Im gleichen Maß, in dem der Kampf der Neger in den USA um ihre vollen Bürgerrechte an Intensität und Ausdehnung zunimmt, ja sogar in das einmündet, was schon eine „Revolution" genannt wurde, erscheint es für die Außen-stehenden immer wichtiger, zum besseren Verständnis dieses komplizierten und langwierigen Prozesses auch die Geschichte der Neger in den USA zu kennen. Die Neger werden sich nämlich der eigenen Vergangenheit mehr denn je bewußt und setzen die Berufung auf die Tradition als Mittel des geistigen Kampfes ein. Zudem ist in Harlem, dem berühmtesten der Neger-„Ghettos" der USA, nach den schweren Rassenunruhen des August 1964 erstmalig der Unterricht der Negergeschichte in allen Schulen eingeführt worden, was die Besinnung auf die Vergangenheit weiter verstärkt.
Im gewissen Sinn ist die Geschichte der Neger in den USA mit der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung in der größten Demokratie der Erde identisch, denn die Neger haben stets für die Anerkennung ihrer vollen Bürgerrechte gekämpft, durch Sklavenverschwörungen, massive Beteiligung am Revolutionskrieg und am Bürgerkrieg, durch Demonstrationen und Prozessen vor Gericht. Ihr Kampf für Menschenwürde, Emanzipation und volle Gleichberechtigung ist eine der ältesten und hartnäckigsten Bewegungen für Gleichheit und Demokratie, eines der faszinierendsten Kapitel in der Universalgeschichte der modernen Demokratie.
Trotzdem ist diese Geschichte außerhalb der USA weitgehend unbekannt. In Amerika gibt es zwar schon eine weitverzweigte Literatur darüber
Zur Terminologie 2. Periodisierung 3. Nord-Süd 4. Das Gesetz aer Zahl I. Die Zeit der Sklaverei (1619— 1865)
1. Die Periode der Passivität (1619— 1787)
2. Anfänge eigenständiger Regungen (1787— 1827)
3. Der Kampf um die Abschaffung der Sklaverei (1827— 1861)
4. Der amerikanische Bürgerkrieg und die Abschaffung der Sklaverei (1861— 1865)
II. Von der formalen zur effektiven Freiheit (1865— 1965)
1. Die Ära der „Reconstruction"
(1865— 1877)
2. Die Konsolidierung des „New South" (1877— 1910)
3. Der Neubeginn politischer Aktivität (1910— 1954)
4. Die jüngste Phase des Kampfs um die Bürgerrechte (1954— 1965) schichte noch in einem geistigen Ghetto verbannt. In Deutschland existiert zu dem Thema noch keine nennenswerte Literatur. Ein deutsch-amerikanischer Autor, mehr Journalist als Historiker, hat zwar 1964 eine verdienstvolle Studie vorgelegt, aber sie behandelt mehr die Geschichte des Rassenproblems in den USA als die der Neger, und in ihrem historischen Überblick weist sie einige Fehler auf
Einige allgemeine Vorbemerkungen
1. „Neger", „Farbige" oder was sonst? Zur Terminologie Ein diffiziles Problem für sich bietet die Frage, wie die Minderheit in den USA, um die es hier geht, zu benennen ist. Die üblichen Namen . Neger" („Negro") oder „Farbige" („Colored") stoßen nämlich bei einer wachsenden Zahl unter ihnen auf bewußte Ablehnung. Seit dem Verfall des Kolonialsystems hat sich auch in Europa allmählich herumgesprochen, daß Asiaten und Afrikaner Bezeichnungen wie „Eingeborene", „Neger" oder „Farbige" als diskriminierende Relikte aus der Kolonialzeit ablehnen. Für einen Sprachgebrauch, der auf solche Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen will, bieten daher nur noch die Neger in Amerika eine terminologische Schwierigkeit, denn sie sind eindeutig keine „Afrikaner“, und ein großer Teil der Betroffenen akzeptiert auch heute noch die Bezeichnungen „Negro" oder „Colored".
Die terminologische Unsicherheit der Gegenwart spiegelt zweierlei wider: Unklarheit über den sozialen und politischen Status der Neger in der amerikanischen Gesellschaft, ferner — in den Schwankungen des Sprachgebrauchs in der Vergangenheit —• die Haltung der herrschenden weißen Mehrheit, die ihrerseits nur die gängigen Vorurteile des Abendlands in diesem Punkt reflektierte.
Bis in die frühe Neuzeit hinein war die gebräuchliche Bezeichnung für Afrikaner „Mohr"
(im Englischen: „Moor") ohne Diskriminierung oder Abwertung gemeint. Shakespeare zeichnete seinen „Mohr von Venedig" als eine zwar exotische, aber sozial und menschlich voll gleichberechtigte Figur. Schon zu seiner Zeit setzten jedoch ökonomische, soziale und politische Wandlungen ein, die auch auf das Vokabular rüdewirkten: Die Anlage von großen Plantagen auf den neuentdeckten Westindischen Inseln, die Errichtung des Sklaven-systems mit allen sozialen und politischen Konsequenzen schufen im Abendland das Vorurteil von der Minderwertigkeit der so unterworfenen und rechtlos gemachten Menschen afrikanischer Abstammung. In Amerika wurden die Sklaven in Übernahme der spanisch-portugiesischen Bezeichnung „Negro" genannt. In der Zeit der Sklaverei setzte sich der neue Begriff so fest, daß „negro“ und „slave“ zu Synonymen wurden. Als Ende des 18. Jahrhunderts erste selbständige Organisationen freier Neger entstanden, wählten sie daher bewußt als Namen „African", gelegentlich durch das vorgeschaltete Wort „Free“ noch stärker als Distanzierung zu dem mit der Sklaverei identifizierten „Negro" gekennzeichnet.
So gab es 1787 eine „Free African Society“
und eine „African Lodge of Masons", 1794 eine „African Church", 1816 die „African Methodist Episcopal Church". Ungefähr ab 1830 tritt der Name „African" wieder zurück, da er nicht mehr zur Bezeichnung neugegründeter Gruppen diente, während er in den bis dahin noch existierenden Organisationen weiterlebte.
Statt dessen wird die Bezeichnung „Colored"
häufiger; vielleicht kam sie aus dem tiefen Süden, wo sich Mischlinge in früher spanisch und französischen Gebieten (vor allem in Lousiana)
zur Abgrenzung von Sklaven und reinblütigen Negern „gens de couleur" nannten
Der Übergang von „African" zu „Colored“ läßt sich aus der Reaktion der freien Neger auf das Projekt der 1816 gegründeten „American Colonization Society" erklären, die die freien Neger nach Westafrika abschieben wollte
„Wie unersprießlich ist es für uns, unsere wertvolle Zeit auf langwierige und solemne Debatten über die Frage zu verwenden, ob wir , Afrikaner', . Farbige Amerikaner', , Africo-Amerikaner'oder, Schwarze'heißen wollen."
Außer den hier genannten Namen „Colored Americans", „Afro-Americans" und „Blacks"
standen später noch weitere zur Auswahl, wie „Anglo-African", „American African" oder „Afro-American". Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat sich unter der allmählich wachsenden Minderheit, die „Negro" oder „Colored" ablehnte, als Alternative „Afro-American" durchgesetzt. Im Folgenden werden alle drei Bezeichnungen— „Neger", „Farbige" und „ Afro-Amerikaner" — nebeneinander als Synonyme gebraucht.
2. Periodisierung Die Geschichte der Neger in den USA ist weitgehend die einer Nation in einer Nation, mit dem Unterschied, daß sich die „Nation" der Neger einer exakten Definition entzieht. Im Englischen spricht man gelegentlich von einer „sub-culture" innerhalb der amerikanischen Kultur; vielleicht hilft auch der Begriff der „Mikro-Gesellschaft" innerhalb der großen amerikanischen Gesellschaft etwas weiter. Auf jeden Fall ist die Vergangenheit der Neger auf amerikanischem Boden ganz in die der sie umfassenden Staatsnation eingebettet, ist also von der Geschichte der USA nicht zu trennen. Die Frage für oder wider die Sklaverei bis 1865, später für oder wider die Gleichberechtigung der Neger, wirkte sich nämlich immer wieder auf die amerikanische Innenpolitik aus. Es ist daher nicht verwunderlich, daß bei einem Versuch, die Geschichte der Neger in den USA zu periodisieren, die großen Epochen mit denen der allgemeinen Geschichte der USA identisch sind, selbst wenn die Akzente etwas anders ausfallen.
Ganz zwanglos lassen sich zwei große Perioden unterscheiden: Die Zeit der Sklaverei (1619— 1865) und die Zeit nach der Emanzipation (1865— 1965). Die erste Periode umfaßt die Vorgeschichte der USA in der Kolonialzeit und die Epoche von der Gründung der USA bis zur Beendigung des Bürgerkrieges, die zweite das Jahrhundert danach. Eine Unterteilung ist schon schwieriger: eine erste Zäsur bildet das Jahr 1787. Bis dahin waren die Menschen afrikanischer Abstammung auf dem Boden der USA fast völlig passiv gewesen, nur Objekte der herrschenden weißen Mehrheit. Ab 1787 setzt ein erstes organisiertes Aufbegehren mit bleibenden Konsequenzen ein, und das gleich auf drei für die weitere Entwicklung wichtigen Gebieten: Kirche, Freimaurerei, Erziehung. 1787 entstand in Philadelphia die „Free African Society", aus der sich die unabhängigen Negerkirchen entwickelten
Als nächste Zäsur bieten sich zwei Daten an — 1827 und 1831 —, denn beide sind eng mit dem Kampf um die Abschaffung der Sklaverei verknüpft: 1827 erschien'die erste Zeitschrift der Neger mit dem bezeichnenden Titel „Freedom’s Journal", und sie berichtete schon im gleichen Jahr den ersten bekanntgewordenen Lynchmord an einem Neger. 1827 erzielte der Kampf gegen die Sklaverei einen wichtigen Teilerfolg, als mit der Abschaffung der Sklaverei im Staat New York der Norden der USA endgültig sklavenrein war.
1831 fand die große Rebellion des Nat Turner in Virginia statt, die den Süden tief erschütterte und den Norden beeindruckte. 1831 gab William Lloyd Garrison (1805— 1879), einer der entschiedensten und effektvollsten Vorkämpfer für die Emanzipation, in Boston seine neue Zeitschrift „Liberator“ heraus. 1831 trat in Philadelphia eine „Convention" freier Neger zusammen, die von da an bis zum Bürgerkrieg in jährlichen Versammlungen die Lage ihrer Gruppe berieten und eine gemeinsame Politik formulierten.
Das Jahrhundert nach der allgemeinen Aufhebung der Sklaverei läßt sich in vier Abschnitte gliedern: Ära der „Reconstruction"
(1865— 1877), die den Negern in den Südstaaten zunächst einen gewissen politischen und sozialen Spielraum brachte; Zeit der Reaktion (1877— 1910), die die Ansätze zu einer schrittweisen und konstruktiven Überwindung der Spannungen zwischen Weiß und Schwarz wieder zerschlug; Beginn der eigentlichen Bürgerrechtsbewegung (1910— 1954), eingeleitet durch die Gründung der „National Association for the Advancement ofColored People" (NAACP) im Jahr 1910; die militante Phase der Bürgerrechtsbewegung setzt mit dem Jahr 1954 ein, als das Oberste Bundesgericht in einem von der NAACP verfochtenen Rechtsstreit die Segregation in Schulen für verfassungswidrig erklärte.
Ein solcher Versuch der Periodisierung mag unorthodox erscheinen, da keines der großen Daten der Weltgeschichte (1789, 1848, 1914, 1917, 1945) erscheint. Dafür bietet er den Vorteil, daß die Einschnitte der Geschichte der Afro-Amerikaner selbst entnommen sind und in engem Zusammenhang zur allgemeinen Geschichte der USA stehen. 3. Nord-Süd Dem Unterschied zwischen dem Norden und Süden der USA entspricht auch ein bedeutsamer Unterschied zwischen der historischen Entwicklung der Neger im Süden und Norden.
Vielleicht wird man die — gewiß überspitzte — Faustregel wagen können, daß die Geschichte der Neger in den USA weitgehend die der Neger im Norden ist, jedenfalls bis 1954, und wenn man das vorwärtsdrängende, aktive Handeln mit bleibenden Konsequenzen in Betracht zieht. Zum mindesten lag der Schwerpunkt lange im Norden. Der Unterschied zwischen Nord und Süd ist stets im Auge zu behalten, wenn etwas pauschal im Folgenden von der Geschichte der Neger in den USA schlechthin die Rede ist.
Bis zu Begin des 20. Jahrhunderts lebten rund 90 °/o aller Farbigen im Süden. Die wirtschaftliche und soziale Struktur des Nordens machte dort die Sklaverei nie so drückend wie im Süden und erleichterte die frühe und relativ glatte Emanzipation. Lebten die Neger im agrarischen Süden überwiegend auf dem Land, so konzentrierten sie sich im industriellen Norden in den großen Städten. Im Norden errangen sie sich relativ früh ein gewisses Maß politischer Rechte, während die Neger des Südens gerade jetzt erst dabei sind, sich ihr volles Wahlrecht in mühsamen und entbehrungsreichen Demonstrations-und Boykottkampagnen zu erkämpfen. Daher ist es nicht überraschend, daß die wesentlichen Impulse zur organisatorischen und politischen Selbständigkeit von den freien Farbigen des Nordens ausgingen; sie führten schließlich zur Beseitigung der Sklaverei, wenn auch erst nach einem erbitterten Bürgerkrieg, der im besiegten weißen Süden bis auf den heutigen Tag schier unheilbare Ressentiments hinterließ und traditionelle Vorurteile nur noch weiter verhärtete.
Der Unterschied zwischen Nord und Süd wird wahrscheinlich auch noch in absehbarer Zeit weiter wirksam bleiben: Während die soziale Segregation und die politische Alleinherrschaft der Weißen im Süden unter dem Ansturm der friedlichen Revolution der Bürgerrechtsbewegung allmählich zerbröckelt, erweist es sich, daß bestimmte elementare Voraussetzungen zu einer wirklichen Integration im Süden eher vorhanden sind als im Norden: Im Süden leben Weiße und Farbige tatsächlich schon seit langem neben-und untereinander, so daß, wenn den Weißen erst einmal die Binde des Rassenhasses und des Rassenhochmuts genommen ist, eine tatsächliche Integration, z. B.der Schulen und Kirchen, viel leichter möglich wird. Außerdem kommt schon jetzt eine kleine, aber bedeutende Zwischenschicht zu neuer Geltung, die Schar der traditionsgemäßen Liberalen, jahrzehntelang als „nigger lovers" verhöhnt, die erheblich zum Ausgleich beitragen können. Dagegen leben die Farbigen des Nordens in riesigen „Ghettos", die so groß sind, daß die Integration der Schulen reine Illusion wird. Die meisten Weißen im Norden kennen überhaupt keine Neger persönlich; ihre Ablehnung der Diskriminierung ist bei vielen mehr politisch und abstrakt, schlägt bei der Begegnung mit leibhaftigen Negern leicht in heftige Abneigung um.
Es ist also denkbar, daß sich der alte Unterschied zwischen Nord und Süd in neuer Form fortsetzen wird. Ist die gesetzliche, somit handgreifliche Rassendiskriminierung des Südens einmal durch eine wirkliche Integration ersetzt, so dürfte sich die andauernde effektive soziale Segregation im Norden — allen gut-gemeinten Gesetzen zum Trotz — den Betroffenen um so schmerzhafter ins Bewußtsein einprägen. Inzwischen haben die Unruhen von Los Angeles (August 1965) handgreiflich demonstriert, wieviel sozialer Konfliktstoff in den „Ghettos" des Nordens aufgehäuft ist.
4. Das Gesetz der Zahl Schließlich bleibt noch zu beachten, daß die Neger stets eine Minderheit waren, eine dazu relativ ständig kleiner werdende. 1790 machten die Neger — Sklaven wie Freie — mit rund 757 000 immerhin 19, 3% der Gesamtbevölkerung der USA aus. Seitdem ist ihr Anteil stets gesunken: 1840 mit 2 974 000 auf 16, 8%, 1860 mit 4 442 000 auf 14, 1 %, 1890 mit 7 498 000 auf 11, 9%, 1920 mit 10 463 000 auf
I. Die Zeit der Sklaverei (1619— 1865)
In der westlichen Hemisphäre entwickelte sich die Sklaverei aus einem Engpaß auf dem Arbeitsmarkt. Die einheimischen Indianer erwiesen sich für die von den Kolonisatoren auf den Westindischen Inseln angelegten Bergwerke und Plantagen als ungeeignete Arbeiter. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden sie zu Tode gearbeitet oder bei Verzweiflungsaufständen ausgerottet. Zur Befriedigung des stets wachsenden Bedarfs an billigen Arbeitern griffen die Kolonisatoren daher auf ausländische Quellen zurück. Auf Anregung des spanischen Missionarbischofs La Casas begann Anfang des 16. Jahrhunderts die Einfuhr von Sklaven aus Afrika, anfänglich als Schutzmaßnahme für die aussterbende Indianerbevölkerung gedacht. Wenig beachtet wird, daß anfänglich Arbeiter in einem sklavenähnlichen Status auch aus Europa herangeschafft wurden
1619 (die ältere Literatur nennt oft 1620) landeten in Jamestown (Virginia) die ersten 20 Negersklaven, über die Westindischen Inseln von einem holländischen Schiff eingeführt.
Nach einer Pause von mehreren Jahrzehnten ergoß sich ein stets anschwellender Strom billiger Zwangsarbeiter in die Kolonien an der Ostküste Nordamerikas. Die afrikanischen Sklaven wurden im Rahmen des berühmten Dreieckhandels (Europa—Afrika—Westindische Inseln, von da zum nordamerikanischen Kontinent) aus Westafrika (von Gambia bis Angola) eingeführt, teils auch aus Mozambique.
a) Die Lage der Sklaven Von vornherein bildeten die Negersklaven ein rechtloses Sub-Proletariat, dem auch das kärgliche Minimum an sozialen Rechten verwehrt blieb, das die Armen unter den eingewanderten Europäern noch genossen, denn sie hatten immerhin die Aussicht, sich nach einer gewissen Zahl von Jahren, wenn sie erst einmal ihre Passage von Europa durch Arbeit abgedient hatten, eine Existenz in Freiheit aufzubauen. Die Negersklaven — wider ihren Willen nach Amerika gebracht — hatten diese Aussicht nicht, denn die Freiheit galt nicht ihnen.
Im Gegenteil, zur besseren Rechtfertigung der Sklaverei wurde ihnen sogar noch der Status, und damit die Würde, eines Menschen abgesprochen. Die Sklaven wurden zu einem Ding erklärt, hatten den Rang („chattel") bestenfalls eines gutgehaltenen Haustiers, standen zwischen Ochs und Mensch. Nach Belieben konn8 ten sie weiterverkauft werden, wobei sich ihre persönliche Situation je nach den Eigenschaften der Eigentümer verbessern oder verschlechtern mochte. Ein normales Familienleben, gleichsam zur Linderung der menschlichen Not, konnte kaum aufkommen. In den ersten Jahrzehnten wurden meistens Männer nach Amerika eingeführt, während die wenigen jungen Frauen und Mädchen als Konkubinen oder Nebenfrauen vieler Pflanzer dienen mußten; auf diese Weise entstanden die ersten Mischlinge.
