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Eugen Gerstenmaier im Dritten Reich | APuZ 41/1965 | bpb.de

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APuZ 41/1965 Artikel 1 Eugen Gerstenmaier im Dritten Reich

Eugen Gerstenmaier im Dritten Reich

Fabian von Schlabrendorff

Einleitung

In seinem Propagandakrieg gegen die Bundesrepublik Deutschland bedient sich das Ulbricht-Regime mit Vorliebe der Verleumdung führender deutscher Politiker. Seine Behauptung, der freie Teil Deutschlands sei ein „militaristischer und revanchistischer Friedensstörer", soll vor allem dadurch glaubhaft gemacht werden, daß die Vertrauenswürdigkeit deutscher Staatsmänner untergraben wird.

Auf die Bundestagssitzung am 7. April 1965 in Berlin hat die Zonenpropaganda unter anderem mit wütenden persönlichen Angriffen auf Bundestagspräsident D. Dr. Gerstenmaier geantwortet. Sie hat sich dabei auf früher von ihr veröffentlichtes gefälschtes Material gestützt, das sie zum Beispiel in der Broschüre „Kreuzritter des Neokolonialismus" schon vor Jahren der Öffentlichkeit vorlegte. Neuerdings hat sie in ihrem sogenannten Braunbuch (1965)

die Behauptung zu belegen versucht, daß Dr.

Gerstenmaier an der Bekämpfung des kommunistischen Einflusses in den orthodoxen Nationalkirchen teilgenommen habe. Gerstenmaier hat niemals einen Zweifel daran gelassen, daß ihm nicht nur der nationalsozialistische, sondern auch der kommunistische Terror verhaßt war und ist.

So unsinnig, weil erweislich unwahr, ihre Behauptungen über die „nationalsozialistische Vergangenheit" Dr. Gerstenmaiers auch sind, I so kann die Ulbricht-Propaganda sich doch rühmen, klirrende Waffenhilfe ausgerechnet vom anderen Flügel, nämlich der sogenannten Deutschen National-und Soldatenzeitung, erhalten zu haben. Ihre wütenden Polemiken gegen den Bundestagspräsidenten stehen im wesentlichen auf dem Propagandamaterial Pankows. Das gleiche gilt von der „Spandauer Volkszeitung" und einigen anderen extremen Blättern.

---------------—----------—----------------------------------Auszüge aus einer Dokumentation, die soeben im Evangelischen Verlagswerk, Stuttgart, unter dem gleichen Titel, herausgegeben von Fabian von Schlabrendorff, erscheint.

Im Unterschied zu vielen in ähnlicher Weise zu Unrecht Angegriffenen ist der Bundestags-präsident in der Lage, die Unhaltbarkeit der kommunistischen und rechtsradikalen Angriffe zu beweisen.

In der Zeit vom 1. August 1957 bis 1. Dezember 1963 hat der Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Maßmann, Kiel, an die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vier Schriftsätze gerichtet, in denen er im Auftrag des Generals a. D. Hermann Bernhard Ramcke gegen den Oberkonsistorialrat D. Dr. Eugen Gerstenmaier Verdächtigungen aussprach, die sich auf Gerstenmaiers politische Haltung während der Zeit des Nationalsozialismus bezogen. Dr. Gerstenmaier, der mich zu seinem Prozeßbevollmächtigten ernannte, stellte Strafantrag gegen Rechtsanwalt Dr. Maßmann und General a. D. Ramcke. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Voruntersuchung gegen beide eröffnet.

Nach ihrem Abschluß erhob der Oberstaatsanwalt in Kiel Anklage gegen Rechtsanwalt Maßmann und General Ramcke wegen Beleidigung Gerstenmaiers, und zwar mit Rücksicht auf dessen politische Stellung gemäß § 187 a StGB.

Durch Beschluß der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts in Kiel wurde das Hauptverfahren eröffnet. Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde für die Zeit vom 11. bis 18. Februar 1964 festgesetzt. Auf Bitten der Verteidigung fand jedoch am 27. Januar 1964 eine außergerichtliche Vergleichsverhandlung statt. In ihr nahmen die beiden Angeklagten die von ihnen erhobenen Vorwürfe mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Für den Fall der Übernahme der Gerichtskosten auf die Staatskasse verpflichtete sich General a. D.

Ramcke außerdem, DM 3000, — an den Bundestagspräsidenten zu zahlen. Dieser zog daraufhin seinen Strafantrag zurück. Das Verfahren wurde eingestellt. Die folgende Dokumentation besteht zum großen Teil aus Zeugenaussagen, die der Untersuchungsrichter II beim Landgericht Kiel in dem erwähnten Strafverfahren während der Jahre 1960/62 protokolliert hat. Sie enthält ferner Zitate aus Akten, Büchern und Briefen, die nach 1933 entstanden sind. Ein verbindender Text gibt Erläuterungen, wo die vorgelegten Zeugnisse nicht aus sich selbst heraus, sondern erst im Zusammenhang mit anderen Fakten, namentlich solchen des Zeitgeschehens, richtig verstanden werden können. Das Zeugnis derjenigen Persönlichkeiten, deren Vernehmung Dr. Gerstenmaier als Nebenkläger für die Hauptverhandlung vorgesehen hatte, fehlt, weil das Verfahren nach dem Vergleich eingestellt wurde. Zu ihnen gehören Gräfin Freya von Moltke, die Landgerichtsdirektorin Gräfin Yorck, Propst D. Grüber und Professor Dr. med. K. Kramer. Den Angeklagten ist es nicht gelungen, auch nur einen Zeugen zu stellen, der ihre Verdächtigungen bestätigt hätte.

Ein Wort der Begründung ist noch dafür am Platze, daß auf den folgenden Blättern subjektive Urteile neben objektiven Bekundungen zu finden sind. Das hängt damit zusammen, daß der Mann, der mit dieser Dokumentation gegen politische Verdächtigungen geschützt wird, unter der nationalsozialistischen Herrschaft sowohl im Dienste seines kirchlichen Amtes wie des planvollen politischen Widerstandes seine Kontrolleure in den Behörden und in der Gestapo systematisch irreführen mußte. Wer einem totalitären Regime in dessen Machtbereich aktiv widerstehen will, muß in den Untergrund gehen oder sich tarnen. Das dafür bekannteste und wahrscheinlich auch konsequenteste Beispiel bietet Kurt Gerstein, der mit einem SS-Rang in das Reichssicherheitshauptamt eintrat, um zu erfahren, was wirklich geschah, und den Mördern in den Arm zu fallen. Er wurde vermutlich 1945 ermordet und erst Ende Januar 1965 rehabilitiert. Am 25. Februar 1961 schrieb Dr. Fred Luchsinger, langjähriger Deutschland-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, in Nr. 55 seines Blattes: „Zum vornherein muß wohl anerkannt werden, daß Widerstand von innen gegen ein totalitäres und terroristisches Regime, sofern man ihn überhaupt versuchen wollte, eine andere Verhaltensweise verlangt als etwa der offene Aufruhr. Tarnung, scheinbares Mitmachen waren unter solchen Umständen unumgänglich, und damit war auch die Verstrickung in die Mitverantwortung schon vollzogen.

Wer in dieser Art von Widerstand engagiert war, mußte sich überdies klar sein, daß sein Verhalten später Mißdeutungen und Verdächtigungen ausgesetzt sei, daß der Schein in vielem gegen ihn zeugen würde."

Gerstenmaier hat, wie fast jeder seiner Freunde im aktiven Widerstand, dieses Risiko bewußt auf sich genommen, nachdem er — wie zum Beispiel auch Dietrich Bonhoeffer — erkannt hatte, daß der Nationalsozialismus nur noch mit Gewalt überwunden werden könne. Als Mitglied des organisierten deutschen Widerstandes unterwarf er sich einer übrigens oft ganz unzureichenden Tarnung.

Sie war unzureichend, weil ihm zuwider war, darin noch weiter zu gehen. Aber auf sie konnte nur überhaupt verzichten, wer bereit war, sich als Märtyrer hinter undurchdringlichen Mauern umbringen zu lassen, oder wer furchterfüllt keine Hand regen wollte oder wer nur an seine eigene weiße Weste dachte.

