I. Ausgangspunkte
1. Der Ministerrat der EFTA in Wien wurde am 24. Mai 1965 mit Erklärungen abgeschlossen, die entschiedener oder verhaltener den Wunsch aussprachen, durch Verhandlungen zwischen EWG und EFTA die innereuropäische Diskriminierung so bald wie möglich zu überwinden. Der Zollabbau in beiden Systemen werde, so erklärte man, in etwa anderthalb Jahren, sobald die Zölle nach innen beseitigt sind, den vollen Diskriminierungseffekt ausüben. Es liege im gesamteuropäischen Interesse, diese handelspolitische Zweiteilung Europas, die in bezug auf die Handelsströme wie auch in bezug auf die Investitionsentscheidungen der Wirtschaft nur abträglich wirken kann, zu beseitigen. 2. Eine akute Schädigung der wirtschaftlichen Entwicklung Europas ist durch die Zweiteilung seiner Integrationsprozesse noch nicht eingetreten. Auch haben die EFTA-Länder an der Expansion des Gemeinsamen Marktes in einem gewissen Umfange teilgenommen. Dennoch kann die nunmehr vorhandene Zweiteilung des freien Europa nicht allein wirtschaftlich beurteilt werden. Wichtiger und gefährlicher erscheint die Aufteilung eng zusammengehörender Länder in zwei Gruppen. Manche Repräsentanten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft scheinen diese als exklusiven Klub zu empfinden, gegen dessen Erweiterung man offene oder passive Resistenz setzt. Es steht zu befürchten, daß die wirtschaftliche Teilung in zwei Gruppen die politisch-psychologische Atmosphäre in Europa in Zukunft mehr als bisher belastet und einen einheit-B liehen Elan verhindert, von dem die Selbstbehauptung eines freien Europa auf die Dauer abhängen wird. 3. Die Entwicklung der europäischen Märkte zeigt in vielen Bereichen Zeichen der Konkurrenzverschärfung. Man drängt insbesondere auf die Märkte der Ostblockstaaten. Sicher wäre es eine bessere Lösung, zusätzliche expansive Kräfte für das wirtschaftliche Wachstum in Europa durch einen Zusammenschluß des EWG-Marktes mit dem EFTA-Markt herbeizuführen.
Das gilt insbesondere für die an dem EFTA-Markt besonders interessierte Bundesrepublik. Im Handel mit der EFTA standen 1964 dem Export der Bundesrepublik von 17, 67 Mrd. DM Importe von 10, 59 Mrd. DM gegenüber. Der Aktivsaldo von 7, 08 Mrd. DM weist unser Interesse an diesen erstrangigen Absatzmärkten aus. Er scheint uns dringend erforderlich, daß die Bundesregierung dieser Bedeutung des EFTA-Marktes auch in den internationalen Verhandlungen Rechnung trägt. Es wurde schon betont, daß dieser wirtschaftliche Gesichtspunkt die Notwendigkeit eines Brückenschlages akzentuiert, wenn auch das Ziel der politischen Einigung Europas im Vordergrund steht. Auch die gestärkten industriellen Kräfte unserer EWG-Partner sind, wenn sie ihre wahren Interessen bedenken, an dieser Entwicklung zu einem gesamteuropäischen Markt interessiert. 4. Die EFTA-Länder haben in den vergangenen Jahren ihr Interesse, in eine engere Be-Ziehung zur EWG zu treten, vielfach und un-verklausuliert ausgesprochen. Das gilt insbesondere für Dänemark und Österreich, das in Assoziierungsverhandlungen mit der EWG eintrat. Eine neue Wendung ist nunmehr dadurch eingetreten, daß sich die englische Labour-Regierung durch Premierminister Wilson in Wien klar zur europäischen Aufgabe Englands bekannte und die Bereitschaft erklärte, seitens der EFTA in Verhandlungen mit der EWG einzutreten. Damit ist eine bisher bestehende Unsicherheit beseitigt, durch die nach dem Sturze der konservativen Regierung die Neigung Englands, ein europäisches Obligo einzugehen, in Zweifel gezogen werden konnte.
Seit Ende 1963 Ministerpräsident Krag multilaterale Verhandlungen der EFTA mit der EWG vorschlug, ist eine Antwort auf diese nun mehrfach vorgebrachte diplomatische Anregung seitens der EWG nicht erfolgt. Zwar wurden in dem von der Bundesregierung Oktober 1964 vorgelegten Memorandum gewisse Schritte in dieser Richtung unternommen; der deutsche Vorschlag ist jedoch als Ganzes im Schatten der Diskussion über den Getreidepreis unbeachtet geblieben.
