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Der Europarat | APuZ 47/1965 | bpb.de

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APuZ 47/1965 Neue Motive der europäischen Einigung Der Europarat

Der Europarat

Curt Christoph von Pfuel

Seit Jahrhunderten träumen Staatsmänner und Philosophen von einem vereinigten Europa. Sully, Heinrich IV., William Penn, Immanuel Kant, der Abbe de St. Pierre, Jean-Jaques Rousseau, Jeremy Bentham, Voltaire, Cobden und Victor Hugo befinden sich unter den Verfechtern der europäischen Sache. In den Jahren, die auf den Ersten Weltkrieg folgten, weckte Graf Coudenhoven-Kalergi erneut das Interesse für die Idee eines geeinten Europas. Etwas später — um 1930 — unterbreitete der damalige französische Ministerpräsident Aristide Briand dem Völkerbund ein Prospekt für eine europäische Union. Nach unseren Begriffen war der Briand-Plan nichts anderes als die Forderung nach zwischenstaatlicher Zusammenarbeit von an sich souverän bleibenden Nationalstaaten. Trotzdem stellte er eine Art Glaubensbekenntnis in die historische Notwendigkeit dar, die Einheit Europas zu verwirklichen. Indessen, Briand blieb nicht lange genug am Ruder und Stresemann starb zu früh. Mit ihrem Abtreten aber von der Bühne der Politik begann es über Europa dunkel zu werden.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges war das alte Europa verschwunden. Ein Jahrtausend europäischer Geschichte schien ausgelöscht. Dort, wo jahrhundertelang der politische, wirtschaftliche und kulturelle Schwerpunkt unseres Planeten lag, befand sich ein Vakuum. Die politischen Gewichte waren abgewandert — nach Westen und nach Osten. Es waren die USA, wo die Vereinten Nationen entstanden. Europa aber bewegte sich am Rande eines wirtschaftlichen Abgrundes und der politischen Zersetzung. Deutschland insbesondere war wirtschaftlich und politisch zerschlagen. Gleiches galt für Österreich. Griechenland wand sich in den Nachwehen eines Bürgerkrieges gegen kommunistische Guerillas, der dem im Kriege stark mitgenommenen Lande untragbare Opfer abverlangte. Frankreich, Belgien und schließlich auch die Niederlande kämpften verzweifelt darum, ihre Wirtschaft wieder intakt zu bekommen. Italien, in weiten Teilen damals noch eine Art feudalistisches Entwicklungsland, ächzte unter politischen Wirren. In allen Ländern konnte der Kommunismus seine Position immer mehr ausbauen. Nationale Ressentiments der Völker verschlimmerten die Lage — und das alles angesichts einer geschlossen auftretenden sowjetischen Großmacht, die nur darauf wartete, die noch nicht einverleibten Teile Europas nach der „Salami-Taktik" Scheibe um Scheibe zu verspeisen.

Zwar wollten die Vereinten Nationen damals von Amerika aus eine neue Welt erstehen lassen, eine Welt der Demokratie auf der Grundlage der unverlierbaren Freiheiten und deren weltweiter Anerkennung. Drei Jahre später mußten sie jedoch erkennen, daß man sich vorläufig mit einer Erklärung der Unantastbarkeit der Menschenrechte begnügen müsse, ohne deren wirksame Wahrung garantieren zu können. Es kam zur universellen Deklaration der Menschenrechte mit ihren grundlegenden, aber nicht durchsetzbaren Forderungen. Dasselbe Jahr brachte den Staatsstreich von Prag, die Ablehnung der Marshallhilfe durch die Oststaaten und damit eine Vertiefung des Grabens zwischen Ost und West.

Die Gründung

In dieser Situation begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß Politik nicht mehr auf das Wohl des eigenen Staates ausgerichtet werden dürfe. Die Idee eines vereinten Europas gewann erneut Anziehungskraft. Schon 1946 hatte Churchill in Zürich eine umfassende kontinentale europäische Zusammenarbeit zur Überwindung der Kriegsfolgen zur Diskussion gestellt. 1948 trafen sich im Haag auf einem Kongreß der Europäischen Bewegung mehr als 1000 Delegierte verschiedener privater Vereinigungen, die alle für die europäische Einheit eintraten. Von ihnen ging die Initiative zu einer dauernden, alle freien europäischen Länder einbeziehenden Zusammenarbeit aus. Der Europarat entstand als erste politische Institution unseres Kontinents.

Durch die Schaffung einer Staatenkammer — dem Ministerkomitee — und einer Volkskammer — der Beratenden Versammlung — wurde eine Formel der Zusammenarbeit gefunden, in der freilich eine Exekutive noch nicht vorgesehen war. Aber es entstand doch eine Institution, die es ermöglichte, die Standpunkte der Vertreter der europäischen öffentlichen Meinung mit den Möglichkeiten und Gegebenheiten der Politik der einzelnen Länder zu konfrontieren.

Die Satzung des Europarates wurde am 5. Mai 1949 in London unterzeichnet. Am 3. August 1949 trat sie in Kraft. Sie war von zehn Ländern ausgearbeitet worden, während acht weitere im Laufe der Zeit beitraten. Heute sind Österreich, Belgien, Zypern, Dänemark, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Griechenland, Island, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Norwegen, Schweden, die Schweiz, die Türkei und Großbritannien Mitglieder des Europarates, die insgesamt 147 Delegierte und ebenso viele Stellvertreter in die Beratende Versammlung entsenden. Von den europäischen Ländern diesseits des Eisernen Vorhanges sind bis heute noch nicht Mitglied: Finnland, Jugoslawien, Portugal und Spanien.

Ziel des Europarates nach Artikel 1 des Statutes ist es, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze und zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern. Nach Artikel 3 erkennt jedes Mitgliedsland des Europarates „den Grundsatz der Vorherrschaft des Rechtes und der Anwendung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf alle seiner Herrschaftsgewalt unterstellten Personen an. Es verpflichtet sich, bei der Erfüllung der in Kapitel 1 bestimmten Aufgaben aufrichtig und tatkräftig mitzuarbeiten." Jedes Land, das gewillt ist, die Bestimmungen dieses Artikels als für sich verbindlich anzuerkennen, kann Mitglied des Europa-rates werden.

Die Organisation

Sitz des Europarates ist das Europa-Haus in Straßburg. Es umfaßt neben einem Plenarsaal Sitzungssäle für Ausschüsse, Büros für die nationalen Vertretungen und die politischen Gruppen, eine Bibliothek, Verwaltungsbüros sowie Anlagen für Presse und Rundfunk. Entsprechend der in London ausgearbeiteten Verfassung setzt sich der Europarat aus zwei Organen zusammen, dem Ministerkomitee und der Beratenden \/ersammlung. Beiden dient ein Generalsekretariat als Instrumentarium. Jeder Mitgliedstaat ist im Ministerkomitee durch seinen Außenminister vertreten. Das Ministerkomitee tagt zwölfmal im Jahr, davon zweimal auf Ministerebene. Bei den übrigen Tagungen werden die Außenminister durch ihre diplomatischen Vertreter in Straßburg repräsentiert. Das Ministerkomitee hat den Charakter einer Ständigen Diplomatischen Konferenz. Es entspricht in seinem Grundkonzept den Vorstellungen jener, die sich den Europarat als eine Art europäischer UN dachten. Wichtige Fragen werden einstimmig entschieden. Von Bedeutung ist, daß Stimmen-enthaltungen nicht ins Gewicht fallen, da nur die abgegebenen Ja-Stimmen gezählt werden. Fragen von geringerer Bedeutung können mit Zweidrittel-Mehrheit entschieden werden; für die Regelung interner Probleme, wie z. B. Budget-oder Verfahrensfragen, genügt die einfache Mehrheit.

