In den Jahren des deutschen Zusammenbruches nach 1945 und der Zeit der politischen Ohnmacht waren Teilnehmer und Überlebende der Widerstandsbewegung der Meinung, daß dem deutschen Volke ein gewichtiges geistiges Erbe zu übermitteln sei. Sie bekundeten ihre Überzeugung 1) , daß „in der deutschen Widerstandsbewegung, in der Vielfalt der Kräfte, die sie an den Tag gebracht hatte, in der Gesinnung, die sie trug, ... in der Haltung, die ihre führenden Persönlichkeiten in der Verfolgung und im Sterben zeigten, ... eine neue geistige Wirklichkeitgeschaffen war", an die das Denken und Handeln der Deutschen auf politischem, geistigem und moralischem Gebiete künftig anknüpfen könne und solle
Dennoch: ein fruchtbarer Boden harrte seiner Bearbeitung. Blicken wir zurück auf die Entwicklung der deutschen Zeitgeschichte als Wissenschaft, wie sie bald nach dem Zweiten Weltkriege in der Bundesrepublik inauguriert worden ist, dann müssen wir feststellen, daß der Erlebnisgehalt und der Problem-reichtum der Widerstandshaltung einzelner und von Gruppen gegen die nationalsozialistische Herrschaft die ersten Impulse zur Konstituierung dieser jungen Disziplin der „Zeithistorie" beigetragen haben. Denn „Zeitgeschichte" wurde damals, in den Anfängen des Neubesinnens, mit der „Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" gleichgesetzt, und die Erforschung des Widerstandes schien unter allen Einzelthemen eine hohe Dringlichkeitsstufe zu besitzen. Ja, einige der Initiatoren des Münchner Institutes haben um 1947/48 sogar gehofft, die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem verborgenen, dem „anderen Deutschland" der Regimegegner könne sich gegebenenfalls, würden bald die Ergebnisse bekannt, auch politisch zum Wohle des am Boden liegenden Vaterlandes auswirken.
Bereits vor dem Einsetzen ernsthaft methodischer Bemühungen wurde freilich aus den ersten Veröffentlichungen am Ende der vierziger Jahre (Gisevius, Pechei, Schlabrendorff, Hassell-Tagebücher) ersichtlich, daß die deutsche Widerstandsbewegung nur schwer als ein einheitliches historisches Phänomen zu fassen und zu werten sein würde. Auch fehlte ihr im Gegensatz zu Resistance und Resistenza das die Menschen verbindende Leitmotiv der nationalen Abwehr, denn die Auflehnung in Deutschland richtete sich ja nicht gegen eine unrechtmäßige Fremdherrschaft, sondern gegen das, was die 1933 scheinbar „legal" zur Regierung gelangten Machthaber als „Staatsinteresse" betrachteten, sowie gegen die Praktiken, die diese im Namen des deutschen Volkes im Inlande und bald auch in den eroberten Gebieten anwandten. Es war sehr oft mehr ein „Widerstand vom Geiste her" (Adolf Grimme), und im Grunde drängte, wie Ernst Jünger aus früher Sicht wohl richtig beobachtet hat, nicht so sehr „die politische Substanz" zum Zuge, „sondern die moralische". Die Problematik in ihrer ganzen Vielschichtigkeit wurde also frühzeitig aus den ersten Publikationen erkennbar. Vor allem war der Widerstand als „Personenverband" (als die „Summe" aller Beteiligten) herkunftsmäßig aus den verschiedensten Gründen keineswegs mehr identisch mit den früheren Gegnern der NSDAP aus der Zeit vor 1933. Der persönliche Erfahrungsgehalt einzelner Menschen, auch derjenige einstiger Anhänger des Nationalsozialismus und sog. „Steigbügelhalter" deutschnationa-ler Provenienz, kam hier als neues Element hinzu und würde fortan von der Forschung zu berücksichtigen sein. Der Widerstand begriff in sich ein weites Feld von Unrecht-Erduldung, betonter Abstinenz, „innerer" Emigration, mutigem Bezeugen des christlichen Glaubens, politischer „Sabotage" im Alltag wie in den Ämtern und gezielter aktiver Betätigung. Er reichte von der instinktiven stillen Ablehnung, der Solidarität oder — lebensgefährlichen — Hilfeleistung gegenüber Verfolgten, der heimlichen Organisation Gleichgesinnter bis zur Bereitschaft, die Dinge gewaltsam zu ändern, oder gar der Planung, wie der zu erneuernde Staat nach einem Umsturz auszusehen haben werde.
