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Elitebildung in der modernen Massengesellschaft | APuZ 14/1966 | bpb.de

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APuZ 14/1966 Artikel 1 Möglichkeiten und Grenzen politischer Mitarbeit der Bürger in einer modernen parlamentarischen Demokratie. Besinnung auf das Wesen politischer Erziehung und Bildung Elitebildung in der modernen Massengesellschaft

Elitebildung in der modernen Massengesellschaft

Joachim H. Knoll

Theoretische Vorüberlegungen

„In allen Gesellschaften gibt es zwei Klassen, eine die herrscht und eine die beherrscht wird. Die erste ist immer die weniger zahlreiche, sie versieht alle politischen Funktionen, monopolisiert die Macht und genießt deren Vorteile, während die zweite zahlreichere Klasse von der ersten befehligt und geleitet wird." Mit diesen Worten kennzeichnet der konservative Staatstheoretiker Gaetano Mosca (1895, Die herrschende Klasse) die zweischichtige Struktur eines jeden Staatswesens, sei es nun Republik oder Monarchie, beschreibt er den Zustand einer jeden Gesellschaftsgruppierung, gleich, ob diese mehr demokratisches oder mehr aristokratisches Gepräge trägt. Es ist die Grundformel der Führungsbildung.

Vom Gründungsakt her sind grundsätzlich zwei traditionelle Formen der Elitebildung festzustellen: Die charismatische Auslese, die die Erwählung und Weihe von einem Höheren herleitet, wie sie idealtypisch im theokratischen Staat verwirklicht wird. „Im Falle der charismatischen Herrschaft", so erklärt Max Weber, „wird dem charismatisch qualifizierten Führer als solchem kraft persönlichen Vertrauens in Offenbarung, Heldentum oder Vorbildlichkeit im Umkreis der Geltung des Glaubens an dieses Charisma gehorcht." Es muß demnach zu den rein technischen Fähigkeiten des Führens noch ein irrationales Moment, außergewöhnlich Beispielhaftes treten, um eine auf Vertrauen basierende Autorität zu garantieren. Ansehen, Vorbildlichkeit, Vertrauen enthalten irrationale Beiwerte. Der Prozeß der Elitebildung bei der charismatischen Herrschaftsausübung ist im wesentlichen ein Bestellverfahren von oben, vom charismatischen Führer aus, wobei sich Jüngerschaft oder Gefolgschaft bildet. Ihre entscheidende Qualität liegt im Gehorsam und im Vollzug und in der Sicherung der vom „Stifter" verkündeten® Lehre. Diese Elite hat Anteil am Charisma des Führers, empfängt von dort die Weihe. So muß etwa das königliche Gottesgnadentum vom Charisma her verstanden werden, wobei es sich um ein Charisma des Amts, nicht der Person handelt. Hingegen war etwa die nationalsozialistische Elite pseudocharismatisch, da der Führer von seiner Gefolgschaft erst in übermenschlichen Rang gesetzt wurde; das imitierte Charisma war von unten projiziert. Neben die charismatische Auslese tritt in der Neuzeit stärker die leistungs-und eignungsbedingte Elitebildung, die einen individuellen Charakter trägt. Sie vollzieht sich auf Grund der persönlichen Leistung und nach dem Rang ihrer Bedeutung für das Ganze. In ihrem Rahmen bilden sich führende Berufe heraus, in denen das Leitbild weitergegeben wird. Von hier aus ergibt sich ein Elitebegriff, der im persönlichen Format und in der öffentlichen Bedeutung seiner Tätigkeit, in der schöpferischen Qualität des einzelnen beruht. In dem Maße, wie der charismatische Gehalt der historischen Eliten verebbt, gewinnt dieser Elite-begriff an Geltung und Bedeutung. Während sich in normalen Zeiten, in denen Gesellschaft und staatliche Ordnung als verbindlich bejaht werden, die Führungsauslese fast unbewußt und unbemerkt vollzieht, stellt sich in Umbruchzeiten das Problem der Elitebildung intensiv und vielfältig. In der Epoche des Übergangs vom bürgerlichen Zeitalter zum Massenzeitalter hat sich daher die Diskussion über die Bildung einer politisch tragfähigen Eliteschicht immer mehr verstärkt.

Historische Wendepunkte und Führungsauslese

Einen dieser Wendepunkte, der gleichzeitig eine Umbruchsituation därstellt, markiert das Jahr 1918. In diesem Jahr zerbrach das Kaiserreich, und mit ihm wurde eine Gesellschaftsordnung, die bis dahin hierarchisch gegliedert war, in Frage gestellt. In der Wilhelminischen Ara und vor allen Dingen in der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in dieser Gesellschaft einen Kristallisations-und Bezugspunkt, den Ader Monarch abgab. Der Monarch war bis in das Jahr 1918 hin, trotz mancher Fragwürdigkeiten, die sich an Wilhelm II. feststellen ließen, eine unbezweifelte Institution. Das Ansehen des Monarchen ging nicht so sehr von seiner Persönlichkeit aus, sondern vielmehr von seinem Amt, das heißt sein Charisma, seine Weihe war ein Amtscharisma. In dieser Gesellschaft, die uns von Hans Fallada so anschaulich beschrieben wurde, hatte jeder seinen ihm zukommenden Platz. Keiner durfte aus seinem gesellschaftlichen Bezirk ausbrechen. Es war nach unten und oben hin alles geordnet. Es war, wie Stefan Zweig gelegentlich gesagt hat, das Goldene Zeitalter der Sicherheit.

