Neue und gefährliche Phase des Atomzeitalters
Als die chinesische Volksrepublik im Oktober des vergangenen Jahres eine Atombombe zündete, begann eine neue und gefährliche Phase des Atomzeitalters. Dieser erste Versuch war zwar ebenso wenig wie der spätere im Mai 1965 von unmittelbarer militärischer Bedeutung, er hatte jedoch beträchtliche politische und militärische Folgen, wenn auch geringere als ursprünglich erwartet. Für die Zukunft aber wird sich der Atompilz über dem westlichen China als von entscheidender Wichtigkeit für den Frieden und die Sicherheit der Welt erweisen. Alle vorangegangenen Atom-versuche sind von Industriemächten des Okzidents unternommen worden; das kommunistische China ist eine nicht-westliche, nichtweiße und nur halb-industriaiisierte Macht. Die Regierung in Peking ist, wie sie selbst erklärt, revolutionärer als die Sowjetregierung. Die Chinesische Kommunistische Partei ist voller Nationalismus und Machtgier. Zur Unterstützung seiner außenpolitischen Ziele verfügt das kommunistische China bereits über die stärksten, wenn auch sicher nicht die bestausgerüsteten konventionellen Streitkräfte der Welt.
Daß die mehrfach verschobene Explosion eine geringere Wirkung hatte, als die Experten erwarteten, lag teilweise daran, daß sie vom Ausland vorausgesagt worden war und daß man den entscheidenden Unterschied zwischen ersten Atomversuchen und einer vollentwikkelten atomaren Schlagkraft zu erkennen beginnt. Die Vereinigten Staaten und andere Nationen hatten den bevorstehenden Versuch angekündigt, und sein Zeitpunkt erwies sich vom Standpunkt der propagandistischen Ausnutzung als sehr ungünstig gewählt. Peking hoffte wahrscheinlich seine erste Explosion am 1. Oktober 1964 auslösen zu können, dem 15. Jahrestag des Regimes. Wenn das zutrifft, so scheiterte der Plan an ungünstigen Wetterbedingungen oder technischen Schwierigkeiten. Als Peking schließlich die bedeutungsschwere Neuigkeit am 16. Oktober verkündete, mußte die Nachricht die Schlagzeilen mit den Meldungen von der unerwarteten Absetzung Chruschtschows, den britischen Unterhaus-wahlen, dem Wahlkampf in den Vereinigten Staaten und sogar von den Olympischen Spielen teilen. Schließlich mag zu der zurückhaltenden Reaktion des Auslands beigetragen haben, daß der radioaktive Niederschlag außerhalb Chinas nicht stark genug war, um Menschenleben zu gefährden.
Der zweite Versuch, der am 14. Mai 1965 stattfand, war mehr als zwei Monate vorher erwartet worden. Worauf die Verzögerung zurückzuführen ist — ob auf technische oder politische Gründe —, ist noch immer unklar. Die offizielle Mitteilung Pekings war bewußt vage gehalten. Sie lautete, die zweite Atombombe Chinas sei „über seinen westlichen Gebieten'1 gezündet worden. Dies führte zu Spekulationen, daß die Bombe aus der Luft abgeworfen worden war, was bedeuten würde, daß die Chinesen über Abwurfvorrichtungen verfügten. Ein später wieder dementierter japanischer Bericht besagte sogar, die Bombe sei mit einer Rakete abgefeuert worden. Die US-Atomenergie-Kommission bezeichnete den Bericht als „unglaubwürdig".