Fielen in späteren Jahrzehnten aus dem anschwellenden Strom von neueingeführten Negersklaven Frauen auch noch für die Sklaven ab, so verhinderte die Praxis, meistens nur einzelne Sklaven weiterzuverkaufen, die Entfaltung eines geregelten Familienlebens. Paare wurden getrennt, die Existenz eines Vaters war in der Sklavengesellschaft buchstäblich unbekannt
Im 17. und 18. Jahrhundert war die Sklaverei in allen Kolonien verbreitet, mit Schwerpunkt im Süden, wo sie erst die entstehenden Plantagenwirtschaft ermöglichte. Die Wirtschaftsund Sozialstrukur des Nordens zeichnete sich durch das überwiegen von mittleren und kleinen Einzelbauern aus; seit dem Ende des 18.
Jahrhunderts kamen auch kleinere und größere Manufakturbetriebe hinzu. Sklavenarbeit wurde im Norden somit entbehrlich oder gar widersinnig. Außerdem nahmen die Sklaven dort die Stellung von Haussklaven ein, waren also Diener im Hause des Herren oder hatten eine dem Knecht vergleichbare Funktion innerhalb der bäuerlichen Wirtschaft und Familie.
b) Schwankungen in der Intensität der Sklaverei Der patriarchalische Charakter der Haussklaverei, die auch im Süden bis um 1800 relativ weit verbreitet war, milderte die Institution der Sklaverei noch etwas in ihren Auswirkungen.
Die am schwersten Betroffenen waren die Sklaven auf den Plantagen, oft die aus Afrika jeweils zuletzt Angekommenen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Sklaverei als soziales und politisches System auch noch nicht derart verfestigt, als daß es nicht für human eingestellte Sklavenhalter möglich gewesen wäre, ihre Sklaven menschlich und relativ gut zu behandeln.
Auch im Süden gab es stets bestimmte Gruppen, die aus religiösen oder humanitären Gründen für eine menschliche Behandlung der Sklaven eintraten. An erster Stelle sind hier die Quäker zu nennen, aber auch Gruppen von Katholiken (irisch-schottischer Abstammung), ferner Baptisten und seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts auch die frühen Methodisten. Diese Kreise begannen, für eine religiöse, später weltliche Bildung ihrer Sklaven zu sorgen. Zu humanitären Motiven kam bei aufgeklärten Sklavenhaltern die Überlegung, daß ein gebildeter Sklave ein größeres Wertobjekt darstellte als ein ungebildeter, weshalb sie bis 1800 die Einrichtung von Schulen für Sklaven gestatteten oder förderten oder wenigstens dem individuellen Bildungsdrang ihrer Sklaven keine zusätzlichen Schranken zogen
Der Sklaven-,, Arbeitsmarkt" stand im Süden seit 1800 somit unter einem dreifachen Druck, unter dem er schließlich, dank politischer und militärischer Aktionen, zusammenbrach: Verstärkte Nachfrage nach billigen Arbeitskräften, Drosselung des Angebots aus zwei Gründen: Verbot des Sklavenhandels in England und den USA (1807), womit der Nachschub aus Afrika allmählich aufhörte, ferner die Abolitionistenbewegung zur Abschaffung der Sklaverei, in deren Verlauf Sklaven aus dem Süden entwichen und ihnen zur Flucht systematisch verhülfen wurde; die Folge war, daß neben der Verknappung von Arbeitskräften die „Investitionen" in Sklaven immer riskanter wurden. Unter dem Druck von erhöhtem Bedarf an billigen Arbeitskräften, Verringerung des Ange-bots und größerem Risiko der Investition führte der Süden allmählich die scharfen Gesetze ein, die erst die Zustände schufen, die sich im allgemeinen mit der Sklaverei in der Modernen verbinden. Seit 1835 war es in allen Südstaaten verboten, Neger zu unterrichten: Inzwischen hatte man erkannt, daß Bildung den Drang nach Freiheit nach sich zieht. Ein gebildeter Sklave, wenn er auch nur lesen und schreiben konnte, galt nicht mehr als Wertobjekt, sondern als potentielle Gefahrenquelle, als anfällig für unliebsame „Agitation", für „Aufsässigkeit". Allerdings fuhren die schon genannten kleinen Gruppen (Quäker, Katholiken etc.) im Süden fort, ihren Sklaven Unterricht zu erteilen, auch wenn sie damit außerhalb der neugeschaffenen „Legalität" handelten.
c) Sklavenrevolten und Möglichkeiten zur Freiheit In der Zeit der Sklaverei konnte sich der Freiheitsdrang der Negersklaven anfänglich nur durch Verschwörungen oder Revolten ausdrükken, auf See (entweder noch vor der afrikanischen Küste oder erst vor der amerikanischen)
oder in Amerika. Schon 1663, dann 1687 kam es zu den ersten Unruhen unter der Sklavenbevölkerung und zur ersten Verschwörung.
Aufstandsversuche folgten 1712 in New York, 1722 in Virginia, 1723 in Boston, 1730 in Williamsburgh (Virginia), 1730 in Süd-Carolina.
1731 und 1732 revoltierte ein Sklavenschiff vor der Küste von Rhode Island, 1747 ein weiteres vor Cape Coast (Goldküste, heute Ghana)
Meistens wurden Sklavenverschwörungen noch vor Ausbruch der geplanten Revolte entdeckt — nicht selten von Sklaven verraten — und grausam bestraft. Verschwörungen und Revolten hatten keinen unmittelbar positiven Effekt, keine Auswirkung auf die politische Organisation der Neger. Wohl aber trugen sie psychologisch zur Unterminierung der Sklaverei bei, da der Süden in der Angst vor Aufständen lebte und somit indirekt die Propagandathese vom zufriedenen und glücklichen Sklaven selbst widerlegte. Für den Norden demonstrierten sie Unhaltbarkeit und Unmenschlichkeit des Systems, und Sklaven wie freie Farbige zogen aus ihnen Inspiration zu neuen Anstrengungen, den Kampf um die Freiheit zu gewinnen. Bis zur Abschaffung der Sklaverei war die Freiheit nur individuell zu gewinnen, durch Freilassung, als testamentarische Verfügung oder durch Freikauf mit manchmal hohen Ablösungssummen, die der Sklave aus eigenem Ersparten aufzubringen hatte. Gelegentlich wurden Sklaven zur Belohnung von Spitzel-diensten gegenüber rebellischen Sklaven emanzipiert; seit dem amerikanischen Revolutionskrieg kam die Teilnahme an Kriegen der USA als Gründe für Freilassungen hinzu. Gelegentlich kauften wohlhabend gewordene farbige Freie Sklaven auf, um sie anschließend freizulassen, während es andererseits auch farbige Sklavenhalter gab, 1830 insgesamt 3 777
Im Norden wurde zwischen 1780 und 1827 schrittweise die Sklaverei abgeschafft, wodurch es auch zu kollektiven Emanzipationen kam. Etwa seit der gleichen Zeit trat im Süden die Emanzipation auf „illegale" Weise hinzu, also durch Flucht. Inzwischen existierte im Norden ein beträchtliches Element freier Farbiger, in das ein entlaufener Sklave untertauchen konnte, und die Fluchtbewegung Entlaufener oder zum Entlaufen Williger wurde vom Norden her systematisch gefördert.
2. Anfänge eigenständiger Regungen (1787— 1827)
a) Die historischen Voraussetzungen Das Einsetzen einer organisatorischen Eigenständigkeit der Afro-Amerikaner ist das Produkt mehrerer Faktoren: ihr nie erloschener (bis zum Ende des 18. Jahrhunderts aber unartikuliert gebliebener) Drang zur Freiheit, die Aufklärung, die amerikanische Revolution, das Quäkertum und das frühe Methodistentum. Die freie Bevölkerung im Norden Obwohl gegen Ende des 18. Jahrhunderts die freie Negerbevölkerung gegenüber den Sklaven nur eine kleine Minderheit bildeten, ging die Initiative zur Freiheit, wie nicht anders zu erwarten, von den Freien aus. Ihr rechtlicher Status war zwar problematisch, und sie lebten in einer prekären Freiheit: Waren sie entlaufen, konnte der frühere Herr plötzlich auftauchen und sein verlorengegangenes „Eigentum"
reklamieren. Wurde er auf Grund testamentarischer Verfügung freigelassen, mochten Erben das Testament anfechten. Verwechslungen, angebliche oder wirkliche, kamen vor oder waren zu befürchten, und im Zweifelsfall war in den meisten Staaten das Recht auf der Seite des Sklavenbesitzers. Viele Freie mußten wieder in die Sklaverei zurückgehen oder wurden gekidnappt, also mit Zwang in die Sklaverei heimlich zurückgebracht. Im Zuge der allgemeinen Verschärfung ermöglichte 1850, kurz vor Aufhebung der Sklaverei, ein Bundesgesetz, das „Fugitive Slave Law", die gesetzliche Reduzierung von Freien in den Sklavenstand.
Nicht nur seitdem lebten zahlreiche Familien unter der permanenten Drohung, wieder in die Sklaverei abgeführt zu werden, mußten sie eine prekäre Existenz in einem Zustand permanenter Halb-Legalität fristen. Trotzdem hatten die Freien gegenüber der Sklavenbevölkerung einen gewissen Spielraum zur eigenen Organisierung, zu kultureller, bald auch politischer Aktivität. Ihre Ziele waren: Sicherstellung der eigenen Freiheit, Abschaffung der Sklaverei überall in den USA, politische wie soziale Gleichberechtigung. Alle drei Ziele bedingten sich wechselseitig, waren nicht von einander zu trennen. Im eigenen Interesse waren die Freien des Nordens also auf die Solidarität mit den Sklaven des Südens orientiert.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich in Pennsylvania ein bedeutender Schwerpunkt herausgebildet, und dort wieder in Philadelphia, das bis zum Bürgerkrieg den zahlenmäßig stärksten Anteil von Negern unter allen Städten des Nordens aufzuweisen hatte: 1790 lebten in Philadelphia 2 102 Freie und 387 Sklaven; bei einer Gesamtbevölkerung von 54 391 ergab sich also ein Anteil von knapp 5 °/o. Die entsprechenden Zahlen für Pennsylvania lauteten: 6 537 Freie und 3 737 Sklaven, also insgesamt 10 247 Neger, bei einer Gesamtbevölkerung von 434 037. Knapp ein Sechstel aller Freien wohnte damals in Pennsylva-nia
Die Bedeutung Pennsylvanias und Philadelphias für die frühe Entwicklung der Afro-Amerikaner ist kein Zufall: Philadelphia war zu jener Zeit die größte und bedeutendste Stadt der jungen USA, und die freien Neger hatten stets einen starken Drang zur großen Stadt.
Auch war Pennsylvania als südlichster der Nordstaaten vom Süden her leichter erreichbar, nicht nur für aus dem Süden entlaufene (viele waren es damals noch nicht), sondern auch für solche Sklaven die von ihren Herrn freigelassen wurden mit der Auflage, den Süden sofort zu verlassen, andernfalls ihnen eine erneute Sklavenschaft durch irgend jemanden drohte, der sie sich wieder einfangen würde.
Die Quäker Wichtiger als die geographische Lage war jedoch der Einfluß der Quäker in Pennsylvania und Philadelphia, der auch dann noch stark blieb, als sie, die Gründer, allmählich von Neu-einwanderern in die Minderheit gedrängt wurden. Gewiß hatte sich unter dem Einfluß der Aufklärung in den meisten Kolonien eine bessere Behandlung der Sklaven allmählich durchgesetzt, im Norden mehr als im Süden, aber nirgends so stark wie in Pennsylvania. Sie waren zwar nicht „die einzige Glaubensgemeinschaft", die mit der Sklaverei „niemals . . .
einen Kompromiß geschlossen" hatten
Aus ihrer humanen Einstellung erwuchs allmählich die prinzipielle Gegnerschaft zur Sklaverei. Der erste Protest kam 1688 von deutsch-stämmigen Quäkern aus Germantown. Aber erst mit dem Vordringen der Aufklärung gewann die Gegnerschaft zur Sklaverei stärker an Boden, so daß Quäker zunächst einzeln zur Freilassung ihrer Sklaven übergingen, später die Freilassung innerhalb ihrer Religionsgemeinschaft propagierten und weitgehend praktizierten. Bereits 1775 gründeten Quäker in Philadelphia die erste Gesellschaft zum Kampf gegen die Sklaverei. Als erster Staat erließ Pennsylvania 1780 ein Gesetz, das die allmähliche Emanzipation vorsah; hinzu kamen Maßregeln zum Schutz der freien Neger, namentlich gegen Versuche, sie wieder in die Sklaverei zurückzuführen. Schließlich waren Quäker aktiv an der Errichtung erster Schulen für die Farbigen im Norden beteiligt, so daß sich ihr Einfluß auch auf diesem Gebiet bemerkbar machte.
Alle Faktoren wirkten zusammen, um in Pennsylvania und Philadelphia ein relativ starkes Element freier Neger entstehen zu lassen, das zudem nirgends so großzügig und liberal behandelt wurde wie hier. Ferner wuchs in Pennsylvania eine bestimmte Tradition heran, auf die sich die Afro-Amerikaner des Staats berufen konnten, wenn, was mit dem weiteren Einströmen von Nicht-Quäkem durchaus vor-kam, eine Verschlechterung ihres Status drohte.
Die amerikanische Revolution Zum Geist der Aufklärung im allgemeinen, der Quäker im besonderen, trat ab 1770 die aufwühlende Wirkung der amerikanischen Revolution hinzu. Einerseits erkannten die Einsich12 tigen unter den Revolutionären, daß sie schlecht die Freiheit für alle Menschen proklamieren konnten, um sie anschließend einer Gruppe, eben den Sklaven, vorzuenthalten. Andererseits reklamierten die Neger, artikuliert zunächst die Freien des Nordens, mit dem gleichen Argument für sich und ihre Brüder Freiheit und Gleichberechtigung.
Von vornherein nahmen die ungebildeten, unterdrückten, verachteten und entrechteten „Neger" die hehren Prinzipien der jungen Demokratie beim Wort und plädierten energisch für die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen als Menschen und Staatsbürger. Typisch dafür ist der Brief, den Benjamin Banneker (1731— 1806), der erste farbige Intellektuelle auf amerikanischem Boden, 1791 an Thomas Jefferson schrieb, den Vater der Unabhängigkeitserklärung. Banneker räumte eingangs ein, daß seine „Rasse" seit langem verachtet werde und „eher als tierisch denn menschlich gelte, kaum zu geistiger Begabung fähig", bekannte sich aber zu seiner Zugehörigkeit zur „afrikanischen Rasse", um Jefferson anschließend die berühmten Kernsätze der Unabhängigkeitserklärung entgegenzuhalten. Und er fuhr fort: „Das war die Zeit, in der Sie, zartfühlend sich selbst gegenüber, sich verpflichtet fühlten, derartiges zu erklären; damals waren Sie von richtigen Ideen von der schweren Verletzung der Freiheit geprägt, dem freien Besitz all der Segnungen, auf die Sie von Natur aus ein Recht hatten; aber, Sir, wie peinlich ist der Gedanke, daß, obwohl Sie so sehr von der Güte des Vaters der Menschheit überzeugt waren, von der gleichmäßigen und unparteiischen Verteilung dieser Rechte und Privilegien, die er uns zugedacht hat, daß Sie gleichzeitig seinen Gnadeerweisen entgegenwirken könnten, indem Sie durch Trug und Gewalt so zahlreiche meiner Brüder in schmerzhafter Gefangenschaft und grausamer Unterdrückung halten, daß Sie gleichzeitig des größten Verbrechens für schuldig befunden werden sollten, das Sie so beredt bei anderen verabscheuen, wenn es Sie selbst trifft."
Die amerikanische Revolution ging somit nicht spurlos an den Afro-Amerikanern vorbei. Ihr erwachtes Selbstbewußtsein drückte sich in der Behendigkeit aus, mit der sie andere Parolen der Revolution aufgriffen. So protestierte schon 1780 eine Gruppe aus Dartmouth (Massachusetts) in einer Petition an das Parlament von Massachusetts gegen die ihnen auferlegte „taxation without representation", gegen die Steuerpflicht ohne politische Rechte
Die Methodisten Das auslösende Moment für den Beginn der aktiven Geschichte der Neger kam von den Methodisten. Die neue, von John Wesley in England gegründete Religionsgemeinschaft erreichte 1766 Amerika. Sie begann als religiöse Protestbewegung für den kleinen Mann, und Wesley sprach sich nachdrücklich gegen die Sklaverei aus, taufte gar persönlich zwei Afrikaner, die in England lebten. Da die ersten Führer des amerikanischen Methodismus ebenfalls Gegner der Sklaverei waren, erfüllte die junge Methodistenkirche in fast idealer Weise die religiösen Bedürfnisse der freien Neger, die zu einem erheblichen Teil über die Quäker zum Christentum gekommen waren, sich aber nicht durch diese Sekte befriedigt fühlten. Deshalb fanden die Methodisten von allen Kirchen unter den Negern zu jener Zeit den stärksten Zulauf. 1785 machten sie bei rund 20 000 Mitgliedern rund ein Siebtel aus, 1798 bereits ein Fünftel. Zwischen 1785 und 1792 allein war die Zahl der farbigen Methodisten um 1 290 auf 13 871 angewachsen
b) Das Entstehen unabhängiger Negerkirchen (1787— 1820)
Das positive Echo des Methodismus unter den freien Negern Pennsylvanias war auch auf die Aktivität eines jungen Methodistenpredigers zurückzuführen, auf Richard Allen (1760 bis 1831). Er war in Philadelphia als Sklave geboren, 1767 mit seiner ganzen Familie nach Delaware verkauft, 1776 zum Methodistentum bekehrt Und 1777 frei geworden. Methodistentum und amerikanische Revolution waren für ihn die beiden Grunderlebnisse, die in ihm die Unzufriedenheit mit der Position seiner Mitbürger in der amerikanischen Gesellschaft weckten. Anfang 1786 kam Allen wieder nach Philadelphia, wo er in der St. George s Methodistenkirche predigte.
Die Gemeinde war anfänglich „integriert", wie man heute sagen würde: Die freien Neger Philadelphias hatten zum Bau der Kirche finanziell beigetragen und waren gleichberechtigt. Als sich jedoch ihre Zahl rasch erhöhte, kam ebenso rasch der Umschlag von der Gleichberechtigung zur Diskriminierung und versuchten Segregation: Während eines Gottesdienstes forderten führende weiße Gemeindemitglieder Allen und eine Gruppe von Farbigen auf, sofort zur Empore zu gehen. Als Antwort verließen die Farbigen unter Führung von Allen und Absolom Jones die Kirche
Es lag nahe, nun eine eigene Negerkirche zu gründen; jedoch beschlossen die Führer der Sezession zunächst den Übergang zu einer provisorischen Organisationsreform. Am 12. April 1787 gründeten sie in Philadelphia die „Free African Society", mit Hilfe von Quäkern und Mitgliedern der Episcopal Church (amerikanische Form der Anglikanischen Kirche). Es war eine Mischung von gegenseitiger Unterstützungsgesellschaft und religiöser Gemeinschaft, in der der Einfluß der Quäker zu spüren war: Ein weißer Quäker wurde zum Schatzmeister gewählt, und es galt die Bestimmung, daß nach seinem Aüsscheiden stets ein praktizierender Quäker dieses Amt bekleiden sollte; außerdem hielten die Mitglieder vor ihren religiösen Zusammenkünften ein 15-minütiges Schweigen nach Quäkersitte inne
Thomas African Church" ins Leben trat und im März 1796 als „African Episcopal Church of St. Thomas" ins Amtsregister eingetragen wurde. Erster Pastor war Absolom Jones, einer der Führer der Sezession aus St. George s.