Auf diese „späten" Entwicklungsstufen, auf die geschichtlich gewordenen letzten Konsequenzen entschlossener Zirkel, vor allem prominenter Politiker und Militärs, richteten sich aber die ersten Anstrengungen publizistischer und wissenschaftlicher Durchdringung. Das war begreiflich, denn hier trat die Dramatik der zu treffenden Entscheidungen am deutlichsten zutage und war die Dynamik der treibenden Kräfte am besten zu spüren. So stand der Weg der deutschen Opposition zum 20. Juli 1944 von Anfang an im Vordergründe des Interesses, nicht zuletzt auch aus politischen Gründen, galt es doch, bestimmte Vorurteile der westlichen Siegermächte gegenüber den Männern des Widerstandes abzubauen oder zumindest zu deren Abbau beizutragen. Dabei ergab sich freilich die Gefahr, daß möglicherweise andere Zweige und Formen des Widerstandes vernachlässigt, ja unterbewertet werden würden. Noch 1953 hat sich ein Forschungsbericht bewußt zu einer solchen Begrenzung bekannt und hervorgehoben, daß anderweitige Widerstandsäußerungen, wie etwa die Opposition der Kirchen oder die „Untergrundbewegung der Kommunisten", außer Betracht gelassen werden sollten
Natürlich war das keine unredliche Absicht. Wenn der Verfasser jenes Forschungberichtes seinerzeit betont hat, sich auf diejenige Erhebung beschränken zu wollen, „die ernsthaft den Sturz des Diktators und einen völligen Wechsel des von ihm geprägten Regimes vorbereitete und schließlich mit Gewalt durchzusetzen suchte, „dann lag darin auch ein aktueller und zwingender Grund verborgen". Die damaligen Vorbereitungen zur Wieder-bewaffnung mitsamt ihrer leidenschaftlichen Debatte im Inlande hatten nämlich die Problematik des „verbrecherischen Befehls", der Eidesleistung und des militärischen Gehorsams vor einer breiten Öffentlichkeit neu aufgeworfen. Zugleich war auch — in den ersten 50er Jahren — die innenpolitische Interpretation des Vermächtnisses der deutschen Opposition auf divergierende Wege geraten, wobei man sich gern der Frage der europäischen Verteidigung und der deutschen Wiederbewaffnung als willkommenem Ansatzpunkt bediente und die Nuancen der unterschiedlichen Deutungen jeweils in Beziehung standen zu der politischen oder ideologischen Plattform. Und schließlich hatte der Braunschweiger Remer-Prozeß 1952 offenkundig gemacht, daß die gesetzlich fundierte Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Angriffe auf die moralische Substanz des Widerstandes, ja seine Verächtlichmachung nicht zu verhindern vermochte. Es ist daher kein Zufall, daß von diesem Prozeß des Jahres 1952 die ersten Versuche datieren, von der theologischen, philosophischen und historischen Seite her das „Widerstandsrecht" (das Recht zum Widerstand), seine Anwendbarkeit und seine Grenzen zu definieren.
