Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Haben die Genfer Rotkreuz-Abkommen noch eine Chance ? | APuZ 34/1964 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 34/1964 Artikel 1 Die Geschichte und die europäische Integration Haben die Genfer Rotkreuz-Abkommen noch eine Chance ?

Haben die Genfer Rotkreuz-Abkommen noch eine Chance ?

Anton Schlögel

Am 22. August 1964 sind 100 Jahre vergangen, seit das erste Genfer Rotkreuz-Abkommen abgeschlossen wurde. 16 Staaten folgten seinerzeit der Einladung des Schweizer Bundesrates, darunter Baden, Hessen, Preußen, Sachsen und Württemberg. Heute ist aus diesem kleinen Abkommen mit 10 Artikeln ein gewaltiges Vertragswerk geworden, das in seiner letzten Fassung aus dem Jahre 1949 vier Abkommen in sich vereinigt, die insgesamt 429 Artikel zählen.

Trotzdem ist die Frage berechtigt, ob diese Abkommen heute noch eine echte Chance besitzen, d. h. also, ob sie im Ernstfall den in sie gesetzten Erwartungen entsprechen können.

Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es eines kurzen Rückblicks auf die Entwicklung und den Zweck der Genfer Rotkreuz-Abkommen, sodann einer Untersuchung ihrer gegenwärtigen Verbreitung, hierauf der Prüfung der ungelösten Probleme.

Entwicklung und Zweck der Genfer Rotkreuz-Abkommen

In tabellarischer Übersicht folgendes Bild:

Der Genfer Bürger Henri Dunant (1828 bis 1910) war durch das Leid, das er auf dem Schlachtfeld von Solferino am 24. Juni 1859 sah, zutiefst in seinem Herzen gerührt. Daher begnügte er sich nicht damit, selbst aktiv Hilfe zu leisten, sondern sann darüber nach, wie man diesem Leiden in Zukunft abhelfen könne. Sein Vorschlag, den er im Jahre 1862 in dem Buch „Eine Erinnerung an Solferino" veröffentlichte, hatte zwei Grundelemente zum Inhalt. Auf der einen Seite schlug Henry Dunant die Schaffung von freiwilligen Hilfsgesellschaften vor, die sich die Hilfe auf dem Schlachtfeld zur wesentlichen Aufgabe erwählten, auf der anderen Seite schlug er die Schaffung von Abkommen zwischen den kriegführenden Staaten vor, die dahin zielten, die Opfer des Schlachtfeldes, also die Verwundeten und Kranken sowie ihre Helfer in besonderer Weise zu schützen. Diese beiden Grundelemente gehören untrennbar zusammen. Aus dem ersten Vorschlag entwickelten sich im Laufe der späteren Geschichte die Rotkreuz-Gesellschaften. Der zweite Vorschlag führte zur Schaffung der Genfer Konventionen oder, wie sie später genannt wurden, der Genfer Rotkreuz-Abkommen.

Wenn wir die Entwicklung des Roten Kreuzes an dieser Stelle auch beiseite lassen, so dürfen wir doch nicht übersehen, daß beide Entwicklungsstufen eng miteinander verbunden sind. Die Genfer Konvention von 1864 wurde im Jahre 1899 im Haag auf den Seekrieg ausgedehnt. Im Jahre 1906 wurde in Genf die Konvention von 1864 neu gefaßt. Im Jahre 1907 folgte im Haag die Neufassung der Konvention von 1899. Im Jahre 1929 wurde schließlich in Genf nicht nur die Konvention von 1864 zum dritten Mal überarbeitet, es kam auch noch eine neue Konvention über die Kriegsgefangenen dazu. Im Jahre 1949 schließlich wurden sämtliche drei Materien neu bearbeitet und das Gebiet des Schutzes der Zivilbevölkerung erstmalig geregelt.

I. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitmächte im Felde;

II. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See; III. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen; IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten. Wir haben also eine ständige Erweiterung des Personenkreises, der den Schutz der Genfer Rotkreuz-Abkommen genießt. Am Anfang waren es nur die Verwundeten und Kranken der Landheere, später kamen dazu die Verwundeten und Kranken sowie die Schiffbrüchigen zur See, ihnen schlossen sich die Kriegsgefangenen an, und erst seit 1949 ist die Zivilbevölkerung allgemein in die Schutzbestimmungen eingeschlossen.

Diese Erweiterung entsprach einem dringenden Bedürfnis, vergrößerte aber auf der anderen Seite auch das Risiko der Mißachtung der Genfer Konventionen.