Allen lehnte den Übertritt zur Episcopal Church ab und gründete, ebenfalls im Juli 1794, seine eigene Kirche, die „Bethel Church".
Sie wurde Ausgangspunkt zu einer neuen Denomination, der „African Methodist Episcopal"
Church (AME), die sich 1816 in Philadelphia aus einigen „African Methodist Episcopal" -
Kirchen in anderen Städten, vor allem in Baltimore, bildete. Die neuen Negerkirchen hatten sich in einem ähnlichen Prozeß wie in Philadelphia aus „Free African Societies" entwikkelt, die ihrerseits in ähnlichen Verhältnissen entstanden waren, zum Teil auch auf Anregungen aus Philadelphia. Erster Bischof der AME-Kirche wurde Richard Allen. 1796 organisierte sich in New York eine „African Methodist Episcopal Zion" -Church (AMEZ), die ebenfalls Unterstützung durch neuformierte Gemeinden in weiteren Städten erhielt, so daß sich die AMEZ-Kirche 1820 als eigener Kirchenverband konstituieren konnte. Von beiden Kirchen spalteten sich später noch weitere Gruppen ab, die aber alle nicht die Bedeutung der AMEund AMEZ-Kirche hatten
Kirchen und Geistliche spielten (und spielen) für die Neger in den USA eine überaus wichtige Rolle. Pfarrer waren die ersten Intellektuellen und politischen Führer, die oft die Kampfschriften für die Anerkennung der Menschennatur und Gleichberechtigung der Neger schrieben. Richard Allen begründete die Tra-dition der politisch streitbaren Pfarrer und Bischöfe, in der noch heute ein Martin Luther King steht, selbst wenn er Baptistenpfarrer ist. Allen war maßgeblich am Entstehen der sog. „Convention Movement" beteiligt
hatte Allen eingeladen, und beide fanden in „Bethel Church" statt; von den nächsten fünf „Conventions" tagten vier (1831, 1832, 1833, 1835) in Philadelphia. Ferner engagierte sich die AME-Kirche im Kampf gegen die Sklaverei. Ihre Missionare gingen nach Haiti und Westafrika. Alexander Walters, einer der hervorragenden AMEZ-Bischöfe, spielte eine maßgebende Rolle in der beginnenden Bürgerrechtsbewegung im ersten Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts und war einer der führenden Köpfe auf der ersten panafrikanischen Konferenz in London (1900).
Allerdings waren die beiden großen Methodistenkirchen nicht die einzigen Negerkirchen, die um 1800 entstanden. Im Süden hatten Neger in einigen Städten ab 1776 Baptistengemeinden gegründet. Aber sie blieben klein, hatten keine Ausstrahlungskraft und konnten sich ohnehin erst nach dem Bürgerkrieg einigermaßen ungestört entfalten. Trotzdem haben auch sie einen Beitrag zur Bewußtseinsbildung der Neger geleistet, der nicht zu unterschätzen ist.
3. Der Kampf um die Abschaffung der Sklaverei (1827— 1861)
Nach dem Vorspiel der Gründung unabhängiger Negerkirchen entzündete sich die erste politische Aktivität freier Neger, wenn auch nur indirekt an der Frage der Sklaverei, direkt an der Idee einer Rückwanderung nach Afrika.
a) „American Colonization Society"
und Liberia Im Dezember 1816 trat die neugegründete „American Colonization Society" mit ihrem Plan auf, die freien Neger nach Westafrika abzuschieben und so das leidig gewordene Negerproblem zu lösen. Hinter solchen Ideen stand die Vorstellung von der rassisch bedingten Minderwertigkeit des Negers, stand die grundsätzliche Abneigung, ihm Gleichberechtigung einzuräumen. Selbst Thomas Jefferson, Gegner der Sklaverei, meinte in seinen Memoiren: „Nichts ist klarer in das Buch des Schicksals geschrieben als die Emanzipation der Schwarzen; und ebenso sicher ist, daß sie und wir niemals in einem Zustand gleicher Freiheit unter der gleichen Regierung leben werden, so unübersteigbar sind die Mauern, welche Natur, Gewohnheit und Meinung zwischen ihnen und uns errichtet haben."
Während die Sklaverei im Norden 1827 endgültig abgeschafft war, verfestigte sie sich im Süden mit der Tendenz, sich nach Westen mit der Ausbreitung des Baumwollanbaus weiter auszudehnen. Zur Wahrung des Gleichgewichts zwischen Nord und Süd bestimmte jedoch der sog. Missouri-Kompromiß (1819), daß zwar der neue Bundesstaat Missouri als Sklavenhalterstaat in die Union eintreten dürfe, daß jedoch eine weitere Ausdehnung der Sklaverei ausgeschlossen bleiben sollte. Um so mehr kam es jetzt darauf an, die Institution der Sklaverei auf dem ihr gebliebenen Territorium zu verteidigen. Als eines der Mittel zur besseren Erhaltung der Sklaverei galt das Projekt, die freien Neger nach Afrika zurückzuführen, offensichtlich weil man erkannt hatte, daß von ihnen auf die Dauer die größte Gefahr für das System ausging. Eine solche Lösung des „amerikanischen Dilemma"
Die „American Colonization Society" war offensichtlich mit Interessen der Sklavenhalter verbunden, und ihre Argumentation war einfach: Da die freien Farbigen in den USA niemals volle Gleichberechtigung erhalten könnten, da ihre Anwesenheit zu ständigen Reibereien führen mußte, war es im Interesse aller Neger („Africans", wie sie jetzt von den Kolo-nisationspropagandisten genannt wurden ))
besser, daß sie nach Afrika zurückkehrten, wo sie außerdem noch Land und Leute christianisieren und zivilisieren könnten. Zahlreiche Südstaaten, aber auch einige naive Philanthropisten des Nordens, griffen die Idee eifrig auf und förderten sie mit Wort und Geld. 1821 entstand tatsächlich an der „Kornküste" Westafrikas die erste Siedlung zurückgeführter Ex-Sklaven, die sich 1847, zusammen mit weiteren Siedlungen, zur Republik Liberia entwickelte.
Die Zahl der Rückwanderer aus den USA war gering, rund 15 000 Ex-Sklaven, meistens aus den Südstaaten, die oft nur unter der Bedingung freigelassen wurden, daß sie anschließend nach Liberia gingen. Hinzu kamen rund 5 000 Afrikaner, die die britische Flotte von Sklavenschiffen befreite und die sich in Liberia niederließen. Auch aus Westindien kamen einige Rücksiedler, unter ihnen Edward Wilmot Blyden (1832— 1912), der bedeutendste Intellektuelle in der Geschichte Liberias. Seit dem Bürgerkrieg hörte die ohnehin schwache Rückwanderung nach Liberia so gut wie auf, schon weil mit dem Verschwinden der Sklaverei eine Möglichkeit dahingegangen war, wenigstens auf diesem Wege die Freiheit zu erlangen. Auch schätzten die meisten Afro-Amerikaner Liberia nicht sonderlich wegen der Korruption und der hemmungslosen Unterdrückung der afrikanischen Stämme durch die herrschende Oligarchie der Libero-Amerikaner.
b) Der Protest gegen das Rückwanderungsprojekt:
Beginn der „Convention Movement“
Unter den freien Negern erhob sich sofort scharfer Protest gegen den Rücksiedlungsplan, nicht nur wegen der Verquickung mit Sklavenhalterinteressen. Allen Handicaps zum Trotz, denen sie unterworfen waren, fühlten sie sich als Bürger der Vereinigten Staaten, und die meisten zogen ihre unsichere Existenz in einer modernen, sich rasch industrialisierenden Gesellschaf' der Rückkehr in ein rückständiges, noch kaum von der modernen Zivilisation berührtes Afrika vor.
Der Widerwille, nach Afrika auszuwandern, war bei denen am stärksten, die es trotz allem in den USA zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatten. Dagegen lebte in den unteren Schichten, deren materielle Unsicherheit ihre soziale nur noch verstärkte, stets der Traum des „Back-to-Africa" weiter. Für sie mußte sich die Emigration aus dem Land, das sie nicht haben wollte, in das Land der Väter am ehesten als Ausweg aus der permanenten Mi-sere anbieten. Für die Wortführer dieser Richtung wurde Afrika gar zum „Vaterland" („Fatherland").
Mit ihren Rückwanderungsprojekten fanden sie unter der unteren Schicht der Farbigen immer wieder starkes Echo, angefangen mit Paul Cuffee (1759— 1817), der 1815 bereits, teilweise auf eigene Kosten, 38 Freie in das neugegründete
-Bewegung
Bei der Beurteilung der Einstellung zur Rückwanderung wird man also stets zu unterscheiden haben, ob es sich um eine mehr oder minder erzwungene Abschiebung im Interesse der weißen Mehrheit handelte oder um die freiwillige Auswanderung nach Afrika. Ferner gilt es, die Position zu beachten, die die entschiedenen Gegner einer Abschiebung nach Afrika und die Befürworter einer freiwilligen Auswanderung aus den USA (ob nach Afrika, Haiti oder Kanada) innerhalb der farbigen Mikro-Gesellschaft einnahmen.
Die Reaktion auf die Kolonisierungspläne der „American Colonization Society“ kam schnell und fiel heftig aus: Nur einen Monat nach Gründung der Gesellschaft, schon im Januar 1817, tagten zwei Versammlungen, um den Protest zu formulieren, in Richmond (Virginia) und Philadelphia, in Bethel Church auf Einladung von AME-Bischof Richard Allen. Die Resolution von Philadelphia war die ausführlichere und interessantere. Während man in Richmond lediglich erklärte, man ziehe „die Ansiedlung im entferntesten Winkel unseres Geburtslandes (d. h.der USA; d. Vf.) der Verbannung in ein fremdes Land" (also Afrika) vor, stieß die Resolution von Philadelphia zum Kem der Frage vor: Auch sie wandte sich scharf gegen den Vorschlag, „uns aus unserem Geburtsland zu verbannen", aber sie erinnerte daran, daß „unsere Vorfahren (nicht aus freien Stücken)" die Wildnis Amerikas besiegt hätten und protestierte gegen die Behauptung der „American Colonization Society", die „free people of color" seien „ein gefährliches und unnützes Glied der Gesellschaft". Den Höhepunkt bildet die Solidaritätserklärung mit den noch unter der Sklaverei lebenden Leidensgenossen und die Kritik am Hauptargument der Propaganda für das Rückwanderungsprojekt: „Beschlossen, daß wir uns niemals freiwillig von der Sklavenbevölkerung unseres Landes trennen werden; sie sind unsere Brüder durch Bande des Bluts, des Leidens und des Unrechts; und wir meinen, es sei besser, mit ihnen Entbehrungen zu erleiden, als eingebildeten und kurzfristigen Vorteilen nachzujagen. Beschlossen, daß uns erscheint, daß die freien Farbigen („free people of color") ohne höhere Bildung („without arts, without science"), ohne richtiges Wissen um die Kunst des Regierens, in die barbarische Wildnis Afrikas abzuladen, ein Umweg ist, auf dem sie in ewige Knechtschaft zurückkehren müssen."
Ähnlich wie die Propaganda der Kolonisationsgesellschaft in den Südstaaten Rückwanderung und Erhaltung der Sklaverei positiv verknüpfte, stellte die Protestresolution von Philadelphia die gleiche Verbindung her, allerdings mit negativer Wertung. In gewissem Sinn beginnt von da an die Phase des aktiven Kampfes gegen die Sklaverei. Zwar konnten Proteste die Gründung der Kolonie Liberia nicht verhindern, aber auf Jahrzehnte bildete die „American Colonization Society" beliebtes Angriffsziel aller entschiedenen Gegner der Sklaverei.
Die schärfste und wohl auch wirkungsvollste Attacke kam jedoch nicht von Seiten der Afro-* Amerikaner, sondern von Garrison mit seinem 1832 in Boston erschienenen Pamphlet „Thoughts on African Colonization". In ihm zerpflückt er mit einer brillanten, noch heute lesenswerten Polemik die Argumente der Kolonisierungpropagandisten und demonstrierte mit zahlreichen Zitaten aus Sitzungsprotokollen und Publikationen der Kolonisationsgesellschaft ihre enge Verquickung mit den Interessen der Sklavenhalter. Den engen Zusammenhang zwischen Opposition zur „American Colonization Society" und der beginnenden Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei („Abolitionist Movement") demonstriert ferner die Tatsache, daß die „Convention Movement"
in alljährlichen Versammlungen ab 1831
ihren Ausgang von eben der Frage der Rückwanderung nach Afrika nahm. Aus der Formulierung von Alternativvorschlägen — Auswanderung nach Kanada oder Haiti, im Land bleiben und Verbesserung der eigenen Position — erwuchs allmählich die Artikulation eines eigenständigen politischen Willens.
Schließlich nahm auch Garrison bereits 1831 an der Convention in Philadelphia teil, zusammen mit weiteren führenden Abolitionisten, und führte 1832 dort eine Disputation mit einem Sprecher der „American Colonization Society".
c) Beginn des organisierten Kampfes:
Die Abolitionisten-Bewegung Das Auftreten Garrisons fällt ungefähr mit dem Beginn des organisierten Widerstands gegen die Sklaverei zusammen. Garrison gehörte zu der kleinen Minderheit im Norden, die sich nicht damit zufrieden gab, daß die Sklaverei zwar im Norden abgeschafft war, im Süden aber noch weiter „blühte". Inzwischen war die Zahl der Freien von rund 60 000 (1790) auf rund 234 000 (1820) angewachsen; etwas über 10 °/o der damals in den USA lebenden Neger war frei. Das relativ rasche Anwachsen der freien Bevölkerung ist auf drei Faktoren zurückzuführen: natürliche Vermehrung, kollektive Emanzipation im Norden durch die Einzelstaaten, Zuzug von aus dem Süden entwichenen Ex-Sklaven, denen in der Regel die „Underground Railroad" zur Flucht in die Freiheit verhalf. Die „Underground Railroad" war keine zentralisierte Organisation, eher eine Art organisierte Volksbewegung, war Abolitionismus der Tat. Ohne zentrale Steuerung oder Koordination, der Privatinitiative weiten Spielraum lassend, hatte sie ein weitverzweigtes Netz von Fluchthelfern, Kontaktpersonen, Verstecken für flüchtige Sklaven, geheime Transportmittel und -wege, Relais-und Raststationen aufgebaut.
Schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hatte es solche Hilfsmaßnahmen gegeben, anfänglich aber nur spontan, isoliert, ohne politische Absichten, nur aus dem Impuls der Humanität geboren. Auch hier spielten Quäker offensichtlich eine führende Rolle. So beklagte sich George Washington, der spätere erste Präsident der USA, bereits 1786, daß einer seiner Sklaven aus Alexandria (Virginia) mit Hilfe einer zu solchen Zwecken von Quäkern gegründeten Gesellschaft nach Philadelphia entkommen war
Die Mehrheit des Südens empfand durchaus den potentiell sozialrevolutionären Charakter der radikalen Abolitionisten: Fiel erst einmal das traditionelle Recht, auf Eigentum über Sklaven, so mochten anschließend weitere For-men des Eigentums folgen. Die Verteidiger der Sklaverei benutzten daher gegenüber den konservativen Kreisen des Nordens, die meistens in Industrie und Finanzen zu finden waren, mit Fleiß das Argument des „Sklavendiebstahls", um den Abolitionisten im Norden entgegenzuwirken.
Die Abolitionisten hatten daher auch im Nor-den keinen leichten Stand, und das aktive Eintreten für die Abschaffung der Sklaverei war gemäß amerikanischer Sitte eine rauhe Angelegenheit:
Weiße Fluchthelfer wurden, wenn sie entdeckt und gefangen wurden, oft nicht besser behandelt als wiedereingefangene Sklaven; mit Weißen, die sich an Sklavenverschwörungen aus Solidarität für die Unterdrückten beteiligten, wurde ebenso kurzer Prozeß gemacht wie mit den rebellischen Sklaven selbst. Sogar im hohen Norden war das Engagement gegen die Sklaverei des Südens riskant:
In Boston brach gegen Garrison ein für die amerikanische Geschichte so typischer „riot" aus; 1834 kam es zu analogen Krawallen gegen die Abolitionisten in New York.
Der Korrespondent einer südlichen Zeitung berichtete damals aus New York, die Stimmung des Nordens sei überwiegend gegen die Abolitionisten, selbst wenn man Gewaltanwendung gegen sie mißbillige
d) Die Abolitionistenorganisation und ihre Presse Nur vier Jahre nach dem Protest von Philadelphia gegen das Kolonisierungsprojekt im Interesse der Sklaverei erschien die erste Zeitschrift, die sich für die Emanzipation, wenn auch nur für eine schrittweise, einsetzte —„The Universal Genius of Emancipation". Gründer, Herausgeber und Chefredakteur war Benjamin Lundy, ein junger Quäker. Einer seiner Mitarbeiter war Garrison. Er war mit Lundys Bedächtigkeit nicht einverstanden und machte sich 1831 mit der Gründung des „Liberator" selbständig, der als erste Zeitschrift für die sofortige und totale Emanzipation plädierte und lange Zeit das wirkungsvollste Organ des Abolitionismus war.
Um Garrison gruppierte sich die erste Organisation der Abolitionisten, die 1831 in Boston gegründete „New England Anti-Slavery Society", die zugleich den militanten Kern der Bewegung abgab. 1833 splitterten die Gemäßigteren ab und formierten sich in Philadelphia als „American Anti-Slavery Society", in der Garrisons Einfluß trotzdem stark blieb.
Aus dieser Gruppe sonderte sich 1840 nochmals der gemäßigte Flügel ab und konstituierte in New York die „American and Foreign Anti-Slavery Society". Aufschlußreich sind die Gründe, die die neue Organisation für ihre Sezession angab: das starke Übergewicht der Delegation aus Massachusetts (Boston), die bei der letzten gemeinsamen Tagung in New York allein 464 von 1008 aller Delegierten gestellt hatte. Die Gemäßigten klagten ferner über die Militanz dieser Radikalen, die — horrible dictu — die gleichberechtigte Mitgliedschaft von Frauen und einen entschiedeneren politischen Kampf forderten. Offensichtlich hatten die Radikalen auf das gedrängt, was man heute gewaltlosen Widerstand, „civil disobedience"
und gewaltlose, direkte Aktionen nennen würde
Jede der drei Abolitionistengruppen gab ihr eigenes Zentralorgan heraus, so daß zusammen mit Lundys „Universal Genius of Emancipation", Garrisons „Liberator" und den allmählich aufkommenden Zeitschriften der freien Farbigen eine beachtliche Abolitionisten-Presse entstand. Ihre Hauptfunktion war es, durch Information und Polemik die Sklaverei anzuprangern, auf neue Formen der Agitation und des gewaltlosen Kampfes aufmerksam zu machen, die Verbindung zwischen Gruppen und Individuen der Bewegung herzustellen und aufrechtzuerhalten. Ferner informierte die Presse über Argumente der Gegenseite und wichtige Vorgänge im Süden, häufig durch Nachdrucke aus der südstaatlichen Presse. Durch gegenseitiges Zitieren konnte somit eine relativ weite Streuung der Information erreicht werden.