Gerstenmaier hat jahrelang auch deshalb so entschieden zum offenen Aufruhr gedrängt und sich, als es soweit war, unmittelbar an ihm beteiligt, weil ihm die Tarnung und der Verzicht auf die offene, freie Rede immer unerträglicher wurden. Er, der systematische Theologe, kannte zwar den qualitativen Unterschied zwischen der Irreführung, die ein unverzichtbarer Teil seines Kampfes war, und der Lüge im strengen Sinn des Wortes. Er hielt sich an eine Definition seines Lehrers Brunstäd: „Die Lüge ist die bewußte Täuschung eines berechtigten Vertrauens". Diese Definition ist zwar nicht unbestritten, aber sie erwies sich als höchst hilfreich im Reiche Hitlers. Der Unrechtsstaat begibt sich des Anspruchs auf Loyalität. Er bezahlt die Entmündigung und Verknechtung seiner Bürger mit der Loyalität, die sie einem Rechtsstaat schulden, und mit allen Risiken, die sich daraus für die Machthaber ergeben. Der Rechtsstaat hat Anspruch auf das Vertrauen seiner Bürger, auch dann, wenn sie mit seinem politischen Weg nicht einverstanden sind. Der totalitäre Zwangsstaat verliert diesen Anspruch generell und vom ersten Augenblick an.

Weil Gerstenmaier nicht wie die meisten seiner Mitverschworenen nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet, sondern, wie er selber sagt, „wie ein Brand aus dem Feuer gerettet" wurde, sah er sich der ehrverletzenden Verdächtigung ausgesetzt, er habe sein Leben durch die Preis-gabe seiner Freunde erkauft. Gegen die ver-giftende Nachwirkung solcher und ähnlicher Verunglimpfungen gibt es dort, wo die Dokumente versagen, nur noch einen Schutz: das Zeugnis lauterer Menschen. Die folgenden Blätter enthalten es.

Die Zeit im kirchlichen Außenamt

Die Veröffentlichungen Als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter ohne festen Anstellungsvertrag war G. von dem Leiter des Kirchlichen Außenamtes, Bischof D. Heckel, beauftragt worden, die wissenschaftliche Vorbereitung der 1937 nach Oxford einberufenen Weltkirchenkonferenz zu übernehmen. Im Rahmen der ihm übertragenen Aufgabe gab er 1937 das Sammelwerk „Kirche, Volk und Staat" heraus. Der Titel des Buches entspricht dem Thema der Oxforder Weltkirchenkonferenz. Es umfaßt Beiträge von Theologen und Juristen sowie einen Informationsbericht des damaligen Frankfurter Biologen Otmar von Verschuer. G.selbst ist mit seiner systematischen theologischen Arbeit über „Die Kirche und die Kirchen" darin vertreten. Noch vor seinem Erscheinen wurde das Buch verboten. Die Pässe der Delegierten der Deutschen Evangelischen Kirche und ihrer Mitarbeiter wurden eingezogen. Dem Leiter des Kirchlichen Außen-amtes gelang es zwar, den Band später, lange nach der Konferenz von Oxford, wieder freizubekommen, aber die ökumenische Arbeit der Deutschen Evangelischen Kirche blieb politisch suspekt und jedem Druck ausgesetzt.

1938 veröffentlichte G.sein Buch „Die Kirche und die Schöpfung", mit dem er sich habilitiert hatte. Beide Veröffentlichungen haben zur Begründung der Behauptung herhalten müssen, G.sei nationalsozialistisch gesinnt gewesen.

Diese Behauptung stützt sich unter anderem darauf, daß die wissenschaftliche Erörterung der vom Nationalsozialismus mit Vorliebe gebrauchten, richtiger: mißbrauchten, Begriffe wie Volk, Rasse, Gemeinschaft usw. ebenso ein Beweis nationalsozialistischer Gesinnung sei wie das Eintreten für legitime Interessen des deutschen Volkes und Staates während des Dritten Reiches. Nur so läßt sich das affekt-geladene Urteil erklären, das Karl Barth im Juli 1945 über das Buch und dessen Herausgeber gefällt hat. Ein Beispiel für viele mag verdeutlichen, was alles als „nationalsozia-listisches Ideengut" erscheinen kann, wenn Lektüre und Zitat nur noch der Absicht dienen, den Autor zu verdächtigen oder unglaubwürdig zu machen. So ist es G. als nationalsozialistische Äußerung angekreidet worden, daß er auf Seite 267 seines Buches „Die Kirche und die Schöpfung" schrieb:

„Die Grenze des Staates fällt mit seiner Aufgabe zusammen. Sie liegt dort, wo seine Maßnahmen und sein Anspruch seine eigene politische Gemeinschaft bedrohen. Die Rechtmäßigkeit des staatlichen Anspruchs hört dort auf, wo der Staat mit diesem Anspruch seine eigene Gemeinschaft nicht mehr schützt, sondern gefährdet oder verletzt. Das geschieht in jedem Fall, wo er sich nicht mehr in dem völkischen Gesetz, das er verwaltet, von dem Gesetz Gottes bestimmt und gebunden weiß, wo er die Gottbezogenheit und Gottunmittelbarkeit seiner Bürger nicht mehr in Wahrheit respektiert. Indem er sich damit selbst absolut setzt, verletzt er sein eigenes rechtmäßiges Integrationszentrum. Die Gemeinschaft wird zerstört, indem sie absolut gesetzt wird, die individuelle Person wird entrechtet, und an die Stelle der gewachsenen Gemeinschaft tritt eine anonyme Masse. Die Reintegration wird zur weiteren Desintegration, nur daß an die Stelle der atomistischen Vermassung eine organisierte kollektivistische Vermassung tritt."

Für jeden unbefangenen Leser bedarf das Zitat auch heute keines entschuldigenden Kommentars. Trotzdem hat man aus diesen und ähnlichen Ausführungen der von G. verfaßten oder herausgegebenen Schriften weiter den Schluß gezogen, G. müsse schon deshalb Nationalsozialist gewesen sein, weil das Regime seine Bücher unbeanstandet gelassen habe. Dieser Schluß ist schon faktisch unbegründet. Aus einem Bericht des Leiters der Kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes an die Gestapo vom 2. März 1938 geht hervor, daß das von G. herausgegebene Sammelwerk „Kirche, Volk und Staat" beschlagnahmt war. über das Buch „Die Kirche und die Schöpfung" erklärte Dekan D. Dr. Heckel, München (der frühere Leiter des Kirchlichen Außenamtes): „Das Buch Die Kirche und die Schöpfung'ist, wie das Vorwort deutlich sagt, eine für den Druck erweiterte Lizentiatenarbeit, die der zur lutherischen Bekennenden Kirche von Mecklenburg gehörende Theologieprofessor Brunstäd aus rein theologisch-wissenschaftlichen Gründen gestellt hatte. Sie diente einer Klärung des Verhältnisses von Schöpfungsglauben und Christenglauben. In vielen entscheidenden Punkten steht sie im Gegensatz zur Lehre Barths. Vielleicht ist das Urteil Barths (über G.) von daher erheblich beeinflußt. Daß die theologischen Lehrer G. s keine Nationalsozialisten waren und keine nationalsozialistischen Tendenzen vertraten oder billigten, wird schon daran deutlich, daß der im Vorwort mit besonderem Dank erwähnte Professor Helmuth Schreiner vom Gauleiter in Mecklenburg abgesetzt und des Landes verwiesen wurde. Die antinazistische Einstellung der theologischen Lehrer G. s, die seine Lizentiatenarbeit mit dem höchsten Prädikat qualifizierten, sowie der rein theologische Charakter dieser Arbeit machen das doch politisch wertende Urteil Barths über G. hinfällig."

G.selber hatte in seinem Vorwort geschrieben: „Thema und Aufgabe dieses Buches übergreifen die geistige Kampflage der Gegenwart. Seine Aufgabe ist es nicht, die Rufe des Tages in ihrem Für und Wider abzuwägen, sondern der Grundbeziehung nachzugehen, in der die Kirche Jesu Christi nach dem Willen und dem Auftrag ihres Herrn in dieser Welt lebt. Insofern, als im Kampf des Tages danach gefragt, darum gekämpft und danach gehandelt wird, ist das vorliegende Buch diesem Kampf verbunden, weil es in ihm geboren ist."

Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Münster begründete am 30. Mai 1952 die Verleihung der Ehrendoktorwürde mit an G. auch seiner „scharfsinnigen -Unter suchung über die Kirche und die Schöpfung". Während der Zeit seiner Kriegsdienstverpflichtung im Auswärtigen Amt wurde G. aufgefordert, eine Broschüre zu schreiben über „Frankreichs Protestantismus im Krieg".

