Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das „weltpolitische Dreieck Berlin -Rom -Tokio" und die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges | APuZ 35/1964 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 35/1964 Der Zweite Weltkrieg Wie es 1939 zum Kriege kam Betrachtungen eines französischen Historikers über die Ursachen des Zweiten Weltkrieges Das „weltpolitische Dreieck Berlin -Rom -Tokio" und die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges Eine tendenziöse Auffassung vom Ursprung des Zweiten Weltkrieges: David L. Hoggan Der Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 in der Sicht der sowjetischen Geschichtsschreibung Artikel 1

Das „weltpolitische Dreieck Berlin -Rom -Tokio" und die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges

Walther Hofer

Deutschland war nicht das einzige und auch nicht das erste Land, das erobernd aus dem Status quo ausbrach, wie er durch die Verträge nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen worden war, und das sich vom System der kollektiven Sicherheit abwandte, wie es der Völkerbund zu bewerkstelligen versucht hatte. Die neue imperialistische Welle wurde vielmehr durch die Großmacht des Fernen Ostens eröffnet, durch Japan. 1931 ging es zum unprovozierten Angriff auf China über, entriß ihm die Mandschurei und machte daraus den Satellitenstaat Mandschukuo. Die Folge war ein schwerer Konflikt mit dem Völkerbund; denn aus ihrem Wesen heraus konnte diese erste Weltfriedensorganisation keine Besitzerweiterung auf Grund von Gewaltanwendung anerkennen. Entscheidend für die weitere Entwicklung der internationalen Beziehungen wurde nun aber, daß der Völkerbund sich nur zu einer moralischen und juristischen Verurteilung des Angreifers aufzuraffen vermochte, nicht aber zu irgendeiner wirksamen machtpolitischen, wirtschaftlichen oder gar militärischen Aktion. Unbeeindruckt von solchen völkerrechtlichen und moralischen Verdikten schritt Japan auf dem Wege weiter, den es einmal eingeschlagen hatte. Es zog auch insofern die Konsequenzen aus dem Streit mit dem Völkerbund, als es im Frühjahr 1933 als erste Großmacht aus dieser Organisation austrat 1937 entlud sich dann der japanisch-chinesische Gegensatz in einem offenen Krieg, als das darniederliegende Reich der Mitte in Tschiangkaischek einen nationalen Einiger und Vorkämpfer fand. Als Hitler den Krieg in Europa entfesselte, war der ostasiatische Krieg schon über zwei Jahre im Gange. 1941 sollte er dann, nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor, mit dem allgemeinen Kriegs-geschehen zusammenwachsen, das wir Zweiten Weltkrieg nennen.