So blieb der historiographische Schwerpunkt „ 20. Juli 1944" bis in unsere Tage hinein anerkannt. Denn von nun an galt es nicht nur zu forschen und darzustellen, sondern es ging zusätzlich darum, Begriffe und Standpunkte zu klären, einmal um Diffamierungen des Widerstandes durch rechtsradikale und unbelehrbare Gruppen entgegentreten zu können, zum anderen aber um den militärischen Planern, denen das „innere Gefüge" der künftigen deutschen Streitkräfte zu einer wichtigen Aufgabe geworden war, zu helfen. Gerade an diesen Pflichten ist einmal mehr abzulesen, daß die zeitgeschichtlichen Bemühungen sich niemals in wertfreien Räumen abspielen können. Gegenüber den Problemen der politischen Gesittung kennt die Zeitgeschichte als Disziplin keine Neutralität
Widerstand in der Wehrmacht
Bezüglich des militärischen „Sektors” unseres Berichtes ist zunächst von den Erlebnisbüchern Beteiligter auszugehen, darunter ehemaliger Offiziere, die bis 1944 an irgendeiner Stelle mit dem militärischen Widerstand verbunden gewesen waren. Daß diese Berichte zu einem sehr großen Teile in Schweizer Verlagen erschienen sind oder erscheinen mußten, lag nicht zuletzt an Schwierigkeiten, die mit der Praxis der damaligen alliierten Publikations-und Nachrichtenkontrolle zusammenhingen. Schon zum Jahre 1946 sind die umfassenden Aufzeichnungen von Hans-Bernd Gisevius und Fabian von Schlabrendorif
daneben schrieb Karl-Heinz Abshagen die erste Canaris-Biographie und beleuchtete damit die Rolle des großen Abwehr-Apparats im OKW als des „technischen Zentrums" während der ersten Phasen im heimlichen Kampfe gegen Hitler
Inzwischen hatte die Sammlung und Aufbereitung von Dokumenten in der Bundesrepublik ihren Anfang genommen; in München begann das „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Zeit" (heute: Institut für Zeitgeschichte) mit seiner Tätigkeit. Gleichzeitig aber hoben sich bei den Überlieferungsträgern der Opposition neue Tendenzen ab: die Vorstellung von der „Einheit" des Wollens begann zu zerfließen. In seinem 1949 abgefaßten Forschungsbericht über die Literatur zum deutschen Widerstand sah sich Paul Kluke zu der Feststellung veranlaß*
Zu Beginn der 50er Jahre konnte die Erforschung des militärischen Widerstandes vertieft werden. Auf die Rückkehr beschlagnahmter Dokumente aus dem Auslande zu warten, war in diesem Falle nicht unbedingt erforderlich, denn die wenigen einschlägigen Unterlagen waren 1944 in Zossen von der Gestapo beschlagnahmt worden und blieben verloren, und es schien unwahrscheinlich zu sein, daß in den regulären deutschen Wehrmachts-und Heeresakten noch etwas Wesentliches über Planung und Teilnehmer an der Opposition auftauchen würde. In München etablierte sich ein Arbeitskreis von Offizieren, Theologen, Historikern und Juristen („Europäische Publikation") in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte, wo sich inzwischen laufend neue Befragungsprotokolle und Niederschriften Beteiligter, auch zu Widerstandsfragen, ansammelten. Der Arbeitskreis versuchte systematisch in — später abgedruckten — Gesprächen die Probleme der Rechtslage im Terrorstaat, des Landesverrats, des Widerstandsrechtes und des Eides zu klären. Als Ertrag dieser vereinigten Bemühungen erschien 1956 ein erster Band
Natürlich stießen die Autoren der „Vollmacht des Gewissens" zwangsläufig auch an die scheinbaren „Grenzfälle" des landläufigen Verratsbegriffes vor. Sie sind ihnen nicht ausgewichen. Sie behandelten das Gesamtverhalten des Admirals Canaris ebenso wie die Rolle des Obersten (und späteren General-majors) Oster, gegen den bis heute — allzu-oft fern der Öffentlichkeit — schwere Vorwürfe über seinen von Gestapohand erlittenen Tod hinaus erhoben werden.
Sozialistische Widerstandsgruppen
Entwickelte sich die militärische Opposition zu einem Widerstand dadurch, daß einzelne Offiziere seit 1934 und 1938 das Versagen der Armee und ihres Standes schmerzlich registrierten, dann die polizeistaatlichen Auswüchse des Regimes, die auf den Krieg zusteuernde Machtpolitik Hitlers sowie die Verbrechen eben dieses Krieges erleben mußten, und nunmehr, den politischen und moralischen Untergang des Vaterlandes vor Augen, zur organisierten Tat schritten, so verlief die Entwicklung im „zivilen" Sektor der Nicht-Uniformierten völlig anders. Um die Führer* der Reichswehr bzw. Wehrmacht hat Hitler bekanntlich bis zu jener durch die Fritsch-Krise markierten Zäsur auf die ihm eigene Art „geworben", und sein im Grunde stets unsicheres Gebaren ihnen gegenüber — jedenfalls bis 1938 — ist den wenigen und zurückhaltend taktierenden sozialistischen Zirkeln nicht verborgen geblieben. Hier wußte man nur zu klar, daß ohne die Waffenträger kein Umsturz, geschweige denn ein Neuaufbau bewerkstelligt werden könnte.
