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Totalitärer, marxistischer oder demokratischer Sozialismus? | APuZ 31/1965 | bpb.de

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APuZ 31/1965 Totalitärer, marxistischer oder demokratischer Sozialismus?

Totalitärer, marxistischer oder demokratischer Sozialismus?

Günter Bartsch

1. Rahmen und Begrenzung des Themas

Wir wollen weder die Gesamtproblematik der Demokratie noch die des Totalitarismus erörtern — zum letzteren gehören ja beispielsweise auch die Phänomene des Faschismus und Nationalsozialismus, die keine geschichtlichen Kräfte mehr sind —, sondern schneiden nur einen Aspekt aus beiden Problemkreisen an, die wie olympische Ringe ineinander-greifen. Es handelt sich, zunächst einmal ganz oberflächlich formuliert, um das Verhältnis von Sozialisten und Kommunisten, dessen Hauptzüge wir im internationalen Maßstab zu erfassen versuchen, ohne auf die nationalen Eigenarten und Programme oder gar auf die praktische Politik der verschiedenen Parteien näher einzugehen. Unsere Absicht besteht ja gerade darin, den Blick über die nationalen Grenzen hinauszuheben. Einerseits sollen die Bögen der Zusammenhänge und andererseits die Unterschiede zwischen Parteiengruppen sichtbarer werden.

Wer heute versucht, auf internationale Probleme den nationalen Maßstab anzulegen, wird kaum mehr als ein Chaos um sich ausgebreitet sehen. Das Bild ist nicht nur verwirrend, sondern letzten Endes sogar unerklärbar; es sei denn, daß man von den Tatsachen und Zusammenhängen nur das anerkennt, was für die eigene Nation günstig oder ungünstig ist. Obwohl die Nation noch längst nicht überholt ist — in Asien und Afrika steht ihre Blüte noch bevor —, hat sich im Zeitalter der Interdependenzen doch der nationale Maßstab überholt.

Er bleibt hinter der Weltentwicklung auf die Eine Menschheit hin beträchtlich zurück. Selbst der kontinentale Maßstab — etwa als Gesichtspunkt eines Vereinigten Europa — hat schon wieder einen Stich ins Provinzielle, wenngleich er sich in der praktischen Politik und in den Beziehungen der Völker noch gar nicht und nirgends durchsetzen konnte.

Andererseits ist klar, daß sich in der fast ausschließlichen Orientierung auf das internationale Blickfeld auch Gefahren verbergen, da die internationale Situation und die politischen Bewegungen in der Weltarena auch von nationalen Faktoren beeinflußt werden — vor allem von jenen, die in den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wurzeln, obwohl auch China und Frankreich eine immer größere Rolle in dieser Hinsicht spielen. Da wir jedoch anders als Erwin Hölzle, der den Ost-West-Konflikt aus dem amerikanisch-sowjetischen Dualismus erklärt die Überzeugung vertreten, daß die eigentlichen Weltmächte der Gegenwart nicht USA und Sowjetunion, sondern Demokratie und Kommunismus heißen, nehmen wir diese Gefahren in Kauf, obzwar wir uns ihrer bewußt sind.

Unter diesem Blickwinkel wollen wir uns mit zwei Fragen von grundsätzlicher und für den Ost-West-Konflikt vielleicht entscheidender Bedeutung befassen: Wie verhalten sich Sozialismus und Kommunismus zueinander und was geht in beiden vor?

2. Gehören Sozialismus und Kommunismus historisch zusammen?

Dem Anschein nach ist der Kommunismus aus dem Sozialismus gewachsen. Man kann etwa darauf verweisen, daß die Begründer der Kommunistischen Parteien — wie Lenin in Rußland oder Rosa Luxemburg und Karl Lieb-knecht in Deutschland — oftmals aus den sozialistischen kamen, denen sie meist viele Jahre angehört hatten. Andere Kommunistische Parteien sind dadurch entstanden, daß sich die sozialistischen Parteien in kommunistische umbenannt haben, weil dies zum Beispiel zu den Voraussetzungen für die Aufnahme in die Kommunistische Internationale gehörte So entstanden die Kommunistischen Parteien Brasiliens und Uruguays, aber auch einiger Länder Westeuropas.

Dem Anschein nach könnte man auch sagen, daß der Sozialismus nach wie vor die gemeinsame Grundlage von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien sei; denn sowohl die kommunistischen als auch die sozialdemokratischen Parteien bezeichnen den Sozialismus als ihr Ziel, wenngleich er von den Kommunisten nur als Vorstufe betrachtet wird und die Sozialdemokraten unter Sozialismus etwas anderes als die Kommunisten verstehen.

Aber wir wollen uns nicht auf den Augenschein verlassen, sondern vielmehr unsere Frage dreiseitig prüfen: vom Auftauchen kommunistischer und sozialistischer Aktion, von der Entstehung sozialistischer und kommunistischer Ideen, von der Bildung kommunistischer und sozialistischer Organisationen her. Aktion, Idee und Organisation sind die drei grundlegenden Erscheinungsformen jeder politischen Bewegung. Wo auch nur eines dieser Elemente fehlt, wird man lediglich bedingt von politischer Bewegung sprechen können, die immer aus einem äußeren und einem inneren Kreis besteht. Wir haben es dann eher — entweder überhaupt, noch oder schon wieder — mit einer politischen Strömung zu tun, die der politischen Bewegung vorangehen, die ihr aber auch nachfolgen kann, wenn ihre Potenzen gebrochen oder erschöpft sind, bis sie schließlich gänzlich versiegt.

Die Ideologie will mir im Verhältnis zu diesen drei Grundfaktoren als sekundär erscheinen, obwohl sie zu einer zusätzlichen Triebfeder von geschichtlicher Schubkraft werden kann, die zumindest zeitweilig — entweder als Dienerin oder als Herrscherin einer politischen Bewegung, denn beides ist möglich — alle anderen Triebfedern zu überflügeln vermag. Die Ideologie will mir für eine politische Bewegung entbehrlich erscheinen, zumal sie zu ihrer Fessel werden kann, die unter gewissen Umständen gesprengt oder abgestreift wird. Ob eine politische Bewegung der Gegen-* wart — im noch keineswegs beendeten Zeitalter der Wissenschaft — auch ohne Theorie auskommen könnte, die ihre Erfahrungen sublimiert und zugleich als Wegweiser dient, darf jedoch bezweifelt werden, obwohl der Pragmatismus aller politischen Bewegungen der Gegenwart zunimmt. Doch werden wir nur andeutungsweise auf die Unterschiede zwischen Idee, Theorie und Ideologie sowie auf ihre unterschiedliche Bedeutung für die politischen Bewegungen eingehen können. Im allgemeinen wird ohnehin klar sein, was damit gemeint ist.

Kurz und gut, es geht hier darum, das Feld der geschichtlichen Vergangenheit nach den vormodernen Zeichen aller drei Erscheinungsformen abzusuchen, ohne sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Angesichts der Fülle des historischen Materials kann uns hierbei mancherlei entgehen. Allerdings ist zu hoffen, daß zumindest kein unersetzbares Glied in der historischen Kette des Kommunismus und Sozialismus übersehen werden wird, wenngleich wir nicht einmal alle Glieder zu erwähnen vermögen, sondern eben nur die unersetzlichen herausgreifen können. a) Kommunistische Aktion, Idee und Organisation vor Marx Wenn wir von den nur leicht kommunistisch getönten Bauernaufständen in China — die in einigen Fällen noch vor unsere Zeitrechnung fielen — absehen wollen, so ist die erste dem Verfasser bekannte kommunistische Aktion aus Persien übermittelt. Sie führt uns fast 1 500 Jahre in die Vergangenheit zurück.

Im alten Persien tauchte zur Lebenszeit von Schah Kawad (490— 531 n. Chr.) die kommunistische Sekte der Mazdakiten auf. Sie berief sich auf Zarathustra, den großen Reformator der persischen Religion, der etwa 1 000 Jahre vor den Mazdakiten lebte und wirkte. Nach Zarathustras Lehre — so sagten die Mazdakiten — hätte alle Menschen das Recht auf gleichen Anteil am Besitz. Da diese natürliche Ordnung der Gütergleichheit durch den Einfluß dämonischer Mächte gestört worden sei, bestünde die Aufgabe darin, sie durch Neuverteilung des Besitzes wiederherzustellen. Schah Kawad soll die einflußreiche Sekte, die eine radikale Bodenreform zu propagieren und durchzuführen begann, in ihrer Auseinandersetzung mit den Großgrundbesitzern zunächst unterstützt haben. Später, kurz vor seinem Tode, ließ er sie wegen der politischen und sozialen Unruhen, die von den Mazda-kiten ausgelöst worden waren, verfolgen und weitgehend vernichten

Die kommunistische Sekte, die im alten Persien zu einer ernsthaften politischen Bewegung geworden zu sein scheint, nannte sich nach ihrem Führer Mazdak. Es ist im Vergleich interessant, daß die Lehre Zarathustras Mazdaismus und der höchste persische Gott Mazda hießen. Mazda war gleichzeitig das Sinnbild des guten Prinzips. Und es ist möglich, daß sich der vermutlich erste Kommunistenführer seinen Namen ebenso zugelegt hatte wie später Babeuf den Namen Gracchus, der ihm ja ebenfalls wie ein symbolisches Prinzip — des Guten und zugleich Gerechten — erschien. Es sieht auch so aus, als hätte er sich ähnlich bewußt auf die religiöse Lehre Zarathustras gestützt, wie das später der deutsche Kommunist Weitling mit dem Christentum tat, und zwar mit demselben Motiv, aus einer religiösen Konzeption politische Folgerungen abzuleiten. Als zweites Hauptglied der geschichtlichen Kette des Kommunismus in Aktion kann der radikale Flügel der Taboriten gelten, die wiederum, als Ganzes betrachtet, den revolutionären Flügel der Hussiten stellten. Die Taboriten, nach dem Prager Aufstand vom Juli 1419 schnell zu einer politischen Macht angewachsen, konzentrierten sich in bestimmten Orten und Städten, wo Anfang 1420 teilweise Gemeinschaftskassen eingerichtet wurden. Das Zentrum der Revolutionäre war Tabor, wo persönliches Eigentum sogar als Todsünde galt Führer des kommunistischen Flügels der Taboriten war wohl Martinek Hauska, der 1421 mit 300 Anhängern aus Tabor ausgewiesen wurde — teils wegen Erschöpfung des kommunistischen Experiments, nicht zuletzt der Gemeinschaftskassen, teils unter dem Druck des hussitischen Heerführers Zizka