Aber auch das faschistische Italien, das unter der Führung Mussolinis von einer Erneuerung Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlages, Frankfurt, aus der in Kürze erscheinenden Neubearbeitung des Buches „Die Entfesselung des zweiten Weltkrieges". der einstigen Größe Roms zu träumen begann, wandte sich gegen die „alte Ordnung", als es 1935 Abessinien mit Heeresmacht überfiel. Um die Mitte der dreißiger Jahre wird es deutlich, daß die Weltpolitik einer neuen großen Krise zusteuert. Im selben Jahr, 1935, werden von den Regierungen der drei Staaten, die sich gegen die bestehende Ordnung wenden, folgenschwere Entschlüsse gefaßt, die unheil-drohend auf eine wenig friedliche Zukunft hinweisen: Deutschland führt die allgemeine Wehrpflicht ein und befreit sich damit einseitig von einer der grundlegenden Bestimmungen des Versailler Vertrages; Japan kündigt die Flottenabkommen von Washington, womit die Zeit der Rüstungsbeschränkung im Pazifik zu Ende ist, und Italien überfällt das afrikanische Imperium des Haile Selassie. Diese Entschlüsse bedeuten, daß die drei Mächte Japan, Italien und Deutschland endgültig aus der Ordnung ausgebrochen sind, wie sie durch Friedensverträge, Völkerbundssatzung und Rüstungsabkommen nach dem Ersten Weltkrieg mühsam aufgerichtet worden ist. Es ist nur folgerichtig, wenn diese drei Mächte von da an darauf hintendieren, sich enger zusammenzuschließen und ihre neoimperialistische Außenpolitik zu koordinieren. Die entsprechenden Resultate sind zwar zunächst eher mager. Der 1936 zwischen Deutschland und Japan und 1937 zwischen diesen beiden Mächten und Italien abgeschlossene sogenannte Antikominternpakt ist eher ein ideologisches und propagandistisches Instrument und kein Vertrag über eine wirkliche Koordinierung der außenpolitischen Bestrebungen, geschweige denn eine Allianz. Aber er bildet doch den Auftakt für das militärische Bündnis, das im Frühjahr 1939 zunächst nur zwischen Deutschland und Italien zustandekommt, die sich seit 1937 in der „Achse Rom—Berlin" zusammengefunden hatten, während das von Hitler und Ribbentrop anvisierte „weltpolitische Dreieck Berlin—Rom—Tokio'sich erst im Herbst 1940 verwirklichen läßt, als Folge der durch die spektakulären Siege der deutschen Wehrmacht in Europa völlig umgestürzten weltpolitischen Machtverhältnisse. In diesem sogenannten Dreimächtepakt von 1940 kommt zum Ausdruck, wie die Bündnis-partner Deutschlands in ganz ähnlichem Sinne versucht haben, ihre Expansions-und Eroberungspolitik auf eine entsprechende „Großraumkonzeption" zu gründen. Noch bevor man in Deutschland von einem in Europa zu errichtenden Großraum unter deutscher Führung offiziell zu sprechen und zu schreiben begann, verkündeten die Japaner das außenpolitische Programm einer von Japan zu organisierenden und zu führenden „ostasiatischen Wohlstands-sphäre“. Und ganz ähnlich wie anschließend in Deutschland versuchten sie den Einfluß fremder Mächte schon von vornherein auszuschalten, indem sie ein Interventionsverbot proklamierten, das sich unter ausdrücklicher Nennung der Monroe-Doktrin ebenfalls in erster Linie gegen die USA richtete. Dieser Führungsanspruch Japans zur „Schaffung einer neuen Ordnung im großostasiatischen Raum" wurde dann von den beiden europäischen Achsenmächten im Dreimächtepakt ausdrücklich anerkannt.

Die neoimperialistische Konzeption des italienischen Faschismus nährte sich, wie schon angedeutet, von der historischen Reminiszenz des antiken Römerreiches. Damit war grundsätzlich proklamiert, daß das neue italienische Imperium faschistischer Prägung ein Mittelmeerreich sein würde. Mussolini wollte aus dem Mittelmeer ein „mare nostro" machen, ein italienisches Meer, wobei er sich indessen völlig klar darüber war, daß es vorläufig noch ein britisches und auch französisches Meer war. Die britische Flotte war machtpolitisch die beherrschende Tatsache, und die Engländer saßen nach wie vor an den Zu-und Ausgängen dieses Binnenmeeres. Angesichts solcher Machtverhältnisse zog es Mussolini vor, weichere Stellen im machtpolitischen Gefüge der Welt abzutasten, und so wurde er auf den Weg nach Abessinien geführt. Dies bedeutete aber eine Rückkehr zu den kolonialen Zielen des italienischen Imperialismus vor 1914. Seit 1936 widmete sich Mussolini indessen auch dem Ausbau der Mittelmeer-positionen, indem er den spanischen Bürgerkrieg zu einer massiven italienischen Intervention benutzte. Daß seine auch Früchte hier, angesichts des von Franco verkörperten spanischen Nationalismus, nicht reifen würden, hat er wohl nicht vorausgesehen, und es muß für ihn auch eine arge Enttäuschung gewesen sein. Aber diese Entwicklung führt schon in den Zweiten Weltkrieg hinein, ebenso die seit 1938 erhobenen Forderungen auf nordafrikanisches Gebiet, das sich in französischem Besitz befand, sowie auf Korsika und Nizza. Nach der überraschenden Niederlage Frankreichs im Jahre 1940 sah Mussolini seine Stunde gekommen, und er mochte glauben, daß es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis er die französischen und schließlich auch die britischen Positionen im Mittelmeer und um das Mittelmeer erben könnte. Dieser italienische Erbanspruch wurde denn auch entsprechend im Dreimächtepakt anerkannt.