Aber es hatte sich schon in der Wilhelmini-A sehen Ära, wenn nicht sogar schon früher, gezeigt, daß die herkömmlichen Führungsschichten, die sich vor allen Dingen aus dem Adel rekrutierten, zur Herstellung einer politischen Führung nicht mehr im Stande waren.

Im Jahre 1918 ist das Volk dann aus der Treuebindung an den Monarchen entlassen worden, und es fehlte fortan der Bezugspunkt, auf den hin man sich orientieren konnte. Die Gesellschaft und der Staat der Weimarer Republik waren rational, waren vordergründig.

Der Staat und die staatlichen Veranstaltungen waren ohne jene Wärme, die dem Kaiserreich in so starkem Maße innegewohnt hatte. Fortan war die Aufgabe gestellt, eine politische Führungsschicht zu bilden, die — ohne emotionelle Beiwerte — im Stande war, die GeB schäfte der Politik und die Geschäfte des Staates zu führen. Es ist dem Weimarer Staat indes kaum gelungen, die Herzen der Menschen zu erwärmen und sie zu einer auch gefühlsmäßigen Bejahung dieses Staates zu bringen. Es hat zwar eine Reihe von durchaus reputierlichen Versuchen gegeben, in der Weimarer Republik eine achtenswerte FührungsSchicht herauszustilisieren, aber. das mochte nicht gelingen, weil sich die restaurativen und konservativen Kräfte mit den progressiven nicht einigen konnten, und weil sich ein großer Teil des Bürgertums von vornherein gegen den Staat von Weimar stellte. Wollte man hier ausführlicher über die Elitebildung in der Weimarer Republik sprechen, so müßte man auf vielerlei hoffnungsvolle Ansätze hinweisen. In diesem Zusammenhang ist etwa zu denken an die vom liberalen Gedankengut ausgehende Gründung der Deutschen Hochschule für Politik, die mit viel Erwartungen begrüßt wurde, an den späten Max Weber und auch an Hugo Preuß, der für die kommunale Elite-bildung sehr Wesentliches geleistet hat. Selbst noch in der Endphase der Weimarer Republik, in den Jahren 1928— 1932, sind Versuche sichtbar geworden, diesem Staat eine überzeugende Führungsschicht zu geben und ihn vor der braunen Gefahr zu retten. Es war allerdings bedenklich, daß diejenigen, die auf der Seite des Konservativismus über ein einigermaßen vernünftiges Rezept verfügten, die Trennungslinie zum Nationalsozialismus nicht deutlich markierten. Der so mutige Edgar Julius Jung, der der Öffentlichkeit ein großes Paket von Vorschlägen und Überlegungen vorlegte, über die zu diskutieren gelohnt hätte, und seine Mitstreiter des Jungkonservativismus haben die Regierung Papen von den Gedanken her getragen, wobei Papen hinter der Gedankenfülle dieser Jungkonservativen weit zurückfiel. Die Vorstellungen, die sich im Jahre 1933, insbesondere in diesem Kreis regten, daß auf die erste Revolution des Natio15 nalsozialismus eine zweite des Jungkonservativismus folgen werde, haben sich allerdings als irrig und unrealistisch erwiesen. Nach der grausamen und schrecklichen Episode des Nationalsozialismus sind wir nach 1945 mit der Aufgabe konfrontiert worden, eine tatkräftige Führungsschicht herauszustilisieren.

Es muß hier eindeutig gesagt werden, daß jede Führungsbildung organisch wachsen muß, daß sich Eliten nicht willentlich züchten lassen. Die alten, von der Honoratioren-Politik geprägten Führungsschichten sind in den ganz anderen Verhältnissen einer rationalen Demokratie nicht mehr funktionstüchtig. Es ist ein Faktum, daß Macht, Ansehen und Reichtum nicht mehr zusammenfallen und daß aus diesem Auseinanderbrechen so wesentlicher Elemente Überlegungen erwachsen müssen, wie denn eine neue Führungsschicht sich formieren kann.

über die Elitebildung nach 1945 gibt es eine schier unübersehbare Fülle von feuilletonisti-

sehen Äußerungen, aber es gibt nur einige wenige Arbeiten, die sich zuverlässig mit dem . Phänomen der Führungsbildung in der modernen Massendemokratie gerade in Deutschland beschäftigt haben. Im Zusammenhang feuilletonistischer Arbeiten denke ich an den Beitrag von Friedrich Sieburg, der Prominenz und Elite in einen Gegensatz brachte und in pointierter Form schrieb, daß Prominenz durch Beifall zustande komme. Brillante Formulierungen dieser Art tragen aber vergleichsweise wenig zu einer sachgerechten Diskussion bei.

Funktionsgruppen und Funktionseliten

Viel stärker als im Jahre 1918 müssen wir davon ausgehen, daß es heute eindeutig nur leistungs-oder funktionsbestimmte Eliten gibt. Der Kreis derer, die heute zur Elite gerechnet werden können und dürfen, ist daher sehr viel schwerer zu beschreiben als in früheren Zeiten. Wenn man aber heute die Frage aufwerfen würde, wer denn zur Führungsschicht gehört, wer zum Kreis derer zählt, die die Elite in der Bundesrepublik ausmachen, so würde sich zunächst Ratlosigkeit einsteilen.