Diese Bezogenheit war grundlegend von Anfang an, was zugleich erklärt, daß es „reine" Monographien über den Widerstand sozialistischer Gruppen schwerlich geben kann. Die Geschichte des sozialistischen Widerstandes in Deutschland ist, will man nicht in Einzelheiten stecken bleiben, eine Geschichte der „Querfronten" und der Verbindungslinien gewesen — eine Erkenntnis, die nicht immer bequem sein mag. Andererseits hatten die führenden Persönlichkeiten dieser Kreise den Generalen und Obersten, ja selbst bürgerlichen Politikern zweifellos die größere politische Erfahrung voraus, das praktische Wissen um in bestimmten Augenblicken notwendig zu tuende Dinge — und den Kontakt zur Arbeiterschaft für den Fall, der einmal erforderlich werden würde. Bei den Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern und Führern der christlichen Arbeiterschaft, die im Laufe der 30er Jahre durch vorsichtige Fäden miteinander verbunden wurden, gab es keinen Konflikt um Eid und Gehorsam zu früherer oder späterer Stunde; sie waren Gegner Hitlers geblieben wie vor 1933, freilich mit dem Unterschied, daß sie sich inzwischen entschieden hatten, ihrem Verhalten und ihrer Aktivität andere Formen zu geben.
Es überrascht somit nicht, wenn sich die Literatur, auch die wissenschaftliche, auf diesem Sektor hauptsächlich im Genre der Biographie präsentiert. Es handelt sich um eine verhältnismäßig früh einsetzende Welle, ausgehend von Zeitungsartikeln der letzten 40er Jahre über die instruktive Aufsatzfolge Otto Johns in der Zeitschrift „Blick in die Welt" bis zu den ausführlicheren Würdigungen Carlo Mierendorffs und Theodor Haubachs durch Carl Zuckmayer
Indem wir von sozialistischer Opposition und sozialistischem Widerstand sprechen, drängt sich ein weiteres Problem auf. Ich meine die Frage der politischen Aktionseinheit als taktischer Notwendigkeit für den Kampf in der Gegenwart von „damals" und als Konsequenz für ein künftiges Handeln am Tage „danach". Wir wissen, daß in Österreich die innenpolitische Todfeindschaft der 30er Jahre sich, geläutert durch das gemeinsame Leid im KZ Mauthausen, nach 1945 zur Wiederaufbaugemeinschaft der beiden großen Parteien ÖVP und SPÖ gewandelt hat, daß Jakob Kaiser, ehemals Exponent des linken Flügels der Christlichen Demokraten, zwischen 1945 und 1947 von Berlin aus die Meinung vertrat, die Widerstandsbewegung „als überparteiliche Gemeinschaft" verpflichte dazu, die Aufgaben der Nachkriegszeit durch die Sammlung der leider wieder auseinanderstrebenden Kräfte zu meistern
Eine Sonderstellung nimmt bis heute die Widerstandsgruppe „Rote Kapelle" ein, gekennzeichnet etwa durch die Namen Harro Schulze-Boysen, Arvid und Mildred Harnack (auch Adam Kuckhoff gehörte dazu), die während des Krieges u. a. die Sowjetunion mit militärischen Nachrichten versehen hat. Anklägerische Schriften (so von dem früheren Generalrichter Manfred Roeder 1952) sind nicht ausgeblieben, und die Diskussion über die Rote Kapelle hat zweifellos unter bestimmten Erscheinungsformen des Kalten Krieges gelitten. Würdigende Worte für die Menschen dieser zahlenmäßig großen Gruppe hat Adolf Grimme gefunden
Goerdeler, die Kreisauer und Stauffenberg
Paul Kluke hatte wohl richtig beobachtet, als er in seinem erwähnten Forschungsbericht schrieb, daß mit dem „zunehmenden Macht-verfall Deutschlands" — der zeitlich mit den raumgewinnenden Erfolgen der Roten Armee im Frühling und Sommer 1944 koinzidierte — nicht nur „die Sozialdemokratie zur bisher vermiedenen Fühlung mit den Kommunisten gedrängt wurde", sondern auch „die Stellung des bürgerlichen’ Flügels der Opposition sich immer mehr schwächte"