Sollten die EFTA-Vorschläge, multilaterale Verhandlungen zwischen den beiden Gruppen aufzunehmen, seitens der EWG unerwidert bleiben, muß mit einer dauernden Verschlechterung des politischen Klimas, insbesondere auch in Großbritannien, gerechnet werden. Es ist keine der europäischen Zusammengehörigkeit angemessene Haltung, eine solche berechtigte Anregung unbeantwortet zu lassen, zumal seitens der EFTA-Länder in den 1958 gescheiterten Maudling-Verhandlungen und in den Anfang 1963 gescheiterten Beitrittsverhandlungen zweimal ein erheblicher Anlauf in der Richtung einer gemeinsamen europäischen Lösung gemacht wurde. Das Scheitern beider Versuche ist, wie ich aus unmittel-barer Erfahrung weiß, nicht auf das Konto der EFTA-Länder zu setzen. 5. Sicher hat es 1950, als die sechs Länder der EWG mit der Montanunion begannen, gute Gründe gegeben, die europäische Integration in einem überschaubaren und leichter organisierbaren Kreise von sechs Ländern zu beginnen. Es mag auch sein, daß bis 1957, bis zum Abschluß der Rom-Verträge, bei einigen EFTA-Ländern, insbesondere bei Großbritannien, ein Zögern festzustellen war in bezug auf die Bereitschaft, sich auf die Verpflichtungen einer europäischen Ordnung überhaupt einzulassen. Nachdem wir nunmehr fünfzehn Jahre europäische Integration im engsten geschlossenen Kreise praktiziert haben, sollte man dieses Argument früherer Jahre ad acta legen und einsehen, daß nunmehr eine andere Haltung am Platze ist, die statt historischen Räsonnements von unseren heutigen Aufgaben ausgeht.
In der Zeit der Maudling-Verhandlungen machte ein Bild die Runde, das mehr als Argumente die EWG-Behörden veranlaßte, sich skeptisch gegen die große Freihandelszone einzustellen. Man fürchte, so hieß es, in einer großen Freihandelszone würde die EWG ihre Kontur verlieren und sich „wie ein Stück Zucker im Tee" auflösen. Wieweit dieses Argument damals berechtigt war, sei nicht erörtert. Nachdem jedoch inzwischen die soge-nannte Beschleunigung zur inneren Festigung der EWG durchgeführt wurde, nachdem man die zweite Phase der afrikanischen Assoziierung beschlossen und begonnen hat und Anfang 1962 die grundlegenden Agrarverordnungen unter Dach und Fach brachte und nachdem man abschließend die positive Entscheidung über den Getreidepreis faßte, scheint mir nunmehr dieses Argument micht mehr verwendbar. Die EWG hat gegenwärtig die ihr zugedachte organisatorische Einheit gewonnen. Ich wüßte nicht, worauf man noch warten sollte. Es sei denn, man wollte die vollständige Verwirklichung der Wirtschaftsunion, also der vollen wirtschaftspolitischen Koordinierung, zur Bedingung machen. Das hieße, das Problem ad calendas graecas zu vertagen. Im übrigen ist die Wirtschaftsunion mit England nicht schwerer zu erreichen als ohne England, wie die Tatsache beweist, daß Minister Heath die Wirtschaftsunionsbestimmungen en bloc bei den Beitrittsverhandlungen in wenigen Minuten akzeptierte. 6. Das Problem EWG -EFTA gleichgültig weiter vor sich herzuschieben, ohne irgendeine Lösung anzugehen, belastet die europäische Politik mit einer mehr als prekären Situation. Den ständigen Beteuerungen, daß die EFTA-Länder zur europäischen Einheit dazugehören, steht die Praxis, ihnen die Mitarbeit zu verweigern, gegenüber. Alle diplomatischen Beteuerungen bei Staats-und Ministerbesuchen klingen hohl, solange man nicht bereit ist, wirkliche Schritte in der Richtung der europäischen Einheit zu tun.