Wir denken bei dem Begriff der Elite und vor allen Dingen bei dem Begriff der Leistungselite zunächst an jene Gruppen, die einen prominenten Standort im Bereich der Politik und im Bereich der Wirtschaft haben. Die politische Elite ist dadurch charakterisiert, daß sie sich einen gewissen souveränen Standort bewahrt und daß ihr die Kommunikation zwischen den parteipolitischen Grenzen und Barrieren möglich geblieben ist. Wenn wir es also mit Funktionseliten in der Bundesrepublik zu tun haben, so ist zunächst zu fragen, welche Funktionsgruppen diese Funktionseliten konstituieren. Hier beziehe ich mich auf Überlegungen von Wolfgang Zapf, die ich seiner vortrefflichen Studie „Wandlungen der deutschen Elite" entnehme. Ich möchte bei den politischen Funktionsgruppen beginnen. Hierher gehören das Kabinett, die Landesregierungen, die Parlamente, die Parteien und auch Formen von politischer Elite, die in diesen Institutionen nicht faßbar sind. Neben diese politi sehe Elite tritt eine Elite, ebenfalls durch Leistung und Ansehen ausgezeichnet, die man als Verwaltungselite bezeichnen könnte, wie-wohl dieser Begriff nicht sonderlich prägnant ist. In diese Gruppe würden etwa die oberen Gerichte, die Verwaltungsspitzen der verschiedenen Behörden, der diplomatische Dienst fallen, auch die Generalität und natürlich das breite Reservoir der hochqualifizierten Verwaltungsbeamten, die heute zu einem großen Teil wieder jenes Format erlangt haben, das sie in der wilhelminischen und vorwilhelminischen Ära besaßen. Zu dem Kreis der Wirtschaftseliten zählen die Wirtschaftsverbände, die Großunternehmen, die Gewerkschaften und die Berufsverbände. In einem vierten Bereich stehen die konfessionell ge-bundenen und geprägten Eliten der protestantischen und katholischen Kirche und die aus der Masse herausragenden Kirchenführer. Schließlich muß an eine fünfte Gruppe gedacht werden, die allgemein umschrieben wird als „Funktionsträger in der Kulturverwaltung". Dazu würden etwa die Kultusminister und Jene Expertengremien zu rechnen sein, die kraft ihrer Unabhängigkeit weithin gewirkt haben und noch wirken. Ich denke in diesem Zusammenhang insbesondere an den Deut-schen Ausschuß für das Erziehungsund Bildungswesen, der im vergangenen Jahr seine Tätigkeit eingestellt hat, und auch an den so-eben berufenen Bildungsrat. Als eine letzte Gruppe nenne ich die herausragenden Vertreter der Meinungsbildung. Hier wären vor allen Dingen die in Presse, Rundfunk und Fernsehen tätigen Hauptverantwortlichen zu nennen, deren Rang vielfach unbestritten ist, die aber im Zusammenhang einer Elitendiskussion meist nicht in Betracht gezogen werden. Nun wird fraglos manch einer sagen, daß die hier Angezeigten sicher Funktionsgruppen markieren, daß ihnen aber noch nicht ohne weiteres das Prädikat einer Elite zukommt. Wir müssen uns aber von den Vorstellungen lösen, die im 19. Jahrhundert mit dem Begriff der Elite verbunden waren, und von jenen wertgebundenen Vorstellungen, wie sie etwa in der Honoratiorenpolitik am Ausgang des 19. Jahrhunderts gang und gäbe waren.

Gesellschaftliche Veränderungen

Der seit etwa 50 Jahren ablaufende und sich ständig beschleunigende Prozeß der gesellschaftlichen und staatlichen Strukturumwandlung in Richtung auf die nivellierte Mittelstandsgesellschaft und auf die durchfunktiona-lisierte Massendemokratie ist in Deutschland nach 1945 deutlich sichtbar geworden und hat auch die Herausbildung von Führungsschichten mitbestimmt. Das NS-Regime hatte eine Zeitlang versucht, diesen Vorgang bewußt zu überdecken und eine der tatsächlichen Gesellschaftsstruktur entgegengesetzte, mithin anachronistische Staats-und Gesellschaftsordnung propagiert, obwohl es im Grunde die Einebnung planmäßig vorangetrieben hatte. Mit dem Zusammenbruch von 1945 trat der aus dem Nationalismus entlassene und aus dessen Ideologie freigesetzte Mensch in eine veränderte Welt. Die Phänomene der Massen-demokratie, die in den zwanziger Jahren schon in Andeutungen sichtbar geworden waren und die sich in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in anderen Staaten inzwischen ausgeprägt hatten, waren vom Nationalsozialismus überdeckt worden. Aufs Ganze gesehen kann sich von dieser Entwicklung kein Land ausklammern, und die von den Soziologen mit dem Schlag-wort Vermassung umschriebenen Symptome, wie etwa Atomatisierung der Gesellschaft, Aufweichung traditioneller Integrationselemente, wie Familie oder Staat, das Anwachsen von Organisation und Apparat, sind allenthalben zu beobachten.

Neben diesem gesellschaftlichen Wandel hat sich auch das parteipolitische Verhalten der Bürger und das der Parteien — im Vergleich zur Weimarer Republik etwa —-grundsätzlich geändert. Die Parteien der Gegenwart sind rational und funktionstüchtig; die Bürger, die ein aktives Interesse an der Parteipolitik haben, haben sich diesem Denkvollzug und dieser Verhaltensweise angepaßt. Man wird vielleicht gegen eine solch aphoristische Darstellung unserer gegenwärtigen Zustände einwenden können, daß sie allzusehr von dem üblichen kulturpessimistischen Jargon getragen ist und daß es dieser Argumentation an einer positiven Einschätzung unserer Gegenwart fehlt. Aber ich würde mich hier einem Wort von Wilhelm Röpke anschließen, der gesagt hat: „Nur wer Pessimist genug ist, die ganze Größe der Gefahr zu erkennen, hat überhaupt die Möglichkeit, an ihrer Abwen-düng mitzuwirken." Es geht ja darum, hier einige Überlegungen darüber anzustellen, ob neben den genannten Funktionsbereichen auch auf anderen Gebieten und mit institutioneilen Hilfen Führungsschichten gebildet werden können.

