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Die Mitbestimmung in ihrer geschichtlichen Entwicklung | APuZ 16/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 16/1966 Artikel 1 Die Mitbestimmung in ihrer geschichtlichen Entwicklung Die Mitbestimmung innerhalb der gewerkschaftlichen Ordnungsvorstellungen Mitbestimmung und Betriebsverfassung

Die Mitbestimmung in ihrer geschichtlichen Entwicklung

Helmar Drost

Wir beginnen in dieser Ausgabe mit der Veröffentlichung einer Reihe von Beiträgen, die von unterschiedlichen Positionen aus zur Forderung der Gewerkschaften nach einer Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung Stellung nehmen. Helmar Drost unternimmt einleitend einen geschichtlichen Rückblick auf die Einwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer auf die Gestaltung des Wirtschaftsprozesses in Deutschland seit der industriellen Revolution. Danach kommen Dr. Karl-Heinz Sohn, zur Zeit Leiter der Abteilung Mitbestimmung im Bundesvorstand des DGB, und Dr. Gisbert Kley, Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-verbände, zu Wort. In späteren Ausgaben folgen Beiträge von Abgeordneten der drei im Bundestag vertretenen Parteien und von einigen Persönlichkeiten der beiden christlichen Kirchen, die in der bisherigen Diskussion mit profilierten Stellungnahmen hervorgetreten sind.

Überprüfung der heutigen Argumentation anhand historischer Faktoren

Die Forderungen der Gewerkschaften, die qualifizierte Mitbestimmung in allen Großunternehmen einzuführen, gehört heute zu den umstrittensten Themen in der sozialpolitischen Diskussion. Befürworter und Gegner finden sich sowohl unter den Politikern und Unternehmern als auch unter den Arbeitnehmer-und Gewerkschaftsvertretern. Die Diskussion wird nicht zuletzt deshalb auf beiden Seiten mit solcher Schärfe und Polemik geführt, weil mit der Entscheidung für oder gegen die Mitbestimmung immer ethische Werturteile und gesellschaftspolitische Ordnungsvorstellungen verbunden sind. Die Frage der Mitbestimmung wird aus der Sicht des Neoliberalismus anders beantwortet als aus der Sicht der Evangelischen Sozialethik; der freiheitliche Sozialist geht von einer anderen Position aus als der Vertreter der Katholischen Soziallehre.

Es kann nicht die Aufgabe des Sozialpolitikers als Wissenschaftler sein, die Ziele, die mit der Mitbestimmung erreicht werden sollen, daraufhin zu untersuchen, ob sie erstrebenswert sind oder nicht — vorausgesetzt, man akzeptiert die wissenschaftstheoretische Konzeption, die die wissenschaftliche Arbeit in der Formulierung intersubjektiv überprüfbarer Aussagen sieht. Aussagen, die sich auf diese Frage beziehen, können nur in einer präskriptiven Sprache formuliert werden, das heißt, sie sind mit wissenschaftlichen Methoden nicht überprüfbar und daher nie wahr oder falsch. Der Sozialpolitiker als Wissenschaftler kann nur darüber Aussagen treffen, ob die Mitbestimmung — als eine mögliche Form der Betriebsverfassung — ein zweckmäßiger Weg ist, bestimmte Ziele zu erreichen, für die sich vorher entschieden werden muß und die explizit zu nennen sind.

In dem folgenden Aufsatz werden nicht die Argumente behandelt, die unter Bezugnahme auf eine bestimmte Ordnungsvorstellung für Karl-Heinz Sohn Die Mitbestimmung innerhalb der gewerkschaftlichen Ordnungsvorstellungen .......................................... S. 17 Gisbert Kley Mitbestimmung und Betriebsverfassung ............................... S. 25 und gegen die Einführung oder die etwaige Ausweitung der Mitbestimmung angeführt werden. In ihm wird lediglich ein kurzer geschichtlicher Überblick über die Entwicklung dieser Institution gegeben. Es ist erstaunlich, wie selten in der gegenwärtigen Diskussion historische Faktoren als Erklärungsvariable herangezogen werden. In der Literatur über die Mitbestimmung, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen enormen Umfang annahm, vermißt man wirtschafts-und sozialgeschichtliche Untersuchungen, die sich auf ein eingehendes Quellenstudium stützen. Erst in jüngerer Zeit wurde in einigen umfassenden Darstellungen versucht, den geschichtlichen Hin-B tergrund der heutigen Betriebsverfassung, den engen wechselseitigen Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischen und politischen Vorgängen und der jeweiligen konkreten Ausgestaltung der Mitbestimmung aufzuzeigen Das in ihnen zusammengetragene Material kann zur Überprüfung der soziologischen Hypothesen über die Veränderungen der gesellschaftlichen und betrieblichen Sozialstruktur dienen, die von beiden Seiten in der Auseinandersetzung aufgestellt werden.

In einem geschichtlichen Rückblick kann die Bestimmung des Begriffs „Mitbestimmung" nicht von juristischer Exaktheit sein. Die Definition muß weit und allgemein bleiben, damit alle die unterschiedlichen Formen, in denen die Arbeitnehmer am betrieblichen und über-betrieblichen Willensbildungsprozeß teilnahmen, von ihr gedeckt werden.

Im IV. Teil des Betriebsverfassungsgesetzes (Betr. Vg) räumt der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsoder Mitwirkungsrecht ein. Diese beiden Rechte drücken eine unterschiedliche Intensität in der Einflußnahme der Arbeitnehmer auf die Entscheidungen innerhalb der Betriebe aus. Während das Mitwirkungsrecht dem Arbeitnehmer die Teilnahme an Beratungen, das Recht auf Anhörung und Information einräumt, bedeutet das Mitbestimmungsrecht, daß die Arbeitnehmer gleichberechtigt bei den Entschlüssen der Unternehmensleitung mitentscheiden. Im folgenden soll an dieser arbeitsrechtlichen Terminologie nicht festgehalten werden. Unter Mitbestimmung verstehen wir vielmehr alle Möglichkeiten der Einflußnahme der Arbeitnehmer auf den Ablauf und die Gestaltung des Wirtschaftsprozesses auf betrieblicher und über-betrieblicher Ebene

Die Entwicklung der Mitbestimmung bis zum Ersten Weltkrieg

Die Bestrebungen, dem Arbeitnehmer ein Mitspracherecht zu verschaffen, lassen sich bis zum Beginn der Industrialisierung zurückverfolgen. Erst die Entwicklung der Industrie-betriebe, die zur Vergrößerung der Distanz zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmerschaft führte, ließ die betriebliche Willensbildung und das gesamtwirtschaftliche Verfügungsrecht zu einem sozialen Problem werden. Während im politischen Bereich der Aufstand des Bürgertums in der Französischen Revolution die Unterwerfung des einzelnen unter eine autoritäre Zentralgewalt beseitigte, verlief die Entwicklung im wirtschaftlichen Bereich genau entgegengesetzt. Die sich immer stärker ausdehnenden Großbetriebe verlangten eine strenge Unterordnung des einzelnen Arbeitnehmers unter einen straffen, bis ins Detail vorschreibenden Unternehmensplan.

