die Mitbestimmung entschieden. Im Unterschied zu den politisch radikalen Gewerkschaften Frankreichs und Italiens, die ihr Ziel in einer militanten und klassenkämpferischen Form der Interessenvertretung sehen und eine Gleichberechtigung der Arbeitnehmer nur jenseits des privaten Kapitalismus für möglich halten, stellen sich die deutschen Gewerkschaften auf den Boden unserer demokratischen Grundordnung. Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik stehen mit ihrer Haltung aber auch im Gegensatz zu den amerikanischen „Business Unions". Diese erkennen zwar die geltenden wirtschaftlichen und sozialen Strukturen an, fassen sich jedoch innerhalb der gegebenen Ordnung als kapitalistische Marktpartner auf und beschränken sich darauf, den „Preis für Arbeit" hochzutreiben und die Arbeitsbedingungen günstig zu gestalten. Sie nehmen keine Rücksicht auf die Folgen ihres Handelns, etwa unter übergeordneten Gesichtspunkten. Diese beiden extremen Möglichkeiten werden von den deutschen Gewerkschaften abgelehnt. Der DGB und seine Industriegewerkschaften erstreben weder den gewaltsamen Umsturz der geltenden Ordnung noch die bloße Maximierung des Einkommens für eine Interessengruppe. Vielmehr fassen sich die deutschen Gewerkschaften — wie auch das Grundsatzprogramm erkennen läßt — „als integrierender Bestandteil der Demokratie" auf. Daraus leiten sie ihre Forderungen ab. Deshalb akzeptieren sie aber auch die damit verbundenen Verpflichtungen. In diesem Sinne fordern sie die Mitbestimmung in den Unternehmen; zugleich bekennen sie sich offen zu der entsprechenden Mitverantwortung.
4. Am Beispiel der Mitbestimmung wird die Grundposition der deutschen Gewerkschaften sichtbar, eine verantwortliche Politik im Rahmen der Demokratie zu verfolgen. Der DGB und seine Industriegewerkschaften gehen seit ihrer Gründung davon aus, daß die demokratische Ordnung auf allen Gebieten gefestigt und gefördert werden muß. Gerade im Hinblick auf die besondere Situation des geteilten Deutschland erscheint es schlechterdings unmöglich, die Arbeitnehmer und ihre Organisationen aus der Verantwortung zu drängen. Wer dies versuchen wollte, würde unsere demokratische Ordnung schlechthin schwächen. Er müßte sich der Konsequenzen bewußt sein, die sich daraus ergeben, wenn dem größten organisierten Zusammenschluß von Menschen in diesem Staate Mitbestimmung und Verantwortung verweigert würde. Ohne eine volle Integration der Arbeitnehmer ist eine demokratische Ordnung, die mehr als formalen Charakter haben soll, nicht denkbar. Nur durch eine bewußte Teilnahme der Arbeitnehmer auch im wirtschaftlichen Bereich kann der Auftrag des Grundgesetzes erfüllt werden, die Bundesrepublik zu einem sozialen Rechtsstaat zu machen.
Seit ihrer Gründung haben die deutschen Gewerkschaften den Nachweis dafür geliefert, daß sie weit über den materiellen Bereich hinaus die Lebenslage der Arbeitnehmer im ganzen verbessern wollen.
Wie das vor kurzem erschienene Jahresgutachten 1965 des Sachverständigenrates feststellt, haben die deutschen Gewerkschaften in der Vergangenheit „keine aggressive Lohn-politik“betrieben; der durch Arbeitsstreitigkeiten verursachte Produktionsausfall erreichte den tiefsten Stand seit der Währungsreform. „Wahrscheinlich hat an dieser guten Bilanz", so schreiben die Sachverständigen, „das System von Institutionen, das für die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestimmend ist (Tarifautonomie, Betriebsverfassung, Mitbestimmung), keinen geringen Anteil gehabt."
5. Die deutschen Gewerkschaften sehen in der qualifizierten Mitbestimmung eine Möglichkeit, die Interessen der Arbeitnehmer unmittelbar ins Spiel zu bringen. Im Unterschied zur bestehenden Betriebsverfassung — die zwar von einem vertrauensvollen Geist der Zusammenarbeit spricht, dafür jedoch nicht die notwendigen Sachvoraussetzungen bietet — vermag die qualifizierte Mitbestimmung auf der Basis prinzipiell gleichen Rechts die Interessen der Arbeitnehmer wirksam und nicht auf Umwegen zu berücksichtigen.