Tenor der chinesischen Propaganda
Die chinesischen Kommunisten haben ihre propagandistischen Fähigkeiten fleißig genutztem ihre Leistung auf atomarem Felde in eine Steigerung ihres politischen, technologischen und militärischen Prestiges und Einflusses umzumünzen. Zweitens hat ihre Propaganda versucht, Verstimmungen im Ausland zu beschwichtigen, Chinas Handeln zu rechtfertigen und soweit wie möglich Unterstützung für seine Atompolitik zu gewinnen. In zunehmendem Maße versucht sie darüber hinaus, alle Schuld an der Ausbreitung der Atomwaffen auf die Vereinigten Staaten abzuwälzen. Drittens hat Peking im Gegensatz zu seinen Beteuerungen, es wolle sich nur verteidigen und fördere den Frieden, wiederum bewiesen, wie stark sein revolutionäres Sendungsbewußtsein entwickelt ist. Es hat versucht, die Atomexplosionen auszunutzen, um die Moral und die Kampfbereitschaft aller revolutionären Kräfte in der Welt zu stärken, sie davon zu überzeugen, daß China nach wie vor entschlossen und jetzt mehr als zuvor imstande ist, ihre revolutionären Aktionen zu unterstützen. Zugleich befürwortete es die atomare Abrüstung, jedoch zu Bedingungen, die das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt zu seinen Gunsten verändern würde.
Mit den ursprünglichen Proklamationen vom 16. und 17. Oktober, durch die Peking seinen ersten Atomversuch verkündete, wurden die offizielle Linie seiner Politik festgelegt und die Themen der Propaganda ausgegeben, die seither verwendet werden und als Richtlinien für seine Anhänger im Ausland dienen. In einem seriösen und verhältnismäßig zurückhaltenden Ton abgefaßt, sollen diese Proklamationen offenbar überzeugend wirken und das Porträt einer fortschrittlichen, ihrer Verantwortung bewußten Macht zeichnen, die durch „atomare Drohungen und Erpressung" gezwungen worden ist, eigene Verteidigungswaffen zu entwickeln. Der erste Versuch ist als „bedeutender Beitrag" zum Weltfrieden dargestellt worden mit der Begründung, die Brechung des Atommonopols der Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und Großbritanniens und die Verminderung der Wirksamkeit der „atomaren Erpressung" würde die Aussichten für eine vollständige atomare Abrüstung steigern. China erklärte, daß ein Atomkrieg vermieden werden könnte, wenn „alle friedliebenden Staaten und Völker" sich dazu zusammen täten, und versprach, daß es „niemals und unter keinen Umständen als erstes Atomwaffen anwenden würde". Es ist interessant festzustellen, daß bei der Aufzählung der Atommächte Frankreich versehentlich oder absichtlich nicht genannt worden ist. Eine Woche später nun waren die Sowjetunion und Großbritannien von der Liste der Inhaber des Atommonopols gestrichen, und die Vereinigten Staaten allein wurden angeklagt, das Versuchsverbot auszunutzen, um die Freiheit anderer Staaten, einschließlich der Besitzer von Atomwaffen, einzuschränken. Schließlich sandte die Volksrepublik China die folgende Erklärung an sämtliche Regierungschefs: „Die chinesische Regierung unterbreitet hiermit allen Regierungen der Welt formell den Vorschlag, eine Gipfelkonferenz aller Länder der Welt einzuberufen, um die Frage des vollständigen Verbots und der totalen Zerstörung der Atomwaffen zu erörtern. Als ersten Schritt sollte die Gipfelkonferenz eine Übereinkunft darüber erzielen, daß die Atommächte und jene Länder, die in Kürze Atommächte werden könnten, sich verpflichten, keine Atomwaffen anzuwenden, weder gegen Nicht-Atommächte oder in atomwaffenfreien Zonen noch gegeneinander." Peking kündigte jedoch an, es würde, solange keine totale atomare Abrüstung erreicht worden ist, „entschlossen und unerschütterlich" auf dem Wege der Stärkung seiner nationalen Verteidigung und der „Sicherung des Welt-friedens" fortschreiten. Es sei sein „souveränes Recht", weitere Atomversuche durchzuführen, und keine Außenstehenden hätten sich hier einzumischen.
