I. Die Entstehung der Warschauer Pakt-Organisation
Das institutioneile Gefüge des europäischen Teils des Ostblocks hat seit Stalins Tod im März 1953 sehr an Bedeutung gewonnen. Es dient vor allem dem Zweck, die Einheit des sowjetischen Hegemonialverbandes aufrechtzuerhalten und die Beziehungen zwischen den kommunistischen Ländern zu regulieren. Die wichtigste multilaterale Organisation ist neben dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe der Warschauer Pakt. Er wurde am 14. Mai 1955 mit dem „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand" gegründet. Acht kommunistische Länder gehören ihm an: Bulgarien, die „DDR", Polen, Rumänien, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn; Albanien ist zwar formell noch Mitglied, nimmt aber nicht mehr an der Arbeit des östlichen Militärbündnisses teil. Die Vorgeschichte des Warschauer Vertrags zeigt, daß die Bildung der Pakt-Organisation und die Umgestaltung des westlichen Bündnissystems durch die Einbeziehung der Bundesrepublik in die Nordatlantik-Pakt-Organisation (NATO) zeitlich zusammenfallen
Wenn der Ostblock die Gründung der PaktOrganisation in erster Linie als eine Antwort auf den Ausbau der NATO und der Westeuropäischen Union verstanden wissen will, so verschleiert diese Interpretation bewußt die Wurzeln des Vertragswerks. Mit dem War-schauer Vertrag sollte vor allem die mili-tärische Zusammenarbeit des Ostblocks beschleunigt sowie eine Rechtsgrundlage für die weitere Stationierung sowjetischer Truppen in einzelnen Pakt-Ländern geschaffen werden. Einen Tag nach Beendigung der Warschauer Konferenz wurde am 15. Mai 1955 in Wien der Staatsvertrag mit Österreich unterzeichnet. Er hätte die bisherige Grundlage für die Stationierung sowjetischer Truppen in Ungarn und Rumänien auf Grund der Friedensverträge von 1947 beseitigt und damit die Balkan-Flanke des Ostblocks entblößt. Der Staatsvertrag mit Österreich verpflichtete die Sowjetunion, ihre Truppen rus Ungarn und Rumänien im Verlauf von 14 Tagen nach Inkrafttreten der Friedensregelung abzuziehen. Damit fiel die Klau-B sei der Pariser Friedensverträge mit Ungarn und Rumänien weg, die es der Sowjetunion zum Schutz ihrer Nachschublinien nach Österreich erlaubte, Truppen in diesen Ländern zu stationieren
II. Die Entwicklung der Warschauer Pakt-Organisation
Der Warschauer Pakt ist sowohl eine militärische als auch eine politische Organisation. Mit dem Warschauer Pakt verfolgt die Sowjet-führung vornehmlich das Ziel, ein Gegengewicht gegen die NATO zu bilden
Beim Stab der Vereinten Streitkräfte fiel die Schlüsselstellung dem sowjetischen Armee-general A. I. Antonow, dem Generalstabschef der Roten Armee aus der Zeit von Jalta und Potsdam, zu. Nach seinem Tod übernahm am 29. Oktober 1962 Armeegeneral P. Batow das Amt des Stabschefs der Vereinten Streitkräfte.
Mittels der Personalunion und der institutionellen Verzahnung wurde die Hegenonie der Sowjetunion auch in der politischen Organisation des Warschauer Pakts sichergestellt.
Wichtigstes Hilfsorgan des Politischen Beratenden Ausschusses ist das bereits im Januar 1956 gebildete Vereinte Sekretariat, dem Vertreter aller Teilnehmerländer angehören. Die Leitung des Vereinten Sekretariats hat der Chef des Stabes der Warschauer Pakt-Organisation.
Nach dem Tod des ersten General-sekretärs, Armeegeneral Antonow, wurde Armeegeneral Batow auch zum Leiter des Vereinten Sekretariats ernannt.
Ein wichtiger Grund für die Akzentverschiebung zugunsten des Vereinten Sekretariats liegt darin, daß der Politische Beratende Ausschuß seinen Beschluß vom 28, Januar 1956, „picht weniger als zweimal im Jahr" zusammenzutreten, nicht verwirklicht hat. Bis Ende 1965 hat das formell oberste Organ des War-schauer Pakts statt der fälligen 20 Tagungen nur 7 durchgeführt. Die unterschiedlichen Themen, die auf diesen Konferenzen behandelt worden sind, spiegeln das Auf und Ab des östlichen Militärbündnisses wider.
Während auf der ersten Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses in Prag (Januar 1956)
Die fünfte Tagung des Konsultativausschusses wurde am
Das nach der sechsten Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses, die am 26. Juli 1963 wiederum in Moskau stattfand, herausgegebene Kommunique
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß der Politische Beratende Ausschuß im Jahr 1964 zusammengerufen worden ist. Folglich dürfte die siebte Tagung des höchsten politischen Organs der Warschauer Pakt-Organisation vom 19. bis 20. Januar 1965 in Warschau stattgefunden haben. Nach den Beratungen wurden ein ausführliches Kommunique sowie eine „Mitteilung über die Schlußsitzung der Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages" veröffentlicht
Aus den Verlautbarungen über die fünfte, sechste und siebte Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses geht hervor, daß sich nur die sechste ausschließlich mit militärischen Fragen des östlichen Militärbündnisses befaßt hat. Speziell diesen Problemen widmeten sich auch die Tagungen der Verteidigungsminister der Warschauer Pakt-Mächte vom 8. bis 9. September 1961 in Warschau
III. Die Mitgliedschaft
An der Zahl der Mitgliedsländer der War-schauer Pakt-Organisation hat sich seit ihrer Gründung am 14. Mai 1955 nichts geändert. Artikel 9 Warschauer Vertrag (WV) ermöglicht es zwar anderen Staaten, dem östlichen Militärbündnis beizutreten; von dieser Möglichkeit hat bisher aber kein Land Gebrauch gemacht
In dieser Note präzisierte die albanische Regierung ihre Einstellung zur Entwicklung des Warschauer Pakts. Sie stellte fest, sie schätze zwar die Haltung der polnischen Regierung, welche die Regierung von Tirana vom Treffen in Warschau informiert habe; aber als Mitglied des Warschauer Pakts könne Albanien nicht einfach eingeladen werden. Albanien verlangte, daß seine Mitgliedschaft voll wiederhergestellt werde und daß die anderen Warschauer Pakt-Mächte ihre Beziehungen zu Tirana in vollem Umfang wiederaufnehmen. Außerdem bestand die albanische Regierung darauf, über alle Beschlüsse des östlichen Militärbündnisses und über die Besprechungen seit 1961 genauestens informiert zu werden.