Für die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften bedeutet die qualifizierte Mitbestimmung die Übertragung allgemein anerkannter Ge-staltungs-und Ordnungsprinzipien einer demokratischen Gesellschaft auf die wirtschaft-lichen Großgebilde. In der Tat erscheint es schlechterdings unverständlich, innerhalb des kommunalen oder sonstigen politischen Bereichs die für die Entscheidungen verantwortlichen Repräsentanten demokratisch zu legitimieren, während dieser Grundsatz für die relativ kleine Zahl der Großunternehmungen nicht gelten soll. Das Eigentum allein gibt jedenfalls nicht schon die Berechtigung, auch über Menschen zu verfügen. Eigentumsrecht und Mitbestimmungsrecht ergänzen einander. Sie beide müssen das Ziel verfolgen, die Würde des Menschen im Rahmen leistungsfähiger und dynamischer Unternehmen zu respektieren. Das eine schließt das andere somit nicht aus.
IV. Die Mitbestimmungsvorstellungen des DGB
Seit nunmehr über 15 Jahren gilt für die Großunternehmen der deutschen Montanwirtschaft eine Form der Mitbestimmung, die sich nach allgemeinem Urteil ausgezeichnet bewährt hat: Die Aufsichtsräte der Kapitalgesellschaften in der Stahlindustrie und im Bergbau sind je zur Hälfte aus Repräsentanten der Arbeitnehmer und der Anteilseigner besetzt. Beide Gruppen gemeinsam wählen einen „neutralen Mann", der über den Gruppeninteressen stehen und das Vertrauen beider Seiten genießen soll. Unter den Arbeitnehmervertretern sind im Verhältnis 2: 3 sowohl Vertreter der Belegschaften (Betriebsräte) als auch der gewerkschaftlichen Organisationen zu finden. Von den außerbetrieblichen Arbeitnehmervertre20 tern muß wiederum in der Regel ein Mitglied frei von unmittelbaren Bindungen gegenüber den Gewerkschaften sein. Als „weiteres Mitglied" soll dieses Aufsichtsratsmitglied (wie schon der neutrale Mann) das öffentliche Interesse im Unternehmen verkörpern. Ein „weiteres Mitglied“ gibt es auch auf der Seite der Anteilseigner. Der so zusammengesetzte Aufsichtsrat enthält somit drei verschiedene Arten von Repräsentanten: die Anteilseignervertreter, die Vertreter des öffentlichen Interesses und die Arbeitnehmervertreter. Letztere wiederum setzen sich aus betrieblichen und außer-betrieblichen Arbeitnehmervertretern zusammen. Den Vorständen der Montanunternehmen gehört ferner mindestens ein Mitglied an, das als „Arbeitsdirektor" mit der Betreuung des Personal-und Sozialressorts beauftragt ist. Der Arbeitsdirektor ist gleichberechtigtes Vorstandsmitglied und wird von der Mehrheit des gesamten Aufsichtsrats bestellt. In den Gesellschaften, die unter das Mitbestimmungsgesetz des Jahres 1951 fallen, kann er allerdings nicht gegen die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bestellt oder abberufen werden. Der Arbeitsdirektor ist somit nicht etwa ein „Gewerkschaftsfunktionär im Vorstand", sondern gleichberechtigtes Mitglied der Unternehmensleitung. Die Forderung nach qualifizierter Mitbestimmung läuft darauf hinaus, dieses bewährte Modell der Montanmitbestimmung auch auf die großen Kapitalgesellschaften der übrigen Wirtschaftsbereiche auszudehnen. Es erscheint nämlich wenig verständlich, eine Regelung, die sich in einem Wirtschaftsbereich seit über anderthalb Jahrzehnten vorbildlich bewährt hat, nicht auch für die Großunternehmen der übrigen Wirtschaftszweige gelten zu lassen. Wenn die Mitbestimmung den Grunderfordernissen einer demokratischen Gesellschaftsordnung entspricht und wenn sie sich als Modell bereits in einem Wirtschaftszweig bewährt hat, wird auch der Gesetzgeber erwägen müssen, sie auf die übrigen Bereiche auszudehnen. Der DGB und seine Industriegewerkschaften haben den ihnen durch zahlreiche Kongresse erteilten Auftrag einer Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung jedoch behutsam aufgegriffen. Sie beschränken ihre Forderungen bewußt auf jene Großunternehmen, die in der Rechtsform der Kapitalgesellschaften betrieben werden. Es handelt sich dabei, geht man von