Untersucht man die Mitbestimmung daraufhin, welche Kräfte in der Geschichte ihre Aus-gestaltung vorantrieben, so kann man drei Herkunftslinien unterscheiden

Die erste Initiative ging zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einigen wenigen Unternehmern aus — es handelte sich dabei vorwiegend um Eigentümer von Mittelbetrieben —, die abweichend von dem damals herrschenden „Herr-im-Hause-Standpunkt" ihren Belegschaften gewisse Mitspracherechte in sozialen Angelegenheiten zugestanden. Unter diesen Unternehmern unterscheidet Teuteberg auf Grund der unterschiedlichen Motivierung ihrer freiwilligen Selbstbeschränkung drei Gruppen

Die sozial-liberale Gruppe:

Die Unternehmer dieser Gruppe sahen in der Einräumung gewisser Mitwirkungsrechte ein Mittel, den Leistungswillen ihrer Arbeiter zu steigern Und ihre Werkstreue zu festigen, um auf diesem Wege den Unternehmenserfolg zu vergrößern. Sie wurden demnach primär von wirtschaftlichen Nützlichkeitserwägungen bestimmt. Die sozial-ethische Gruppe:

Die Vertreter dieser Gruppe führten die soziale Entfremdung im Betrieb vor allem auf den Mangel an christlicher Harmonie unter den Menschen zurück. Ebenso wie die Gesellschaft im großen, so müsse der Betrieb im kleinen als eine einzige christliche Familie aulgefaßt werden.

Die „konstitutionelle Gruppe“:

Aus gesellschaftspolitischen Erwägungen heraus versuchte diese Gruppe das Modell der staatlichen Gewaltenteilung auf den Betrieb zu übertragen. Nach ihr sollte auch im wirtschaftlichen Sektor dem „absoluten Fabrik-monarchen" ein Arbeiterparlament gegenübergestellt werden, das auf Grund einer Fabrik-verfassung an der Betriebsherrschaft partizipieren sollte.

Von der Arbeitnehmerseite wurde die Forderung nach einer Übertragung der politisch verfassungsrechtlichen Wünsche auf den wirtschaftlichen Bereich zum erstenmal mit Nachdruck in der Revolution von 1848 vorgetragen. Erst nach ihrer gesetzlichen Anerkennung während des Ersten Weltkriegs machten sich jedoch die Gewerkschaften diese Forderung zu eigen. Seitdem nimmt die Frage der Mitbestimmung in allen ihren Programmen einen zentralen Platz ein.

Die dritte „Herkunftslinie'', die staatliche Gesetzgebung, begann relativ spät. Der erste Versuch, die Einseitigkeit in der Fabrikherrschaft aufzulockern, der vom volkswirtschaftlichen Ausschuß der Frankfurter Nationalversammlung ausgearbeitete Entwurf einer Gewerbeordnung, geriet schnell in Vergessenheit. Auch die Gewerbeordnungsnovelle von 1891 brachte noch keine gesetzliche Verankerung der Arbeitnehmervertretungen. Erst mit dem Hilfsdienstgesetz im Ersten Weltkrieg, durch das die Einrichtung von Betriebsausschüssen gesetzlich vorgeschrieben wurde, begann der Staat einen zunehmenden Einfluß auf die Gestaltung der Mitbestimmung zu nehmen.

Aus den vorindustriellen Formen der genossenschaftlichen Selbsthilfe, wie etwa den Knappschaften im Bergbau, den Bruderschaften im Handwerk, den Werkskassenvorständen usw., entwickelten sich durch die Initiative einiger fortschrittlicher Unternehmer die ersten Betriebsvertretungen, deren Tätigkeit zunächst noch auf die Verwaltung betrieblicher Wohlfahrtseinrichtungen beschränkt war. Unabhängig von diesen ersten praktischen Versuchen formulierten die Sozialreformer (u. a. Benedikt F. Xaver von Baader und Adam Müller) den Gedanken der Arbeiterausschüsse, die über die Beteiligung der Arbeiter an den Gewinnen, abgestuft nach der jeweiligen Lohn-höhe, mitbestimmen sollten. Ihr Ziel, die Eingliederung des „vierten Standes" in die Gesellschaft, war jedoch fast ausnahmslos an der ständischen Gliederung des Mittelalters orientiert. Der Einfluß der Sozialreformer auf das industrielle Leben des 19. Jahrhunderts war zwar sehr gering, es kommt ihnen jedoch das Verdienst zu, den Zusammenhang zwischen einer sich wandelnden Gesellschaftsordnung und einer neuen Sozialreform des Betriebs gesehen und in den betrieblichen Arbeiter-ausschüssen, den überbetrieblichen Arbeiterlandräten und Lohnausgleichskommissionen Formen der Mitsprache von Seiten der Arbeitnehmer vorgeschlagen zu haben.

Die Forderung der Arbeitnehmer nach einer demokratischen Wirtschaftsverfassung fn der Revolution von 1848 Zu den Forderungen des „vierten Standes" in den Revolutionsjahren 1848/49 gehörte eine gerechte und demokratische „Organisation der Arbeit" in Form einer Gewerbe-, Handwerks-und Fabrikordnung, die dem Arbeiter ein Mindestmaß gesellschaftlicher Gleichberechtigung und Teilhabe an der Regelung seiner Berufs-angelegenheiten sichern sollte. Von dem ersten durch ein allgemeines Wahlrecht zustande gekommenen deutschen Parlament in Frankfurt erhoffte man nicht nur die politische Einheit, sondern auch eine umfassende soziale Reform.

Der Gesetzentwurf für eine Reichsgewerbeordnung, der 1848 von dem volkswirtschaftlichen Ausschuß der Nationalversammlung vorgelegt wurde, stellte eines der bedeutenden Dokumente in der Geschichte der deutschen Mitbestimmung dar. In ihm fand in der Einrichtung der Betriebsausschüsse der Gedanke einer ständisch organisierten Betriebs-verfassung seinen Niederschlag. Nach diesem Entwurf sollte in jedem Betrieb ein Fabrikausschuß gebildet werden, der sich aus den gewählten Vertretern jeder selbständigen Fachgruppe der Fabrikarbeiter, einem Werkmeister aus jeder Gruppe und dem Unternehmer zusammensetzte. Seine geplanten Befugnisse reichten von der Vermittlung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei Arbeitsstreitigkeiten und der Überwachung der Fabrikordnung bis zur Vertretung der Fabrik in den Fabrikräten. Diese Fabrikräte sollten in jedem Gewerbebezirk von den einzelnen Fabrikausschüssen gewählt werden.

Ihre Aufgabe erstreckte sich unter anderem auf die Festsetzung der Arbeitszeit und der Kündigungsfristen, die Bestimmung der Anzahl der Lehrlinge in jedem Betrieb und die Überwachung der Arbeitsordnungen.

Die Fabrikausschüsse können in ihrer Struktur und Zusammensetzung als Vorläufer der späteren betrieblichen Arbeiterausschüsse und der Wirtschaftsausschüsse des Betr. Vg. angesehen werden. Die geplanten Fabrikräte wiesen große Ähnlichkeit mit den projektierten Arbeiterkammern der Wilhelminischen Epoche, den Bezirkswirtschaftsräten der Weimarer Republik und den Arbeiterkammern auf, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Bremen und im Saarland entstanden. Der erste Versuch eines staatlichen Eingriffes in die innerbetriebliche Verfassung drang nicht durch. Die tatsächlich verabschiedete Preußische Gewerbeordnung von 1845— 1849 sah lediglich die weitere Einschränkung der noch bestehenden Zunftprivilegien sowie den Ausbau des Systems der Unterstützungs-und Sterbekassen vor. Die auf die Auflösung des Frankfurter Parlamentes folgende Reaktion ließ den Gesetzentwurf und einzelne umfassende Vorschläge einzelner Abgeordneter in Vergessenheit geraten.