Das Ministerkomitee handelt als Organ und im Namen des Europarates. Es ist allein berechtigt, Konventionen oder Übereinkommen des Europarates abzuschließen, die für die Unterzeichnerstaaten nach erfolgter Ratifizierung bindend sind. Es kann Empfehlungen an die Regierungen ergehen lassen und Informationen von den Regierungen über die auf Grund der Empfehlungen veranlaßten Maßnahmen verlangen. Es überwacht die Ausgaben und entscheidet in allen Angelegenheiten der inneren Organisation und Einrichtung des Europarates. Wichtig ist, daß die Mitgliedstaaten im Rahmen des Ministerkomitees Abkommen schließen können, die nur für einen Teil von ihnen bindend sind. Auch die Konventionen brauchen nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert zu werden. Eine Konvention muß indessen von einer gewissen Anzahl der Mitgliedstaaten ratifiziert sein, um in Kraft treten zu können. Das Ministerkomitee kann zur Erleichterung der Lösung von Sonderproblemen Sachverständigenausschüsse einberufen. Zur Zeit gibt es deren ca. 50. Es ist indessen — das soll noch einmal betont werden — keine Exekutive. In die Montesquieuschen Vorstellungen von der Dreiteilung der Gewalten passen die europäischen Institutionen nicht hinein. Von einer wirklichen Staatenbildung sind wir eben — was Europa betrifft — noch recht entfernt. Viel eher könnte man das Minister-komitee mit dem Bundesrat, d. h. einer Länderkammer, vergleichen.

Die Beratende Versammlung wäre dann eine Art Volkskammer. In der Praxis ist sie ein parlamentarisches Organ mit beratenden Funktionen. Sie tritt dreimal im Jahre zu Sitzungsperioden von 5— 8 Tagen in Straßburg zusammen. Sie macht Vorschläge an das Ministerkomitee über alle denkbaren europäischen Probleme; außerdem nimmt sie Stellung zu den Fragen, die ihr vom Ministerkomitee oder anderen internationalen Gremien vorgelegt werden. Sie berät die Berichte des Europäischen Wirtschaftrats (OEEC), der Hohen Behörde der Montan-Union, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Euratoms, der Westeuropäischen Union, des Internationalen Arbeitsamtes, der Europäischen Verkehrsminister-Konferenz, des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Europäische Wanderung u a. m. Doch sind weder ihre Beschlüsse noch die des Ministerkomitees für die einzelnen Länder bindend. Die Beschlüsse der Beratenden Versammlung werden in Form von Empfehlungen an das Ministerkomitee weitergeleitet. Nimmt das Ministerkomitee diese an, dann werden sie — wieder als Empfehlungen — an die einzelnen Mitgliedsregierungen weitergegeben. Bindend wird eine Empfehlung für ein Land erst, wenn das jeweils nationale Parlament ihr zugestimmt hat. Die demokratische Kontrolle der Europaratsarbeiten erfolgt also durch die einzelnen nationalen Parlamente. Die Beratende Versammlung hält ferner politische Debatten über die großen Fragen der europäischen und der Weltpolitik ab. Sie ist so zu einem hervorragenden Forum der Heran-bildung und ständigen Formung einer gemeinsamen europäischen öffentlichen Meinung geworden. Wie in einem nationalen Parlament wird die Arbeit der Versammlung in einer Reihe von Ausschüssen vorbereitet. So gibt es den Ständigen Ausschuß, der auch als die Kleine Versammlung bezeichnet wird, und die ordentlichen Ausschüsse für politische, wirtschaftliche, soziale, wissenschaftliche, kulturelle und juristische Fragen. Weitere Ausschüsse befassen sich z. B. mit den Problemen der Flüchtlinge und der Überbevölkerung, mit kommunalen Angelegenheiten und landwirtschaftlichen Fragen. Zur Ausarbeitung eines einheitlichen Lösungsversuches des Flüchtlingsproblemes wurde ferner in Gestalt des ehemaligen französischen Kammerpräsidenten Schneiter ein Sonderbeauftragter bestellt. In einem Gemischten Ausschuß (Comite Mixte) sind schließlich Vertreter der Versammlung und des Ministerkomitees vereinigt, um die Arbeiten beider Organe aufeinander abzustimmen. Ein wichtiges Problem ist das der sogenannten „Leeren Sitze". Bereits im Jahre 1950 wurde die Bildung eines Ausschusses zur Wahrung der Interessen der „Nicht vertretenen Nationen" (non represented nations) beschlossen.

Dieser Ausschuß steht in laufendem Kontakt zu den Exilregierungen der sogenannten Satellitenstaaten. Die Debatte über eine Frage wird grundsätzlich von einem sogenannten Berichterstatter eröffnet. In seinen Darlegungen sind die Auffassungen des beteiligten Ausschusses zusammengefaßt, sie enthalten außerdem dessen Schlußfolgerungen sowie Vorschläge für Empfehlungen, Entschließungen, Stellungnahmen oder Antworten. Die Abgeordneten befassen sich darauf mit den so vorbereiteten Fragen in offener Aussprache.

Die Tagesordnung der Versammlung, die vom Plenum angenommen werden muß, setzt sich im allgemeinen aus drei Elementen zusammen: a) Berichten: Dem statutengemäß vorzulegenden Bericht des Ministerkomitees mit einer politischen Botschaft, den Berichten des Stängen Ausschusses der Versammlung, den Berichten, die auf Grund von Abkommen von anderen internationalen Organisationen erstattet werden (OECD — Montan-Union — Europäische Wirtschaftsgemeinschaft — Euratom — Internationales Arbeitsamt — Hochkommissar der UN für Flüchtlinge usw.), b) Ersuchen des Ministerkomitees an die Versammlung um Stellungnahme oder Prüfung, c) Punkten der Tagesordnung, die die Versammlung oder ihr Ständiger Ausschuß zur Einschreibung vorgesehen haben. Jedes Ersuchen um Ausnahme in die Tagesordnung muß von zehn Abgeordneten unterzeichnet sein; über die Aufnahme wird mit Zweidrittelmehrheit entschieden.

Die Punkte der Tagesordnung werden zur näheren Prüfung gewöhnlich den zuständigen Ausschüssen überwiesen; häufig geht der Ausschußüberweisung eine allgemeine Aussprache voraus. Während dieser Aussprache kann jeder Abgeordnete der Versammlung einen Antrag zu diesem Punkt stellen.

Der Ausschußbericht kann während der gleichen Sitzungsperiode oder in einer späteren vorgelegt werden. Jedes Mitgliedsland ist durch mindestens einen Vertreter in den ordentlichen Ausschüssen vertreten, die größeren Länder durch zwei oder drei Abgeordnete.

Der Ausschuß bestellt aus seinen Reihen einen Berichterstatter (im allgemeinen soll der Ausschußvorsitzende hierzu nicht bestellt werden).

Die Ausschußsitzungen sind nicht öffentlich.

Die Vorsitzenden können jedoch nach ihrem Ermessen der Presse den Verlauf der Aussprache in großen Zügen bekanntgeben. Falls der Bericht nicht einstimmig angenommen wurde, ist auch der Standpunkt der Minderheit im Bericht zu erwähnen. Es ist üblich, daß die Ausschüsse Unterausschüsse und Arbeitsgruppen unter Beteiligung von Sachverständigen, Beamten anderer internationaler Organisationen bilden oder unabhängige Experten hinzuziehen.