Auf die einzelnen Stufen des die Wehrmacht-Opposition einschließenden Sich-Zusammenfindens zwischen 1938 und 1944 brauchen wir an dieser Stelle nicht einzugehen. Denn obgleich „die" große umfassende wissenschaftliche Darstellung noch fehlt, sind Genesis und Wachstum der zentralen Widerstandsgruppen heute gut dokumentiert, und der Historiker und Bibliograph seiner Disziplin sieht sich einer großen Zahl von Veröffentlichungen gegenüber: Erlebnisberichten, biographischen Versuchen und Einzelstudien. Wir nennen an erster Stelle die umfangreiche Arbeit Gerhard Ritters über Carl Goerdeler, eine Biographie der Mittelpunktsfigur der zivilen Opposition
Systematische Arbeitsabsichten lassen sich gegenüber der Tätigkeit des deutschen Diplomaten Adam von Trott feststellen, wobei zugleich die Verbindung von Männern des Widerstandes zum westlichen, damals feindlichen Ausland als Forschungsproblem angesprochen wird. In den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte" finden sich zahlreiche von Hans Rothfels verfaßte oder veranlaßte Aufsätze und Dokumentationen über Trotts Beziehungen zum State Department bzw. über die Außenpolitik des Widerstandes überhaupt (1957, 1959, 1963 und 1964), deren Inhalt und sachlicher Ertrag grundsätzlich mit den Gedanken der genannten Studie von Krausnick und Graml über den „deutschen Widerstand und die Alliierten" in Verbindung zu bringen sind. Auf diesem Gebiete ist eine größere Untersuchung wohl noch zu erwarten. Taktisch nur in loser Verbindung zu der aktiveren Zentralgruppe um Beck und Goerdeler stehend, doch personell ein Reservoir von Trägern kühner Reformideen darstellend, bietet sich der Kreisauer Kreis immer noch einer tieferen Erforschung an, als es bisher geschehen ist. In ihm fanden sich, auf dem schlesischen Gute des Grafen Helmuth James von Moltke, Männer aus den verschiedensten Berufen und Lagern zusammen: Geistliche beider Konfessionen, Adlige, Bürger und Sozialisten wie Mierendorff und Haubach. Freilich, brauchbare Vorarbeiten sind bereits geleistet worden. Neben dem ausführlichen, schon frühzeitig erstatteten Bericht eines Überlebenden
Ziehen wir eine Zwischenbilanz der literarischen und wissenschaftlichen Bemühungen um die während des Zweiten Weltkrieges sich zusammenfindende und erstarkende „zivile" Säule des Widerstandes, dann werden Fragen deutlich, die auch hier skizziert werden müssen. Das unbestrittene Haupt der auf den gewaltsamen Umsturz hinarbeitenden Gruppen war Carl Goerdeler. Für seinen Biographen Ritter ist er der „Staatsmann" schlechthin, von dessen leitender Rolle Volk und Staat rettende Initiativen auch am Ausgange eines längst verlorenen Krieges hätten erwarten dürfen. Dieser Version ist vielfach widersprochen worden. Margret Boveri hat vor allem auf das soziologische Kriterium von „Alt" und „Jung" aufmerksam gemacht
Wenn es also darum ging, „die gerade in Deutschland so hohen Schranken traditioneller Loyalität und konventionellen Gehorsams zu durchbrechen"
Der Höhepunkt in der Geschichte des Widerstandes war der 20. Juli 1944. Bezüglich der Ereignisse dieses Tages, seiner unmittelbaren Vorgeschichte und seiner tragischen Nachwirkungen haben wir zwei historiographische Erscheinungsformen vorzustellen: einmal die breit angelegte Darstellung, die in sich wiederum einen Gutteil Geschichte des Widerstandes birgt, mit der Schilderung des Tages als dramatischem Endpunkt, und zum anderen die — keineswegs überflüssige — Detailforschung. Voraufgegangen sind auch hier jene unzähligen Erlebnisberichte und kleineren Gedenkbetrachtungen, oft verstreut an heute schwer zugänglichen Stellen, besonders wenn es sich um Schrifttum der letzten 40er Jahre handelt. Zur ersten Gruppe zählen wir seit 1952 das Standardwerk von Eberhard Zeller („Geist der Freiheit")