Der Politische Beratende Ausschuß des War-schauer Pakts nahm von diesem Schreiben Kenntnis und stellte dazu fest, „daß sich die Volksrepublik Albanien weigert, an den Arbeiten des Warschauer Vertrags teilzunehmen". Albanien antwortete darauf am 29. Januar 1965, indem es gegen die ihm erwiesene „Mißachtung" protestierte und von einer „großen Verantwortung" sprach, welche die Mitglieder des Warschauer Pakts auf sich genommen hätten
Aus dieser Kontroverse zwischen Tirana und den Warschauer Pakt-Mächten geht klar hervor, daß Albanien formell noch Mitglied des östlichen Militärbündnisses ist. Die manchmal im Westen vertretene Auffassung, nach der das Land aus der Warschauer Pakt-Organisation ausgeschlossen worden sei, ist nicht richtig
Die albanische Regierung hält alle Beschlüsse, die ohne Mitwirkung Tiranas im Politischen Beratenden Ausschuß gefaßt worden sind, für rechtswidrig. Solange Albanien noch formell Mitglied des Warschauer Pakts ist, können rechtswirksame Entscheidungen nur getroffen werden, wenn alle Mitgliedsländer daran mitgewirkt haben. Im Warschauer Vertrag fehlt eine Parallelbestimmung zu Art. 6 Abs. 2 der Satzung des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe, die von der 16. Ratstagung am 7. Juni 1962 neu formuliert worden ist. Danach sind Entscheidungen der Ratstagung nur dann rechtsgültig, wenn sie mit der Zustimmung der erschienenen Delegationen der Mitglieds-länder getroffen worden sind.
Selbst wenn — was nicht bekannt ist — die Arbeit des Konsultativausschusses des War-schauer Pakts auf einer Geschäftsordnung fußt und diese im Sinne der Comecon-Satzung geändert worden ist, so bleiben die Beschlüsse dieses Organs dennoch rechtswidrig. Denn solange Albanien noch formell dem Militärbündnis angehört, hätte die Geschäftsordnung nur in Anwesenheit albanischer Vertreter neu gefaßt werden dürfen. Für die übrigen War-schauer Pakt-Länder besteht die Möglichkeit, Albanien wegen seines Verhaltens aus dem Bündnis auszuschließen. Solange das nicht geschehen ist, sind die Beschlüsse des Politischen Beratenden Ausschusses nicht rechtswirksam gefaßt worden.
IV. Zeitlicher Geltungsbereich
Nach Art. 11 Abs. 1 WV bleibt der Pakt für die Teilnehmerländer
V. Territorialer Geltungsbereich
Da der Warschauer Pakt nach dem Willen der Signatarmächte einmal in ein gesamteuropäisches System der kollektiven Sicherheit transformiert werden soll (Präambel), beschränkt sich sein räumlicher Geltungsbereich auf europäische Länder. Nur ein Angriff in Europa zieht den Bündnisfall des Warschauer Pakts nach sich. Probleme der Zugehörigkeit außer-europäischer Gebiete — wie etwa in der NATO — treten vorläufig im östlichen Militärbündnis nicht auf.
Trotzdem wirft der territoriale Geltungsbereich des Warschauer Pakts (Artikel 4 WV) vor allem im Hinblick auf Rotchina eine Reihe von Fragen auf, die von der östlichen Völkerrechtslehre bisher nicht klar gelöst worden sind. Amtliche rotchinesische Vertreter nahmen sowohl an der vorbereitenden Konferenz Ende 1954 in Moskau als auch an der konstituierenden Sitzung des Warschauer Pakts im Mai 1955 in Warschau aktiv teil. Am Tag der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags gab der rotchinesische Vertreter eine offizielle Erklärung ab, wonach sich China mit dem War-schauer Vertrag „vollkommen solidarisch erklärt und ihn unterstützt".
Um eine rechtliche Bindung Pekings an den Warschauer Pakt zu begründen, verweisen mehrere kommunistische Autoren auf den sowjetisch-rotchinesischen Vertrag vom 14. Februar 1950. Jedoch können sie über sein Verhältnis zum Warschauer Vertrag nur wenig aussagen, da sich beide Pakte nur durch die geographische Lage der Sowjetunion berühren, sachlich dagegen so gut wie keine Verbindung zueinander haben. Während der Warschauer Vertrag seine Geltung auf bewaffnete Konflikte im europäischen Raum beschränkt, richtet sich der sowjetisch-chinesische Bündnisvertrag in seinem militärischen und politischen Kern ausschließlich gegen Japan oder gegen einen mit Japan direkt oder indirekt verbündeten Staat. Deshalb haben andere kommunistische Völkerrechtler versucht, die Anlehnung Rotchinas an den Warschauer Pakt nicht positivrechtlich, sondern hilfsweise mit den „Normen des intersozialistischen Völker-rechts“ nachzuweisen. Sie gehen davon aus, daß sich der Warschauer Pakt zwar nach dem Wortlaut nur auf europäische Länder bezieht; der in der kommunistischen Völkerrechtslehre geltende Grundsatz der „gegenseitigen Hilfe" erweitere aber die Geltung des Militärbündnisses über den engeren Teilnehmerkreis hinaus.
Bis zum Bruch zwischen Moskau und Peking lassen sich konkrete Formen einer Zusammenarbeit Rotchinas mit dem Warschauer Pakt nur in politischen Fragen nachweisen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben beispielsweise rotchinesische Vertreter im Politischen Beratenden Ausschuß stets mitgewirkt. So nahmen an der ersten, zweiten, dritten und vierten Sitzung des Konsultativausschusses der Warschauer Pakt-Mächte jeweils Vertreter der Volksrepublik China als „Beobachter" teil.
Der militärische Aspekt der rotchinesischen Beteiligung am Warschauer Militärbündnis ist scharf von dem politischen zu scheiden. Während Peking bis 1962 mit dem Warschauer Pakt eine sehr begrenzte politische Zusammenarbeit pflegte, ist eine entsprechende militärische Bindung nicht nachzuweisen. Die Volksrepublik China hat keine Truppen-kontingente dem gemeinsamen Kommando unterstellt; sie beteiligt sich nicht an der waffentechnischen Vereinheitlichung und nimmt auch nicht an der strategischen Planung im Warschauer Militärbündnis teil. In Überein-stimmung mit dieser Generallinie der chinesischen Außenpolitik haben die bilateralen Pakte Rotchinas mit einigen europäischen Ostblockländern, mit Ausnahme der Sowjetunion, keine militärische Zielsetzung. Es sind nur Verträge über Freundschaft und Zusammenarbeit, die keine Bündnisklausel enthalten.