Welche Rolle spielten nun diese italienischen und japanischen machtpolitischen Aspirationen und militärischen Aktionen am Zustandekommen des Zweiten Weltkrieges? Ist es wirklich so, daß nach 1935 eben allmählich eine Weltkriegssituation entstanden ist, die praktisch ganz von selbst in einem entsprechenden kriegerischen Geschehen sich entladen mußte? Ist es infolgedessen relativ unwichtig, wann und wo dieser Weltkrieg „ausbrach", da er ohnehin zum Ausbruch gekommen wäre? Ist die Weltpolitik tatsächlich zu einer „allgemeinen Kriegsreife* gediehen, die einen Weltkrieg geradezu unvermeidlich machte? Und schließlich die für unsere Problemstellung entscheidende Frage: Wird dadurch das nationalsozialistische Deutschland nicht wesentlich von der Verantwortung entlastet, den Krieg von 1939 „entfesselt* zu haben? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt offensichtlich viel ab für die Verteilung von Schuld und Verantwortung der einzelnen Mächte und Regierungen am Zweiten Weltkrieg.

Zunächst ist durch die chronologische Darstellung der Dinge wohl deutlich geworden, daß es unzweifelhaft Japan gewesen ist, das nach dem Ersten Weltkrieg und den ihm folgenden Friedensschlüssen als erste Großmacht konsequent den Weg der Gewaltanwendung in seiner Außenpolitik beschritten hat. Es hat sozusagen „den Bann gebrochen“

und vor allem bewiesen, daß man die Konsequenzen ruhig auf sich nehmen konnte, wenn man nur eisern den einmal eingeschlagenen Weg weiterverfolgte. hat Es weiter den Beweis erbracht, daß man ohne allzu großes Risiko die ganze Welt, samt allen Großmächten, herausfordern konnte und daß sich Gewaltanwendung durchaus bezahlt machte. Das Versagen des Völkerbundes als Weltorganisation der kollektiven Sicherheit und zur Aufrechterhaltung des territorialen Status quo bei dieser ersten wirklichen Zerreißprobe darf in seinen verhängnisvollen Konsequenzen keineswegs gering eingeschätzt oder gar übersehen werden. Zweifellos haben andere Mächte bzw. Diktatoren Mut gefaßt für die Verwirklichung eigener imperialistischer Ziele, als sie die Ohnmacht des Völkerbundes gegenüber dieser Herausforderung sehen mußten. Man weiß, daß etwa Hitler seine wenig schmeichelhafte Meinung von den Japanern sofort zu ändern begann, und zwar grundlegend, als er sah, wie die Großmacht des Fernen Ostens mit dem Völkerbund und mit der ganzen Staatenwelt und der sogenannten öffentlichen Weltmeinung umsprang. So etwas imponierte ihm unwiderstehlich. In seinem politischen Kalkül, das von moralischen Hemmungen und völkerrechtlichen Bedenken völlig frei war, ist der Völkerbund von da an als Potenz erledigt gewesen.

Es ist also nicht zu bestreiten, daß Japan, als es mit dieser neoimperialistischen Politik voranging, sozusagen ein schlechtes Beispiel abgegeben hat.

