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Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1964 | APuZ 11/1965 | bpb.de

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APuZ 11/1965 Artikel 1 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1964

Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1964

I. Träger rechtsradikaler Bestrebungen

a) b) c) d) a) b) c) d) e) a) b) a) b) c) a) b) c) INHALT Die Entwicklung des organisierten Rechtsradikalismus im Jahre 1964 Sammlungsbestrebungen Publizistik Der nichtorganisierte Rechtsradikalismus Staatspolitische Leitbilder Rassedenken, antichristliche und antisemitische Parolen Parolen im Blick auf den Kommunismus Militaristische und militärpolitische Parolen Versuche zur Ausweitung des Agitationsrahmens Kontaktstellen Faschismus auf deutschem Boden Publizistische Einflüsse des internationalen Verbotsmißachtung, Geheimbündelei, Terror Nazistische und antisemitische Einzelvorfälle Die Täter und ihre Beweggründe Straf-und Einziehungsverfahren Verwaltungsmaßnahmen Politische Bildung I. II. III. IV. V. VI. Träger rechtsradikaler Bestrebungen Argumente, Parolen Auswirkungen des internationalen Faschismus im Bundesgebiet Schlußbemerkung Rechtswidrige Aktionen inländischer Täter Staatliche Maßnahmen gegen Träger nationalistischer und antisemitischer Bestrebungen

Die politische Auseinandersetzung mit den Vertretern rechtsextremer Tendenzen in der Bundesrepublik hat dazu geführt, daß sich außer staatlichen Organen auch sonstige politisch interessierte Kreise des In-und Auslandes fundierter mit diesem Problem befaßt haben. Die Beurteilungen aller Sachkenner stimmen darin überein, daß der organisierte Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik z. Zt. kein politisch bedeutender Faktor ist. Auch demokratische internationale Widerstandskämpfer-und Verfolgtenorganisationen kamen bei ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß die agitatorischen Zentren des heutigen Faschismus nicht in der Bundesrepublik liegen. Sie haben gewürdigt, daß in Deutschland weder die alten Nationalsozialisten noch Neofaschisten eine Vertretung in den Parlamenten haben.

FÄLL 1/4 JAHRL.

900 -----700 600 -500 -----400 -----300 -— KÖLNER 200 -----25. 12. 59 I— SKIZZE 3 ANTISEMITISCHE u. NAZISTISCHE VORKOMMNISSE 1959 — 1964 BEGINN DES EICHMANN-PROZESSES (APRIL 61) (TATZEITEN * STATISTIK) ZEICHENERKLÄRUNG: OBERE UNTERE LINIE : VORKOMMNISSE EINSCHLIESSLICH KINDERTATEN. LI NIE: VORFÄLLE OHNE KINDERTATEN. 348 FÄLLE — 4— 1206 FÄLLE —— 389 FÄLLE-+-205 FÄLLE-+-177 FÄLLE —— 171 FÄLLE—I Nitial-fall 1959 1960 1961 1962 1963 1964

Die Einsicht, im politischen Kräftespiel der Bundesrepublik keine Rolle zu spielen, hat sich auch im rechtsradikalen Lager selbst ausgebreitet. Für diese Erkenntnis waren neben organisatorischen Rückschlägen vor allem die Ergebnisse der regionalen Wahlen des Jahres 1964 bestimmend. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und die Kommunalwahlen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Hessen kennzeichnen den andauernden Rückgang des Wählerinteresses an den rechtsextremen Splitterparteien, die es selbst auf dem Wege über Gemeinschaftslisten kaum fertigbrachten, Abgeordnete in die Kommunalparlamente zu entsenden. In keinem Falle gelang es einer rechtsradikalen Partei, unter ihrem eigenen Namen im Landesdurchschnitt 1 0/0 der Wählerstimmen auf sich zu vereinigen. Dies gilt selbst für die Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, in denen rechtsextreme Parteigänger bisher noch am ehesten auf Erfolge hoffen konnten. Zehn der im Bundesgebiet einschließlich Berlins bestehenden nationalistischen Splitterparteien traten in richtiger Einschätzung ihrer mangelnden Erfolgsaussichten zu den Wahlgängen des abgelaufenen Jahres überhaupt nicht an.

DER NAZISTISCHEN ERSCHEINUNGSFORMEN UND ANTISEMITISCHEN VORKOMMNISSE IM JAHRE 1964 GEHEIMBÜNDELEI, VERBOTSMISSACHTUNG, TERROR 8 FÄLLE (1963: 10 FÄLLE) SONSTIGE STÖRAKTIONEN: 29 FÄLLE (196 3: 34 FÄLLE ) SCHMIERAKTIONEN: 64 FÄLLE (1963: 58 FÄLLE ) INSGESAMT : 171 FÄLLE IM JAHR 1963 : 177 FÄLLE IM JAHR 1962 20 5 FÄLLE IM JAHR 1961 : 389 FALLE IM JAHR 1960 : 1206 FÄLLE _ ZERSTÖRUNGEN, BESCHÄDIGUNGEN AUF JÜD. FRIEDHÖFEN :

12 FÄLLE (1963: 9 FÄLLE ) 16*/o BEDROHUNG, BELEIDIGUNG VON ZUMEIST JÜDISCHEN MITBÜRGERN : 30 FÄLLE (1963: 43 FÄLLE) ILLEGALE FLUGSCHRIFTEN UND PLAKATAKTIONEN: 28 FÄLLE (1963 : 23 FÄLLE) _ VERGLEICHSSKIZZE FÜR 1963 SKIZZE 4

Diese für das sogenannte „nationale Lager" entmutigende Entwicklung ist in erster Linie auf die weitere politische und wirtschaftliche Konsolidierung zurückzuführen; auch die aufklärende Arbeit von Presse, Funk und Fern-sehen, Bildungsträgern und Behörden, die sich verstärkt dieses Themas annahmen, blieb nicht ohne Auswirkungen. Die rechtsradikale Propaganda findet unter diesen Verhältnissen keinen ausreichenden Nährboden. Immer mehr ehemalige Gesinnungsfreunde kehren den rechtsextremen Gruppen den Rücken. Vorübergehende Mitgliedergewinne einzelner Vereinigungen werden durch Verluste anderer Organisationen übertroffen. So schreitet der Substanzverlust der Träger rechtsradikaler Bestrebungen seit 1954 in annähernd gleichbleibendem Rhythmus fort (Skizze 1). a) Die Entwicklung des organisierten Rechtsradikalismus im Jahre 1964

Alter Kinder bis zu 14 Jahren 15-20jährige 21-30jährige 31-40jährige 41-50jährige 51-60jährige über 60jährige insgesamt 1960 79 217 304 178 153 96 56 1 083 Täter im Jahre 1961 1962 1963 17 59 76 61 43 30 17 303 5 16 31 21 19 20 7 119 16 15 35 18 14 11 6 115 1964 — 8 18 19 7 16 6 74 insg. 117 315 464 297 236 173 92 1 694

Nach den Erkenntnissen der Behörden für Verfassungsschutz hat der seit Jahren beobachtete Mitgliederschwund im Bereich des or16 Neugründungen stehen 20 erloschenen Organisationen gegenüber. In allen Fällen des Erlöschens rechtsradikaler Organisationen waren das geschwundene Interesse und die Gleichgültigkeit der Mitglieder ursächlich für die Einstellung der politischen Tätigkeit. Lediglich acht Vereinigungen haben einen Mitgliederbestand von 500 Personen und darüber. Sie repräsentieren zusammen 17 800 Personen. Es handelt sich um drei untereinander stark rivalisierende Parteien, um zwei Verbände ehemaliger Kriegsteilnehmer, um weitgehend inaktive Landesgruppen des „Bundesverbandes der ehemaligen Internierten und Entnazifizierungsgeschädigten" (BIE) sowie um eine völkisch-kulturelle und eine national-neutralistische Vereinigung.