Führungsbildung in der Wirtschaft

In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst einiges zum Führungsproblem in der Wirtschaft sagen.

Die Wirtschaft der Weimarer Demokratie mag in vielem als anachronistisch und opportunistisch erschienen sein, sie mag im Jahre 1933 versagt haben, weil sie sich allzuweit auf das Gebiet der Politik gewagt hat. Man kann dagegen aber nach 1945 beobachten, daß die Wirtschaft die Zeichen der Zeit verstanden hat. Wenn ich daran denke, in welch überzeugender Weise sich die Wirtschaft um die Heranbildung einer eigenen Führungsschicht bemüht hat, wie sie etwa auch, um nur ein Beispiel zu nennen, den Übergang von der Schule zur Arbeitswelt zu ihrem Teil bewältigt und geklärt hat, so muß man ihr bescheinigen, daß sie sich im Vergleich zu den zwanziger Jahren heute recht vorteilhaft ausnimmt. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen aus den Kreisen der Wirtschaft, der Großunternehmer, des Deutschen Industrie-und Handelstages, in denen sehr deutlich spürbar wird, wie man sich in verstärktem Maße darum bemüht, eine verjüngte Führung heranzubilden. Die Wirtschaft weiß, daß die Befähigung im industriellen Betrieb verantwortliche Funktionen zu übernehmen entscheidend eine Frage der Substanz und dann erst der Routine ist. Diese Einsicht ist international; sie ist in Amerika ebenso geläufig wie sie bei uns von berufener Seite nachdrücklich vertreten wird. So heißt es in einem Bericht der amerikanischen Gesellschaft für Ingenieurausbildung: „Sucht ein Fabrikant heute junge Ingenieure, dann schaut er sich im allgemeinen nach solchen Leuten um, die Eignung zum Betriebsleiter haben. Er sucht Männer, die sich durch Ordnungssinn, Sorgfalt, Geschicklichkeit bei der Lösung von Pro-irf'iln blemen, klares Vorstellungsvermögen, logisches Denken, die Fähigkeit, sich richtig auszudrücken und Unternehmungsgeist auszeichnen. Die Industrie als Ganzes braucht junge Ingenieure, und sie bemüht sich um deren Heran-bildung, die erstens fähig sind, Grundprinzipien zur schöpferischen Lösung neuer Probleme anzuwenden, wie sie im Fluß der technischen Entwicklung dauernd auftreten; zweitens in der Lage sind, ihren Beitrag zur Lösung der sozialen Probleme zu leisten; drittens eine Erziehung genossen haben, die ihnen die erforderliche Anpassungsfähigkeit verleiht, um mit der Änderung der Lebensziele, die mit der Reife einzutreten pflegt, fertig zu werden."

Nun hat es die Wirtschaft mit dieser Forderung und diesem Streben insofern leichter als die Politik, weil es im Rahmen der industriellen Unternehmungen ziemlich gleichgültig ist, welchem Bekenntnis oder welcher Richtung der Arbeiter oder der Angestellte angehört, sofern er sein Fach versteht und charakterlich zuverlässig ist. Gesichtspunkte wie die der Protektion oder persönliche Rücksichten spielen in großen Betrieben kaum eine Rolle mehr, seitdem sie aus den Händen der alten Familien-und Wirtschaftsdynastien mehr und mehr in das unpersönliche Eigentum von Aktionären übergegangen sind. Andererseits gelten die erwähnten Anforderungen speziell für die technische Führungsschicht, weil die Führungsaufgabe der eigentlichen Spitzengruppe sich auf den wirtschaftspolitischen Bereich zu beschränken pflegt. Die Spitzengruppe setzt sich aus den führenden Könnern des Wirtschaftslebens zusammen. Daß die großen Wirtschaftsführer zugleich große Techniker sind, ist seit den Zeiten von Siemens und Krupp kaum mehr der Fall; die Spezialisierung der einzelnen Bereiche macht eine universale Bewältigung schon physisch unmöglich.

In dieser Spitzengruppe zeigen sich naturgemäß auch oligarchische Tendenzen: die Neigung, möglichst wenig Kompetenz aus der Hand zu geben. Deshalb erhebt sich aus der Industrie selbst immer wieder die Mahnung an die Spitzengruppe, vor allem an die Konzernleiter, Sachreferate und spezielle Entscheidungsbefugnisse an die mittlere Führungs-

schicht afezugeben — einmal um sich selbst A für die Grundentscheidung freizuhalten, zum anderen um in dieser mittleren Schicht mittels solcher Eigenverantwortlichkeit den Nachwuchs für die Spitzenstellung heranzubilden.

Insgesamt läßt sich feststellen, daß die industrielle Wirtschaft die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Substanz und Funktion erkannt hat und den eigenständigen, urteilsfähigen gebildeten Menschen sucht, der bereit ist, seine innere Souveränität auf seine Arbeit zu übertragen. Sie bietet als Ganzes das Bild eines Leistungsund Lebens-gefüges, das in einer Mischung sozialer und liberaler Züge sich die Waage hält.