Der Berichterstatter legt der Versammlung den Ausschußbericht vor. Der Bericht enthält zwei Teile: die Begründung und die Anträge. Diese werden von der Versammlung eingehend beraten und gegebenenfalls abgeändert. Die Anträge können die Form von Entwürfen für „Empfehlungen“, „Entschließungen", „Stellungnahmen" oder „Weisungen" haben. „Empfehlungen" gehen stets an das Ministerkomitee. Vorschläge der Versammlung werden in erster Linie in dieser Form dem Ministerkomitee vorgelegt. Sie werden, falls sie dessen Zustimmung erhalten, den Regierungen der Mitgliedsländer zur Ausführung mitgeteilt. „Stellungnahmen" der Versammlung beruhen zumeist auf entsprechenden Ersuchen des Ministerkomitees. Die Versammlung kann auch ihrer Meinung durch „Entschließungen" Ausdruck geben, die sich ganz allgemein an die Öffentlichkeit richten. „Weisungen" gibt die Versammlung an ihre nachgeordneten Organe, also in erster Linie dem Generalsekretariat. Schließlich kleidet die Versammlung das Ergebnis ihrer Aussprachen auch in die Form von „Antworten" auf den Jahresbericht der Minister oder anderer Organisationen. „Empfehlungen" und „Stellungnahmen" an den Ministerausschuß bedürfen zur Annahme einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen bei namentlicher Abstimmung. Für „Entschließungen" genügt die einfache Mehrheit.

Die amtlichen Drucksachen der Versammlung werden nach jeder Sitzungsperiode in englischer und französischer Sprache veröffentlicht. Sie bestehen aus den Tagesordnungen, den stenographischen Sitzungsberichten mit den Abstimmungsergebnissen und verschiedenen Dokumenten wie: Anträgen, Abänderungsanträgen, Ausschußberichten und schließlich den Texten der angenommenen Anträge.

Die Plenarsitzungen der Versammlung sind öffentlich, ebenso sind die Drucksachen der Öffentlichkeit zugänglich. Die Versammlung kann jedoch unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen. Auf diese Weise übt die Beratende Versammlung einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf das Werden Europas aus.

Die offiziellen Sprachen der Versammlung sind einstweilen das Englische und das Französische, d. h., nur in diese beiden Sprachen wird übersetzt. Allerdings haben Deutsche und Italiener durchgesetzt, daß sie in ihrer Muttersprache dann sprechen können, wenn sie für deren Übersetzung in das Englische und Französische selber sorgen. Es ist indessen üblich, daß die Berichterstatter, auch wenn sie deutscher oder italienischer Nationalität sind, sich einer der beiden Ratssprachen bedienen und nur bei sogenannten Interventionen — also in der Debatte selbst — ihre Muttersprache benutzen. Dem Ministerkomitee liegt allerdings zur Zeit eine Anregung der Beratenden Versammlung vor, die der deutschen Sprache einen gewissen offiziellen Charakter gibt. Sollten die Minister dieser Anregung zustimmen, dann werden in Zukunft auch deutsche Reden in die beiden Amtssprachen und in diesen letzteren gehaltene Reden ins Deutsche offiziell übersetzt werden. Auch sollen nach der gleichen Anregung in Zukunft Reden in italienischer, holländischer und einer der skandinavischen Sprachen gehalten werden können. In diesem Fall müßten die Kosten der Übersetzung zur Hälfte von den Delegationen selbst getragen werden.

Die Abgeordneten sind in hufeisenförmiger Anordnung nach dem Alphabet und nicht nach ihrer nationalen Zusammengehörigkeit placiert. Auch heute kennt die Beratende Versammlung noch keine Fraktionen in des Wortes wirklicher Bedeutung. Es fehlen eben die wirklich parallel laufenden Interessen. In dieser Beziehung ist das „Europäische Parlament", das bereits nach politischen Gruppen geordnet sitzt, schon weiter.

Das Generalsekretariat ist als Apparat beider Organe des Europarats für die ständige Bearbeitung europäischer Fragen zuständig. Es ist im Europa-Haus in Straßburg untergebracht und besteht aus etwa 500 Beamten und Angestellten unter Leitung des Generalsekretärs, zur Zeit des früheren britischen Unterstaatssekretärs Peter Smithers, und eines stellvertretenden Generalsekretärs, die von der Beratenden Versammlung auf Empfehlung des Ministerkomitees gewählt werden. Der Gref-fier (Direktor) der Versammlung, der gleichfalls den Rang eines stellvertretenden Generalsekretärs hat, wird ebenfalls auf diese Weise bestellt. Zur Zeit hat dieses Amt der Deutsche Schlösser inne. Die Angehörigen des Generalsekretariats sind „europäische Beamte". Sie dienen dem Europarat als Ganzem und nicht einem einzelnen Mitgliedstaat. Der Generalsekretär beruft seine Beamten aus allen Ländern des Europarats.

Alle Beamten des Europarats sind verpflichtet, ihre Aufgaben durchzuführen, „ohne sich von iigendeiner Überlegung nationalen Charakters leiten zu lassen". Niemand darf „Richtlinien" im Zusammenhang mit seiner Dienstausübung von irgendeiner Regierung noch auch von irgendeiner außerhalb des Europarats stehenden Autorität einholen oder annehmen. Im Augenblick ihres Dienstantritts leisten die Beamten des Europarats einen diesbezüglichen Eid.

Der Finanzhaushalt der Organisation wird durch Beiträge der Mitgliedsländer aufgebracht, wobei Größe und wirtschaftliche Stärke des Landes den prozentualen Anteil am Gesamtbudget bestimmen. Auf die Gesamtbevölkerung der Mitgliedstaaten berechnet, kostet der Europarat jeden Europäer jährlich nicht ganz 7 Pfennig.

Erfolge

Bei der Beurteilung der Straßburger Ergebnisse ist zu berücksichtigen, daß die Aufgabe des Europsrates — nämlich die Vertiefung der Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedsländern durch Zusammenarbeit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu fördern — keine leichte ist. Man bedenke nur, daß die unverbindliche Struktur des Europarats einerseits den Beitritt militärisch bündnisfreier Staaten wie Schweden, Irland, Österreich, Zypern und der Schweiz ermöglichte, andererseits aber zwölf der Mitglieder NATO-Länder sind. Hinzu kommt, daß sechs Mitgliedstaaten der EWG und sechs der EFTA angehören (Portugal ist nicht Mitglied des Europarates). Nicht übersehen werden darf ferner der große Strukturunterschied seiner Mitglieder, der im Bereich der Wirtschaft vom Entwicklungsland bis zum hochentwickelten Industriestaat reicht. Unterschiedlich sind auch die Ausdrucksformen der Demokratie: wir haben es sowohl mit zentralistisch als auch mit föderalistisch geordneten Staatswesen zu tun und begegnen überdies großen Unterschieden in den Rechts-und Verwaltungssystemen, in den Sozial-strukturen, ja sogar im kulturellen Leben.