Einen breiten Raum in der Berichterstattung nahm die Aktivität der „Underground Railroad" ein. Jedoch wurde auch ausführlich über solche Ereignisse wie die Anti-Abolitionisten-Krawalle in New York (1834) berichtet, über den Fortgang der Abolitionistenkampagne.
Auf sehr subtile Weise führte Garrison den Boykott als neue Waffe ein, so wenn er 1842 im „Liberator" im „Interesse all der Reisenden, die Eisenbahnlinien benutzen wollen, die keine Einschränkung der Rechte amerikanischer Bürger auf Grund ihrer Hautfarbe vornehmen", die Namen der Eisenbahngesellschaften ohne Rassendiskriminierung veröffentlichte
e) Der Anteil der Afro-Amerikaner Die Abolitionistenbewegung war jedoch keineswegs nur eine Angelegenheit weißer Idealisten und Philanthropisten. Die Afro-Amerikaner ließen nämlich die gleichsam karitativen Bemühungen ihrer (wenigen) weißen Freunde nicht nur passiv über sich ergehen. Ihr Anteil an der Abolitionistenbewegung war stärker, als man gemeinhin annimmt, und es war gewiß mehr als „nur eine Handvoll", die sich an der Arbeit der „Underground Railroad" beteiligte
Selbst auf dem Gebiet der Publizistik leisteten die freien Farbigen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag, obwohl die Gesellschaft es ihnen schwer genug machte, lesen und schreiben zu lernen. Bereits 1827 erschien die erste Zeitschrift der Neger. Ihr Titel verrät das ganze Programm — „Freedom's Journal".
Zwar wurde der „Liberator" von einem Weißen, Garrison, herausgegeben, aber sein Erscheinen wäre ohne die massive Unterstützung, die er von freien Farbigen, vor allem aus Philadelphia, erhielt, vielleicht nicht möglich gewesen.
Von den 450 Abonnenten des ersten Erscheinungsjahres waren 400 Neger, und noch 1834 waren es 1 700 von 2 300 Abonnenten
1829 erregten zwei Pamphlete farbiger Autoren Aufsehen, denn beide protestierten in flammenden Worten gegen die Sklaverei. Die in New York erschienene Schrift von Robert Alexander Young, „The Ethiopian Manifest, Issued in Defence of the Blackman's Right, in the Scale of Universal Freedom", war mehr in einem mystischen Ton gehalten. Wirkungsvoller war David Walkers „Appeal", erschienen in Boston
Ferner ist die Schar farbiger Redner und Agitatoren zu nennen, die — stets unter dem Risiko tätlicher Bedrohung durch den Anti-Abolitionisten-Mob — für die Sache warben. Der bedeutendste war Frederick Douglass (1817 bis 1895), ein entlaufener Sklave, brillanter Redner und Publizist, der zum bedeutendsten Führer der Neger im 19. Jahrhundert aufstieg.
Allein mit seiner von 1847 bis 1865 in Rochester (New York) erschienenen Zeitschrift „The North Star", später umbenannt in „Frederick Douglass Paper", leistete er einen bemerkenswerten publizistischen Beitrag zum Kampf ge-gen die Sklaverei. Seine Autobiographie ist noch heute eine wertvolle Quelle zum Verständnis seiner Zeit
Schließlich setzten die Farbigen mit ihrer Agitation und ihren Protesten die weißen Abolitionisten moralisch und psychologisch unter Druck. Eine originelle Form des politischen Protests war ihre Weigerung, bis 1863 den 4. Juli mit der weißen Bevölkerung als Nationalfeiertag zu begehen. Statt dessen hielten sie am 5. Juli eigene Versammlungen ab, in denen sie ihre Rechte als freie Staatsbürger für sich und ihre Brüder in der Sklaverei reklamierten.
Zur Begründung ihrer seperaten Veranstaltung brachte ein Sprecher in der „African Church" von New Haven (Connecticut)
am 5. Juli 1832 geradezu politischen „schwarzen Humor" auf:
„Mitbürger: Wegen des Unglücks unserer Farbe fällt unser 4. Juli auf den fünften; aber ich hoffe zuversichtlich, daß, wenn die Unabhängigkeitserklärung, nach der alle Menschen ohne Ansehen der Person frei und gleich geboren sind, einmal wirklich erfüllt ist, wir unseren 4. Juli auch am vierten feiern zu könen."
Und Frederick Douglass schleuderte am 4. Juli 1852 seinen weißen Mitbürgern von Rochester, die ihn zur Festansprache eingeladen hatten, unter dem Motto „Was ist dem Sklaven der 4. Juli?" einige stolze und harte Worte entgegen:
Mitbürger: Gestatten Sie die Frage: Warum soll ich hier eigentlich reden? Was habe ich, haben die, die ich repräsentiere, mit Ihrer nationalen Unabhängigkeit zu tun? Sind die großen Prinzipien der politischen Freiheit und der natürlichen Gerechtigkeit, wie sie in der Unabhängigkeitserklärung verankert sind, auch auf uns ausgedehnt? ... Ich bin nicht in den Geltungsbereich dieses glorreichen Jahrestages einbezogen! Ihre großartige Unabhängigkeit enthüllt nur die unermeßliche Distanz zwischen uns. Die Segnungen, derer sie sich heute erfreuen, können wir nicht gemeinsam genießen. Das reiche Erbe der Gerechtigkeit, Freiheit, des Wohlstands und der Unabhängigkeit, das Ihnen Ihre Väter hinterlassen haben, gilt Ihnen, nicht mir. Die Sonne, die Leben und Genesung für Sie brachte, brachte mir Schläge und Tod. Dieser 4. Juli gehört Ihnen, nicht mir. Sie mögen jubeln, ich muß trauern. Einen Menschen gefesselt in den hellerleuchteten Tempel der Freiheit zu zerren und von ihm zu verlangen, er solle in Ihre freudigen Hymnen einfallen, wäre unmenschlicher Hohn und frevelhafte Ironie. Wollten Sie, Bürger, mich verhöhnen, indem Sie mich aufforderten, heute zu reden? Wenn ja, so gibt es eine Parallele zu Ihrem Verhalten. Aber ich warne Sie, denn es ist gefährlich, dem Beispiel einer Nation zu folgen, deren Verbrechen bis zum Himmel reichten, so daß der Allmächtige sie mit seinem Atem niederwarf und die Nation für alle Zeiten vernichtete. .. . Mitbürger, mein Thema ist daher . amerikanische Sklaverei'. Ich will diesen Tag und seine Besonderheiten vom Standpunkt des Sklaven betrachten. Wenn ich hier stehe, identifiziere ich mich mit dem geknechteten Amerikaner, mache das ihm zugefügte Unrecht zu dem meinen. Ich zögere nicht, mit aller Kraft meiner Seele zu erklären, daß Charakter und Verhalten dieser Nation mir niemals so schwarz erschien wie am 4. Juli."
Kein Wunder, daß die Verteidiger der Sklaverei angesichts solcher Widersacher allmählich in eine unhaltbare Lage gerieten.
4. Der amerikanische Bürgerkrieg und die Abschaffung der Sklaverei (1861— 1865)
a) Der Weg in den Krieg Dank einer unablässigen Agitation durch Wort, Schrift und Tat baute sich im Norden allmählich ein wachsender Druck der öffentlichen Meinung gegen das Fortbestehen der Sklaverei auf. Als Reaktion auf die moralische Offensive aus dem Norden und die ständige „Kapitalflucht"
aus dem Süden mittels der „Underground Railroad" verhärtete sich das Sklavenhaltersystem nur noch
Maßnahmen zur verstärkten Überwachung der Sklaven wurden erlassen, Strafen für Fluchtversuche, Obstruktion oder passive Resistenz verschärft.
Letzte Siege für die Sklaverei (1845— 1857)
In den beiden letzten Jahrzehnten vor ihrem Ende schien die Sache der Sklaverei allen Angriffen zum Trotz nur noch an Macht zu gewinnen:
Die Annexion von Texas als neuer Sklavenhalterstaat (1845) zerstörte den Missouri-Kompromiß von 1819
„Uncle Tom" und John Brown Tatsächlich waren die Erfolge des Südens nur Pyrrhussiege, denn sie mobilisierten erst recht die Abolitionisten, die in Reaktion auf dieses Aufbäumen des sklavenhaltenden Südens vielleicht den Gipfel ihrer Wirksamkeit erreichten.
Zahlreiche Nordstaaten erließen unter dem Druck der öffentlichen Meinung eigene Gesetze zum Schutz der freien Farbigen; die „Underground Railroad" dehnte sich weiter aus, operierte immer kühner und erfolgreicher.
Als neue Propagandawaffe erwies sich der 1851/52 erschienene Roman „Onkel Toms Hütte" von Harriet Beecher Stowe, einer engagierten Gegnerin der Sklaverei. Das Buch hatte sofort eine starke Wirkung — innerhalb wie außerhalb der USA — und trug mit seiner sentimental-pathetischen Sprache zur Diskreditierung der Sklaverei bei. Andererseits prägte es ein bestimmtes, noch heute weitverbreitetes Klischee, worüber die modernen Afro-Amerikaner wenig glücklich sind, da der Held des Romans, „Uncle Tom", mit seiner bieder-frommen Unterwürfigkeit schon seit langem ein vom militanten Negertum emphatisch abgelehntes Ideal darstellt.
Mitten in die anwachsende Spannung hinein platzte 1859 das Unternehmen des Captain John Brown (1800— 1859). Brown war als radikaler Abolitionist zur Überzeugung gelangt, daß die Sklaverei nur noch durch Gewalt abzuschaffen sei — eine Auffassung, mit der er unter den farbigen Abolitionisten nicht allein stand und von der Geschichte auch Recht erhalten sollte. Bereits 1847 hatte er Frederick Douglass seinen Plan anvertraut, in den Alleghanies eine Guerilla-Bewegung zu starten, um ein Fanal des gewaltsamen Widerstands gegen die Sklaverei zu geben und das System nachhaltig zu schwächen
Trotz seinem äußeren Scheitern hatte Brown eine tiefe Wirkung, denn er dramatisierte den Kampf gegen die Sklaverei und wurde durch seine Hinrichtung ein Märtyrer. Nur wenige Jahre nach seinem Tod zogen die Soldaten der Union mit dem Lied in die Schlacht gegen den sklavenhaltenden Süden: „John Brown s body lies a-mouldering in his grave, but his soul goes marching on!" Schließlich spitzte der Angriff auf Harpers Ferry die Situation zu und drängte die politischen Spannungen weiter zur gewaltsamen Entladung.
Demokraten und Republikaner Inzwischen hatte das Ringen um die Ausbreitung der Sklaverei in die neuen Gebiete des Westens eine tiefgreifende Umgruppierung des amerikanischen Parteiensystems hervorgerufen. Die gemäßigten Gegner der Sklaverei, die „Free Soilers", die für das Verbot der Sklaverei in den neuen Gebieten eintraten, organisierten sich in der 1854 neuentstandenen Republikanischen Partei. Sie erhielten die Unterstützung der Abolitionisten, nachdem der Versuch einer eigenen Parteigründung mit der „Liberty Party" in den Wahlen von 1840 und 1844 gescheitert war. Die Demokratische Partei, seit Präsident Andrew Jackson (1829 bis 1837) ursprünglich die Partei des kleinen Mannes, übernahm, ausgehend von den „armen Weißen" („poor white") des Südens, die Verteidigung der Sklaverei.
Der Versuch der Extremisten innerhalb der Demokraten, angesichts des chronischen Arbeitermangels die Einführung der Sklaverei — unter Mißachtung des Missouri-Kompromisses von 1819 und der „Ordinance" von 1787
blieben in der Union. Mit dem Angriff von Konföderationstruppen auf das Fort Sumter begann im April. 1861 der amerikanische Bürgerkrieg.
b) Lincoln und die Abschaltung der Sklaverei Genaugenommen wäre die Panik des Südens nach dem Wahlsieg der Republikaner überflüssig gewesen. Lincoln war zwar Präsident, aber seine Stellung war schwach, erst recht, wenn er versucht hätte, die Sklaverei abzuschaffen, denn der von den Demokraten noch immer beherrschte Kongreß und der Bundes -gerichtshof wären ihm mit Sicherheit in den Arm gefallen. Ferner war Lincoln nur mit einer Minderheit der Wählerstimmen ins Amt gekommen, so daß seine Wiederwahl bei Wiedervereinigung der Demokraten keineswegs sicher gewesen wäre. Schließlich dachte ursprünglich daran, Lincoln gar nicht -die Skla verei abzuschaffen; er wollte — in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung des Nordens — lediglich ihre weitere Ausbreitung verhindern. Selbst den Bürgerkrieg führte Lincoln nicht zur Befreiung der Sklaven, wie er 1862 an den einflußreichen Zeitungsherausgeber Horace Greely, einen höchst gemäßigten Abolitionisten, schrieb:
„Mein Hauptziel in diesem Kampf ist die Rettung der Union, und nicht, die Sklaverei zu retten oder zu zerstören. Wenn ich die Union retten könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, so würde ich es tun; und wenn ich sie retten könnte, indem ich alle Sklaven befreite, würde ich es gleichfalls tun; und wenn ich sie retten könnte, indem ich manche Sklaven befreite, andere aber nicht, so würde ich auch dies tun."
Lincoln war kein „nigger lover"; auch er teilte das Vorurteil seiner Gesellschaft, die eine Gleichberechtigung der Farbigen ablehnte. Auch Lincoln sympathisierte zeitweise mit der Idee, die freien Neger nach Afrika abzuschieben, allerdings ohne Zwang. So bestellte er sich am 14. August 1862 eine Reihe führender Neger ins Weiße Haus und trug ihnen seinen Plan vor. Angesichts ihrer sofortigen und heftigen Opposition wich Lincoln zurück und ging zur Emanzipation über. Durch ihre Sezession und Provokation des Bürgerkriegs zwangen die Südstaaten Lincoln die Abschaffung der Sklaverei geradezu auf, und das in einem Ausmaß und Tempo, dem selbst manche gemäßigte Abolitionisten nur zögernd zustimmten.
Erst unter dem Zwang der Ereignisse, dem Druck des massiven Engagements der Neger auf Seiten der Union, entschied sich Lincoln also für die Emanzipation, eingeleitet am 22. 9. 1862 mit einer provisorischen Proklamation, die eine endgültige Erklärung in Aussicht stellte. Am 1. 1. 1863 folgte die eigentliche Emanzipations-Proklamation, die jedoch nur das Ende der Sklaverei in allen Rebellenstaaten ankündigte. 800 000 Sklaven in den loyal gebliebenen Grenzstaaten galt die Emanzipation noch nicht
c) Die Neger im Bürgerkrieg Bei dieser Einstellung war es nur logisch, daß der Norden den Krieg überwiegend als „white man's war" auffaßte, der die Neger nichts angehe. Anfänglich schickten die Nord-Armeen entlaufene Sklaven, die sich zu ihren Linien durchgeschlagen hatten, auf höhere Weisung wieder zurück oder gestatteten den Sklaveneigentümern, sich ihren entlaufenen „Besitz" wieder abzuholen.
Die Afro-Amerikaner erkannten jedoch sofort ihre Chance, durch den Bürgerkrieg ihre soziale und politische Position zu verbessern, und drängten auf eine aktive Beteiligung in der Armee des Nordens. Aus der gleichen Überlegung heraus lehnte die Regierung jedoch die Teilnahme von Neger-Soldaten im Krieg ab, und es bedurfte erst einer intensiven Agitation und der starken Verluste, die die Unions-Armeen anfänglich erlitten, daß die Einstellung von Afro-Amerikanern in die US-Armee möglich wurde, wenn auch auf der Basis der Segregation. Lediglich die Offiziere waren, aus Mißtrauen gegen die militärischen Qualitäten der Neger, noch Weiße; erst gegen Ende des Bürgerkriegs erhielten einige Neger-regimenter auch farbige Offiziere.
Die Neger kämpften mit der ihnen eigenen Bravour, vor allem im Angriff, und zwangen selbst ihren weißen Offizieren Äußerungen der Anerkennung ab. Die Führer des freien Negertums warben für den Eintritt in die Armee und stellten sich selbst zur Verfügung, so Martin R. Delany als erster farbiger Militärarzt, der spätere AME-Bischof Henry M. Turner als erster farbiger Militärgeistlicher. Frederick Douglass wirkte als Berater Lincolns für Negersragen. Zahlreiche Neger arbeiteten in Baukolonnen, als Köche oder Krankenschwestern; andere leisteten als Spione und Aufklärer wertvolle Dienste, unter ihnen Harriet Tubman, die ihre reichen Erfahrungen aus der Zeit der „Underground Railroad" nun in den Dienst der militärischen Bekämpfung des sk’avenaltenden Südens stellte.
Wie nicht anders zu erwarten, war die Entwicklung des Krieges im Norden keineswegs unumstritten. Während die Abolitionisten Lincoln zur schärferen Kriegsführung gegen die Sezession drängten und das sofortige Ende der Sklaverei forderten, mahnten mehr konservative Kreise noch im Krieg zu einer Politik der „Versöhnung*. Sie plädierten für eine Schonung des Südens, worunter sie verstanden, die ihm „eigentümliche Institution" („peculiar institution"), also die Sklaverei zu konservieren. Lincoln versuchte, einen Kurs der Mitte zu steuern, und er setzte schließlich die Emanzipation nur als Kriegswaffe ein.
Die mehr konservative Richtung erhielt eine gewisse Massenbasis bei zahlreichen Neueinwanderern an der Ostküste, namentlich Iren in New York, die sich gelegentlich massenweise und gewalttätig der Wehrpflicht in einem für „nigger" geführten Krieg widersetzten. In großen Städten des Nordens, in Detroit (März 1863) und New York (Juli 1863) entfesselten sie „riots", zunächst gegen die Wehrpflicht, ließen sie aber bald in Anti-Neger„riots" umschlagen, mit dem typischen Erscheinungsbild von tätlichen Angriffen auf Neger, Plündern und Verbrennen ihrer Häuser, Lynchen von Männern, Frauen und Kindern. Auch führende Abolitionisten, so Frederick Douglass, waren mitten im Krieg tätlich bedroht
II. Von der formalen zur effektiven Freiheit (1865— 1965)
Als bleibendes Ergebnis brachte der Bürgerkrieg die totale Emanzipation. Dennoch blieb die neue Freiheit weithin nur Formalität, denn sie war von den wenigsten der herrschenden weißen Mehrheit auch gewollt: Der Norden hatte sie dem besiegten Süden nur zögernd aufgezwungen. Die Mehrheit des besiegten Südens war auch nach der Niederlage fest entschlossen, an seiner ihm eigentümlichen Lebens-und Gesellschaftsordnung festzuhalten, die auf der billigen Arbeit politisch und sozial rechtloser Neger beruhte. Einer starken Minderheit im Norden ging die radikale Emanzipation ohnehin zu weit; eine gemäßigte Mehrheit desinteressierte sich am Schicksal der nun Emanzipierten. Nur eine kleine Minderheit engagierte sich weiterhin für die Neger und ihr Wohlergehen.