Die zweite Gruppe der Darstellungen zum 20. Juli im engeren Sinne beginnt jetzt erst Gestalt anzunehmen. Auch sie setzt frühere, mehr oder weniger umfangreiche Detailschilderungen, etwa über den Ablauf von . Walküre" (Veit Osas, 1953) oder örtliche Ereignisse (Wilhelm von Schramm und andere über Paris, A. Bernt über die Bendlerstraße, in: Gegenwart 11, 1956) fort. Im vergangenen Jahre sind in Zeitschriften Untersuchungen über den Verlauf des Staatsstreichversuches beim Ersatzheer, also in den einzelnen Wehr-kreisen (Wehrwiss. Rdsch. 14, 1964), sowie zu Örtlichkeiten und Geschehnissen am 20. Juli im Führerhauptquartier . Wolfsschanze" in minutiöser Genauigkeit erschienen (Vjh. Zeitgesch. 12, 1964). Beide Aufsätze stammen von Peter Hoffmann und sind Ausschnitte aus einer größeren Arbeit, die im Auftrage der Stiftung . Hilfswerk 20. Juli 1944“ unternommen wird (siehe auch den dritten Beitrag dieser Ausgabe).
Sowohl in den Teilzusammenhang dieses Tages als auch in den Gesamtrahmen gehört eine Publikation, die vor wenigen Jahren in Deutschland einiges Aufsehen erregt hat und wobei gerade »gewisse Eigenheiten des publizistischen Echos selbst von zeitgeschichtlichem Interesse“ gewesen sind
Die Berichte selbst (es sind Begleitschreiben Kaltenbrunners zu den Vernehmungsergebnissen der Sonderkommission) und die beigefügten Anlagen geben nicht nur direkte oder verschachtelte Aussagen wieder, sondern auch jene Situationen einer verschärften Gestapo-Untersuchungshaft, die ein Mensch, kommt er nun davon oder nicht, im Angesicht von Folter und Anfechtung als die gefährdetsten Stationen seines Daseins bezeichnen muß. Können Aussagen und Nieder-schriften, die unter solchen Umständen entstanden sind (gleichgültig von wem oder durch wen), „Quellen“ sein? Wenn man die Frage bejahen will — trotz des begrenzten Erkenntniswertes —, dann genügt freilich die Aufbewahrung der Originale völlig, und es ist weder eine Publikation noch eine sonstige . Öffentlichmachung" erforderlich, die in diesem Falle einem peinlichen Gewaltakt gleichkam. Man druckte nämlich die Berichte nicht nur kommentarlos ab, sondern ließ auch in hohem Maße die in der Wissenschaft üblichen editorischen Grundsätze vermissen. Daher haben aus methodischen und sachlichen Gründen sowie in Ansehung der Gefahr, daß später einmal eine oberflächlichere Beurteilung des deutschen Widerstandes hiervon ihren Ausgang nehmen könnte, zahlreiche Historiker gegen die verantwortungslose Art einer solchen Veröffentlichung Stellung genommen
Daß in der sowjetischen Zone Deutschlands die Version von der »Klassenbefangenheit“ und somit vom reaktionären Wesensgehalt des Widerstandes seit Jahren hochgespielt und propagandistisch ausgewertet wird, ist bekannt. Lediglich bei der Person des Grafen Claus Schenk von Stauffenberg machte man von Anfang an eine auffallende Ausnahme. In Ost-Berlin hielt man es sogar für opportun, den erst relativ spät zum Kreise der Verschwörer stoßenden und zunächst am Rande des Kreises bleibenden Akteur Stauffenberg zu einer exzeptionellen Figur des „wahren Fortschritts" zu dekretieren — nicht um einer Heroisierung willen, sondern um in der ideologischen Beurteilung die übrigen tragenden Männer des Widerstandes bürgerlicher und konservativer Herkunft um so härter treffen zu können. Derartige Manipulationen kommen indessen einer Verfälschung der Geschichte gleich. Über Stauffenberg als Menschen besitzen wir gediegene Orientierungsmöglichkeiten in dem Buche Eberhard Zellers (ein separater Abdruck des Stauffenberg-Kapitels der 4. Auflage auch in den Vjh. Zeitgesch. 12, 1964) sowie neuerdings in dem knapp gehaltenen biographischen Versuch Bodo Scheurigs