Wahrscheinlich werden viele den Straßburger Debatten zuweilen mit einem Gefühl des Unbefriedigtseins folgen. Der Europarat ist indessen keine Vorstufe einer europäischen Regierung. Er ist vielmehr eine Versammlung hochqualifizierter europäischer Persönlichkeiten, welche sich bemühen, die zweckmäßigsten Wege zu einer solchen Regierung zu finden. Alles, was wir auf europäischem Gebiet haben oder hoffentlich bald bekommen, ist letzten Endes im Europarat geboren oder wenigstens dort gezeugt. Von der Europä-B ischen Menschenrechtskonvention über die Montan-Union, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom, im Grunde genommen verdanken wir alles Straßburg. Der Mut zu jenem großen Abenteuer — nämlich über ein wirtschaftliches Europa zu einer echten Gemeinschaft zu gelangen — wäre ohne die Straßburger Konsultativorganisation undenkbar gewesen. Das gleiche gilt für jene historische Erklärung Robert Schumans, in der er im Sommer 1950 vorgeschlagen hatte, die gesamte Produktion von Kohle und Stahl unter eine gemeinsame oberste Autorität zu stellen. Die Beratende Versammlung beschloß damals nach eingehenden Debatten, den Wortlaut ihrer Erörterung den „Sechs" sowie Großbritannien zuzustellen. Der Allgemeine Ausschuß der Versammlung schlug ein Protokoll vor, in dem die Errichtung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl festgelegt wurde. Dies Protokoll wurde fast wörtlich von den Vertretern der Regierungen über den „Schuman-Plan" angenommen. Am 18. April 1951 wurden Vertrag und Zusatzprotokolle unterzeichnet. Drei Wochen später befaßte sich die Beratende Versammlung erneut mit dem Problem der Kohle-und Stahl-Gemeinschaft, aber jetzt nicht mehr auf der Grundlage allgemeiner Ideen, sondern anhand von Tatbeständen und Artikeln eines unterzeichneten Abkommens. Die Endabstimmung fand auf Grund eines Vorschlages statt, der besagte, daß die Beratende Versammlung die Unterzeichnung des Vertrages begrüße. Sie empfahl die Ratifizierung des Vertrages durch die Unterzeichnermächte und gab der Überzeugung Ausdruck, daß ein modus vivendi mit Großbritannien gefunden werde. 80 Abgeordnete stimmten dafür, 7 dagegen.

9 enthielten sich der Stimme. Diese 9 gehörten indessen hauptsächlich den Ländern an, die — da sie nicht zu den Vertragspartnern gehörten — sich nicht für berechtigt hielten, durch ihre Initiative die Ratifizierung des Vertrages durch die anderen zu empfehlen.

In einem Protokoll wurden die Regierungen der „Sechs" aufgefordert, ihren Parlamenten zu empfehlen, daß deren Vertreter in der Versammlung der Gemeinschaft aus den Reihen ihrer Delegierten in der Beratenden Versammlung des Europarates ausgewählt werden. Von dieser Empfehlung wird leider gegenwärtig nur noch wenig Gebrauch gemacht. Als einziger deutscher Abgeordneter gehört z. B. heute nur noch der CDU-Abgeordnete Dr. Hans Furier beiden europäischen Versammlungen an. Mag sein, daß wirtschaftliche Spezialkenntnisse im Europäischen Parlament notwendig sind und daß die recht zahlreichen Tagungen der Versammlung der „Sechs" einer Personenidentität entgegenstehen. Für das Werden eines wirklich umfassenden Europas ist diese Entwicklung sehr zu bedauern.

In Übereinstimmung mit der Politik der „sektoralen Integration" machte die Versammlung ferner eine Reihe von Vorschlägen für die Gründung von Sonderbehörden. Der erste Vorschlag dieser Art erfolgte im August 1950. Die Versammlung, die kurz nach dem Ausbruch des Korea-Krieges zusammentrat, war vom Ministerkomitee aufgefordert worden, die vom Sicherheitsrat der UN in diesem Zusammenhang in Gang gesetzte Aktion zu unterstützen; sie begnügte sich indessen hiermit nicht, sondern ging viel weiter und empfahl auf Vorschlag von Sir Winston Churchill und Paul Reynaud die Bildung einer Gemeinsamen Europäischen Armee, die unter dem Befehl eines europäischen Verteidigungsministers stehen sollte. Dieses Projekt wurde von der französischen Regierung in der Gestalt des „Pleven-Planes" aufgegriffen, der zur Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft führte. Es scheiterte indessen am 3. August 1954 in der französischen Kammer.

Auf Initiative der Versammlung entstanden ferner eine Reihe neuer Organe europäischer Zusammenarbeit, wie z. B. die „Ständige Konferenz der Europäischen Verkehrsminister", die „Europäische Zivilluftfahrtkonferenz" und der „Ministerielle Ausschuß für Landwirtschaft und Ernährung".

Das Problem der Rationalisierung einer europäischen parlamentarischen Institution stellte sich, als die „Sechs" vor einer Einigung über die sogenannten Römischen Verträge standen. Die Beratende Versammlung gab damals ihrem dahingehenden Interesse Ausdruck und verabschiedete einige Empfehlungen, die besagten:

1 Die echten Befugnisse, die jene Europäischen Organisationen erhalten, müssen unter eine europäische parlamentarische Kontrolle gestellt werden, denn sie sind der Kontrolle nationaler Parlamente entzogen.

2. Doppelarbeit der Europäischen Versammlung muß so weit wie möglich vermieden werden.

3. Als Folge der neuen Verträge darf eine weitere Europäische Versammlung nicht entstehen. 4. Zwischen jeglicher Versammlung der „Sechs" und der Beratenden Versammlung sollen enge Beziehungen hergestellt werden.

Schließlich sollte wenigstens die Hälfte der Mitglieder der „Erweiterten Gemeinsamen Versammlung" gleichzeitig Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates sein — also wieder der gleiche Gedanke wie seinerzeit. Die Initiative für alles, was auf europäischem Gebiet bisher erreicht worden ist, ging also vom Europarat aus. Hier sprechen die europäischen Staaten offen zueinander, ohne daß das Gesagte als unfreundliche Ermahnung oder Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen angesehen werden könnte. Hier wurde die Grundlage für die Lösung des Saarproblems gefunden und hier sind erst kürzlich Ansätze sichtbar geworden, die zu einer Regelung der Südtirol-Frage führen könnten. Hier ist es, wo man z. B. immer wieder überlegt, wie man die Beziehungen der „Sechs" zu den „Sieben" (EFTA), aber auch zu den übrigen europäischen Staaten vertiefen kann.

Für kein europäisches Volk ist der Europarat von größerer Bedeutung als für uns Deutsche. Wenn überhaupt so etwas wie ein europäisches Solidaritätsgefühl in der Wiedervereinigungsfrage entstanden ist, dann danken wir das Sti ßburg.

Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte

Außer diesen eher im Atmosphärischen liegenden Verdiensten der Straßburger Organisation sei vor allem auf die fachliche Arbeit ihres Ministerkomitees hingewiesen. Fast ein halbes Hundert europäische Konventionen sind von ihm ausgearbeitet, die unser aller Leben bereits in einem viel stärkeren Maße bestimmen, als wir es uns vorstellen. Unter diesen ist die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte (seit 1953 in Kraft) die wichtigste. Die Vorkämpfer der europäischen Einigung hatten erkannt, daß für die Schaffung eines dauerhaften Europas der bloße Zusammenschluß von Staaten und Wirtschaftssystemen nicht genügt. Als Grundlage für diesen Zusammenschluß sollte vielmehr eine einheitliche Auffassung von der Freiheit und Würde des Menschen in Europa Wurzel fassen. Zwar sind die Freiheitsrechte in den Rechtsordnungen aller europäischen Staaten enthalten. Die neue und neueste Geschichte beweist indessen, wie schwer, ja wahrscheinlich unmöglich es für ein Volk ist, sich aus eigener Kraft die Freiheit zu erhalten. Solcher Art Überlegungen haben die Menschen bewogen, nach wirksameren Wegen für einen Schutz jener Grundrechte zu suchen und die Idee geboren, diese Rechte übernational zu sichern.