Für die Neger aber ging es im nun folgenden Jahrhundert stets darum, etwas aus der zunächst nur formalen Freiheit zu machen, zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft aufzusteigen.
1. Die Ära der „Reconstruction" (1865— 1877)
a) Der neue Anfang Die Negerbevölkerung — ob frei oder noch versklavt — hatte die Emanzipationsproklamation mit großer Spannung erwartet, ihr Erscheinen mit Jubel und Hoffnungen begrüßt.
Zunächst schien ihr Optimismus auch berechtigt:
Zwar wurde Lincoln am 14. April 1865 von einem weißen Fanatiker ermordet, aber das Ereignis wirkte sich anfänglich — natürlich unbeabsichtigt — eher zugunsten der Neger aus. Lincoln hatte nämlich seine Politik der äußersten Milde gegenüber dem Süden eingeleitet, dem er mit seinem Programm der „Reconstruction" und „Reconciliation“ (Versöhnung)
möglichst weit entgegenkommen wollte. Sein Nachfolger Johnson schlug jedoch eine schärfere Tonart gegenüber dem Süden an, bis ihm 1867 der Kongreß, den inzwischen entschiedene Gegner der Sklaverei beherrschten, das Heft aus der Hand nahm und noch schärfer vorzugehen versuchte. Nach der Zeit der „Presidential Reconstruction" (1865— 1867)
bezeichnet die Periode der „Congressional Reconstruction"
(1867— 18V) den Höhepunkt der Intervention des Nordens in die Sozialstruktur des Südens nach Verbot der Sklaverei.
1868 und 1870 folgten auf das 13. Amendment von 1865 zwei weitere Verfassungsergänzungen zum Schutz der Farbigen. 1875 erließ der Kongreß erstmalig ein großes Bürgerrechtsgesetz.
Für die ehemaligen Sklaven waren die Anfänge der Freiheit schwer genug. Das Land war durch den Krieg verarmt und litt unter den inneren Erschütterungen, die die Emanzipation notgedrungen mit sich brachte. Da den Sklaven seit Jahrzehnten konseguent alle Bildungschancen verweigert worden waren, das Sklavenhaltersystem ihnen seit zwei Jahrhunderten systematisch alle politischen Rechte vorenthalten hatte, ist es kein Wunder, daß die ersten Schritte teilweise etwas ungelenk ausfielen, zumal die Mehrheit des Südens den Farbigen nicht nur keine Hilfe zukommen ließ, sondern in tödlichem Ressentiment ihnen auch noch auf Schritt und Tritt Hindernisse in den Weg räumte. b) „Freedmen's Bureau“ und „carpet-baggers"
Anfänglich brachte jedoch die Ära der „Reconstruction" einige bemerkenswerte Veränderungen für die Neger des Südens. Noch in den letzten Kriegsmonaten hatte in den eroberten Südstaaten unter den emanzipierten Ex-Sklaven eine in der amerikanischen Geschichte bis dahin einmalige Bildungbewegung eingesetzt.
Mit der karitativen und sozialen Betreuung der erschöpften und ausgehungerten Menschen durch weiße Gruppen — teils im Rahmen der Armee, teils Zivilisten — ging der Versuch einher, den aufgestauten Bildungshunger zu befriedigen. Kurz vor, erst recht nach Beendigung des Bürgerkriegs gingen Hunderte von weißen Lehrern in den Süden, um dort Schulen aller Art für die emanzipierte Negerbevölkerung zu schaffen.
Alle die zunächst nur spontanen, unter den Bedingungen der Kriegs-und Nachkriegszeit anfänglich noch wenig wirksamen Initiativen einzelner und kleiner Gruppen wurden -865 his 1869 durch das dem Kriegsministerium angegliederte „Freedmen's Bureau" koordiniert, systematisiert und erweitert. An seiner Spitze stand ein weißer General, Howard, später Gründer und erster Präsident der Howard University in Washington. Bald erwies es sich als unmöglich, den erzieherischen und sozialen Wiederaufbau des Südens unter Sicherung der elementaren Rechte der Ex-Sklaven zu gewährleisten, ohne gleichzeitig einen starken Einfluß auf die Politik des Landes zu gewinnen.
So wurde das „Freedmen’s Bureau" bis 1869 zu einer Art Nebenregierung im Süden, denn seine rund 900 Kommissare mußten, gestützt auf die Besatzungstruppen der US-Armee, immer wieder im Interesse der Neger eingreifen;
die zu lösenden Probleme reichten von der Sicherstellung des Wahlrechts bis zur Neuregelung der Arbeitsverhältnisse.
Daß es bei den zahlreichen Interventionen auch zu Mißgriffen kam, war nach Lage der Dinge fast unvermeidlich; die meisten Mitarbeiter des „Freedmen's Bureau" stammten aus dem Norden und traten nicht immer mit dem notwendigen Takt in einer psychologisch komplizierten Lage auf. In ihrem Gefolge machten sich teilweise auch Profitjäger aus dem Norden breit, die sog. „carpet-baggers". Dazu gab es manchmal Korruption oder wenig sinnvolle Verwendung öffentlicher Gelder, c) Die Reaktion des Südens Alle solche Mißstände oder Auswüchse dienten der ressentimenterfüllten Mehrheit des weißen Südens jedoch nur als Vorwand, die Intervention des Nordens zu diskretieren und zu sabotieren. Es ist zweifelhaft, ob eine noch so glimpfliche Behandlung nach der Niederlage sie damit ausgesöhnt hätte, daß die Emanzipation überhaupt und dann noch unter solchen Umständen stattfand. Dem Wunsch des Nordens, die besiegten Südstaaten möglichst rasch zu liberalen Gliedern der Union umzuwandeln, setzte die Mehrheit den festen Willen entgegen, die traditionellen Machtpositionen wieder zurückzuerobern. Für sie war Politik fortan nicht viel mehr als Fortsetzung der Sklaverei mit anderen Mitteln.
Daher setzte bald nach Kriegsende, noch mitten in der „Reconstruction" -Ära, im Süden der — nur allzu erfolgreiche — Versuch ein, die Afro-Amerikaner wieder um die Früchte des Sieges über die Sklaverei zu bringen. Solchen Tendenzen kam die wirtschaftliche Situation entgegen, die die Beibehaltung von Zuständen auf dem Land plausibel machte, die sich nur wenig von der alten Sklaverei unterschieden. Verarmung des Landes und Mangel an Eigenkapital zwangen die früheren Sklavenbesitzer fast dazu, zu dem System des „share-cropping" überzugehen: Die Ex-Sklaven, jetzt „Freie”, blieben auf den Plantagen und bebauten sie gegen Gestellung von Lebensmitteln und landwirtschaftlichem Gerät; dafür erhielten sie ein Drittel der Ernte zum eigenen Verbrauch. Wo immer es ging, nutzten die ehemaligen Sklavenhalter ihre überlegene wirtschaftliche und soziale Machtstellung dazu aus, um die Farbigen auf eine möglichst eingeengte und faktisch rechtlose Stellung herabzudrücken. Hinzu kamen Individual-und Massenterror, systematisiert und ausgeweitet durch den Ku-Klux-Klan. Bald erhielt die konservative Mehrheit des Südens auch wieder die politische Macht im eigenen Haus. Nachdem ein Zehntel der früheren Wahlbürgerschaft den Treueid auf die Union geleistet hatte, durfte ein Staat eine eigene Regierung bilden und wurde als politisch „reconstructed" wieder in die Union ausgenommen. In den ersten Jahren dominierten zwar noch „radikale" Regierungen, meist Koalitionen aus Republikanern und Vertretern der farbigen Bevölkerung, die nun erstmals wählen durfte. Sie konnten sich jedoch nur wenige Jahre halten und wurden von den Konservativen verdrängt, die bald einheitlich als „Demokraten" auftraten. Drei Faktoren ermöglichten das come-back der Konservativen bei den Wahlen: Der Abzug der Bundestruppen nach Wiederaufnahme eines Staates in die Union, da sie wenigstens ein gewisses Minimum an Schutz für die farbige Bevölkerung gegen den Privatterror geboten hatten, der danach wegfiel; die Rückkehr weiter Kreise in die Wahl-berechtigung, die zunächst nach dem Krieg zeitweilig das Wahlrecht verloren hatten;
schließlich Wahlterror gegen die Farbigen.
d) Der Kompromiß von 1877 und seine Folgen Der Sieg der konservativen Demokraten war 1876, bis auf in drei Staaten (Louisiana, Florida, Süd-Carolina), schon längst wieder gesichert, als die Präsidentschaftswahlen mit ihrem knappen und unübersichtlichen Ausgang den siegreichen Präsidenten Hayes zu einem Kompromiß bewogen: Der Süden erkannte die Wahl von Hayes ohne weitere Anfechtungen an, die Bundesregierung zog dafür die Bundestruppen aus den letzten drei Süd-staaten zurück und überließ dem Süden die weitere politische Gestaltung seiner Angelegenheiten selbst. Der Kompromiß von 1877 beendete förmlich die Ära der Reconstruction, und in der Folgezeit verloren die Neger des Südens die meisten Errungenschaften, die sie ihnen gebracht hatte. Die „nationale Versöhnung" zwischen Nord und Süd ging auf Kosten der Farbigen und erfolgte nur im Interesse des intransigenten Südens und der konservativen Kreise des Nordens, die ohnehin gegen die „radikale" Politik der „Reconstruction" waren. Zudem war inzwischen die Generation der aktiven Abolitionisten entweder gestorben oder zu alt, um noch einmal in die Kampfesarena hinabzusteigen. Manche der jüngeren sahen mit Emanzipation und Rekonstruktion den Sinn der Abolitionistenbewegung erfüllt, andere, wie Carl Schurz (1829— 1906), wandten sich anderen politischen Interessengebieten zu. Wieder andere verbanden sich durch Beteiligung an Investitionen im Süden mit den wirtschaftlichen Interessen der Konservativen im Norden wie Süden und schieden aus der Arbeit für die Neger aus. Schließlich war die Fragestellung jetzt subtilerer Art als früher, ließ sich nicht mehr auf grobe Kategorien reduzieren, wie für oder wider die Sklaverei. Sie verlangte Einsicht in eine komplizierter gewordene Situation, so daß es den übriggebliebenen militanten Abolitionisten entweder schwer fiel, sich auf die neue Lage umzustellen oder unter der breiten Masse des Nordens Widerhall zu finden. Auf Jahrzehnte sahen sich die Farbigen des Südens seitdem auf sich allein gestellt gegen die wieder übermächtig gewordenen früheren Sklavenherren. Was ihnen blieb, war die Sympathie ihrer glücklicheren Brüder im Norden, die nach wie vor einen größeren Spielraum hatten. Die Ära der „Reconstruction" hatte nicht die erhoffte Freiheit gebracht; sie war nicht viel mehr als ein „Dämmern der Freiheit" (W. E. B. Du Bois). Immerhin hinterließ sie trotz allem ein wichtiges Erbe — die Ansätze zu einem modernen Bildungssystem für die Neger. Mochten die Anfänge noch so kümmerlich sein, mochten Schulen, Colleges und Universitäten im Vergleich zu den oft reichhaltig ausgestatteten Einrichtungen der Weißen noch so kläglich dahinvegetieren, so erhielten sie doch ihre Wichtigkeit. Unmittelbar nach dem Krieg begannen die noch heute existierenden Neger-Universitäten — Howard, Fisk, Lincoln, Wilberforce und Atlanta. Aus ihnen kam die neue Intelligenz, die allmählich die entscheidende Wende vorbereitete und einleitete.
2. Die Konsolidierung des „New South" (1877— 1910)
a) Demokratische „Bourbons“ und „lily-white“ Republikaner Die drei Jahrzehnte nach der „Reconstruction Ara markieren den Tiefpunkt in der Geschichte der Afro-Amerikaner. Nach den Erwartungen des Bürgerkriegs, der Emanzipation und der „Reconstruction" kam der Rückschlag zu schnell, war die Enttäuschung zu groß. Teile des südlichen Negertums schickten sich resigniert in die progressive Verschlechterung ihrer sozialen und politischen Situation und konzentrierten sich auf wirtschaftliche Erfolge, während andere den politischen Kampf um ihre Rechte auch unter den wieder ungünstiger gewordenen Umständen fortsetzten.
Auch im Norden erfüllten sich längst nicht alle Hoffnungen, die der Ausgang des Bürgerkrieges erweckt hatte. Den Vertretern des Südens gelang es schon 1875 bei der Verabschiedung des umfassenden Bürgerrechtsgesetzes eines der Kernstücke herauszubrechen: das Verbot der Segregation von Schulen. 1883 konnten sie das Gesetz endgültig töten, als der Oberste Bundesgerichtshof das Bürgerrechtsgese'. z für verfassungswidrig erklärte. Hat es bis dahin im Süden ohnehin nur auf dem Papier gestanden, so beseitigte die Entscheidung auch im Norden einen für den Süden gefährlich werdenden Präzedenzfall — rechtzeitig und auf Jahrzehnte, bis 1964. In ähnlicher Weise blieben auch die 13., 14. und 15.
Verfassungsergänzungen reine Formalität.
1877 war die Macht im Süden überall endgültig an die konservative Mehrheit der Weißen übergegangen, genauer an die „Bourbons"
der Demokraten, an die quasi-aristokratischen ehemaligen Pflanzer und Sklavenhalter. Seit dem Bürgerkrieg fanden sie mehr denn je ihre politische Massenbasis bei den „poor white", den Ärmeren unter den Weißen, die sich nach der Emanzipation der Konkurrenz der nun freien Neger ausgesetzt sahen und erst recht rabiat rassistisch wurden. Die Republikaner, die in der „Renconstruction" -Periode teils Neger in ihre Reihen ausgenommen, teils mit ihren Vertretern zusammengearbeitet hatten, wurden allmählich überall aus den führenden Positionen wieder verdrängt, mit ihnen natürlich auch die Repräsentanten des Negertums. In Anpassung an das Wiedererstarken der alten, neuen Mehrheit des Südens gaben die Republikaner seitdem auf Bundesebene die Sache der Neger preis und trieben über Gleichgültigkeit seit 1877 schließlich in eine negerfeindliche Position ab, Im Süden entwickelten sie eine Tendenz zur Exklusivität gegenüber den Negern, zur Betonung ihres weißen Charakters. Aus jener Zeit stammt der den „Bourbons" entsprechende Ausdruck „lily-white" zur Bezeichnung der neuen Haltung der südlichen Republikaner. b) Die Lage der Neger im Süden Der Prozeß der Wieder-Entrecitung der Neger im Süden erstreckte sich auf rund drei Jahrzehnte und war 1910 abgeschlossen. Damals erst bildeten sich die sozusagen „klassischen" Zustände des „New South", die als Fossilien in unsere Gegenwart hineinragen und jetzt erst schrittweise überwunden werden: Die Rassentrennung wurde als Prinzip „gesetzlich" verankert, das Wahlrecht den mündigen Farbigen mit allerlei Tricks entzogen, der Raub des Wahlrechts „verfassungmäßig" sanktioniert, das Lynchen stieg zur Institution auf, die Rechtsprechung wurde pervertiert. Der Afro-Amerikaner, als „Jim Crow", „Darkie" oder „nigger" verhöhnt, sah sich auf den Status eines politisch und gesellschaftlich rechtlosen, aber mit Steuerlasten bedrückten Untertans unter der herrschenden Oligarchie der „Bourbons" und der Masse der „poor white" verbannt.
Segregation Das neue Prinzip des „separate but equal", das die Segregation bemäntelte, diente dazu, den Negern schlechtere öffentliche Dienste aufzuzwingen, wie überfüllte und wenig gereinigte Verkehrsmittel, schlechtere Schulen, Krankenhäuser. Der Besuch von Theatern, Kinos und Parks war ihnen untersagt, Hotels und Restaurants blieben ihnen verschlossen. Wer die „Jim Crow" -Gesetze mißachtete, wurde bestraft, entweder vor Gericht oder durch spontan in Aktion tretende Lynch-Mobs.
Lynchjustiz Gelyncht werden konnte man zu jeder Zeit, an jedem Ort, aus jedem Grund. In der Regel wurde nach außen hin tatsächliche oder angebliche Belästigung weißer Frauen angegeben, mochte sie auch nur darin bestehen, daß ein Neger eine weiße Frau angeblich oder wirklich anschaute. In Wirklichkeit gaben viel häufiger andere Motive den Anlaß, wie angeblicher oder wirklicher Diebstahl, „Beleidigung“, „schlechter Ruf", „Unbeliebtheit", „Vertragsbruch"
Die beiden Hauptarten des Lynchens waren Erhängen, meist am nächsten Baum; die scheußlichere Art bestand im Verbrennen des Opfers bei lebendigem Leib. Lynchmorde fanden nicht im Schutz der Dunkelheit und der Anonymität statt, ausgeführt von desparaten Elementen mit einem schlechten Gewissen, sondern in der Regel am hellen Tage, unter aktiver Teilnahme und Billigung großer Menschenmengen. Verurteilt wurde bis in die jüngste Gegenwart kaum ein Lynchmörder.
Kam es wirklich mal zur Gerichtsverhandlurg, wurden die Angeklagten von einer rein weißen Jury freigesprochen, meist unter dem Jubel der weißen Bevölkerung. Die Zeitungen des Südens verteidigten Lynchmorde und wehrten sich erbittert yegen publizistische Angriffe von Weißen aus dem Norden oder gar von Farbigen. Als eine farbige Journalistin, Ida B. Wells-Barnett, es 1892 wagte, in ihrer in Memphis erscheinenden Zeitschrift „Free Press" nach einem Lynchfall Namen der am Mord Beteiligten zu publizieren, wurde sie selbst beinahe gelyncht und mußte in den Norden fliehen, von wo sie sich allerdings in die nun einsetzende Anti-Lynch-Kampagne einschaltete. Um 1900 war für viele Jahre vorher und nachher der Jahresdurchschnitt 100 Lynchfälle; 1892 allein waren es 235.
Das spontane Lynchen fand seine Ergänzung durch das „lynching by the law", also die rigorose und stets einseitige Handhabung der Strafgesetze gegen die Farbigen, wobei im Zweifelsfall stets gegen den Angeklagten entschieden wurde. Hinzu kam das als Amtshandlung getarnte Lynchen durch „Ordnungshüter", reguläre Sheriffs, Polizisten oder zeitweilige „Hilfspolizisten". Unter diesem System konnte es geschehen, daß ein Hilfs-Sheriff, nachdem er seinen Amtseid geleistet hatte, vom Sheriff in sein neues Amt mit den Worten eingeführt wurde: Jetzt kannst du auf die Straße gehen und jeden Nigger, den du siehst, niederknallen, und das Gesetz wird hinter dir sein."
Wieviele Neger im Süden, über die „regulären" Lynchfälle hinaus, durch Amtshandlung „auf der Flucht" pder wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt" ermordet wurden, wird sich wahrscheinlich nie mehr feststellen lassen.