VI. Sachlicher Geltungsbereich
Der Warschauer Pakt ist ein Regionalabkommen im Sinne des Artikels 51 der UN-Satzung. Danach sind biund multilaterale Verträge zur Abwehr von Angriffen dann zulässig, wenn es sich um den Fall der kollektiven und individuellen Selbstverteidigung handelt. Der Abschluß eines Verteidigungsbündnisses auf der Grundlage des Artikel 51 UN-Satzung ist zwar eine Präventivmaßnahme gegen künftige Aggressionen, er fällt aber nicht unter das Gewaltverbot des Artikel 2 Ziffer 4 UN-Satzung
Die Beistandsklausel (Artikel 4 WV) ist das Kernstück des Vertragswerks. Artikel 4 WV legt die automatische Beistandsverpflichtung der Mitglieder für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen oder mehrere Vertragspartner in Europa fest. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 V’V steht die Entscheidung, in welcher Weise der angegriffene Staat unterstüzt werden soll, im Belieben des Hilfeleistenden. Die „DDR" bildet hier eine Ausnahme. Während die Art, das Ausmaß und die Richtung der sowjetzonalen Beistandsleistung von den Mitgliedsländern kollektiv bestimmt werden, entscheidet jedes Mitglied allein über den Beistand zugunsten der „DDR"
Der Umfang der Hilfeleistung ist nach dem Warschauer Vertrag der weitgehenden subjektiven Entscheidungsfreiheit eines jeden Mitglieds in dem Maße überlassen, wie es „ihm erforderlich erscheint". Die wichtige Frage, ob der Beistand auch gegen den Willen des Opfers eines bewaffneten Angriffs möglich ist, wird von der kommunistischen Völkerrechtspublizistik unterschiedlich beantwortet. Während der bekannte sowjetische Völkerrechtler und Leiter der Vertragsabteilung des sowjetischen Außenministeriums, Tunkin, diese Frage vorsichtig bejaht, kann nach polnischer Ansicht die Hilfe nur auf Verlangen der Regierung des angegriffenen Staates geleistet werden
Daß die östliche Völkerrechtslehre darüber schweigt, ob sich der Warschauer Pakt auch gegen einen bewaffneten Angriff aus der eigenen Mitte richtet, ist nicht erstaunlich. Nach marxistisch-leninistischer Auffassung ist ein Konflikt zwischen „sozialistischen" Staaten undenkbar
VII. Organe des Warschauer Pakts
Zur Realisierung der Ziele und Aufgaben des Warschauer Pakts sehen die Artikel 5 und 6 WV die Bildung zweier Hauptorgane vor: des Politischen Beratenden Ausschusses und des Vereinten Kommandos. 1. Politischer Beratender Ausschuß Aufgaben, Struktur und Vollmachten des Politischen Beratenden Ausschusses sind in Artikel 6 WV und in dem Beschluß über die Bildung des Vereinten Kommandos der Streitkräfte vom 14. Mai 1955 enthalten. Nach diesen Bestimmungen ist der Politische Konsultativausschuß berufen, mit Ausnahme der rein militärischen Fragen die gesamte Leitung der Militärorganisation zu koordinieren. Im Fall einer allgemeinen Abrüstung fiele ihm die politisch wichtige Kompetenz zu, gemäß Artikel 2 Absatz 2 WV die gemeinsamen Maßnahmen politisch-militärischer Art im Ostblock zur Vorbereitung und Durchführung der Abrüstung einschließlich der Kernwaffen zu ergreifen
Der Politische Beratende Ausschuß ist das höchste politische Organ des Warschauer Pakts, „in den jeder Teilnehmerstaat des Vertrages ein Regierungsmitglied oder einen anderen, besonders ernannten Vertreter delegiert" (Artikel 6 Absatz 1 WV). In der Regel entsenden die Mitgliedsländer des Bündnisses zu den Tagungen des Konsultativausschusses nicht nur die Regierungschefs, sondern auch andere Regierungsmitglieder. So nahmen an der sechsten Tagung (Juli 1963) außer den Regierungschefs auch die Verteidigungsminister und mehrere Außenminister teil. Auf der siebten Sitzung des Politischen Beratenden Ausschusses (Januar 1965) waren alle Regierungschefs, Verteidigungs-und Außenminister — ausgenommen Albanien — vertreten.
Viel wichtiger jedoch ist, daß die jeweiligen Führer der kommunistischen Parteien der Ostblockländer im Politischen Beratenden Ausschuß die entscheidende Rolle spielen — selbst dann, wenn sie kein Regierungsamt bekleiden. An der ersten Tagung des Politischen Konsultativausschusses in Prag (Januar 1956) nahmen die Parteispitzen nicht teil. An der zweiten Konferenz in Moskau (Mai 1958) wirkten sie zwar mit; im Schlußkommunique wurden sie aber erst an zweiter Stelle nach den höchsten Regierungsvertretern aufgeführt. Seit der dritten Tagung in Moskau (Februar 1960) werden die höchsten Parteisekretäre der kommunistischen Parteien an erster Stelle genannt; dann folgen in der Aufzählung die Regierungsvertreter. Diese beherrschende Stellung der Parteivertreter auch im östlichen Militärbündnis ist in Artikel 6 WV nicht vorgesehen. Da der Warschauer Pakt nach kommunistischer Rechtsauffassung eine völkerrechtliche Organisation ist, müßten Entscheidungen von den staatlichen Vertretern getroffen werden. Hinzu kommt, daß nach innerstaatlichem Recht der kommunistischen Länder die kommunistischen Parteien nur die Stellung gesellschaftlicher Organisationen haben. Wie Boris Meissner aber mit Recht ausführt, hat die kommunistische Partei auch in den Verfassungen der Ostblockländer eine juristische Bedeutung
Auf Grund der Ermächtigung des Artikel 6 Absatz 2 WV wurden auf der ersten Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses im Januar 1956 in Prag zwei Hilfsorgane mit Sitz in Moskau gebildet: die Ständige Kommission und das Vereinte Sekretariat. Die Bildung der beiden Hilfsorgane war notwendig, weil der Politische Beratende Ausschuß nicht den Charakter eines permanent tagenden Organs besitzt, das alle mit der Beratung, Unterrichtung und Organisation zusammenhängenden Fragen des Warschauer Pakts zu bewältigen in der Lage wäre.