den Kriterien 2000 Beschäftigte, 75 Millionen DM Bilanzsumme und 150 Millionen DM Umsatz aus (von denen jeweils zwei vorliegen müßten), um nicht mehr als rund 300 bis 350 Unternehmen, die zusätzlich unter die qualifizierte Mitbestimmung fallen würden. Eine Ausweitung der Mitbestimmung auf Einzel-unternehmen und Peisonalgesellschaften wird schon deshalb nicht gefordert, weil bei ihnen Privat-und Betriebsvermögen nicht getrennt und die Haftungsprobleme nicht zu lösen sind. Im übrigen werden die Fälle, in denen Großunternehmen in der Form einer Personal-gesellschaft oder eines Einzelunternehmens betrieben werden, immer seltener. Die Tendenz zur Konzentration und die großen Probleme des gemeinsamen Marktes zwingen auf lange Sicht dazu, die Rechtsform der Kapitalgesellschaft (Aktiengesellschaft und GmbH) zu wählen. Die Aufsichtsräte dieser rund 300 bis 350 großen Kapitalgesellschaften sollen prinzipiell nach dem Montanbeispiel besetzt, und in die Vorstände als Sachverwalter des Personal-und Sozialressorts soll ein Arbeitsdirektor bestellt werden.
Uber diesen Bereich hinaus hat der DGB keinerlei weitere „Stufen" der Mitbestimmung gefordert. Allerdings ist es — völlig unabhängig von einer Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung — notwendig, die Rechte der Betriebsräte auf Grund des Betriebsverfassungsgesetzes — nicht auch zuletzt im Hinblick auf die große Zahl der Klein-und Mittelbetriebe — zu verbessern.
V. Begründung
1. Der Vorschlag des DGB zur Erweiterung der qualifizierten Mitbestimmung bezieht sich lediglich auf Großunternehmen. Dies ist kein Zufall. Innerhalb der Gesamtwirtschaft gewinnt das Großunternehmen zunehmend an Bedeutung. Wie bereits die Konzentrationsenquete des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft sichtbar macht, hat sich der relaB tive Anteil der Großunternehmen in den letzten Jahren erheblich vergrößert. Großunternehmen verfügen nicht nur über die Möglichkeit, moderne Produktionsverfahren und -techniken einzusetzen, sondern auch über erheblich umfangreichere Finanzierungsmittel im Vergleich zu kleineren Unternehmen. Sie haben auch langfristig den mittleren und klei-neren Unternehmen gegenüber ökonomische Vorteile.
Die Gewerkschaften haben keinen Anlaß, diese Entwicklung einer zunehmenden Konzentration zu bekämpfen, wenn damit eine bessere Versorgung der Verbraucher und günstigere Lebensbedingungen verbunden sind. Andererseits ergibt sich jedoch die Frage, ob Unternehmen dieser Größenordnung nicht eine Bedeutung gewinnen, die über den „rein wirtschaftlichen" Rahmen hinauswächst. Großunternehmen sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Gebilde, von denen sowohl die Existenz der Beschäftigten und ihrer Familien selbst als auch die der Gemeinden und zahlreicher Lieferanten und Abnehmer abhängig sein kann.
2. Als wirtschaftliche Gebilde unterliegen Großunternehmen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Sie haben sich am Markt zu behaupten und Marktchancen zu nutzen. Im allgemeinen besitzen sie ein großes Maß von Gestaltungsfreiheit. Es ist — wie Professor Krelle richtig feststellt — nicht etwa so, als lägen für sie Preise, Produktion und Realeinkommen „gesetzlich" (auf Grund eines Markt-mechanismus) fest; vielmehr besteht für sie ein weiter „Unbestimmtheitsbereich", innerhalb dessen sie tätig sein können. Großunternehmen können ihre eigene Marktposition durch psychologische und sonstige Maßnahmen selbst beeinflussen.
Auf der anderen Seite stehen sie als gesellschaftliche Gebilde mit zahlreichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gruppen in enger Beziehung. Eine Vielzahl politischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren wirkt auf ihre Entscheidungen ein. Die Unternehmensleitung kann sich diesem Einfluß nicht entziehen. Vielmehr muß sie sich mit den zur Umwelt der Großunternehmen gehörenden sozialen Gruppen auseinandersetzen und deren Rolle als wirtschaftsgestaltende Kräfte anerkennen.