Entzug des 'Wahlrechts Einer der beliebten Tricks beim Entzug des Wahlrechts für Farbige war die sog. „grandfather clause", wonach nur wählen durfte, dessen Großvater schon wahlberechtigt war. Andere Staaten führten als Stichdatum den 1. Januar 1867 ein: Wählen durfte nur, wer damals schon wahlberechtigt war oder dessen Vorfahren damals das Wahlrecht hatten. In dem einen wie dem anderen Fall sahen sich die meisten Farbigen von dem Wahlrecht ausgeschlossen. Wer von ihnen wider Erwarten es doch noch hatte und gar auszuüben gedachte, wurde durch Terror von seinem Unterfangen abgebracht, wobei sich der Ku-Klux-Klan hervortat. Der Prozeß des Wahlrechtsraubs, der lokal schon in der Ära der „Reconstruction" eingesetzt hatte, war bis in die 90-er Jahre des 19.
Jahrhunderts allerdings noch nicht so weit gediehen, als daß es nicht den Negern in einigen Südstaaten gelungen wäre, im Zug der Populistenbewegung noch einmal für einige Jahre an die Regierung zu kommen. Dieses Intermezzo bestärkte die Mehrheit des Südens nur erst recht, nachdem sie überall die Macht zurückerorbert hatte, nunmehr alle Parlamente negerrein zu machen, durch Einführung eines neuen Wahlgesetzes, das in der Verfassung verankert wurde. 1910 war die Entwicklung abgeschlossen. Die politische Friedhofsruhe des Südens war auf Jahrzehnte ungestört, nur mäßig unterbrochen durch das schaurige Kontinuum der Lynchmorde. c) Neuformierung und Booker T. Washington Aller Resignation zum Trotz setzte ein beträchtlicher Teil der Afro-Amerikaner den Kampf um die Gleichberechtigung fort, am aussichtsreichsten noch im Norden. Aber auch im Süden kam es immer wieder zu spontanen und organisierten Protesten. Es entstanden zahlreiche neue Organisationen, vor allem seit den 90-er Jahren. Sie drängten teils auf wirtschaftliche und kulturelle Fortschritte, teils eröffneten sie die Anti-Lynch-Kampagne und begannen auch schon, in die Parteipolitik einzugreifen: „National Afro-American Council", „National Afro-American League", „National Association of Colored Men", „National Association of Colored Women“, „National Negro Business League", „American Negro Academy", „National Negro American Political League". Im Norden blühte die Negerpresse auf und führte teilweise eine militante Sprache.
Nach der Jahrhundertwende begannen sich politische Selbständigkeitsregungen abzuzeichnen, als ein Teil der nördlichen Führer dafür plädierte, den Demokraten, in die unterdessen liberale und guasi-sozialistische Sozialreformer des Nordens eingeströmt waren, eine Chance zu geben, nachdem die Republikaner offen von den Negern abgerückt waren. Im Süden wie im Norden nahmen die Neger einen aktiven Anteil an der Populistenbewegung, die Anfang der 90-er Jahre ihren Höhepunkt erreichte. Während sie sich im Süden in eigenen Bauernverbänden organisierten, gingen sie vornehmlich im Norden in die damals führende Gewerkschaftsbewegung, die „Knights of Labour", die trotz ihrem mittelalterlichen Namen ein radikales Programm vertrat und auch Neger aufnahm. In den 80-er Jahren waren rund 75 000 Neger Mitglied der „Knights of Labour". Dagegen entwickelte die 1886 von Samuel Gomper gegründete „American Federation of Labour" rasch einen Trend zur rassischen Exklusivität und praktizierte, erst recht nach dem Scheitern der „Knights of Labour" in der Mitte der 90-er Jahre, ihre gewerkschaftliche Segregation. All dieser oft übersehenen Aktivität der Ne-ger auch in der Zeit ihres politischen Tiefpunkts
Washington trat für eine handwerklich-industrielle Ausbildung des Negers ein, für eine resignierende Anpassung an die im Süden herrschenden Verhältnisse, was auf die Anerkennung der politischen Rechtlosigkeit und der sozialen Segregation hinauslief. Sein Programm formulierte er mit dem (von seinen Kritikern so genannten) „Atlanta-Kompromiß", als er 1895 in einer Rede auf einer Ausstellung in Atlanta die Parole ausgab: „In allen sozialen Angelegenheiten können wir so getrennt sein wie die Finger, aber so eins wie die Hand in allen Fragen des gemeinsamen Fortschritts."
Mit dieser Rede wurde Washington schlagartig berühmt und rückte — wenige Monate nach dem Tod von Frederick Douglass — für 20 Jahre zum stärksten Führer der Neger in den USA auf. Dennoch ist es zweifelhaft, ob er mit seiner Atlanta-Formel tatsächlich so ganz allgemein „den Kompaß auf das neue Negerziel richtete"
Washington, vom Süden als Repräsentant des „good nigger" gelobt, gefeiert und unterstützt, fand sich zwar im Namen seiner Rassengenossen mit Segregation und „Jim-Crow" -Status ab, ließ es sich jedoch gefallen, daß die Gesellschaft des Südens für ihn persönliche Ausnahmen machte, etwa bei Reisen in der Eisenbahn
Nach einem üblen „race riot", den von weißen Rassisten provozierten Unruhen in Springfield (Illinois) vom 14. — 17. August 1908, richtete er einen geharnischten Protest an die Öffentlichkeit, der sogar die Zustimmung seines ihm inzwischen entstandenen ärgsten Gegners fand, des Professors an der Atlanta University (Georgia), W. E. B. Du Bois
3. Der Neubeginn politischer Aktivität (1910— 1954)
Sobald sich die an den Neger-Universitäten herangewachsene Intelligenz gegen Washingtons „Atlanta-Kompromiß" und „Tuskegee Machine" auflehnen würde, war der Konflikt unvermeidlich. Er kam mit der berühmten Washington-Du Bois-Kontroverse, die die Geschichte der modernen Bürgerrechtsbewegung einleitet.
a) Die Washingtun-Du Bois-Kontroverse Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, als Frederick Douglass eindeutig die Szene beherrschte und die Probleme noch einfacher waren, hat das 20. Jahrhundert bisher keinen unumstrittenen und allseitig anerkannten Führer des US-Negertums hervorgebracht. Der wichtigste Grund dürfte vielleicht in der wachsenden sozialen Differenzierung der Neger-Gesellschaft zu erblicken sein, wodurch die Interessen vielschichtiger, die Probleme komplizierter wurden, so daß es immer schwerer fallen mußte, in einer überragenden Persönlichkeit den gemeinsamen Nenner für alle wichtigen Gruppen und Schichten zu finden. Unbestreitbar war jedoch William Edward Burghardt Du Bois (1868— 1963) der stärkste Kopf, der größte Intellektuelle unter den verschiedenen Führern des US-Negertums überhaupt. Obwohl Du Bois erst vor zwei Jahren im biblischen Alter von 95 Jahren starb, ist seine historische Wirkung noch gar nicht sicher abzuschätzen
W. E. B Du Bois Washington war als ehemaliger Sklave und kleiner Lehrer ein Produkt des tiefen Südens, dessen geistigen und politischen Umkreis er im Grunde nie verließ, allen späteren Europa-reisen zum Trotz. Du Bois dagegen war in Abstammung und Bildungsgang ein Produkt der Neuen wie der Alten Welt, was ihm von vornherein eine größere Weltoffenheit und Urbanität verlieh. Er war in Massachusetts geboren und stammte mütterlicherseits von einer einfachen Kleinbauernfamilie ab. Seinen Vater, einen aus Westindien stammenden hellhäutigen Mulatten, hatte ein unstetes Leben nach Massachusetts verschlagen und nach einigen Ehejahren wieder von Haus und Familie getrieben, um nie wieder aufzutauchen. Du Bois wuchs deshalb bei seinen Großeltern auf, während sich die Mutter mit Arbeiten als Dienstmädchen durchbrachte
Mit Du Bois beginnt die seriöse und wissenschaftliche Geschichtsschreibung über die Neger in den USA, zugleich auch ihre moderne Soziologie, die er 1899 mit einer Studie über die Neger in Philadelphia eröffnete. Als Professor an der Atlanta University sammelte er Erfahrungen über die Verhältnisse im tiefen Süden, während er sich gleichzeitig an der neuen kulturellen Bewegung unter den US-Negern beteiligte, u. a. als Vizepräsident, von 1899 bis 1903 auch als Präsident der 1897 von Alexander Crummell gegründeten „Negro Academy". Noch als relativ junger Mann spielte er auf der panafrikanischen Konferenz von London im Jahr 1900 eine führende Rolle, vor allem als Autor des Schlußmanifestes. Dort fand er die prophetische Formel: „The probiern of the 20th Century is the probiern of the color line." Berühmt wurde er mit seiner 1903 erschienenen Essaysammlung „The Souls of Black Folk", in der u. a. zum erstenmal eine kritische Würdigung des „Freedmen's Bureau" gab und die Konzeption Washingtons, wenn auch noch verhalten, in aller Öffentlichkeit kritisierte
Bereits 1915 wandte sich Du Bois der Geschichte Afrikas zu, so daß er, zusammen mit Carter G. Woodson (1875— 1950), dem bisher bedeutendsten Neger-Historiker, auch für dieses Gebiet entscheidende Impulse beisteuerte.
Wenige Jahre später hatte er die Idee einer „Encyclopaedia Africana" entwickelt, die Nkrumah ein halbes Jahrhundert später auf-griff und die jetzt von Ghana aus in Zusammenarbeit mit meist afrikanischen Gelehrten aus fast allen Ländern Afrikas realisiert wird.
Weiter gilt er als „Vater des Panafrikanismus", während er als Herausgeber der Zeitschrift „Crisis", des offiziellen Organs der „National Association for the Advancement of Colored People" (NAACP) in den Jahren 1910— 1934, den vielleicht größten intellektuellen Beitrag eines einzelnen zur politischen Emanzipationsbewegung der Afro-Amerikaner leistete.
Im Grunde seines Herzens ein verspäteter Romantiker, der auch Gedichte, Dramen und Romane schrieb
Die Entfaltung der Kontroverse Anfänglich schien bei Du Bois kaum etwas auf seine spätere Entwicklung hinzudeuten. In seiner konservativen Periode bis um 1900 war er tief beeindruckt vom wilhelminischen Reich und den Hohenzollern
Du Bois war durchaus nicht gegen die von Washington propagierte und praktizierte berufsschulähnliche Ausbildung, wohl aber wandte er sich gegen die Herabsetzung der intellektuell-akademischen Bildung durch Washington. Nachdem vorher schon Stimmen der Kritik an Washington laut geworden waren, eröffnete Du Bois mit seinem 1903 in „Souls of Black Folk" erschienenen Essay „Of Mr. Booker T. Washington and Others“ die Washington-Du Bois-Kontroverse. Ausgehend von der zunächst nur graduellen Divergenz über Erziehungsprobleme weitete sich die Kritik zum grundsätzlichen Angriff auf Washingtons Machtstellung und die von ihm vertretene politische Konzeption der Anpassung aus. Die Kontroverse zog sich über Jahre hin, wobei Du Bois in der Regel der unablässig polemisierende und kritisierende war, während Washington eher hinter den Kulissen agierte.
b) „Niagara-Movement" und Gründung der NAACP Die erste Frucht der Auseinandersetzungen war, mehr indirekt als direkt, die von Du Bois 1905 gegründete „Niagara-Movement". Sie blieb zwar stets eine kleine Gruppe von Intellektuellen — ihre Mitgliederzahl (1907: 400)
dürfte in den wenigen Jahren ihres Bestehens kaum mehr als tausend betragen haben —, lieferte jedoch das vielleicht entscheidende intellektuelle Ferment zur Zersetzung der um 1900 verhärteten Fronten zwischen Schwarz und Weiß, trug wesentlich dazu bei, daß „the Walls Came Tumbling Down" ®
System benachteiligten Farbigen und publizistische Agitation durch eine eigene Zeitschrift, im Falle der „Niagara-Movement"
durch das von Du Bois redigierte und fast allein geschriebene Zentralorgan „Horizon. A Journal of the Color Line". In der Zeitschrift spiegelte sich die Persönlichkeit von Du Bois mehrfach wider — in seiner Polemik gegen Washington, seinen Gedichten, aber auch seiner Weltaufgeschlossenheit, die jenseits der Probleme der „Community“ oder „Race" seine Leser auch über die Entwicklung in Afrika auf dem laufenden zu halten suchte oder über solche Ereignisse wie die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Osterreich-Ungarn (1907).
Mit der Wahl der Tagungsorte knüpfte Du Bois bewußt an die Tradition der Abolitionisten-Bewegung an und machte deutlich, in welche Kontinuität er sich und seine Gruppe hineinstellen wollte: Harpers Ferry (1906), Ort der Tragödie John Browns; Boston (1907), Stadt David Walkers und Garrisons; Oberlin (1908), eine der wichtigsten Stationen der „Underground Railroad" in Ohio, seit Jahrzehnten Sitz eines traditionell liberalen College, wo weiße und farbige Studenten gemeinsam studieren. Schließlich lieferte die Vorarbeit der „NiagaraMovement" einen wichtigen Anstoß zur Gründung der „National Association for the Advancement of Colored People" (NAACP), in der sie praktisch aufging. Die Initiative kam von einer weißen Sozialarbeiterin in Manhattan, von Mary White Ovington (1865— 1951)
von größeren Als die Flut Lynchmorden, und „riots" 1908 mit kleineren dem Massaker in Springfield (Illinois), der Stadt Abraham Lincolns, einen neuen Höhepunkt erreichte, protestierte Mary W. Ovington mit einigen weißen liberalen Freunden gegen die Terrorakte und regte die Gründung einer Organisation zum Schutz der Neger an. Am 12. Februar 1909, dem 100. Geburtstag Lincolns, ging ein von Villard verfaßter Aufruf hinaus, den 60 prominente weiße und farbige Persönlichkeiten unterschrieben, unter ihnen Bischof Alexander Walters (AMEZ), Ida B. Weds-Barnett und Du Bois. Im Anschluß an eine erste öffentliche Konferenz in New York vom 30. Mai bis 1. Juni 1909 wurde eine neue Organisation gegründet, das „National Negro Committee", das bei seiner zweiten Jahrestagung im Mai 1910 den nun endgültigen Namen „National Association for the Advancement of Colored People" annahm.
Die Leitung der NAACP setzte sich anfänglich nur aus Weißen zusammen, während auf den unteren Ebenen der Organisation das farbige Element von vornherein dominierte und allmählich auch an der Spitze die alleinige Führung übernahm. Als Redakteur des Zentral-organs „Crisis" holte sich der Vorstand sofort Du Bois; ferner bekleidete er die Stellung eines „Direktors für Forschung". Die führenden Persönlichkeiten der „Niagara-Movement"
arbeiteten aktiv an der neuen Organisation und konnten mit dem offiziellen Programm zufrieden sein:
„Förderung der Rechtsgleichheit und Beseitigung der Kasten-oder Rassenvorurteile unter den Bürgern der Vereinigten Staaten; Förderung der Interessen der farbigen Bürger; Gewinnung eines unparteiischen Wahlrechts für sie; Erweiterung der Möglichkeiten, für sie Gerechtigkeit vor Gericht, Bildung für ihre Kinder, Arbeit entsprechend ihren Fähigkeiten und vollständige Gleichheit vor dem Gesetz zu erlangen."
Das NAACP-Programm brachte zum ersten -
Aspirationen mal die der überwiegenden Mehrheit der US-Neger auf eine präzise Formel, und schon deshalb ist es berechtigt, den Beginn der modernen Bürgerrechtsbewegung mit dem Auftreten der NAACP anzusetzen. Die NAACP, zunächst als „radikal" und „ex-trem" verschrien, nahm sofort die Arbeit auf und folgte dem von der „Niagara-Movement"
gesetzten Muster: Systematische Aufklärungsarbeit über Lynchmorde
Aus kleinsten Anfängen entwickelte sich die NAACP zur bisher bedeutendsten Organisation der Bürgerrechtsbewegung und kann im Alter von 55 Jahren heute auf beachtliche Erfolge zurückblicken. Mit ihrer unermüdlichen Aufklärungsarbeit und publizistischen Agitaition, mit ihren großen Prozessen vor dem Obersten Bundesgerichtshof und ihrer Zeitschrift „Crisis" hat sie jene Wandlungen erst vorbereitet und eingeleitet, die heute eine radikalere, militantere Richtung ermöglichen, so daß die NAACP 1965 den konservativen Flügel der Bürgerrechtsbewegung bildet.
c) Der Erste Weltkrieg und seine Folgen Der Erste Weltkrieg stellte die neugegründete NAACP sogleich vor schwere Aufgaben, denn auch unter den Negern der USA bewirkte er tiefgreifende Wandlungen, die neue soziale Reibungsflächen schufen und zu schweren Konflikten führten. Zwischen 1914 und 1919 strömten rund eine halbe Million Farbiger aus dem Süden in die großen Industriestädte des Nordens —New York, Chicago, Detroit, Philadelphia sowie Washington D. C.; in den Jahren 1921— 1924 folgte noch einmal die gleiche Zahl.
Das westindische Element Zur Binnenwanderung mit erheblichen Konsequenzen kam noch eine quantitativ zwar nicht so bedeutende, dafür qualitativ um so wichtigere Einwanderung von den Westindischen Inseln während des Weltkrieges, vor allem aus Jamaica und Puerto Rico. Die Puerto Ricaner bildeten eine Minderheitsgruppe für sich, aber einige, die schon vor der eigentlichen Einwanderungswelle gekommen waren, schlossen sich den US-Negern an, unter ihnen Arthur A. Schomburg (1874— 1938), der seit 1891 in New York lebte. Er war Gründer und erster Direktor der „Schomburg Collection“, die heute als Zweig der „New York Public Library" die beste Spezialbibliothek zur Geschichte der Neger in den USA ist und das wichtigste kulturelle Zentrum Harlems bildet.
Bedeutsamer war die Einwanderung aus den englischen Kolonien im Karibischen Meer, vor allem aus Jamaica. Die sog. „West Indians"
waren nämlich selbstbewußter als die US-Neger und brachten ein neues militantes Element in ihre politische Bewegung. Seitdem mit dem Niedergang des Zuckerrohranbaues (etwa ab 1800) die weiße Herrenschicht weitgehend abgezogen war, waren sie der Segregation nicht so offen und direkt ausgesetzt. Außerdem lebte unter ihnen — noch heute in Harlem spürbar — die Tradition der „Maroons" weiter, jener rebellischen Sklaven, die sich im Bergland von Jamaica im 18. Jahrhundert mehrere Jahrzehnte lang eine gewisse Autonomie gegen die britische Kolonialregierung erkämpft hatten.
Einerseits verschärfte das Selbstbewußtsein der „West Indians" nur noch die Animositäten, die sich normalerweise gegenüber den zuletzt Eingewanderten ergeben, andererseits bedeutete das westindische Element eine spürbare Verstärkung der Emanzipationsbewegung. Aus ihren Reihen gingen zwei bedeutende Männer hervor, der Dichter und Publizist Claude McKay (1890— 1948) und Marcus Aurelius Garvey (1887— 1940), sicherlich die schillerndste, farbigste, aber auch erratischste Gestalt unter den Führern des US-Negertums. Mit seinem kometenhaften Aufstieg und seinem eklatanten Sturz innerhalb weniger Jahre hat er eine der phantastischsten Karrieren unseres Jahrhunderts aufzuweisen. Der jähe Aufstieg des strahlenden Stern Garvey ist jedoch nur gegen den Hintergrund der Lage des US-Negertums in und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg richtig zu verstehen.