Elitebildung und Demokratie

Es ist aber gleichzeitig mit einigem Bedauern zu beobachten, daß die Politik in der Gegenwart nicht so attraktiv zu sein scheint, um Führungskräfte aus der Wirtschaft anziehen zu können. Theodor Eschenburg hat mehrfach darauf hingewiesen, daß die finanziellen Anreize in der Politik viel zu gering sind, um einen befähigten Wirtschaftsführer für die Aufgaben und Tätigkeiten in der Politik zu interessieren. Im Zusammenhang mit einer Verkleinerung des Bundestages müßte meines Erachtens gleichzeitig auch eine Anhebung der Gehälter verbunden sein, so daß in einem überschaubaren Gremium auch für die Wirtschaftsführer ein Anreiz gegeben wäre, sich der Politik in verstärktem Maße zu widmen. Gleichzeitig muß gesagt werden, daß sich im jetzigen Bundestag, der aus der Wahl von 1965 hervorgegangen ist, eine große Zahl von Wirtschaftsführern bereitgefunden hat, das nicht eben üppige Brot der Politik zu essen.

Auf dem politischen Feld stellen sich die Probleme der Führungsauslese und der Qualifikation anders als in der Wirtschaft. Die Demokratie delegiert ihre Vertreter auf Grund ganz anderer Eignungen, die noch für die Politik im 19. Jahrhundert gegolten hatten. Bedenkt man, daß der Honoratiorentyp dem Berufspolitiker gewichen ist, daß an die Stelle von Geburt Leistung und Funktion getreten sind, daß durch das Prinzip des Delegierens Gesinnung und Richtung den Delegierten entscheidend qualifizieren, daß die Kandidatenlisten von kleinen Zirkeln unter oft schwierig zu vereinenden Interessengesichtspunkten und Gruppenrücksichten festgelegt werden, so deutet sich schon an, daß im heutigen demokratisch parlamentarischen Bereich Führungsauslese und Elite-bildung, die einst dasselbe bedeutet hatten, offenbar auseinandertreten. Die Massendemokratie braucht für ihre Repräsentanz Naturen, die sich im Kampf um die Macht durchzusetzen vermögen, die die Massen hinter sich bringen und die richtungsgebunden sind. Wenn man diesen Tatbestand erkannt hat und ihn richtig einschätzt, so ist kein Anlaß mehr gegeben, sich in kulturpolitischen Kassandrarufen zu ergehen. Dieser Tatbestand ist vorhanden, und wir müssen mit ihm zu Rande kommen.

Denn um Delegierung handelt es sich faktisch auch, wenn rechtlich keine Auftragserteilung vorliegt. Das zeigt sich besonders auffällig an zwei Angelpunkten des demokratischen Bestellverfahrens: bei der Kandidatenauslese für die Parlamente und bei Nominierungen für höhere öffentliche Ämter. Wir haben seit dem Jahre 1945 eine parlamentarische Demokratie, in deren Verfassung den Parteien erstmalig die Mitwirkung an der politischen Willensbildung zuerkannt wird. Der diesbezügliche Verfassungsartikel 21 ist im Grunde nur die logische Konsequenz einer Entwicklung, die seit 40 Jahren im Gange ist und auf die Monopolisierung der politischen Macht durch die Parteien hinausläuft. Der Vorgang ist nicht rückgängig zu machen, und man sollte ihn nicht larmoyant beklagen. Parteienstaat und Demokratie sind identisch geworden, weshalb die Struktur der Parteien für das demokratische Funktionieren des Staates ebenso wichtig wird wie die Verfassung selbst. Die Forderung des Artikels 21 Absatz 1: „Ihre (der Parteien) innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen", ist nicht von ungefähr in die Verfassung eingebaut.

Daß die Parteien im Vergleich zu früher ihre Struktur völlig verändert haben, funktionalistischer und apparathafter geworden sind, ist oft ausgesprochen worden. Es wird von ihnen auch gar nicht der Versuch gemacht, die Entwicklung abzubremsen. Die Folge ist, daß der politisch profilierte Außenseiter, der noch in gewissem Sinn an den alten Typ des Politikers erinnert, aus den verbürokratisierenden Parteien abwandert. Aber auch der Wähler enthält sich weithin einer aktiven Mitarbeit in den Parteien und begibt sich dadurch seiner möglichen Einflußnahme. Nicht einmal 5 Prozent der Wählerschaft gehört einer Partei an. Vorausgesetzt, daß in vollem Umfang nach § 22, 1 des Bundeswahlgesetzes verfahren würde — wonach die Aufstellung der Kandidatenlisten jeder Partei durch geheime Abstimmung in der Mitglieder-oder Delegiertenversammlung jedes Wahlkreises zu erfolgen hat —, so hätten also nur 5 Prozent der Wahlberechtigten die Möglichkeit, an den für die qualitative Zusammensetzung der Volksvertretung maßgeblichen Ausleseverfahren mitwirken zu können. Könnte man dabei von der Voraussetzung ausgehen, daß es sich bei diesen 5 Prozent um den Kreis der wirklich politisch Interessierten und Befähigten handelt, so hätte dieser Modus einer politischen Auslese sein Gutes. Aber den Entscheidungen der Parteimitglieder wird vielfach durch die oberen Parteigremien vorgegriffen, wobei taktische und Interessengesichtspunkte eine Rolle spielen, da eine moderne Partei auf eine richtungsmäßige Homogenität gar nicht verzichten kann. Das Maß ihrer inneren und äußeren Straffheit ist entscheidend.'So ist es geradezu zum Verhängnis liberaler Parteibildungen der Gegenwart geworden, daß sie sich noch nicht vom Leitbild der Honoratioren-politik gelöst haben. Eine stark persönlich-'keitsgebundene Auslese tendiert notwendig zu parteipolitischer Diffusion, auch kann die'Ansprechbarkeit der Wählerschaft darunter leiden.