Ähnliches kann, mutatis mutandis, vom italienischen Überfall auf Abessinien und dessen erfolgreicher Eroberung gesagt werden. Zudem hat die italienische Aggressionspolitik, viel stärker als dies für das japanische Vorgehen gilt, dazu geführt, daß Hitler die machtpolitische und strategische Position seines Landes stark verbessern konnte, und zwar durchaus im Sinne einer entsprechenden Vorbereitung seiner eigenen Expansionspolitik. Die italienische Politik hat also den machtpolitischen Aufstieg Deutschlands in unmittelbarer Weise gefördert. Noch im Frühjahr 1935, nach der überraschenden Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, sah sich Deutschland isoliert den vereinigten Siegermächten des Weltkrieges gegenüber, die sich in der sogenannten Front von Stresa gefunden hatten, indem sie den einseitigen Vertragsbruch Deutschlands in scharfen Worten verurteilten. Aber bereits ein knappes Jahr später hatte sich die machtpolitische und internationale Position Deutschlands stark verbessert, als Folge der italienischen Aggressionspolitik und der Gegenmaßnahmen des Völkerbundes bzw.der Westmächte. Das Vorgehen des von England und Frankreich dirigierten Völkerbundes war nämlich im Falle der italienischen Aggression in Ostafrika insofern schärfer als im Falle der japanischen Aggression im Fernen Osten, als immerhin Sanktionen, wenn auch recht lahme und im Endeffekt unwirksame, gegen Italien zustande kamen: zu wenig, um Mussolini an der Eroberung Abessiniens zu hindern, aber doch zu viel, um einen Bruch Italiens mit den Westmächten zu vermeiden. Hitler nützte die Spannung zwischen diesen Staaten, die ja Deutschlands Partner im Locarno-Vertrag waren, geschickt aus, um das Rheinland zu militarisieren und damit diesen Vertrag, den man den wirklichen Friedensvertrag des Ersten Weltkrieges genannt hat, zu brechen.

Die Remilitarisierung des Rheinlandes kam einer grundlegenden Verbesserung der strategischen Lage Deutschlands und recht eigentlich einer Revolutionierung der militärpolitischen Verhältnisse Europas gleich, wie sie vorher bestanden hatten. Damit ist zugleich gesagt, daß sich die militärische Position Frankreichs entsprechend verschlechterte, indem ein wesentlicher Pfeiler des nach dem Ersten Weltkrieg aufgebauten französischen Sicherheitssystem damit eingestürzt war — und dies, ohne daß ernsthafte Gegenmaßnahmen der andern Locarnomächte, insbesondere natürlich Frankreichs und auch Englands, erfolgt wären. Doch von der Politik der Westmächte soll jetzt noch nicht die Rede sein.

Verfolgen wir vielmehr die Linie der aufgeworfenen Fragen weiter.

Es kann nicht bestritten werden, daß die italienische Aggressionspolitik zu einem regelrechten «renversement des alliances» geführt hat: die Siegerkoalition aus dem Ersten Weltkrieg zerfiel endgültig und die Achse Rom-Berlin begann zu entstehen. Sie hängt also eng mit dem Krieg in Abessinien und dem daraus entstehenden Konflikt Italiens mit dem Völkerbund zusammen. Auch Italien trat übrigens, im Jahr 1937, aus dieser Organisation aus, ebenso folgerichtig wie Japan, wenn auch sichtlich mit mehr Hemmungen.