Drittes Hauptglied der kommunistischen Aktion war der „Bund der Erwählten" um Thomas Münzer, der 1523— 25 eine führende Rolle in deutschen Bauernkriegen spielte und, wenn auch vielleicht nur in seinem letzten Lebensjahr, die Einführung des Gemeineigentums und den Sturz aller Obrigkeit (damit es weder Herren noch Könige gebe) zu seinem politischen Programm erhob

Viertens ist noch die Bewegung um den Franzosen Babeuf zu erwähnen, der praktisch in der Tradition Robespierres und theoretisch in der Tradition von Mably stand. Die „Verschwörung der Gleichen" sah in der sozialen Gleichheit das Kriterium jeder politischen Ordnung und erstrebte außer der Beseitigung des Privateigentums auch die Abschaffung des Erbrechts. Es sollte weder Arme noch Reiche mehr geben, während der revolutionären Elite unbeschränkte Macht nicht nur über das Eigentum, sondern auch über die Menschen eingeräumt werden sollte. Gleichzeitig war an die Abschaffung der Beamten gedacht. Bei Babeuf tauchten auch die Ideen der allgemeinen Arbeitspflicht — genauer: des allgemeinen Arbeitszwanges — und der Planwirtschaft auf. Daneben trat er mit seinen Anhängern für die Neuverteilung des Bodens und dafür ein, daß die Landwirtschaft ihren früheren Vorrang zurückerhalte; das Geld und die Großstädte sollten abgeschafft werden. Der Anwendung des Gewaltprinzips auch in der Form des Terrors war nach den Umsturzplänen kaum eine Grenze gesetzt. Einheitstracht für das ganze Volk, gemeinsame Mahlzeiten, Zwangsarbeit für „Parasiten" und strenge Ausländerüberwachung sind als weitere Züge der Gesamtkonzeption noch besonders bemerkenswert. Bevor aber mit ihrer Verwirklichung begonnen werden konnte, wurde die „Verschwörung der Gleichen" aufgedeckt. Babeuf, im Jahre 1797 hingerichtet, ist nur 37 Jahre alt geworden. Gleichwohl hat er tiefe Spuren auch im modernen Kommunismus hinterlassen: in geistiger, politischer wie in organisatorischer Hinsicht

Das letzte unter den wichtigen Gliedern in der kommunistischen Kette vor Marx wurde vom „Handwerksburschenkommunismus" Weitlings gestellt. Der gebürtige Magdeburger war einer der ersten Wanderprediger des Kommunismus. Seine Aktion hat allerdings weniger in der Vorbereitung des Umsturzes als in der Verbreitung kommunistischer Ideen und Organisationen bestanden. In dem „Bekenntnis", auf das sich alle Mitglieder seines 1841 in der Schweiz gegründeten Geheimbundes verpflichten mußten, wurden Freiheit, erdumspannende Gütergleichheit und Gemeinschaftsleben verlangt. Seine politische Konzeption umspannte auch Staatserziehung der Kinder, allgemeine Arbeitspflicht und Einführung eines Arbeitsbuchs (das inzwischen in vielen kommunistischen Ländern üblich geworden ist). Je tiefer das Elend der Massen, desto näher rücke die Revolution und desto größer seien die kommunistischen Chancen.

Das von Weitling auf die Propaganda gelegte Gewicht sprengte den engen Rahmen der Verschwörung, in dem sich die meisten vormarxschen Kommunisten des 19. Jahrhunderts befanden und abgekapselt hatten. Diese Verknüpfung von Verschwörung und Propaganda sollte später zu einem Prinzip des modernen Kommunismus werden und ist es noch immer. In der Beziehung seines Bundes zu den verschiedensten Vereinen der Schweiz nahm Weitling auch das unterwandernde und durchdringende Verhältnis der Kommunistischen Parteien zu den „Massenorganisationen" voraus.

Weitlings Verspottung der Religion war mit der Berufung auf Jesus und das Urchristentum verbunden. Er verkündete das Kommen eines neuen Messias, der die Erde in ein Paradies verwandeln würde

War Marx dieser Messias? Weitling hat ihn in Marx nicht zu sehen vermocht. Sie schieden im Streit voneinander. Marx hatte für den „Handwerksburschenkommunismus", der nicht nur von Weitling repräsentiert worden ist, wenig übrig. Er konzentrierte sich — wie vor ihm schon Gäbet — auf den Arbeiterkommunismus, der ihm zukunftsträchtiger erschien.

Was er an Ideen wie Stricke benutzte, um Kommunismus und Arbeiterschaft miteinander zu verbinden, kam aber nur zum geringen Teil von ihm selbst.

Die Ursprünge der kommunistischen Ideen liegen teilweise noch weiter zurück als die Anfänge der kommunistischen Aktion. Sie wurzeln in der schon von Ovid überlieferten Vorstellung eines Goldenen Zeitalters, das am Beginn der Menschheitsgeschichte gestanden und in dem es weder einen Staat noch Standes-und Besitzunterschiede gegeben haben soll, folglich auch keine Herrschaft von Menschen über andere Menschen und keine Teilung in Arme und Reiche. Marx hat dieses sagenhafte Zeitalter später als die kommunistische Urgemeinschaft bezeichnet; er ging also ernsthaft von einem Mythos wie von einer wissenschaftlich bewiesenen Tatsache aus und legte ihn sogar seiner Fünfstadientheorie der Geschichte zugrunde. Marx ist mit anderen Worten davon ausgegangen, daß der Kommunismus schon einmal die universelle Menschheitsordnung war, wenn auch auf sehr primitiver Stufe. Es gilt dies genau zu beachten, wenn man das Wesen des Kommunismus verstehen will. Im Mythos vom Goldenen Zeitalter ist gleichsam sein Schlüssel verborgen.

Es ist möglich, daß die Imagination des Goldenen Zeitalters aus der Philosophie der Stoa stammt, die 300 Jahre vor Christi von Zenon begründet wurde und großen Einfluß erlangte.

Die Stoa entwarfen eine Lehre von der natürlichen Gleichheit und Freiheit aller Menschen Aber es wäre natürlich sehr simpel und fast absurd, die Stoa oder gar Ovid des Kommunismus anzuklagen. Kommunist ist nicht, wer an ein Goldenes Zeitalter glaubt, in dem die Menschen ohne Gesetze und privates Eigentum auskommen können. Kommunist ist vielmehr, wer daran glaubt, daß dieses Zeitalter über eine Elite von Auserwählten notfalls mit Gewalt auf der ganzen Erde wiederhergestellt werden müsse. Andernfalls wäre die Zahl berühmter Kommunisten aus der historischen Galerie wohl unübersehbar.

Der philosophische Kommunismus bestand unter diesem Aspekt gerade darin, das Goldene Zeitalter in einer plötzlichen Wendung aus der Vergangenheit an den Horizont der Zukunft zu schieben und damit als ein politi-sches Ziel zu fixieren, das mit allen Mitteln anzustreben sei. Diese Wendung wurde endgültig, nach vielen Vorläufern, von Morelly vollzogen. Er stützte sie mit der These von der Natürlichen Ordnung ab, was gewissermaßen nur ein anderer Name für das Goldene Zeitalter war, wenn auch nun unter umgekehrter Zeitperspektive. Die Menschheit gehe der Natürlichen Ordnung als der Erfüllung ihres eigenen, schon immer in ihr angelegten Wesens wie im Prozeß der Selbstverwirklichung entgegen. Es sei im Grunde nur nötig, diese Ordnung, die der wahren Natur des Menschen entspreche, aus dem menschlichen Inneren in die Gesellschaft zu projizieren. Im Naturzustand des Menschen und der Gesellschaft gebe es kein Privateigentum, aus dem alle Übel der Welt quellen würden. Die natürliche kommunistische Ordnung sei praktisch wiederherstellbar, wenn das Privateigentum und der menschliche Egoismus ausgemerzt würden. Da aber die wahre menschliche Natur unter dem Einfluß der Zivilisation zwar nicht aufgehoben, doch verzerrt worden sei, müsse ein Übergangssystem von „einiger Strenge" eingeführt werden, dessen Hauptzweck darin bestünde, die entartete menschliche Natur wieder auf ihre wahre Natur zurückzugeleiten. Ebenso wie das private Eigentum als gefährliche Absonderung vom allgemeinen zu betrachten wäre, könnte auch die Absonderung des Menschen von der Gesellschaft schlechte Folgen nach sich ziehen. Ohnehin sei Freiheit nur durch Einfügung ins Kollektiv zu erreichen.

Damit sind schon alle geistigen Grundelemente des Kommunismus gegeben: die Gütergemeinschaft, der gesellschaftliche Kollektivismus, die Umerziehung und Umformung des Menschen, die Identifizierung der kommunistischen Interessen mit den Interessen der gesamten Menschheit und die Interpretation der kommunistischen Diktatur als einer Demokratie, das heißt einer Volksmacht. Morelly wollte die kommunistische Gesellschaftsordnung auf der Basis absoluter sozialer Gleichheit begründen, die zur absoluten Freiheit führen müsse. Die von privatem Eigentum und privaten Wünschen gereinigte Gesellschaft sei die einzig natürliche Ordnung der Menschen — von jeher und immer bis an das Ende der Welt, womit sich die Geschichte zwischen einen kommunistischen Ursprung und einen kommunistischen Endzustand spannt. Der Kommunismus selbst erscheint als die Natürliche Ordnung, und alles, was sie störe, sei als Abirren vom geraden Weg, als Abweichung von der historischen und objektiven Notwendigkeit zu bewerten: als Abfall von der Menschheit wie von der Geschichte schlechthin. Der Kommunismus wird mit dem wahren Bedürfnis der Menschheit identifiziert, wenngleich er nicht mehr sofort wiedereingeführt werden könne, sondern nur über eine unbestimmte lange Periode der Diktatur, die aber mit der üblichen Gewalttätigkeit der Herrschenden nichts gemeinsam habe, da sie ja mit der wahren Natur des Menschen übereinstimmen würde.

Bei Morelly wird also der Mythos vom Goldenen Zeitalter in den Mythos von der Natürlichen Ordnung eingeschmolzen, der ihn gleichzeitig inhaltlich näher bestimmt. Damit ist als geistige Grundlage des Kommunismus ein Doppelmythos entstanden, und diese geistige Grundlage kann schweren Belastungen ausgesetzt werden, da sie sich ins Unterbewußtsein der Kommunisten verlagert und damit wissenschaftlichen wie philosophischen Kriterien entzieht. Auch der spätere „wissenschaftliche Kommunismus" von Marx und Engels, ihre Nachfolger eingeschlossen, wurzelt in diesem doppelten Mythos.