1960 TÄTER 1083 3 7. 10 " I, SKIZZE TATMOTIVE DER URHEBER NAZISTISCHER UND ANTISEMITISCHER VORFÄLLE 5

Die restlichen 4 700 Mitglieder verteilen sich auf insgesamt 111 Splittergruppen, so daß sich bei diesen eine durchschnittliche Mitglieder-stärke von nur 42 Personen je Gruppe ergibt. Bemerkenswert ist eine soziologische Analyse der Verfassungsschutzbehörden über 15 400 ganisierten Rechtsradikalismus trotz intensiver Werbemaßnahmen sich auch im Jahre 1964 fortgesetzt. Die Gesamtmitgliederstärke verringerte sich in diesem Zeitraum von 24 600 um 8 0/0 auf 22 500 Personen. Auch die Finanzkraft und die Beitragsmoral der einzelnen Gruppen sind weiter gesunken. Der schon hierdurch widerlegte, von kommunistischer Seite gleichwohl immer wieder erhobene Vorwurf, die Wirtschaft der Bundesrepublik sei nazistisch verseucht und fördere entsprechende politische Bestrebungen, deckt sich nicht mit den Erkenntnissen der Staatsschutzorgane. Trotz aller Sammlungsparolen ist die organisatorische Zersplitterung der rechtsextremen Kreise nahezu unverändert geblieben. Dies zeigen die folgenden Zahlenwerte, die auf den übereinstimmenden und einander ergänzenden Erkenntnissen der zuständigen Ämter beruhen:

Personen, die während der letzten fünf Jahre rechtsradikalen Organisationen als Mitglieder angehörten. Von diesem Personenkreis waren bereits im Jahre 1960 9 500 organisiert, während 5 900 ihren Beitritt später erklärten. Inzwischen sind von dem Bestand des Jahres 1960 rund 7 700 und von den Neuzugängen 2 500 Personen wieder ausgetreten, so daß zur Zeit nur noch 5 200 Angehörige des untersuchten Personenkreises Mitglieder einer rechtsextremen Gruppe sind. Darunter befinden sich etwa 1 800 Stammitglieder des Jahres 1960. Von einem festen Mitgliederbestand kann also keine Rede sein. Durch die Analyse wird die immer wieder aufgestellte Behauptung rechtsradikaler Kreise widerlegt, ihre Organisationen seien Kristallisationspunkte einer politischen Bewegung. In erster Linie sind die Vereinigungen des nationalistischen Lagers flüchtige Durchlaufstationen unentschlossener und irregeführter Personen. 89 °/o der Mitglieder sind Männer. Der Anteil von Frauen ist also gering. Der Anteil der in Großstädten lebenden Anhänger rechtsradikaler Gruppen (etwa 25 °/o) ist geringer als der entsprechende Anteil der Gesamtbevölkerung (etwa 33, 3 ° 7o).

Der skizzierte Substanzverlust des organisierten Rechtsradikalismus dürfte im wesentlichen folgende Ursachen haben: 1. Das wachsende Bewußtsein vom Werte unseres demokratischen Staates und die Aufgeschlossenheit für europäisches Denken in der Bundesrepublik; 2. die Engstirnigkeit und mangelnde Anziehungskraft der rechtsextremen Vorstellungen und Forderungen;

3. die zunehmende Zeitdistanz zur nationalsozialistischen Ara und das allmähliche Abtreten der sie bestimmenden Generation; 4. das abstoßende Bild der persönlichen Differenzen und der ausgeprägte Gruppenegoismus im gesamten rechtsextremen Lager; 5. das Fehlen geeigneter Führungskräfte und einer profilierten, in sich geschlossenen Ideologie;

6. das Fehlen kapitalkräftiger Geldgeber.

Keine der rechtsextremen Gruppen findet sich bereit, die mangelnde Zugkraft ihrer politischen Argumente zuzugeben und die Gründe für die Rückschläge im eigenen Unvermögen zu sehen. Stattdessen werden Dolchstoßlegenden erfunden wie etwa die Parole, alle Rückschläge seien Folgeerscheinungen von Provokationen und Spaltungstaktiken der Verfassungsschutzämter. b) Sammlungsbestrebungen Der Ruf nach einer rechtsextremen Sammlungsbewegung ist in den letzten 15 Jahren nie verstummt. Er löste Fusionsversuche, Wahlbündnisse und zahlreiche Neugründungen aus, die ohne Ausnahme scheiterten. Sie zerbrachen an dem Gruppenegoismus und an der gegenseitigen Entfremdung der beteiligten Vereinigungen. Alle Hoffnungen der extremen Rechten, unter neuem Namen Erfolge zu erringen, haben sich bisher als Illusionen erwiesen. Es genügt in diesem Zusammenhang, an den Mißerfolg der „Deutschen Nationalen Sammlung" (DNS) anläßlich der Bundestagswahlen 1953 und an die erfolglosen Einigungsbemühungen der „Arbeitsgemeinschaft für deutsche Politik", der „Notgemeinschaft Reichstreuer Verbände" und der „Deutschen Sammlungsbewegung" (DSB) in den Jahren darauf zu erinnern.

Schon damals fühlten sich mehrere Gruppen zugleich als Repräsentanten einer umfassenden nationalen Sammlung. Ähnlich liegen die Verhältnisse heute. Zur Zeit erheben sieben rivalisierende Gruppen den Anspruch, Sammelbecken der „nationalen Opposition" zu sein. Fünf von ihnen halten eine Beteiligung an den kommenden Bundestagswahlen von vornherein für nutzlos oder verfolgen andere als parteipolitische Ziele. Lediglich zwei Gruppen haben zu erkennen gegeben, daß sie sich im Herbst 1965 zur Wahl stellen wollen, um die eigene Organisation zumindest durch „Achtungserfolge" im Gespräch zu halten. Bezeichnend ist, daß sie sich gegenseitig die Legitimation als Sammlungspartei absprechen. Jede von ihnen rechnet dem Konkurrenten vor, er könne die 5 °/o-Hürde nicht annähernd erreichen. Die übrigen rechtsextremen Gruppierungen sagen ihnen „sinnlosen Verschleiß der letzten Anhänger und neue Enttäuschungen" voraus. Tatsächlich ist der auf die rechtsradikalen Gruppen insgesamt entfallende Stimmenanteil von Wahl zu Wahl zusammengeschmolzen.

Um den nach Ansicht führender Funktionäre sonst unausbleiblichen Verfall der alten Parteiorganisation zu verhindern, sah sich eine dieser Parteien gezwungen, sich den Wählern in neuem Gewände vorzustellen. Sie ergriff die Initiative zur Gründung einer Wahl-partei, die sich unter Beteiligung von Restbeständen anderer fast erloschener Gruppen konstituierte. Das neue Firmenschild wird als spontaner Zusammenschluß national gesinnter Kräfte gefeiert. Inzwischen haben die alten Führungskader Schlüsselpositionen auf den Gebieten der Propaganda, Organisation, Geschäftsführung und des Kassenwesens übernommen. Hauptschriftleiter, Redaktion und Verlags-GmbH des gleichfalls umbenannten Parteiorgans haben sich darauf festgelegt, die alten Ziele künftig uneingeschränkt weiter zu verfolgen. Der Aufbau regionaler Parteigliederungen hat begonnen. c) Publizistik Die rechtsextremen Wochen-und Monats-schriften führen seit Jahren einen zähen Kampf um neue Leserkreise. Zu diesem Zweck rufen sie die Mitglieder der rechtsradikalen Vereinigungen und eigene Lesergemeinschaften zu immer neuen Anstrengungen auf. Dem gleichen Ziel dienen Werbepreisausschreiben, Werbeaktionen im Gefolge politischer Veranstaltungen, Aufkäufe von Anschriftenmate-rial und langfristig verbreitete Freiexemplare. Eines dieser Blätter verwendet seit 1962 jeweils den dritten Teil seiner gedruckten Auflage zu Werbezwecken. Trotzdem ist — erstmals seit Jahren — der Gesamtumsatz der rechtsradikalen Periodika im Verlaufe des Jahres 1964 erheblich zurückgegangen.

Der Absatz der organisationseigenen Blätter hat sich annähernd in dem Maße verringert, wie die von ihnen repräsentierten Vereinigungen selbst zerfielen. Von dieser Entwicklung sind die Parteiorgane besonders betroffen. Ihr Leserstamm bröckelt seit einigen Monaten ab. Nach den Wahlniederlagen der rechtsextremen Splitterparteien im Jahre 1964 war das zu erwarten. Doch haben jetzt erstmalig auch Presseorgane, die sich mit keiner der organisierten Gruppen identifizieren, Rückschläge hinnehmen müssen. Ihre Auflagenhöhe sank auf den Stand vom Sommer 1962 zurück (Skizze 2).

Die wachsende öffentliche Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Publizistik und die abstoßende Gesamttendenz dieser Blätter, die das Urteilsvermögen der Bevölkerung offensichtlich unterschätzen, zeigen hier ihre Wirkung. Der Bericht des Bundesministers des Innern über „Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1963" (veröffentlicht in der Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament" vom 24. 6. 64) hob hervor, daß es zur Bekämpfung der schädlichen rechtsextremen Presseagitation neben staatlicher Initiative vor allem der Auseinandersetzung im politischen Raume bedürfe. Dieser Appell hat im abgelaufenen Jahre bei den Trägern der Meinungsbildung Widerhall gefunden. Zugleich wies der genannte Bericht auf die Erfahrung hin, daß eine rückläufige Entwicklung der Verkaufsauflagen von Publi-DieGesamtauflage dieser Zeitungen und Informationsdienste beträgt zur Zeit etwa 183 200 Stück je Ausgabe. Davon werden etwa 133 000 Exemplare verkauft. Die Vergleichswerte aus dem Vorjahre sowie nähere Einzelheiten der Entwicklung enthält die folgende Übersicht: kationen freier Verlage erwartet werden könne, sobald die rechtsradikalen Tendenzen oder die rein destruktive Kritik an der bestehenden Ordnung für den unbefangenen Leser offenkundig werden. Diese Prognose hat sich als richtig erwiesen. Auch das unverkennbare Vokabular mehrerer rechtsextremer Blätter gab in den letzten Monaten wiederholt Anlaß zu Abbestellungen. Verworrenes Sektierertum, publizistische Geschmacklosigkeiten und Sprachneuschöpfungen, die den politischen Gegner bedenkenlos als „Landes-und Volksverräter, Umerzieher, Verzichtler, Einweltler, Rassenmixer, Lizenzpolitiker oder Reichsverächter"

verunglimpfen, konnten kaum Beifall finden.