Für konstruktive Vorschläge zur Bereinigung des EWG-EFTA-Problems kommt im EWG-Kreis in erster Linie die Bundesrepublik in Betracht. Sie trägt hier eine besondere Verantwortung und sollte sich einer derartigen Vermittlerrolle nicht entziehen, zumal in allen vergangenen Jahren Bundesregierung und Bundestag feierlich mit dem Bekenntnis zur EWG ein gleich starkes Bekenntnis zur gesamteuropäischen Einheit von EWG und EFTA ausgesprochen haben.
Die europäische Integration bedarf des Vorwärtsschreitens in einem stets lebendig bleibenden Impuls hin auf eine wachsende europäische Kooperation. Es kann nicht genügen, sich nur auf die Alltagsarbeit der inzwischen heranwachsenden europäischen Bürokratie zu verlassen. So wichtig deren Funktion ist, sie zehrt mehr als daß sie die europäische Integration anreicherte.
Seit der Konferenz von Messina war es die Philosophie des Gemeinsamen Marktes, die politische Integration auf dem Wege, um nicht zu sagen auf dem Umwege über die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu erreichen. Man hat in dieser Hinsicht erhebliche Erfolge erzielt. Die Bemühungen um eine ohne diesen Umweg direkt zu verwirklichende politische Union sind seit anderthalb Jahrzehnten immer wieder gescheitert. Auch die neuesten Bemühungen der Bundesregierung um eine politische Union müssen in der gegenwärtigen Lage als chancenlos angesehen werden. Man ist von französischer Seite weder bereit, die Einbeziehung Englands zu konzedieren, noch besteht hinlängliche Übereinstimmung über das Maß der einzubauenden supranationalen Entscheidungen. Hinzu kommt der völlige Dissens der Länder der EWG in wesentlichen außen-politischen Fragen. Der Gedanke einer politischen Union mag noch so einfach und einleuchtend anmuten, die Chance, ihn zu verwirklichen, ist gering. 7. So bleibt nach Lage der Dinge lediglich der Weg, die innere Kooperation der EWG durch Intensivierung der Zusammenarbeit zu verstärken. Sicherlich ist es ein gutes Konzept, die EWG-Arbeit im Innern in jene Bereiche zu lenken, die ein besonderes Maß politischer Kooperation erfordern, wie Konjunkturpolitik, Währungspolitik, Schaltung eines gemeinsamen europäischen Haushalts, europäische Investitionspolitik, europäische Forschungspolitik. Diese interne Zusammenarbeit ist jedoch keine Antwort auf die vor uns stehende Frage nach einer gesamteuropäischen Konzeption.
Selbst wenn es gelingen sollte, die politische Union zu schaffen, so würde sie für die Beziehung zur EFTA, der drei neutrale Länder (Schweden, Österreich, Schweiz) angehören, keine Lösung bieten. Es bedarf, um diese Länder tiefer mit Europa zu verbinden, auf jeden Fall einer wirtschaftspolitischen Konstruktion. 8. In Kreisen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft herrscht augenblicklich eine beinah vollständige Passivität und Skepsis in allen Gesamteuropa berührenden Fragen. Man ist allenfalls bereit, in der Kennedy-Runde ein indirektes Mittel zu sehen, durch allgemeine Zollherabsetzung auch die innereuropäische Diskriminierung zu beseitigen. Gerade da es so wichtig ist, daß Europa mit den USA und Kanada auf atlantischer Ebene zusammenwirkt, bedarf es zuvor einer spezifischen Organisation aller Länder des freien Europa. 9. Nachdem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft die Assoziierung von achtzehn afrikanischen Staaten, von Griechenland und der Türkei vollzogen hat, besteht kein Grund, den Zugang zum Gemeinsamen Markt Staaten zu verweigern, die nach geographischer Lage, politischer Haltung und geschichtlichem Herkommen als unsere nächsten Freunde betrachtet werden müssen. 10. Wenn auch in der Vergangenheit die Versuche, eine gesamteuropäische Organisation zu schaffen, nicht ihr Ziel erreichten, so sollten gewisse heute gegebene Möglichkeiten nicht übersehen werden.
Um den realisierbaren Handlungsspielraum abzustecken, ist es zweckmäßig, von der französischen Haltung auszugehen, über sie Endgültiges auszusagen, mag schwer sein. Frankreich lehnt eine Verstärkung supranationaler Organe ab. Die künftige europäische Integration durch eine engere Kooperation der europäischen Länder steht mit dieser Position in keinem Gegensatz. Frankreich möchte in seiner Außenpolitik frei entscheiden können-, daher seine Ablehnung der politischen Union. Die zahlreichen Versicherungen, man sei an einer innereuropäischen Kooperation interessiert, können also nur auf wirtschaftspolitische Kooperation gerichtet sein, ohne daß diese näher definiert wurde.