In seinem Rahmen bildet sich aber ein geistiger Kern, der als geistiger Kern des Kommunismus auch das Bewußtsein aller Kommunisten durchdringt, sich also zumindest formell von dem auf den Boden des kommunistischen Unterbewußtseins hinabgesunkenen Doppel-mythos löst, um als Doppelprinzip zu erscheinen, das sowohl Denken wie Handeln bestimmt. Dieser geistige Kern ist durch die Verschmelzung der Idee einer allgemeinen Gütergemeinschaft mit der Idee einer staatenlosen Gesellschaft entstanden.

Die Aufhebung des Privateigentums und die Aufhebung des Staates — diese beiden Zentralideen ziehen sich von den Anfängen des Kommunismus bis in seine Gegenwart. Mit dem Privateigentum sollen die Besitz-und Klassenunterschiede aufgehoben werden. Mit der Beseitigung des Staates (einschließlich des geschriebenen Rechts) soll das Zeitalter absoluter menschlicher Freiheit beginnen. Neben dem Privateigentum wird also der Staat als das zweite Hauptübel betrachtet. Wenn das Privateigentum die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen begründe, so der Staat die Herrschaft von Menschen über Menschen. Daher müßten beide fallen, um eine ebenso-wohl ausbeutungsfreie wie herrschaftslose Gesellschaft zu schaffen.

Ob das nicht letztlich unvereinbare Gesichtspunkte sind — weil etwa eine kommunistische Gesellschaft eine noch stärkere Zentralgewalt als eine Gesellschaft mit Privateigentum erforderlich macht —, diese Frage soll hier ausgeklammert werden. Die Idee der allgemeinen Gütergemeinschaft, von den Kommunisten auf die Forderung nach Gütergleichheit zugespitzt, zeichnet sich schon offen bei den Mazdakiten ab. Sie taucht dann immer wieder auf, teils als theoretisches, teils als praktisches Postulat. Theoretisch etwa im „Dialoge of Dives and Pauper" im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts verfaßt, oder im Traktat „De civile dominio Jahrhunderts verfaßt, oder im Traktat „De civile dominio" 12), von Wiclif im Jahre 1374 geschrieben; praktisch bei den Bailisten, dem radikalen Flügel des englischen Bauernaufstandes von 1381 unter seinem Führer John Ball, bei den Taboriten, bei Thomas Münzer und seinen Schülern, bei Babeuf, Weitling und vielen anderen.

Wann und von wem die Forderung nach Güter-gleichheit mit der Forderung nach Abschaffung aller Obrigkeiten zuerst verknüpft worden ist, läßt sich m. E. nicht eindeutig sagen. Beide waren als Keime schon in der Vision vom Goldenen Zeitalter enthalten, und vermutlich war es John Ball, der sie um 1381 zuerst verband, indem er eine permanente Revolution propagierte, „bis alles allen gehört und es weder Herren noch Leibeigene gibt und wir alle eines Standes sind" 13). Eindeutig trat die Verknüpfung beider Ziele bei Thomas Münzer hervor. Zumindest von da an wird sie zu einem immanenten Bestandteil der kommunistischen Programmatik, die sich immer weiter auszufächern begann, bis sie bei Babeuf alle Aspekte der Gesellschaft umspannte. Das Konzept der geschlossenen Gesellschaft in der Zwangsjacke des totalitären Systems war nun geboren; man brauchte es nur noch in die Tat umzusetzen, wofür schon die Jakobiner um Robespierre und Saint Just gewisse Proben geleistet und (vor allem Saint Just) vage Pläne hinterlassen hatten, ohne daß man das Recht hätte, sie schlechthin kommunistisch zu nennen (nur wenige Jakobiner durchbrachen die Eigentumsschranke, und selbst Saint Just ging diesen Weg nicht zu Ende).

Noch weniger ist es möglich, das Christentum für den Kommunismus verantwortlich zu machen, indem man die Idee des Gemeineigentums eine ursprüngliche christliche nennt. Sie ist eine ursprünglich philosophische Idee. Ferner kann man aus der Gütergemeinschaft urchristlicher Gemeinden oder der Apostel nicht einfach folgern, daß sie als allgemeiner Gesellschaftszustand vorgesehen war. So aber Weitling, der daraus den Schluß zog, daß die Menschen „keine besonderen Interessen, sondern (nur) ein Interesse" 14), also kein persönliches, sondern nur noch ein gemeinschaftliches Interesse haben sollten. Das war im Grunde eine kommunistische Idee, die von Cabet (1788— 1856) stammte.

Cabet vertrat die Ansicht, die Abschaffung des Privateigentums werde „das Einzelinteresse mit dem Allgemeininteresse zusammenwachsen und verschmelzen" lassen, so daß jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten und nach seinen Bedürfnissen befriedigt werden könne, ohne daß Sonderansprüche gestellt würden. Die Marxsche Formel für die kommunistische Gesellschaft — „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" — geht also auf Cabet zurück, der allerdings infolge seiner Ablehnung der Gewalt und des Unterjochens einer Minderheit kein konsequenter Kommunist war.

Wir sehen, daß schon der vormoderne Kommunismus, der gleichermaßen philosophische Ideen politisierte und religiöse Glaubenssätze säkularisierte, den Kampf gegen drei Weltmächte aufnahm: gegen das Privateigentum, gegen den Staat und gegen den menschlichen „Egoismus", das heißt gegen die privaten Wünsche und individuellen Triebfedern des Menschen.

Als Organisationsformen des vormodernen Kommunismus stechen Sekte, Zunft, Aufstandsausschuß, Geheimbund und Klub hervor. Bis auf die taboritischen Zünfte, die schon vor der Revolution von 1419 entstanden waren und nach ihr nur mit neuem sozialen Inhalt gefüllt worden sind, wurde nur die Elite der jeweiligen Bewegung als Kristallisationsund Inspirationskern organisatorisch zusammengefaßt. Lenins späterer Plan einer Partei der Berufsrevolutionäre war nicht so originell wie es schient. Bei gewissen Aspekten des Kommunismus gibt es eine über anderthalb Jahrtausende gestreckte Kontinuität, die man ins Auge fassen muß, wenn man seine gegenwärtigen Formen voll verstehen will.

Eine Kuriosität unter den Organisationsformen des vormodernen Kommunismus waren Weitlings in Frankreich und der Schweiz gegründete Speiseanstalten, die zum Keim aller kommunistischen Hilfsorganisationen werden sollten.

Gäbet schuf in Illinois eine kommunistische Kolonie, die ihn nach einiger Zeit wegen seines diktatorischen Verhaltens durch einen Mehrheitsentscheid aus den Reihen der Mitglieder ausschloß. So kam einer der ersten Kommunisten über die Widersprüche des Kommunismus zu Fall. b) Sozialistische Idee, Aktion und Organisation vor Marx Unsere bisherige Untersuchung hat ergeben, daß für den vormodernen Kommunismus vor allem die Idee der allgemeinen, nicht auf kleine Gruppen beschränkten Gütergemeinschaft und das Bestreben nach deren unmittelbarer Einführung kennzeichnend waren. Die Idee der allgemeinen Gütergemeinschaft ist die kommunistische Primäridee. Wer sich zu ihr bekannte, legte damit ein grundsätzliches Bekenntnis zum Kommunismus ab, und zwar auch dann, wenn er — wie Cabet — über die Methoden ihrer Einführung besondere Ansichten hatte, und unabhängig davon, daß der Voll-kommunismus auch die Akzeptierung anderer Prämissen einschloß. Daher kann die Idee der allgemeinen Gütergemeinschaft als Prüfstein für die Zugehörigkeit zum vormodernen Kommunismus gelten; mag derjenige, der sie vertrat, auch keiner kommunistischen Gruppe oder Organisation angehört haben, die ja bis zum 20. Jahrhundert nur verhältnismäßig wenigen Menschen zugänglich waren.

Sie wird uns gleichzeitig als negativer Ausgangspunkt für die Untersuchung des Sozialismus dienen. Diejenigen, die bisher als Sozialisten oder sozialistische Vorläufer galten, aber die Konzeption der allgemeinen Gütergemeinschaft verfochten, können von vornherein aus unserer Betrachtung des Sozialismus ausgeschieden werden. Das betrifft zum Beispiel Weitling, der nicht zum Frühsozialismus, sondern zum Frühkommunismus gehörte. Umgekehrt müssen jene, die nur für partielles Gemeineigentum waren, einbezogen werden. Das betrifft zum Beispiel Owen, dessen Bezeichnung als Kommunist sehr fragwürdig ist, mag sie auch nur auf den späten Owen angewendet werden — in seiner angeblich „kommunistischen" Kolonie New Harmony wurde keine allgemeine Gütergemeinschaft, sondern nur das genossenschaftliche Eigentum an unbeweglichen Gütern eingeführt. Dieser scheinbar kleine Unterschied ist in Wirklichkeit für die Unterscheidung von Sozialismus und Kommunismus hoch bedeutsam, und es ist einfach falsch, Babeuf auf die gleiche Stufe wie Saint Simon und Fourier zu stellen, ja gleich diesen zu den „Vätern des Sozialismus"

zu zählen, wie es Talmon tat

Nicht alle, die als Sozialisten oder Kommunisten gelten und sich möglicherweise auch so nannten, waren das eine oder andere auch. Und es sollte schon lange nicht mehr möglich sein, schlechthin jede Gruppe, die eine Form des Gemeineigentums in Erwägung zieht, kommunistisch zu nennen. Dann wäre nämlich auch das Grundgesetz der Bundesrepublik eine kommunistische Verfassung, weil es in Art. 15 vorsieht, daß „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung ... in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden" können Bekanntlich ist das Grundgesetz der Bundesrepublik aber keineswegs eine sozialistische oder radikaldemokratische Verfassung.

Es gilt also, im Umgang mit Begriffen Vorsicht zu wahren. Wenn der Begriff Sozialismus nur als Synonym für Kommunismus gedacht war, weiß man nicht recht, warum er entstand. In Wahrheit hat sich der Sozialismus, wie wir noch sehen werden, schon unmittelbar nach seiner Geburt vom Kommunismus distanziert, ohne daß diese Tatsache bisher in ihrer ganzen Bedeutung erkannt und hinreichend gewürdigt worden wäre.

Im Verhältnis zur Geschichte des Kommunismus, der sich in allen Epochen nachweisen läßt, mutet die Geschichte des Sozialismus vergleichsweise bescheiden an, beginnt sie doch nicht vor der Französischen Revolution.