Gemessen an den Millionenauflagen des deutschen Presse-und Informationswesens ist die Ausstrahlung rechtsextremer Organe gering.

Allein die Gesamtauflage der in der Bundesrepublik erscheinenden Tageszeitungen beträgt zur Zeit über 20 Millionen Stück; das „nationale Lager" verfügt über keine einzige Tageszeitung.

Von den 38 rechtsextremen Presse-und Literaturverlagen vertreiben mehr als die Hälfte Bücher und Broschüren. 12 von ihnen verzichteten im abgelaufenen Jahre auf Neuerscheinungen mit verfassungsfeindlichen Tendenzen.

Die übrigen setzten die Herausgabe politisch extremer Werke fort. Diese Schriften enthalten jedoch nur noch ganz selten offene Rechtsverstöße. d) Der nichtorganisierte Rechtsradikalismus Nichtorganisierte Träger rechtsextremer Auffassungen treten in der Hauptsache als Buchautoren, Journalisten, Pamphletisten oder durch entsprechend motivierte Straftaten vielfacher Art in Erscheinung. Zu ihnen gehören auch einige hundert Aktivisten aufgelöster Vereinigungen, Repräsentanten anhangloser „Einmann-Organisationen" sowie Personen mit zum Teil psychopathischen Zügen, wie sie in jedem Volk anzutreffen sind. Vereinzelt finden sich unverbesserliche Nationalsozialisten zu Stammtischgesprächen zusammen. Insgesamt halten sich diese Gruppen mehr zurück als in den Vorjahren, in denen sich die Staatsschutzorgane noch mit etwa 1 500 bis 2 000 rechtsextremen Einzelgängern befassen mußten.

Verstärkt wird auf Infiltrationsversuche rechtsextremer Einzelgänger im Bereich der Interessenverbände, unpolitischen Vereinigungen und studentischen Korporationen geachtet. Die betroffenen Gruppen haben sich gegen diese Eindringlinge im vergangenen Jahr wiederholt zur Wehr gesetzt. Sie erteilten Verwarnungen, schlossen Mitglieder aus oder sorgten für die Abwahl von Funktionären. Wo dies nicht rechtzeitig geschieht, pflegen schädigende Folgen für den betroffenen Verband nach aller Erfahrung nicht auszubleiben.

In welchem Maß darüber hinaus Teile der Bevölkerung noch für rechtsradikale und antisemitische Vorstellungen anfällig sind, läßt sich, soweit es nicht in irgendeiner äußeren Form zum Ausdruck kommt, naturgemäß nicht exakt feststellen. Meinungsumfragen, die Verkaufsauflagen rechtsextremer Bücher und Zeitungen sowie Analysen der Wahlergebnisse deuten auf rückläufige Tendenzen hin. Doch gelten hier andere Zeitmaßstäbe als für den relativ raschen Verfall des organisierten Rechtsradikalismus. Hier sind Vorurteile und innere Vorbehalte zu überwinden, die nur zögernd aufgegeben werden.

II. Argumente, Parolen

Parteien Jugendgruppen sonstige Gruppen freie Verlage insgesamt etwa 11 000 1 000 12 400 200 24 600 14 21 50 38 123 5 — 9 2 16 5 4 9 2 20 14 17 50 38 9 700 700 11 900 200 119 etwa 22 500 Organisations-Art Ende 1963 Mitglieder Org. -Zahl seither gegründet erloschen Ende Org. -Zahl 1964 Mitglieder

a) Staatspolitische Leitbilder Um 1950 wurde die Rechts-und Staatsordnung der Bundesrepublik noch von relativ starken rechtsextremen Gruppen herausgefordert, die eindeutig nazistische Ziele verfolgten. Sie sind inzwischen aus dem politischen Leben verschwunden. Die „Sozialistische Reichs-Partei" (SRP) wurde aufgelöst. Den gleichen Weg gingen zahlreiche Nachfolge-und Untergrundorganisationen. In der Rückschau erweisen sich diese Abfallprodukte de Entnazifizierungsprozesses als letzter offener Versuch, im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie weiterzuwirken. Seither sind viele Vertreter dieser Bestrebungen von der politischen Bühne abgetreten. Die Generation der NS-Prominenz ist inzwischen gealtert, über zwei Drittel ihrer höchsten Amtsträger sind verstorben. In den rechtsextremen Vereinigungen von heute haben sich die Akzente der staatspolitischen Agitation verschoben. Vorbehaltlose Bekenntnisse zum Nationalsozialismus sind selten geworden. Sie scheuen die Öffentlichkeit, schon mit Rücksicht auf die laufenden Prozesse wegen nationalsozialistischer Untaten, gehören aber immer noch zu den Randerscheinungen gruppeninterner Zusammenkünfte dieser Kreise. Eine Häufung nazistischer Vorfälle war nur im Bereich mit-gliedschwacher rechtsradikaler Jugendgruppen und vereinzelter deutscher Kontaktstellen des internationalen Faschismus zu beobachten.

Für die meisten anderen Gruppen sind Ausschreitungen dieser Art nicht mehr kennzeichnend.

Das Schwergewicht der Agitation zu staatspolitischen Fragen hat sich dort auf die destruktive Kritik an der bestehenden Ordnung verlagert. Dahinter werden verfassungsfeindliche Leitbilder nur in groben Konturen sichtbar.

In rechtsextremen Verlautbarungen wurde die parlamentarische Demokratie als „artfremde, sterile und schädliche Gesellschaftsordnung"

verunglimpft, die den „Eidbruch der Widerstandskämpfer zum Staatsethos erhoben"

habe. Sie sei dem deutschen Volke als „Instrument der Unfreiheit" aufgenötigt worden und widerspreche dem Recht auf freie Selbstbestimmung.

Freiheit, Humanität und Demokratie seien nichts als „schleimige Heuchelei".

Der deutsche Bundestag habe sich zum „Hanswurst überstaatlicher Mächte erniedrigt".

Solche Parolen fanden keine nennenswerte Resonanz. Im Mittelpunkt der abwertenden Kritik stehen die demokratischen Parteien und ihre Repräsentanten. Bevorzugte Angriffsobjekte sind auch die Gewerkschaften;

ihre Auflösung wurde gefordert. Widerstandsparolen und Aufrufe zu einem grundlegenden Wandel der bestehenden Ordnung sind relativ häufig. Umso spärlicher werden die eigenen Wertvorstellungen vom „parteilosen Volksstaat", „hierarchischen Ständestaat", „nationalistischen Sozialismus" oder von ähnlichen Gebilden erläutert. Selbst gelegentliche Versuche, über die gewohnte Schlagwortargumentation hinaus eine systematische Darstellung des Nationalismus zu bringen, weichen den realen Fragen der Staatspolitik aus. Trotz dieser Verschleierungstaktik ist deutlich erkennbar, daß die verfassungspolitischen Vorstellungen der extremen Rechten nach wie vor dem Leitbild des autoritären Staatsapparates folgen. Der Reichs-gedanke nazistischer Ausprägung ist bei ihr noch fest verwurzelt. In fast wörtlicher Übereinstimmung mit einer anderen Parole Hitlers befindet sich die programmatische Erklärung der „Europäischen Neu-Ordnung", „das Recht sei lediglich Mittel im Dienst der Rasse".

b) Rassedenken, antichristliche und antisemitische Parolen Nach den Erfahrungen der Staatsschutzorgane wurzelt die Vorstellungswelt erkannter Verfassungsfeinde innerhalb des „nationalen Lagers" zumeist in einem Rassismus, der verworrene Vorurteile zum Mythos erhebt und seine Agressivität vorwiegend aus emotionalen Bereichen herleitet.