Pekings Abrüstungsvorschlag war vornehmlich für die Neutralen bestimmt und sollte ehrlich und vernünftig klingen. Er wandte sich besonders an die vielen kleinen Staaten, die natürlich gern ein Mitspracherecht in der lebenswichtigen Frage der atomaren Abrüstung haben würden. Er versuchte auch, auf die Atommächte Druck auszuüben. Doch ließ der chinesische Vorschlag offensichtlich die Mehrzahl der kritischen Fragen außer acht, die mit den Abrüstungsbemühungen verknüpft sind. Er überging eine Anzahl wichtiger Punkte, die in der Erklärung von 1963 enthalten waren, mit der die Volksrepublik China ihre Weigerung, den Teststopp-Vertrag zu unterzeichnen, ausgesprochen hatte. Der Vorschlag vom Oktober 1964 erwähnte z. B. nicht einmal die allgemeine Abrüstung und enthielt keinen Hinweis auf das früher vorgeschlagene Verbot der Einfuhr, Ausfuhr, Herstellung und Lagerung von Atomwaffen. Es war nicht mehr die Rede von der Zerstörung der Abschußsysteme für Atomwaffen und der Einrichtungen für Atomforschung, für Atomversuche und für die Produktion von Atomwaffen. Die damals vorgeschlagenen ersten Schritte wie der Abbau von Stützpunkten im Ausland, der Abbruch aller Atomversuche und die Schaffung ausgedehnter atomwaffenfreier Zonen wurden fallengelassen; Keiner der Vorschläge sah irgendwelche Vorkehrungen hinsichtlich der Kontrolle und Inspektion vor — der entscheidenden Frage überhaupt. Beide Pläne ignorierten das wichtigste Problem der konventionellen Abrüstung, das Peking eine „Illusion" genannt hatte. Offensichtlich wäre eine totale atomare Abrüstung ohne gleichzeitige konventionelle Abrüstung außerordentlich vorteilhaft für die Volksrepublik China. Wenn die Atommächte dazu gezwungen werden könnten, ihre Atomwaffen zu vernichten, China sein Menschenpotential und seine gewaltigen konventionellen Streitkräfte belassen blieben, würde sich das Gleichgewicht der Kräfte grundlegend ändern, überdies enthielten dieselben Proklamationen, die für Verteidigung, Aufrechterhaltung des Friedens und atomare Abrüstung eintraten, auch ganz entgegengesetzte Themen, die weniger friedliebend klangen. Da waren Erklärungen, daß die chinesische Regierung dem Marxismus-Leninismus treu bleibe, daß das chinesische Volk entschlossen jeden Befeiungskampf unterstütze, was nicht nur den Kampf zur Befreiung von den Über-resten des westlichen Kolonialismus, sondern auch vom „Joch" jeder Regierung, die nicht Pekings Freund ist, bedeuten kann.
Bisher hat der erfolgreiche Versuch noch nicht dazu geführt, daß Mao Tse-tung seine Auffassung von der Überlegenheit von Mensch und Politik über Waffen geändert hätte. Am 16. Oktober wiederholte Peking Maos berühmtes Schlagwort, die Atombombe sei ein Papiertiger. Eine Woche später behauptete die partei-offizielle Pekinger „Volkszeitung", daß Chinas Sicherheit nicht von Atomwaffen abhinge. Das überlegene Denken Maos, so hieß es, und die Führung der ruhmreichen Kommunistischen Partei, dazu die Einheit und das politische Bewußtsein des chinesischen Volkes mit seinem besseren sozialistischen System seien mächtiger als die Atombombe. Auch habe das chinesische Volk sehr starke Nerven.
Ein weiterer Aspekt der Propaganda Pekings bestand in der Unterstellung, daß die Leistung Chinas weltweite Zustimmung gefunden habe, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Die ausgedehnte Kritik, die sein Atomversuch gefunden hatte, ließ man unbeachtet. Aufgegriffen wurden auch Behauptungen von Peking-Anhängern und vereinzelte Stellungnahmen von Nicht-Kommunisten, daß die Volksrepublik China eine „Atommacht" sei. Eine Woche darauf erwähnte Peking beiläufig seine „Atomwaffen", als ob der eine Versuch es bereits zu einer Atommacht gemacht hätte.