Prüfen wir ferner den Zweck, den die Genfer Rotkreuz-Abkommen verfolgen, so müssen wir feststellen, daß dieser sich ausschließlich darauf beschränkt, den einzelnen Menschen als solchen zu schützen. Die Frage, Kriege zu verhüten, einzelne Waffen auszuschließen, Eigentum zu schützen, Kulturgüter zu sichern und was es sonst an wünschenswerten Zielen weiterhin gibt, fällt nicht in den Anwendungsbereich der Genfer Konventionen. Auf der anderen Seite ist der Schutz des Menschen immer umfassender gesehen worden. Waren es im Anfang nur gesundheitliche Gesichtspunkte, so finden wir in den späteren Konventionen auch die Fragen der Ehre, Freiheit, der Gerechtigkeit in Strafverfahren, der Achtung der menschlichen Würde. All das gehört demnach heute zur Zweckbestimmung der Genfer Konventionen.

Gegenwärtige Verbreitung

Abbildung 2

1. Das erste Abkommen von 1864 war lange Zeit ein europäisches Abkommen. Es verlor diesen Charakter auch nicht, als im Jahre 1882 die Vereinigten Staaten von Amerika und im Jahre 1886 Japan beitraten. Dagegen dehnten sich die Abkommen von 1906 und 1907 sehr schnell auch über die übrige Welt aus, so daß im Ersten Weltkrieg (1914— 1918) der größte Teil der damaligen, im Streit befindlichen Mächte durch die Genfer Rotkreuz-Abkommen gebunden war. Rückschauend können wir heute sagen, daß die Abkommen ihren Zweck erfüllten. 2. Schwieriger war die Lage während des Zweiten Weltkrieges (1939— 1945). Damals galt zwar das Verwundetenabkommen von 1929 bei den meisten kriegführenden Staaten, dagegen war das Kriegsgefangenenabkommen von 1929 weder von der Sowjetunion noch von Japan, ja auch nicht einmal von Finnland ratifiziert worden. Das drückende Kriegs-gefangenenproblem zwischen dem damaligen Deutschen Reich und der Sowjetunion war demnach kein Problem der Genfer Konventionen, wohl aber ein außerkonventionelles schwerwiegendes humanitäres Problem erster Ordnung.

3. Gegenwärtig sind an die 100 Mächte Vertragspartner der Genfer Konventionen, von 1949. Es ist nützlich, sich die Liste dieser. Mächte zu vergegenwärtigen: Nr. Datum Land 1964 99 7. Februar Nepal (+)

100 21. April Niger (++) Zeichenerklärung:

Kein Zeichen bedeutet, daß die Genfer Konventionen von 1949 von dem betreffenden Land unterzeichnet und ratifiziert worden sind.

(+) zeigt den Beitritt zu den Genfer Konventionen von 1949 an.

(++) bedeutet eine innerstaatliche Erklärung über die Weitergeltung der Genfer Konventionen von 1949. Eine solche Erklärung ist nur durch solche neuen Länder möglich, die früher durch ihre Kolonialmächte gebunden waren.

(—) zeigt Vorbehalte an, die die betreffenden Länder als Partner der Genfer Konventionen von 1949 gemacht haben. überprüfen wir diese Liste, so stellen wir fest, daß von den Signatarstaaten, die im Jahre 1949 die Genfer Konventionen unterzeichnet haben, inzwischen 58 die Ratifikation vornahmen. Unter den Mächten, die nicht ratifizierten, finden wir Burma, Kanada, Costa-rica, Äthiopien und Uruguay. 30 Mächte haben den Beitritt erklärt, 12 haben eine Erklärung über die Weitergeltung abgegeben. Weiterhin ergibt die Durchsicht der Liste, daß sämtliche europäischen Länder inzwischen Vertragspartner geworden sind, darunter auch der ganze Ostblock. Es fehlen lediglich noch Bolivien, Honduras, Island, Südkorea und der Jemen. Bei einigen neu entstandenen afrikanischen Ländern ist es noch unklar, inwieweit sie die früher von den Kolonialmächten eingegangenen Bindungen übernommen haben.

Vom deutschen Standpunkt aus ist es wichtig festzustellen, daß sämtliche Mächte, die an einem uns etwa betreffenden Konflikt beteiligt sein könnten, durch die Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 gebunden sind.

Damit kann abschließend festgestellt werden, daß der Geltungsbereich der Genfer Rotkreuz-Abkommen im gegenwärtigen Zeitpunkt schon fast die optimale Weite erreicht hat, so daß nach dieser Richtung hin die Situation günstiger ist als während des Ersten und Zweiten Weltkrieges.