Die staatliche Initiative um die Jahrhundertwende Die Bildung des Norddeutschen Bundes machte eine Angleichung der verschiedenen Gewerbe-gesetzgebungen notwendig, um die im November 1876 verkündete Freizügigkeit für Arbeitnehmer zu gewährleisten. Die Hoffnung der Arbeiter, bei dieser Gelegenheit eine grundsätzliche Änderung in dem Stil der Betriebs-führung und der Betriebsverfassung herbeiführen zu können, erfüllte sich nicht. Die Gewerbeordnung von 1869 brachte keinen weiteren Schritt in Richtung auf eine betriebliche Mitbestimmung. Eine Sozialreform von unten über die gleichberechtigte Mitwirkung der Arbeitnehmer an den Entscheidungen der Unternehmensleitung scheiterte an dem Widerstand Bismarcks. Dieser glaubte vielmehr durch eine Neuregelung der gesamten berufsständischen Vertretung die sozialen Spannungen beheben zu können. Danach sollte der preußische Volkswirtschaftsrat als Vertretung der wirtschaftlichen Interessen ein Gegengewicht zu der politischen Vertretung des Parlamentes bilden Nach der Vorstellung Bismarcks sollte dieser Volkswirtschaftsrat, der 1880 gebildet wurde, die parlamentarische Spitze der das ganze Reich wie ein Netz überziehenden korporativen Genossenschaften sein. Auch dieser Institution war auf Grund des Widerstandes, vor allem der Zentrumsfraktion, die durch den Volkswirtschaftsrat die parlamentarische Autorität gefährdet sah, kein Erfolg beschieden. Bismarck mußte bald erkennen, daß „auf diesem Wege eine zeitgemäße Wiederbelebung des alten ständischen Gedankens und seine Einführung in den modernen repräsentativen Staat" nicht möglich war Ab 1883 trat der Volkswirtschaftsrat nicht mehr zusammen. Die anhaltenden schweren Wirtschaftskrisen und vor allem der große Bergarbeiterstreik im niederrheinisch-westfälischen Steinkohlenrevier im Jahre 1889 zeigten der damaligen Reichsregierung deutlich, daß sich die Lösung der sozialen Fragen nicht mehr weiter aufschieben ließ. Kaiser Wilhelm II. schaltete sich persönlich in die Auseinandersetzungen in der Bergbauindustrie ein. Ohne die eigentliche Problematik erkannt zu haben, glaubte er — noch ganz der Vorstellung des Gottesgnadentums des Herrschers verhaftet —, durch die persönliche Hinwendung des Monarchen zum Arbeiter die sozialen Spannungen aulheben zu können

In seinen berühmten „Februar-Erlassen" forderte der Kaiser gesetzliche Bestimmungen über die Vertretung der Arbeitnehmer bei der Regelung gemeinsamer Interessen. In dem Gesetzentwurf zur Abänderung der Gewerbeordnung — nach dem späteren preußischen Handelsminister auch Lex Berlepsch genannt — im Jahre 1890 fand der Wille des Kaisers seinen Niederschlag. Dieser Entwurf sah den Erlaß einer Arbeitsordnung für jeden Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten vor. Den in der Fabrik beschäftigten Arbeitern sollte Gelegenheit gegeben werden, sich über den Inhalt der Arbeitsordnung zu äußern (§ 134 d).

Die nach heftigen Debatten im Reichstag verabschiedete Gewerbeordnungsnovelle sah zwar keine pflichtweise Einführung von Betriebsvertretungen vor, sie erzwang jedoch die Bildung von Arbeiterausschüssen indirekt dadurch, daß sie die Anhörung der Belegschaft bei der Verabschiedung der Arbeitsordnung vorschrieb, die Belegschaft in Großbetrieben jedoch nur durch Arbeiterausschüsse repräsentiert werden konnte

Die Arbeiter mußten laut gesetzlichen Bestimmungen zwar gehört werden, in der Regel kamen die Arbeitsordnungen, vor allem in der Großindustrie, ohne Mitwirkung der Arbeitnehmer zustande und entbehrten jeglicher Kontrolle. Sie stellten einseitige Erlasse des Fabrikherrn dar. Der Widerstand der Unternehmer und das Mißtrauen der Arbeiter führten dazu, daß die auf Grund der Novelle entstandenen Betriebsausschüsse — im Gegensatz-zu den bestehenden freiwilligen Ausschüssen — nur ein Schattendasein führten. Die Beschränkung der Unternehmerautonomie in der monarchischen Staatsverfassung war zum letzten Male fehlgeschlagen.

Die gesetzliche Einführung von Betriebsvertretungen im Ersten Weltkrieg Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte das Jahr 1905 mit der Berggesetznovelle noch einen Höhepunkt in der sozialpolitischen Gesetzgebung. Durch diese Novelle wurde in einem der wichtigsten Industriezweige Preußens die Errichtung von ständigen Betriebs-vertretungen zwingend vorgeschrieben. Im Gegensatz zu den •— auf Grund der Gewerbeordnungsnovelle von 1891 entstandenen —• Arbeiterausschüssen wurden den Arbeitern über das Mitspracherecht bei der Verabschiedung der Arbeitsordnungen hinaus echte Mitwirkungsbefugnisse in personellen und sozialen Fragen des Arbeitsverhältnisses eingeräumt. Die Tatsache, daß die Bergarbeitergewerkschaft sich zum erstenmal für die Verabschiedung eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einsetzte, zeigt, daß die Berggesetznovelle auch in ihren Augen einen ernsthaften Schritt in Richtung auf eine Lösung der Mitbestimmungsfrage darstellte. Die Stellung der Bergarbeitergewerkschaft in der Auseinandersetzung um die Berggesetznovelle zeigt darüber hinaus exemplarisch den Wandel der sozialistischen Gewerkschaften von einer revolutionären zu einer revisionistischen Bewegung. Schon bald nach der Jahrhundertwende sahen die Gewerkschaften in den Arbeiterausschüssen nicht mehr ein „konstitutionelles Feigenblatt des Kapitalismus" (A. Bebel), sondern eine durch das Gesetz legitimierte betriebliche Interessenvertretung, ein Kontrollorgan zur Überwachung der Tarifverträge. Wenn es nach dem Burgfrieden von 1914 den Gewerkschaften in kurzer Zeit gelang, von den Unternehmern in der Frage der Arbeitervertretungen eine Reihe von Zugeständnissen zu erlangen, so wurde damit deutlich, daß die Arbeiterausschüsse auf breiter Basis nur mit einem starken gewerkschaftlichen Rückhalt lebensfähig waren. Der durch den Krieg sich immer stärker bemerkbar machende Arbeitskräftemangel zwang die Regierung und die Unternehmer, auf die Forderungen der Gewerkschaften einzugehen. Abgesehen vom Bergbau wurden in vielen Gewerbezweigen paritätische Arbeitsgemeinschaften gebildet, die unter anderem bei der Bestimmung der Arbeitszeit, der Lohnfestsetzung, den Fragen des Strafwesens und den betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen zu Rate gezogen wurden. Ein einschneidendes Ereignis, mit dem die totale Mobilisierung des deutschen Volkes eingeleitet wurde, bildete das „Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst", das auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung Ende 1916 verabschiedet wurde. In § 11 dieses Gesetzes wurde bestimmt, daß alle für den Vaterländischen Hilfsdienst tätigen Betriebe mit mehr als 50 Arbeitnehmern ständige Arbeiter-und Angestelltenausschüsse einrichten mußten. Die Gewerbeaufsichtsämter und die durch das Gesetz erstmalig als legitime Vertretung der Arbeiterschaft anerkannten Gewerkschaften achteten auf die strenge Durchführung dieser Bestimmung. Mit diesem ersten entscheidenden Eingriff des Staates in die innerbetriebliche Verfassung waren nach jahrzehntelanger Diskussion die Arbeiterausschüsse für den gesamten Bereich der Wirtschaft Wirklichkeit geworden. Das Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik und die Mitbestimmungsgesetze nach dem Zweiten Weltkrieg fanden in dem Hilfsdienstgesetz ihren wichtigsten Vorläufer.