Als Stauffenberg die Bombe legte, wußte er längst, daß im Sinne seines Handelns nicht nur die Tötung des Tyrannen, sondern auch die Bereitschaft zum eigenen Opfergang ein-beschlossen lag. Und neben ihm und vor ihm dachten viele andere genau so. Von Henning von Tresckow, der die Attentate vor der Zeit Stauffenbergs geplant hatte und sicher — obschon General — mehr den „Jungen" zuzurechnen ist, wurde uns folgendes Wort überliefert:
Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, daß Gott auch Deutschland um unseretwillen nicht verderben wird. Niemand von uns kann über seinen Tod Klage führen.
Wer in unseren Kreis getreten ist, hat damit das Nessushemd angezogen. Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben
Die Opposition der Jugend und Kirchen
Einsatz als Beispiel, wie er wohl, um mit Walter Bußmann zu sprechen, nur in der Gewißheit des christlichen Glaubens möglich sein kann, wurde auch in jenen Vorgängen offenbar, die sich im Frühjahr 1943, nach der Niederlage in Stalingrad, im akademischen Leben Münchens abgespielt haben. Hier ging es nicht um Politik und Staatsaktionen, und eine Verbindung zu all den Menschen, die wir bisher genannt und gewürdigt haben, hat nicht bestanden. Der Widerstand bekundete sich hier vielmehr als eine Aufsprengung der Gewissensnot junger Menschen von innen, als Protest der reinen Gesinnung gegen das Unmenschliche des Regimes, zum Ausdruck gebracht in den „Flugblättern der weißen Rose". Auch dieser Aufschrei war Widerstand . vom Geiste her", ja vielleicht sogar „von der Seele her". Die Berichterstattung der Überlebenden jenes Kreises hat dafür gesorgt, daß er nicht Episode des Kriegs-geschehens geworden ist. Bis heute bietet das Büchlein von Inge Scholl, der Schwester der hingerichteten Studentin Sophie Scholl, unter dem Titel „Die weiße Rose"
Die Zugehörigkeit Hans Scholls und Willi Grafs auch nach 1933 zu (getarnten) hündischen bzw. katholischen Jugendvereinigungen führt uns auf das weite Feld des Jugend-widerstandes überhaupt. Bei großzügiger und breiter Auslegung dieses Begriffes sind Möglichkeiten und Gestaltwerdung natürlich auch in den Resten der Arbeiterjugend anzutreffen gewesen, doch konnte er sich in konzen-trierter, wenngleich mehr passiver und vor allem jugendgemäßer Form am ehesten noch in den konfessionell orientierten Gruppen bzw.deren Überbleibseln auswirken. Einen Einblick geben uns die Dokumentation über katholische Jugendverbände und Jungmännervereinigungen während der nationalsozialistischen Zeit (Roth 1959, Oertel 1960) sowie eine zusammenfassende Würdigung (mit Schwerpunkt Hessen) von Arno Klönne
Die Opposition deutscher Menschen auf dem Gebiete des Glaubens und im Rahmen überkommener oder gewaltsam gestörter kirchlicher Organisationen und Religionsgemeinschaften war von besonderer Art, mag es auch einzelne Bekenner wie Delp, Bonhoeffer und Gerstenmaier weit in andere, in außer-kirchliche und politische Sphären verschlagen haben. Aber gerade sie stellen auch die geistige Verbindung dar zwischen den Männern der äußeren Aktionen und Reformbestrebungen auf der einen und den Eigentümlichkeiten des Kirchenkampfes auf der anderen Seite. Die Kirchen, um es in Bausch und Bogen zu sagen, versuchten sich nicht nur dem Mechanismus der „Gleichschaltung" zu entziehen, sondern widersetzten sich auch, soweit es in ihren Möglichkeiten lag, dem offenen oder versteckten Vorgehen Hitlers, seiner Ideologen und seiner Gauleiter gegen den christlichen Glauben. Über die „Fronten" konnte bald kein Zweifel mehr bestehen, denn die gegen die sog. „Deutschen Christen" und die Bevormundung „von oben" entstandenen evangelischen Bekenntnisgemeinden (seit 1933/34) sowie die Enzyklika Papst Pius’ XI. „Mit brennender Sorge" (1937)
haben damals die unvermeidliche Auseinandersetzung mit der Staatsmacht offenbar gemacht.