3. Als Modelltyp des Großunternehmens repräsentiert sich die Kapitalgesellschaft (Aktiengesellschaft und GmbH). Unternehmen in dieser Rechtsform erscheinen nicht mehr „als Organisation des privaten Eigentums-rechts", sondern als „selbständige Organisationen" und als „soziale Institutionen“ (so Hans Würdinger). Formal sind die Anteils-eigner (Aktionäie) vom Unternehmen selbst getrennt. Eigentümer-und Unternehmer-interessen fallen nur noch in Ausnahmen und kraft Personalunion zusammen. Das Interesse des die Entscheidungen treffenden Managements ist grundsätzlich nicht mehr identisch mit den Anteilseignerinteressen.
Diese Tatsache gewinnt erhebliche Bedeutung für die Frage nach der Legitimität unternehmerischen Handelns. In der Diskussion um die Mitbestimmung wird immer wieder auf das Recht des Eigentümers verwiesen, über sein Eigentum frei verfügen zu können. In der modernen Kapitalgesellschaft ist dieses Recht bereits gespalten. Die Beziehung zum Eigentum hat sich entscheidend abgeschwächt. Das Anteilseigentum hat sich funktionell verselbständigt auf ein bloßes Kapitalinteresse. Die Unternehmerfunktion geht hingegen (vor allem in Publikumsgesellschaften) mehr und mehr auf ein autonomes Management über, das sich dem Unternehmen mehr verpflichtet fühlt als den (meist kurzfristigen) Erwerbsinteressen der Aktionäre. Das Unternehmen wird somit zu einem autonomen Gebilde. Damit wird die überkommene Legitimitätsgrundlage in sich fragwürdig. Die Eigentumsidee wird deshalb auch in der Mitbestimmungsdiskussion häufig nur als „Tarnung" benutzt, um einer Diskussion über die Legitimation des verselbständigten Managements in großen Kapitalgesellschaften auszuweichen.
4. Aber auch unabhängig von dieser Verselbständigung des Unternehmerinteresses gegenüber den Kapitalinteressen in den großen Publikumsgesellschaften erscheint es höchst fragwürdig, die Mitbestimmung von den angeblichen Rechten des Eigentümers her ablehnen zu wollen. Vielmehr ist es aus sozial-ethischen Gründen höchst bedenklich, dem Eigentümer von Sachwerten gleichzeitig das Recht der Verfügung über Personen einzuräumen. Nach dem BGB gewährt das Eigentumsrecht dem Eigentümer nur das Recht, über seine Sache zu verfügen, nicht aber auch über Personen, die gezwungenerweise als Arbeitnehmer an und mit dieser Sachapparatur tätig sind. Es gibt weder logisch noch sozialethisch unmittelbare Beziehungen zwischen dem Verfügungsrecht des Eigentümers und der Verfügung über Menschen. Vielmehr ist dieses überkommene Recht lediglich aus der Zufälligkeit und der besonderen Struktur des Arbeitsmarktes verständlich, welche Arbeitnehmer kraft ihrer Vermögenslosigkeit dazu nötigt, ihre Arbeitskraft an die Besitzer von Kapital zu verkaufen. Daraus jedoch ein Recht des Eigentümers ableiten zu wollen, über Arbeitnehmer frei verfügen zu können, erscheint äußerst fragwürdig zu sein. 5. Die Mitbestimmung findet ihre entscheidende Begründung in der Konzeption der „VerantwortlichenGesellschaft“. Eine moderne Industriegesellschaft sollte allen ihren Mitgliedern — in welcher Eigenschaft sie auch in ihr tätig sein mögen — die Chance geben, sich selbstverantwortlich zu betätigen. Die von Karl Marx kritisierte Objektsituation des Arbeitnehmers ist zwar bereits durch eine Vielzahl von Gesetzen (z. B. durch das Betriebsverfassungsgesetz) gemildert, jedoch in entscheidenden Positionen noch nicht beseitigt worden. Die qualifizierte Mitbestimmung will diesen Schritt zur Subjektierung der Arbeitnehmer im Produktionsprozeß tun. Sie appelliert an die Mündigkeit jedes einzelnen mit dem Ziel, ihn im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren in die Willensbildung des Unternehmens einzubeziehen. Er soll — mittelbar wie unmittelbar — die Chance erhalten, auf das Unternehmensgeschehen selbst Einfluß zu nehmen. Bislang geschieht dies (sieht man einmal von der besonderen Situation des Montanoereichs ab) immer nur kraft gewährter Informations-oder Mitwirkungsrechte des Arbeitgebers; in Zukunft soll diese Selbstverantwortlichkeit und Mündigkeit des einzelnen auch institutionell gesichert sein. Die Formel von der Partnerschaft soll ihre Erfüllung in einer ausreichenden Gewährung von Rechten finden, durch welche die Interessen der Belegschaften im Rahmen der vorhandenen Unternehmensorgane berücksichtigt werden.