Die Mitbestimmung in der Weimarer Republik

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatte es zunächst den Anschein, als hätte sich auch die Einstellung der Unternehmer in der Frage der Mitbestimmung gewandelt.

Die Zentralarbeitsgemeinschaft Als sich im Oktober 1918 Unternehmer und führende Vertreter der Arbeitnehmerschaft trafen, um über Maßnahmen für einen Über-gang von der Kriegs-zur Friedenswirtschaft zu beraten, tauchte der Gedanke einer zentralen Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber-und Arbeitnehmerverbände wieder auf. Mit dieser Arbeitsgemeinschaft verbanden die Sozialpartner die Vorstellung einer auf dem freien Willen der Beteiligten beruhenden, die gesamte Industrie Deutschlands umfassenden Körperschaft, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt vertreten sein sollten. Am 15. November 1918 wurde von den maßgebenden Arbeitgeber-und Arbeitnehmer-organisationen der Vertrag zur Gründung der „Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands" unterzeichnet. Die Unternehmer, die sich noch während des Krieges gegen eine solche Arbeitsgemeinschaft ausgesprochen hatten, glaubten mit diesem Schritt vor allem politische Unruhen verhindern sowie die Gefahr der Sozialisierung und einer wachsenden Einflußnahme der Bürokratie bei der Überführung der Kriegs-in die Friedenswirtschaft bannen zu können.

Schon bald nach der Unterzeichnung mehrten sich jedoch die Stimmen in beiden Lagern gegen die Arbeitsgemeinschaft. Während die christlichen Gewerkschaften ihre grundsätzlich positive Haltung gegenüber der Arbeitsgemeinschaft beibehielten, setzten sich im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund immer stärker die radikaleren Arbeitnehmer-verbände durch, die in der Arbeitsgemeinschaft nur ein Erbe des Burgfriedens und einen Hemmschuh in dem Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse sahen. Die Unklarheit der rechtlichen Stellung und der wirtschaftlichen Funktionen sowie Schwierigkeiten in der Organisation — die Unterteilung in Fach-und Untergruppen versagte — führten schon in den ersten Nachkriegsjähren wieder zur Auflösung der Zentralarbeitsgemeinschaft.

Der Rätegedanke Im Gegensatz zu der ständischen Konzeption einer Betriebsverfassung, die in den Betriebs-ausschüssen und der zentralen Arbeitsgemeinschaft mögliche Gestaltungsformen gefunden hatte, stand der Rätegedanke. Er betonte die unüberbrückbare Frontstellung in der sich Arbeiter und Unternehmer im Betrieb gegenüberständen. Die Vertreter der Rätebewegung sahen in der Mitbestimmung keine Institution, die die Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufhob und beide Partner in einer „Leistungsgemeinschaft" verband. Sie hofften vielmehr, über die Einrichtung von Betriebsräten als einseitigen Interessenvertretungen der Arbeiter in jedem Betrieb einen sozialistischen Vorposten aufbauen zu können, um damit die Kapitalisten im Kampf mit den Arbeitern entscheidend zu schwächen. In der Diskussion zwischen der radikalen und reformistischen Gruppe innerhalb der Rätebewegung erschien die Mitbestimmung als ein Weg, die kapitalistische Wirtschaftsordnung und die formale Demokratie in eine „soziale Demokratie" umzuwandeln, in der sich Elemente des Sozialismus und Anarchismus in eigenartiger Weise verbanden. Wenn auch die politischen Vorstellungen der Rätebewegung nicht realisiert wurden, so gaben sie doch für die Gesetzgebung starke Impulse. Die Richtlinien für die Eingliederung der Arbeiterräte, die auf dem Rätekongreß von 1918 von der Mehrheit der sich gegen ein Rätesystem aussprechenden Abgeordneten ausgearbeitet worden waren, bildeten die Grundlage für den Artikel 165 der Weimarer Verfassung. Dieser Artikel schrieb vor, daß Arbeiter und Angestellte gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Arbeitsund Lohnbedingungen sowie an den gesamtwirtschaftlichen Entscheidungen mitwirken sollten. In Ausführung des Artikels 165 wurden am 4. Februar 1920 das Betriebsrätegesetz und am 15. Februar 1922 das Ausführungsgesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat erlassen. Das Betriebsrätegesetz versuchte die in Artikel 165 entwickelten Ordnungsprinzipien in die Betriebsverfassung einzuführen, wie etwa das Prinzip der Mitwirkung der Arbeitnehmer bei der Betriebsleitung (§ 66), die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat (§§ 70— 72), die Berichterstat8 tung und Auskunftspflicht der Unternehmer sowie die Pflicht zur Vorlegung der Bilanz Den Arbeitern wurde das Recht zugestanden, in Betriebsvereinbarungen alle betrieblichen Arbeitsbedingungen, wie Kündigungen, Arbeitszeit-und Lohnfestsetzung usw., mit den Arbeitgebern zu regeln. Diese im Betriebsrätegesetz festgelegten Rechte bedeuteten gegenüber dem Hilfsdienstgesetz einen weiteren entscheidenden Schritt in Richtung auf eine streng zweiseitige Betriebsverfassung.

Die Konzeption der Wirtschaftsdemokratie Die Forderung der Arbeiter nach einer gleichberechtigten Teilnahme an dem Willensbildungsprozeß inner-und außerhalb des Betriebes fand in der Weimarer Republik einen weiteren Ausdruck in dem Gedanken der Wirtschaftsdemokratie, der — im Gegensatz zu den meisten bisher besprochenen Formen der betrieblichen. Mitbestimmung — die Mitwirkung der Arbeitnehmer auf überbetrieblicher Ebene in den Vordergrund stellte. In der Programmschrift „Wirtschaftsdemokratie", die Fritz Naphtali im Auftrage des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes 1928 heraus-brachte, wurde die „Umwandlung der leitenden Organe der Wirtschaft aus Organen der kapitalistischen Interessen in solche der Allgemeinheit" gefordert. Nach Naphtali sollte die wirtschaftliche Autokratie dadurch beseitigt werden, daß neben die politische auch eine wirtschaftliche Demokratie trat. Analog zu der politischen Gleichstellung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollte die wirtschaftliche Demokratie aus dem Wirtschaftsuntertanen einen Wirtschaftsbürger machen

In der Wirtschaftsdemokratie sah Naphtali die Ergänzung der sozialistischen Idee. Uber die Demokratisierung der Wirtschaft sollte die Arbeiterklasse zu einer neuen Gesellschaftsform, dem Sozialismus, geführt werden. Die gleichberechtigte betriebliche Mitbestimmung bildete somit nicht das Endziel. In der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Betriebsführung wurde lediglich eine Vorschulung zur endgültigen Wirtschaftsführung gesehen. Die meisten Gewerkschaftsführer der damaligen Zeit erblickten vielmehr in einer betrieblichen Mitbestimmung ohne gleichzeitige Beteiligung an der gesamtwirtschaftlichen Führung die Gefahr einer Aufsplitterung der Arbeitsfront in einzelne Interessengruppen in Form der Werksgemeinschaften.