Die Kompetenzen der Ständigen Kommission erstrecken sich auf die Ausarbeitung von Empfehlungen zu außenpolitischen Fragen der Pakt-Mächte. Uber die juristische Kraft dieser Empfehlungen ist keine Aussage möglich, da über die Beratungen dieses Hilfsorgans keine Verlautbarungen veröffentlicht werden
Diesem Organ obliegt vornehmlich die Verwaltung derjenigen Sachgebiete, die der Verwirklichung der Vertragsziele dienen. Daß das Vereinte Sekretariat sehr weitgehende Kompetenzen besitzt, wird daraus geschlossen, daß der Oberkommandierende der Vereinten Streitkräfte, Marschall I. S. Konjew, im Juli 1960 von Marschall A. A. Gretschko abgelöst wurde ohne daß der Konsultativausschuß zu einer so wichtigen Beschlußfassung zusammengerufen worden wäre. 2. Vereintes Kommando Das zweite Hauptorgan des Warschauer Pakts ist das Vereinte Kommando der Streitkräfte der Pakt-Mächte mit Sitz in Moskau. Seine Rechtsstellung wird durch Artikel 5 WV, den Beschluß der Teilnehmerländer vom 15. Mai 1955 und die zweiseitigen Truppenverträge bestimmt. Die „Vereinten Streitkräfte" setzen sich aus Kontingenten der nationalen Streitkräfte zusammen, die „nach Vereinbarung zwischen den Parteien diesem auf Grund gemeinsam festgelegter Grundsätze handelnden Kommando zur Verfügung gestellt werden" (Artikel 5 WV). Die einzige Ausnahme bilden die Streitkräfte der „DDR". Während alle anderen Mitgliedsländer des Warschauer Pakts von Fall zu Fall nur Teile ihrer Streitkräfte den Kommandos des Militärbündnisses zur Verfügung stellen, ist die „DDR" vertraglich verpflichtet, ihre gesamten Streitkräfte — sogar einschließlich der in die „Nationale Volksarmee" eingereihten Grenztruppen — den Kommandos zu unterstellen. Militärpolitisch ist damit die „Nationale Volksarmee" der Zone gegenüber den anderen Armeen des Bündnisses schlechter gestellt. Für diese diskriminierende Behandlung dürften bei den Sowjets in erster Linie politische Erwägungen und Gründe maßgebend gewesen sein
Die Aufgabe des Vereinten Kommandos ist es, die Verteidigungsfähigkeit des Warschauer Pakts zu erhalten und zu stärken, für den Kriegsfall militärische Operationspläne auszuarbeiten, sie zu koordinieren und über die Verteilung der Truppen zu entscheiden. Vor allem obliegt dem Vereinten Kommando die Leitung der Streitkräfte des Warschauer Pakts im Hinblick auf ihre Ausbildung und Ausrüstung sowie ihre Dislozierung. Als das Vereinte Kommando gebildet wurde, einigten sich die Mitglieder des Bündnisses darauf, daß der Oberbefehlshaber der Streitkräfte stets ein sowjetischer Offizier sein soll. Dieses Amt hat am 25. Juli 1960 Marschall A. A. Gretschko als Nachfolger Marschall I. S. Konjews übernommen.
Nach dem Beschluß vom 14. Mai 1955 würd die Dislozierung der Vereinten Streitkräfte auf fremden Territorium der Teilnehmerländer nach Vereinbarung zwischen ihnen durchgeführt. Im Vollzug dieser Abmachung schloß die Sowjetunion mit Polen, Rumänien
Generalleutnant S. S. Marjakin, Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Polen (Gruppe Nord), Armeegeneral P. K. Koschewoi
Dem Oberkommandierenden steht ein Stab der Vereinten Streitkräfte zur Seite. Als Stellvertreter des Oberkommandierenden fungieren die Verteidigungsminister der Mitgliedsländer des Warschauer Pakts in ihrer Eigenschaft als Oberbefehlshaber der jeweiligen Streitkräfte: Marschall M. Spychalski (Polen), Armeegeneral B. Lomsky (CSSR), Generaloberst L. Czinege (Ungarn), Armeegeneral L. Salajan (Rumänien), Generaloberst D. M. Dshurow (Bulgarien), Armeegeneral H. Hoffmann („DDR").
Mit Ausnahme des erst 40jährigen ungarischen Verteidigungsministers haben die StellVertreter des sowjetischen Oberkommandierenden alle eine politische Karriere hinter sich, ehe sie militärische Dienstränge bekleideten. Sämtliche Befehlshaber der sowjetischen Sa-telliten-Armeen absolvierten eine entsprechende Ausbildung in der Sowjetunion. Spychalski war während des Zweiten Weltkriegs Politkommissar und später Stabschef der kommunistischen Untergrundbewegung in Polen; 1944 kam er durch die Ostfront bis Moskau und kehrte mit der Sowjetarmee nach Polen zurück. Lomsky war im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion. Salajan war Politkommissar wie Dshurow, der in einer Partisanen-Brigade gekämpft hat. Hoffmann nahm als Politkommissar am spanischen Bürgerkrieg teil und befand sich später in der Sowjetunion. Die persönliche Vergangenheit der „nationalen" Oberbefehlshaber bietet somit eine gewisse Garantie für ihre Loyalität gegenüber der Sowjetunion
Die Befehlswege in den Streitkräften des War-schauer Pakts befinden sich fast ausnahmslos 'unter sowjetischer Kontrolle. So ist der Oberkommandierende der Streitkräfte in seiner Eigenschaft als Erster Stellvertreter dem sowjetischen Verteidigungsminister verantwortlich. Die Unterstellung der Sowjettruppen in Polen, der „DDR" und Ungarn — der Gruppe Nord mit dem Hauptquartier in Liegnietz, der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland mit dem Hauptquartier in Wünsdorf, der Gruppe Süd mit dem Hauptquartier in Budapest — gibt dem Oberkommandierenden der Streitkräfte in Friedenszeiten im Fall gemeinsamer Tätigkeit (zum Beispiel gemeinsamer Manöver) Weisungsbefugnis.
Im Hinblick auf die nichtsowjetischen Truppen des Warschauer Pakts ist der Einfluß der Sowjets auf folgende Weise gesichert
In jedem Mitgliedsland des Bündnisses — ausgenommen Polen — existiert eine Warschau-Pakt-Militärmission, die dem örtlichen Verteidigungsminister die Weisungen des Ober-befehlshabers der Streitkräfte des Warschauer Pakts übermittelt. Auf den unteren Ebenen ist die formelle Regelung der sowjetischen Einflußnahme unterschiedlich. In der „DDR“, Ungarn und Rumänien befinden sich sowjetische Militärberater im jeweiligen Verteidigungs-ministerium und zum Teil in den Stäben, bei den Truppenschulen sowie in den Planungsabteilungen für die Rüstungsindustrie. Ähnlich liegen die Verhältnisse in Bulgarien und in der Tschechoslowakei. Polen weicht von diesen Normen ab; von dort wurden 1957 die Militärmission und die Militärberater der Sowjetunion abgezogen. Allerdings haben damals etliche Militärberater neben der sowjetischen die polnische Staatsangehörigkeit erworben und sind im Land verblieben. Offiziell besteht die sowjetische Kontrolle nur durch Verbindungsoffiziere der Sowjettruppen zur polnischen Armee. Eine weitere Klammer um die Truppen des östlichen Militärbündnisses ist der einheitlich nach sowjetischem Vorbild durchgeführte Polit-Unterricht mit den obligatorischen Prüfungen in den Militärschulen. Für den Bündnisfall ist vorgesehen, daß die Armeen in den Ostblockländern in den Verband der sowjetischen Heeresgruppen eingegliedert werden.