Die Arbeit erschien als Heft 67 der Schriften des Deutschen Instituts für außenpolitische Forschung und zugleich als Heft 13 einer Schriftenreihe, die — was G. nicht wußte — den beleidigenden Titel führte:

„Frankreich gegen die Zivilisation". G. s Broschüre diente in ihrem Hauptteil einer überaus positiv gehaltenen Darstellung und Würdigung des Schicksals des französischen Protestantismus, insbesondere der Hugenotten. In ihrem zeitgeschichtlichen Teil begründete sie die These, daß der französische Protestantismus trotz seiner systematischen Verfolgung durch den französischen Staat sich im 19. und 20. Jahrhundert doch einem unreflektierten Nationalismus ergeben habe und sich insoweit untreu geworden sei. Für jedes ungetrübte Auge klar erkennbar hielt G. damit dem deutschen Protestantismus einen Spiegel vor, der diesen vor einer ähnlichen Kapitulation im NS-Staat warnen sollte. Zu Auseinandersetzungen kam es, als — wiederum ohne Zustimmung des Verfassers — einige Stellen gefärbt und geändert wurden.

Zu den Folgen solcher und ähnlicher Auseinandersetzungen gehörte es, daß G. im Dritten Reich kaum mehr etwas veröffentlichen lassen konnte. Als er den Versuch machte, die frühere Zeitschrift „Orient und Occident" neu herauszugeben, wurde es ihm verboten. Als er eine kritische wissenschaftliche Untersuchung über „Die Zukunft der Person im totalitären Kollektiv" herausbringen wollte, wurde sie beschlagnahmt.

Patriot im Dritten Reich Schon die Versuche, publizistisch an die Öffentlichkeit zu kommen, waren nur möglich, weil sich Gerstenmaiers politischer Freundeskreis im „anderen Deutschland" immer mehr vergrößerte und immer mehr zusammenhielt. Viele davon saßen in einflußreichen Positionen, waren dafür aber auch um so mehr auf Deckung und Tarnung angewiesen. Es war im Dritten Reich so selbstverständlich wie heute in Ostberlin, in Moskau oder in Peking, daß, behaupten etwas wer sich oder erreichen wollte, mindestens als unbedenklich gelten mußte. G. galt im Dritten Reich fast zu keiner Stunde als unbedenklich. Um so schwieriger war es, die Ablehnung, auf die er bei Behörden und Parteidienststellen stieß, zu überwinden, wenn das notwendig erschien. Was dazu im Interesse der Irreführung notwendig war oder von dem und jenem für notwendig gehalten wurde, hat G. nicht zu vertreten. Auch dann nicht, wenn es erweislich unzutreffend war.

Zuweilen kamen solche „Farbzeugnisse" (ganz wie später viele „Persilscheine") nur aus persönlichem Wohlwollen ihm gegenüber und ohne politische Hintergründe zustande. Dazu gehören zum Beispiel die Zeugnisse Professor Kochs, Dr. Freerksens und teilweise auch die Bischof Heckels. Ihnen liegt allerdings auch die begründete Überzeugung zugrunde, daß G. zu jeder Zeit ein vaterländisch gesinnter Mann gewesen ist. Tatsächlich hat sich G. im Kirchenkampf und später auch im politischen Widerstand stets die größte Mühe gegeben, die berechtigten Interessen Deutschlands zu vertreten, auch wenn er dabei Gefahr lief, als Nationalsozialist mißdeutet zu werden. „Das andere Deutschland" war ja gerade nicht bereit, das Deutsche Reich Hitler zu überlassen. Deshalb achtete G. bei seinem politischen Tun und Lassen stets sorgfältig darauf, nichts zu tun, was Deutschland schaden oder die Grenze zwischen dem von ihm entschlossen betriebenen Hochverrat zu dem von ihm abgelehnten Landesverrat verwischen konnte.

So handhabte er auch sein kirchliches Amt.

Der Chef des Kirchlichen Außenamtes, Bischof Heckel, hielt G. auch dann noch, als dieser von den Universitäten verjagt worden war. G.

arbeitete weiter im Ökumenischen Referat und übernahm es ganz, als der Leiter des Referats, der damalige Oberkonsistorialrat Dr. Krummacher, heute Bischof von Pommern, ins Feld ging. Der Ausbruch des Krieges drohte, wenn nicht die gesamte Auslandsarbeit der Deutschen Evangelischen Kirche, so doch ihre ökumenische Arbeit zum Erliegen zu bringen. G.

hat sie mit allen Mitteln gegen den wachsenden Druck der NSDAP, Ribbentrops und vor allem der Gestapo verteidigt und geschützt.

Zu diesen Mitteln gehörte nicht nur die Tarnung, sondern auch die organisierte Zusammenarbeit mit Männern des Widerstandes im Auswärtigen Amt, wie dem Legationsrat Hans von Haeften und Adam von Trott zu Solz. Beide waren Mitglieder des Kreisauer Kreises und sind nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet worden. Im Oberkommando der Wehrmacht fand er Hilfe und Deckung bei Admiral Canaris und seinen vertiauten Mitarbeitern, bei General Olbricht und Graf Stauffenberg.

Die nationalsozialistische Propaganda war besonders gefährlich für den Bestand der herkömmlicherweise nationalgestimmten Kirchen des Volks-und Auslandsdeutschtums. Ihr mußte entschlossen entgegengewirkt werden. Von zwei Seiten bedroht waren die orthodoxen Nationalkirchen des europäischen Südostens, als ihre Länder im Krieg unter massiven deutschen Einfluß gerieten. Die nationalsozialistische und die russisch-kommunistische Propaganda griffen beide nach ihrem leitenden Klerus. G. tat was er konnte, um ihn sowohl gegen kommunistische wie gegen nationalsozialistische Einflüsse immun zu machen. Zeugenaussage des Professors Dr. med. Rudolf Zenker, München, vom 20. September 1961:

„Kurz vor dem Kriege fragte ich G., wie es denn bei seiner Einstellung möglich sei, daß er dauernd im Ausland herumreise. Er sagte, das sei notwendig, um unter der Maske des Theologen den Nationalsozialismus zu bekämpfen." In einer Zeugenaussage des ehemaligen Leiters des Kirchlichen Außenamtes heißt es:

„Zu seinen (G. s) dienstlichen Aufgaben gehörten viele Reisen ins Ausland. Solche Reisen waren schwer zu bewerkstelligen. Die dazu notwendigen Paßgenehmigungen mußten stets erst erkämpft werden. Obzwar die kirchlich gesinnten Beamten im Auswärtigen Amt und in der alten Diplomatie nach Kräften halfen, mußte G. äußerst geschickt verfahren, wenn er seine wichtigen Reisen nicht gefährden wollte. Es blieb kein anderer Weg, als daß seine offiziellen Berichte eine Tarnfarbe trugen, während jeweils ein zweiter streng vertraulicher Bericht für einen engsten Kreis die Situation ungeschminkt darstellte. Leider mußte ich die gesammelten Zweitberichte vertraulicher Art am 21. Juli 1944 verbrennen.

Sie waren zwar bei der Haussuchung der Gestapo im Kirchlichen Außenamt an diesem Tage nicht entdeckt worden. Allein ihre Existenz war aber für G. und andere so lebens-bedrohlich, daß ihre Vernichtung nicht zu umgehen war. Wären sie und die Akten über die geheime Hilfsaktion für die Fremdarbeiter noch vorhanden, bedürfte es keiner weiteren Rechtfertigung für die Gesinnung und Haltung G. s in der damaligen Kampfsituation. Er hat niemals mit dem Nationalsozialismus sympathisiert, sondern war, solange ich ihn kenne, ein Gegner davon."

Dr. Paul Collmer, ehemaliger Dachauer KZ-Häftling, jetzt Vizepräsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, erklärte bei seiner Zeugenvernehmung am 9. Dezember 1960 in diesem Zusammenhang:

„In kirchlicher Beziehung ist G. vielleicht durch die äußerlich vermittelnde Haltung von Bischof Heckel, des Leiters des Kirchlichen Außenamtes, bei dem er tätig war, in den Verdacht geraten, ein . Kompromißler'zu sein. Diese Haltung Heckels ermöglichte es ihm gerade, um so besser die Beziehungen zum Ausland und zu den ausländischen Kirchen aufrecht zu erhalten. Wenn G.selbst während des Krieges im Ausland tätig sein konnte, so beweist das nicht seine nationalsozialistische Haltung, sondern dies wurde ermöglicht durch seine Freunde im Auswärtigen Amt."

Wie sich der Feuerschutz seiner politischen Freunde auswirkte, geht aus einer Mitteilung der Kulturabteilung an die Abteilung Deutschland (V) des Auswärtigen Amtes vom 23. August 1940 hervor:

„Der Mitarbeiter beim Kirchlichen Außenamt, Dr. G., und seine Aufgaben sind hier bekannt. Seine häufigen Reisen ins Ausland liegen im deutschen kulturpolitischen und Deutschtumsinteresse. Die Ausfertigung eines Dauersichtvermerks für den Genannten wird daher befürwortet."