Diese Tendenz nahm groteske Formen an, als im vergangenen Dezember Radio Peking erklärte, China habe davon abgesehen, Atomwaffen „vor die Haustür" der Vereinigten Staaten zu bringen, als Washington Polaris-U-Boote in den Fernen Osten entsandte.
Die Volksrepublik China hat bisher noch keine näheren Angaben über die zwei gezündeten atomaren Sprengsätze gemacht, zweifellos in der Annahme, daß es glaubwürdiger klingen würde, wenn sie von der US-Atomenergie-Kommission oder aus anderen vertrauenswürdigen ausländischen Quellen kämen. Tatsächlich gab die erstere bekannt, daß der erste Sprengsatz weniger simpel als erwartet war, da das verwendete spaltbare Material aus angereichertem Uran (U 235) bestand, an Stelle des einfacheren Plutoniums. Laut US-Atomenergie-Kommission wurde auch bei der zweiten Bombe angereichertes Uran verwendet. Damit wurden Spekulationen zurückgewiesen, nach denen der Brennstoff für die erste chinesische Bombe aus dem Ausland bezogen worden sei. Größere Glaubwürdigkeit wurde Berichten beigemessen, wonach China eine Anlage entwickelt habe, um die U 235 Isotope von U 238 zu trennen. Infolgedessen konnte Ministerpräsident Tschu En-lai nach dem ersten Versuch mit einigem Recht vor dem Volkskongreß verkünden: „Ausländische Atomwissenschaftler mußten zugeben, daß unser Atomversuch die ersten von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich durchgeführten Versuche übertraf." Die Sowjetunion wurde nicht erwähnt.
Nach der ersten Verlautbarung wurde die chinesische Propaganda in vielem polemischer und giftiger, wobei die Neutralen mit milderen Bemerkungen bedacht wurden, die Vereinigten Staaten mit den heftigsten. Am 22. Oktober griff die Pekinger „Volkszeitung"
Präsident Johnsons Feststellung scharf an, nach der die Entwicklung von Atomwaffen durch China eine Tragödie sei. Dadurch könne, hatte Johnson erklärt, nur das „Gefühl der Unsicherheit" im chinesischen Volk vermehrt werden. Sie nähme überdies kostbare Industriekapazität in Anspruch, die besser zur Hebung seines Wohlergehens verwendet worden wäre. Diese Vorwürfe trafen einen wunden Punkt. In seiner Antwort beschuldigte das Parteiorgan die Vereinigten Staaten, sie „spielten den Tyrannen", drückten sich wie „Gangster" aus, betrieben einen „wahnwitzigen Rüstungswettlauf" und wollten die Chinesen zu Sklaven erniedrigen. In endloser Wiederholung wurden die Vereinigten Staaten des Imperialismus, der atomaren Erpressung und der Vorbereitung eines Atomkrieges angeklagt.
Im November gab die „Volkszeitung" bekannt, daß China sich weigere, an den Abrüstungsverhandlungen der 18 Nationen teilzunehmen.
Nun, da die Volksrepublik China über „Atomwaffen verfügt", hieß es, versuchten die Vereinigten Staaten, China in die Angelegenheiten der Vereinten Nationen hineinzuziehen. Aber es sei die „absolut unwandelbare'Politik der Volksrepublik China, nichts mit den Vereinten Nationen zu tun haben zu wollen, bis es dort vertreten und Nationalchina aus ihnen verdrängt sei. Peking weigerte sich auch, den Vorschlag Generalsekretär U Thants für Fünf-Mächte-Verhandlungen anzunehmen, und erklärte, dies würde auf die Schaffung eines verkappten Atomklubs hinauslaufen. Die Chinesen würden nicht kommen, selbst wenn man eine Sänfte schickte, um sie zu holen. Erneut bestand Peking darauf, daß alle Nationen, ob groß oder klein, ein gleiches Mitspracherecht bei der atomaren Abrüstung haben sollten. Es habe nicht die Absicht, Atomwaffen zu verwenden, um die „internationalen Angelegenheiten zu manipulieren". Später wurde indes gesagt, daß Japan im Falle eines Atomkrieges unvermeidlich „die Hauptlast einer atomaren Katastrophe tragen" würde.