VIII. Der Warschauer Pakt als Instrument der sowjetischen Diplomatie und Propaganda
Der Warschauer Pakt dient den Sowjets nicht nur dazu, ein militärisches Gegengewicht gegen die NATO zu bilden, die Streitkräfte der Mitgliedsländer einheitlich zusammenzufassen und die Bindungen zwischen der Sowjetunion und den europäischen „Volksdemokratien" aufrechtzuerhalten. Bald nach der Gründung der Militärallianz im Mai 1955 zeigte sich, daß die sowjetische Hegemonialmacht der War-schauer Pakt-Organisation auch einen diplomatischen und propagandistischen Aspekt beimißt. Aus den auf fast allen Tagungen des Politischen Beratenden Ausschusses behandelten Themen geht hervor, daß der Konsultativausschuß nicht so sehr als ein Arbeitsgremium, wohl aber als ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Forum zur Festlegung und Verkündung der jeweiligen außenpolitischen Linie Moskaus zu werten ist. Alle außenpolitischen Postulate und Vorschläge des höchsten politischen Organs des Bündnisses sowie seine Verlautbarungen entsprachen den jeweiligen Vorstellungen und Schritten der offiziellen sowjetischen Politik in der betreffenden Periode. Eigene Konzeptionen, die unabhängig von der offiziellen sowjetischen Außenpolitik entwikkelt worden wären, gab es nicht. In diesen deklamatorischen Verlautbarungen des Politischen Beratenden Ausschusses traten folgende Probleme immer wieder auf
Erklärungen gegen „aggressive Kreise“ in der westlichen Welt, wobei besonders die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland genannt wurden;
Erklärungen gegen die „militärische und revanchistische Entwicklung“ in der Bundesrepublik (und gegen Berlin)
Erklärungen zur Unterstreichung der „friedfertigen und friedliebenden Einstellung der DDR".
Der propagandistische Charakter dieser Erklärungen ist eindeutig; sie erhielten nach der Art der Formulierung auch nur eine solche Funktion von den deklarierenden Ländern selbst zugedacht. Daneben wurden jedoch politische Forderungen aufgestellt, die bestimmte Fragen der Weltpolitik anschnitten und in ihrer Formulierung den Anschein erweckten, als ob sie zur Besserung dieser Verhältnisse und Probleme ernstlich beitragen könnten
Diese ständig wiederholte Forderung, die inzwischen mit dem Vorschlag, die atomare Rüstung in Mitteleuropa „einfrieren" zu lassen, gekoppelt worden ist, geht auf den vom polnischen Außenminister entwickelten und nach ihm benannten „Rapacki-Plan" zurück, der später vom Ersten Sekretär der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei zum „Gomulka-Plan" erweitert worden ist. Rapacki hatte in seiner Rede vor der 12. Tagung der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 2. Oktober 1957 den Plan, in Mitteleuropa eine atomwaffen-freie Zone zu schaffen, begründet und ihn in der Folgezeit mehrmals revidiert. Den Vorschlag, die nuklearen Rüstungen in Mitteleuropa „einfrieren" zu lassen, unterbreitete Gomulka erstmals am 28. Dezember 1963 in einer Rede in Plock. Am 29. Februar 1964 richtete die polnische Regierung ein Memorandum über das „Einfrieren" der nuklearen Rüstung in Mitteleuropa an Frankreich, Großbritannien, die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, die „DDR", die Bundesrepublik Deutschland, Kanada, Belgien und die Niederlande. Darin wurden die Vorschläge erläutert, die Gomulka am 28. Dezember 1963 zur Frage der Rüstungsbeschränkung in Mitteleuropa vorgetragen hatte. In dem Memorandung heißt es:
„Die polnische Regierung schlägt vor, daß durch das Einfrieren der nuklearen und thermonuklearen Rüstungen prinzipiell die Territorien der Volksrepublik Polen, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der entsprechenden Territorialgewässer und des Luftraumes erfaßt werden."
Die Kernpunkte der von Rapacki und Gomulka entwickelten Pläne wurden in das Kommunique ausgenommen, das nach der siebten Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Pakts im Januar 1965 veröffentlicht worden ist.
F. Luchsinger hat kürzlich in einem Artikel „Polen in den Fesseln der Ostblockpolitik" die von offizieller polnischer Seite unterbreiteten, von den übrigen Warschauer Pakt-Mächten unterstützten Vorschläge gewürdigt: „Was die polnische Außenpolitik in den vergangenen Jahren an Plänen und Initiativen produziert hat und zum Teil noch immer mit Hartnäckigkeit propagiert, scheint zwar prima vista von einem Bedürfnis größerer nationaler Bewegungsmöglichkeit inspiriert zu sein. Ein . Auseinanderrücken'der Großmächte in Europa soll dafür den Raum schaffen. Worauf aber die Pläne einer . Entnuklearisierung'
Mittel-und teilweise Osteuropas (Rapacki) oder eines vorläufigen . Einfrierens'der Atomwaffen in dieser Zone (Gomulka) hinauslaufen, ist in der Konsequenz schließlich doch die Verfestigung eines sowjetischen Übergewichts auf dem Kontinent. Die eigentliche Bedrohung Westeuropas, die in erster Linie in den in der Sowjetunion stationierten atomaren Mittelstreckenraketen liegt, würde nicht beseitigt, das sowjetische Dispositiv würde überhaupt kaum berührt — während den Amerikanern in Westeuropa durch ein . Einfrieren'die Hände gebunden würden, durch eine . Entnuklearisierung'die Basis entzogen werden könnte und das atlantische Bündnis durch eine im Zeichen . europäischer Sicherheit'erhöhte faktische Unsicherheit auf jeden Fall politisch schwer belastet würde.
Der von Polen suggerierte Handel ist einseitig und wird vom Westen, de Gaulle einstweilen eingeschlossen, nicht als akzeptabel empfunden, wenigstens für so lange, als in Europa der politische Status quo nicht im gleichen Zug korrigiert werden kann. . .
Polnische Sicherheitspolitik ist also nicht auf einen ausgewogenen Kompromiß zwischen West und Ost angelegt. Sie folgt in ihren Grundzügen vielmehr der seit spätestens 1955 offenkundigen Absicht der Sowjetunion, Fragen der europäischen Sicherheit aus ihrem Zusammenhang mit einer politischen Neuordnung herauszutrennen und den Status quo, das heißt vor allem die Teilung Deutschlands, mit Sicherheitsarrangements zu fixieren."