6. Schon heute finden in der modernen Kapitalgesellschaft Vertreter zahlreicher Interessen Berücksichtigung. Nur lag deren Auswahl bisher ausschließlich beim Vorstand bzw.den Anteilseignern. Die Mitbestimmung will diese Zufallsauswahl beseitigen. Wenn schon anerkannt wird, daß ein Unternehmen ein „pluralistisches Gebilde" ist, so sollte dieser Pluralismus sich auch objektiv in der Zusammensetzung der Unternehmensorgane äußern. Die Tatsache, daß in Großunternehmen Tausende von Menschen in einem Leistungs-und Verantwortungszusammenhang stehen, ist bisher nur im Ansatz anerkannt und institutionell verankert worden.
7. Das Ziel der cualifizierten Mitbestimmung ist es, das moderne Großunternehmen so zu ordnen, daß es mit den sonst allseits anerkannten Grundsätzen einer freiheitlichen Gesellschaft übereinstimmt. Freiheitliche und demokratische Prinzipien dieser Art müssen für jeden Ordnungsbereich gelten, in dem Menschen leben. Allerdings müssen die Formen und Methoden, in denen diese Prinzipien verwirklicht werden, von der Zwecksetzung und Struktur der jeweiligen Gebilde abhängig sein.
Die Mitbestimmung bedeutet deshalb auch nicht etwa die Übertragung von demokratischen Formalprinzipien auf die moderne Großunternehmung, sondern vielmehr die Realisierung eines allgemein anerkannten ethischen und sittlichen Postulats. Sie darf weder die Geschlossenheit der Unternehmensleitung beeinträchtigen noch die Effezienz der Unternehmenspolitik verringern. Dies aber wiederum führt zwangsläufig dazu, daß sich das eigentliche Unternehmensorgan (Vorstand) nicht aus Repräsentanten verschiedener Interessen zusammensetzen, sondern lediglich als geschlossenes Ganzes operieren kann. Der Arbeitsdirektor im Vorstand kann deshalb auch nicht Vertreter des Arbeitnehmerinteresses, sondern nur Vorstandsmitglied wie jedes andere sein. Er hat lediglich die besondere Verpflichtung, die Interessen der Beschäftigten innerhalb der Unternehmensleitung im Rahmen der vom Aufsichtsrat beschlossenen Richtlinien und Geschäftsordnungen zu verfolgen. Er sollte allerdings nicht nur die fachlichen, sondern auch die menschlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung seiner Funktion besitzen.
Gerade die Besonderheit der Verfassung der deutschen Aktiengesellschaft (und analog die der GmbH) bietet die beste Gewähr dafür, daß die Mitbestimmung wirksam wird, ohne die Effezienz der Unternehmensleitung zu verringern. Neben dem Vorstand (der nach dem neuen Aktiengesetz das Unternehmen unter eigener Verantwortung zu leiten hat) verfügt der Aufsichtsrat über wichtige Funktionen: Er bestellt den Vorstand und beruft ihn gegebenenfalls ab, macht dessen wichtigste Entscheidungen von seiner vorherigen Zustimmung abhängig, beschließt den Jahresabschluß und anderes mehr. Der Aufsichtsrat, obgleich Unternehmensorgan, kann selbst keine Geschäftspolitik betreiben. Er beschließt jedoch die Prinzipien, nach denen sich der Vorstand zu richten hat. Das für eine effektive Mitbestimmung geeignete Organ ist deshalb der Aufsichtsrat. In ihm finden sich die Vertreter der verschiedensten Interessen, er beschließt über die Richtlinien der Unternehmenspolitik, von seiner Zustimmung sind die wichtigsten Entscheidungen des Vorstandes abhängig. Im Aufsichtsrat kann sich eine Willensbildung vollziehen, welche die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. Der Vorstand seinerseits hat im Rahmen der vom Aufsichtsrat beschlossenen Richtlinien einheitlich zu verfahren. Der Mitbestimmung wird nicht selten der Vorwurf gemacht, sie führe zu einer Spaltung der Unternehmensleitung. Wer sie in der hier geschilderten Art sieht, kommt sehr bald zu dem Urteil, daß dieser Vorwurf falsch ist und weder der Konstruktion noch der Sache nach stimmt.