Ungelöste Probleme

Abbildung 3

So erfreulich die weite Verbreitung der Genfer Rotkreuz-Abkommen im gegenwärtigen Zeitpunkt ist, so darf aber nicht übersehen werden, daß eine Reihe grundlegender Fragen der Humanität auch heute noch nicht gelöst ist. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, daß diese Fragen in ihrer Bedeutung immer mehr anwachsen und damit das traditionelle Schutz-gefüge der Genfer Konventionen in seiner Bedeutung zurückzudrängen scheinen.

Im Rahmen dieses Aufsatzes muß ich mich darauf beschränken, nur einige wenige dieser Punkte herauszugreifen. 1. Genfer Konventionen und zwischenstaatliche Gebilde Die Genfer Konventionen sind ganz und gar auf den einzelnen Staat abgestellt. Sie gehen von der Vorstellung aus, daß dieser selbst über Krieg und Frieden entscheiden kann, daß er auch während des Konflikts Herr seiner Handlungen bleibt und die unmittelbare Lenkung der von ihm eingesetzten Truppen behält. Diese Konzeption war im Grunde schon stark durchlöchert und teilweise überholt, als die Genfer Konventionen von 1949 geschaffen wurden. Heute ist sie durch die großen Militärbündnisse (zum Beispiel NATO, War-schauer Pakt und andere) sowie vor allem durch die Tatsache, daß die Vereinten Nationen unmittelbar als Kriegspartner in Konflikten auftreten können, weitgehend überholt. Es ist daher dringend wünschenswert, daß sich die Mächte, die Vertragspartner der Genfer Rotkreuz-Abkommen sind, in einem Zusatzabkommen oder wenigstens in einer gemeinsamen Deklaration darüber verständigen, wie die Verantwortlichkeit bei solchen integrierten Streitkräften geregelt ist.

Ein besonders heikles Problem stellen in diesem Zusammenhang die Vereinten Nationen dar. Die Auseinandersetzungen im Kongo haben hierfür ein ernstes Alarmzeichen gegeben. Zwar hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen sowohl im November 1956 (anläßlich der Suezkrise) wie im September 1960 (anläßlich der Kongoauseinandersetzungen) die Zusicherung gegeben, daß die Streitkräfte der Vereinten Nationen die Genfer Konventionen respektieren würden. Es erwies sich aber dennoch als außerordentlich hinderlich, daß die Vereinten Nationen noch nicht als solche eine formelle Verpflichtung zur Einhaltung dieser Bestimmungen eingegangen sind. Aus diesem Grunde hat der Delegiertenrat des Internationalen Roten Kreuzes im Jahre 1963 eine Resolution gefaßt, in der er folgendes aussprach:

„In Anbetracht, daß die Mitgliedsstaaten der Genfer Abkommen sich verpflichtet haben, die Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und ihre Einhaltung durchzusetzen, in Anbetracht der Notwendigkeit, daß die Notstreitkräfte der Vereinten Nationen diese Abkommen einhalten und durch sie geschützt werden, würdigt der Delegiertenrat die von den Vereinten Nationen zu diesem Zweck bereits unternommenen Bemühungen und empfiehlt:

daß die Vereinten Nationen aufgefordert werden, eine feierliche Erklärung abzugeben, laut der sie einverstanden sind, daß die Genfer Abkommen in gleicher Weise, wie sie für die Mitgliedstaaten dieser Abkommen gelten, auf ihre Notstreitkräfte Anwendung finden;

2. daß die Regierungen der Länder, die den Vereinten Nationen Truppenkontingente zur Verfügung stellen, wegen der grundlegenden Bedeutung der Frage ihre Truppen vor Verlassen ihres Ursprungslandes entsprechend über die Genfer Abkommen unterrichten und ihnen Befehl erteilen, sie zu befolgen;

3. daß sich die für die Kontingente verantwortlichen Stellen bereit erklären, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eventuellen Abkommensverletzungen vorzubeugen und sie zu ahnden." 1)

Es steht zu hoffen, daß dieses dringende Problem im Laufe der nächsten Jähre gelöst wird.

2. Nicht-internationale Konflikte Das zweite offene Problem stellen die nichtinternationalen Konflikte dar. Der gemeinsame Artikel 3 der vier Genfer Abkommen bringt einige grundlegende Bestimmungen, die auf solche nicht-internationale Konflikte anwendbar sind. Insbesondere ist auch in diesen Konflikten jeder Angriff auf das Leben und die Person, namentlich Tötung jeder Art, Verstümme” lung, grausame Behandlung und Folterung, das Festnehmen von Geiseln, die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung sowie schließlich Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil mit bestimmten Rechtsgarantien untersagt. Diese Mindestbestimmungen sind jedoch zu wenig. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat daher schon in den Jahren 1953, 1955 und 1959 drei Expertenkonferenzen einberufen, um den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen zu erweitern. Leider haben die Vorschläge dieser Experten bei den Regierungen noch wenig Gehör gefunden.