Zu Beginn des Krieges war G. im Auswärtigen Amt gefragt worden, ob er nicht bereit wäre, eine Friedensvermittlung durch den Erzbischof von Schweden in Gang zu bringen. Die Frage wurde ihm von dem damaligen Gesandten von Twardowski, offensichtlich im Auftrag des Staatssekretärs von Weizsäcker, vorgelegt. G. erinnerte sich an eine gleiche Aktion des früheren schwedischen Erzbischofs Söderblom im Weltkrieg. Sie war 1917 leider viel zu spät unternommen worden und gescheitert. Obwohl G. mit allen seinen Freunden der Überzeugung war, daß sich Hitler mit seinem Krieg das eigene Grab zu schaufeln begonnen habe, war er doch sogleich bereit, auf den Wunsch des Auswärtigen Amtes einzutreten. Er war sicher, daß dieser Wunsch auch von Ribbentrop und Hitler selbst gebilligt werde, daß ihm aber dennoch sofort entsprochen werden müsse, um dem Krieg noch im Entstehen den Garaus zu machen. Denn ein um den Preis von Millionen von Menschenleben zustande gekommener Sturz Hitlers mußte verhindert werden. G.

war mit seinen engsten Freunden im politischen Widerstand der Meinung, daß Hitler und seine Paladine ohne Krieg von deutschen Soldaten gestürzt werden müsse und schließlich auch gestürzt würde.

Noch im September 1939 fuhr G. mit seinem Freund Dr. Hans Schönfeld, dem deutschen Direktor der Forschungsabteilung des ökumenischen Rates in Genf, und dessen schwedischem Mitarbeiter Ehrenström zunächst nach Uppsala. Der schwedische Erzbischof Eidern, der G. immer väterlich freundschaftlich aufnahm, verwies ihn jedoch an den dafür geeigneteren Primas von Norwegen, Bischof Berggrav in Oslo 1). Dieser sagte gegen ernste Bedenken zu. G. hatte Berggrav zuvor sein Wort gegeben, daß das Motiv seines Handelns nicht die Rettung Hitlers und seines Systems sei, sondern allein die Verhinderung eines großen Krieges. An dem Sturz Hitlers — so erklärte G.dem Bischof — arbeiteten Kreise der deutschen Armee.

Die Bedenken, die nicht nur bei Berggrav, sondern auch bei anderen führenden Persönlichkeiten des skandinavischen Staatskirchentums gegen die Aktion bestanden, drohten vertieft zu werden durch Professor Sigmund-Schultze. Dieser war Honorarprofessor an der Berliner Universität gewesen, ein führender Pazifist und ein scharfer Kritiker des Kirchlichen Außenamtes und seines Leiters. G.selbst kannte er gar nicht. Sigmund-Schultze wollte im Herbst 1939 aus der Schweiz, wo er damals lebte, nach Schweden reisen. Dr. Schönfeld machte G. darauf aufmerksam, daß Sigmund-Schultze die Aktion in Skandinavien ernstlich stören könnte, weil er das Kirchliche Außenamt und alles, was zu ihm gehöre, im Ausland hemmungslos verdächtige. Im Interesse der ungehinderten Durchführung der skandinavischen Friedensvermittlung legte G. daraufhin dem Auswärtigen Amt nahe, Sigmund-Schultze das Visum nach Skandinavien zu jener Zeit zu versagen. Die Ostzonenpropaganda, die vergessen machen will, welche Rolle Stalin bei der Anzettelung des 2. Weltkrieges gespielt hat, nimmt diesen Vorgang zum Anlaß, um Gerstenmaier als willfährigen Helfer des Nationalsozialismus zu kennzeichnen. Es ist selbstverständlich, daß der offizielle Bericht auch über diese Reise für das Auswärtige Amt von Gerstenmaier so abgefaßt wurde, daß die nationalsozialistischen Kontrolleure innerhalb und außerhalb des Auswärtigen Amtes, insbesondere aber die Gestapo, keinen Ansatz für Einwendungen finden konnten. Die Besprechungen mit den Bischöfen Eidern und Berggrav wären für Gerstenmaier tödlich gewesen, wenn etwas von dem wirklichen Gang des Gesprächs der Gestapo bekannt geworden wäre.

In seiner Zeugenaussage berichtete Pfarrer Dr. Bachmann, Jöllenbek, über diese Friedensaktion wie folgt:

„Wir arbeiteten dann im Kirchlichen Außenamt zusammen. Nach dem Polenfeldzug war Dr. G. von Staatssekretär von Weizsäcker mit einer Friedensaktion über den norwegischen Bischof Berggrav beauftragt worden. Das Scheitern dieser Mission war meines Wissens der letzte Anstoß für G., sich der Widerstandsbewegung zuzuwenden. Im Rahmen seiner Tätigkeit für das Kirchliche Außenamt wurde Dr. G. auch sehr viel für das Auswärtige Amt tätig, in dem seine Freunde Trott zu Solz und Legationsrat von Haeften saßen. Hieraus und aus weiteren Verbindungen kristallisierten sich allmählich die Widerstandskreise. Ich habe diese und auch Graf Moltke und weitere maßgebliche Persönlichkeiten durch Dr. G. zum Teil in dessen Wohnung kennengelernt. Er schickte mich auch gelegentlich mit Geheim-nachrichten zu Trott von Solz."

Aber trotz noch so geschickter Tarnung und trotz des vorzüglichen Zusammenspiels mit seinen gleichgesinnten Freunden im Auswärtigen Amt wuchs der Druck der Parteidienststellen und der Gestapo gegen die zwischen-kirchliche Arbeit der Deutschen Evangelischen Kirche im allgemeinen, gegen das Kirchliche Außenamt im besonderen und vor allem gegen G. persönlich.

In Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 2. September 1940 und vom 30. November 1940 zum Beispiel heißt es noch über eine Reise G. s: „Da die Reise im deutschen kulturpolitischen Interesse liegt, wird die Ausfertigung der deutschen Sichtvermerke und des Empfehlungsschreibens befürwortet.

Da Dr. Gerstenmaier im Auftrage der Informationsabteilung nach Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien fährt, um dort innerhalb der orthodoxen Kirchenkreise eine getarnte antibolschewistische Aktion durchzuführen, darf gebeten werden, ihm bei der Beschaffung der erforderlichen Devisen behilflich zu sein."

Einige Monate später, am 18. April 1941, schrieb jedoch der Chef der Sicherheitspolizei und des SD an das Auswärtige Amt:

„Wie nachträglich bekannt wurde, ist Dr. Gerstenmaier seit mehreren Jahren als Referent für Fragen des Weltprotestantismus im Kirchlichen Außenamt tätig und steht der Bekenntnisfront nahe.

(Dazu handschriftlicher Vermerk:) Dieses Herrn bedient sich das AA für Auslandspropaganda. Abt. D ist der Ansicht, daß G. als Bekenntnisfrontier für Sonderaufträge im Ausland nicht mehr angesetzt werden kann."

Eine Notiz des damaligen Legationsrates Büttner an den Leiter der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes vom 30. Dezember 1941 lautet:

„Abteilung Deutschland hat von Anbeginn der Tätigkeit Dr. Gerstenmaiers sehr skeptisch gegenübergestanden und sich gegen seine Verwendung durch das AA ausgesprochen. Der Bericht des Sicherheitsdienstes vom 24. November bestätigt die Richtigkeit dieser Stellungnahme. Abt. Deutschland bittet daher zu veranlassen: 1. die Einziehung des vom AA ausgestellten Dienstpasses, 2. die Aufhebung der vom AA veranlaßten Uk-Stellung."

Am 1. April 1942 teilte die Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes folgendes mit:

„An der Besprechung am 15. Januar hat als Vertreter der Informationsabteilung der Parteigenosse Krüger teilgenommen. Man ist sich darüber klar geworden, daß auf die Person Herrn Gerstenmaiers unbedingt verzichtet werden muß. Herr Büttner sagte mir heute, daß er anstelle von Herrn Dr. Krüger die kirchlichen Dinge in Zukunft selbst bearbeiten wird. Seine grundsätzliche Einstellung zur Einspannung der orthodoxen Geistlichkeit im Südosten ist positiv. Er lehnte jedoch Herrn Ger-stenmaier lOOprozentig ab und bezeichnete ihn sogar als gefährlich."

Das Ergebnis war schließlich das folgende Schreiben Heydrichs an Ribbentrop:

„Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD IV B 2— 272/42 E.

Berlin, den April 1942 Herrn Reichsminister des Auswärtigen Joachim von Ribbentrop — Persönlich — Berlin W 8 Wilhelmstraße 74— 76 Betr.: Kirchliches Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche — Bischof Dr.