Der Aufbau eines überbetrieblichen Räte-systems, von dem die Demokratisierung der Wirtschaft ausgehen sollte, wurde jedoch nicht realisiert. Der vorläufige Reichswirtschaftsrat als Zentralorgan verlor schon bald nach seiner Gründung jegliche Bedeutung. Obwohl die Weimarer Verfassung unter dem Eindruck der Revolution von 1918 die ordnungspolitische Funktion der Gewerkschaften im Artikel 165 weitgehend anerkannte, kam eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern in der Wirtschaftsführung nicht zustande. Der Grund mag einmal speziell in dem hartnäckigen Widerstand der Unternehmer, vor allem gegen die wirtschaftliche Mitbestimmung, gesehen werden. Die Hauptursache mag jedoch, wie Golo Mann in einer Studie über die Jahre nach der Revolutiion von 1918 aufzeigt, darin gelegen haben, daß auch in der Weimarer Republik der alte Herrschaftsapparat mit seiner Justiz, Verwaltung und Wirtschaft erhalten blieb, der dem Anliegen der Weimarer Verfassung im Grunde fremd gegenüberstand

„Die Ordnung der nationalen Arbeit“ zwischen 1933— 1945

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 wurde die Entwicklung zu einer zweiseitigen Betriebsverfassung, in der den Belegschaftsvertretern als gleichberechtigten Sozialpartnern die Teilnahme an allen betrieblichen Entscheidungen auf sozia-lern, personellem und wirtschaftlichem Gebiet eingeräumt wird, scharf unterbrochen. Das Zweipartnerprinzip entsprach nicht den Ordnungsprinzipien eines totalitären Staates. An seine Stelle trat das Führerprinzip, nach dem nicht nur der gesamte Staatsapparat, sondern auch jeder einzelne Betrieb aufgebaut werden sollte. Der nationalsozialistische „Führerbetrieb" mit seiner militärischen Ordnung be12) deutete eine Rückkehr zu der „monotypen"

Sozialform des Betriebs, wie sie im 19. Jahrhundert vorgeherrscht hatte

Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) vom 20. Januar 1934 sprach dem Unternehmer als dem „Führer einer im Betrieb in Treuepflicht verbundenen Gefolgschaft" die alleinige Entscheidungsgewalt und Verantwortung in allen betrieblichen Angelegenheiten zu (§ 2 AOG). Die Belegschaft — in der Sprache der damaligen Zeit die Gefolgschaft — besaß ebensowenig wie die überbetrieblichen Arbeitnehmerorganisationen irgendwelche Vertretungsrechte. Die Gewerkschaften zum Beispiel waren bereits in den ersten Monaten des Jahres 1933 aufgelöst und von der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) übernommen worden. Diese Organisation bildete den Kern für den Aufbau der Deutschen Arbeitsfront, in die in kürzester Zeit auch die übrigen Verbände der Arbeiter, Angestellten und Arbeitgeber eingegliedert wurden. In der Arbeitsfront sollten alle arbeitenden Menschen ohne Unterscheidung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung zusammengeschlossen werden. „Arbeiter soll neben Unternehmer stehen, nicht mehr getrennt durch Gruppen und Verbände, die der Wahrung besonderer wirtschaftlicher und sozialer Schichtungen und Interessen dienen". In ihr sollte die „völkische Idee", mit der der Arbeiter über die starre Auslegung des Führerprinzips im Arbeitsordnungsgesetz hinweggetäuscht wurde, einen konkreten Ausdruck finden.

Während die nationalsozialistische Propaganda mit allen Instrumenten aus der Rüstkammer der Demagogie den deutschen Arbeitern zu einem „vollwertigen Glied der Volksgemeinschaft" erhob, wurden innerhalb der Unternehmen die Betriebsräte durch sogenannte Vertrauensräte ersetzt. Im Gegensatz zum Betriebsrat kann der Vertrauensrat nicht als Vertretungsorgan der Belegschaft angesehen werden, das die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber dem Unternehmer zu vertreten hat. Es gab keine unterschiedlichen Interessen mehr. Die Vertrauensmänner, die direkt dem Unternehmensleiter unterstanden, hatten nicht die Aufgabe, mit diesem Vereinbarungen abzuschließen, sondern sie übten lediglich eine beratende Funktion aus.

Die „absolute Betriebsgewalt" des Unternehmers wurde ihrerseits weitgehend öffentlich kontrolliert und gelenkt. Die Reichstreuhänder der Arbeit hatten als staatlich beauftragte Organe die Unternehmer und Vertrauensmänner zu überwachen sowie für die Erhaltung des Arbeitsfriedens und die Festsetzung der Tarifordnungen zu sorgen. Eingriffe in die Betriebsgewalt waren den Treuhändern in den Fällen erlaubt, in denen die Unternehmer ihren vom Staat übertragenen Pflichten nicht in ausreichendem Maße nachkamen. Vertrauensmänner konnten jederzeit wegen persönlicher und sachlicher Ungeeignetheit abberufen werden. Auf Grund dieser im Arbeitsordnungsgesetz festgelegten Direktionsgewalt der Treuhänder kann die Betriebsform der nationalsozialistischen Zeit als „Führerbetrieb" mit staatlicher Lenkung und Kontrolle gekennzeichnet werden

Die Mitbestimmung nach dem Zweiten Weltkrieg

Mit der Deklaration über die Niederlage Deutschlands übernahmen die vier Siegermächte die Regierungsgewalt. Im August 1945 wurde der alliierte Kontrollrat als oberstes Zentralorgan eingesetzt. Eine seiner ersten Maßnahmen bildete die Veröffentlichung des 13 sogenannten Industrieplanes, in dem die Höhe der Reparationen und der Nachkriegsstand der deutschen Wirtschaft für die Demontagen festgesetzt wurde. Nach diesem Plan sollte zum Beispiel die Höchstproduktion der deutschen Stahlund Eisenindustrie auf 30 Prozent der Erzeugung des Jahres 1936 beschränkt werden, während die Kohleförderung auf Grund des akuten Kohlebedarfes der westlichen Länder keiner Beschränkung unterliegen sollte Schon bald nach der Bildung des Kontrollrates vollzog sich jedoch eine unterschiedliche Entwicklung innerhalb der einzelnen Zonen. Die Montanindustrie an der Ruhr lag im britischen Besatzungsgebiet, in dem Ende 1945 eine eigene Behörde zur Verwaltung der Wirtschaft errichtet wurde. Dies war für die Entwicklung der Eisen-und Stahlindustrie und der Bergbauindustrie deshalb von einiger Bedeutung, weil zu dieser Zeit in Großbritannien die Labour Party regierte. Eine ihrer ersten Maßnahmen war die Verstaatlichung des britischen Bergbaues, dem Jahre später die Stahl-industrie folgte. Es lag deshalb nahe, daß die britische Regierung ähnliche Ziele an der Ruhr verfolgte, nämlich:

Auflösung der unter Privateigentum stehenden Kartelle und Konzerne, Überführung der Schwerindustrie in Gemein-eigentum, Beschränkung der Produktionskapazität auf die Friedenserzeugung.