Frankreich betrachtet die Sicherung des Agrarmarktes als wesentliches Äquivalent für seine Beteiligung am Gemeinsamen Markt überhaupt. Freilich dürfte Frankreich in zunehmendem Maße Interesse gewonnen haben an einer expansiven Gestaltung auch der industriellen Seite des Gemeinsamen Marktes.
Es scheint mir erforderlich zu sein, durch Vorlage eines konkreten deutschen Planes in bilateralen Verhandlungen im Rahmen des deutsch-französischen Vertrages die französischen Vorstellungen einer für de Gaulle akzeptablen innereuropäischen Integration zu ermitteln. Dieser Versuch ist bisher nicht unternommen worden. Wenn überhaupt eine Verhandlungsbasis vorhanden ist, könnte sie kaum enger sein als das, was im folgenden in bewußter Zurückhaltung für eine Lösung der Beziehung EWG -EFTA vorgeschlagen wird. 11. Es scheint mir keine Lösung zu sein, die EFTA-Länder auf Einzelverhandlungen mit der EWG zu verweisen. Es scheint mir politisch unerwünscht zu sein, die EFTA-Länder dem Übergewicht der EWG einzeln gegenüberzustellen. Man kann Assoziationsverhandlungen, wie die mit Österreich etwa, in eine multilaterale Verhandlung einbetten, aber es dürfte unzumutbar sein, der EFTA multilaterale Verhandlungen generell zu verweigern. Man hat dazu die Begründung gegeben: die EFTA sei im Gegensatz zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nur ein loser Verein eigenständiger Länder und könne dementsprechend ihrer Organisation kein Verhandlungsmandat geben. Seitens der EFTA sind multilaterale Verhandlungen inzwischen mehrfach angeboten worden. Man sollte die Frage der inneren Rechtsbeziehungen der EFTA den EFTA-Län18 dem selbst überlassen, die ihre Verhandlungsfähigkeit bejahen. 12. Unter Berücksichtigung des Gesagten sollte unverzüglich ein konkreter Verhandlungsvorschlag gemacht werden, damit die Phase der vagen Sympathieerklärungen beendet wird und die gegebenenfalls Widerstrebenden zu einer klaren Äußerung darüber genötigt werden, weshalb sie sich einem solchen begrenzten Vorschlag widersetzen und damit die gesamteuropäische Einheit gefährden. Zum mindesten wären sie gehalten, von sich aus zu sagen, was sie sich unter der beteuerten europäischen Zusammenarbeit ihrerseits vorstellen.
II. Vorschläge für Lösung der EWG-EFTA-Frage
1. Nachdem die EFTA-Staaten in Wien ihren Wunsch nach direkten Verhandlungen zwischen EWG und EFTA äußerten, liegt es nunmehr bei der EWG, in feierlicher und unverklausulierter Weise ihre Bereitschaft zu erklären, multilaterale Verhandlungen der EWG einerseits, der EFTA andererseits unverzüglich aufzunehmen mit der Aufgabe, die wirtschaftspolitische Kooperation in Europa nach den Zielen zu orientieren, die der Rom-Vertrag in seiner Präambel dahin formulierte, daß der Zugang zur europäischen Integration allen Ländern des freien Europa offenstehe.
Es wird einer weiteren Erwägung bedürfen, wieweit die schwebenden Assoziierungsverhandlungen, etwa die mit Österreich, in eine solche multilaterale Verhandlung eingegliedert werden können. Auf jeden Fall sollte die EWG klar zu erkennen geben, daß sie bereit ist, diese Verhandlungen so zu führen, daß nicht durch Einzelverhandlungen der Zusammenhalt der EFTA gesprengt wird. 2. Dieser Bereitschaftserklärung sollten so bald wie möglich multilaterale Verhandlungen folgen, die keineswegs, um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, das anspruchsvolle Ziel einer gesamteuropäischen Freihandelszone, wie in den Maudling-Verhandlungen, oder einen Beitritt oder eine Einzelassoziierung der EFTA-Länder mit vollen Mitglieds-rechten ansteuern. Man sollte sich im gegen-eine wärtigen Moment darauf beschränken, ein Minimalprogramm aufzustellen, das lediglich den Kriterien zu genügen hat: Herstellung eines Mindestmaßes innereuropäischer Kooperation und Beseitigung der innereuropäischen Zolldiskriminierung. 3. Ziel der multilateralen Verhandlungen sollte ein Vertrag zwischen EWG und EFTA sein, durch den die innereuropäischen Zölle, insbesondere in bezug auf jene Waren, für die die europäischen Länder Hauptlieferländer sind, entsprechend dem inneren Zollabbau im EWG-und EFTA-Markt gesenkt werden.