Der erste Versuch in dieser Richtung ging von den Vereinten Nationen aus. Allerdings sollte die anfängliche Begeisterung, die angesichts der Bemühungen dieser Organisation in der Welt entstand, nur von kurzer Dauer sein. Die Vereinten Nationen umfassen Staaten, deren politische Systeme sehr verschieden sind. Sie mußten sich daher — wie erwähnt — an jenem 10. Dezember 1948 nach dreijähriger mühevoller Vorarbeit mit einer Deklaration der Menschenrechte — mit einer bloßen Erklärung also, die ein Ideal anzeigt, das einmal zu verwirklichen wäre — begnügen.

Eine wirkliche Zone überstaatlich gesicherten Rechts bildet dagegen bereits Westeuropa. Wie von jeher die Botschaft unseres Kontinents an die Welt in der Verkündung der Freiheit bestand, so waren es auch Europäer, die in dieser Richtung zu Schrittmachern des Weltgewissens wurden. Aus der Erkenntnis heraus, daß die Freiheit erst dann verwirklicht ist, wenn sie übernational garantiert wird, glaubten die Begründer des Europarates jener bloßen Verkündung der Menschenrechte der Vereinten Nationen für Europa einen verbindlichen Charakter geben zu sollen. Sie schlossen zu ihrem Schutze eine Konvention. In ihr verpflichteten sie sich, ihren Bürgern ohne Unterschied der Rasse, der Farbe, der Sprache, der Religion, der politischen und sonstigen Ansichten das Recht auf Leben, Schutz gegen Folter, Sklaverei und Zwangsarbeit, das Recht auf persönliche Freiheit, Sicherheit, auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, Schutz gegen rückwirkende Anwendung von Gesetzen, Achtung des Privat-und Familienlebens, des Heimes, des Briefgeheimnisses, das Recht auf Gedanken-, Gewissens-und Religionsfreiheit, der freien Meinungsäußerung und der Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit zu friedlichen Zwecken, das Recht zur Eheschließung und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel vor einer nationalen Behörde gegen jede Verletzung dieser Rechte zu gewähren. In einem Zusatzprotokoll wird diese Garantie auf den friedlichen Genuß des Eigentums, das Recht auf Erziehung sowie auf die Abhaltung freier geheimer Wahlen ausgedehnt. Ein weiteres Protokoll soll vier weitere Freiheiten bzw. Rechte schützen:

Das Verbot der Inhaftierung für die Unfähigkeit, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen; das Verbot der Exilierung;

das Verbot einer Kollektivvertreibung von Ausländern und die Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit, verbunden mit dem Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, verlassen zu dürfen. Internationale Instanzen, die Europäische Menschenrechtskommission, das Ministerkomitee des Europarates und der Europäische Menschenrerhtsgerichtshof wachen über die Einhaltung dieser Bestimmungen.

Das Entstehen dieser Konvention ist eng mit dem des Europarates verknüpft. Bereits in der Präambel der Satzung des Europarates bekannten sich seine Gründer „in unerschütterlicher Verbundenheit zu den geistigen und sittlichen Werten, die das gemeinsame Erbe ihrer Völker sind und von jeher die Quelle der persönlichen Freiheit, der politischen Freiheit und der Herrschaft des Rechts bilden, auf denen jede wahre Demokratie beruht".

Zur Beschwerde wegen Nichtbeachtung dieser Rechte sind nicht nur die Vertragspartner-staaten dieser Konvention, also die Mitglied-staaten des Europarates, berechtigt — diese könnten es aus politischen Erwägungen möglicherweise vorziehen, vor gewissen Zuständen bei ihren Nachbarn die Augen zu verschließen —, sondern, und darin liegt das Neue, auch Einzelpersonen, die der Meinung sind, daß eines der in der Konvention geschützten Rechte in einem Signatarstaat nicht beachtet wird, können sich nach Straßburg wenden.

Voraussetzung solcher Individualbeschwerden ist aber, daß der verklagte Vertragspartner-staat eine ausdrückliche Erklärung abgegeben hat, wonach er die Zuständigkeit der Menschenrechtskommission für Individualbeschwerden anerkennt. Derartige Erklärungen liegen von Belgien, Dänemark, Irland, Island, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden und der Bundesrepublik Deutschland vor.

Die Menschenrechtskommission kann sich freilich mit einer derartigen Beschwerde erst befassen, wenn der nationale Rechtsweg erschöpft ist. Dazu gehört in Deutschland auch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes mittels der Verfassungsbeschwerde, falls die Verletzung von Rechten behauptet wird, die sowohl durch das deutsche Grundgesetz als auch durch die Konvention gesichert sind.

Aber auch wenn die Beschwerde angenommen wird, ist die Kommission keine reguläre vierte Instanz. Vielmehr ist es ihre wichtigste Aufgabe, die Parteien zu einer friedlichen Beilegung des Streites zu bringen. Sollte dieses Bemühen ohne Erfolg bleiben, muß die Kommission dem Ministerkomitee des Europa-rates einen Bericht vorlegen, in dem sie ihre Meinung darüber zum Ausdruck bringt, ob der beklagte Staat gegen die Konvention verstoßen hat. Darüber hinaus kann sie Vorschläge für Maßnahmen machen, die dem betreffenden Staat aufzuerlegen sind. Das Ministerkomitee entscheidet mit qualifizierter Mehrheit über die „Schuldfrage". Es hat auch darüber zu wachen, daß in einem solchen Falle der betreffende Staat die beanstandeten Maßnahmen — z. B. das Verbot einer politischen Partei — wieder rückgängig macht. In diesem Zusammenhang ist der Art. 17 der Konvention interessant, der — ähnlich unserem Grundgesetz — bestimmt, daß die geschützten Rechte nicht dazu mißbraucht werden dürfen, eine Tätigkeit auszuüben, die auf die Abschaffung oder Beschränkung der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten hinzielt. Diese Bestimmung hat die Straßburger Menschenrechtskommission erstmalig bei jener Beschwerde angewandt, welche Fisch und Reimann, die Vorsitzenden der seinerzeit verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands gegen das Urteil des Bundesveriassungsgerichtes eingereicht hatten, durch das die KPD damals für verfassungswidrig erklärt wurde. Im Verlauf dieses Verfahrens wurde deren Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, daß Personen, die danach strebten, die Grundlage eines Staates zu zerstören — wie es das erklärte Ziel des Kommunismus sei —, sich billigerweise nicht auf die Freiheitsrechte des Gemeinwesens berufen könnten, dessen Freiheit sie selbst ein Ende bereiten würden.

Der europäische Mechanismus zum Schutze der Menschenrechte ist seit dem 3. September 1958, wie bereits erwähnt, noch durch die Schaffung des Europäischen Menschenrechts-

Gerichsthofes für alle diejenigen Staaten erweitert worden, die sich dessen Gerichtsbarkeit unterworfen haben. Das sind z. Z. Österreich, Belgien, Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, Island, Luxemburg, die Niederlande und Norwegen. In dem Gerichtshof sind alle Signatarstaaten durch je einen Richter vertreten. Die Sitzungen des Gerichtshofes sind öffentlich, die Beratungen geheim.

Der Gerichtshof wird nicht als Plenum tätig, sondern entscheidet durch eine Kammer, die aus sieben Richtern besteht. Er darf sich mit einem Fall nur befassen, nachdem die Kommission festgelegt hat, daß die Versuche zur Erzielung eines Ausgleichs fehlgeschlagen sind. Einzelpersonen haben nicht das Recht, sich direkt an den Gerichtshof zu wenden.