Als China im Mai seinen zweiten atomaren Sprengsatz zündete, war das offizielle Kommunique in Thematik und Ton ähnlich dem vom Oktober, wenn auch etwas gemäßigter. In der Verlautbarung wurden die Vereinigten Staaten angegriffen, aber der Hinweis auf den Papiertiger fehlte und der defensive Charakter der chinesischen Atomrüstung wurde unter-strichen. Die brüderlichen revolutionären Bewegungen blieben diesmal ohne Gunstbezeugungen. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß Peking seinen zweiten erfolgreichen Atomversuch nutzen wird, um den Widerstands-willen Hanois zu stärken und auf Moskau Druck auszuüben, daß dieses entweder NordVietnam unterstütze oder dort weiter an Einfluß verliere. Tatsächlich war eine der ersten Glückwunschbotschaften, die von Peking veröffentlicht wurden, diejenige Hanois. In ihr hieß es, Chinas Fortschritt auf atomarem Gebiet sei „ein außerordentlich bedeutsamer Faktor bei der Vereitelung der imperialistischen Kriegs-und Aggressionspläne der Vereinigten Staaten".
Reaktion des Auslands
Es ist zu früh, um das volle Ausmaß der Reaktionen auf Chinas zweiten Atomversuch zu bewerten; wiederum gab es keine Panikstimmung in Asien, und die Reaktion der Freien Welt war im allgemeinen prompter und wirksamer als im Oktober. Nachdrückliche Proteste kamen aus Indien und Japan, sogar aus japanischen Linkskreisen. Im ganzen konnte der Widerhall auf die Explosion vom Mai sich kaum von der im Herbst unterscheiden, als ganz unterschiedliche Reaktionen erfolgten. Damals zollten Albanien, NordKorea und Nord-Vietnam offiziell Beifall. Dasselbe gilt von einzelnen Politikern und Regierungsmitgliedern in einigen anderen mit China befreundeten „nicht-gebundenen" Staaten, vor allem Indonesien. Die meisten anderen Glückwunschbotschaften, die Peking sammeln konnte, kamen von Kommunistischen Parteien, Splittergruppen, Tarnorganisationen und pro-chinesischen Einzelpersönlichkeiten. Die chinesischen Kommunisten müssen ziemlich enttäuscht gewesen sein, denn in Wahrheit war die Liste nicht sehr eindrucksvoll. Trotzdem halfen die Erklärungen von Freunden und Verbündeten Peking, seine Linie in allen Kontinenten zu propagieren; sie erweckten den Anschein einer ausgedehnten öffentlichen Unterstützung, betonten nachdrücklich den Prestigefaktor und unterstrichen die technischen und wissenschaftlichen Aspekte des chinesischen Erfolges. Er stelle einen Sieg für alle asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Völker dar, hieß es in einer typischen Stellungnahme, und sei eine Ehre für die afro-asiatische Welt. Er „zerstört die Legende, daß nur die westlichen Länder imstande seien, Atomwaffen zu entwickeln". In den Kommentaren wurde deutlich ein rassistisches Element sichtbar; aber sie waren nicht notwendigerweise kommunistisch inspiriert.
Die Reaktionen auf den Versuch vom Oktober zeigten auch die innerhalb der kommunistischen Bewegungen existierenden Reibungen und Differenzen. Die jugoslawische Stellungnahme war von beißender Kritik. Die Sowjet-presse brachte zunächst nur eine kurze Mitteilung, und zwei Tage später rief Moskau die Welt auf, für die Ächtung aller Atomversuche zu kämpfen. Die meisten osteuropäischen Verbündeten Moskaus folgten diesem Beispiel.