Theodor Heckel, Berlin —.

Bezug: Ohne.

Sehr verehrter Herr Reichsminister!

Wie mehrfach festgestellt werden konnte, entfaltet das Kirchliche Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche seit mehreren Jahren, besonders aber seit Beginn des gegenwärtigen Krieges, eine außerordentlich aktive und umfangreiche Tätigkeit im Auslande.

Die eigentlichen Aufgaben des Kirchlichen Außenamtes bestehen vor allem darin, die deutschen Reichsangehörigen evangelischer Konfession im Ausland zu betreuen, die volksdeutschen Diasporagemeinden (zum Beispiel in Brasilien, Nordamerika und in den Süd-Ost-Staaten) zu unterstützen und die Verbindung der Deutschen Evangelischen Kirche zu den evangelischen Kirchen des Auslandes und zu den ökumenischen Einrichtungen zu pflegen. Während in den Jahren nach 1933 die einzelnen kirchenpolitischen Gruppen den Kampf um die Machtposition in der evangelischen Kirche austrugen, begann Bischof Heckel mit seinem Mitarbeiterstab ein umfangreiches Netz von Verbindungen und Beziehungen zu den verschiedensten Stellen auszubauen. Das Kirchliche Außenamt verstand es dabei, die jeweilige kirchenpolitische Situation geschickt für sich auszunutzen und gleichzeitig nach außen hin seine Neutralität zu wahren.

Das Ziel Heckels ist es, das Schwergewicht des Weltprotestantismus wieder auf das Ursprungsland, Deutschland, zurückzuverlegen. In Erkenntnis der seit den letzten ökumenischen Weltkonferenzen 1937 bis 1939 in England und Holland erkennbar gewordenen inneren Ohnmacht der Ökumene, die tatsächlich nur zum politischen Instrument der englischen Empirepolitik geworden ist, bemühte sich Hekkel um eine Zusammenfassung der kleinen lutherischen Auslandskirchen. Ausschlaggebend für seine Erfolge war vor allem die finanzielle Hilfe, die das Kirchliche Außenamt die-sen Kirchen gewähren konnte.

Während des gegenwärtigen Krieges bestand für Heckel Gelegenheit, auch die nichtrömischen katholischen Kirchen, insbesondere die Kirchen des Balkans, an sich zu binden. Hier leisteten ihm die politischen und militärischen Erfolge des Reiches in der Ausschaltung des englischen Einflusses in diesen Ländern gute Dienste. Nachdem Heckel schon vor Ausbruch des Krieges im Jahre 1939 mit Genehmigung des Auswärtigen Amtes eine Reise in die Balkanstaaten unternommen und hier mit den führenden Persönlichkeiten der orthodoxen Kirche verhandelt hatte, suchte sein Mitarbeiter, Dr. Gerstenmaier, nach Abschluß der Kampfhandlungen im Jahre 1941 die Kirchenführer Rumäniens, Bulgariens, Griechenlands und Serbiens auf, um — versehen mit einem Dienstpaß des Auswärtigen Amtes — als angeblicher Beauftragter des Auswärtigen Amtes mit den orthodoxen Kirchenführern Fühlung aufzunehmen. Bei dieser Gelegenheit versuchte Dr. Gerstenmaier, den ökumenischen Patriarchen beziehungsweise den Vatikan zu bewegen, auf die englische Regierung für die Lieferung von Getreide aus ägyptischen Häfen nach Griechenland einzuwirken 2) *.

Zur Festigung der aufgenommenen Beziehungen werden laufend vom Kirchlichen Außenamt in steigendem Maße Theologiestudenten aus dem Ausland ins Reich geholt und diesen unter Gewährung größerer Stipendien das Theologiestudium an deutschen theologischen Fakultäten ermöglicht. Während ihres Aufenthaltes in Deutschland werden die Studenten fast ausschließlich von den kirchlichen Stellen betreut. . .

Die Folge dieser Politik wird unter anderem sein, daß auch der deutsche Protestantismus, dessen antivölkische und antinationalsozialistische Haltung gerade während des gegenwär-tigen Krieges immer wieder bewiesen werden konnte, mit Hilfe des Auslandes neuen Auftrieb erhält und deshalb mit erheblich größeren Forderungen dem Nationalsozialismus gegenübertreten wird.

Bischof Heckel bietet nach meiner Auffassung in persönlicher Hinsicht nicht die Gewähr, die politischen Interessen im Ausland — und sei es nur auf dem kirchlichen Sektor — einwandfrei zu vertreten. Als deutscher evangelischer Bischof verfolgt er lediglich das Ziel, die Stellung der evangelischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus mit Hilfe seiner Auslandsbeziehungen zu festigen.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihre Stellungnahme zu dieser Angelegenheit mitteilen würden. Heil Hitler! gez. Heydrich."

Der Reichsminister schrieb darauf am 1. Juni 1942 an Staatssekretär von Weizsäcker unter „Geheim":

„Ich bitte Sie, die beteiligten Abteilungsleiter vertraulich anzuweisen, daß das Auswärtige Amt künftig keinerlei Beziehungen mehr zu dem Leiter des Kirchlichen Außenamtes der Deutschen Evangelischen Kirche, Bischof D. Theodor Heckel, oder seinem Vertreter, Dr. Eugen Gerstenmaier, zu unterhalten hat. Die Angelegenheit ist jedoch so zu behandeln, daß die Beendigung dieser Beziehungen nach außen hin nicht auffällig in die Erscheinung tritt." Das Spiel im und mit dem Auswärtigen Amt war aus. G. aber gab nicht auf. Er suchte und fand Beistand auch für seine kirchlichen Aufgaben im Oberkommando der Wehrmacht.

Widerstand und Staatsstreich

Vor dem 20. Juli 1944 Gerstenmaier datierte seinen Entschluß, über den Kirchenkampf bewußt hinaus-und in den organisierten politischen Widerstand zu gehen auf die große Krise vom Herbst 1938, die mit dem Münchener Abkommen schloß. Er hat erklärt, daß Hitlers Verhalten in dieser Krise ihn endgültig davon überzeugt habe, daß Hitler das Deutsche Reich in jedes Risiko hineinführen und schließlich ruinieren werde. Dazu kam, daß ihm die Zielsetzung des Kirchenkampfes („die Freiheit der Verkündigung") schon längst zu eng geworden war. Außerdem war ihm klar, daß die Methoden der Bekennenden Kirche nicht zureichten, um Deutschland wieder in einen Rechtsstaat zu verwandeln.

Zu seinen ersten politischen Freunden, die systematisch auf den Sturz Hitlers hinarbeiteten, gehörten der Berliner Rechtsanwalt Josef Wirmer, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, und der spätere Innenminister von Schleswig-Holstein, Dr. Dr. Pagel. Im Winter 1939 auf 1940 lernte G. die Grafen Helmuth von Moltke und Peter Yorck von Warten-burg kennen. Zu beiden entwickelte sich eine Freundschaft, die durch die Übereinstimmung auch im politischen Urteil immer mehr gefestigt wurde. Im Kreisauer Kreis des Grafen Moltke gehörte G. zu denen, die von Anfang an die Notwendigkeit der Gewaltanwendung zur Beseitigung Hitlers vertraten.

Entschlossen, nach dem Maß seiner Kräfte dazu beizutragen, hatte G. schon früh dem Grafen Fritz von der Schulenburg sein Wort gegeben, an einem Staatsstreich gegen Hitler teilzunehmen. Demgemäß widersetzte er sich auch denjenigen seiner Freunde im Kreisauer Kreis, die gegen ein Attentat waren. Nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 wandte sich der Kreis immer mehr den Männern zu, die sich systematisch mit der Vorbereitung des Staatsstreichs befaßten. G. nahm besonders an den Bemühungen des preußischen Finanzministers Popitz und des ehemaligen Botschafters Ulrich von Hassell teil, die sich um die Herstellung einer breiten Aktionseinheit der verschiedenen Gruppen des deutschen Widerstandes bemühten.

Auf Grund der Verabredungen mit den Grafen Yorck und von der Schulenburg begab sich G. am 20. Juli 1944 zu Stauffenberg in die Bendlerstraße (Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht), um mit seinen Freunden die Sache durchzustehen. Obwohl er sich als Zivilist hätte absetzen können, blieb er doch mit dem Rest seiner Freunde am Schauplatz der Ereignisse. Nach der Schießerei in der Bendlerstraße erkundete er im Einvernehmen mit ihnen die Möglichkeit, aus der Bendlerstraße herauszukommen. Dabei wurde er verhaftet, zurückgebracht und in der Nacht zusammen mit Yorck, Schulenburg, Schwerin, Berthold Stauffenberg und Bernardis in die Keller von Himmlers Hauptquartier in Berlin eingeliefert. Diese Vorgänge sind Gegenstand einer Untersuchung des Generalstaatsanwalts von Rheinland-Pfalz gewesen, sie sind außerdem in zahlreichen wissenschaftlich gearbeiteten Werken historisch dokumentiert und jedermann zugänglich.