Ein großer Teil der rechtsextremen Aktivisten ist antichristlich eingestellt oder vertritt antiklerikale Auffassungen. Er rekrutiert sich aus deutschgläubigen Sekten und den Resten solcher Weltanschauungsgemeinschaften, die im vorpolitischen Raum ihr Art-und Rassedenken pflegen. Solche Gemeinschaften lassen ihren Anhang noch heute den Nachweis nordisch-germanischer Abstammung und Eheschließung führen. So hat z. B. die „Deutschgläubige Gemeinschaft e. V." zum Ausdruck gebracht, daß sie es satzungsgemäß nicht hinnehmen könne, wenn ein Bewerber über einen italienischen Großelternteil verfüge. Hier sind Schmähungen des Christentums als „artfremde Allmenschheitslehre, die das Erbgut der Völker verschüttet habe", nicht selten. Im Bereich der rechtsextremen Jugendgruppen ist es üblich, Angehörige christlicher Kirchen nicht in Führungsstellen zu verwenden. Teilweise geht dies auf Weisungen der Verbands-führer und ihrer Hintermänner zurück. Daneben versuchen „Einzelkämpfer" verbotener Vereinigungen, ihren antichristlichen „Artglauben" auch in anderen Gruppen auszubreiten.

Soweit derartige Weltanschauungsgemeinschaften keine nachweisbar politischen Bestrebungen verfolgen, entzieht sich ihr Wirken aus verfassungsrechtlichen Gründen der Beobachtung.

Doch läßt sich nicht bestreiten, daß gerade sie zu den Quellen rassistischer und antisemitischer Gefühle und des entsprechenden politischen Sektierertums zählen.

Die politische Agitation der extremen Rechten zur Rassenfrage wurde zeitweilig durch Meldungen der Weltpresse über Rassenunruhen im Auslande und den Wahlkampfstil von Anhängern des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Goldwater belebt. In der Auseinandersetzung mit Fragen der deutschen Politik werden vor allem die Beschäftigung ausländischer Gastarbeiter im Bundesgebiet, die europäische Einigung und die deutsche Teilnahme an der internationalen Entwicklungshilfe als Anlaß für rassistische Parolen herangezogen.

In diesem Zusammenhang wurden die Völker Lateinamerikas und Afrikas „angeborener rassischer Inferiorität" bezichtigt.

Einige Sektierer werteten auch die „Erbeigenschaften"

benachbarter Nationen ab, um den „germanischen Führungsanspruch innerhalb der weißen Rasse" zu propagieren.

Nach den Erkenntnissen der Staatsschutzorgane ist der organisierte Rechtsradikalismus im Bundesgebiet für antisemitische Tendenzen noch immer besonders anfällig. Dies gilt vor allem für die nationalistischen Jugendgruppen sowie für Vereinigungen, die sich in rechtsextremer Sicht mit deutscher Kultur-, Art-und Volkstumspflege befassen. Hier hat der ständige Verlust gemäßigt denkender Mitläufer und die wachsende Isolierung der Gruppen nach außen auch insoweit zur Radikalisierung beigetragen. Im Kreise Gleichgesinnter fielen wiederholt offen antisemitische Äußerungen.

Auf mehreren Veranstaltungen und in getarnten Zusammenkünften der extremen Rechten haben antisemitische Redner das Wort erhalten. Gruppen eines rechtsextremen Jugendverbandes sangen ein in Kriegszeiten bekanntgewordenes Lied mit antisemitischem Refrain.

Demgegenüber verzichtet die rechtsextreme Inlandspresse im allgemeinen auf unverhüllt antisemitische Äußerungen. Ihre einseitige Kritik an den deutschen Wiedergutmachungsleistungen, ihre Polemik gegen den „Zionismus"

und den Staat Israel und ihre Stellungnahmen in sonstigen einschlägigen Fragen beruhen häufig auf antisemitischen Motiven; taktische Erwägungen veranlassen sie jedoch, diese Tendenz nicht allzu offenkundig werden zu lassen oder zu versuchen sie dadurch zu kompensieren, daß sie mitunter auch jüdische Autoren zu Worte kommen lassen. Gelegentlich versuchen diese Blätter antisemitische Vorurteile ihrer Leser durch Hinweise auf die jüdische Abkunft von Personen, gegen die polemisiert wird, oder mit anderen unmißverständlichen Anspielungen zu nähren. Anders verhält es sich mit den antisemitischen Pamphleten, die aus dem Auslande eingeschleust werden. Sie tarnen ihre Ziele nicht. Inhalt und Aufmachung dieser ausländischen Hetzschriften sind primitiv. Gegen erkannte Versuche des internationalen Faschismus, Verteilerstellen auf deutschem Boden zu bilden, sind die Strafverfolgungsbehörden eingeschritten. c) Parolen im Blick auf dem Kommunismus Die rechtsextreme Agitation zum Thema Kommunismus ist nicht mehr einheitlich. Eine gemeinsame Frontstellung der Rechtsradikalen gegen den Kommunismus scheitert an antiliberalistischen Vorstellungen und allgemein antiwestlichen Ressentiments. So forderten einige Gruppen der extremen Rechten „die Zusammenfassung der nationalen Kräfte des deutschen und des sowjetischen Volkes zum Schutze des Friedens gegenüber dem antipreußischen Bündnis zwischen Wallstreet und Vatikan". In diesem Zusammenhang wurde an die sowjetrussischen Hilfsdienste beim Aufbau der Reichswehr in der Zeit von Weimar, gemeinsame deutsch-sowjetische Truppenparaden nach dem Polen-Feldzug und den Hitler-Stalin-Pakt gegen die „Reichsfeinde im Westen" erinnert. Zugleich stellten diese Kreise auf ihrer Suche nach vermeintlich zugkräftigen Argumenten antikommunistische Gesinnung schlechthin als „Deckmantel der Besitzangst" und notwendige Folge des „verlogenen Gefasels von der westlichen Freiheit" dar. Damit haben sich Teile des organisierten Rechtsradikalismus unverkennbar in die Nachbarschaft der kommunistischen Propaganda begeben.

Andere rechtsextreme Gruppen bezeichnen den von ihnen propagierten Antikommunismus als „revolutionär", da er zugleich zur Beseitigung des „unfähigen demokratisch-liberalistischen Systems" führen werde.

Insgesamt stößt die rechtsextreme Propaganda nur selten in Kernbereiche der notwendigen geistigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus vor. Umso häufiger werden antikommunistische Parolen als Vorspann und zur Rechtfertigung einer hemmungslosen Abwertung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ihrer Repräsentanten im Bundesgebiet herangezogen. Der Demokratie wird unterstellt, sie nähre „die Schlange des Kommunismus aus nationaler Instinktlosigkeit am eigenen Leibe". Die Tendenz, autoritäre Ziele in antikommunistischer Verhüllung zu propagieren, ist hier unverkennbar. d) Militaristische und militärpolitische Parolen Im organisierten Rechtsradikalismus finden sich jetzt nur noch selten Bekenntnisse, die das soldatische Verhältnis von Befehl und Gehorsam schlechthin als Vorbild für das politische Leben hinstellen. Er hat erkannt, daß dies für ihn existenzgefährdend wäre. Unverhüllter Militarismus beherrscht lediglich kleine Gruppen politischer Sektierer. Sie geben sich der Hoffnung hin, daß paramilitärische Aktivisten-gruppen eine politische Wende vorbereiten könnten. Immer noch wird der Wunschtraum von einer Nationalarmee genährt, die sich im rechten Moment vielleicht doch noch zur „deutschen Revolution" oder ähnlichen politischen Abenteuern mißbrauchen ließe. Polemische Betrachtungen über das „unzerstörbare Grundgesetz des ewig Soldatischen", dem staats-prägende Kräfte „unabhängig von kommenden und gehenden Staatsformen" zugesprochen werden, kennzeichnen die hier skizzierte Geisteshaltung.

Die meisten rechtsextremen Gruppen und Publizisten bedienen sich zu diesem Themenkreis weniger drastischer Formulierungen. Sie treten als Hüter soldatischer Tugenden und Traditionen auf. Dabei mißbrauchen sie oft genug, was sie zu schützen vorgeben. Ihre wehr-politischen Parolen werden von nahezu einhelliger Ablehnung der NATO, Forderungen nach einer deutschen Nationalarmee und gehässiger Abwertung der Führungsgrundsätze der Bundeswehr bestimmt. Bei solcher Einstellung sind konstruktive Argumente zu dem gegenwärtigen Ringen um die wirksamste Organisation der Verteidigungskraft im freien Teil der Welt nicht zu erwarten. Aus den gleichen Gründen ist die Haltung dieser Kreise zur deutschen Bundeswehr notwendigerweise zwiespältig, ressentimentgeladen und wechselhaft.