Die sowjetische Diplomatie will bewußt verschleiern, daß der wesentliche und weitreichende Unterschied zwischen dem westlichen und dem östlichen Militärbündnis in der inneren Verbindung der Vertragsmächte in jedem der Pakt-Systeme untereinander liegt. Alle von östlicher Seite unterbreiteten Vorschläge, die auf eine militärische Schwächung der NATO und des Warschauer Pakts hinauslaufen, lassen die unterschiedlichen Grundlagen beider Pakt-Systeme außer Betracht. Das östliche Pakt-System beruht a) auf dem neben dem Warschauer Vertrag bestehenden Netz bilateraler Verträge
Diesen beiden Vertragssystemen, die nebeneinander den Warschauer Pakt stützen, haben die NATO-Staaten nichts ähnlich Wirkungsvolles entgegenzusetzen. Die früher in der Kampagne gegen die NATO gemachten Vorschläge, beide Militärbündnisse aufzulösen, ließen sowohl die bilateralen Beistandspakte als auch die Stationierungsverträge unberührt und liefen daher auf eine einseitige Schwächung des westlichen Bündnissystems hinaus
Von diesen Vorstellungen sind die War-schauer Pakt-Mächte inzwischen abgerückt. Dafür kehrt in den Verlautbarungen über die Tagungen des Politischen Beratenden Ausschusses ständig der Vorschlag wieder, zwischen dem westlichen und dem östlichen Militärbündnis einen Nichtangriffspakt abzuschließen. Damit, so lautet jeweils die Argumentation der Kommunisten, würde ein „wichtiger Beitrag" zur „Entspannung" in Europa gelei-stet. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, da ein Nichtangriffsabkommen zwischen beiden Militärblöcken zu einer wirklichen Entspannung unbrauchbar ist. Der Abschluß eines Nichtangriffspakts ist vor allem deshalb unnütz, weil das moderne Völkerrecht sowieso die Staaten zum Nichtangriff verpflichtet.
Die beiden positiven Rechtsgrundlagen sind: a) Artikel I und II des Briand-Kellogg-Pakts vom 27. August 1928 („Vertrag über die Ächtung des Krieges").
Darin kamen die Vertragspartner überein, „daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten" (Artikel I). Außerdem vereinbarten sie, „daß die Regelung und Entscheidung aller Streitigkeiten oder Konflikte, die zwischen ihnen entstehen könnten, welcher Art oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen, niemals anders als durch friedliche Mittel angestrebt werden soll" (Artikel II). b) Zum Briand-Kellogg-Pakt tritt als zweite Rechtsgrundlage für ein Friedenssicherungsrecht — ausgeweitet zu einem generellen Verbot der Gewaltanwendung mit der Einschränkung der Selbstverteidigung — der Artikel 2 Ziffer 4 der Satzung der Vereinten Nationen. Das darin ausgesprochene Verbot der Gewaltanwendung geht über das Kriegsverbot des Briand-Kellogg-Pakts noch hinaus
Das Friedenssicherungsrecht der UN-Satzung ist klar, unmißverständlich und läßt keinen Zweifel offen. Durch das kategorische Verbot der Anwendung von Gewalt, ja sogar von Drohung mit Gewalt soll jenen unter dem Briand-Kellogg-Pakt in Übung gekommenen Versuchen, dem Kriegsverbot dadurch zu entgehen, daß man die angewendete militärische Gewalt als Nichtkrieg deklarierte, ein Riegel vorgeschoben werden: „Jede Art von militäri-scher Gewalt soll verboten sein, gleichgültig, wie sie deklariert oder motiviert wird."
Die UN-Satzung bindet nur die Mitglieder der Weltorganisation. Mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland und der „DDR" gehören alle Unterzeichnerländer der NATO und des Warschauer Pakts den Vereinten Nationen an. Der Briand-Kellogg-Pakt bindet auch jene Länder, die nicht Mitglieder der Weltorganisation sind. Für sie — also auch für die Bundesrepublik und die „DDR" — bleibt daher der Vertrag von 1928 unmittelbar geltendes Recht. Der Abschluß eines Nichtangriffspakts zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt ist nicht nur unnütz, weil das Prinzip des Nichtangriffs längst geltendes Völkerrecht ist, sondern auch gefährlich, weil durch ihn die schon geltenden allgemeinen Sätze des Völkerrechts über den Grundsatz des Nichtangriffs entwertet würden. Uber das, was schon ohnehin Rechtens ist und gilt, braucht kein Vertrag abgeschlossen zu werden
IX. Die militärische Bedeutung des Warschauer Pakts
Die militärische Stärke der Warschauer PaktOrganisation hat in den letzten Jahren zugenommen. Neben den 3, 8 Millionen Soldaten, die in der Sowjetunion selbst unter Waffen stehen, müssen den Befehlen des Kreml etwa 1 Million Mann aus fremden Streitkräften gehorchen, die in 65 Divisionen gegliedert sind. Rund die Hälfte von ihnen besitzt volle Kriegs-stärke, während der Rest personell schwächer ausgestattet ist. Darüber hinaus kann die Sowjetunion innerhalb kurzer Zeit etwa 20 Millionen Reservisten mobilisieren; die übrigen Ostblockländer sind in der Lage, ungefähr 7, 2 Millionen Männer, die in ihren Armeen gedient haben, zu den Fahnen zu rufen. Zu einem Teil sind diese Leute freilich in para-militärischen Verbänden organisiert, die sowohl als bodenständige Miliztruppen verwendet als auch für den „verdeckten Kampf" eingesetzt werden können
Die personelle Stärke
Die ebenso gut ausgebildete und ausgerüstete Armeee der Tschechoslwakei hat ein Heer von 14 Divisionen, von denen vier oder fünf Panzer-Divisionen sind, und zählt rund 200 000 Mann. Die Luftwaffe steht, was die Größe betrifft, nur der polnischen -nach; sie dient ebenfalls zur Luftverteidigung und zur taktischen Unterstützung des Heeres.
Das Streben Rumäniens nach mehr Eigenständigkeit im Ostblock hat sich auch auf die Beziehungen des Landes zu den anderen War-schauer Pakt-Mächten ausgewirkt. Rumänien ist zwar nach wie vor ein aktives Mitglied des östlichen Militärbündnisses, aber es besteht auf seiner eigenen Interpretation der politischen Rolle der Allianz. So setzte Bukarest im Oktober 1964 einseitig und wahrscheinlich gegen den Willen des Oberkommandos der Pakt-Organisation die Dienstzeit auf 16 Monate herab. Wie reserviert das Land dem Pakt gegenübersteht zeigte sich auch darin, daß Parteichef Ceausescu jede Bezugnahme auf das Bündnis unterließ, als er im Juni 1965 vor dem Parteiaktiv der Streitkräfte sprach
Die Armee Bulgariens wurde in den letzten zehn Jahren modernisiert, während sie von internen und internationalen Entwicklungen unberührt blieb. Doch ist auch Bulgarien von politischen Bewegungen erfaßt worden, und im Frühjahr 1965 waren der Stadtkommandant von Sofia, General Z. Aneff, und — nach dem Eingeständnis der bulgarischen Regierung — mindestens vier weitere Offiziere in eine Verschwörung verwickelt, um das Land auf den Weg größerer nationaler Unabhängigkeit zu führen
Nachdem der Aufstand vom Oktober 1956 in Ungarn von sieben sowjetischen Divisionen niedergeschlagen worden war, bedurfte es mehrerer Jahre, um eine neue ungarische Armee zu schaffen. Sie ist heute nicht mehr so stark wie vor der Revolution von 1956 und verfügt über sechs Divisionen — zumeist motorisierte Infanterie, aber auch über eine oder zwei Panzer-Divisionen — mit rund 100 000 Mann. Die zur Luftverteidigung und taktischen Unterstützung des Heeres bestimmte Luftwaffe ist sehr klein, aber mit modernen Waffen ausgerüstet.