Ein solcher Vertrag müßte im Sinne des GATT als ein Freihandelszonen-Vertrag zwischen EWG und EFTA abgeschlossen werden. Er würde den Bedingungen des GATT durch die innere Zollbeseitigung zwischen den beteiligten Ländern in einer bestimmten Abbauphase entsprechen. Mitglieder der Freihandelszone wären die EWG auf der einen Seite, die EFTA oder die EFTA-Länder auf der anderen Seite. Es sind anderslautende Vorschläge gemacht worden, etwa die EFTA in die EWG als Mitglied, oder umgekehrt, die EWG als Mitglied in die EFTA aufzunehmen. In beiden Fällen enstünden komplizierte Probleme des Gleichgewichts in den einzelnen Organisationen. So wenig man, wenn solche Organisationen möglich wären, gegen sie einwenden sollte, scheint es nur richtig zu sein, den hier vorgeschlage-nen Weg der schlichten Koexistenz von EWG und EFTA zu gehen und ohne gegenseitige Vermengung der Systeme eine Freihandelszone als Klammer herumzulegen, deren einziger Zweck es ist, die innere Zolldiskriminierung zu beseitigen. Nur so kann auch dem Einwand begegnet werden, eine Änderung der inneren Organisation von EWG oder EFTA könne den Fortgang der Integration der Gruppen stören.
Da die EWG-Länder die nunmehr getroffene Agrarregelung offensichtlich als eine wesentliche Sicherung ihrer agrarischen Eigeninteressen, insbesondere auf dem deutschen Markte, ansehen, sollte man die Freihandelszone nicht auf die landwirtschaftlichen Produkte erstrekken, sondern den EWG-Agrarmarkt in sich unangetastet lassen. Das berührt freilich nicht die Verpflichtungen der EWG und auch der EFTA-Länder, sich im Zuge ihrer koordinierten Wirtschaftspolitik Agrarkontingente oder irgendwelche Erleichterungen und Sicherungen ihrer Agrarausfuhr zu konzedieren.
In der Schlußphase der Maudling-Verhandlungen ist die Gefahr der Verkehrsverlagerungen über zollgünstigere Einfuhrwege als besondere Gefahr der Konstruktion der Freihandelszone diskutiert worden. Man hat Sicherungen erörtert, wie die sogenannte Carli-Taxe, Selbstbeschränkungsabkommen usw. Die bisher in der EFTA gemachten Erfahrungen scheinen — vorbehaltlich einer weiteren Nachprüfung — auf keine sonderlichen Schwierigkeiten der bisherigen Praxis hinzuweisen. Immerhin sollte man versuchen, eine gewisse progressive Anpassung der Einzeltarife der EFTA-Staaten an den gemeinsamen Tarif der EWG zu erreichen. Wo das nicht geschehen kann, müßten in der Tat Ausgleichstaxen erhoben werden.