Die Bundeswehr wurde als „Fremdenlegion" geschmäht, die „volksfremde Dogmen" verteidige und lediglich den Interessen der „Feindmächte" diene. Eine rechtsradikale Pa-tei bildete Wehrausschüsse und benannte Wehrreferenten. Sie sollen publizistische Mittel einsetzen und persönliche Kontakte beleben, um innerhalb der Bundeswehr gegen „den Ungeist der militärischen Integrationspolitik, weltfremder Reformen, der Verherrlichung des Widerstandes gegen Hitler" und der angeblichen Verachtung aller soldatischen Traditionen zu wirken. Ähnliche Anzeichen einer verstärkten Kontaktpflege im militärischen Bereich wurden bei mehreren rechtsextremen Gruppen beobachtet. e) Versuche zur Ausweitung des Agitationsrahmens Seit mehreren Jahren bemühen sich die größeren Vereinigungen und Publikationsorgane der extremen Rechten, einen Agitationsstil zu finden, der geeignet ist, breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen. Sie vermeiden offene Rechtsverstöße, passen sich den bestehenden Verhältnissen an und bevorzugen Themen von allgemeinem Interesse, um mit demagogischen Mitteln „überhaupt erst einmal eine Atmosphäre der nationalen Leidenschaften zu erzeugen", die es dann auszunutzen gelte. Ein besonders wirksames Propaganda-mittel glauben sie im Thema Kriegsschuld gefunden zu haben. Es wird weiterhin rein polemisch erörtert mit dem Ziel, die letztlich zum Kriege führende Politik Adolf Hitlers als notwendigen nationalen Aufbruch nach dem „Unrechtsfrieden von Versailles" darzustellen und sogar die nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen einschließlich der „JudenEndlösung" diesem Gedankengang unterzuordnen. Tatsachen, die den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes kennzeichnen, werden unterdrückt oder nicht zur Kenntnis genommen. Angehörige des Widerstandes gegen Hitler sind in den Augen vieler rechtsextremer Gruppen immer noch „Landesverräter und Eidbrecher".

Die Vortragsreise eines ausländischen Anhängers der von diesen Gruppen propagierten Kriegsschuldthesen brachte zwar den Veranstaltern einige spektakuläre Tageserfolge. Die überwiegend ablehnende Reaktion der Öffentlichkeit, insbesondere die kritischen Darstellungen in Presse und Rundfunk hatten aber neben einer Reihe von Austritten aus diesen Gruppen vor allem zur Folge, daß Wissenschaft und öffentliche Meinung seither wachsamer auf derartige Versuche der Geschichtsklitterung reagieren. Ähnlich unsachlich und polemisch sind die meisten Äußerungen zu den Brennpunkten der nationalen Politik von heute. Fast alle rechtsextremen Gruppen halten hartnäckig an der Behauptung fest, die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands sei bei den staatstragenden Organen der Bundesrepublik nur ein Lippenbekenntnis. Daneben wird mit allen publizistischen Mitteln eine Radikalisierung der bäuerlichen Bevölkerung und der Interessenverbände unter demagogischer Ausnutzung beruflicher Anliegen angestrebt. Erfolge dieser Bemühungen sind jedoch nicht festzustellen. Alle bisherigen Versuche des „nationalen Lagers", eigene bäuerliche Kampforganisationen zu schaffen, blieben im Ansatz stecken. Eine mit diesem Ziel geschaffene „Partei", ihre Spaltung in drei rivalisierende Gruppen und ihr Ende nach kaum einjährigem Bestehen im Frühjahr 1964 sind ein typisches Beispiel für die Erfolglosigkeit solcher Versuche.

Einige Publizisten setzten sich für eine Liberaisierung des Staatsschutzrechtes mit der durchsichtigen Begründung ein, „die Grenze der freien Meinungsäußerung sollte dort gezogen werden, wo die Ehre des Volkes und seine Lebensinteressen angetastet, verraten und in den Schmutz gezogen" würden. Dies sei richtiger, als jede verfassungspolitische Erörterung zur „Selbstverbesserung der Demokratie" für unzulässig zu erklären und Bekenntnisse, in denen die wahren Feinde des deutschen Volkes beim Namen genannt würden, als Völker-und Rassenhetze unter Strafe zu stellen. Außerdem werde mit dem Begriff „rechtsradikal" Meinungsterror getrieben, um „aufrechte Patrioten" in Mißkredit zu bringen. Diese Argumentation entspricht bei umgekehrten Vorzeichen derjenigen des kommunistischen Lagers, das zwar einen Verzicht auf strafrechtliche Maßnahmen gegenüber den Verfassungsfeinden von links fordert, zugleich aber eine Verschärfung der Maßnahmen gegenüber „faschistischen" Bestrebungen.

Diese Parolen der Rechtsextremen laufen auf den Versuch hinaus, die Möglichkeit exakter Unterscheidungen zwischen rechtsradikaler Betätigung und Äußerungen eines rechtverstandenen Nationalempfindens anzuzweifeln. Bedenken dieser Art sind jedoch unbegründet. Die Staatsschutzbehörden in Bund und Ländern bezeichnen seit jeher als rechtsradikal nur diejenigen nationalistischen Gruppen und Personen, die ein glaubhaftes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung vermissen lassen und bei denen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß ihre Zielsetzung oder Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist oder daß sie solche Bestrebungen fördert. Der Versuch der Verschleierung derartiger Ziele durch demokratische Lipenbekenntnisse darf und wird die Staatsschutzbehörden nicht von ihrer gesetzlichen Pflicht zur Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen abhalten.

III. Auswirkungen des internationalen Faschismus im Bundesgebiet

Mitglieder Mitglieder Mitglieder Mitglieder Mitglieder Mitglieder in 86 in 112 in 123 Organisationen in 119

Die Betätigung des internationalen Faschismus im Bundesgebiet hat eine doppelte Zielrichtung. Einerseits streben die ausländischen Gruppen Zweiggründungen und funktionsfähige Kontaktstellen auf deutschem Boden an, wobei oft genug ungewiß bleibt, ob ihre organisatorischen Schachzüge nicht nachrichtendienstliche Zwecke verfolgen oder dazu dienen, die Bundesrepublik zu provozieren oder zu diskriminieren. Zum anderen werden seit Jahren Propagandaschriften der rechtsextremen Auslandsgruppen eingeschleust, um innerhalb der Bundesrepublik aus ähnlich undurchsichtigen Gründen antisemitistische, antidemokratische und neonazistische Gefühle anzuregen. Beide Erscheinungsformen wurden auch im abgelaufenen Jahre festgestellt. a) Kontaktstellen des internationalen Faschismus auf deutschem Boden Die meisten deutschen Gruppen scheuen offene Kontakte zum internationalen Faschismus. Nur die „Deutsche Soziale Bewegung" (DSB) bezeichnet sich als Sektion der rechtsextremen „Europäischen Sozialen Bewegung" (ESB) mit Sitz in Schweden. Ihre Anhängerzahlen sind sehr gering. Alle sonstigen Vereinigungen beschränken sich darauf, mit einzelnen Vertretern des europäischen Faschismus zu korrespondieren und Publikationen auszutauschen, wobei kompromittierende Kontakte zu Sektierern wie Lincoln ROCKWELL (USA), Colin JORDAN (Großbritannien), Jean THI-RIART (Belgien) und Gaston AMAUDRUZ (Schweiz) gemieden werden. Diese Zurückhaltung beruht auf Gegenseitigkeit. So hat ein belgischer Faschist die rechtsextremen Gruppen im Bundesgebiet mit einer Kette falscher Perlen verglichen, deren Schnur verrottet sei. Deshalb müßten internationale Kontaktstellen auf deutschem Boden entstehen, die es außerhalb des aufgesplitterten deutschen Rechtsradikalismus zu errichten gelte. Bemühungen dieser Art sind relativ häufig. Sie blieben jedoch stets im Ansatz stecken.

Im Mai 1964 löste sich die „Arbeitsgemeinschaft Nationaler Kreise" (ANK) auf. Sie gehörte dem rechtsextremen „Northern European Ring" in England an. Zwei Monate darauf scheiterte ein Versuch des schwedischen Faschisten Walter GRÜN, deutsche Hilfskräfte für sein „Nationales Koordinationskomitee für Europa" zu mobilisieren. Unter diesem fiktiven Impressum hatte GRUN verfassungsfeindliche Broschüren herausgegeben und einige hundert Exemplare in die Bundesrepublik eingeschleust. Er wurde am 17. Juli 1964 in Schleswig-Holstein festgenommen und nach 10 Wochen Untersuchungshaft nach Schweden abgeschoben. Die Ermittlungen gegen seine deutschen Kontaktpersonen sind noch nicht abgeschlossen. Ähnlich erging es der belgischen Faschisten-gruppe „Europafront". Der Aufbau ihrer deutschen Zweiggliederung scheiterte an der Verbotsandrohung des Polizeipräsidenten in Aachen für das geplante Jugendlager der „Europafront" im August 1964.