Ihr erster Kopf war Saint Simon (1760— 1825), der beispielsweise eine europäische Gesamt-regierung empfahl und die Idee der Welt-gemeinschaft aller Nationen gebar — die Idee der Einen Welt. Aber in unserem Zusammenhang ist es wichtiger, daß er es war, der die soziale Frage aufwarf, sie als Arbeiterfrage definierte und für die Integration der Arbeiter als gleichberechtigte Mitglieder in die Gesellschaft eintrat. Saint Simon erkannte, daß sich schon damals alle Völker auf das Ziel des Industriesystems zubewegten, in dem wissenschaftliche und industrielle Fähigkeiten größere Bedeutung als die Politik erlangen würden. Dies und der Umstand, daß die Industriegesellschaft alle Privilegien vernichte, würde dazu führen, daß die Zwangsgewalt des Staates weitgehend abgebaut und die Herrschaft über Menschen durch die Verwaltung von Sachen ersetzt werden könne. Saint Simon glaubte also an einen grundlegenden Wandel der Regierungsfunktion, und er hielt ihn um so dringender geboten, als der mündig gewordene Mensch einer anderen Gesellschaftsorganisation als der feudalen bedürfe.

Es sei ein konfliktgeladener Antagonismus, wenn eine industrielle Gesellschaft eine feudale Regierung habe. Aber ein Widerspruch liege auch darin, daß die fortschreitende Emanzipation des menschlichen Individuums vom gleichzeitigen Wachstum sozialer Bindungen begleitet werde. Im Grunde läuft der Saint-Simonismus darauf hinaus, diese beiden Widersprüche und Konflikte zu lösen. Erstens sei das politische Regime dem industriellen Wirtschaftsstil anzupassen. Zweitens müsse der Mißbrauch des Eigentums an den Produktionsmitteln verhindert und die Konkurrenz durch die Assoziation abgelöst werden, um das individuelle Interesse mit dem Gemeinwohl in Einklang zu bringen. Saint Simon starb mit den Worten: „Mein ganzes Leben kann in dem einen Satz zusammengefaßt werden, allen Menschen die freieste Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu sichern." Im Unterschied zu den Kommunisten war er gegen Gewaltanwendung und Revolution. Die Verfügungsgewalt über das Privateigentum an Produktionsmitteln sollte beschränkt, aber das Eigentum sollte nicht abgeschafft werden.

Nicht die Beseitigung des Staates schlechthin, sondern das allmähliche Absterben seiner Zwangsfunktion zugunsten der Ausweitung seiner Verwaltungsfunktion schwebte ihm vor, also die Umwandlung des Repressions-in einen Wohlfahrtsstaat. Er trat gegen die „künstliche Gleichheit" auf, da von den unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen ausgegangen werden müsse. Die Gütergemeinschaft wäre nicht weniger gewaltsam und ungerecht als die kapitalistische Eigentumsordnung, denn sie widerspräche dem Grundsatz, daß jeder nach seiner Leistung belohnt werden müsse. Selbst die radikalen Schüler Saint Simons — die beispielsweise insofern weiter als ihr Meister gingen, als sie die Übertragung des Erbrechts an Produktionsmitteln von der Familie auf den Staat verlangten — erklärten sich in der 1829/30 erschienenen „Doctrin de Saint Simon" eindeutig gegen den Kommunismus. Im Gegensatz zum saint-simonistischen System seien „im System der Gütergemeinschaft alle Teile gleich, und gegen eine solche Verteilungsart ergeben sich notwendig eine Menge von Einwänden. Das Prinzip des Wett-eifers wird dort vernichtet, wo der Müßiggänger ebensoviel erhält wie der fleißige Arbeiter und dieser daher alle Lasten der Gemeinschaft auf sich fallen sieht. Und schon damit wird klar gezeigt, daß eine solche Verteilung dem Prinzip der Gleichheit entgegensteht, auf das man sich berufen hat. Von Anbeginn an würde in diesem System das* Gleichgewicht jeden Augenblick gestört, die Ungleichheit immer wieder aufkommen und damit stets eine neue Teilung notwendig werden."

Der zweite Kopf des Sozialismus, der seine Doktrin aber unabhängig von Saint Simon (und etwa gleichzeitig wie dieser die seine) entwarf, war Fourier (1772— 1835). Er sah das primärste Menschenrecht im Recht, seinen Hunger zu stillen. Es müsse durch das Recht auf Arbeit und die Bewilligung eines Existenzminimums für jene gewährleistet werden, die nicht oder nicht mehr arbeiten könnten. Aber unter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sei weder Freiheit noch Ordnung noch Gerechtigkeit möglich. Solange die Freiheit nicht allgemein, sondern nur das Privileg einer Minderheit sei, trage sie illusorische Züge. In diesem Fall werde der Staat zum Exekutivausschuß der herrschenden Klasse. Der Charakter jeder Epoche ergebe sich aus der Produktionsweise plus Stellung der Frau, und das Maß der weiblichen Emanzipation sei als Maßstab der allgemeinen Emanzipation anzusehen. Fourier, der den Handel als parasitären Auswuchs der Gesellschaft betrachtete, wollte den sozialen Ausgleich der Klassen. Ihm schwebte eine neue, genossenschaftliche Wirtschaftsform vor, als deren Grundlage die freiwillige Assoziation der Phalanstere gedacht war, eine wirtschaftlich fast autarke Kombination von Produktionsgenossenschaft und Groß-haushalt mit ca. 300 Familien. Sie sollte Dividenden im Verhältnis zur Einlage zahlen, zweistündigen Arbeitswechsel ermöglichen, keine Einförmigkeit in Wohnung, Kleidung und Nahrung dulden und freien Austritt unter Mitnahme des Eigentums gestatten.

Fourier lehnte gewaltsame Enteignungen und Umstürze ab. Ohne Privateigentum sei die individuelle Selbstverwirklichung des Menschen unmöglich; seine Zerstörung käme daher einer Unterdrückung der menschlichen Individualität gleich, weshalb der gütergemeinschaftliche Kommunismus nur mit Gewalt durchsetzbar wäre, ein Versiegen der schöpferischen Quellen nach sich zöge und die Gesellschaft primitivieren würde. Das Privateigentum an Produktionsmitteln dürfe jedoch nicht unbeschränkt bleiben, sondern müsse sozialen Gesichtspunkten folgen. Unter dem bestehenden System wachse das Elend aus dem Überfluß. Schwere Arbeit und Armut hemmten das menschliche Wachstum, weshalb eine gerechtere Verteilung des Eigentums und die ständige Sorge um angenehme Arbeitsplätze notwendig seien. Es käme ferner darauf an, durch gezielte Mischung der Charaktere in den Phalansteres die individuellen Bestrebungen der Menschen so zu koordinieren, daß nicht ihre spaltende, sondern ihre soziale Seite hervorgekehrt würde.

Der dritte Kopf des Frühsozialismus ist mehr ein Praktiker als ein Denker gewesen. Wenn Saint Simon in der Unwissenheit und Fourier im Handel die Quelle aller Übel sahen, so Owen (1771— 1858) im Geld. Um die „künstlichen" Wertmaße Gold und Silber durch das „echte" Wertmaß der menschlichen Arbeitszeit zu ersetzen — wovon sich Owen die Wandlung der gesamten Gesellschaft versprach —, schuf er Arbeitsbörsen für den direkten Produktionsaustausch. Auch die von ihm inspirierten Konsumgenossenschaften sollten den Zwischenhandel überflüssig machen. Außerdem leitete Owen die Arbeitsschutzgesetzgebung ein; das erste, 1819 in England erlassene Gesetz zur Beschränkung der Frauen-und Kinderarbeit ging auf seine Initiative zurück. Schließlich schuf er den ersten Kindergarten der Welt. Bildungsreform und Nationalerziehung sollten die Kinder von klein auf zu guten Gewohnheiten führen, Verbrechen verhüten und eine Gemeinschaftsgesinnung erzeugen, so daß „für privates übel-wollen oder öffentliche Feindschaft kein Grund mehr vorstellbar" sei

Owen glaubte um so mehr an die Macht der Erziehung, als er den Menschen für ein Produkt seiner Umwelt hielt, die jeweils durch bestimmte Gesetze und Gewohnheiten gekennzeichnet sei, weshalb man die Gesetze und Gewohnheiten ändern müsse, wenn der menschlichen Degradation entgegengewirkt werden solle. Entsetzt über die sozialen Verhältnisse des englischen Frühkapitalismus und seiner erbarmungslosen Ausbeutung selbst der Frauen und Kinder, sah er das Proletariat in einen vormenschlichen Zustand zurücksinken, falls nicht die Humanisierung der Arbeitsbedingungen durchgesetzt würde.

Auch Owen verabscheute die Gewalt. Die bestehenden Mängel der Gesellschaftsorganisation sollten „ausschließlich durch die Macht der Vernunft überwunden werden" Seine Abneigung gegen die allgemeine Gütergemeinschaft trat insofern hervor, als er zwar die Arbeit für die einzig rechtmäßige Quelle des Eigentums hielt, aber gleichzeitig sagte, das Eigentum könne „unter sonst gleichen Verhältnissen je nach Fleiß, Fähigkeit und Stärke größer oder geringer sein" Allerdings hat er die kommunistische Phantasie durch seine Idee des Arbeitspapiergelds bis in die Gegenwart hinein befruchtet. Seine Fabrik in New Larnak und seine Kolonie New Harmony wurden aber zu Modellen der sozialistischen statt der kommunistischen Gesellschaft.

Als weiterer Frühsozialist von geschichtlicher Bedeutung ist Buchez (1796— 1865) zu erwähnen, der die Überwindung des Lohnarbeitsverhältnisses durch Arbeiter-Produktivgenossenschaften empfahl. Statt durch sektiererische Kolonien, die meist auf amerikanischem Boden gegründet wurden, suchte er die bestehende Gesellschaft von innen her friedlich umzuwälzen; die Genossenschaft erschien ihm als Kardinalmittel zur Lösung der sozialen Frage. Er trat für die Bereitstellung unentgeltlicher Staatskredite zur Förderung der Produktivgenossenschaften ein, die sich allmählich auf alle Produktionszweige ausdehnen sollten. Buchez war Ex-Saint-Simonist und christlicher Sozialist.

Der ebenfalls christliche Sozialist Leroux (1797 bis 1871) steuerte zum sozialistischen Gedankenbau die Idee der Solidarität bei. Sie sollte zum sozialen Grundprinzip werden und müsse sich sowohl in der Existenzsicherung des einzelnen durch den Staat als auch in der Genossenschaft realisieren.