Dieses Recht haben lediglich die vertragschließenden Teile, also die Mitgliedsländer und die Menschenrechtskommission. Die Urteile des Gerichtshofes werden mit Mehrheit beschlossen. Sie sind endgültig. Das Ministerkomitee des Europarates überwacht ihre Durchführung.

Im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention hat ein Staat seine Verfassung geändert (Norwegen, dessen Verfassung den Jesuitenorden verbot, was gegen den Grundsatz der freien Religionsausübung verstoßen hatte), drei andere haben ihre interne Gesetzgebung modifizert, ein halbes Dutzend Länder zumindest haben die Bestimmungen der Konvention zu innerstaatlichem Recht erklärt. Zehn Staaten haben sich auf an die Menschenrechtskommission gerichtete Beschwerden geäußert, zwei sind vor dem Menschenrechtsgerichtshof erschienen, und ca. 2000 Einzelbeschwerden sind anhängig bzw. anhängig gewesen. Auch sonst gibt es . Beseise dafür, wie unbeirrbar die Grundsätze der Konvention an Boden gewinnen, obwohl außerhalb Europas noch keine überstaatliche Gewalt vorhanden ist, die die Durchsetzung des Rechts gewährleistet. Die Menschenrechte haben z. B. bei der Ausarbeitung der Verfassungen vieler neuer Staaten Pate gestanden. In stärkerem Maße finden sie Eingang in internationale Verträge. Wir Deutschen begründen unsere Wiedervereinigungspolitik mit ihnen. Selbst Moskau fühlt sich zuweilen genötigt, der öffentlichen Meinung der Welt, die sich gegen die fortwährenden Verletzungen der Menschenrechte empört, Konzessionen zu machen. Hierzu gehörte seinerzeit die Bekanntgabe der Auflösung der Zwangs-arbeitslager in Sibirien, die stufenweise Entlassung verschiedener Gruppen politischer Gefangener und die Erklärung, daß die Verletzung der Menschenrechte in der stalinistischen Epoche ein Verbrechen gewesen sei, das revidiert werden müsse.

Natürlich gilt das propagandistischen Zwekken, aber der Stein ist ins Rollen gebracht. Und wenn es auch oft noch so scheint, als ob sich die Dinge in Wirklichkeit noch nicht so sehr geändert hätten und Sicherheit und Freiheit allein in der bewaffneten Stärke und nicht in den Grundrechten lägen, so beweist doch die Reaktion der Welt auf solcherart Rechtsbrüche, wenn sie einstweilen auch nur mehr oder weniger platonischer Art ist, wie tief die Ideen der Freiheitsrechte bereits Wurzeln geschlagen haben.

Europäische Vereinbarungen im kulturellen, sozialen und rechtlichen Bereich

Einen weiteren Tätigkeitsbereich des Europa-rates bildet das Gebiet der Beilegung staatlicher Differenzen allgemeiner Art. Hierzu gehört z. B. die Verpflichtung der Signatarstaaten, völkerrechtliche Streitigkeiten zur Regelung dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag bzw. einem anderen neutralen Schiedsgericht vorzulegen, auf jeden Fall jedoch den Streit mit friedlichen Mitteln bei-zulegen. Auf dem kulturellen Sektor ist die „Europäische Kulturkonvention" die wichtigste. Sie verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, die gegenseitige Verständigung der Völker zu fördern und ein gemeinsames Aktionsprogramm zur Erhaltung europäischen Kulturgutes aufzustellen. Genannt seien die Förderung des Studiums der Kultur und Sprachen anderer Länder im eigenen Land, die Ermöglichung von Studien außerhalb des eigenen Landes und die Erleichterung des Austausches von Persönlichkeiten des kulturellen Lebens und von Kulturgütern. Ein Ereignis gibt überdies fast alljährlich Zeugnis von dieser Tätigkeit: die vom Europarat veranstalteten großen Kunstausstellungen, die in bisher kaum gekanntem Ausmaß Kunstschätze aus allen Ländern Europas vereinigen. In diesem Jahr zeigte z B. Aachen eine glänzende Schau von Kunstwerken aus der Zeit Karls des Großen.

Eine Reihe von Konventionen und Abkommen wurde auf dem Gebiete der Anerkennung von Schulund Studienzeugnissen abgeschlossen.

So anerkennen die Unterzeichnerstaaten gegenseitig die Gültigkeit der Schul-Abschlußzeugnisse, die für die Zulassung an Hochschulen notwendig sind. Ein weiteres Abkommen garantiert die Anerkennung von Studien-zeiten in allen Unterzeichnerstaaten, gleichgültig, in welchem Land die Zeit absolviert wurde. In einem dritten Abkommen werden Hochschuldiplome, die in Unterzeichnerländern erlangt wurden, wechselseitig anerkannt. Das „Europäische Abkommen zum Schutze von Fernsehsendungen" gestattet in Verbindung mit dem Abkommen zum Austausch von Fernsehfilmen den einzelnen Ländern einen weitgehend freien Austausch von Fernsehfilmen bei gleichzeitigem Schutz der Urheberrechte dieser übernommenen Sendungen und Filme. Im sozialen Bereich wurden Abkommen und Protokolle über die Regelung der sozialen Sicherheit (Altersfürsorge, Invalidität und Tod) ausgearbeitet. Diese Abkommen sollen die gleichwertige Behandlung zwischen Staatsangehörigen und Angehörigen anderer Mitgliedsländer in der sozialen Gesetzgebung gewährleisten. Die Europäische Sozialcharta stellt eine Ergänzung der in der Konvention der Menschenrechte niedergelegten Grundrechte dar. In ihr werden die sozialen Rechte des Individuums in den Mitgliedsländern näher fixiert. Als soziale Ziele gelten: Recht auf Arbeit, auf sichere, gerechte und gesunde Arbeitsbedingungen und angemessenes Entgelt, Vereinigungs-, Streik-und Kollektivverhandlungsrecht, arbeitsrechtlicher Schutz für Minderjährige und Frauen, Berufsberatungs-und Ausbildungsrecht, Gesundheitsschutz, Kündigungsschutz in bestimmten Fällen, Recht auf soziale und ärztliche Hilfe, Familien-und Mutterschutz, Hilfe für körperlich und geistig Behinderte sowie die berufliche Freizügigkeit und der Schutz für Wanderarbeiter. Ein Abkommen sieht vor, allen Kriegsversehrten der Unterzeichnerstaaten die Möglichkeiten einer optimalen Heilbehandlung zu eröffnen.

Eine Europäische Blutbank erleichtert den Transfer von Blutkonserven in ein anderes Mitgliedsland und stellt die einheitliche Ausführung dieser Konserven sicher. Ein weiteres Abkommen sieht das Ausleihen von medizinisch-chirurgischen und labortechnischen Geräten zwischen den Mitgliedstaaten vor, falls ein akuter Bedarf es erfordert.

Auf dem staatsrechtlichen Sektor soll die Europäische Niederlassungsordnung die generelle Freizügigkeit der Bürger der Mitgliedstaaten und die Gewährung voller staatsbürgerlicher Rechte im Gastlande sichern.