VI. Die Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung
Wenn in den vergangenen Monaten häufig gefragt wurde, wie eigentlich die Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung seien, so nicht zuletzt deshalb, weil außerhalb der Montanindustrie über die positiven Wirkungen des dortigen Mitbestimmungssystems wenig bekannt ist. Tatsache ist jedoch, daß die Montanmitbestimmung nicht nur zu einer verbesserten Information in den Unternehmen führte, sondern auch den Freiheitsspielraum der in den Unternehmen Tätigen vergrößerte, die soziale Sicherheit erhöhte und die betriebliche Sozial-und Lohnpolitik objektivierte. Um nur ein Beispiel zu nennen: In keinem anderen Wirtschaftszweig gibt es eine Pensionsordnung, welche die Gewährung freiwilliger Leistungen der betrieblichen Altersversorgung auch dann garantiert, wenn ein Arbeitnehmer seinen Betrieb wechselt. Die Pensionsordnung der Eisen-und Stahlindustrie — die auf Initiative der Arbeitsdirektoren geschaffen wurde — gilt für den gesamten Wirtschaftsbereich, nicht nur für Einzelunternehmen. Beispiele dieser Art über den Stil der Sozialpolitik im Montanbereich ließen sich beliebig vermehren. Wichtiger sind jedoch die gesellschaftspolitischen Erfolge der Montanmitbestimmung. Sie führten zu einem weitgehenden Prozeß der Versachlichung, der Demokratisierung und zu spürbar gewandelten Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen. Darüber hinaus wurden — in den Aufsichtsräten und Vorständen — bisher ungenutzte Kräfte an der Gestaltung der Unternehmenspolitik beteiligt, und die Montanunternehmen erwiesen sich mehr und mehr als gesellschaftspolitisches Leitbild auch für andere Großunternehmen. Erst das Montanmitbestimmungsgesetz veranlaßte auch andere Großunternehmen dazu, den Personal-und Sozialbereich durch ein Vorstandsmitglied betreuen zu lassen. Auch gibt es in keinem anderen Wirtschaftsbereich eine so weitgehende Übereinstimmung der Normen und Wirklichkeit des Betriebsverfassungsgesetzes wie in den Unternehmen der Montanindustrie.
VII. Zusammenfassung
Die Forderung nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist eng mit der Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung verbunden. Schon immer war sie der sichtbare Ausdruck der gesellschaftspolitischen Verpflichtung, zu der sich die Gewerkschaften in Deutschland bekannten. Die Mitbestimmung war zu keiner Zeit die Forderung nur einer Minderheit von „Funktionären". In ihren Grundanliegen erfüllt sie vielmehr das Verlangen der großen Mehrheit der Arbeitnehmer, aus „Wirtschaftsuntertanen zu Wirtschaftsbürgern" zu werden.
Die spezielle Form der qualifizierten Mitbestimmung entspricht dem Selbstverständnis der deutschen Gewerkschaften und ihrer Position innerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Im Hinblick auf die besondere Situation des geteilten Deutschland erscheint sie als die einzig realistische — weil freiheitliche — Alternative zu den Gesellschaftssystemen des Ostens.
Die Mitbestimmung führt zu keiner Verdek-kung, sondern zur deutlichen Sichtbarmachung vorhandener Interessenunterschiede. Sie ist ein Weg, diese zu institutionalisieren und in sachlicher Form austragen zu lassen.
Die Mitbestimmung beseitigt weder die vorhandene Eigentumsordnung, noch verringert sie die Leistungsfähigkeit der Unternehmens-leistungen. Sie soll vielmehr neben anderen Interessen auch die Interessen der Arbeitnehmer im Vorfeld der Entscheidungen berücksichtigen lassen. Insofern ist sie ein Instrument zur Stabilisierung unserer freiheitlichen Grundordnung.