Es hatte sich gegen dieselbe Ordnung vergangen. Die deutsch-italienische Kooperation verstärkte sich dann rasch durch die gemeinsame Intervention im spanischen Bürgerkrieg zugunsten der Aufständischen. Der spanische Bürgerkrieg bewirkte indessen nicht nur eine Intensivierung der deutsch-italienischen Zusammenarbeit; er führte auch dazu, daß Italien mehr und mehr seine Handlungsfreiheit gegenüber Deutschland verlor. Dies sollte sich zeigen, als Hitler sich 1938 an die Lösung des „österreichischen Problems“ machte, so wie er es sah. Hatte Mussolini 1934, beim ersten mißglückten Versuch einer nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich, noch eindeutig und scharf gegen Deutschland Stellung bezogen, so mußte er vier Jahre später dem Anschluß tatenlos zusehen. Der Gegen-satz zu den Westmächten erlaubte es ihm nicht, selbst wenn er gewollt hätte, gegen Deutschland aufzutreten. So erweist sich der glatte Anschluß Österreichs auch noch als eine Fernwirkung der italienischen Aggressionspolitik. Die Westmächte anderseits waren ebenfalls weitgehend paralysiert, aus analogem Grunde wie Italien. Für England kam noch hinzu, daß es ein wachsames Auge auf die Vorgänge in Ostasien haben mußte. Auch die japanische Aggression im Fernen Osten, seit Juli 1937 regelrechter Krieg mit China, wirkt sich also zugunsten der machtpolitischen Aspirationen Deutschlands aus. Man sieht, wie Hitler im Schatten der Weltpolitik operieren konnte, bis er sich dann stark genug fühlte, selbst Weltpolitik zu machen.

Dieser gezwungenermaßen recht summarische Überblick hat doch wohl deutlich werden lassen, wie sehr die japanische und die italienische Aggressionspolitik den machtpolitischen Aufstieg des nationalsozialistischen Deutschlands und damit die Ziele seiner Außenpolitik, direkt oder indirekt, gefördert haben. Es kann auch nicht bestritten werden, daß es zuerst Japan und dann Italien gewesen sind, die den Weg der kriegerischen Aggression beschritten haben. Trotzdem wäre es völlig verfehlt, wenn man behaupten wollte, die japanische und die italienische Aggressionspolitik hätten bereits eine potentielle Weltkriegssituation in dem Sinne geschaffen, daß es nur noch des zündenden Funkens bedurfte, um ihn zu entfesseln. Vielmehr ist es offensichtlich so gewesen, daß weder der japanische noch gar der italienische Neoimperialismus jemals zu einem solchen Weltkrieg geführt hätte, wie er durch Hitlers Politik in Europa 1939 ausgelöst wurde. Die Geschichtswissenschaft ist schon richtig beraten, wenn sie das Kriegsgeschehen, das wir . Zweiten Weltkrieg* nennen, 1939 in Europa beginnen läßt, und wenn sie die Hauptursache für diesen Krieg in der nationalsozialistischen Außenpolitik sieht. Um die historische Berechtigung dieser Konzeption zu begründen, seien noch folgende Aspekte zum mindesten kurz angedeutet.

Zunächst ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Beurteilung unseres Problems, wenn man feststellt, wo die verschiedenen Aggressionsakte stattgefunden haben, in welcher Weltgegend die verschiedenen Großraumkonzeptionen verwirklicht werden sollten. Dabei stellt sich heraus, daß die japanische Aggression sich gegen das zerrissene, als einheitlicher Staat kaum mehr bestehende chinesische Riesenreich richtete, die italienische gegen den fast einzigen souveränen Staat im sonst noch kolonialen Afrika, während die deutsche Aggressionspolitik sich mitten in Europa entfaltete. Was heißt das?