Uber Gerstenmaiers Schritt vom Kirchenkampf in den organisierten politischen Widerstand gab Professor Dr. Schreiner vor dem Untersuchungsrichter folgendes zu Protokoll:

„Ich hielt, auch nachdem ich nach Münster gezogen war, die Verbindung mit G. aufrecht, und wir trafen von Zeit zu Zeit unter anderem auch mit dem jetzigen Prälaten Kunst und anderen Persönlichkeiten zusammen, wobei G. uns über die politische und militärische Lage unterrichtete. G. berichtete auch von den Plänen des Kreisauer Kreises'. Die Gestapo hat von unserer Kenntnis dieser Dinge aber nichts erfahren. Ich und meine Freunde sind von der Gestapo nach dem 20. Juli 1944 in keiner Weise behelligt worden."

Der spätere Oberverwaltungsgerichtspräsident a. D. Paul van Husen, Münster, erklärte als Zeuge am 10. Oktober 1960:

„G. gehörte zum engsten Kern des , Kreisauer Kreises’, der aus Graf Moltke, Graf Peter Yorck, Adam von Trott zu Solz, Julius Leber, Carlo Mierendorff, Theo Haubach, Reichwein und mir bestand. Auswärtige Mitglieder waren der spätere Ministerpräsident Theodor Steltzer und der spätere Bundesminister Lukaschek. In diesem Kreis war Dr. G.seiner Natur nach eine der aktivsten Persönlichkeiten. Er war auch, entgegen der ursprünglichen Theorie des , Kreisauer Kreises’, ein Vertreter derjenigen, die auf aktives Handeln drangen. ... Was in den großen Versammlungen des , Kreisauer Kreises'erörtert wurde, war betont staatsrechtliche und weltanschauliche Theorie, während im engen Kreise wesentlich auch die Frage des konkreten Handelns und eines Militärunternehmens erörtert wurde."

Zeugenaussage des Oberkirchenrats a. D. Wilhelm Pressel, Stuttgart:

„ 1940 wurde ich durch Dr. G. in Verbindung gebracht mit der Widerstandsbewegung und von ihm und anderen Freunden, Graf Yorck, Graf Moltke, Dietrich Bonhoeffer und anderen, auf dem laufenden gehalten. Außerdem benannte mich Dr. G. bei Goerdeler als Verbindungsmann der Widerstandsbewegung zu Landesbischof Wurm, dessen engster Mitarbeiter ich von 1933 bis 1945 war, zugleich als sein kirchenpolitischer Referent, als Mitglied des Landesbruderrates der Bekennenden Kirche in Württemberg und als Mitglied des Reichsbruderrats der Bekennenden Kirche. Dr. Goerdeler suchte mich durchschnittlich alle 6 bis 8 Wochen auf zwecks gegenseitiger Information, wie dies ebenso von Seiten Dr. G. s laufend geschah. Ich erfuhr durch Dr. G. von den mehrfach versuchten gescheiterten Attentaten und glaube mich zu erinnern, daß er spätestens vom Jahre 1943 an, ebenso wie Dietrich Bonhoeffer, die die Widerstandsbewegung beunruhigende und teilweise lähmende Frage nach dem Recht und der Pflicht zur aktiven Beseitigung eines Tyrannen positiv beantworten zu müssen glaubte."

Zeugenaussage des Militärbischofs D. Hermann Kunst, Bonn:

„Am 20. Juli 1944 war ich in Rußland als Kriegspfarrer, kann aber über die Vorgänge folgendes sagen: 1942 wurde ich durch Dr. G., nachdem ich bei ihm von Professor Schreiner und Präses Dr. Koch angekündigt war, über die Pläne der Widerstandsbewegung informiert und in der Folgezeit auch auf dem laufenden gehalten.... Ebenso wußten die von mir schon genannten Bischöfe hiervon. Dr. G. sagte mir auch in einem Gespräch, daß er bereit sein würde, auf Hitler zu schießen. Wir erörterten dabei die kirchliche Rechtfertigung einer solchen Maßnahme."

Zeugenaussage des Dekans D. Heckel, München: „Die Verbundenheit Dr. G. s mit der Widerstandsbewegung während seiner Tätigkeit im Kirchlichen Außenamt ist mir bekannt gewesen. Ich wußte, daß er aktiv im , Kreisauer Widerstandskreis'stand. Für den Fall X war zwischen uns eine Sprachregelung getroffen worden, die auch eingehalten wurde. Am 20. Juli 1944 wurde Dr. G. in der Bendlerstraße verhaftet. Das war mir zunächst unbekannt, da er mit Austauschstudenten im Gebirge sein sollte. Am 21. Juli 1944, morgens ab 7 Uhr, lief — zunächst in Abwesenheit der Referenten und des Personals — im Kirchlichen Außenamt eine Haussuchung der Gestapo an, die über die Lage Aufschluß gab. Meiner Sekretärin war es gelungen, mich telefonisch zu verständigen. Beim Betreten meines Amtszimmers traf ich die Gestapobeamten bei der Sichtung meines Briefwechsels, aus dem sie Dokumente entnahmen. Entsprechend meiner Abrede sprach ich mein Erstaunen aus, daß man Dr. G. mit der Sache in Verbindung bringen wolle. Seine Anwesenheit in der Benlerstraße erklärte ich mit dem Hinweis, daß Dr. G. wegen Einziehung und Zurückstellung von Auslandspfarrern dienstlich oft dort zu tun gehabt habe. Belastendes Material wurde nicht gefunden. — Eine weitere Verschärfung ergab sich, als der Freund Dr. G. s, Pfarrer Lic. Bachmann, den ich zur Mitarbeit in unserem Hilfswerk für die Kriegsgefangenen gewonnen hatte, von der Gestapo in eine Falle gelockt, verhaftet und zum Alexanderplatz gebracht wurde. Bei der Verhaftung im Büro waren die Berichte über die Judenverfolgungen, die Kartei über die verhaftete evangelische Prominenz in Frankreich und ein Rekonstruktionsplan für den Wiederaufbau der Evangelischen Kirche nach dem Zusammenbruch mitgenommen worden. Diese Tatsachen waren aber erst durch die Verhöre bekannt. Da eine geheime Verständigung mit Dr. G. und Bachmann lief, wußte ich, daß Dr. G. trotz Folterung keinen Namen preisgab."

Zeugenaussage des Vizepräsidenten Dr. Paul Collmer, Stuttgart:

„Ab 1940 habe ich in der Wohnung G. s wiederholt an Besprechungen teilgenommen, die eindeutig auf Widerstandshandlungen hinzielten. Ich wurde durch ihn auch gleich über seine erste Besprechung in Kreisau unterrichtet und in der Folgezeit über die wesentlichen Vorgänge auf dem laufenden gehalten, bis ich selbst im Januar 1943 verhaftet und später ins KZ Dachau gebracht wurde. In diesen Jahren unterrichtete G. auch Landesbischof Wurm."

In den Händen der Gestapo und Freislers Am 11. Januar 1945 wurde Dr. Gerstenmaier, damals Konsistorialrat im Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche, vom 1. Senat des Volksgerichtshofs unter dem Vorsitz seines Präsidenten Roland Freisler zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Vertreter des Oberreichsanwalts hatte die Todesstrafe beantragt. Die mitangeklagten Freunde G. s aus dem Kreisauer Kreis wurden im gleichen Verfahren, teils zum Tode, teils zu Freiheitsstrafen, verurteilt. Todesurteile ergingen gegen den Grafen Helmut Moltke, den Jesuitenpater Alfred Delp, den Sozialdemokraten Dr. Theo Haubach und den späteren Ministerpräsidenten Theodor Steltzer. Mit Ausnahme von Steltzer, der überlebte, wurden sie bald danach hingerichtet. G. wurde mit Ernst Josef Fugger von Glött, der im gleichen Verfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war, vor den anrückenden Russen nach Süden geschafft. Er landete im Zuchthaus Bayreuth/St. Georgen, wo er am 14. April 1945 von der amerikanischen Armee befreit wurde.