Der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei Erich Mende hat auf dem Bundesparteitag in Oldenburg im März 1955 zum Ausdruck gebracht, daß die Dynamik einer modernen Partei nicht so sehr von den Offizieren als von einer großen Mannschaft ausgeht: „Ich glaube, wir entnehmen unsere parteipolitische Propaganda allzusehr aus dem Reservoir unserer Akademiker und Intellektuellen und nehmen allzuwenig Rücksicht auf die Zusammensetzung unserer Bevölkerung. Auch das schönste und beste parteipolitische Programm verliert seinen Wert, wenn man nicht in der Lage ist, es durchzusetzen, indem man jene Mannschaft bekommt, die dann in den Parlamenten eben das Durchsetzen überhaupt nicht ermöglicht. Wir haben in Deutschland 82 %, die die Volksschule besucht haben, 14°/o mit mittlerer Reife und 4 °/o mit Abitur. Unsere Diktion ist viel zu sehr auf die 4 % und viel zu wenig auf die 82% ausgerichtet." Gewiß sind Minoritäten schutzbedürftiger als Majoritäten, aber auf sie allein kann sich eine erfolgsuchende Politik nicht beschränken; die Parteien sind nun einmal mit der Massensituation konfrontiert.

Ein weiteres: Die Parlamente sollen die Bevölkerung repräsentieren. Aber leisten die Parteien, die ja hinsichtlich der politischen Wirkungsmöglichkeit eine Monopolstellung haben, diese Aufgabe, eine echte Repräsentanz der Wählerschaft herzustellen? In seinem kenntnisreichen Buch „Fraktion und Regierungs-bildung" hat Götz Roth seine exakten Untersuchungen in einige Thesen zusammengefaßt, die hier, soweit sie die Wähler und Abgeordnete betreffen, wiedergegeben werden: „Der Einfluß des Wählers auf die praktische Politik seines Landes ist sehr gering. Der Abgeordnete ist nicht Vertreter des ganzen Volkes, sondern seiner Partei . . . Das Parlament (der Landtag) hat in diesem System nicht den Charakter einer demokratisch legitimierten repräsentativen Versammlung des sich selbst regierenden Volkes. Es hat vielmehr die Tendenz, sich aus einer demokratischen Institu-Rion in eine Parteioligarchie zu verwandeln."

Die Verharschung und Oligarchisierung der Führungsgruppen hat also mit dem Ausbau der Organisation in den Parteien ständig zugenommen. Nach der Wiederaufnahme des Parteilebens nach 1945 hat sich für einige Zeit in den obersten politischen Führungsgremien die Tendenz gezeigt, sich gegenüber Regeneration und Durchdringung mit allen Kräften abzukapseln.

Es widerspricht den Tatsachen, wenn Otto Barbarino verallgemeinernd feststellt: „Die Führungsschicht eines modernen repräsentativen Verfassungsstaates ist also nicht jener Gefahr der Abschließung von der übrigen Gesellschaft der Dekadenz oder Degeneration ausgesetzt, der ein Adelsstand verfallen kann." Wie es demgegenüber um die tatsächliche Führungs-‘Derneuerung steht, hat Rudolf Wildenmann am Beispiel der SPD — bei den anderen Parteien liegt es mutatis mutandis nicht anders — dargetan: „Von der Parteispitze . . . sind nur 4°/o nach 1945 in die Partei eingetreten." Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß die Führungsgremien nahezu aller Parteien im heutigen Deutschland überaltert sind. Erst in jüngster Zeit scheint sich da und dort eine Art Wachablösung zu vollziehen. Qualifiziert politischer Nachwuchs stellt sich nur zögernd zur Verfügung. Das hat mancherlei Gründe. Vor allem den, daß mit einem stärkeren Zustrom begabter Persönlichkeiten nicht gerechnet werden kann, solange der Parlamentarier des beruflichen und materiellen Risikos nicht enthoben ist. Für den politisch-parlamentarischen Bereich gilt nach Theodor Eschenburg: „Der materielle Anreiz des Parlaments, im Sinne einer hohen Qualitätsauslese, ist nicht groß. Mit die Folge ist, daß die Abgeordneten vielfach nach zusätzlichen Einkommensquellen Umschau halten, die teils ihre Unabhängigkeit einschränken, teils ihnen erheblichen Zeitaufwand verursachen. Dadurch wiederum wird ihre Arbeitsleistung für das Parlament beeinträchtigt und werden sie in einen Zustand der Hetze gedrängt, unter dem Überlegung und Beratung leiden. Das jetzige System der Gewährung eines im Verhältnis zur geforderten Leistung und Anstrengung unzureichenden Einkommens fördert die Mittelmäßigkeit und drückt das Niveau der Abgeordnetenschaft." Eliten können nicht willentlich gezüchtet werden, sie müssen wachsen. Nun birgt jede Zeit, auch die unsrige, latente Eliten in sich, die sichtbar gemacht und auf einen Bezugspunkt hin koordiniert werden müssen. Es fehlt nicht an Elite, aber es gibt nicht mehr die Gesellschaft und nicht mehr den Bezugspunkt, auf den hin sie sich strukturieren könnte.