Die mutigen Proteste besonders von Geistlichen der beiden großen Konfessionen führten in den meisten Fällen zu KZ-Haft (Martin Niemöller) und sehr oft auf den Weg ins Martyrium.
Die genannte Studie Lersners gehört zu einer 1958 angelaufenen Publikationsreihe unter der Bezeichnung „Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes".
Sie werden betreut und herausgegeben von der „Kommission der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Geschichte des Kirchenkampfes", welche von dem Hamburger Kirchenhistoriker Kurt Dietrich Schmidt ins Leben gerufen worden ist.
In den vierzehn bislang vorliegenden Bänden wird eine breite Problematik angesprochen:
vom Versuch des Regimes, in den Ost-gebieten wie dem Warthegau die Kirche rechtlich zu knebeln, indem man ihr den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes zu entziehen suchte (als Modellfall für weitere im sog. Altreich geplante Maßnahmen), bis hin zur religiösen Existenznot der Bekennenden Kirche, deren Synoden durch zahlreiche quellenkritische Untersuchungen eine Aufhellung finden. Sehr oft fußen diese Darstellungen auf Materialien, die in dem bekannten Kirchenkampf-Archiv des Bielefelder Pfarrers Wilhelm Niemöller gesammelt worden sind. Auch aus seiner Feder stammen zwei wichtige Veröffentlichungen
Im übrigen ist die Zahl des Einzelschrifttums Legion. Sein Erscheinen (Erlebnisberichte, Betrachtungen) setzte sogar verhältnismäßig früh ein, zum Teil schon 1945, da die Kirchen und ihre Bischöfe in der staatslosen und meinungsscheuen ersten Nachkriegszeit in Deutschland allein so etwas wie „Führung" und „Stimme" zu repräsentieren vermochten. Bekannt sind die Broschüren des Herder-Verlages („Das christliche Deutschland 1933— 1945") mit je einer evangelischen und katho-lischen Reihe, ferner nennenswert von katholischer Seite die Bücher von J. Neuhäusier, F. Strobel und F. Muckermann
Gesamtwürdigungen
Alle Einzelgebiete des Widerstandes, die wir bislang behandelt haben, finden sich in den zusammenfassenden Darstellungen, in biographischen Sammelwerken und in Querschnitt-Editionen wieder. Wenn vor zwei Jahren der deutsche Widerstand nun auch in Arbeiten ausländischer Historiker (John M. McCloy jr. und Maurice Baumont) eine objektive und nachdrückliche Würdigung erfahren hat
Daß auch von Allen Welsh Dulles hierzu ein zeitiger Versuch unternommen worden ist (" Germany’s Underground", dt.
1948), hat er dem Mitglied des amerikanischen OSS (Office of Strategie Services) deutlich bescheinigt
Das Gewissen hat tatsächlich entschieden, und diese Entscheidung des einzelnen, der Wille wieder zum Handeln „ohne Hoffnung auf Gewinn", und die stille Bereitschaft aller Beteiligten, das Nessushemd zu tragen, treffen überall in der Welt auf Achtung und Würdigung.
Die deutsche Forschung aber, auch an dieser Stelle sei es gesagt, ist sich darüber im klaren, daß „Existenz und Handeln eines deutschen Widerstandes" niemals „als simples Alibi für die im Namen Deutschlands vom Hitler-Regime begangenen Verbrechen gelten" können*