Während das japanische und das italienische Vorgehen allenfalls koloniale und handelspolitische Interessen anderer Großmächte berührten, war das deutsche Vorgehen in Europa sofort geeignet, vitale Interessen anderer Mächte in Mitleidenschaft zu ziehen, d. h. ihre eigene Sicherheit zu gefährden. Wegen imperialistischer Interessengegensätze konnten die Großmächte zwar heftig aufeinanderstoßen, wie die Geschichte der Weltpolitik vor 1914 gezeigt hat, ein Weltkrieg ist daraus nicht entstanden. Dieser hat sich vielmehr an den Spannungen innerhalb des europäischen Staatensystems entzündet. Die großen imperialistischen Gegner des 19. Jahrhunderts, England, Frankreich und Rußland, waren die Verbündeten des Ersten Weltkrieges. Man hat keine Veranlassung, die Lage vor dem Zweiten Weltkrieg prinzipiell anders zu beurteilen. Im Gegenteil: die Neigung der Kolonien besitzenden Mächte, es wegen kolonialer Fragen oder Handelsinteressen auf einen großen Krieg ankommen zu lassen, war nach dem Ersten Weltkrieg noch viel geringer als vor diesem Kriegs Entsprechend sind die japanische und die italienische Aggressionspolitik hinsichtlich ihres weltfriedengefährdenden Charakters zu beurteilen: es ist unwahrscheinlich, daß wegen ostasiatischen oder gar afrikanischen Fragen ein Zweiter Weltkrieg ausgebrochen wäre. Es hätte allenfalls ein pazifischer Krieg oder ein Mittelmeerkonflikt daraus entstehen können, mit welch letzterem ja gerade Hitler jahrelang so sehr gerechnet hat und den er für seine eigenen Zwecke auszunutzen gedachte. Aber dieser Mittelmeerkonflikt kam nicht. Und das führt uns zu einem zweiten Punkt.

Trotz ihrer offensichtlichen Entschlossenheit, ein neues imperialistisches Programm zu verwirklichen, sind sowohl Japan wie Italien davor zurückgeschreckt, es deswegen auf einen Kampf mit einer andern Großmacht ankommen zu lassen, geschweige denn mit mehreren Großmächten. Sie hüteten sich, das Risiko eines großen Krieges einzugehen. Im Falle der japanischen Aggression gegen China wurde immer mehr die Sowjetunion zum Hauptgegner dieses neuen Imperialismus. Diese Gegnerschaft der beiden Mächte steigerte sich in den Jahren 1938 und 1939 zur eigentlichen Kriegsgefahr, ja zum unerklärten Grenzkrieg im Fernen Osten. Aber vor dem Letzten sind die Japaner eben doch immer wieder zurückgeschreckt. Sie wagten nicht einmal den Krieg mit einer Großmacht. Noch peinlicher versuchten sie die Gefahr eines kriegerischen Zusammenstoßes mit den angelsächsischen Mächten zu vermeiden, wenn auch ihre imperialistischen Ziele nicht ohne Berührung und Verletzung englischer und amerikanischer Interessen erreicht werden konnten. Als sich die Möglichkeit eines Militärbündnisses mit Deutschland und auch Italien abzeichnete, weigerten sich die Japaner standhaft, ihm einen umfassenden Charakter zu geben. Sie wollten es nur gegen die Sowjetunion gerichtet wissen und verlangten ausdrücklich, daß den anderen Großmächten, also England, Frankreich und auch den USA, entsprechende Mitteilung gemacht werde. Anders als Hitler wollten die Japaner keinen Pakt abschließen, der das Risiko eines allgemeinen Weltkrieges heraufbeschwor, ja ihn geradezu anvisierte. An dieser grundlegenden Divergenz der Ziele ist das Bemühen um den Abschluß einer Dreier-Allianz denn auch gescheitert. Als die Japaner 1940 dann auf die deutsche Linie einschwenkten, hatten sich, wie bereits angedeutet, die machtpolitischen Verhältnisse in der Welt als Folge der deutschen Siege grundlegend gewandelt — so urteilte man wenigstens in Tokio. Entscheidend ist für unsere Problemstellung, daß Japan bis zur Entfesselung des Krieges durch Hitler nicht nur keine Neigung gezeigt hat, das Risiko eines großen Krieges einzugehen, sondern ausgesprochen davor zurückgeschreckt ist.