Der ungarische Rundfunk nannte die Versuchsexplosion „unglücklich", und Ostdeutschland klagte Peking der „schroffen Mißachtung des Widerstandes der Öffentlichkeit"
an. Die Tschechoslowakei nannte die Explosion „den schlimmsten Angriff auf den Teststopp-Vertrag, der möglich war" und „einen schlechten Dienst am Frieden". Die führenden kommunistischen Zeitungen Westeuropas verdammten die Aktionen Pekings. Presse und Rundfunk Kubas brachten zunächst nur Berichte von den Fakten; aber die chinesische kommunistische Nachrichtenagentur verbreitete Meldungen über Grußadressen und Glückwünsche aus Kuba.
Wenn man die lautstarke Reaktion auf frühere Atomversuche in der Atmosphäre in Betracht zieht, so ist es überraschend, daß die nicht-kommunistische Welt das Vorgehen Chinas nicht schneller und schärfer verurteilt hat. Eine Anzahl „nichtgebundener" Nationen schwieg, obwohl sie erst kurz zuvor die Kairoer Erklärung unterzeichnet hatten, in der alle Staaten aufgefordert worden waren, sich keine Atomwaffen zu verschaffen. Organisierte Proteste oder Demonstrationen gab es kaum. In den meisten Ländern hatte man erkannt, daß ein Atomversuch nicht mit der Verfügung über eine atomare Streitmacht gleichzusetzen sei. Man fürchtete jedoch, daß das Vorgehen Pekings im Laufe der Zeit das strategische Gleichgewicht der Kräfte zerstören und die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges erhöhen würde. Vor allem fürchtete man vielfach, daß die chinesischen Atomversuche andere Nationen anspornen oder zwingen würden, ebenfalls Atomwaffen zu entwickeln, womit die bescheidenen Fortschritte bei der Einschränkung der Atomrüstung wieder zunichte gemacht würden.
Die größten Sorgen machte man sich um das künftige Verhalten Chinas. Einige Beobachter hofften, daß die chinesischen Führer eine verantwortlichere Haltung einnehmen würden, nachdem sie sich von den Wirkungen ihrer eigenen Atomexplosion hatten überzeugen können. Andere waren skeptischer. Äußerungen von amtlicher Seite und Leitartikel in Europa, Afrika und Asien forderten, die Volksrepublik China solle in größerem Maße Zugang zu internationalen Gremien erhalten, vor allem zu Abrüstungsverhandlungen, aber auch zu den Vereinten Nationen. Ein hoher amerikanischer Beamter bemerkte dazu, wenn die Vereinigten Staaten Atomversuche in der Atmosphäre durchführten, würde man nach ihrem Ausschluß aus den Vereinten Nationen schreien, wenn das kommunistische China dasselbe tue, fordere man ihre Aufnahme.
In Asien, wo die chinesische „Bombe" die größten Auswirkungen hat, gab es keine Panik und keine überstürzten Versuche einer Annäherung an die Volksrepublik China. Präsident Johnsons Bekräftigung der amerikanischen Bündnisverpflichtungen und sein Versprechen, die USA würden Nationen, die atomarer Erpressung ausgesetzt werden sollten, nachhaltige Unterstützung gewähren, fanden da und dort eine günstige Aufnahme. In Japan und Indien nahmen die verschiedenen Parteien mit Ausnahme prochinesischer Splittergruppen und die meisten Zeitungen gegen das chinesische Vorgehen Stellung. Sowohl Japan wie auch Indien sind in der Lage, Atomwaffen zu entwickeln, jedoch haben die Regierungen ihren Beschluß nochmals bekräftigt, dies nicht zu tun. Besonders in Indien gab es jedoch Anzeichen dafür, daß die Regierung in wachsendem Maße gedrängt wird, ihre Politik zu revidieren.