Ob man die Zollsenkung zwischen den Blöcken mit der inneren Zollsenkung voll synchronisiert oder eine Verzögerung (decalage) von ein bis zwei Jahren einlegt, wäre zu erörtern. Auf jeden Fall sollte dies festgehalten werden: Nachdem sowohl in der EWG als auch in der EFTA die inneren Zölle auf ein Minimum reduziert wurden, die Industrien der einzelnen Länder also ohnehin schon der Konkurrenz von fünf oder sechs Partnern im inneren Markt ausgesetzt sind, dürfte der Wettbewerbseffekt eines größeren Gemeinsamen Marktes kaum eine zusätzliche Belastung bedeuten; um so größer ist jedoch der dynamische Effekt zu veranschlagen, den EWG und EFTA in dem vergrößerten Markt jeweils gewinnen. Daß der mit so hoher Kaufkraft ausgestattete EFTA-Markt wirtschaftlich für alle Länder der EWG von höchstem Wert ist, steht fest. 4. Das in der vorgeschlagenen Kooperation zusammengeschlossene Europa sollte mit den Vereinigten Staaten in eine enge handels-und wirtschaftspolitische Kooperation eintreten, die über die Handelspolitik hinaus sich auf eine gewisse Koordinierung des Wettbewerbs und insbesondere auf die Schaffung eines Gleichgewichts der Zahlungsbilanzen beiderseits des Atlantiks richten sollten. 5. Die gemeinsame Organisation von EWG und EFTA müßte über die reinen handelspolitischen Aufgaben hinaus, insbesondere in Richtung der Harmonisierung der Wettbewerbsregeln, ein gewisses Minimum an wirtschaftspolitischer Koordinierung schaffen. Dazu dürfte insbesondere auch die Koordinierung der Haltung in bezug auf den Osthandel gehören. 6. In bezug auf zwei Fragen sollte man in eine engere Kooperation eintreten: in der Konjunkturpolitik und der Währungspolitik. Es hat sich bisher gezeigt, daß diese Fragen selten allein im Kreise der sechs EWG-Länder oder der sieben EFTA-Länder behandelt werden konnten. Der bisherige Verhandlungsstil dieser Fragen in der OECD dürfte in dieser Beziehung zu locker gewesen sein. Als ein praktikabler Weg, der auch geeignet ist, den Willen zur Einheit der europäischen Kooperation zu dokumentieren, wird vorgeschlagen, in den konjunkturpolitischen Ausschuß und in den Währungsausschuß Vertreter der EFTA-Staaten aufzunehmen zwecks Erarbeitung gemeinsamer Stellungnahmen zu Wachstums-, Stabilitäts-und Konjunkturproblemen. 7. Zwanglos ließe sich jenseits der bestehenden Verträge eine Kooperation im Forschungsbereich und in bezug auf gewisse, die Ländergrenzen überschreitende gesamteuropäisch wichtige Verkehrs-und Energieinvestititionen durchführen. Für sie gibt es bereits in der Praxis der Europäischen Investitionsbank gewisse Ansätze, die z. B. die Alpen-Straßen Österreichs und der Schweiz betreffen. 8. Solange es noch nicht geglückt ist, die gegenseitige Diskriminierung durch Zollabbau zu beseitigen, sollte ein handelspolitischer Fachausschuß laufend darüber beraten, wo sich in Einzelfällen unnötige Schädigungen ergeben und wie sie zu vermeiden sind. 9. Um den Kontakt zwischen den beiden Systemen vorzubereiten und die Verhandlungen technisch zu erleichtern, sollte der seinerzeit von der französischen Delegation gemachte Vorschlag, einen Botschaiter der EWG bei der EFTA in Genf zu bestellen, nunmehr verwirklicht werden.
Es haben in der letzten Zeit Verhandlungen innerhalb der EFTA stattgefunden, wieweit diese der Struktur der Zollunion angenähert werden könnte. Würden diese Tendenzen weiter verfolgt werden, bestünde durchaus die Möglichkeit, in Übereinstimmung mit der GATT-Ordnung die EFTA von der sicherlich etwas schwierigeren Form einer Freihandelszone hin zu der einer klarer definierbaren Zollunion zu entwickeln. Das Gleichgewicht zwischen EWG und EFTA wäre vielleicht so leichter herzustellen.
Eine Konstruktion wie die hier vorgeschlagene dürfte auch der gegenwärtigen Haltung der USA entsprechen, die im Gegensatz zu ihrer früheren Haltung neuerdings keiner der beiden Gruppierungen einen Vorzug einräumt, sie vielmehr beide für gleich wichtig im Rahmen einer auf die Stärkung Europas gerichteten Politik hält.
Wir haben in Europa in bezug auf die wirtschaftliche Integration der EWG Erfolge erzielt. In bezug auf die Zusammenfassung aller freien Länder Europas fehlt eine vergleichbare Lösung. Schwere Enttäuschungen liegen hinter uns. Bei genauester Prüfung ist jedoch kein Umstand zu entdecken, der uns hindert, unverzüglich jenes Minimum an wirtschaftlicher Kooperation in Europa herzustellen, ohne das die politische Gemeinsamkeit unseres Kontinents nicht geschaffen werden kann. Die integrierende Kraft der wirtschaftspolitischen Kooperation ist auch heute noch das beste Mittel, Europa wirtschaftlich wie auch politisch voranzubringen.