Nach Auffassung der britischen Besatzungsbehörde sollte die Neugestaltung der westdeutschen Industrie dabei nicht ohne die wesentliche Beteiligung der Gewerkschaften als legitime Interessenvertretungen der Arbeiterschaft vollzogen werden. Sie nahm dabei Bezug auf das Kontrollratsgesetz Nr. 22, das in seinem Artikel Nr. 1 die Einrichtung von Betriebsräten zur Wahrnehmung der Interessen der Arbeiter vorsah. Schon bald nach dem völligen Zusammenbruch trafen sich einige Gewerkschaftsvertreter, um über die ersten Schritte zu einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Neuordnung zu beraten. Die ersten Entwürfe zu einer neuen Betriebsverfassung orientierten sich weitgehend an den Gedanken der Wirtschaftsdemokratie und der Betriebsräte der Weimarer Zeit. Dies zeigte sich auch deutlich in den wirtschaftspolitischen Grundsätzen, die auf dem Gründungskongreß der Gewerkschaften im Oktober 1949 beschlossen wurden.

Als die alliierte Kohlenkontrolle (North German Coal Control) 1947 die Deutsche Kohlenbergbau-Leitung ins Leben rief, wurde der Wunsch der Gewerkschaften nach einer Beteiligung bei der Bildung dieser Treuhänder-vereinigung dadurch berücksichtigt, daß in den Beirat neben sechs Arbeitgebervertretern auch sechs Gewerkschaftsvertreter gewählt wurden. Den Forderungen der Gewerkschaften wurde von der britischen Behörde weiterhin dadurch Rechnung getragen, daß im Rahmen der neu errichteten Treuhandverwaltung eine besondere Abteilung unter Leitung eines früheren Gewerkschaftsvertreters eingerichtet wurde, die sich besonders mit Personal-und Sozialfragen der eisenschaffenden Industrie befassen sollte.

Die Probleme der Neuordnung von Gesellschaft und Wirtschaft — und damit auch die Frage einer neuen Betriebsverfassung — beschäftigte jedoch nicht nur die Vertreter der Gewerkschaften. Schon in den ersten Nachkriegsjahren schalteten sich die Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche in das Gespräch um die Mitbestimmung ein. In der Entschließung des 73. Deutschen Katholiken-tages in Bochum wurde die Mitbestimmung als ein der gottgewollten Ordnung immanentes natürliches Recht bezeichnet. Die Stellungnahmen der evangelischen Kirche zur Mitbestimmung auf dem Evangelischen Kirchentag in Essen im Jahre 1950 deckten sich weitgehend mit dem katholischen Standpunkt. Der Beitrag der beiden Kirchen löste in Arbeitgeber-und Arbeitnehmerkreisen erneut eine heftige Diskussion aus.

Auch auf Unternehmerseite schien in den ersten Nachkriegsjähren kein ernsthafter Widerstand gegen die Beteiligung der Arbeitnehmer an den betrieblichen Beschlüssen zu bestehen. Als im Rahmen der von den Alliierten angeordneten Entflechtung 24 Werke der eisenschaffenden Industrie aus den alten Konzernen herausgelöst und als juristisch selbständige Personen begründet wurden, konnten die Gewerkschaften eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte und die Entsendung eines Arbeitsdirektors ohne großen Widerspruch durchsetzen. Der Grund für diese weitgehenden Zugeständnisse wird meist darin gesehen, daß die Unternehmer in den Gewerkschaften einen Verbündeten gegen die Demontage und Entflechtungsbestrebungen der Alliierten suchten.

Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von dem Zusammenbruch traten in den Gesprächen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern die alten Meinungsverschiedenheiten jedoch wieder stärker zutage. Als der DGB am 14. April 1950 in seinem Entwurf zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft für alle Großbetriebe eine wirtschaftliche Mitbestimmung durch paritätisch besetzte Aufsichtsorgane und Wirtschaftsausschüsse vorsah, erschien den Unternehmern diese Forderung nicht mehr akzeptabel. Die Mitbestimmung auch in wirtschaftlichen Fragen und die Entsendung eines Ar-B beitsdirektors wurden mit dem Hinweis auf den damit in der Welt einmaligen Rechts-zustand abgelehnt. Einige Wochen später veröffentlichten die Vereinigung der Arbeitgeber-verbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie eine Stellungnahme, in der den Arbeitnehmern folgende Zugeständnisse gemacht wurden:

Vierteljährliche Berichterstattung der Unternehmensleitung an den Betriebsrat über die wirtschaftliche Lage des Betriebes; Mitentscheidung des Betriebsrates bei der Verwaltung betrieblicher Einrichtungen; Besetzung des Aufsichtsrates mit einem Drittel Arbeitnehmervertreter.

Als am 25. November 1950 noch immer keine Einigung zwischen den Tarifpartnern erzielt worden war, griffen die Gewerkschaften zu ihrem letzten Druckmittel, dem Streik. In der Urabstimmung in der Metallindustrie und im Bergbau sprach sich die überwiegende Mehrzahl der Arbeiter für den Streik aus. In dieser Situation schaltete sich der Bundeskanzler ein. Nach heftigen Verhandlungen, in denen besonders die Benennung des elften Mannes im Aufsichtsrat und der Arbeitsdirektor umstritten waren, einigte man sich im Januar 1951 grundsätzlich über die Richtlinien der Mitbestimmung im Bergbau und in der eisen-schaffenden Industrie.

Das Montan-Mitbestimmungsgesetz vom 10. April 1951 (MGB)

Im April 1951 wurde das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie verabschiedet. Das Gesetz regelt die Mitbestimmung in einem der wichtigsten Teilbereiche der deutschen Wirtschaft. Innerhalb dieses Bereiches werden alle Unternehmen in Form einer Aktiengesellschaft, einer GmbH oder einer bergrechtlichen Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit und in der Regel mit mehr als 1000 Beschäftigten erfaßt. Die Betriebsverfassung der deutschen Kohle-und Stahlindustrie bildet zur Zeit die extremste Form einer Zweiseitigkeit in der betrieblichen Sozialordnung. Die Mitbestimmung vollzieht sich auf zwei Ebenen, im Aufsichtsrat und im Vorstand.

Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat:

Durch die Entsendung ihrer Vertreter in den Aufsichtsrat wird den Arbeitnehmern ein Mit-entscheidungsrecht in allen Angelegenheiten gegeben.

Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat beinhaltet zwar primär nur eine Beteiligung der Arbeitnehmer an kontrollierenden Funktionen, etwa der Überwachung der Geschäftsführung, der Überprüfung und Mitwirkung beim Jahresabschluß usw. Das Recht, den Vorstand zu bestellen und abzuberufen, gibt jedoch den Aufsichtsratsmitgliedern die Möglichkeit einer entscheidenden Einflußnahme auf das betriebliche Geschehen.

Nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz setzt sich der Aufsichtsrat in der Regel aus je fünf Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und einem elften Mitglied zusammen, das auf bindenden Vorschlag einer qualifizierten Mehrheit der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt wird. Beim elften neutralen Mitglied handelt es sich meist um eine Persönlichkeit aus dem öffentlichen Leben, der Wirtschaft oder Verwaltung. Der Betriebsrat schlägt dem Wahlorgan zwei Arbeitnehmervertreter vor, und zwar immer je einen der betriebsangehörigen Arbeiter und Angestellten, damit die jeweilige Belegschaft eine unmittelbare Einflußmöglichkeit besitzt. Die restlichen drei Arbeitnehmervertreter werden von den Gewerkschaften vorgeschlagen. Die Vertreter der Anteilseigner werden bei einer Aktiengesellschaft durch die Hauptversammlung aus den Reihen der Aktionäre gewählt. Das MGB sieht vor, daß das fünfte Mitglied auf beiden Seiten weder Repräsentant einer Gewerkschaft bzw. einer Arbeitgeberorganisation noch Betriebsangehöriger sein soll.