Möglichkeiten der Führungsbildung durch Institutionen

Traditionelle Elitegremien, wie sie Frankreich in der Akademie der Unsterblichen besitzt, gibt es bei uns nicht. Die Friedensklasse des Pour le merite ist als ein solches Gremium bislang nicht ins allgemeine Bewußtsein gedrungen, wenn auch gerade hier ein Ansatz zur Institutionalisierung von Eliten gegeben wäre. Ich glaube, daß anläßlich der Wieder-gründung der Friedensklasse des Pour le merite Theodor Heuss mit beabsichtigt hat, hier ein Elitegremium zu begründen, das zwar machtlos, aber reich an Ansehen eine mora-lisch-politische Instanz sein sollte. Diese Absicht hat sich nicht realisieren lassen. Auch dem Deutschen Ausschuß für das Erziehungsund Bildungswesen, der als ein Elitegremium angesprochen werden darf, ist es ähnlich ergangen. Es zeigt sich schon an diesen Beispielen, daß es darauf ankommt, ein gewisses Maß an Institutionen zur Verfügung zu stellen, innerhalb: } d!! e•rer• , sich d 1ie Eliten bewegen und in denen sie sich ausprägen können.

Es unterliegt offenbar keiner Frage, daß Elite-bildung und Führungsauslese heute nur noch auf dem Wege über fest umrissene Institutionen zu erreichen ist. Es wäre an dieser Stelle sicher einiges zu sagen über eine mögliche Modifizierung des Wahlverfährens, mittels dessen man in früheren Zeiten versucht hat, Führungsausbildung sicherzustellen. An eine derartige Modifizierung ist aber im Moment nicht zu denken und Chancen für eine Änderung des Wahlrechts bestehen bei uns nicht. Eine einzige Möglichkeit, wie man mittels des demokratischen Wahlverfährens zu einem gewissen Teil die Männer des Vertrauens hervorheben kann, ist in Bayern zu sehen. Bei den Bundestagswahlen hat der Wähler nur die Möglichkeit zu billigen oder abzulehnen. In Bayern besteht demgegenüber bei der Landtagswahl die Möglichkeit des Panaschierens oder Kumulierens, das heißt, mäh kann aus der Parteiliste diejenigen Per-sönlichkeiten hervorheben, die man im Landtag vertreten sehen will. So ist es auf Grund dieses Verfahrens möglich gewesen, Abgeordnete des Vertrauens in den Landtag hineinzubringen, die von den Parteien nur zur Dekoration auf die Liste gesetzt wurden.

Es gibt noch eine zweite Möglichkeit politischer Führungsauslese, die vielleicht ein wenig konservativ und anachronistisch erscheinen mag. Es handelt sich hier um eine Institution, die zumindest an einem Ort in der Bundesrepublik noch vorhanden ist und der, darf man einigen brieflichen Äußerungen trauen, auch im Bundesgebiet eine geheime Liebe gilt.

Ein bayerisches Modell

Als einziges Land der Bundesrepublik Deutschland hat Bayern in seiner derzeitigen Verfassung, die durch einen Volksentscheid vom 1. Dezember 1946 in Kraft gesetzt wurde, den Oberhausgedanken wieder ausgenommen und im Senatsgesetz realisiert. Die Artikel 34 bis 42 der Verfassung und das Gesetz über den Senat vom 31. Juli 1947 enthalten die Bestimmungen über Aufbau und Kompetenzen des Senats. Die Einzigartigkeit dieser Erscheinung erlaubt eine kurze Skizzierung. Die endgültige Struktur des Senats wurde durch die Anregungen des Münchner Staatsrechtslehrers Hans Nawiasky bestimmt. „Die ihm vorschwebende Zweite Kammer sollte eine Vertretung der sozialen, wirtschaftlichen und gemeindlichen Körperschaften des Landes darstellen." (Senatspräsident Singer.) Demzufolge ist auch der Artikel 35 der bayerischen Verfassung gestaltet worden, der besagt, daß von den 60 Mitgliedern je elf von den Gewerkschaften und der Land-und Forstwirtschaft, je fünf von der Industrie, dem Handwerk, den Genossenschaften, den Religionsgemeinschaften, den Wohltätigkeitsorganisationen, sechs von den Gemeindeverbänden, vier von den freien Berufei und drei von den Hochschulen und Akademien delegiert werden. Die genannten Körperschaften wählen aus ihrer Mitte die Zahl der ihnen zustehenden Senatoren, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und sich durch „Rechtlichkeit, Sachkenntnis und Erfahrung" auszeichnen müssen. Die Ergänzung des Senats vollzieht sich nach dem amerikanischen Modell, das heißt, alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der Senatoren aus; eine Wiederwahl ist jedoch möglich. Dadurch wird die Kontinuität und ein ständiger Nachschub qualifizierter Kräfte gesichert. Zu einer sonst dem Oberhaus eigenen Bestimmung, nämlich der Diätenlosigkeit, haben sich die Verfassungsschöpfer nicht bekannt, sondern (§ 28 des Senatsgesetzes) die Aufwandsentschädigung der Senatoren der der Landtagsmitglieder gleichgestellt. Bei der heutigen politischen Überbeanspruchung ist eine Diätenlosigkeit einfach ausgeschlossen.