Letztmalig hat im Oktober 1962 ein solcher Sachverständigenausschuß in Genf getagt und sich dabei insbesondere auch mit dem Problem der politischen Häftlinge befaßt. Hier handelt es sich um ein Problem von großer Bedeutung. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß augenblicklich die Presse angefüllt ist mit der Berichterstattung über die großen Konzentrationslagerprozesse, so können wir kaum verstehen, daß es bis heute noch nicht gelungen ist, zwischen den Regierungen zu einem Abkommen zu gelangen, das politischen Häftlingen völkerrechtlich gewisse Garantien bietet (etwa in Anlehnung an das Kriegsgefangenenabkommen) und einer unparteiischen Institution, wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, jederzeit, also in Krieg und Frieden, das Recht der uneingeschränkten Kontrolle einräumt. Hinsichtlich dieser Frage sind wir, worauf ich mit allem Nachdruck hinweisen möchte, noch keinen Schritt weiter als im Jahre 1933 vor der Errichtung der ersten Konzentrationslager in Deutschland.

Die dankenswerte Initiative des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz verdient eine weit stärkere Beachtung und Förderung durch alle Regierungen, als es bisher der Fall war.

3. Die ABC-Waffen Das dritte schwerwiegende Problem stellen die neuen Waffen, insbesondere die ABC-Waffen dar. Sicherlich kann man mit gutem Grund einwenden, daß das Internationale Komitee vom Roten Kreuz seine ursprüngliche Kompetenz dadurch zu überschreiten scheint, daß es sich auch diesem Problem von Anfang an zuwandte. Das Komitee hat sich auch nur sehr schweren Herzens dazu durchgerungen, dann aber in vier großen Ansätzen versucht, dieser schrecklichen Bedrohung entgegenzutreten. Den ersten Ansatzpunkt finden wir in den Jahren 1945 bis 1948. Bereits am 5. September 1945, also einen knappen Monat, nacidcm die ersten Atombomben gefallen waren, wandte sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz an die Offentlichkeit und wies die nationalen Rotkreuz-Gesellschaften auf die schwerwiegenden Probleme hin, die durch die neuen Watten entstanden sind. Auf einer Vorkonferenz der nationalen Rotkreuz-Gesellschaften im Jahre 1946 und insbesondere auf der Internationalen Rotkreuz-Konferenz in Stockholm im Jahre 1948 forderte es das uneingeschränkte Verbot dieser schred: lichen blinden Waffen.

Nachdem dieser Appell, wie unzählige andere von anderen Stellen, wirkungslos verhallt war, richtete das Internationale Komitee vom Roten Kreuz am 5. April 1950 an die Vertragspartner der Genfer Abkommen einen eindringlichen Aufruf, in dem es unter anderem folgendermaßen hieß

„Unter diesen Bedingungen würde die bloße Tatsache der Zulassung von Atombomben als Kampfmittel jeden Versuch, Nichtkämpfer durch rechtlich festgesetzte Bestimmungen zu schützen, zum Scheitern bringen.

Jede herkömmliche Bestimmung, jede vertragliche Regelung würde angesichts der durch diese Waffe verursachten Verheerungen wertlos sein. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das im besonderen über die Einhaltung der Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer wacht, muß zu der Überzeugung gelangen, daß die eigentlichen Grundlagen seiner Mission vernichtet würden, wenn man zugeben wollte, daß gerade diejenigen frei und unbehindert angegriffen werden können, die man zu schützen vorgibt.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ersucht deshalb die Regierungen, welche vor kurzem die Genfer Abkommen von 1949 unterzeichnet haben, alles ans Werk zu setzen, um zu einer Verständigung über das Verbot der Atomwaffen und der blinden Waffen im allgemeinen zu gelangen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz muß sich auch jetzt wieder jeder poli*) tischen und militärischen Überlegung enthalten.