Die militärische Bedeutung der „Nationalen Volksarmee" der „DDR" ist in den letzten Jahren gewachsen. Am 21. April 1965 teilte Armeegeneral Hoffmann, Verteidigungsminister der Zone, mit, daß die „Nationale Volksarmee" Mitglied der „I. Strategischen Staffel" des Warschauer Pakts geworden sei und daß „der Zusammenarbeit mit der Sowjetarmee, der Polnischen und der Tschechoslowakischen Volksarmee eine besondere Bedeutung" zukomme: „Das ergebe sich vor allem aus der militärgeographischen Lage und den gemeinsamen strategischen Aufgaben gegenüber der Hauptgruppierung der NATO in Mitteleuropa."
Damit ist die Zeit, in der die „Nationale Volksarmee" der Zone in die zweite Linie verbannt war, vorüber. Diese Entwicklung begann sich schon im Herbst 1961 abzuzeichnen, als Verbände der „Volksarmee" immer häufiger an gemeinsamen Übungen der Heere des War-schauer Pakts beteiligt wurden. Flotten-Manö-ver in der Ostsee — im September 1963 und zuletzt im Dezember 1964 —, an denen neben sowjetischen und polnischen auch sowjetzonale Geschwader partizipierten, demonstrierten deutlich, daß auch die Marine in ihrem Ausbildungsund Ausrüstungsstand nicht mehr hinter den See-streitkräften der anderen Verbündeten zurücksteht. Für die Luftwaffe dürfte das gleiche gelten. Im Rahmen der in den letzten Jahren von den Sowjets durchgeführten Maßnahmen zur Verbesserung des Luftüberwachungs-und Abwehrsystems in Zentraleuropa ist die Rolle der Luftwaffe und Luftverteidigung der Zone bedeutend gewachsen. Auch die sowjetischen Militärs, an der Spitze der Oberkommandierende der Warschauer Pakt-Organisation, Marschall Gretschko, der seinerzeit die „Volksarmee" aus der Taufe gehoben hatte, wiesen mehrmals auf das Gewicht der Zonen-Truppen innerhalb des östlichen Militärbündnisses hin.
Daß die Sowjets die Kampfkraft der „Nationalen Volksarmee" ziemlich hoch ansetzen, bestätigt sich in einer weiteren Beobachtung: Seit geraumer Zeit liefern die Sowjets neuartige Waffen und Geräte mit Vorrang an die „DDR"
Albanien, das über eine sehr kleine und schlecht ausgerüstete Armee verfügt, ist, seit es nur noch nominell dem Warschauer Pakt angehört, mit den übrigen Mitgliedsländern des Bündnisses praktisch nicht mehr verbündet. Die albanische Armee umfaßt mehrere Infanterie-Brigaden und zählt rund 25 000 Mann. Die Marine verfügt noch über zwei U-Boote, doch ist deren Einsatzbereitschaft zweifelhaft. Die Luftwaffe ist unbedeutend.
Seit 1955 hat die Sowjetunion den Ländern des Warschauer Pakts erhebliche Militärhilfe geleistet. Daneben haben die Tschechoslowakei und Polen ihre eigene Munitions-und Rüstungsproduktion weiterentwickelt; sie produzieren heute Panzer und Geschütze sowie Düsenmaschinen sowjetischen Typs. Auch Ungarn, Rumänien und Bulgarien stellen Hand-feuerwaffen und Munition nach sowjetischen Modellen her. Die Tschechoslowakei hat sogar eigene Konstruktionen beigesteuert, darunter eine Düsenmaschine, die inzwischen von anderen Pakt-Ländern, auch von der Sowjetunion, übernommen wurde. In der „DDR" ist ein allzu ehrgeiziger Versuch, eine eigene Flugzeugindustrie aufzubauen, 1961 wieder fallengelassen worden. So sind die Länder des Warschauer Pakts mittlerweile mit modernen Waffen und Geräten sowjetischer Typen ausgerüstet worden, die zum Teil aus eigener Produktion stammen, zum größten Teil aber von der Sowjetunion zur Verfügung gestellt werden. Während dieser Modernisierungsprozeß im Gang war, ist die personelle Stärke der Pakt-Armeen von 1955 bis 1960 um fast ein Drittel herabgesetzt worden. Seit 1960 hat es zwar einige Veränderungen gegeben — eine Verstärkung 1961 während der von den Sowjets heraufbeschworenen Berlin-Krise, geringe Reduzierungen 1962 und 1963 —, doch blieb die Gesamtstärke der Streitkräfte ziemlich stabil bei rund 1 Million Mann 57).
Fleute halten die Sowjetunion und die übrigen Warschauer Pakt-Länder zusammen etwa 71 000 Kampfpanzer, 63 500 Artilleriegeschütze, nahezu 33 000 Granatwerfer, über 27 000 Flugabwehr-Kanonen, mehr als 15 000 taktische Kampfflugzeuge, nicht ganz 300 große und rund 1800 kleine Kriegsschiffe sowie knapp 500 Unterseeboote einsatzbereit 58). In großer Zahl und Vielfalt kommen Raketen für das Gefechtsfeld und für den taktischen Bereich hinzu. Dabei läßt die technische Entwicklung des konventionellen Waffenarsenals der Roten Armee und der Streitkräfte der übrigen Pakt-Mächte die Tendenz erkennen, die Feuerkraft, die Beweglichkeit und den Panzerschutz zu erhöhen 59). Bedeutend verbessert wurde auch die Infrastruktur.
Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die Sowjets irgendeiner der mit ihr verbündeten Armeen Atomwaffen zur Verfügung gestellt haben. Es ist auch unwahrscheinlich, daß sie es jemals tun werden. Die Kontrolle über Atomwaffen betrachtet der Kreml als sein absolutes und ausschließliches Recht 60).