In strafrechtlicher Hinsicht sichern sich die Unterzeichnerstaaten des Europäischen Über-einkommens über gegenseitige Rechtshilie in Strafsachen weitgehende Hilfe bei der Verfolgung von Straffällen zu. Dazu gehört die Durchführung von Untersuchungsaufträgen, Auslieferung von Beweisstücken, Akten und Dokumenten und Auskunft über Strafregister und schwebende Strafanzeigen. Eine „Europäische Auslieferungsordnung“ legt fest, in welchen Fällen Personen ausgeliefert werden sollen und in welchen anderen Fällen ein Staat das Recht hat, eine solche verlangte Auslieferung zu verweigern.

Eine Reihe von Abkommen sieht die Harmonisierung rechtlicher Vorschriften vor. So wurden die Grenzformalitäten im Abkommen zum grenzüberschreitenden Personenverkehr dahin gehend geregelt, daß im Normalfall (Aufenthalt nicht länger als drei Monate) das Vorweisen eines Personalausweises genügt. Ein Abkommen erleichtert das Reisen von Flüchtlingen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten durch Abschaffung von Sichtvermerken und des Visumzwanges, sofern der einzelne ein gültiges Reisedokument (Paß) hat. Für den motorisierten Reisenden ist das „Abkommen über die obligatorische Versicherung von Fahrzeugen“ von Bedeutung: Es sichert durch Verkehrsunfälle Geschädigten die Erfüllung der Haftverpflichtungen des Schaden-stifters zu und enthebt den Schadenstifter selbst komplizierten Schadensregelungen im Reiseland.

Bedeutend sind auch die Abkommen zur Regelung der Formalitäten bei Patentanmeldungen und der internationalen Klassifizierung von Patenten. Sie sichern Erfindern weitgehend eine Erleichterung bei der Eintragung von Patentansprüchen und ihre Anerkennung auch im Ausland und bilden eine wichtige Voraussetzung für ein Europäisches Patentamt.

Aufgaben der Zukunft

So viel zur Vergangenheit. Für die Zukunft beabsichtigt Generalsekretär Peter Schmithers, nicht nur die zwischenstaatliche Zusammenarbeit innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarates zu intensivieren, er regt an, von Fall zu Fall auch Nichtmitgliedstaaten zur Mitarbeit heranzuziehen. Was den ersten Punkt, nämlich die Zusammenarbeit innerhalb der Mitgliedstaaten betrifft, so soll diese Tätigkeit in engster Fühlungnahme mit der EWG vor sich gehen. Soweit es sich dabei um Gebiete handelt, auf denen die Gemeinschaften trotz ihrer geographischen Zuständigkeit noch nicht tätig geworden sind, dürften zwischen den Regierungen ausgehandelte Europaratskonventionen die künftige Gemeinschaftsarbeit beträchtlich erleichtern. Außerhalb dieses geographischen Raumes könnte eine solche Tätigkeit des Europarates die Wege zur Erweiterung der Gemeinschaften ebnen.

Unendlich viel Gebiete sind vorstellbar, auf denen bei gutem Willen innerhalb unseres Kontinents eine solche Einigungsarbeit nicht auf Widerstand stoßen würde. Bisher hat sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politik mehr oder weniger auf die umstrittenen großen Probleme konzentriert. Daß zahlreiche Dinge in Europa der gemeinsamen Regelung harren, an der auch ein General de Gaulle nichts auszusetzen hätte, ist weit weniger bekannt. In dem weiten Bereich menschlicher Betätigung auf technischem, sozialem, rechtlichem, kulturellem und anderen Gebieten gibt es sehr viele Probleme, in denen ein Übereinkommen oder doch wenigstens gemeinsame Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates für alle von Nutzen wären. Auf dem Wege zwischenstaatlicher Regelungen könnte man sie — ohne daß es zu Souveränitätseinschränkungen kommen müßte — so gestalten, daß sie einem späteren Gemeinsamen Markt die Wege ebnen. „Kontakte zwischen den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission und dem Stellvertretenden Generalsekretär des Europarates hätten bereits gezeigt," so Peter Smithers im Mai vor der Beratenden Versammlung, „wie nützlich es sei, das Verhältnis der beiderseitigen Tätigkeitsbereiche zu erörtern." Mit anderen Worten: Tätigkeitsüberschneidungen werden vermieden. Der Europarat wird nur dort tätig werden, wo und soweit die Gemeinschaften nicht oder noch nicht aktiv werden können oder wollen — sei es aus geographischen, sei es aus sonstigen Gründen. Solch eine — nennen wir sie einmal — „Integration von unten" wird mit der Zeit zur Herstellung eines dichten Gewebes gemeinsamer Auffassungen und Praktiken beitragen, die einen guten Ausgangspunkt für das Werden binnenmarktähnlicher Verhältnisse schaffen.

Ein derartiges Vorgehen dürfte für alle Mitgliedstaaten des Europarates von Nutzen sein, sei es, daß es sich um solche handelt, die den Gemeinschaften bereits angehören, und solche, die den Beitritt erstreben, oder schließlich um jene, die vorerst außerhalb der Gemeinschaften bleiben wollen. Für ein so geartetes Programm sind keine institutioneilen Einrichtungen erforderlich. Ansätze zu ihm sind in der Initiative des „Committee Pearson", das sich mit der Möglichkeit einer Ausdehnung bestimmter Arbeiten der EWG auf die übrigen Mitgliedstaaten des Europarates bereits befaßt hat, schon enthalten. Die Pläne des Generalsekretärs werden überdies dadurch erleichtert, daß im Rahmen des Europarates die Möglichkeit besteht, nur eine begrenzte Zahl von Mitgliedstaaten zu verpflichten. Das Ministerkomitee hat den Generalsekretär aufgefordert, bis zur Dezembertagung ein langfristiges Arbeitsprogramm vorzulegen. Ein kleiner Planungsstab arbeitet zur Zeit entsprechende Vorschläge aus. Das entspricht auch dem Wunsch der EWG-Kommission, die, wie Generalsekretär Peter Smithers Anfang Mai dieses Jahres vor der Beratenden Versammlung erklärte, angeregt hat, daß der Europarat, wo immer möglich, in den übrigen Mitgliedstaaten analoge Maßnahmen wie sie selbst fördern sollte. Dieses neue Arbeitsprogramm des Europa-rates wird inhaltlich ein Harmonisierungsprogramm darstellen, das auf allen Gebieten — mit Ausnahme von Zoll-und Handelsfragen und damit eng verbundenen Sachbereichen — für die Mitgliedstaaten der Straßburger Organisation ein gewisses Maß an „Integrationsarbeit" ersetzen wird. Was die Gemeinschaften betrifft, so gäbe eine solche Tätigkeit dem Artikel 230 des Vertrages von Rom eine wirkliche Substanz. Nach dieser Bestimmung soll bekanntlich jede nützliche Zusammenarbeit zwischen Europarat und Gemeinschaften gefördert werden. Andererseits bedeutete es in keiner Weise, daß den Gemeinschaften Tätigkeitsbereiche entzogen würden. Deren Arbeit würde vielmehr ergänzt, nicht beschnitten. Auch das Arbeitsprogramm der EFTA könnte auf diese Weise zum Nutzen aller gefördert werden. Noch wichtiger als diese Gesichtspunkte wäre die politische Wirkung einer solchen gesamteuropäischen Zusammenarbeit. Sie würde eine Art Antwort auf die seinerzeitige Frage Kennedys nach der Dokumentation des europäischen Einigungswillens darstellen. Zu welchem Zeitpunkt aber wäre diese Demostration nötiger als heute?