Auf die Genossenschaft als Grundelement einer neuen Gesellschaft setzte auch Louis Blanc (1813— 1882). Für die genossenschaftlichen Betriebe, die nicht aus Enteignungen, sondern aus Verträgen des Staates mit den Eigentümern hervorgehen sollten, dachte er an eine Arbeiterselbstverwaltung; die Arbeiter sollten die Direktoren in freier Wahl selber bestimmen. Gleichzeitig schlug Blanc die Gewinnbeteiligung der Arbeiter vor. Sie sollten ein Viertel des Betriebsgewinns erhalten. Ein anderes Viertel war für einen Reservefonds bestimmt, aus dem schwache Industrien unterstützt werden sollten, um die Solidarität zwischen allen Industrien und zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft zu begründen, wodurch „Haß, Krieg, Revolution auf ewig unmöglich würden" Blanc sah in der wirtschaftlichen Konkurrenz nicht nur die Ursache der Armut, sondern auch der Revolutionen und Kriege, und er hoffte, die von ihm konzipierte Planwirtschaft (zentraler Wirtschaftsrat und an der Spitze jedes Industriezweigs ein Ingenieur) würde alle drei Übel an der Wurzel treffen. Er setzte sich aber auch energisch für das schon von den englischen Chartisten geforderte allgemeine Wahlrecht ein; nicht zuletzt aus dem Grund, eine legale Basis für die allgemeine Einführung von Produktivgenossenschaften und zur Bewilligung von Staatskrediten zu schaffen.

Die von Buchez stammende und von Blanc weiterführende Doppelidee der Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe und die Forderung des allgemeinen Wahlrechts wurden später von Lassalle wieder ausgenommen. Sie finden sich aber nicht nur im Programm des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins von 1867, sondern auch in dem der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Bebels vom 8. 8.

1869, schließlich auch im Erfurter Programm der SPD vom Mai 1875 programmatisch formuliert Aus den mit Staatsmitteln finanzierten Produktivgenossenschaften sollte die „sozialistische Organisation der Gesamtarbeit", das heißt die sozialistische Gesellschaft entstehen. Dies als Voraushinweis darauf, welchen Einfluß der Frühsozialismus auf den modernen Sozialismus, der in Deutschland mit Lassalle begann, ausgeübt hat. Wenn man die Ideen-welt des Frühsozialismus als ein Ganzes betrachtet, so zeichnen sich gewisse Grundzüge ab. Die Postulate sind Gerechtigkeit und Freiheit, und das Mittel, um sie durchzusetzen, ist die Solidarität — als Hebel, mit dessen Hilfe die Gleichberechtigung der Arbeiter und ihre Integration in die Gesellschaft erkämpft werden soll, und als Appell an den Staat, den Bedürftigen zu helfen. Der Staat wird aber nicht nur zur Bewilligung eines Existenzminimums und zur Sicherung des Rechts auf Arbeit gedrängt, sondern ebenso zu Arbeitsschutzgesetzen und zur Gewährung von Krediten für Produktivgenossenschaften: er soll zum Wohlfahrtsstaat werden und damit seinen Charakter grundlegend ändern. Die politischen Freiheitsrechte sollen verallgemeinert und durch soziale Grundrechte ergänzt werden. Die Emanzipation des Proletariats wird — vor allem von Saint Simon, Fourier und Owen — mit der Emanzipation der Frau verknüpft. Die Genossenschaft gilt als sozialistisches Modell der Zukunftsgesellschaft. Wenn für den Früh-kommunismus die Vision der allgemeinen Gütergemeinschaft primär ist, so für den Früh-sozialismus die Genossenschaftsidee.

Sozialistische Aktionen waren die Missionsarbeiten der Saint-Simonisten und Fourieristen, um neue Anhänger zu werben. Die Schule Saint Simons bildete sogar eine Art von Arbeiterpriestern aus und führte öffentliche Versammlungen durch. Owens Aktivitäten fanden in ganz Europa Widerhall. Es gab auch Petitionen — so die von Pariser Arbeitern im Oktober 1840 an die französische Kammer zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts, wie überhaupt die Wahlrechts-kampagnen in mehreren Ländern zu den wichtigsten Aktionen der Sozialisten gehörten. Ähnlich große Bedeutung hatten nur noch die praktischen Bemühungen zur Forcierung der Genossenschaften und Gewerkschaften, ferner die Aktionen für das Koalitionsrecht und für wirksame Arbeitsschutzgesetze.

Sozialistische Organisationsformen waren die politisch-religiöse Sekte (Saint-Simonisten), die Gewerkschaft, die parlamentarische Fraktion (in Frankreich) und die Genossenschaft. Im Jahre 1834 gründete Buchez die Genossenschaft der Druckarbeiter. Leroux folgte ihm mit einer Assoziation, die Industrie und Landwirtschaft vereinen sollte (so daß man unwillkürlich an Chruschtschows Idee der Agro-städte erinnert wird, die möglicherweise, ihm selber unbewußt, aus dem christlichen Sozialismus von Leroux und Buchez wuchs).

Neben diesen Organisationsformen gab es wie bei den Kommunisten die Kolonie. Von den 178 in den Vereinigten Staaten gegründeten sozialistischen und kommunistischen Kolonien, über die Berichte vorliegen dürfte nur eine Minderheit kommunistisch und die Mehrheit sozialistisch gewesen sein, also ohne allgemeine Gütergemeinschaft.

Zum Schluß sind die tauschbankartigen Arbeitsbasare und die Kindergärten von Owen sowie die Schneiderwerkstätten der Saint-Simonisten in Paris zu verzeichnen. c) Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Frühkommunismus und Frühsozialismus Es ist also nötig, Frühkommunismus und Früh-sozialismus zu unterscheiden. Der Sozialismus ist weder aus dem Kommunismus gewachsen noch als gemäßigter Kommunismus, sondern unabhängig von diesem, ja vielfach im Gegensatz zu ihm entstanden. Saint Simon und Fourier haben sich direkt, Owen hat sich indirekt vom Kommunismus distanziert. Bei den christlichen Sozialisten — Buchez und Leroux — verstand sich diese Distanz fast von selbst. Was schließlich Blanc — letztes sozialistisches Hauptglied in der Kette vor Marx — betrifft, so drückte sich sein Verhältnis zum Kommunismus im Antipodentum zu Blanqui aus. Blanc und Blanqui waren in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die wohl wichtigsten Gegenspieler des Sozialismus und Kommunismus in Frankreich, die beide begannen, sich unabhängig voneinander in gesonderten Parteien zu formieren und damit die bisherigen Organisationsformen zu durchbrechen. Die Kommunisten formierten sich 1840 auf einem Bankett in Belleville, die Sozialisten als republikanisch-demokratische Opposition — die auch viele Nicht-und Halbsozialisten umfaßte — gegen die 1830 entstandene französische Juli-Monarchie unter Louis Phi-lippe. Nach der Februar-Revolution des Jahres 1848 wurden die Sozialisten auch zur parlamentarischen Opposition, die mit Ledru-Rollin und Louis Blanc ihre Vertreter in der provisorischen Regierung hatte. Interessanterweise nannten sich die demokratisch-republikanischen Sozialisten schon damals Sozialdemokraten und als Gesamtheit „sozialdemokratisch".

Die Unterschiede zwischen Frühsozialismus und Frühkommunismus lassen sich in folgenden Punkten skizzieren:

Der Frühsozialismus entstand als Protest gegen die Folgen der industriellen Revolution, während der Kommunismus sehr viel ältere und vornehmlich mythologische Wurzeln hat.

Der Sozialismus wuchs aus der moralischen Empörung über den Gegensatz von arm und reich, der Kommunismus aus dem politischen Klassenkampf — er ging weniger von einem moralischen Impuls als von der Machtidee aus. Insofern ist seine Geschichte — wenn auch nicht die Geschichte schlechthin, da Klassen erst mit der industriellen Revolution und nach dem Zerfall der Stände entstanden — immer eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen.

Der Frühsozialismus erstrebte die Überwindung, der Frühkommunismus die Verallgemeinerung des Proletariats; denn nicht dessen Aufhebung, sondern die Beseitigung des Eigentums war das Ziel des Kommunismus, während der Sozialismus fast von Anbeginn „Eigentum für alle" auf seine Fahne schrieb. Er wollte die Armut aufheben, ohne den Reichtum zu vernichten, während für die Kommunisten der Reichtum schlechthin etwas Verwerfliches war. Mit den Reichen wollte der spartanische Kommunismus auch den Reichtum als eine angebliche Quelle der Verderbnis vernichten, während der Sozialismus den Ausgleich zwischen Armen und Reichen erstrebte.

Der Frühkommunismus ging auf die Beseitigung aller Formen des Eigentums aus, während die Sozialisten höchstens das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufheben wollten.

Die Sozialisten wollten das private Eigentum an Produktionsmitteln durch das genossenschaftliche Eigentum ersetzen, ohne die Institution des Eigentums selbst zu zerstören, während sich der Kommunismus gerade dessen Zerstörung zum Ziel gesetzt hatte. Die genossenschaftliche Gesellschaft und die Gesellschaft der Gütergemeinschaft wären, wenn sie sich verwirklichen ließen, zwei verschiedene Sozialformationen. In der ersteren würde der Rahmen des Eigentums nur erweitert, in der zweiten aber zerbrochen. Die Gütergemeinschaft setzt eine eigentumslose Gesellschaft voraus. Wenn die Kommunisten von Anbeginn erklärten, daß „alles allen" zu gehören hat, so gehört schließlich niemandem etwas, weil niemand etwas Eigenes hätte.

Die Sozialisten wollten die Gleichberechtigung der Arbeiter mit den anderen Gesellschaftsschichten erreichen, während die Kommunisten, soweit sie überhaupt schon die Arbeiter im Blickfeld hatten, deren politische Herrschaft zu errichten versuchten. Während also die Sozialisten für die Vernichtung aller Privilegien fochten, zielten die Kommunisten eine neue Klassenherrschaft an.

Zu den typischen Forderungen des Frühkommunismus gehörte der Arbeitszwang — von da bis zur Zwangsarbeit in den entsprechenden Lagern war es nur noch ein Schritt. Die Frühsozialisten haben demgegenüber das Recht auf Arbeit proklamiert.

Die Kommunisten bejahten fast ausnahmslos die Gewalt, während die Sozialisten in der Regel die Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer Ziele verneinten. Gleichwohl läßt sich dieser Unterschied nicht einfach als Gegensatz von Revolution und Reform definieren. Es gibt evolutionäre Revolutionen und revolutionäre Reformen — die Ablösung der privaten durch genossenschaftliche Betriebe wäre zweifellos eine revolutionäre Umwandlung der Gesellschaft auch dann, wenn sie sich mit den friedlichsten Methoden vollzöge. Das Kriterium des Revolutionären liegt nicht nur in der Methode, sondern auch im geistigen Antrieb und in der Vision des Ziels. Wer ernsthaft die „alte" durch eine „neue" Gesellschaft ablösen will ist Revolutionär, selbst dann, wenn er gewaltlose Mittel bevorzugt.