Die Sowjets haben den Streitkräften der Bündnisarmeen moderne Luftwarngeräte, Luftabwehrraketen und Jagdflugzeuge geliefert, nicht nur um diese Länder mit einer modernen Luftverteidigung zu versehen, sondern auch um die Luftverteidigung der Sowjetunion selbst zu verbreitern. Jedoch haben sie ihren Verbündeten keine strategischen Offensivwaffen gegeben — weder Mittelstrecken-Bomber noch Mittelstrecken-Raketen. Ebenso hielten es die Sowjets nicht für erforderlich, eigene derartige Waffen in anderen Ländern zu stationieren. Die Organisation der Luftverteidigung ist aber heute enger mit derjenigen der Sowjetunion verbunden. So ist Marschall W. Sudets, Oberbefehlshaber der sowjetischen Luftverteidigung, 1964 öffentlich als Oberbefehlshaber der Luftverteidigung des War-schauer Pakts bezeichnet worden
Die wichtigsten Indizien für die militärische Stärke des Warschauer Bündnisses sind vor allem die seit Herbst 1961 durchgeführten gemeinsamen Manöver
Die militärische Bedeutung des Warschauer Pakts besteht darin, daß die Streitkräfte der Ostblockländer einheitlich zusammengefaßt werden und daß die Einheitlichkeit der militärischen Operationen nach sowjetischen Direktiven gewährleistet ist, In der Existenz der kommunistischen Armeen erblicken die sowjetischen Führer außerdem ein Mittel, die kommunistische Herrschaft in diesem Raum aufrechtzuerhalten. Das Verhalten der ungarischen Armee im Jahre 1956 bedeutete für die Sowjets ein großer Schock, der auch heute noch nachwirkt. Trotzdem haben sie es für richtig gehalten, die Modernisierung der Pakt-Armeen zu fördern. Durch die Anwesenheit starker sowjetischer Garnisonen in Ungarn, Polen und vor allem in der „DDR" sollen mögliche Aufstände verhindert oder unterdrückt werden“
In jüngster Zeit wird immer deutlicher, daß die sowjetische Führung mit dem Warschauer Pakt noch einen anderen, vornehmlich politischen Zweck verbindet. In der östlichen Militärallianz hat der Kreml stets ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin und politischen Einigkeit unter den kommunistischen Ländern des Bündnisses gesehen. Zwar stand dieser Gedanke 1955, als sich im Ostblock noch keine nennenswerten Auflockerungstendenzen zeigten, noch nicht so sehr im Vordergrund;
heute spielt er aber eine entscheidende Rolle. Auf diese Problematik hat R. L. Garthoff kürzlich eindringlich hingewiesen: „Mit dem spürbaren Nachlassen der Disziplin in der kommunistischen Bewegung in Osteuropa — durch die relativ selbständige Politik Rumäniens evident — und mit dem Versagen des COMECON als Instrument der politischen Einigung hat die Bedeutung des War-schauer Pakts in diesem Zusammenhang erheblich zugenommen. Nach wie vor bietet der Pakt eine gemeinsame militärische Organisation, gemeinsame Planung, einheitliche Doktrin und standardisierte Ausrüstung, aber die Frage politischer Übereinstimmung oder Divergenz ist eindeutig zu einer fundamentalen und damit erstrangigen Frage geworden.
Die Länder Osteuropas haben etwas unterschiedliche Ziele. Sie alle sind nach wie vor, wenn auch in Abstufungen, politisch und ideologisch miteinander verbunden. Sie alle betrachten ihre Streitkräfte und vermutlich auch den Warschauer Pakt als Mittel zur Erhöhung ihrer Sicherheit. Prestigebedürfnis und Tradition spielen beim Unterhalt eigener Armeen ebenfalls eine Rolle. Schließlich stellen die Streitkräfte ein wichtiges Medium der politischen Erziehung und bis zu einem gewissen Grad der technischen Ausbildung dar. Es ist freilich kaum vorstellbar, daß es einem Mitglied gelingen könnte, aus dem Pakt auszuscheiden, falls es dies wünschte (Albanien ausgenommen). Die ungarische Absicht, den Pakt zu verlassen, hat 1956 den sowjetischen Führern den letzten Anstoß zur Intervention und zur Beseitigung der Regierung gegeben.
Jedoch entwickelt sich der Warschauer Pakt zu einer konventionellen Allianz. Zwar bindet er die Mitgliedstaaten noch aneinander, doch ist er keine bloße Verwaltungsmaßnahme mehr, um die einzelnen Armeen unter sowjetischer Kontrolle zu koordinieren. Die Sowjetunion wird zweifellos auch weiterhin die militärische Planung des Pakts beherrschen, aber die sowjetischen Führer können nicht mehr sicher sein, daß sich die übrigen Mitgliedstaaten unter allen Umständen auf bestimmte Vorstellungen und Pläne festlegen lassen. Rumänien ist den Weg zur Wiederherstellung seiner nationalen Prärogative gegangen, und zwar auch in Bereichen, die sich auf die militärische Allianz auswirken, und andere Länder werden diesem Beispiel folgen. Der War-schauer Pakt ist immer noch und mehr denn je das entscheidende Instrument zur Koordinierung der osteuropäischen Koalition, aber gerade als solches muß er die Wandlungen der politischen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten spüren und widerspiegeln."
Diese Anlayse wird durch die Politik bestätigt, welche die Sowjetführung seit Anfang 1965 gegenüber den Ostblockiändern treibt. Die sowjetische Außenpolitik ist vor allem darum bemüht, die erschütterte Flegemonie Moskaus im kommunistischen Block wiederherzustellen. Vornehmlich scheint sich Parteichef Breshnew zu energischerem Handeln entschlossen zu haben
Offensichtlich steht diese Haltung mit der allgemeinen Versteifung in innenpolitischen und ideologischen Fragen in Einklang. Sie dürfte auch dadurch begünstigt worden sein, daß der Druck Rotchinas auf die Sowjetunion infolge der schweren Rückschläge, die Peking in Asien und Afrika in letzter Zeit einstecken mußte, beträchtlich nachgelassen hat. Vor diesem Hintergrund hat sich der Kreml nunmehr an die Bereinigung vernachlässigter Fragen im Umgang mit den Ostblockländern gemacht
Auf einer Freundschaftskundgebung anläßlich des Besuchs einer Delegation aus der Tschechoslowakei sagte Parteichef Breshnew am 14. September 1965 im Kreml-Palast, daß „die Verteidigung der Länder des Sozialismus gegen die imperialistischen Umtriebe eine weitere Festigung der Einheit der sozialistischen Staatengemeinschaft erfordert: Die gegenwärtige Situation rückt die Aufgabe der weiteren Vervollkommnung der Organisation des War-schauer Vertrages — dieses mächtigen Verteidigungsinstruments der sozialistischen Welt — auf die Tagesordnung."
Um dieses Ziel zu erreichen, bedient sich der Kreml auch des Warschauer Pakts