Die Mitbestimmung im Vorstand:

Das relativ stärkste Mitbestimmungsrecht gewährt das MBG dem Arbeitnehmer durch den Arbeitsdirektor, der nicht gegen die Mehrheit der im Aufsichtsrat sitzenden Arbeitnehmervertreter in den Vorstand gewählt werden kann. Neben dem technischen und kaufmännischen Direktor ist er gleichberechtigtes Vorstandsmitglied und hat damit wie diese die volle Verantwortung der Unternehmensleitung zu tragen. Die Vorstandsstellung des Arbeitsdirektors, in der bereits ein Übergang von der Mitbestimmung zur Mitdirektion zu sehen ist, erfordert deshalb ein hohes diplomatisches Geschick, weil der Arbeitsdirektor in seiner Vorstandsfunktion Arbeitgeber ist, zu-12 gleich aber auch Interessenvertreter der Arbeitnehmer, von deren Vertrauen er angesichts der Möglichkeit der Abberufung und der fünfjährigen Wahlperiode entscheidend abhängig ist.

Das Betriebsverfassungsgesetz vom 1. Oktober 1952 (Betr. Vg.)

Nachdem die Mitbestimmung der Arbeitnehmer nur in der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie gesetzlich geregelt worden war, forderten die Gewerkschaften eine Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft. In der Diskussion vor Erlaß des Betriebsverfassungsgesetzes waren vor allem vier Punkte Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitgeber-und Gewerkschaftsvertretern.

Die Kritik der Gewerkschaften richtete sich einmal gegen die vorgesehene Sonderregelung in der Frage der Mitbestimmung für die Betriebe und Verwaltungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Die Gewerkschaften verwiesen auf das Betriebsrätegesetz von 1920, in dem bereits eine einheitliche Regelung der Mitbestimmung für Arbeiter und Angestellte sowohl der privaten wie der öffentlichen Wirtschaft vorgesehen war.

Zum anderen kritisierten die Gewerkschaften die Einstellung der Unternehmer bezüglich der Mitbestimmung in wirtschaftlichen und personellen Angelegenheiten. In Fragen der Einstellung, der Versetzung und Entlassung von Betriebsangehörigen wollten die Arbeitgeber die alleinige Entscheidungsgewalt beibehalten. Sie wollten weiterhin in ihrer Entscheidungsfreiheit in bezug auf wirtschaftliche Fragen weder durch die Zustimmung des Betriebsrates noch durch die notwendige Einwilligung eines Gremiums von Gewerkschaftsvertretern eingeschränkt werden.

Den strittigsten Punkt bildete wie in der Auseinandersetzung vor Verabschiedung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes die Frage der Zusammensetzung des Aufsichtsrates. Während die Gewerkschaften eine paritätische Besetzung forderten, stimmten die Unternehmer nur der Besetzung durch ein Viertel der Arbeitnehmer zu. Die Aufnahme betriebsfremder Arbeitnehmer in einen Aufsichtsrat mit mehr als sechs Mitgliedern lehnten die Unternehmer ab.

Gegen den Widerstand der Gewerkschaften wurde schließlich das Betriebsverfassungsgesetz am 1. Dezember 1951 verabschiedet. Es findet Anwendung auf alle Betriebe mit privater Rechtsform und mindestens fünf ständigen Beschäftigten. Das Betriebsverfassungsgesetz geht in den Mitbestimmungsrechten keineswegs so weit wie das Montan-Mitbe-stimmungsgesetz. Es stellt den deutlichen Versuch eines Kompromisses zwischen den beiden Sozialpartnern dar. Durch dieses Gesetz wird die Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch drei Einrichtungen institutionell verankert: den Wirtschaftsrat, Aufsichtsrat und Betriebsrat. Der Wirtschaftsrat Dieses Gemeinschaftsgremium der betrieblichen Sozialpartner ist für Unternehmen mit mehr als hundert Beschäftigten vorgeschrieben. Die Tätigkeit des Ausschusses, der paritätisch mit vier, maximal mit acht Mitgliedern besetzt ist, erstreckt sich auf informatorische und beratende Funktionen. So ist zum Beispiel die Unternehmensleitung verpflichtet, jeden Jahresabschluß vor dem Wirtschaftsausschuß zu erläutern.

Der Aufsichtsrat Im Gegensatz zu den Bestimmungen des Mon-tan-Mitbestimmungsgesetzes setzt sich dieses Aufsichtsorgan der Kapitalgesellschaften aus einem Drittel Arbeitnehmervertretern und zwei Drittel Anteilseignervertretern zusammen. Obwohl allen Aufsichtsratmitgliedern die gleichen Rechte und Pflichten zustehen, ist die volle Mitbestimmung durch die minorisierende Beschränkung auf ein Drittel der Stimmen stark eingeschränkt.

Der Betriebsrat In dieser Interessenvertretung der Belegschaft kann der wichtigste Träger der Mitbestimmung in den privaten und den fiskalischen Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und Landwirtschaft gesehen werden. Der Betriebsrat wird in allen Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten von den Arbeitnehmern, getrennt nach Arbeitern und Angestellten, für zwei Jahre gewählt. Die Zahl seiner Mitglieder richtet sich nach der Zahl der Beschäftigten, sie schwankt zwischen 1 bis 35. Die Mitbestimmungsrechte dieses Gremiums beziehen sich primär auf soziale Fragen, wie etwa die Vereinbarung über die Dauer der Arbeitszeit, die Urlaubsplanung, die Einführung neuer Entlohnungsmethoden, die Verabschiedung neuer Betriebsvereinbarungen usw. Diese Rechte kann der Betriebsrat auf zweierlei Arten geltend machen. Einmal, indem er mit der jeweiligen Unternehmensleitung generelle Betriebs-vereinbarungen trifft, in deren Rahmen der Unternehmer von Fall zu Fall die notwendigen Anordnungen erteilt, zum anderen, indem er in jedem einzelnen Fall die jeweiligen Maßnahmen mit den beschlußfassenden Organen abstimmt.

Neben der Mitbestimmung in sozialen Fragen haben die Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als zwanzig Beschäftigten nach dem Betriebsverfassungsgesetz ein Informationsund Einspruchsrecht auch in personellen Angelegenheiten. In Fällen der Nichteinigung mit der Unternehmensleitung kann das Arbeitsgericht auf Antrag des Betriebsrates die betreffende Maßnahme rückgängig machen. In personellen Fragen kann man also nur von einem bedingten Mitentscheidungsrecht der Arbeitnehmer sprechen. In wirtschaftlichen Angelegenheiten schließlich hat der Betriebsrat dann ein Mitbestimmungsrecht, wenn Betriebsveränderungen, wie etwa Einschränkungen in der Produktion, Stillegung des Betriebes, Zusammenschluß mit anderen Betrieben, zu wesentlichen Nachteilen für die Belegschaft führen können.

Das Mitbestimmungsergänzungsgesetz (Holding-Novelle) vom 7. August 1956 Schon bald nach der Verabschiedung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des anschließenden Betriebsverfassungsgesetzes tauchte die Frage der Mitbestimmung erneut in der sozialpolitischen Diskussion auf, als die Gewerkschaften die Ausdehnung der qualifizierten Mitbestimmung auch auf die Holding-Gesellschaften forderten. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Unternehmer-und Gewerkschaftsvertretern traten offen zutage, als 1953 die bis dahin mitbestimmten Tochter-gesellschaften des Mannesmann-Konzerns auf eine Muttergesellschaft umgewandelt werden sollten und aus diesem Grunde die Betriebsräte des Konzerns aufgefordert wurden, ihre Vertreter für den neu zu bestellenden Aufsichtsrat nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes zu wählen. Die Schutzvereinigung der Wertpapierbesitzer forderte eine Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes mit der Begründung, daß eine Übertragung der Bestimmungen des Montan-Mitbestimmungsgesetzes auf die Holding-Gesellschaften eine Potenzierung der Mitbestimmung innerhalb des Konzerns bedeuten würde. Bei einer qualifizierten Mitbestimmung in der Konzerndachgesellschaft könne der Vorstand mit einem Arbeitsdirektor nämlich die Organe der mitbestimmten Tochtergesellschaften bestellen.