Neue Spannungen im Norden und in der US-Armee Das Absinken der europäischen Einwanderung während des Krieges und die Kriegskonjunktur der Industrie im Norden lösten eine verstärkte Nachfrage nach billigen Arbeitskräften aus, die die Binnenwanderung aus dem Süden und die Einwanderung von den Karibischen Inseln auch befriedigte. Der Süden bemühte sich zwar, „seine Neger" zu halten, erst mit Gewalt, dann mit sozialpolitischen Maßnahmen, die das Leben der im Süden Gebliebenen etwas verbesserten; trotzdem kamen genügend Farbige in den Norden, angelockt durch bessere Arbeitsmöglichkeiten und höhere Löhne. Zwischen 1914 und 1924 stieg Harlem, wo 1900 die ersten Neger eingezogen waren, zur „Negro Metropolis"
Obwohl die Wirtschaft das Eintreffen billiger Arbeitskräfte begrüßte und förderte, schufen Rassenvorurteile des Bürgertums und Konkurrenzneid der weißen Angestellten und Arbeiter neue Spannungen, die sich noch im Krieg in blutigen „riots" gegen die Neuankömmlinge entluden. Der Eintritt der USA in den Krieg verbesserte die Situation keineswegs. Zwar engagierten sich die Führer der Neger mit oft leidenschaftlichen Worten für die Sache der USA und riefen zum Eintritt in die US-Armee auf. Neger durften auch als Soldaten und Offiziere in der Armee dienen, zusammen rund 350 000, aber wieder nur auf der Basis der Segregation. Benachteiligungen und Zurücksetzungen, Schmähungen und Provokationen, dazu drakonische Disziplinarstrafen waren an der Tagesordnung. Als im September 1917 bei Rassenkrawallen in Houston (Texas) farbige Soldaten sich und ihre Rassen-genossen mit der Waffe in der Hand gegen den weißen Mob verteidigten, wurden 13 Soldaten hingerichtet. Während die US-Armee in Frankreich Segregation und Diskriminierung praktizierte und sie der französischen Armee ausdrücklich empfahl, waren weiße Rassen-puristen über den herzlichen Empfang, den Negerregimenter in Frankreich erhielten, besonders erbittert, was umgekehrt auf die Afro-Amerikaner einen tiefen Eindruck machte.
Der „rote Sommer“ von 1919 Bei ihrer Rückkehr aus dem Krieg ernteten die farbigen Soldaten nach ihrem Kampf für die Demokratie keine politische oder soziale Verbesserung für ihre notorisch benachteiligte Minderheitengruppe. Im Gegenteil, das neue Selbstbewußtsein der Neger verstärkte nur alte Vorurteile. Das Jahr 1919 wurde für sie zu einem wahren Blutbad. James Weldon Johnson, Schriftsteller und führendes Mitglied der NAACP, nannte die Jahresmitte 1919 voll Bitterkeit „The Red Summer", nach dem Blut, das damals floß. 25 „riots" fanden statt, die schlimmsten zwischen Mitte Juli und Anfang Oktober in Washington D. C., Chicago, Knoxville, Omaha (Oklahoma) und Elaine (Arkansas)
Programm und Organisation Garveys Programm war ein wirres Gemisch von (nur zu verständlichen) Ressentiments, Überkompensierung des bisher denAfro-Amerikanern eingeimpften Minderwertigkeitskomplexes durch einen quasi-rassistischen Uberwertigkeitskomplex, scharfer Kritik am Imperialismus in Afrika und Rassenherrschaft in Amerika, mit dem Appell an die — unter den Massen des US-Negertums nie geschwundene — geheime Sehnsucht eines „Back-toAfrica" und einer grotesken Verkennung der damaligen Machtverhältnisse in der Welt: Weder existierten die imaginären „ 400 000 000 Negroes", mit denen Garvey ständig operierte, noch hätte es für die rückwandernden Afro-Amerikaner Platz in Afrika gegeben, schon gar nicht zur Bildung eines eigenen Reiches. Quasi-sozialrevolutionäre Elemente vermischten sich mit kapitalistischen 76) und quasi-feudalen, so wenn Garvey an seine Anhänger imaginäre Adelstitel und Orden verlieh, während er sich selbst 1920 mit napoleonischer Gebärde zum „Provisorischen Präsidenten von Afrika" ernannte. Er stiftete eine eigene pseudo-christliche Kirche mit schwarzer Madonna und schwarzem Christus, gründete eine „Universale Afrikanische Legion" und zahlreiche andere Organisationen. Dachverband war die schon in Jamaica gegründete „Negro Universal Improvement Association" (UNIA), die mit ihren riesig aufgezogenen Jahresversammlungen (die erste fand 1920 statt) alljährlich auf den Straßen Harlems ein farbenprächtiges und lautes Spektakulum bot.
Mit ungeheurer Beredsamkeit und genialer Propaganda gelang es Garvey nach Kriegsende, die UNIA innerhalb weniger Monate zur zahlenmäßig stärksten Organisation in der Geschichte der US-Neger zu machen. Die Mitgliederzahl von sechs Millionen ist zwar fiktiv und Produkt seiner notorischen Renommiersucht, aber selbst die Zahl von rund 500 000, die ihm auch seine erbittertsten Feinde konzedierten, ist respektabel genug. Insgesamt brachte er rund 10 Millionen $an Mitgliedsbeiträgen, Spenden und durch Verkauf von Aktien auf.
Scheitern und Ende Politisch war Garveys Unternehmen reine Illusion, geschäftlich zu wenig solide, namentlich in der Verwaltung der eingegangenen Gelder.
Garvey bereicherte sich zwar kaum selbst, ließ sich aber in seiner naiven Leichtgläubigkeit von fragwürdigen Freunden und gerissenen Geschäftemachern betrügen, wie beim Ankauf von drei alten Schiffen, die den Grund-stock zu der von ihm heftig propagierten eigenen Schiffahrtslinie, der „Black Star Line", bilden sollten. Die „Black Star Line'kam jedoch über den Verkauf von Aktien, die Gewinnung von Kontaktleuten in Amerika und Afrika sowie die mißglückte „Jungfernfahrt"
der alten Schiffe unter neuer Flagge nicht hinaus. Sie ging rasch bankrott und zog Garvey mit hinein in das Debakel.
Als Retter von den Massen umjubelt, denen er mit seinem „Black Zionism", der Rückkehr nach Afrika, die Lösung der durch den Krieg nur noch verschärften Probleme anzubieten schien, wurde Garvey von der intellektuellen Minderheit der US-Neger erbittert bekämpft, sowohl wegen seines fragwürdigen Programms als auch der taktischen Kooperation mit dem Ku-Klux-Klan. Seine Gegner, unter ihnen Du Bois, forderten seine Verurteilung wegen mißbräuchlicher Benutzung der Post, erreichten einen Prozeß und schließlich am 8. Februar 1925 seine Verurteilung zu fünf Jahren Gefängnis. Schon vorher hatte sein Unternehmen — nach dem Fiasko der „Black Star Line“ — den Todesstoß erhalten, als 1924 die Regierung von Liberia die anfänglich gegebene Konzession für eine Kolonisation wieder zurückzog, teils unter Druck der Kolonialmächte, die ein Fußfassen der Garvey-Bewegung in Afrika verhindern wollten, teils weil die liberianische Regierung fürchtete, von dem dynamischen Garvey bald beherrscht zu werden.
Die Verurteilung besorgte den Rest. Zwar wurde Garvey 1927 begnadigt und freigelassen, aber er wurde als lästiger Ausländer nach Jamaica abgeschoben, wo er vergebens versuchte, in der Politik seiner Heimat wieder Boden zu gewinnen oder die UNIA, die auseinandergebrochen war und nur noch als Splitterorganisation dahinvegetierte, zu neuem Leben zu erwecken. Der gleiche Versuch mißlang von England aus, wo er in den dreißiger Jahren noch einmal eine eigene, unregelmäßig erscheinende und von ihm fast allein bestrittene Zeitsdirift herausgab: „The Black Man". Während er immer noch seinem Traum einer UNIA-Renaissance nachjagte und seine Ressentiments gegen Du Bois kultivierte, machte er in seinen Kommentaren manche kluge Bemerkung zum Weltgeschehen. Mit ihnen bewies er, daß seine überschwengliche Selbstbezeichnung als „erster Faschist", den Mussolini nur kopiert hätte, nicht allzu wörtlich zu nehmen ist. Er sprach sich eindeutig gegen den Nationalsozialismus aus, bezeichnete Mussolini, allerdings während des Abessinienkrieges, im Oktober 1935 als „Erz-Barbaren unserer Gegenwart" und schrieb im Juli 1935: „Unsere Sympathie gilt den Juden, wie jeder anderen unterdrückten Minderheitsgruppe"
Die historische Wirkung Ungeachtet des eklatanten Scheiterns, der illusionären Ziele und unseriösen Methoden hat Garvey eine tiefe Wirkung hinterlassen: Er hat die breiten Massen der US-Neger zum erstenmal mobilisiert, ihnen ein neues Selbstbewußtsein gegeben, sie gelehrt, sich ihrer Abstammung nicht mehr wie bisher zu schämen, sondern stolz auf Afrika zu sein. Mit seiner Hinwendung zu Afrika übte er auch eine Faszination auf die Massen in Afrika aus wie auf die junge afrikanische Intelligenz, deren ersten Vertreter (Azikiwe, Nkrumah)
in den dreißiger Jahren in den USA studierten.
Mit seiner spezifischen „Back-to-Africa" -Bewegung repräsentierte Garvey eine Strömung des Panafrikanismus, die sich 1945 — über seine Witwe Amy Garvey und Nkrumah — mit dem von Du Bois geführten Hauptstrom des Panafrikanismus verband.
Die Rückbeziehung auf Afrika, heute stärker denn je unter den Afro-Amerikanern zu spüren, ist zu einem erheblichen Teil auf Garvey zurückzuführen, so überschwenglich und grobschlächtig seine Vorstellungen auch waren, erst recht im Vergleich zu dem differenzierten Du Bois. Was der Professor Du Bois für die Intelligenz leistete, das tat in diesem Punkt der (durchaus nicht ungebildete) Demagoge Garvey für die Massen — eben auf seine Weise. d) Die Nach-Garvey-Zeit und der Zweite Weltkrieg (1925— 1954)
Nach Garveys Sturz blieben die Neger in den USA zur Erkämpfung einer besseren Position wieder auf unspektakuläre, zähe Kleinarbeit angewiesen, wobei die NAACP nach wie vor die Führung übernahm. Dennoch hinterließ sein Ausscheiden ein Vakuum, das zeitweise die Kommunisten auszufüllen suchten. Ein Teil der Garvey-Aktivisten schloß sich zwar der Partei an, jedoch waren die kommunistischen Bemühungen insgesamt wenig erfolgreich.
Für die meisten Neger war es schon schwer genug, schwarz zu sein; sie wollten sich ihre Lage nicht noch durch ein Bündnis mit den Roten erschweren. Als halbverfolgte politische Minderheit hatten die Kommunisten ihnen ohnehin kaum etwas anzubieten.
Etwas anderes war es schon, als sie Anfang der dreißiger Jahre den Fall der acht „Scottsboro Boys" aufgriffen, die wegen angeblicher Vergewaltigung zweier weißer Mädchen (zweifelhaften Rufs) zum Tode verurteilt worden waren (in Wirklichkeit waren sie nur auf einem Güterzug getrampt, um im Norden Arbeit zu suchen). Durch hartnäckige Bemühungen, unterstützt von einer weltweiten Propaganda, gelang es den von den Kommunisten engagierten Rechtsanwälten schließlich, die jungen Männer nach mehreren Jahren freizubekommen, was der amerikanischen KP aber auch nicht viel mehr als die vagen Sympathien vieler, eher fortschrittlich Denkender eintrug, einerlei ob Schwarz oder Weiß, zumal im Klima des „New Deal" mit seinem intellektuellen Anti-Faschismus.
Insgesamt war die Aufmerksamkeit der Neger auf viel elementarere Dinge konzentriert, auf das überleben in der großen Depression von 1929, die für sie, als die am härtesten Betroffenen, bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs dauerte, so daß ihr politischer Spielraum noch stärker als sonst beschränkt war. Seit der Mitte der dreißiger Jahre lag das politische Interesse überwiegend bei Ereignissen außerhalb der USA — beim Aufstieg des Faschismus und Nationalsozialismus, den sie mit Sorge beobachteten. Denn im Gegensatz zu den meisten Staatsmännern des Westens hatten manche Neger-Intellektuelle Hitlers „Mein Kampf"
sorgfältig gelesen. Gegen die italienische Eroberung von Äthiopien protestierten sie leidenschaftlich, denn es war — neben Haiti — das wichtigste Symbol der Afro-Amerikaner für ihren und der Afrikaner Unabhängigkeitswillen. Eine analoge Haltung demonstrierten die Neger bei so unpolitischen Fragen wie dem Sport, denn sie fühlten die Beleidigung, die Hitlers Rassenhochmut einem Jesse Owens auf der Berliner Olympiade von 1936 antat, als Affront für ihre gesamte Rasse (was ja auch in der Tat so gemeint war). Für sie war der Aufstieg von Joe Luis zum Weltmeister im Schwergewichtsboxen ein Politikum ersten Ranges, an dem sich ihr Selbstgefühl aufrichten konnte. An Niederlagen und Sieg ihres Idols im Duell mit Max Schmeling nahmen sie leidenschaftlichen Anteil, denn sie erblickten im deutschen Champion einen Repräsentanten der „Herrenrasse", von deren Sieg in der Welt sie für sich nur noch eine weitere Verschlechterung ihrer Lage erwarten konnten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß sich die Neger nach Kriegseintritt der USA mit aller Leidenschaft wieder für den Sieg der Demokratie einsetzten, nicht nur, weil sie erstmals seit der großen Depression wieder so etwas wie Vollbeschäftigung kannten. Sie zogen in den Krieg mit der Erwartung, daß die Demokratie — nach dem Sieg gegen den äußeren Feind — nunmehr auch im Innern der USA einen entscheidenden Erfolg erringen würde. Tatsächlich war ihre Lage jetzt besser als 1917/18. Die Diskriminierung in den Streitkräften war nicht mehr so drückend, es kam nur zu wenigen „riots" in der Heimat, und die Zahl der Lynchmorde war erheblich geringer. Das Kriegsende brachte aber noch nicht den entscheidenden Durchbruch, da sich an der politischen und sozialen Struktur des Südens wie des Nordens nur wenig änderte. Es kam wieder zu Lynchfallen im Süden, und der Ku-Klux-Klan machte von sich reden.
Dennoch erreichten die Afro-Amerikaner im Zweiten Weltkrieg und in den ersten Nachkriegsjahren eine verbesserte Ausgangsstel-lung, aus der sie den entscheidenden Wandel der Gegenwart einleiteten: Die Soldaten, die 1945 heimkehrten, waren nicht mehr die einfachen Bauernburschen von 1917/18. Sie waren in der Zeit der Depression, des intellektuell-geprägten „New-Deal" ausgewachsen, beeinflußt vom neuen, durch Garvey vermittelten Selbstbewußtsein. Dazu standen sie länger im Wehrdienst und sahen mehr von der modernen Welt und ihren Problemen als im Ersten Weltkrieg.
Schließlich hatte sich die Weltsituation gründlich verändert: Die Ideale der Demokratie wurden zwischen 1941 und 1945 klarer und eindringlicher formuliert als 1917/18. Der Aufstieg der asiatischen und afrikanischen Kolonialvölker zu souveränen Nationen widerlegte handgreiflich das Dogma von der angeblichen Minderwertigkeit der „farbigen" Rassen im allgemeinen, der Afrikaner im besonderen. Allmählich erwachte eine neue Militanz, die alles Bisherige in den Schatten stellen sollte.
4.) Die jüngste Phase des Kampfs um die Bürgerrechte (1954— 1965)
a) Schulen, Restaurants und Busse Die Führung des Kampfs lag anfänglich noch bei der NAACP. Sie erzielte 1954 mit der Grundsatzentscheidung des Obersten Bundesgerichtshof in einem von ihr geführten Prozeß den buchstäblich epochemachenden Erfolg, als die Segregation in den Schulen für verfassungswidrig erklärt wurde. Zugleich verlagerte sich der Schauplatz des Geschehens hauptsächlich in den Süden, dessen farbige Bevölkerung gegenüber dem Norden noch viel aufzuholen hatte. Die historische Entscheidung von 1954 erwies sich bald als das, was die Anhänger der Segregation befürchteten und ihre Gegner erhofften — als handlicher Keil, um allmählich das ganze Gebäude des inzwischen längst obsolet gewordenen „New South" zu demolieren
Anfangs schien sich jedoch das Schicksal anderer wohlgemeinter Ansätze zu wiederholen:
die herrschende Mehrheit, entschlossen, am Prinzip der „white supremacy" festzuhalten, fand allerlei Mittel und Wege, um die Integration der Schulen zu umgehen. Die junge Generation der Afro-Amerikaner machte sich aber daran, ihr neues Recht in die Realität umzusetzen. Dabei erhielten sie in zunehmenden Maß Rückhalt an liberalen Gruppen der Weißen im ganzen Land.
Schon 1944 hatte in Chicago eine neue Organisation begonnen, die Zusammenarbeit von Schwarz und Weiß militant zu praktizieren:
der „Congress of Racial Equality“ (CORE).
Sie ging daran, die von Ghandi entwickelte Methode des gewaltlosen Kampfes auf die USA zu übertragen, zunächst mit dem, was später „sit-in" genannt wurde. Gruppen von weißen und farbigen jungen Menschen gingen in für Farbige gesperrte Restaurants oder Cafes, um entweder durch Bedienung der ungebetenen Gäste einen Präzedenzfall zu schaffen und so die Rassenschranke allmählich zu durchbrechen oder aber einen Eklat zu provozieren, der die Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeit der Segregation lenken würde.
In den ersten Jahren hatte CORE einige auf Chicago beschränkte örtliche Erfolge, konnte jedoch nicht viel mehr erreichen, als Erfahrungen zu sammeln und sich allmählich erprobte Kader zu schaffen.
Nach der Schulentscheidung des Obersten Gerichtshofs von 1954 kam der eigentliche Durchbruch ein Jahr später in Montgomery (Alabama) — einst Wiege der Konföderation von 1861. Aus einem an sich unbedeutenden, ja alltäglichen Zwischenfall in einem Omnibus am 1. Dezember 1955 zwischen dem weißen Busschaffner und einer farbigen Frau (übrigens Mitglied der NAACP) entwickelte sich spontan ein systematischer Boykott der Omnibus-gesellschaften in Montgomery mit ihren „Jim Crow" -Wagen oder „Jim Crow" -Abteilen
Mit dem Recht und der Demonstration ihrer Geschlossenheit und Entschlossenheit auf ihrer Seite, gelang es ihnen, die dem Bankrott nahen Bus-Gesellschaften schließlich zum Einlenken zu zwingen.