Der Sozialismus war ursprünglich sehr viel mehr als Reform. Er setzte gerade da ein, wo einerseits die Gewalt als untauglich betrachtet wurde, eine dauerhafte Veränderung der Gesellschaft zu erzielen, während andererseits bloße Reformen, die die Struktur der Gesell-schäft unberührt ließen, als nicht mehr ausreichend erschienen. Das zeigt sich vor allem in den Schriften Saint Simons und Fouriers, die noch im Banne der robespierrschen Schrekkensherrschaft standen.

Damit gelangen die Berührungspunkte von Frühkommunismus und Frühsozialismus zur Sprache.

Beider Sinn war eine Änderung der Eigentumsstruktur, wenngleich der Umfang des Eingriffs und das Resultat verschieden sein sollten. Nicht nur der Kommunismus, auch der Sozialismus ist undenkbar ohne Durchbrechung der Eigentumsschranke. Beide waren sozialrevolutionär, indem sie über eine neue Wirtschaftsform hinaus eine neue Gesellschaftsform erstrebten. Beide waren von politischem Messianismus erfüllt, wenngleich der sich neigende Frühsozialismus — etwa Louis Blancs — schon ungleich nüchterner als der wie ein Morgenrot aufsteigende von Saint Simon und Fourier gewesen ist.

Der antidemokratische Charakter des Früh-kommunismus war unübersehbar. Er trat am deutlichsten bei Babeuf und im allgemeinen Forderung politischen die Minderheiten der hervor, und potentiell Unzuverlässigen auszumerzen, zumindest aber keine legale politische Opposition zuzulassen, wenn die Kommunisten an der Macht sein würden. Doch auch bei vielen Frühsozialisten zeigte sich eine antidemokratische Tendenz — nicht nur bei Saint Simon und Fourier, sondern beispielsweise sogar bei Buchez, dessen Produktivgenossenschaften unauflösbar sein sollten. Aber mit der Forderung des allgemeinen Wahlrechts kündigte sich schon die Abwendung von dieser Tendenz an, und vielleicht ist Louis Blanc als der erste demokratische Sozialist zu betrachten.

Frühkommunisten und Frühsozialisten war die Feindschaft gegen die wirtschaftliche Konkurrenz gemeinsam, damit auch gegen wirtschaftliche Freiheit schlechthin, obwohl sie von der politischen kaum getrennt werden kann.

Manche Sozialisten sind wie die Kommunisten für generell gleiche Löhne mit der Begründung gewesen, daß höhere Fähigkeiten nur größere Pflichten, aber keine größeren Rechte schüfen. Dieser gleichmacherischen Tendenz huldigten ursprünglich auch Buchez und Blanc; letzterer wollte allerdings die gleichen Löhne auf die Mitglieder der Produktivgenossenschaften beschränken. Ferner sind die Väter des Frühsozialismus — Saint Simon, Fourier und Owen — wie die Frühkommunisten einem antireligiösen Impuls gefolgt, der im Saint-Simonismus und Fourie-rismus paradoxerweise wieder eine religiöse Form anehmen sollte. Indes traten schon kurz nach ihrem Tode auch christliche Sozialisten wie Buchez und Leroux im Frühsozialismus hervor. Sie sollten tiefe Spuren in seinem Boden hinterlassen, während der Kommunismus eine antireligiöse Bewegung blieb, obwohl sich auch um den Marxismus ein religionsartiger Kult zu bilden begann.

Frühkommunismus und Frühsozialismus berührten sich in der übereinstimmenden Forderung nach einer planmäßig betriebenen und zentral geleiteten Wirtschaft. Auch ihr Menschenbild wies Gemeinsamkeiten auf, indem sie den Menschen erstens als Produkt seiner Umwelt und zweitens als ein Glied der Gesellschaft betrachteten. Allerdings hat nur ein Teil der Frühsozialisten materialistischen und organistischen Theorien gehuldigt.

Wenn man heute die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Frühkommunismus und Frühsozialismus überblickt, so ist augenscheinlich, daß die Gegensätze zukunftsträchtiger als die Berührungen waren. Anscheinend hatten sie die tieferen Wurzeln.

Die Hauptunterschiede zwischen Frühkommunismus und Frühsozialismus haben darin bestanden, daß die Kommunisten die allgemeine Gütergemeinschaft und die Vernichtung des Staates mit den Mitteln der Gewalt erstrebten, während die Sozialisten — teilweise auf dem Wege der Selbsthilfe, teilweise auf dem Wege der Staatshilfe und mit gewaltlosen Mitteln — eine genossenschaftliche Umformung der Gesellschaft bei Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln wollten. Wie beim Kommunismus die Visionen der eigentumslosen und der staatenlosen Gesellschaft, so waren beim Frühsozialismus die Ideen der Selbsthilfe und des Wohlfahrtsstaates eigentümlich verschmolzen.

Diese grundsätzlichen Unterschiede sind daraus entstanden, daß der Kommunismus aus dem Boden und dem Weltbild der Agrargesellschaft wuchs (deren letzte Erscheinungsform in Europa der Feudalismus war), während der Sozialismus von der industriellen Revolution her und mit dem Horizont der Industriegesellschaft konzipiert worden ist (wofür die Schriften Saint Simons die überzeugendsten Beweise liefern).

Die industrielle Revolution formte aber auch den mit agrargesellschaftlichen Zügen bedeckten Frühkommunismus um. Suchte er sich ursprünglich vor allem auf die Bauern zu stützen, so nun — wie die Sozialisten — auf die Arbeiterschaft, Schon dieser Umstand mußte Frühkommunisten und Frühsozialisten in Berührung miteinander bringen (obwohl das „Früh" bei den Kommunisten ganz andere historische Dimensionen als bei den Sozialisten hat). Die genannten Gemeinsamkeiten kamen hinzu. Da Frankreich das erste Kulminationsland beider war und eine revolutionäre Erschütterung nach der anderen erfuhr, stellten auch die mißglückten Erhebungen gewisse Verbindungen her. Es kam zur Wechselwirkung und teilweise auch zur Annäherung von Kommunisten und Sozialisten.

Diese Wechselwirkung und Annäherung im Frankreich der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hat selbst Historiker zu der Ansicht verführt, daß Kommunismus und Sozialismus im Grunde dasselbe seien. Fast niemand dachte daher darüber nach, warum wohl Marx ein „Kommunistisches Manifest" statt ein „sozialistisches" verfaßte. Franz Borkenau schrieb noch 1956 in der Einleitung zu einem Auswahlband von Marxschen Schriften, daß „die Begriffe Sozialismus und Kommunismus damals noch mehr oder weniger ungeschieden waren" Aber auch die Sozialisten hatten zur Verwirrung beigetragen. Karl Kautsky ordnete in seinen „Vorläufern des Sozialismus" selbst Thomas Münzer, die extremen Taboriten und die Führer der münsterschen Widertäufer unter die Sozialisten ein, obwohl sie kommunistische Ideen und Ziele vertraten.

Wir konnten den Spuren Kautskys nicht folgen, sondern halten die Unterscheidung zwischen Frühkommunismus und Frühsozialismus für unerläßlich, sowohl was die historische Redlichkeit und Genauigkeit als auch was die Beurteilung von Kommunismus und Sozialismus in der Gegenwart angeht, von denen weder der eine noch der andere ohne ihre vormodernen Erscheinungsformen verstanden werden kann. übrigens können wir uns bei der Differenzierung von Kommunismus und Sozialismus auf Marx und Engels selber berufen. Engels unterschied zwischen Morelly und Mably, die im Verhältnis zu Morus und Campanella „schon direkt kommunistische Theorien" vertreten hätten, und den „Stiftern des Sozialismus"

Saint Simon und Fourier. In einer Anmerkung zu seiner Herausgabe von Manuskripten Fouriers setzte er hinzu: „Man vergesse nicht, daß Fourier kein Kommunist war." Marx hat schon im „Kommunistischen Manifest" zwischen Sozialisten und Kommunisten, wenn auch nur unscharf, differenziert. Er verlangte beispielsweise, daß die französischen Kommunisten ihre Absonderung aufgeben und sich „an die sozialistisch-demokratische Partei" Ledru-Rollins und Louis Blancs anschließen sollten. In seiner „Kritik des Gothaer Programms" der SPD zog er schließlich auch einen Strich zwischen sozialistischer und kommunistischer Gesellschaft, wobei er erstere als eine mehr oder weniger rohe Vorform der letzteren beschrieb und den Sozialismus als eine „genossenschaftliche, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründete Gesellschaft" definierte, die „in jeder Beziehung (noch) mit den Muttermalen der alten Gesellschaft behaftet" sei, was „in der höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft" nicht mehr der Fall sein würde Es ist also im höchsten Maße unwahrscheinlich, daß sich Marx und Engels der Unterschiede zwischen Sozialismus und Kommunismus nicht bewußt gewesen seien. Alles deutet auf das Gegenteil hin. Wahrscheinlich waren sie sich dieser Differenzen sogar klarer als die meisten ihrer Zeitgenossen bewußt. Wenn sie dennoch Zweifel aufkommen ließen, Owen einmal einen Sozialisten, dann wieder einen Kommunisten nannten, nicht eindeutig zwischen sozialistischer und kommunistischer Literatur unterschieden und unscharf formulierten, wo es um das Verhältnis von Sozialismus und Kommunismus ging, während sonst die Schärfe ihrer Formulierungen kaum zu übertreffen war, so muß das einen Grund gehabt haben. Der Grund bestand darin, daß sie Sozialismus und Kommunismus vereinigen wollten, weshalb es unklug gewesen wäre, ihre Gegensätze hervorzukehren. Es kam umgekehrt darauf an, die Gemeinsamkeiten zu betonen, ohne die Gegensätze zu vergessen. So verfuhren sie auch. Der bewußt unscharfen Differenzierung zwischen Sozialismus und Kommunismus bei Marx und Engels lag eine politische Taktik zugrunde. Das folgende Kapitel wird zeigen, daß ferner auch eine strategische Berechnung im Spiel war.

3. Die Gegensätze werden vereinigt

Marx und Engels wird nur das Verdienst zugeschrieben, die Arbeiterbewegung mit der sozialistischen Theorie vereinigt zu haben. Selbst Lenin sprach in politischer Hinsicht, also von den wissenschaftlichen Leistungen abgesehen, lediglich von diesem Verdienst. Eine andere Seite der praktischen und theoretischen Tätigkeit von Marx und Engels ist, soweit ich sehe, bis zum heutigen Tage außer acht gelassen worden, nämlich die Vereinigung von Sozialismus und Kommunismus. Dabei war sie von ähnlicher oder noch größerer Bedeutung als die Vereinigung der erstgenannten Art.

Die Vereinigung von Sozialismus und Kommunismus vollzog sich im Rahmen der (I.)