In womöglich noch höherem Grade gilt dies für Italien. Mussolini hat zwar schließlich im sogenannten Stahlpakt ein unbedingtes Militärbündnis mit Deutschland abgeschlossen. Wie wenig er indessen letztlich bereit war, die Konsequenzen aus dieser Bindung an Deutschland zu ziehen, sollte die Haltung Italiens in den Wochen, Tagen und Stunden unmittelbar vor Kriegsbeginn zeigen. Italien war nicht bereit, um seiner imperialistischen Ziele willen einen großen Krieg durchzufechten. Mussolini vertröstete zwar seinen Achsenpartner damals auf einen späteren Zeitpunkt, zu dem Italien dann kriegsbereit sein würde. Für unsere Fragestellung ist indessen allein entscheidend, daß auch Italien vor dem Risiko eines großen Krieges zurückschreckte, bis es dieses dann nach den großen deutschen Waffenerfolgen eingehen zu können glaubte.

Vor dem Risiko des großen Krieges ist nur die Führung des nationalsozialistischen Deutschlands nicht zurückgeschreckt. Hitler war 1938 bereit, die Tschechoslowakei zu attackieren, obschon sie mit mehreren Großmächten verbündet war, und das gleiche Spiel wiederholte er 1939 gegen Polen. Es ist lächerlich, Hitler zugute halten zu wollen, er habe wirklich geglaubt, die Westmächte würden in diesen Krieg nicht eingreifen. Abgesehen davon, daß sich ein solches Vabanquespiel mit wirklicher staatsmännischer Verantwortung nicht vertrug, hatte der Diktator selbst oft genug dargelegt, daß gerade auch das Risiko des großen Krieges eingegangen werden müsse da die Auseinandersetzung mit den westlichen Demokratien ohnehin unvermeidlich sei. Daß Hitler hier vom Standpunkt seines Eroberungsprogramms durchaus konsequent dachte, haben wir bereits betont; es war in der Tat nicht zu verwirklichen ohne kriegerischen Zusammenstoß mit den andern europäischen Großmächten. Europa war aber damals immer noch — wenn auch nicht mehr lange — das Aktionszentrum der Weltpolitik. Nur ein europäischer Krieg konnte zum Weltkrieg werden. Nur in Europa konnte ein Krieg entfesselt werden, der dank seinen weltpolitischen Ausstrahlungen zum Weltkrieg werden konnte, ja mußte. Daß sich der deutsche, der italienische und schließlich auch der japanische Neoimperialismus dann doch noch zu einem einzigen kriegerischen Geschehen verbanden, geht auf Hitlers Entschluß zurück, das . polnische Problem'auf kriegerischem Wege zu lösen und damit den großen, wenn zunächst auch noch europäischen Krieg zu wagen. Seine Siege schufen die Voraussetzun28 gen für die Ausweitung dieses großen europäischen Krieges zum eigentlichen globalen Kriegsgeschehen, indem die außereuropäischen Großmächte 1941 ebenfalls eingriffen Japan griff ein, weil es die europäischen Gegner Deutschlands, die zugleich seine kolonialen Gegner im pazifischen Raume waren, end gültig geschlagen wähnte und weil es hoffte mit Amerika allein fertig zu werden Die USA griffen ein — wobei sie vor dem schwierigen Entschluß zum Kriegseintritt durch den japanischen Überfall und die deutsche Kriegserklärung bewahrt wurden —, weil sich in Amerika endgültig die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daß die Sicherheit der USA nicht mehr gewährleistet sein würde in einer Welt, die von den totalitären und militaristischen Mächten beherrscht wäre. Alle diese Entschlüsse gingen letztlich zurück auf Hitlers Entschluß, Polen zu überfallen Oder anders ausgedrückt: Hitlers Angriffsbefehl vom 1. September 1939 hat den Zweiten Weltkrieg ausgelöst.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Walther Hofer, Dr. phil., o. Professor für Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Bern, geb. 1920 in Kappelen b. Aarberg/Schweiz. Veröffentlichungen u. a.: Die