Das Urteil und die Urteilsbegründung wurden den Verurteilten niemals zugestellt. Mitte oder Ende Oktober 1944 war ihnen der Haftbefehl ausgehändigt worden, nachdem die Untersuchung schon abgeschlossen war. Die Anklageschrift folgte dem Tenor des Haftbefehls. Wie es möglich war, daß Gerstenmaier als einer der aktivsten Verschworenen mit dem Leben davonkam, ergibt sich aus folgenden Zeugenaussagen:

Frau Hanna Schwarz, Oberlenningen i. Württ., eine Schwester G. s, am 13. April 1961:

„Als ich Leiterin eines Landschulheimes war, lernte ich eine junge Sportlehrerin, Liesel Gebhardt, kennen, mit der ich mich trotz vielfach gegensätzlicher Einstellung allmählich anfreundete. Sie heiratete später den stellvertretenden Reichspressechef Sündermann. Wir besuchten uns gegenseitig auch während des Krieges, und da sie mir einmal erzählt hatte, daß sie Freisler kenne, habe ich mich nach dem 20. Juli 1944 zunächst an ihren Mann gewandt, wo mein Bruder verblieben war, worüber mir Sündermann aber keine Auskunft geben konnte. Als wir von der Anklage vor dem Volksgerichtshof hörten, bat ich Frau Sünder-mann, sich bei Freisler für meinen Bruder zu verwenden. Das Gespräch muß kurz vor der Verhandlung gegen meinen Bruder stattgefunden haben, und sie muß auch alsbald mit Freisler darüber gesprochen haben, denn sie berichtete mir kurz darauf, sie habe ihn bei einem Essen getroffen und ihm erzählt, daß sie meinen Bruder bei mir kennengelernt habe und daß er ein ehrlicher und aufrechter Mann sei, dem man nichts Schlechtes zutrauen könne. Freisler habe ihr dann auch versprochen, sich für ihn zu verwenden. . . . Mein Bruder berichtete nach seiner Freilassung, daß es für ihn unerklärlich gewesen sei, daß Freisler seiner Darstellung scheinbar Glauben geschenkt, habe, obwohl er sie anhand der Unterlagen hätte widerlegen können . . .

Nach dem Urteil hat Freisler Frau Sünder-mann, wie sie mir berichtete, angerufen und gefragt, ob sie mit dem Urteil zufrieden sei."

Zeugenaussage von Frau Elisabeth Palmer-Gebhardt, Stuttgart, am 25. September 1961:

„Ich war mit Frau Schwarz befreundet, da wir denselben Beruf hatten, und als nun nach dem 20. Juli 1944 Dr. Gerstenmaier verhaftet war, kam Frau Schwarz zu mir mit der Bitte, mich doch für ihren Bruder bei Freisler zu verwenden. Mein damaliger Ehemann war nämlich Stabsleiter und stellvertretender Reichspressechef und hatte dienstlich mit Freisler zu tun. Ich selbst kannte Freisler zu dieser Zeit noch nicht persönlich, habe ihn aber auf ihre Bitte hin eingeladen, weil mein Mann einen Besuch in seiner Dienststelle für zwecklos hielt. Bei dieser Gelegenheit haben wir uns recht gut unterhalten . .. Als ich an dem Abend, an dem Freisler und Frau uns besuchten, das Gespräch auf den Fall Dr. Gerstenmaier brachte, war Freisler zunächst erstaunt, bis ich ihm erläuterte, daß ich mit Frau Schwarz befreundet war und die Familie Dr. G. s gut kannte, und daß ich Dr. G. keine strafbare Handlung zutraute. Er hörte mich ruhig an, und ich erklärte zum Schluß, daß, selbst wenn etwas gegen Dr. G. vorliegen sollte, man doch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen könne. Freisler anwortete mir darauf zwar nicht, aber er sah mich so an, daß ich den Eindruck hatte, er würde meine Worte berücksichtigen. Freisler hat mir über die Fälle und über die Art der Belastung von Dr. G. und dessen Mitangeklagten nichts gesagt. Ich kann mich nicht erinnern, erklärt zu haben, daß Freisler sich geäußert hätte, Dr. G.sei besonders belastet. Richtig ist aber, daß er hinterher mich anrief und fragte, ob ich mit dem Urteil zufrieden sei."

Zeugenaussage von Josef Ernst Fürst Fugger zu Glätt, Kirchheim/Schwaben, am 6. Dezember 1960:

„Die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof dauerte drei Tage. Die Vernehmung Dr. Gerstenmaiers durch den Vorsitzenden dauerte erhebliche Zeit. G. verteidigte sich aber sehr geschickt, indem er den Weltfremden und Unwissenden spielte, so daß Freisler ihn einen politischen Dummkopf nannte. Durch die Art der Verteidigung Dr. G. s wurden wir Mitangeklagten nicht etwa belastet; vielmehr hätte es nur zu unserem Nachteil dienen können, wenn er den ganzen Umfang unserer Besprechungen offen dargelegt hätte. Aus der Verhandlung war nicht ersichtlich, daß G. einen der früheren Angeklagten oder andere Beteiligte in irgendeiner Weise belastet hätte. Im übrigen hatte ich nach dem Gang der Verhandlung ganz den Eindruck, daß das Urteil schon vorher feststand. So behandelte Freisler mich recht gut und überhörte geflissentlich Äußerungen eines anderen Mitangeklagten, die für mich sehr belastend waren."

Persönliche Feinde Gerstenmaiers haben aus dem milden Urteil des Volksgerichtshofs die Verdächtigung hergeleitet, G. müsse, um sein Leben zu retten, seine Freunde verraten haben.

Für die Hinterbliebenen der Opfer, für die überlebenden Mitstreiter aus dem Widerstand und für andere Beteiligte aus jener Zeit ist freilich niemals auch nur der Schatten eines solchen Verdachts auf G. gefallen. So heißt es in einem Brief, den die Witwe des Münchner Stadtdekans Dr. Friedrich Langenlass unmittelbar nach dessen Tod am 15. Februar 1965 an den Bundestagspräsidenten gerichtet hat:

„Mir und unseren Kindern hat er unauslöschlich eingeprägt, daß Sie ihm durch Ihr Schweigen in der Zeit des Widerstandes das Leben gerettet haben; er hat Ihnen das nie vergess ___ e __ n _ . II Der Oberverwaltungsgerichtspräsident a. D. Paul van Husen in Münster hat nach dem Protokoll des Untersuchungsrichters dazu folgendes ausgesagt:

„In meinem Verfahren ist mir die Anklage nicht vorgelegt worden. Wie man auf mich als Beteiligten gekommen ist, weiß ich nicht. Mir ist aber nie vorgehalten worden, daß ich von Dr. G. belastet worden wäre. Ich wurde erst Anfang Oktober 1944 verhaftet. Zu dieser Zeit war der Gestapo schon im wesentlichen alles bekannt, und ich bin auch nicht nach Dr. G. befragt worden."

Zeugenaussage von Pfarrer Dr. Bachmann, Jöllenbek: „Ich wurde im Juni 1944 verhaftet, weil ein Privatbrief mit Angaben über deutsche Kriegs-gefangene in die Hände der Gestapo geraten war. Nach dem 20. Juli 1944 ist Dr. Gerstenmaier über mich vernommen worden, hat mich aber gedeckt, und man hat ihm auch geglaubt, so daß ich am 24. Februar 1945 aus der Haft entlassen wurde."

Zeugenaussage von Bischof D. Hermann Kunst, Bonn:

„Wenn Dr. Gerstenmaier bei seinen Vernehmungen durch die Gestapo irgend etwas über meine Kenntnisse von den Vorgängen in der Widerstandsbewegung gesagt hätte, wäre ich zweifellos festgenommen worden und hätte auch diese Kenntnis nicht abstreiten können. Ebenso wären die Bischöfe dann als , Staatsfeinde'erkannt und verhaftet worden. Da keiner von uns in dieser Sache als verdächtig oder als Mitwisser vernommen worden ist, muß Dr. G. geschwiegen haben ... Nach seiner Freilassung sprach ich mit Dr. G. über seine Vernehmung. Er sagte mir, daß er geglaubt habe, eine nochmalige Mißhandlung nicht zu überstehen, und daß er deshalb die Absicht gehabt habe, sich die Pulsadern zu öffnen, um einen Verrat seiner Freunde zu verhindern. Glücklicherweise sei es dazu aber nicht gekommen." Zeugenaussage von Landgerichtsrat Dr. Brun-städ:

„Weder mein Vater noch ich sind im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 von der Gestapo vernommen worden. Dabei würde der leichteste Hinweis genügt haben; denn mein Vater und ich galten als politisch verdächtig."