Trotz wiederholter Einreise in die Bundesrepublik ist auch der Leiter der rechtsextremen Bewegung „Jeune Europe", Jean THI-RIART, bei seinen Versuchen, Zweiggruppen im Bundesgebiet ins Leben zu rufen, ohne Erfolg geblieben. Das gleiche gilt für die „World Union of National Socialists" (USA) und ihre britische Sektion „National Socialist Movement" (NSM), die sich immer noch um den Aufbau geheimer deutscher Kontaktstellen bemühen. b) Publizistische Einflüsse Der Zustrom ausländischer Propagandaschriften hat sich verstärkt. Im Jahre 1964 gelangten 66 (gegenüber 45 im Bundesgebiet hergestellten) periodisch erscheinende Zeitschriften (siehe nachstehende Bildtafel) sowie mindestens 78 verschiedene Flugschriften und Broschüren in unbekannten Auflagen in die Bundesrepublik. Dieses Agitationsmaterial stammt aus 21 Ländern, vorwiegend aus den USA, Großbritannien, Belgien, Schweden und der Vereinigten Arabischen Republik. Der Inhalt ist antisemitisch, antidemokratisch oder allge-mein rassistisch. Zum Teil wird die nationalsozialistische Ideologie fanatisch propagiert.

Besonders aktive Versuche zur Verbreitung nationalsozialistischer Vorstellungen unternahmen die „World Union of National Socialists" (WUNS) und die ihr angeschlossene Gruppe des Engländers Colin JORDAN. Sie haben außer englischsprachigen Hetzschriften nazistische Klebezettel und Armbinden mit Hakenkreuzen über belgische Verbindungsleute in das Bundesgebiet eingeschleust. Die „National States Rights Party" (USA) setzte den Versand der Ritualmord-Nummer des „Stürmer" fort. Auch der seit Jahren bekannte schwedische Judenhasser Einar ABERG hat weiterhin seine Hetzpamphlete verschickt. Das Niveau der periodisch erscheinenden Presseorgane des internationalen Faschismus ist abstoßend. Zum Teil enthalten sie weitschweifige Ausführungen über interne Volkstums-und Rassenauseinandersetzungen aus ihren Herkunftsländern, die in dem deutschen Leser rassische Vorurteile wecken oder vertiefen können.

Die ausländischen Hetzschriften gehen vorwiegend rechtsradikalen Organisationen und Presseverlagen sowie zahlreichen Angehörigen des sogenannten „nationalen Lagers" auf dem Postwege zu. Außerdem versucht der internationale Faschismus den Absatz seiner Publikationen durch geheime Vertriebsstellen in der Bundesrepublik zu steigern. Eine solche Verteilerstelle wurde in Bamberg festgestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat gegen den ermittelten Täter Ankläge wegen Einfuhr und Verbreitung staatsgefährdender Schriften erhoben.

IV. Rechtswidrige Aktionen inländischer Täter

Parteien Jugendgruppen sonstige Gruppen freie Verlage insgesamt 36 500 4 700 29 750 152 050 223 000 17 11 13 11 52 3 2 — -— 5 7 3 1 1 12 13 10 12 10 45 22 700 3 800 26 000 130 700 183 200 Organisations-Art Ende 1963 Gesamt-auflage der Periodika seither aufgetreten erloschen Ende 1964 Zahl der Gesamt-auflage

a) Verbotsmißachtung, Geheimbündelei, Terror Die Bemühungen verbotener rechtsextremer Vereinigungen, ihre verfassungsfeindliche Tätigkeit fortzusetzen, haben nachgelassen. Der „Bund Vaterländischer Jugend" (BVJ) stellte seine Jungenschaftsarbeit ein. Ein kleiner Kreis ehemaliger BVJ-Funktionäre pflegt noch einen Zusammenhalt. Einige von ihnen ließen sich in den Vorstand einer anderen Jugendgruppe wählen und versuchen, sie zu unterwandern. Aktivisten der verbotenen Ludendorff-Bewegung veranstalteten getarnte Zusammenkünfte. Mehrere Angehörige des „Bundes Heimattreuer Jugend" (BHJ) und der „Wiking-Jugend" (WJ) mußten sich wegen des Verdachts verantworten, gegen das ihren Gruppen auferlegte Uniformverbot verstoßen zu haben.

Die deutschen Gerichte befaßten sich mehrfach mit Einzeltätern deutscher und österreichischer Staatsangehörigkeit, die in Sprengstoffverbrechen und Terror-Aktionen in Südtirol verwickelt waren. Zwei ehemalige Mitglieder des verbotenen rechtsradikalen „Bundes Vaterländischer Jugend" erhielten aus diesem Grunde Freiheitsstrafen von 15 bzw. 7 Monaten. Gegen zwei im Juni 1964 verhaftete österreichische Staatsangehörige und einen deutschen Mittäter wurde Anklage erhoben, weil sie Sprengstoffanschläge in Südtirol vorbereitet hatten und dazu in Österreich ausgebildet worden waren. Ein Verwaltungssekretär aus München wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt; er hatte Südtirol-Terroristen mißbräuchlich mit deutschen Personalausweisen versorgt. Außerdem befinden sich zur Zeit zwei Deutsche wegen Verdachts der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen in italienischer bzw. Schweizer Untersuchungshaft. Alle diese Personen wurden von ausländischen Hinter-männern gesteuert und finanziert. Dabei benutzen auch radikale Angehörige einer in Österreich verbotenen Studentenverbindung ihre Kontakte zu deutschen Korporationen, um deren Mitglieder zu Sprengstoffanschlägen zu verführen. Für die ausländischen Drahtzieher der Terrorwelle in Südtirol, die bekanntlich Todesopfer gefordert hat und u. a. zur Verletzung und Verstümmlung von etwa 30 Personen führte, wurden die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland inzwischen geschlossen.

Im Bereich der Ostemigration standen die Strafverfahren gegen 44 Mitglieder und Funktionäre der verbotenen kroatischen „KreuzerBruderschaft" und anderer Ustascha-Gruppen im Blickpunkt des Interesses. 26 Angeklagte wurden wegen ihrer Beteiligung an Terror-aktionen, wegen Geheimbündelei, Sprengstoff-verbrechens und unberechtigten Waffentragens zu hohen Zuchthaus-und Gefängnisstrafen verurteilt. Diese Verfahren und eine Reihe ausländerpolizeilicher Auflagen haben bewirkt, daß die vor Jahresfrist noch sehr rege Untergrundarbeit der genannten Kreise zwischenzeitlich nahezu aufgehört hat. Von neuen Terrorvorhaben in Jugoslawien haben die erwähnten Gruppen aus eigenem Entschluß Abstand genommen. Drei einschlägige Organisationen bestehen nicht mehr. Die „Kroatische Befreiungsbewegung" (HOP) legt jetzt Wert darauf, sich von den radikalen Gruppen innerhalb der Ustascha-Bewegung zu distanzieren.

Anhaltspunkte dafür, daß im Bundesgebiet Fluchthilfeorganisationen für NS-Verbrecher tätig seien, haben bisher weder die einschlägigen Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden noch die langjährige Kontrolle nazistischer Bestrebungen durch die Ämter für Verfassungsschutz erbracht. Alle Presseverlautbarungen, die von der Existenz solcher Gruppen während der letzten zehn Jahre ausgehen, stellten sich bei näherer Prüfung als unzutreffend heraus. b) Nazistische und antisemitische Einzelvorfälle Im Jahre 1964 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Grund von Meldungen der Landesämter für Verfassungsschutz und der Strafverfolgungsbehörden 171 Vorfälle erfaßt, die nach dem äußeren Tatgeschehen auf nazistische oder antisemitische Motive der Täter schließen ließen. Während die Zahl der Ausschreitungen von 1960 bis 1963 ständig abnahm, ist sie 1964 im Vergleich zum Vorjahre (177 Fälle) erstmals annähernd konstant geblieben. Die Entwicklung seit 1959 ist im einzelnen aus der Tatzeitenstatistik (Skizze 3) zu ersehen. Eine Untersuchung der räumlichen Streuung zeigt, daß mehr als die Hälfte der Fälle auf Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen entfällt. Die übrigen Länder folgen erst in weitem Abstand.