Die neue Methode des gewaltlosen, direkten Kampfs hatte sich zum erstenmal im großen Stil bewährt. In den folgenden Jahren wurde sie an vielen Stellen des Südens eingesetzt, die Erfahrungen wurden systematisiert und auf andere Gebiete übertragen. In langwierigen Boykott-und Demonstrationskampagnen, bei denen eventuelle Gewaltanwendung vom weißen Mob oder von „Ordnungshütern" ausging, eroberten sich die Farbigen des Südens schrittweise die Gleichberechtigung auf der elementarsten Ebene des Lebens — in Bussen, Schwimmbädern, Kinos, Restaurants und Imbißstuben. Die Integration von Schulen und Universitäten war schon gefährlicher und nervenaufreibender, wie Little Rock (Arkansas)
1957 und der Fall des Studenten James Meridith an der Mississippi-University 1962 beweisen. Zum Schutz der neuen Schüler von Little Rock und des einsamen Studenten James Meridith vor dem Terror weißer Einwohner, Mitschülern bzw. Kommilitonen wurde es nötig, wochen-und monatelang Bundesmilitär einzusetzen. Meridith studiert heute — nach den Erfahrungen in Mississippi — unangefochten an der Universität in Ibadan, Nigeria. b) Die neuen Organisationen Das wichtigste Ergebnis der gewaltlosen Kampfaktionen war die Aufrüttelung breiter Massen unter den Farbigen des Südens aus ihrer politischen Lethargie und die Mobilisierung weiter Kreise der liberalen Intelligenz unter den Weißen aus ihrer Indifferenz. Zugleich wurde das Ringen immer besser durch-organisiert. Neue Gruppen übernahmen die Führung, nachdem sich die NAACP an den neuen Initiativen seit Montgomery nicht ausreichend beteiligte.
SCLC Um Martin L. King kristallisierte sich die „Southern Christian Leadership Conference" (SCLC)
mit Sitz in Atlanta und jungen farbigen Baptistenpfarrern als Führungsgruppe. Sie ging systematisch dazu über, ihren Aktionsradius auszudehnen, geographisch wie sachlich. Ihr Schwerpunkt liegt nach wie vor im Süden, aber sie baut jetzt auch Zweigstellen im Norden auf. Von Kampagnen zur sozialen Integration, die 1963 ihren Höhepunkt mit der Agitation in Birmingham (Alabama), der größten (und fast einzigen) Industriestadt des Südens, fanden, ging die SCLC zum Kampf für politische Gleichberechtigung über. Mit Demonstrationen sollte vor allem in den agrarischen Gebieten des „Black Belt" das bisher für Farbige nur fiktive Wahlrecht endlich zur Realität werden.
Elementare Voraussetzung dazu war, daß die Neger überhaupt erst in die Wählerlisten eingetragen sind, was ein jahrzehntelanger Terror verhindert hatte. Nach monatelangen Vorbereitungen, bei denen es galt, den einheimischen Farbigen Mut und Selbstvertrauen einzuflößen, kam es im Februar/März 1965 im kleinen Städtchen Selma (Alabama) zu den Dauerdemonstrationen für das Wahlrecht, die wegen der Brutalität, mit der die örtliche Polizei und Miliz, gedeckt vom Gouverneur Wallace, gegen die Demonstranten vorgingen, in der gesamten Welt Aufsehen erregten. Höhepunkt war der anfänglich verbotene, dann aber doch zugelassene Demonstrationsmarsch von Selma nach Montgomery. SNCC Einen erheblichen Beitrag zur Mobilisierung der Studentenschaft leistete das „Student Non-Violent Coordinating Committee" (SNCC; ausgesprochen SNICK). Die eigentlichen Aktivisten sind farbige College-und Universitätsstudenten des Südens, die jedoch eng mit der „Northern Student Movement" (NSM) zusammenarbeiten und von ihr personelle und finanzielle Hilfe erhalten. Für die Aktionen der von Martin L. King geleiteten SCLC stellt SNCC gleichsam die Schocktruppen dar. SNCC und NSM waren auch Träger des „Mississippi Summer Project" des Jahres 1964, einer systematischen Kampagne, die allgemeine Bildung für die vernachlässigten Farbigen Mississippis mit politscher Erziehung kombinierte.
CORE CORE, das bisher nur im Norden gearbeitet hatte, verlegte etwa ab 1960 seine Hauptaktivität in den Süden und gelangte jetzt erst zu seiner eigentlichen Bedeutung. Zur Vorbereitung seiner Mitarbeiter richtete es „Freedom Schools" ein, in der Aktivisten, schwarze wie weiße, gemeinsam auf die Probleme und Gefahren des gewaltlosen Demonstrationskampfs vorbereitet werden. Mit ihren „Freedom Rides", der Benutzung segregierter Busse unter ostentativer Mißachtung der „JimCrow“ -
Vorschriften, legte CORE Breschen in das System der Rassentrennung, brachte aber auch schmerzhafte Opfer. In Mississippi, dem heute rückständigsten Staat des rückständigen Süden, wurden drei CORE-Aktivisten ermordet und heimlich verscharrt, ohne an ihnen das früher noch kärgliche Minimum an Formalitäten der inzwischen altmodisch gewordenen Lynchjustiz zu verschwenden. Es mußte als Sensation wirken, daß in diesem Fall sogar Verhaftungen vorgenommen wurden. CORE gilt als die radikalste und militanteste Organisation der Bürgerrechtsbewegung und hat zu einem erheblichen Teil ihre jüngste Politisierung bewirkt.
Die drei neuen Organisationen — SLCL, SNCC, CORE — sind bisher das aktivste und effektivste Element in der gegenwärtigen Phase der Bürgerrechtsbewegung. Hinter ihnen steht der Elan der Jugend, die zur Aktivität drängt und die Bewegung innerhalb weniger Jahre radikalisiert hat. Die beiden älteren Organisationen — NAACP und die 1911 gegründete „Urban League" — müssen sich anpassen, wenn sie Schritt mit der stürmischen Entwicklung halten wollen. Rivalitäten, Überschneidungen und interne Spannungen sind bei der inneren Struktur der Bürgerrechtsbewegung unvermeidlich. Aber gerade die Demonstrationen von Selma haben gezeigt, wie hier die einzelnen Strömungen mehr denn je zusammenfließen. c) Malcolm X: Die neue Politisierung der Bürgerrechtsbewegung Jenseits und am Rande der eigentlichen Bürgerrechtsbewegung stehen zwei Gruppen, die in letzter Zeit viel von sich reden machten — die „Black Muslims" und die Organisation des im Februar 1965 ermordeten Malcolm X. Die „Black Muslims" repräsentieren einen fanatischen schwarzen Rassismus, der sich zu seiner Distanzierung vom christlichen Amerika auch noch einer zurechtgeschneiderten (von Mekka allerdings nicht anerkannten) Version des Islams bedient
Als Protest gegen den illusionären, sektierer-haften Charakter des innenpolitischen Programms trat im Dezember 1963 Malcolm X, bis dahin zweiter Mann der „Black Muslims“ und Leiter ihrer Moschee in Harlem, aus der Bewegung der „Black Muslims'aus und zog mit sich einen erheblichen Teil ihrer aktivistischen Jugend. 1964 gründete er eine partei-ähnliche Gruppierung, die „Organization of Afro-American Unity". Der von ihm propagierte „Black Nationalism" war zunächst vage und eng und hatte noch immer quasi-rassistische Elemente. Zwei Reisen durch Afrika weiteten jedoch Malcolm X’s geistigen Horizont.
Nach wie vor rief er zur bewaffneten Selbstverteidigung gegen weiße Übergriffe auf, aber sein enger „Nationalismus" wandelte sich in eine für ihn neue Konzeption um. Malcolm X verschmähte jetzt die so lang erstrebte Gleichberechtigung innerhalb der privilegierten Gesellschaft der USA und begann sich als Glied der unterprivilegierten Völker der sog. „Dritten Welt" zu fühlen.
Damit stand Malcolm X — vielleicht unbewußt — in der Tradition von Du Bois und Garvey, die beide ähnliche Auffassungen vertraten, wenn auch jeder auf seine Weise und auf dem Höhepunkt ihrer Wirksamkeit noch zu früh, um politisch wirksam werden zu können. Der Mord an Malcolm X dürfte auch der Todesstoß für seine Gruppe gewesen sein. Malcolm X war nur der dynamischte Repräsentant einer neuen, über Du Bois und Garvey hinausgehenden Hinwendung der Afro-Amerikaner nach Afrika. Für ihn war der Begriff „Afro-American" offenbar ein politisches Programm. Er ließ Martin L. King weit hinter sich, der in seinem bekannten Brief aus dem Gefängnis in Birmingham an — über seine „Radikalität" besorgte — weiße Amtsbrüder schrieb:
„Mehr als 340 Jahre haben wir auf unsere von Gott gewährten und von der Verfassung verbürgten Rechte gewartet. Mit der Geschwindigkeit eines Düsenflugzeugs erringen Nationen in Asien und Afrika ihre Unabhängigkeit, wir aber kriechen noch immer im Tempo einer Postkutsche auf das Recht zu, an einer Imbißstätte eine Tasse Kaffee zu erhalten."
Malcolm X wollte nicht nur — inspiriert von den politischen Fortschritten Afrikas — das Tempo der Entwicklung verschärfen, sondern er verschmähte auch das Recht, „an einer Imbißstätte eine Tasse Kaffee" ohne Rücksicht auf die Hautfarbe des Kunden zu erhalten.
Wenn sich die Afro-Amerikaner nicht mehr als die unterste Schicht einer reichen Gesellschaft betrachten, sondern als Avantgarde und am weitesten entwickeltes Glied der armen Gesellschaften der Entwicklungsländer, so erhielten sie innerhalb der USA fast automatisch eine sozialrevolutionäre Sprengkraft und ein neues politisches Gewicht, erst recht in dem sich auf Weltmaßstab abzeichnenden, den alten Ost-West-Streit überlagernden Konflikt zwischen dem industrialisierten Norden und dem agrarisch gebliebenen Süden der Menschheit. Es ist nicht deutlich, ob Malcolm X die revolutionären Konsequenzen seines Programms sah und wollte, denn er wurde ermordet, als er die Ziele seiner Organisation verkünden wollte. In seiner letzten Phase schickte er sich jedoch an, sich mit seiner Gruppe als den militantesten Flügel der Bürgerrechtsbewegung zu etablieren, nicht um, wie er während einer Versammlung in Selma (Alabama) Mrs. Martin L. King anvertraute, der Bewegung Schwierigkeiten zu bereiten, sondern um durch Markierung extremer Positionen den Sieg der Gemäßigteren zu erleichtern. Sein vorzeitiger Tod hätte vielleicht eine Politisierung der Bürgerrechtsbewegung verzögert, wenn nicht die Verschärfung des Vietnamkrieges neue Entwicklungen angebahnt hätte, die zu einem allmählichen Zusammengehen der pazifistischen Strömungen mit der Bürgerrechtsbewegung führen könnten. CORE tendiert ohnehin schon in diese Richtung, während pazifistische Gruppen, die auch schon in der Bürgerrechtsbewegung mitarbeiteten, nunmehr eine Verbindung in außenpolitischen Fragen anstreben. Schließlich hat sogar der gemäßigte King Anfang Juli 1965 Protestdemonstrationen gegen den Krieg in Vietnam mit Methoden angekündigt, die im Kampf um die Bürgerrechte erprobt wurden. Eine solche, vielleicht von den Führern ungewollte Politisierung der Bürgerrechtsbewegung würde jedoch einer Grundstimmung unter ihrem Fußvolk entsprechen, wo gerade in den kritischen Wochen von Selma immer wieder die Verbindung zur Außenpolitik — zu Saigon und Vietnam — gesehen und ausgesprochen wurde.
Wie auch immer: eine Revolution in Form eines gewaltsamen allgemeinen Aufstands wird — trotz Los Angeles im August 1965 — unwahrscheinlich bleiben. Dafür spricht schon die chronische Minderheitensituation der Farbigen, die alle politische, wirtschaftliche und militärische Macht in Händen der Weißen läßt.
Als Kompromiß zwischen den bisher gewaltlosen Demonstrationen und dem von einer .
radikalen Minderheit propagierten bewaffneten Kampf könnten aber andere Formen des Kampfes auftauchen. Immerhin ist bezeichnend, daß in den Tagen von Selma in Harlem bereits die Möglichkeit eines Generalstreiks aller Farbigen in Privatgesprächen ventiliert wurde, sollte sich die Situation nicht rasch genug und drastisch verbessern. Denkbar ist auch, daß sich die Vorgänge von Los Angeles in anderen Städten des Nordens wiederholen. Solche lokalen Explosionen ließen sich historisch mit den versuchten wie tatsächlich ausgebrochenen Sklavenrevolten vergleichen: in der Form destruktiv, bewirkten sie eine Besinnung auf die tieferen Ursachen der Unruhen und trugen schließlich durch die gewaltsame Dramatisierung unhaltbarer Zustände zu deren Beseitigung bei — im 19. Jahrhundert der Sklaverei im Süden, im 20. Jahrhundert der noch immer effektiven Segregation im Norden. Wie damals werden auch jetzt lokale Ereignisse Rückwirkungen auf die gesamte Nation auslösen.
d) Das neue Engagement der weißen Liberalen und die Regierungspolitik seit Kennedy Der weitere Gang der Entwicklung wird von der weißen Mehrheit und der von ihr getragenen Regierung abhängen. Die Reaktion der Weißen war bisher nicht einheitlich. Im Süden scheint sich die Mehrheit allmählich mit dem Ende der Segregation abfinden zu wollen, während eine fanatische Minderheit mit allen Mitteln Widerstand leistet, einschließlich Morde und Bombenanschläge auf Häuser, Kirchen (wobei in Birmingham 1963 vier Kinder ums Leben kamen). Im Norden dagegen verstärkt sich der Druck der öffentlichen Meinung mit der Forderung, die Demokratie in Amerika endlich zu vollenden, und wenn nur aus Rücksicht auf die übrige Welt. Obwohl im Norden eine noch erhebliche Minderheit ihre Vorurteile gegen die Farbigen weiter pflegt, engagieren sich immer mehr Weiße auf der Seite ihrer politisch entrechteten oder sozial deklassierten Mitbürger. In der Akademikerschaft, unter Professoren wie Studenten, kann man geradezu schon von einer Massenbewegung sprechen, und die Bürgerrechtsfrage wirkt sich als mächtiges Vehikel zur politischen Aktivierung der weißen liberalen Intelligenz aus.
Auch die Kirchen spielen zusehends eine größere Rolle. Sensationell wirkte das aktive Engagement vieler Geistlicher aller Konfessionen, ihre Teilnahme an den großen Demonstrationen in Selma und im ganzen Land.
Völlig neu war das Auftreten katholischer Nonnen, die, so in Selma und Harlem, mehrere Reihen tief die Spitze der Demonstrationszüge übernahmen. Schließlich machte sich noch ein weiteres Element bemerkbar, das mittlere Bürgertum, nicht nur Jugend, sondern gerade die Elterngeneration der aktiven Studenten. Gewiß hat die Zusammenarbeit von Weißen mit den Farbigen eine lange Tradition — mitverschworene Weiße bei Sklavenverschwörungen und die Quäker um 1800, die militanten Abolitionisten und John Brown, die Mitarbeiter des „Freedmen’s Bureau’ und die Initiatoren der NAACP
Die massive Beteiligung der Weißen nimmt dem seinem Höhepunkt zutreibenden Ringen die Note eines Rassenkampfs, weil sie über die „Rassen" hinweg die politische Dimension stärker denn je betont. Andererseits erfüllt sie auch einen eminent praktischen Zweck: Sie schützt die Demonstranten vor Attacken der Polizei. Den gleichen Effekt erzielte die Verleihung des Friedensnobelpreises an Martin L. King: Weiße Nonnen und einen Friedensnobelpreisträger schlägt man nicht so leicht zusammen, und kommt es zu Gewalttaten gegen weniger prominente oder weltliche Demonstranten, so müssen sie schon durch einzelne Rowdys oder im Schutz der Dunkelheit geschehen — und der Eklat ist nicht minder groß. Nichts hat die amerikanische Öffentlichkeit so sehr aufgewühlt wie die Ermordung des weißen Pfarrers James Reeb aus Boston nach einer Demonstration in Selma und der Mord an einer weißen Aktivistin aus Detroit, Mrs. Viola Gregg Liuzzo, nach dem Marsch auf Montgomery, nachdem die Ermordung des jungen Farbigen Jimmie L. Jackson durch einen Polizisten während einer Demonstration — außer bei den Afro-Amerikanern und ihren weißen Freunden — kurz zuvor höchstens registriert worden war.
Unter dem Druck der Bürgerrechtsbewegung wie der Weltöffentlichkeit, namentlich in Afrika, formierte sich langsam auch die Willensbildung der Bundesregierung. 1957 brachte Präsident Eisenhower ein erstes, noch recht mildes Bürgerrechtsgesetz ein. Nachdem in den letzten 90 Jahren immer wieder die bestgemeinten Ansätze an der Obstruktion der südstaatlichen Demokraten gescheitert waren, hatten die Neger durch ihr massives und entscheidendes Votum für Kennedy in den Wahlen von 1960 auch politisch eine Handhabe gewonnen. Als sich die neue Regierung nur zögernd daran machte, die versprochene Bürgerrechtsgesetzgebung in Angriff zu nehmen, erlebte Amerika im Sommer 1963 eine neue Welle der Militanz, die ihrerseits Gewalttätigkeiten von Seiten einer Minderheit der Weißen provozierte. Der Marsch auf Washington vom 28. August 1963, bei dem rund 200 000 Bürger für eine baldige radikale Bürgerrechtsgesetzgebung demonstrierten, diente als Sicherheitsventil für die drängende Unruhe innerhalb der Bewegung, gleichzeitig als Druckmittel auf Regierung und Parlament.
Beides hatte Erfolg.
Der Mord an Kennedy im November 1963 in Dallas (Texas) war zugleich auch ein schwerer Schlag gegen die Bürgerrechtsbewegung, und weiße Rassisten des Südens begrüßten die Nachricht von der Ermordung des „nigger lover" Kennedy mit offenem Jubel. Nach dem Schock von Dallas folgte der „heiße Sommer"
1964, als im Schatten der Präsidentschaftswahlen ausgedehnte Rassenkrawalle eine weitere Zuspitzung befürchten ließen. Die Unruhen gaben jedoch Johnson die Mittel in die Hand, die große, schon von Kennedy vorgelegte Bürgerrechtsvorlage im Kongreß durch-zubringen und allen Widerständen zum Trotz die Substanz zu behaupten — eine Aufgabe, die ihm als Südstaatler und Nicht-Intellektuellen leichter fiel als dem intellektuellen Kennedy aus Boston. Das Bürgerrechtsgesetz von 1964 verbietet die Segregation und schafft neue Tatbestände, denen sich die Anhänger der Segregation zu unterwerfen haben, wollen sie nicht mit dem Gesetz des Landes in Konflikt geraten
Unter dem Eindruck der Demonstrationen von Selma und Montgomery brachte Johnson Ende März 1965 die Wahlrechtsvorlage ein, die allen Bürgern der USA das Wahlrecht auf der Basis der Gleichheit sicherstellen soll. Es wirkte als Bestätigung des großen Erfolgs, den die Bürgerrechtsbewegung erzielt hatte, als der Präsident am Ende einer großen Rede im Kongreß den Beginn des populärsten Lieds der Bürgerrechtsbewegung aufgriff: , We shall overcome"