Die Tatsache, daß einige Senatoren im Bundestag ein Mandat innehaben, verstößt gegen das Prinzip der Unparteilichkeit der Oberhausmitglieder. Das ist auf eine Lücke in der Ver-

fassung zurückzuführen. Zur Zeit der bayerischen Verfassungsberatungen stand die Konstituierung der Bundesrepublik noch nicht zur Diskussion. Der Senat sollte hier vielleicht eine Änderung des entsprechenden Artikels -. 1 Vornehmen.

Selbst wenn man die relative Machtlosigkeit des Senats mit in Rechnung stellt, ist seine Existenz ein fruchtbares Stimulans für die bayerische Politik. Bayern hat seine Eigenständigkeit auch parlamentarisch zum Ausdruck gebracht und durch die Gründung des Senats ein hohes Maß an politischem Traditionsbewußtsein bewiesen. Gewiß sind die Meinungen hinsichtlich der Bewertung des Senats nicht einhellig, aber fast von jeder politischen Richtung wird die Notwendigkeit eines parlamentarischen Korrektivs zugegeben, weshalb sich auch die Kritik am Senat vorwiegend nur an Einzelbestimmungen reibt. Herwig Weber hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung"

unter der Fragestellung „Ein gelungenes Ex-meriment?" etwas von dem Arbeitsklima des Senats eingefangen und zugleich eine Wertung vorgenommen: „Im bayerischen Senat sitzen die Gewerkschaftler ganz rechts und die Landwirte links außen. Es gibt keine rechte und linke Seite. Man versucht gemeinsam die Mitte zu finden. Gewiß stoßen sich auch hier die Auffassungen oft hart im Raum, aber stets herrscht auch hier der Wille zu unbeeinflußter, sachlicher Prüfung unter Verzicht auf glänzende rhetorische Leistungen und propagandistische Anträge vor." Hier kann das Oberhausideal auch ohne reale Macht zur gestalteten Wirklichkeit werden. Das bayerische Beispiel steht allein, was aber nicht heißen soll, daß es anderswo keine Verfechter des Oberhausideals gäbe.

Im persönlichen Gespräch oder aus Briefantworten läßt sich entnehmen, daß die Bundesratslösung nicht überall befriedigt, und es wird oft bedauert, daß der Parlamentarische Rat den Weg zur Ersten Kammer im traditionellen, qualitätsbestimmten Sinn nicht gefunden hat. Aus der Fülle der dem Verfasser zugegangenen Antworten zur Frage nach einer Ersten Kammer seien nur drei herausgegriffen: Der bayerische Minister Alois Hundhammer hat seine Überlegungen wie folgt ausgesprochen: „. . . möchte ich bemerken, daß mir eine stärkere Betonung des Zwei-Kammer-Systems, also des Senatsgedankens, für eine stabile Gestaltung der Arbeit in einem demokratischen Staatswesen und insbesondere für die Sicherung seines Bestandes bedeutungsvoll erscheint...". Die vormalige Alterspräsidentin des Bundestages, Frau Dr. Marie Elisabeth Lüders, meint: „Ich würde eine Erste Kammer für besser halten als den jetzt bestehenden Bundesrat, aber nicht als Repräsentation von Berufskörperschaften, die beschleunigt in Interessenvertretungen ausarten würden...“ Ernst Lemmer schrieb unter anderem: „Eine Erste Kammer wird von uns bejaht, aber nicht der Bundesrat in solcher Funktion. Was wir brauchen, ist eine Art Senat älterer und erfahrener Politiker."

Freilich soll man sich nicht der Hoffnung hingeben, daß gelegentliche Kundgebungen solcher Art das Verfassungsgefüge verändern werden. Aber mir scheint der Gedanke des Oberhauses auf eine doppelte Art fruchtbar: Einmal könnte dadurch ein Elitegremium entstehen und ein Ausleseverfahren in Gang bringen, und es wäre zudem denkbar, daß in einer solchen Institution auch die Verbands-interessen — neben anderen Vertretern natürlich — ihren Platz hätten; das könnte sich als Mittel erweisen, die „Herrschaft der Verbände" einzudämmen oder wenigstens politisch zu objektivieren. Aber ein Oberhaus müßte dann auch mit Machtbefugnissen ausgerüstet werden, wenn es attraktiv sein sollte. Auf jeden Fall bleibt zu überlegen, wie Elite institutionell in den Staat eingebaut und für ihn dienstbar gemacht werden kann.

Die aktuelle Bedeutung des Eliteproblems für die Demokratie hat Michael Freund mit folgenden Worten umschrieben: „Die Mahnung Machiavellis soll nie vergessen werden, daß man eine Nation nur wahrhaft zu unterjochen vermag, wenn man ihre Führungsschichten zerstört. Das Schicksal der Demokratie hängt also daran, daß sie Führungsschichten solcher Art zu schaffen vermag, die ihrem Wesen entsprechen".

Fussnoten

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Joachim H. Knoll, o. Professor für Praktische Pädagogik und Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Publizistik und Kommunikation der Ruhr-Universität Bochum, geb. 1932 in Freystadt, Niederschlesien; seit 1964 o. Professor, an der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bil-dung, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Geistesgeschichte. Publikationen u. a.: Führungsauslese in Liberalismus und Demokratie, 1957; Jugend, Politik und politische Bildung, 1962; Pädagogische Elitebildung, 1964; Ansichten zur Gegenwart, 1965; Gemeinschaftskunde, 1965; Festschrift zur Eröffnung der Universität Bo-chum, 1965 (mit Hans Wenke).