Sollte indessen seine Mitwirkung auf streng humanitärer Basis zu einer Lösung des Problems beitragen können, so erklärt es sich, entsprechend den Grundsätzen des Roten Kreuzes, hierzu bereit.'Die militärische Entwicklung war jedoch inzwischen so weit fortgeschritten, daß ein geradezu verhängnisvoller Dualismus bestand. Auf der einen Seite war jeder Gebrauch dieser blinden Waffen unvereinbar mit den Forderungen der Menschlichkeit, auf der anderen schien der Verzicht auf diese Waffen die Preisgabe der eigenen Sicherheit und damit der eigenen Freiheit und Kultur zu bedeuten. In diesem fast unlösbaren Dilem u, das an die Grenzen sittlicher Verantwortlichkeit rührt, stehen wir noch heute. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz suchte ihm dadurch zu begegnen, daß es einen dritten Vorstoß unternahm. Es machte im Jahre 1952 auf der XVIII. Internationalen Rotkreuz-Konferenz in Toronto den Vorschlag, innerhalb des Rahmens der allgemeinen Abrüstung eine Vereinbarung über die internationale Kontrolle der Atomenergie abzuschließen, der das Verbot atomarcr Wellen sicherstem und den Gebrauch von Atomenergie nur für friedliche Zwecke vorsieht. Dieser sehr vernünftige weitreichende Vorschlag ist gleichfalls gescheitert. Gemäß seiner Tradition gab sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz damit nicht zufrieden, sondern brachte nach eingehenden Vorarbeiten im Jahre 1957 auf der XIX. Internationalen Rotkreuz-Konferenz in Neu Delhi einen Entwurf ein von „Regeln zur Einschränkung der Gefahren, denen die Zivilbevölkerung in Kriegszeiten ausgesetzt ist" Unter den Artikeln, die sich mit dieser Frage befassen, ist besonders Artikel 14 wichtig, der folgenden Wortlaut hat:

„Unbeschadet eines bestehenden oder künftigen Verbotes bestimmter Waffen ist der Gebrauch von Kampfmitteln verboten, deren schädliche Wirkung —'insbesondere auch Ausbreitung von brandstiftenden, chemischen, bakteriologischen, radioaktiven oder anderen Stoffen — sich unter Gefährdung der Zivilbevölkerung in unvorhergesehener Weise ausbreiten oder räumlich oder zeitlich der Kontrolle desjenigen entziehen könnte, der sie anwendet. Dasselbe gilt für die Waffen mit Zeit-zündung, deren gefährliche Wirkung die Zivilbevölkerung treffen kann."

Obwohl sämtliche Rotkreuz-Gesellschaften und auch die Delegierten der Regierungen diesen Entwurf wohlwollend und ohne Gegenstimmen akzeptierten, ist es bis heute noch nicht gelungen, in dieser Frage zu einer Lösung zu kommen. Sie wird daher weiterhin gesucht werden müssen.

Ansatz zu einer neuen Friedensordnung

Abbildung 4

So sind die Genfer Rotkreuz-Abkommen kein in sich geschlossenes Werk, sondern ein gewaltiger Torso Wichtigste humanitäre Fragen sind ungelöst; trotzdem bietet das Erreichte eine wertvolle Grundlage, um darauf weiterzuarbeiten. Wenn wir daher die Frage, die wir uns eingangs gestellt haben, beantworten wollen, so können wir vielleicht sagen, daß die Genfer Rotkreuz-Abkommen dann eine echte Chance haben, wenn sich die Regierungen und die Bürger gemeinsam bemühen, alles herauszuholen, was in ihnen grundgelegt ist. Wenn sich weiterhin die berufenen Stellen, und hierzu gehören vor allem das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und die nationalen Rotkreuz-Gesellschaften, mit dem gleichen glühenden Eifer wie in der Vergangenheit dafür einsetzen, daß der Geist der Menschlichkeit auch unter den modernen Gefährdungen bewahrt bleibt, und wenn sich jeder schließlich bewußt bleibt, daß die Genfer Konventionen nicht nur einen Schutz und damit ein Recht enthalten, sondern vor allem eine Aufgabe und damit eine Pflicht, dann könnten sie einen Ansatz rür eine neue Friedensordnung darstellen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Revue Internationale de la Croix Rouge, deutsche Beilage 1963, Seite 200.

  2. Vgl. Revue Internationale de la Croix Rouge 1950, S. 251.

  3. Vgl. Revue Internationale de la Croix Rouge, deutsche Beilage 1956, Seite 186.

Weitere Inhalte

Anton Schlögel, Dr. jur., Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, geb. 2 Juli 1911 in Pirmasens. Veröffentlichungen u. a.: Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949, Mainz 19604; Wörterbuch des Völkerrechts (Mitarbeiter), Berlin 1960; Geist und Gestalt des Roten Kreuzes, Schriftenreihe des Deutschen Roten Kreuzes, Bonn.