„Internationalen Arbeiterassoziation", die am 28. 9. 1864 in London gegründet wurde und — nach dem Roten Kreuz — eine der ersten internationalen Organisationen überhaupt war. Wer die von Marx verfaßten Statuten der Assoziation nachliest, wird nur wenig Marxismus in ihnen finden. Da war von „gleichen Rechten und Pflichten" sowie von „Gerechtigkeit und Sittlichkeit" in der Gesellschaft die Rede (obwohl Marx im „Kommunistischen Manifest" geschrieben hatte, daß es den Kommunisten nicht um Prinzipien oder Ideale gehe). Als Ziele der Arbeitergesellschaften wurden „Schutz, Fortschritt und vollständige

Emanzipation der Arbeiterklasse" genannt.

Nur die Formulierung des „letzten Zwecks, die Abschaffung der Klassen" deutete in vagen Umrissen die kommunistische Vision an. In der „Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation", die gleichzeitig mit den Statuten geschrieben wurde, feierte Marx nicht nur die auf dem Reformwege zustandegekommene englische Zehnstundenbill als einen großen Sieg, ja als den „Sieg eines Prinzips" er sprach sich auch sehr lobend über die sozialistische Genossenschaftsbewegung aus. Mehr noch: „Um die arbeitenden Massen zu befreien, bedarf das Kooperativsystem der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der Förderung durch nationale Mittel." Man glaubt, Buchez, Louis Blanc oder Lassalle sprechen zu hören. Wer aber die „Kritik des Gothaer Programms" nachschlägt, kann über die Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe höchst verächtliche Sätze lesen, da sie „der Einbildung Lassalles würdig (seien), daß man mit Staatsanleihen ebensogut eine neue Gesellschaft bauen kann wie eine neue Eisenbahn" Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Die versöhnlichen Statuten und die noch versöhnlichere Inauguraladresse schufen die Basis, um Kommunisten und Sozialisten, ja zusätzlich beide mit den Anarchisten zu vereinen. Auf dieser Basis war die Vereinigung möglich, und erst sie wiederum machte die „Internationale Arbeiterassoziation" zu einer politischen Kraft. Aber die Vereinigung der Gegensätze war nur um den Preis von Kompromissen möglich.

Die wichtigsten dieser Kompromisse sollen kurz aufgezählt werden:

Erstens wurde nicht mehr die allgemeine Gütergemeinschaft, sondern nur noch die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln propagiert. Damit war schon das wichtigste Hindernis für die Vereinigung von Kommunisten und Sozialisten entfallen. Aber Marx und Engels gingen noch einen Schritt weiter, indem sie den Gleichheitskommunismus schlechthin kritisierten und das Prinzip der gleichen Löhne verwarfen.

Zweitens wurde das Ziel der Abschaffung des Staates durch die Formel vom „Absterben"

des Staates ersetzt, wodurch die antistaatliche Tendenz des Kommunismus als abgestumpft und weniger radikal erschien, was sie für die 'Sozialisten annehmbarer machte.

Drittens wurden die sozialistischen Konsum-und Produktivgenossenschaften nun positiv beurteilt, allerdings nur unter dem Aspekt, daß sie die Überflüssigkeit des Privatunternehmertums bewiesen und die Eroberung der politischen Macht nicht zu ersetzen vermöchten, weil, wie Marx in der Inauguraladresse schrieb, „die Herren von Grund und Boden und die Herren vom Kapital ihre politischen Privilegien stets gebrauchen zur Verteidigung und Verewigung ihrer ökonomischen Monopole also freiwillig den Genossenschaften nicht Platz machen würden. So tritt die Taktik hervor — einerseits zu unterstreichen, „wie ausgezeichnet im Prinzip und wie nützlich in der Praxis die Genossenschaften seien, an-dererseits zu betonen, daß sie außerstande wären, „die Massen zu befreien, ja die Wucht ihres Elends auch nur merklich zu erleichtern"

Auf diese Weise sollten die Sozialisten über die Kompromisse an den Kommunismus herangeführt werden. Marx und Engels hatten vor — und eben das war ihre strategische Überlegung —, den sozialistischen Teil der Arbeiterbewegung schrittweise auf die Stufe des kommunistischen Bewußtseins zu heben, das von ihnen als die höchste Stufe des politischen Bewußtseins angesehen wurde. Engels hat das später, im Jahre 1890, in einer neuen Vorrede zum „Kommunistischen Manifest", fast unverhüllt zugegeben: „Die Internationale Arbeiterassoziation . . . hatte zum Zweck, die gesamte streitbare Arbeiterschaft Europas und Amerikas zu einem großen Heerkörper zu verschmelzen. Sie konnte daher nicht ausgehen von den im . Manifest'niedergelegten Grundsätzen. Sie mußte ein Programm haben, das den englischen Trade-Unions, den französischen, belgischen, italienischen und spanischen Proudhonisten und den deutschen Las-

salleanern die Tür nicht verschloß . . . Für den schließlichen Sieg der im , Manifest'aufgestellten Sätze verließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiterklasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehen mußte. Die Ereignisse und Wechselfälle im Kampf gegen das Kapital, die Niederlagen noch mehr als die Erfolge, konnten nicht umhin, den Kämpfenden die Unzulänglichkeit ihrer bisherigen Allerweltsheilmittel klarzulegen und ihre Köpfe empfänglicher zu machen für eine gründliche Einsicht in die wahren Bedingungen der Arbeiteremanzipation. Und Marx hatte recht. Die Arbeiterklasse von 1874 bei der Auflösung der Internationale war eine ganz andere als die von 1864 bei ihrer Gründung gewesen war. Der Proudhonismus in den romanischen Ländern, der spezifische Lassalleanismus in Deutschland waren am aussterben, und selbst die damaligen stock-konservativen englischen Trade-Unions gingen allmählich dem Punkt entgegen, wo 1887 der Präsident ihres Kongresses in Swansea in ihrem Namen sagen konnte: Der kontinentale Sozialismus hat seine Schrecken für uns verloren.'Der kontinentale Sozialismus, der war aber schon 1887 fast nur noch die Theorie, die im . Manifest'verkündet wird."

Soweit der offenherzige Engels; offenherzig indessen erst dann, als der Sieg des Marxismus über alle anderen geistigen Strömungen in der Arbeiterbewegung gesichert schien. Der „kontinentale Sozialismus" fiel nun im wesentlichen mit dem Marxismus zusammen, wie der Marxismus seinerseits die theoretische Grundlage des modernen Kommunismus geworden war. Wenn Engels schrieb, daß der kontinentale Sozialismus fast nur noch die im „Kommunistischen Manifest" verkündete Theorie sei, so drückte er damit aus, daß der Sozialismus — nach der organisatorischen Vereinigung mit dem Kommunismus in der „Internationalen Arbeiterassoziation" — nun auch die theoretische Ehe mit dem Kommunismus geschlossen hatte. Der Marxismus war der Ehering.

Wenn der Sozialismus wirklich eine „Bourgeoisbewegung" gewesen wäre, wie Engels in der gleichen Vorrede meinte, so hätten die Sozialisten schwerlich nach der Vereinigung mit dem Kommunismus gestrebt. Wenn er aber eine „Bourgeoisbewegung" deshalb gewesen sein soll, weil seine Theoretiker vornehmlich aus den Oberschichten kamen oder bürgerliche Intellektuelle waren, so hätte auch der Marxismus-Engelismus die Klassifizierung als „Bourgeois-Ideologie" verdient. Proudhon, den Marx im „Kommunistischen Manifest" als „sozialistischen Bourgeois" verketzerte, war demgegenüber das Kind eines Küfers und eines Dienstmädchens, was ihm das Recht verliehen hätte, sich als ersten aus dem Proletariat selber aufgestiegenen Arbeiterphilosophen zu bezeichnen. Aber Proudhon war ein scharfer Gegner des Kommunismus, und das genügte, um ihn als „sozialistischen Bourgeois" abzustempeln. Die Urteile von Marx und Engels sind nicht immer sachlich gewesen, und sie wurden um so schärfer, je mehr sie Personen betrafen, die sich mit den Konsequenzen der Einführung des Kommunismus befaßten.

Mehring hatte recht, als er den Marxismus nicht „wissenschaftlichen Sozialismus", sondern „wissenschaftlichen Kommunismus" nannte, eine Bezeichnung, die sich in den letzten Jahren auch in den kommunistischen Staaten, vor allem in der Sowjetunion, durchgesetzt hat, während die in westlichen und neutralen Ländern beheimateten Kommunisten weiterhin vom „wissenschaftlichen Sozialismus" sprechen. In den westlichen und neutralen Ländern strebt man ja noch immer nach der „Aktionseinheit" mit den Sozialisten und Sozialdemokraten, weshalb es nicht tunlich erscheint, Sozialismus und Kommunismus abzugrenzen. Die politische Taktik von Marx und Engels gegenüber den Sozialisten hat sich vererbt.

Gleichwohl wäre es falsch, zu sagen, daß Marx und Engels Anti-Sozialisten gewesen seien.

Ganz gewiß nicht. Aber sie waren mehr Kommunisten als Sozialisten, was sich bei Marx schon in den Pariser Manuskripten von 1844 und bei Engels kurz darauf in seinem Entwurf zum „Kommunistischen Manifest" zeigte. Marx wandte sich zwar schon 1844 — in „Nationalökonomie und Philosophie" — gegen den „rohen Kommunismus"; aber nur, weil er ihn durch einen gereiften ersetzen wollte, und in beiden Formen definierte er ihn als „positive Aufhebung des Privateigentums" Auch ihm, wie allen vorangegangenen Kommunisten, erschien das Privateigentum als die Quelle aller Übel; er wollte es als Institution vernichten — wie auch Engels, der ihm darin folgte. Insofern standen beide schon vor dem Erscheinungsjahr des „Kommunistischen Manifestes" (1848) auf dem Boden des Kommunismus.

In der Einleitung zum „Kommunistischen Manifest" hieß es, daß es „von Kommunisten der verschiedensten Nationalität veröffentlicht"

würde, die sich als „Partei" verstünden. Aber schon im Manifest zeichneten sich einige Kompromisse ab, die der Annäherung an die Sozialisten dienen sollten. Obwohl unvergleichlich deutlicher als die späteren „Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation" und deren Inauguraladresse, stellte es dennoch das Ziel der allgemeinen Gütergemeinschaft nur negativ, in Abwehr antikommunistischer Argumente und damit leicht verschleiert vor. Die entsprechenden Sätze von Marx waren zweideutig oder schienen es zumindest zu sein. Man habe den Kommunisten vorgeworfen, das persönliche Eigentum abzuschaffen, aber soweit das kleinbäuerliche Eigentum gemeint sei, brauche es nicht abgeschafft zu werden, weil die Industrie seine Vernichtung besorge.

„Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern nur die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums." Da aber andere Formen des Eigentums mit Ausnahme des feudalen Grundbesitzes und des kleinbäuerlichen Eigentums kaum noch existierten, da Marx ferner das eigentlich persönliche Eigentum überging und das bürgerliche nicht auf das Eigentum an Produktionsmitteln beschränkte — aus all diesen Gründen war seine Einschränkung in der Mitte des Satzes gegenstandslos. Tatsächlich schrieb er dann auch im Anschluß an unser Zitat, die Kommunisten könnten „ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen" So schien das gütergemeinschaftliche Angesicht des Kommunismus durch den Schleier hindurch.

Es blieb auch im Hintergrund scheinbar rein sozialistischer Ziele — wie der Progressiv-steuer— stehen. Nur die Forderung des „Arbeitszwangs für alle" und die generelle „Abschaffung des Erbrechts" waren noch verräterisch, wenn man von der unbestimmten Formulierung absehen will, daß es „despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse" bedürfe. Das „Kommunistische Manifest" sprach nicht alle kommunistischen Gedanken aus; es diente dem doppelten Zweck, die Selbstverständigung der Kommunisten und ihre Annäherung an die Sozialisten einzuleiten.

Die Kommunisten sollten sich nach Marx nur theoretisch zur eigenen Partei formieren, aber nicht in der politischen Praxis. „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien", sondern „der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder." Die Absonderung der Kommunisten widersprach also der politischen Taktik von Marx. Wie die Sozialisten in Frankreich bereits zum linken Flügel der Republikaner geworden waren, so sollten die Kommunisten zum linken Flügel der Sozialisten werden, also organisatorisch mit ihnen verschmelzen, ohne ihre kritische Haltung ihnen gegenüber aufzugeben. Gemeinsam mit den Sozialisten sollten sie die „Bildung des Proletariats zur Klasse" betreiben, die im „Manifest" als „nächster Zweck der Kommunisten" bezeichnet wurde. Aber die Vereinigung von Kommunisten und Sozialisten trotz ihrer Dissonanzen konnte nur gelingen, wenn es Marx und Engels gelang, den Marxismus nicht nur zur theoretischen Grundlage des Kommunismus, sondern auch des Sozialismus zu machen. Diese erstaunliche Leistung ist ihnen tatsächlich im großen und ganzen geglückt, wenngleich sie nicht von Bestand war. Der Prozeß der theoretischen Vereinigung wurde mit dem „Manifest" eingeleitet — daher auch das seichte und durchsichtige Argument von Engels, man habe das „Manifest“ nur deshalb kommunistisch genannt, weil „Sozia-lismus 1847 eine Bourgoisbewegung, Kommunismus eine Arbeiterbewegung" gewesen sei; er wurde mit den Gründungsdokumenten der „Internationalen Arbeiterassoziation" — den Statuten und der Inauguraladresse — zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Aus der „Kritik des Gothaer Programms" ist schließlich der Versuch von Marx ersichtlich, den Sozialismus auch offiziell in den Kommunismus zu integrieren, indem er als die „erste Phase" des Kommunismus eine neue Interpretation erfuhr.

Marx scheint 1875 der Ansicht gewesen zu sein, daß nunmehr die Möglichkeit bestünde, die deutsche Sozialdemokratie über den Sozialismus hinaus auf den Kommunismus zu lenken; er betrachtete die Vereinigung der Lassalleaner mit den Eisenachern unter dem Aspekt theoretischer Verwässerung, die ihm als Rückschritt und Hindernis erschien. Das mag ihn veranlaßt haben, den Angriff für die beste Verteidigung zu halten. Gleichzeitig mit der Degradierung des Sozialismus zu einer Vorform gab er drastisch zu verstehen, daß „zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft", also während der sozialistischen Phase, „der Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats" Damit war der Sozialismus gegenüber dem Kommunismus, in dem eine Diktatur nicht mehr nötig sein würde, sogar diskreditiert. Gestern noch ein glorreiches Ziel, mutete er nun wie eine Durststrecke an, die möglichst schnell passiert werden müßte. Das waren völlig neue und verwirrende Aspekte, deren Erkenntnis allerdings durch die fünf-zehnjährige Verzögerung beim Druck der Gothaer Kritik weit hinausgeschoben wurde.

Jedoch: indem Marx die Degradierung des Sozialismus zur Vorform und die obligatorische Diktatur in die Diskussion einführte, dürfte er mehr als die theoretischen Widersprüche des Marxismus dazu beigetragen haben, daß der Revisionismus in der deutschen Sozialdemokratie — und im internationalen Sozialismus — zu einer politischen Macht werden konnte. Marx'offener Versuch, den Sozialismus in den Kommunismus zu integrieren, hat wahrscheinlich erst die Voraussetzung für jene Gegenbewegung geschaffen, die sich an den Namen Bernstein heftet. Wenn der Sozialismus mit der kommunistischen Diktatur verknüpft war, dann mußte die Sozialdemokratie entweder ihren Namen ändern — das „demokratisch" aus ihm streichen — oder innerhalb der Sozialdemokratie mußten sich Kräfte sammeln, die der Diktatur als politischem „überbau" des Sozialismus widersprachen und die Konsequenzen aus diesem Widerspruch zogen. Da aber der Marxismus zu jener Zeit bereits in der Arbeiterbewegung dominierte, konnte der Widerspruch nur erfolgreich sein, wenn er sich nicht auf einzelne kommunistische Thesen beschränkte, sondern auf den Marxismus als Ganzes bezog.

Der Kommunismus war damals bereits zum marxistischen Kommunismus geworden. Aber das scheint selbst Bernstein nicht ganz klar erkannt zu haben, und es wurde auch dadurch verwischt, weil der Sozialismus ebenfalls schon weitgehend marxistisch war. Der Marxismus hielt wie eine Klammer Sozialismus und Kommunismus zusammen, so daß jeder Angriff auf den einen noch wie ein Angriff auch auf den anderen anmuten konnte.

Daher die ungewöhnliche Erregung über Bernsteins Ketzerei: nicht nur diese oder jene These von Marx, sondern der Sozialismus selbst schien zu wanken. Die politischen Glaubensgewißheiten der Sozialisten wurden scheinbar der Belastungsprobe eines Erdbebens ausgesetzt.

X Dabei hatte Bernstein, genau umgekehrt, mit der Reinintegration, mit der Reinigung des Sozialismus von fremden Elementen begonnen. Scheinbar wandte er sich nur gegen die utopischen Elemente des Marxismus, aber diese waren mit den kommunistischen Elementen identisch oder verknüpft. Mit der Entfernung des Utopismus wurde daher auch das Auskehren des Kommunismus eingeleitet. Aus den „Voraussetzungen des Sozialismus" ergibt sich kein Hinweis, ob Bernstein der tiefere Sinn seines Tuns auch bewußt war, wenngleich er nachträglich schrieb, daß er nicht alle Gedanken aussprechen oder auf dem Papier zu Ende hätte führen können. Aber wahrscheinlich weiß niemand ganz um den Sinn seines Tuns. Dessen Tiefengeschichte bleibt dem Täter verborgen. In der Regel dek-ken sie erst die Nachfolger auf. In diesem Fall des Bernsteinschen Revisionismus wurde jedoch der tiefere Sinn durch ein Schisma aufgedeckt — durch jenes Schisma zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das die Kommunisten und die Sozialisten wieder trennte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe E. Hölzle, Geschichte der zweigeteilten Welt, Rowohlt-Taschenbuch, Reinbek b. Hamburg 1961, S. 12.

  2. Der Sowjetkommunismus, Bd. 1 (hrsg. v. H. J. Lieber und K. H. Ruffmann), Köln 1963, S. 311.

  3. Die nichtchristlichen Religionen (von Prof. Glasenapp), Fischer-Bücherei 1957, S. 291/292.

  4. N. Cohn, Das Ringen um das Tausendjährige Reich, Bern 1961, S. 204.

  5. Ebenda, S. 206.

  6. Ebenda, S. 228.

  7. S. Talmon, Die Ursprünge der totalitären Demokratie, Köln und Opladen 1961, III. Teil, S. 153— 216.

  8. Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band I, Berlin (Ost) 1960, S. 105— 107.

  9. S. Cohn, S. 177.

  10. Talmon, Ursprünge, S. 48.

  11. Cohn, S. 189.

  12. Der Frühsozialismus, hrsg. v. Th. Ramm, Stuttgart, S. 325.

  13. Ebenda, S. 311.

  14. S. Ramm, Frühsozialismus, Einleitung, S. 29.

  15. Talmon, Politischer Messianismus, S. 23.

  16. Grundgesetz der Bundesrepublik, Textausqabe 1957, S. 14.

  17. Talmon, Messianismus, S. 54.

  18. Zitiert nach Ramm, Frühsozialismus, S. 90.

  19. Zitiert nach Ramm, Frühsozialismus, S. 199.

  20. Ebenda, S. 280.

  21. Ebenda, S. 280.

  22. Ebenda, S. 366.

  23. Siehe W. Treue, Deutsche Parteiprogramme 1861— 1954, Göttingen 1954, S. 55 u. 63.

  24. Siehe E. Wilson, Der Weg nach Petersburg, München 1963, S. 88.

  25. Mehring, S. 31.

  26. Marx, Fischer-Bücherei, Frankfurt 1956, S. 9.

  27. Marx-Engels, Ausgewählte Schriften, Bd. II, Berlin (Ost) 1961, S. 109.

  28. Frühsozialismus, S. 134.

  29. Marx-Engels, Bd. I, S. 53.

  30. Ebenda, II, S. 15.

  31. Ebenda, S. 16/17.

  32. Marx-Engels, Bd. I, S. 360— 362.

  33. Ebenda, S. 357.

  34. Ebenda, S. 358.

  35. Ebenda, Bd. II, S. 23.

  36. Ebenda, Bd. I, S. 358.

  37. Ebenda, Bd. I, S. 357.

  38. Ebenda, Bd. I, S. 358.

  39. Ebenda, Bd. I, S. 20.

  40. Ebenda, Bd. I, S. 21.

  41. Ebenda, Bd. I, S. 49.

  42. Karl Marx, Die Frühschriften, hrsg. v. S. Landshut, Stuttgart 1953, S. 235.

  43. Marx-Engels, Bd. I, S. 23.

  44. Ebenda, S. 36.

  45. Ebenda.

  46. Ebenda, S. 47.

  47. Ebenda, S. 35.

  48. Ebenda.

  49. Ebenda, S. 21.

  50. Ebenda, Bd. II, S. 24/25.

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Günter Bartsch, freier Journalist, geb. 13. Februar 1927 in Neumarkt/Schlesien, von 1948 bis 1953 in leitenden Positionen der kom-munistischen Jugendbewegung, Brudi mit dem Kommunismus nach dem 17. Juni 1953.