Nach ihrer äußeren Begehungsform lassen sich die Ausschreitungen — abgesehen von den bereits dargestellten Verbotsmißachtungen und geheimbündlerischen Aktionen — in folgende Gruppen aufteilen (Skizze 4): 1. Friedhoisschändungen Auf 12 jüdischen Friedhöfen wurden Grabsteine beschädigt oder umgestürzt. Die intensiven polizeilichen Ermittlungen haben bisher nur in einem Fall zur Aufdeckung des Täters geführt; er war geistesschwach. In den meisten übrigen Fällen deuten die polizeilichen Ermittlungen auf die Täterschaft strafunmündiger Kinder hin. Solche Unfughandlungen ereigneten sich auch auf christlichen Friedhöfen. 2. Bedrohungen und Beleidigungen politischer Gegner und jüdischer Mitbürger Diese Vergehen sind mit 30 Meldungen im Vergleich zum Vorjahre (43 Fälle) weiter zurückgegangen. Jüdische Mitbürger, Journalisten und Staatsanwälte, die mit der Verfolgung von NS-Verbrechen befaßt waren, wurden durch anonyme Drohbriefe belästigt. Hinzu kommen antisemitische Beleidigungen im Verlauf persönlicher Auseinandersetzungen oder unter Alkoholeinfluß. Auf der anderen Seite beklagen sich auch rechtsextreme Aktivisten über anonyme Belästigungen und Bedrohungen. 3. Schmieraktionen In 64 Fällen wurden Hakenkreuze oder nazistische Parolen geschmiert. Unbekannte Täter besudelten in dieser Weise u. a. das Portal der Matthäuskirche in Frankfurt am Main. 4. Flugschriften und Plakataktionen Erfaßt wurden 28 Vorfälle, bei denen es sich fast ausschließlich um die Versendung antisemitischer Pamphlete mit sehr primitiven Hetztiraden handelt. Umfangreiche Ermittlungen waren erforderlich, um einem besonders hartnäckigen Pamphletisten das Handwerk zu legen. Er hatte seine antisemitischen Schriften u. a. an ausländische Missionen, Ministerien, Partei-Geschäftsstellen und Gewerkschaftsbüros versandt. Das gegen ihn eingeleitete Verfahren ist inzwischen wegen seiner Unzurechnungsfähigkeit gemäß § 51 Abs. 1 StGB eingestellt worden. Auf gleicher Ebene liegt die Herstellung und Verbreitung eines periodisch erschienenen „Politisch-satyrischen Wochenspiegels" mit extrem antisemitischem Inhalt durch einen unbelehrbaren Nationalsozialisten. Ein seit Jahren in gleicher Weise tätiger 76jähriger Handelsvertreter wird zur Zeit auf seinen Geisteszustand untersucht. Die im Bundesgebiet vereinzelt aufgetretenen Plakate und Klebezettel mit NS-Symbolen stammen größtenteils aus dem Auslande. 5. Sonstige Störaktionen Auch zu diesen 29 Vorfällen zählen einige schwerwiegende Unfughandlungen. An mehreren Orten wurden Kränze zu Ehren von Opfern des NS-Regimes von Mahnmalen und aus Synagogen gestohlen. Drei Fälle betreffen Ausschreitungen rechtsextremer Jugendgrup-pen, wie das Singen nazistischer Lieder oder das gemeinschaftliche Abhören entsprechender Schallplatten und Tonbänder.

Die übrigen Täter haben unter Alkoholeinfluß antisemitische Wirtshausgespräche geführt, Hakenkreuz-Embleme gezeigt oder NS-Lieder gesungen. c) Die Täter und ihre Beweggründe Bisher wurden 74 Täter der antisemitischen und nazistischen Vorfälle des Jahres 1964 ermittelt. 16 von ihnen gehörten rechtsradikalen Gruppen als Mitglieder an; 26 hatten ein geringeres Alter als 30 Jahre. Die Alters-schichtung der seit 1960 ermittelten Täter ist in der folgenden Übersicht zusammengefaßt:

Wie in den Vorjahren entstammen die weitaus meisten Urheber nazistischer und antisemitischer Vorfälle als Lehrlinge, Fach-oder Hilfsarbeiter, kaufmännische Angestellte oder sonstige Angehörige unselbständiger Berufe den sozial schwächeren Bevölkerungsschichten. Viele lassen auf Grund ihrer Vorstrafen oder ihrer arbeitsscheuen Lebensweise sozialoppositionelle Züge erkennen. Bei 6 Antisemiten handelte es sich allerdings um Angehörige gehobener Berufe (Ärzte, Apotheker, Ingenieure).

Bereits 1962 wurde festgestellt, daß nach dem Rückgang der massenpsychologisch bedingten Unfughandlungen des Jahres 1960 und dem hohen Anteil an politisch motivierten Taten im Jahre 1961 eine Verlagerung auf Ausschreitungen sozialoppositioneller Kräfte zu erkennen ist. Diese 1963 wiederholte Feststellung gilt auch für das abgelaufene Jahr. Die Zunahme der Taten aus politischer Überzeugung ist auf das Auftreten einiger in rechtsradikalen Gruppen organisierter Täter zurückzuführer (Skizze 5).

Im einzelnen führt die Analyse der Tatmotive zu folgenden Ergebnissen: 31 politische Überzeugungstäter, darunter mehrere Antisemiten und rechtsradikale Aktivisten sowie einige unbelehrbare Nationalsozialisten (1963: 23); 19 politische Affekt-und Rauschtäter, darunter mehrere Fälle mit allgemein asozialem Hintergrund (1963: 36); 20 Urheber unpolitischer Unfughandlungen aus Geltungstrieb oder aggressivem Tätigkeitsdrang (1963: 33); 4 Personen, die infolge Schwachsinns oder Geisteskrankheit unzurechnungsfähig sind (1963: 7).

V. Staatliche Maßnahmen gegen Träger nationalistischer und antisemitischer Bestrebungen

DER DIE AUFLAGENENTWICKLUNG RECHTSRADIKALEN PRESSEORGANE 1960 BIS 1964 Gesamtauflage Nicht vereinsgebundene Organe SKIZZE 2 Partei-u. Vereins organe 1960 1961 1962 1963 183. 200 130. 700 52. 500 1964

a) Strafund Einziehungsverfahren Mit rund 80 Urteilen gegen Straftäter aus extrem nationalistischen oder antisemitischen Motiven im Jahre 1964 ist der Anteil der Strafverfolgungsbehörden an der Bekämpfung rechtsextremer Bestrebungen im Vergleich zu den beiden Vorjahren nur unwesentlich geringer geworden. Mindestens 72 dieser Urteile sind rechtskräftig. Sie ahnden neben den Ausschreitungen deutscher Rechtsextremisten auch die Delikte kroatischer Emigrantengruppen im Bundesgebiet, über die bereits im Jahre 1963 berichtet wurde. Die Gesamtzahl der einschlägigen Urteile aus den letzten fünf Jahren hat sich damit auf 677 erhöht (1960: 335, 1961: 111, 1962: 76, 1963: 83 Verurteilungen).

Der Strafrahmen dieser 677 Urteile reicht von der richterlichen Ermahnung jugendlicher Täter über Geld-und Gefängnisstrafen bis zur Strafe von sechs Jahren Zuchthaus. Im einzelnen wurden verhängt: 12 Zuchthausstrafen, davon 11 gegen Ausländer;

26 Gefängnis-und Jugendstrafen von 1 bis 5 Jahren, davon 10 gegen Ausländer; 50 Gefängnis-und Jugendstrafen zwischen 6 Monaten und 1 Jahr, davon 3 gegen Ausländer; 249 Gefängnisstrafen unter 6 Monaten, davon 5 gegen Ausländer; 228 Geld-bzw. Haftstrafen; 110 Maßregelungen und Zuchtmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz, davon 1 -gegen ei nen Ausländer; 2 Unterbringungen in einer Heil-und Pflegeanstalt; 3 weitere Täter wurden in eine Trinkerheilanstalt eingewiesen.

Unter den einschlägig Verurteilten der Jahre 1960— 1964 befinden sich 22 Frauen (3%). In einem Fall wurde auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht gemäß § 38 StGB erkannt.

Ein Kennzeichen rechtsextremer und nazistischer Ausschreitungen ist — im Gegensatz zu den Gesetzesverletzungen der Verfassungsfeinde von links — ihre tatbestandsmäßige Vielfalt. Die seit Anfang 1960 ergangenen Urteile stellen 1 177 Verstöße gegen die folgenden Strafvorschriften fest: 1. 39 'Vereinigungsdelikte (3% der untersuchten Rechtsverstöße)

davon:

Verfassungsfeindliche Vereinigungen (§ 90a StGB) '10 Bandenbildung, Geheimbündelei (§§ 127, 128 StGB) 20 Kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB) 9 2. 79 Straftaten aus terroristischen Motiven (7 °/o)

davon:

Sprengstoffverbrechen 27 Brandstiftung (§§ 306, 311 StGB) 22 Nötigung und Bedrohung (§§ 240, 241, 114 StGB) 12 Vergehen gegen das Waffengesetz 9 Aufforderung zum Verbrechen (§ 49 a StGB) 4

Aufforderung zu strafbaren Handlungen (§ 111 StGB) 2 Landfriedensbruch (§ 125 StGB) 2 Totschlag (§ 212 StGB) 3. 248 Fälle staats-und ordnungsgefährdender Agitation (21 %)

davon:

Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen (§ 96 a StGB, Bayer. Ges. gegen die Verbreitung von Kennzeichen verbotener Organisationen)

82 Volksverhetzung (§ 130 StGB) 50 Billigung von Verbrechen (§ 140 StGB) 50 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) 17 Beschimpfung der Bundesrepublik usw.