Wie zu erwarten war, verurteilten die Regierungen Nationalchinas, Süd-Koreas, Malaysias, der Philippinen, Thailands und Süd-Vietnams China; aber in einigen Fällen waren die offizielle Reaktion und die Stellungnahmen der Presse schwächer, als man hätte annehmen können. In Pakistan erfolgte die offizielle Stellungnahme nicht sofort, jedoch erschienen einige zustimmende oder jedenfalls nicht-kritische Presseartikel. In Ceylon neigte die Presse dazu, die Gelegenheit zu benutzen, die China-Politik der Vereinigten Staaten zu kritisieren.
Diejenigen Länder — sie bilden eine schwache Mehrheit —, die das kommunistische China nicht anerkennen, antworteten natürlich offiziell nicht auf seinen Vorschlag, eine Gipfelkonferenz sämtlicher Staaten zur Erörterung der atomaren Abrüstung einzuberufen. Offenbar reagierte ungefähr ein Viertel jener Länder, die es anerkannt haben, ebenfalls nicht.
Die meisten Länder, die antworteten, nahmen gegen den Plan Stellung oder machten verschiedene Vorbehalte und Gegenvorschläge.
Dieses Resultat war wahrscheinlich keine Überraschung für Peking, das in erster Linie darauf aus war, seine Interessen wahrzunehmen, nicht aber, allgemeine Zustimmung zu finden. Nichtsdestoweniger muß man wohl anmerken, daß Chinas kleine kommunistische Verbündete und Kambodscha den Vorschlag voll unterstützten, daß Indonesien, Kongo (Brazzaville) und Mali ihr Einverständnis erteilten und daß Algerien, Mauretanien, Tansania und der Jemen im Prinzip zustimmten. Verschiedene Vorbehalte machten Burundi, Kuwait und Pakistan. Eine Anzahl von Erwiderungen (darunter die französische) waren unverbindlich oder höflich ablehnend. Burma bewies in seinen Meinungsäußerungen eine bemerkenswerte Unabhängigkeit und Ceylon übte in höflicher Form Kritik. Mehrere Antworten waren so scharf, wie es die diplomatische Höflichkeit gerade noch erlaubte. Großbritanniens Erwiderung war negativ und wohl begründet. Die Niederlande verteidigten die Vereinigten Staaten gegen „unberechtigte Kritik". Die indische Note war äußerst kritisch und stellte die beste Zurückweisung der chinesischen Ansprüche dar.
Der Sowjetblock erweckte nach außen hin den Anschein der Einigkeit und der Unterstützung Pekings, aber in den einzelnen Noten wurden die unter der Decke liegenden Differenzen sichtbar. Ministerpräsident Kossygin drückte „volle Zustimmung" aus und stellte fest, daß der chinesische Vorschlag ganz auf der sowjetischen Linie liege. Das von Moskau unabhängige Peking konnte das kaum als Kompliment auffassen. Radio Moskaus Zusammenfassung der sowjetischen Note enthielt auch keine direkte Kritik an den Vereinigten Staaten. In der von Peking verbreiteten Version des vollen Textes klang die Note beinahe herablassend. Am Vortage hatte Radio Moskau bekanntgegeben, daß die Sowjetregierung die Einberufung einer Weltabrüstungskonferenz, wie sie von der Kairoer Konferenz der nicht-gebundenen Länder vogeschlagen worden war, befürworte, und — gewissermaßen als nachträglichen Einfall — hinzugefügt:
„Aufmerksame Beachtung verdient auch der Vorschlag der Regierung der Volksrepublik China". Kaum mehr Trost konnte das kommunistische China aus den Antworten der sowjetischen Satellitenstaaten schöpfen. Alle außer Rumänien und Ungarn erwähnten ausdrücklich, daß sie die sowjetischen Abrüstungsvorschläge unterstützten. Mit Ausnahme von einem erklärten alle, sie befürworteten eine allgemeine und vollständige Abrüstung. Bulgarien und die Mongolei erwähnten eigens den Moskauer Teststopp-Vertrag, der geradezu ein Anathema für das kommunistische China ist.