Zeugenaussage des Verlegers Ewald Heinrich von Kleist, München, am 14. April 1961:

„Ich kannte Dr. Gerstenmaier vor dem 20. Juli 1944 nicht. Ich war aber über die Widerstandsbewegung unterrichtet... Im Gefängnis in Tegel habe ich sowohl in der Freistunde als auch beim Duschen fast täglich Gelegenheit gehabt, mit Dr. G., Moltke und anderen zu sprechen. Dr. G. sagte bei diesen Gelegenheiten, wenn wir unsere Aussagen miteinander absprachen, er stelle sich dumm, er sei Pastor und verstehe nichts von Politik. Er erzählte auch einmal, ihm sei von der Gestapo ziemlich übel mitgespielt worden. Einzelheiten über seine Mißhandlungen hat er nicht berichtet. Er äußerte ferner, er hoffe, zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt zu werden, denn die Herrschaft des Nationalsozialismus könne nicht mehr lange dauern und dann würden wir wieder frei sein. Sollten sie allerdings am Ruder bleiben, dann möchte er doch lieber hängen. — Ich glaube nicht, daß Dr. G. aus der Gruppe der am 7. August 1944 verurteilten Offiziere herausgenommen worden ist, weil die Gestapo in ihm ein willfähriges Werkzeug gesehen hätte, um weitere Mittäter zu entdecken. Denn bei dieser Gruppe handelte es sich um die am militärischen Aufstandsversuch und Attentat maßgeblich beteiligten Offiziere, zu denen G. nach der Art seiner Tätigkeit nicht gehörte. Im Gefängnis hatte ich Gelegenheit, viele der Männer aus der Widerstandsbewegung zu sehen, bei denen wir uns in Freiheit schon überlegt hatten, wie ihre Haltung wohl sein würde, wenn es hart auf hart ginge. Dabei muß ich sagen, daß Dr. Gerstenmaier mit Abstand die beste Haltung zeigte und ich ihm irgendeinen Verrat an seinen Kameraden danach nicht zutrauen kann .. . Die Gestapo hat durch die in der Bendlerstraße und an anderen Stellen aufgefundenen Listen weitgehend die Namen der Hauptbeteiligten erfahren, so daß gar nicht mehr allzu viele Namen durch Vernehmungen zu ermitteln waren."

Zeugenaussage des Pfarrers Dr. Harald Poelchau, Berlin-Zehlendorf, am 5. Januar 1962:

„Im Jahre 1944 war ich als Gefängnispfarrer in Tegel tätig. Ich hatte außerdem auch seelsorgerisch in Plötzensee zu tun, während umgekehrt mein katholischer Kollege, Prälat Buchholz, bei uns in Tegel erschien. Nach meiner Erinnerung kam in der zweiten Hälfte des September 1944 eine ganze Reihe der Häftlinge des 20. Juli zu uns nach Tegel, darunter auch Moltke, Delp und Gerstenmaier. Während ein Teil der Gefangenen später wieder von Tegel verlegt wurde, blieben etwa 20, unter anderem auch Moltke, Delp und G., bei uns. Ich habe sie infolgedessen etwa 3 Monate in der Anstalt kennengelernt und mich seelsorgerisch ständig mit ihnen befaßt. Der Kreis der Leute des 20. Juli hielt in der Anstalt eng zusammen. Man richtete sich gegenseitig auf, tauschte Nachrichten aus, und einer half dem anderen, so gut er konnte ... Ich selbst habe außer meiner seelsorgerischen Betreuung es als meine Pflicht angesehen, den mir anvertrauten Häftlingen nach Kräften zu helfen. Ich habe bei der Übermittlung von Aussagen ebenso geholfen wie bei der Benachrichtigung von Angehörigen und bei der Übermittlung von Briefen aus der Anstalt. So habe ich die Briefe, die Moltke an seine Gattin richtete, aus der Anstalt herausgebracht. Ich erinnere mich nicht, daß ich auch für G. einen Brief an seine Frau übermittelt habe, halte dies aber für möglich und aus der Situation heraus sogar für sehr wahrscheinlich. Ich weiß, daß G.des öfteren schreibend am Tisch saß. Er hatte eine erstaunliche Fertigkeit, zu diesem Zweck heimlich seine Fesseln abzustreifen. — Nach der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof erzählte mir G., daß er sich zur Tarnung „wie ein Depp" verhalten habe. Moltke und Delp haben nie davon gesprochen, daß sie durch die Art der Verteidigung G. s benachteiligt worden seien. Die herzliche Kameradschaft zwischen den dreien bestand nach wie vor. — Es war schon vor der Verhandlung angesichts der bestehenden Situation meine besondere seelsorgerische Aufgabe, den in meinem Bereich befindlichen Kreis der Leute des 20. Juli, also insbesondere auch Moltke, Delp und G., auf den wahrscheinlichen Tod vorzubereiten. G. war aus seiner religiösen Überzeugung heraus ein ausgesprochener Optimist. Delp dachte genauso, und ich hatte deswegen einigen -Kum mer mit ihm. Im übrigen ist die hervorragende Haltung der drei bis zum letzten Tage hervorzuheben. Von den Mißhandlungen, die G. während der vorangegangenen Vernehmungen bei der Gestapo erlitten hatte, habe ich von ihm während der Haft nichts erfahren. Er klagte damals nicht, wohl aber im Sommer 1945 bei gelegentlichen Gesprächen mit mir. — Nach meiner Beurteilung des Charakters von Gerstenmaier angesichts seiner Haltung in der Haft und seines Verhaltens zu seinen Tat-genossenhalte ich es für ausgeschlossen, daß G. Kameraden des 20. Juli preisgegeben oder gar verraten haben könnte."

Prälat Peter Buchholz, Bonn, am 29. September 1961:

„Ich war katholischer Gefängnisgeistlicher in Berlin und habe in dieser Eigenschaft sowohl evangelische wie katholische Gefangene gleichermaßen besucht. Ich erinnere mich genau, daß Dr. Gerstenmaier in der Zelle neben der des Pater Delp lag, und daß G. mir vor der Verhandlung sagte, er werde versuchen, den politischen Tölpel zu spielen. Nach der Verhandlung habe ich ihm gratuliert, daß ihm dies so gut gelungen sei. — Mir haben weder Delp noch von Moltke oder andere Mithäftlinge auch nur die geringste Andeutung gemacht, daß sie sich durch einen der Mitgefangenen oder insbesondere Dr. G. verraten fühlten ... Die Haltung von Dr. G. war, ebenso wie die von Delp und von Moltke, ganz tadellos. Ich habe ihn nie schwach gesehen."

Rechtsanwalt Dr. Franz Reisert, Augsburg, Mitangeklagter und Mitverurteilter, am 7. Oktober 1960:

„Die Gerichtsverhandlung war recht summarisch. Zeugen wurden nicht vernommen; dagegen wurden Aussagen von anderen Angeklagten und Beschuldigten den einzelnen Angeklagten in unserem Verfahren vorgehalten, und es wurde auch in keiner Weise erkennbar, daß Dr. Gerstenmaier die Mitarbeiter belastet hätte. Auch innerhalb der Verhandlung hat er sich in keiner Weise auf Kosten seiner Mitarbeiter verteidigt."

Alles, was in den vorstehenden Zeugenaussagen niedergelegt ist, wird jedoch noch bestätigt in sachkundig dem dieser Sache -sten und unverdächtigsten Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes, dem ehemaligen Obersturmbannführer Dr. Dr. Neuhaus. Dieser hat Gerstenmaier jahrelang überwachen lassen und nach dem 20. Juli 1944 seine Vernehmung geleitet. G. ist nach dem Krieg als Hauptbelastungszeuge gegen Neuhaus aufgetreten und hat ihn ins Zuchthaus gebracht. Dennoch hat Neuhaus Gerstenmaier niemals auch nur andeutungsweise einen Vorwurf gemacht, wie er von Ramcke/Maßmann erhoben wurde.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine ausführliche wissenschaftliche Darstellung dieser Aktion und der mit ihr zusammenhängenden Fragen erscheint in den Vierteljahrsheften des Instituts für Zeitgeschichte.

  2. Gerstenmaier hatte sich darum bemüht, dem im Krieg schwer hungernden Griechenland zu dem Getreide zu verhelfen, das die griechische Regierung schon zuvor im Ausland gekauft hatte.

Weitere Inhalte

FabianvonSchlabrendorff, Rechtsanwalt in Wiesbaden, geb. 1. Juli 1907 in Halle/Saale, gehörte als Oberleutnant d. Res. und Ordonnanzoffizier im Stabe der Heeresgruppe Mitte zum engeren Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944. Veröffentlichung: Offiziere gegen Hitler, Zürich 1946 (Taschenbuchausgabe Fischer-Bücherei, Bd. 305, Frankfurt 1959).