Die Gewerkschaften entgegneten, daß die Mitbestimmung innerhalb der in dem Konzern zusammengeschlossenen Betriebe zu einer Farce würde, wenn man die Mitbestimmung nicht auch auf die Holding-Gesellschaft über-trüge, die letztlich alle wesentlichen Entscheidungen träfe

Die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmer-und Arbeitgebervertretern wurden erst im Jahre 1956 mit der Verabschiedung der Holding-Novelle durch den Bundestag beendet. Das Gesetz regelt die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in Aktiengesellschaften, GmbH und bergrechtlichen Gewerkschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit, die auf Grund eines Organschaftsverhältnisses Unternehmen „beherrschen", für die die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Voraussetzung für die Anwendung des Gesetzes ist, daß die Umsätze der unter das Gesetz fallenden Tochtergesellschaften die Umsätze der übrigen Konzernunternehmen übersteigen.

Das Betriebsverfassungsgesetz wie auch das Mitbestimmungsergänzungsgesetz sehen die Mitbestimmung auf gleichen Ebenen vor, nämlich der des Aufsichtsrates und der des Vorstandes. Der Grundsatz der Gleichberechtigung von Arbeitnehmervertreter und Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat wird allerdings durch § 15 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes bei „beherrschenden" Unternehmen unterbrochen, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, die mit einem Viertel der Anteile an einem anderen Unternehmen beteiligt ist. Diese dem Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat widersprechende Bestimmung soll verhindern, daß die Arbeitnehmer nicht zusätzliche Mitbestimmungsrechte erhalten, die schon ein anderes Unternehmen betreffen.

Abgesehen von dem geringen Anwendungsbereich — nur acht Dachgesellschaften wurden von der Regelung betroffen — verfehlte das Gesetz seine Wirkung nicht zuletzt deshalb, weil auf Grund einiger neuer Gesetze die steuerliche Begünstigung der Kapitalgesell-schäften fortfiel und deshalb zahlreiche Gesellschaften wieder in Personalgesellschaften umgewandelt wurden. Da jedoch die Umwandlung statt auf eine Personalgesellschaft auch auf den übernehmenden Hauptgesellschafter erfolgen konnte, falls dieser mehr als drei Viertel des Grundkapitals auf sich vereinigte, wurde in allen diesen Fällen die Mitbestimmung in den umgewandelten Tochtergesellschaften ersatzlos beseitigt.

Auswirkungen der Mitbestimmung untersuchen

Mit der kurzen Darstellung der Bestimmungen der Holding-Novelle wollen wir unseren geschichtlichen Rückblick abbrechen. Das Mitbestimmungsergänzungsgesetz bildet den vorläufigen Abschluß der gesetzlichen Regelung der Mitbestimmung in Deutschland. Alle späteren Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern beruhen auf freiwilliger Basis.

Der Wirkungsgrad der institutioneilen Mitbestimmung zeigt in der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik vielfältige Abstufungen. Neben den relativ weitgehenden Rechten in der Montanindustrie bietet die Holding-Novelle geringere Möglichkeiten einer Mitentscheidung für den Arbeitnehmer. Einen erheblich geringeren Wirkungsgrad wiederum weist das Betriebsverfassungsgesetz auf, das durch sein Staffelprinzip der Belegschaft durch ihre Vertreter ein von den sozialen über die personellen bis zu den kaufmännischen und technischen Angelegenheiten abnehmendes Mitbestimmungsrecht einräumt.

Ein Vergleich mit anderen westlichen Ländern zeigt, daß zumindest de jure den westdeutschen Arbeitnehmern weitgehende Mitbestimmungsbefugnisse zugestanden werden. Es ist nun die Aufgabe der empirischen Sozialforschung, Untersuchungen darüber durchzuführen, wie sich die Mitbestimmung auf die innerbetriebliche Sozialstruktur auswirkt, wie die verschiedenen Organe zusammenarbeiten, welche Erfahrungen die Belegschaftsvertreter bisher in den Aussichtsräten und Vorständen gemacht haben Mit Hilfe solcher Untersuchungen können an Hand der tatsächlichen Entwicklung die theoretischen Überlegungen überprüft und korrigiert werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So u. a.: Otto Neuloh, Die deutsche Betriebsverfassung und ihre Sozialformen bis zur Mitbestimmung, Tübingen 1959; Hans Jürgen Teuteberg, Geschichte der industriellen Mitbestimmung in Deutschland, Tübingen 1961; Erich Potthoff, Zur Geschichte der Mitbestimmung, in: Zwischenbilanz der Mitbestimmung, hrsg. von der Hans-Böckler-Gesellschaft, Tübingen 1962.

  2. Wir folgen mit dieser Definition Ernst Schipp, Das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in Deutschland, Diss. Nürnberg 1952, S. 7.

  3. Die Einteilung in eine Angebotslinie der Unternehmer, eine Forderungslinie der Arbeitnehmer und eine Gesetzgebungslinie stammt von Otto Neuloh. Vgl.sein Werk: Die deutsche Betriebsverfassung und ihre Sozialformen bis zur Mitbestimmung, Tübingen 1959, S. 109.

  4. Vgl. Teuteberg, a. a. O., S. 228 ff.

  5. Vgl. Teuteberg, a. a. O., S. 355.

  6. Vgl. Teuteberg, a. a. O., S. 360.

  7. Vgl. Gerhard A. Ritter, Die Arbeiterbewegung im Wilhelminischen Reich, Berlin 1958, S. 19.

  8. Vgl. Teuteberg, a. a. O., S. 384.

  9. Vgl. Neuloh, a. a. O., S. 83.

  10. Fritz Naphtali, Wirtschaftsdemokratie — Ihr Wesen, Weg und Ziel, Berlin 1928, S. 15.

  11. Naphtali, a. a. O„ S. 18.

  12. Vgl. auch Potthoff, a. a. O., S. 12.

  13. Vgl. Otto Neuloh, a. a. O„ S. 85.

  14. Mansfeld-Pohl, Steinmann-Krause, Die Ordnung der Nationalen Arbeit. Kommentar zu dem Gesetz der Ordnung der nationalen Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben unter Berücksichtigung aller Durchführungsbestimmungen, Berlin-Leipzig—München 1934, S. 2.

  15. Vgl. Neuloh, a. a. O., S. 86.

  16. Vgl. Erich Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, Köln 1957, S. 23.

  17. Eine ausführliche Darstellung gibt Erich Potthoff. Vgl.sein Werk: Der Kampf um die Montan-Mitbestimmung, Köln 1957, S. 97 ff.

  18. Einige solcher Teiluntersuchungen liegen bereits vor. Vgl. u. a. Otto Blume, Zehn Jahre Mitbestimmung. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Zwischenbilanz der Mitbestimmung, Tübingen 1962.

Weitere Inhalte

Helmar Drost, Dipl. -Volkswirt, geboren 21. Januar 1941 in Breslau, Wiss. Assistent am Institut für Sozialpolitik der Ruhr-Universität Bochum.