(§ 96 StGB) 15 Religionsbeschimpfung (§ 166 StGB) 10 Vergehen gegen das Berliner Kontrollratsgesetz Nr. 8 vom 3. 11. 45 in Verbindung mit der Verordnung 511 der westalliierten Kommandanten vom 15. 11. 51 9 Verfassungsfeindliche Schriften (§ 93 StGB) 9 Verunglimpfung des Bundespräsidenten (§ 95 StGB) 3 Verunglimpfung von Staatsorganen (§ 97 StGB) '2 Verfassungsfeindliche Zersetzung (§ 91 StGB) 1 4. 811 sonstige Fälle nazistischer und antisemitischer Stör-und Schmiertätigkeit (69 °/o)

davon:

Beleidigung (§ 185 ff. StGB) 249 Grober Unfug usw. (§ 360 StGB) 202 Vergehen gegen das Versammlungsgesetz 141 Sachbeschädigungen (§§ 303 bis 305 StGB) 129 Vollrausch (§ 330 a StGB) 67 Körperverletzung (§§ 223, 223 a StGB) 16 Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) 7 Dem 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1960 kommt besondere Bedeutung für die Bekämpfung nazistischer Ausschreitungen zu. Die durch dieses Gesetz eingeführten Neuregelungen (§§ 96 a, 130, 189 Abs. 3 StGB) wurden in 128 der seit dem 1. 1. 1960 erfaßten Gesetzesverletzungen zur Verurteilung herangezogen. Sie bilden mithin eine notwendige und brauchbare Ergänzung des geltenden Staatsschutzrechts.

Im April 1964 wurde die gesamte Auflage des Buches von Maurice PINAY „Verschwörung gegen die Kirche" vom Landgericht Düsseldorf eingezogen. Diese Schrift war u. a. auch deutschen kirchlichen Stellen aus Spanien zugesandt worden. stark Das Sie ist antisemitisch.

Braunschweig zog das Buch Landgericht des ehemaligen Gestapo-Angehörigen Gerhard FISCHER „Die Irrlichter" ein. Die Schrift verherrlicht den Nationalsozialismus und propagiert ihn als Fundament für den Neubau Europas. Das in dieser Sache ergangene Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die vom Informationsamt Kairo herausgegebene antisemitische Schrift „Das Problem der Palästinaflüchtlinge" wurde durch rechtskräftiges Urteil der IV. großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 6. 10. 1964 eingezogen. Insgesamt liegen den zuständigen Justizbehörden z. Z. noch 63 Titel rechtsextremer Publizistik, darunter eine neonazistische Schallplatte, zur Entscheidung über Einziehung oder Freigabe vor. b) Verwaltungsmaßnahmen Im Jahre 1964 wurden keine neuen Verbote und Auflösungen gegen rechtsradikale Gruppen ausgesprochen. Für alle wesentlichen nationalistischen Jugendorganisationen besteht nach wie vor das Uniformverbot nach § 3 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes. Durch polizeiliche Verbotsandrohungen und Auflagen wurde vereinzelt auf die Planung und den Ablauf rechtsradikaler Veranstaltungen mit dem Ziel eingewirkt, politische Ausschreitungen zu verhindern. Häufiger bestand jedoch Anlaß zu ausländerpolizeilichen Maßnahmen. So ergingen gegen kroatische Terroristen und einige andere Ausländer im Bundesgebiet Aufenthaltsauflagen, um die betroffenen Personen zu hindern, sich weiterhin auf deutschem Boden politisch radikal zu betätigen.

Auf den Grenzüberwachungslisten der Bundesrepublik Deutschland befinden sich zur Zeit 38 ausländische Faschisten und andere Rechtsextreme, gegen die Einreiseverbot verfügt oder sonstige Uberwachungsmaßnahmen angeordnet worden sind. Darüber hinaus sind u. a. in den Ländern Bayern und Nordrhein-Westfalen Grenz-und Aufenthaltssperren für weitere bekannte Faschisten aus dem benachbarten Auslande erlassen worden. c)

Politische Bildung Intensiv und erfolgreich waren im Berichtsjahr auch wiederum die Bemühungen der staats-tragenden Kräfte in der Bundesrepublik, verfassungsfeindlichen Tendenzen des Rechtsradikalismus durch staatsbürgerliche Aufklärung entgegenzuwirken. Sie beruhten auf der Erkenntnis, daß eine freiheitliche Demokratie nur bestehen kann, wenn sie von der ständigen Zustimmung und aktiven Mitarbeit der Bürger getragen wird.

Presse, Rundfunk und Fernsehen wirkten durch eine Fülle von Nachrichten und Berichten, Aufsätzen und Reportagen informativ und erzieherisch. Daneben haben Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Schulen und viele sonstige Verbände und Einrichtungen ihre Aufgabe darin gesehen, die Staatsbürger — und insbesondere die Jugend — über Wesen und Gefahren totalitärer Systeme aufzuklären und sie zu eigenverantwortlichem demokratischen Handeln zu erziehen.

Schließlich haben Bund und Länder auch selbst wieder Wesentliches zur Förderung der politischen Bildung der Staatsbürger beigetragen.

Als Beispiel mag hier ein Ausschnitt aus der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung herausgestellt werden, die sich speziell mit der politischen Erwachsenenbildung auf überregionaler Ebene befaßt. Sie hat allein 13 Bücher und Broschüren in einer Gesamtauflage von etwa 50 000 Exemplaren herausgegeben, die sich mit Rechtsradikalismus und Antisemitismus auseinandersetzen. Dazu kommen noch eine Anzahl anderer Schriften zu diesen Fragen sowie zahlreiche Beiträge in der Beilage zu der Wochenzeitung „Das Parlament". Mehrere der von der Zentrale geförderten Tagungen waren ausschließlich den Problemen des Rechtsradikalismus gewidmet. Allein 249 Vorträge wurden zu den Themenkreisen „Zeitgeschichte" und „Vorurteile" gehalten; mehrere Filme beschäftigten sich mit Antisemitismus und den Ursachen des Natonalsozialismus. Daneben nahm sich die regionale Bildungsarbeit der Landeszentralen für politische Bildung und eine Fülle anderer öffentlicher oder privater Bildungsträger der Aufgabe der sachgemäßen Unterrichtung vor allem der Jugend an.

VI. Schlußbemerkung

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Die in diesem Bericht skizzierten Erkenntnisse und Erfahrungen rechtfertigen folgende Schlußfolgerung: a) Der Selbstreinigungs-und Aufbauprozeß im Bundesgebiet hat den rechtsradikalen Splitterparteien und Vereinigungen von Jahr zu Jahr mehr Boden entzogen. Diese Entwicklung dauert an. Durch Rückschläge und Wahlniederlagen kompromittiert, dazu aufgesplittert und miteinander zerstritten, sind diese Gruppen zu einer lästigen Randerscheinung im politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland abgesunken. Eine akute Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung bilden sie in diesem Zustande und unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht. Sie bedürfen der weiteren intensiven Überwachung, zumal sie sich teils zu tarnen versuchen, teils aber auch zunehmend antidemokratische Tendenzen zeigen, je mehr sie durch den Verlust gemäßigt denkender Anhängerkreise zu Restgruppen fanatischer Sektierer werden.

b) Antisemitische und nazistische Ausschreitungen sind selten. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sie zentral gesteuert werden. Im Gegensatz zu dem Verfassungsfeind von links verfügt der Rechtsradikalismus im Bundesgebiet über keine funktionsfähige Untergrundorganisation. Um so mehr sind die Staatsschutzbehörden auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, um verfassungsfeindliche Planungen, Aktionen und Zusammenschlüsse rechtzeitig erkennen und bekämpfen zu können. Dies gilt mindestens in gleichem Maße für die Einwirkungsversuche ausländischer Faschisten. c) Die Verbreitung rechtsradikalen Gedanken-guts durch Zeitschriften und Bücher ist zwar im Berichtsjahr zurückgegangen. Auch hier scheint der Höhepunkt des Interesses überschritten zu sein. Trotzdem wird diesem Bereich auch in Zukunft erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen sein. Mittels einer Propaganda, die noch vorhandene völkischnationalistische Grundstimmungen auf dem rechten Flügel unseres politischen Lebens anspricht, können in manchen Teilen der Bevölkerung wieder Ressentiments und Vorurteile wachgerufen werden, die heute nur mehr bei einer kleinen Minderheit offen in Erscheinung treten. Mit Mitteln der Exekutive kann gegen diese, in der Regel die Meinungs-und Pressefreiheit geschickt ausnutzende rechtsextreme Propaganda nur selten eingeschritten werden.

Hier hilft nur sachliche Aufklärung durch die Träger der politischen Bildung und durch Presse und Funk. Nicht zuletzt werden auch die demokratischen Parteien darüber zu wachen haben, daß nicht ein Teil der Wählerschaft eines Tages den Verlockungen nationalistischer Demagogen erliegt.

Fussnoten

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