Zusammenarbeit mit Nichtmitgliedern in West und Ost

Den zweiten Problemkreis der Zielsetzungen des neuen Generalsekretärs, nämlich die Heranziehung von Nichtmitgliedstaaten zu den Arbeiten des Europarates, hat das Ministerkomitee bereits anläßlich seiner Sitzung im Dezember 1964 in Paris erörtert. Damals wurde in einem Pressekommunique erklärt: „Es fand ein Gedankenaustausch über die Frage der Beziehungen zu dritten Staaten statt. In diesem Zusammenhang wurde die Entwicklung der Lage in Ländern Osteuropas und ihre möglichen Folgen erörtert. Die Diskussion zeigte in klarer Weise, daß der Europarat keinen Block bildet und in den Grenzen seiner Satzung gegenüber der Außenwelt offen bleibt.'

Hier handelt es sich praktisch um die Frage, inwieweit europäische Staaten, die auf Grund ihrer politischen Struktur — die Satzung verlangt eine demokratische Verfassung — die Mitgliedschaft nicht erwerben können, trotzdem zur Mitarbeit an „Europa" herangezogen vzerden können. Mit vier Nichtmitgliedstaaten besteht eine Art Zusammenarbeit bereits auf kulturellem bzw. rechtlichem Gebiet: Spanien, der Heilige Stuhl, Finnland und Jugoslawien. Das Ministerkomitee ist — wie aus dem eben zitierten Pressekommunique hervorgeht — der Meinung, daß das gegenwärtige politische Klima in Europa nicht mehr zuläßt, die Zusammenarbeit in politisch nicht umstrittenen technischen und rechtlichen Fragen mit Nichtmitgliedstaaten zu verweigern. Eine Reihe osteuropäischer Staaten beteiligen sich übrigens bereits an den Kunstausstellungen des Europarates seit einiger Zeit als Leih-geber. Spanien ist ferner seit langem Mitglied der europäischen Kulturkonvention. Es ist schließlich auch nicht einzusehen, warum in einer Periode, in der alle westeuropäischen Staaten sich bilateral bemühen, den Kalten Krieg zu überwinden, nicht auch auf multilateraler Ebene etwas getan werden sollte, um das politische Klima zu erwärmen. Die überragende Mission des Europarates, Wahrer der Menschenrechte auf unserem Kontinent zu sein und in immer stärkerem Maße zu werden, dürfte nicht darunter leiden, daß er sich bemüht, in technischer Hinsicht auch mit den Ländern zusammenzuarbeiten, in denen diese Rechte noch nicht gelten. Im Gegenteil. Jene Staaten werden nicht dadurch fortschrittlicher, daß man sie von Europa fernhält. In dem Maße, in dem sie zur Mitarbeit — wie etwa auf kulturellem Bereich, auf medizinischem Gebiet, bei der Arbeit zur Harmonisierung rechtlicher Vorschriften, im Bereich des Urheberrechtes und so weiter — herangezogen werden, bekommen sie ein immer richtigeres Bild vom freien Europa. Auch die Freiheitsrechte dürften in jenen Ländern nur dann Wunschvorstellungen erzeugen können, wenn man dort allmählich sieht, was „Freiheit" bedeutet. Die dritte und letzte Zielsetzung des neuen Generalsekretärs besteht darin, den Europarat zu einer Art Regionalorganisation der Vereinten Nationen werden zu lassen, um so besser zur Arbeit der Weltorganisation beitragen zu können. In der Beziehung schwebt Peter Smithers insbesondere die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, wie der UNESCO, der Weltgesundheitsorganisation, der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, der Internationalen Arbeitsorganisaion, der UN-Wirtschaftskommission für Europa usw. vor.

In diesen Zusammenhang gehört auch das Bemühen des Ministerkomitees, zu einer Art europäisch-amerikanischer Zusammenarbeit zu gelangen. Bereits im April 1964 erhielten die Ministerbeauftragten die Weisung, konkrete Vorschläge zur Stärkung einer solchen Koorperation auf hierfür geeigneten und erfolgversprechenden Gebieten vorzulegen. Daß angesichts des gegenwärtigen politischen Klimas in Europa nur bescheidene Anfänge möglich sind, dürfte einleuchtend sein. Im Verfolg dieser beginnenden Kontakte besuchte der Abgeordnete des Repräsentantenhauses Wayne Hays im November 1964 Straßburg zu einer öffentlichen Aussprache mit europäischen Abgeordneten in der Beratenden Versammlung.

Diese Erörterungen wurden im Mai dieses Jahres fortgesetzt. Eine Delegation, bestehend aus Abgeordneten beider Häuser des amerikanischen Kongresses und unter Führung von Senator Fulbright, des Vorsitzenden des Außenpolitischen Anschusses, kam zur Frühjahrstagung. Die amerikanischen Besucher äußerten sehr freimütig ihre Meinung. Atlantische Partnerschaft, atomare Verteidigung, Wiedervereinigung Deutschlands, Krisen in Vietnam und in der Dominikanischen Republik — kurz das ganze Weltgeschehen wurde erörtert. Dabei scheuten sich weder Europäer noch Amerikaner, „heiße Eisen" anzufassen. Diese Kontakte werden fortgesetzt. Im Oktober dieses Jahres besuchte eine Delegation des Europarates Washington und New York. Die Voraussetzungen für eine eventuelle Beteiligung der USA an bestimmten technischen Arbeiten des Europarates und sodann für eine Zusammenarbeit des Europarates mit den Vereinten Nationen sollten untersucht werden. Natürlich sind das alles nur sehr bescheidene Anfänge auf dem Wege zu einer „Partnerschaft über den Atlantik", aber die USA sehen doch zum mindesten, daß in Europa ein Wille zu einer derartigen Zusammenarbeit besteht. Außerdem wird das Verständnis für die wechselseitigen Probleme und Nöte gefördert. Nach Auffassung von Generalsekretär Peter Smithers sollte also der Europarat in dreifacher Zielsetzung in Zukunft tätig werden:

1. Zur Förderung der größeren Einheit der Mitgliedstaaten durch Zusammenarbeit der Regierungen auf allen Gebieten, auf denen die EWG nicht tätig wird, 2. zur Förderung der Zusammenarbeit mit europäischen Nichtmitgliedstaaten auf sozialem, rechtlichem, kulturellem Gebiet und in anderen Fragen technischer Natur, wo immer eine solche Zusammenarbeit erwünscht ist, 3 zur Leistung eines konstruktiven europäischen Beitrages für die Arbeit der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen.

So wird Schritt für Schritt jene größere Einheit vorbereitet, die der Europarat sich zum Ziele gesetzt hat. Grundlage für diese Zusammenarbeit ist gegenseitiges Verständnis, die Bereitschaft, auch beim Nachbarn das Gute zu sehen und auf liebgewordene Gewohnheiten im innerstaatlichen Leben zu verzichten, wenn eine europäische Lösung sich anbieten sollte, die letztlich für alle Beteiligten von Vorteil wäre.

Somit ist der Europarat der Ort der ständigen Konfrontation, wo die Schwierigkeiten, die auf dem Wege zur größeren Einheit auftauchen, den neuen Notwendigkeiten gegenübergestellt und die Einstellungen der einzelnen Regierungen debattiert werden. Damit ist die Straßburger Organisation zu einem unersetzlichen Forum für den Dialog zwischen den ihre gemeinsame Zukunft suchenden Völkern Europas geworden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Curt Christoph von Pfuel, Dr. jur., geb. 2. September 1907 in Berlin, deutscher Repräsentant der Presse-und Informationsabteilung des Europarates. Veröffentlichungen: Multilaterale Entwicklungshilfe — Versuch einer Analyse, 1964; zahlreiche Beiträge über die europäische Bewegung in Zeitungen und Zeitschriften.