Da die Vereinigten Staaten die Volksrepublik China nicht anerkennen, antwortete Washington nicht formell auf die Note Ministerpräsident Tschu En-lais. Außenminister Rusk nannte sie einen Vernebelungsversuch und fügte hinzu, sie sei offenbar dazu bestimmt, die neutralen und anderen Staaten günstig zu stimmen, die wegen der chinesischen Atomversuche besorgt seien. Präsident Johnson sagte, das kommunistische China „könne niemanden zum Narren halten, wenn es anbiete, sein erstes, geringfügiges Atompotential im Austausch gegen die gewaltigen Vorräte an Atombomben derjenigen Länder herzugeben, die dem chinesischen Machtstreben Grenzen setzen." Nach der Explosion im Mai drückte das amerikanische Außenministerium lediglich sein tiefes Bedauern darüber aus, daß das kommunistische China zum zweiten Male eine totale Mißachtung des Teststopp-Vertrages gezeigt habe. Der Präsident gab gar keine Erklärung ab. Die französische Regierung reagierte anfangs überhaupt nicht auf die Explosion. Die französische Presse zeigte sich insgesamt gesehen besorgt. Le Monde z. B. schrieb, die Ausbreitung der Atomwaffen könne gefährliche Folgen haben. Der chinesische Erfolg werde zur Versteifung der chinesischen Haltung beitragen und die Vietkong ermutigen, bis zur Regenperiode auszuhalten, die günstige Voraussetzungen für einen Groß-angriff auf Süd-Vietnam schaffe.
Gefahr chinesischer Erpressungsversuche
Nach dem ersten chinesischen Atomversuch tendierten Experten dahin, die Zeitspanne, die China für den Aufbau einer gefährlichen Atomstreitmacht benötigen würde, im Vergleich zu ihren ursprünglichen Schätzungen niedriger anzusetzen. Vorher war häufig von zehn Jahren die Rede gewesen; nun glauben viele kompetente Beobachter, daß China innerhalb von zehn Jahren Mittelstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen besitzen werde. Mehrere Atomwissenschaftler wiesen warnend darauf hin, daß man in Anbetracht der ersten Explosionen annehmen könne, China sei innerhalb weniger Jahre zur Entwicklung einer Wasserstoffbombe in der Lage.
Bis China brauchbare Abschußsysteme für Atomwaffen entwickelt hat, dürfte es kaum eine Politik verfolgen, die das Risiko einer Anwendung von Atomwaffen gegen sich selbst in sich schließt. Zwar kann Peking es nicht mit der hochkomplizierten Atomrüstung der Vereinigten Staaten oder der Sowjetunion aufnehmen, es mag sich aber zunächst damit zufrieden geben, eine Abschreckungsmacht aufzubauen, die mit der Drohung einer Vergeltung gegen seine Nachbarn operieren würde.
Auf diese Weise könnte China seine aggressiven Ziele verfolgen, indem es die benachbarten Staaten als Geiseln benutzt. Die Vereinigten Staaten können sich vielleicht damit trösten, daß die Sowjetunion Anfang der fünfziger Jahre unter etwa vergleichbaren Bedingungen nicht in der Lage war, in Westeuropa viel zu erreichen. Aber die kommenden Ereignisse werden sicherlich die innere Festigkeit der freien asiatischen Völker und die Glaubwürdigkeit der atomaren Abschreckung der USA auf eine harte Probe stellen. Mehr als das Europa vor zehn Jahren leidet Asien an Armut, inneren Zwistigkeiten und politischer Instabilität. Das alles wird dem kommunistischen China die Gelegenheit bieten, zur Unterstützung von Revolutionen und Aufständen direkte oder indirekte atomare Erpressung anzuwenden.