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Der Sturz Mussolinis | APuZ 33/1964 | bpb.de

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APuZ 33/1964 Der Sturz Mussolinis Artikel 1

Der Sturz Mussolinis

Frederick W. Deakin

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Kiepenheuer & Witsch veröffentlichen wir einige Abschnitte aus dem in Kürze erscheinenden Buch von F. W. Deakin „Die brutale Freundschaft. Hitler, Mussolini und der Untergang des italienischen Faschismus.“

Wir beginnen mit einem Dokument, das die italienischen Beschwerden gegen Deutschland und die Auffassungen über die politisch-militärische Kriegführung der Achse zusammenfaßt. Es dürfte jedenfalls die Vorstellungen der Kreise sehr gut widerspiegeln, die angesichts der sich rapide verschlechternden Lage entschlossen waren, Italien aus dem Kriege herauszuführen. Es folgen die Schilderung der Vorgänge vor der entscheidenden Sitzung des Faschistischen Großrats, die Darstellung der Sitzung selbst und der Verhaftung Mussolinis sowie ein zusammenfassender Rückblick.

Auf den Abdruck des umfangreichen Anmerkungsapparates wurde hier verzichtet

Ein italienisches Memorandum vom Sommer 1943 1)

Anhang: Die Teilnehmer der Sitzung des Großrats vom 24. Juli 1943

Die politisch-militärische Führung des gegenwärtigen Krieges wird auf deutscher Seite gekennzeichnet durch eine rein kontinentale Strategie und durch völliges Unverständnis für die entscheidende Bedeutung des Mittelmeer-raums. Abgesehen von der Episode der Luftoffensive gegen England und der Atlantikschlacht — der im großen und ganzen wohl nur eine Nebenrolle zur Unterstützung des Kampfes um Nordeuropa zukam —, war die ganze deutsche Kraftentfaltung immer und ausschließlich gegen die Festlandsmächte (Frankreich—Norwegen—Rußland) gerichtet.

Die gleiche Tendenz zeigen zahlreiche Tatsachen, die hier kurz rekapituliert werden: 1. Waffenstillstand mit Frankreich Beim Abschluß des Waffenstillstands mit Frankreich wurden nur die militärischen Bedürfnisse Deutschlands berücksichtigt; das ist auch in deutschen Kreisen offen zugegeben worden. So hat sich General Guderian in einer vertraulichen Unterhaltung mit General Marras im April [1943] wie folgt geäußert: „ 1940 habe ich dem Führer dringend empfohlen, den Waffenstillstand zu verschieben; ich hätte damals mit ein paar Panzerdivisionen nach Gibraltar durchstoßen und Nordafrika besetzen können.“

Die Besetzung Französisch-Nordafrikas im Jahre 1940 — ein unschwer zu lösendes Problem, da die Briten völlig unvorbereitet und die Deutschen haushoch überlegen waren — hätte es ermöglicht, das westliche Tor des Mittelmeers aufzubrechen, woraus sich für die Achse unberechenbare Vorteile ergeben hätten:

— Sie hätte maximale Handlungsfreiheit in Afrika erlangt (die Möglichkeit, Ägypten zu besetzen, im Mittleren Osten zu operieren und auch die antibritische Gärung im Irak und unter den arabischen Völkern auszunutzen); — sie hätte die zur Verteidigung der Südgrenzen Europas eingesetzten Truppen und Ausrüstungsmengen größtenteils einsparen und die beschwerliche Operation der Eroberung und Besetzung des Balkans vermeiden können;

— sie hätte alle Ressourcen Nordafrikas und des Mittleren Ostens ausbeuten und dazu die wirtschaftlichste Seeroute des Mittelmeers ohne nennenswerte Störung durch den Feind benutzen können;

— sie hätte vielleicht unvorhergesehene Entwicklungen des Krieges in Richtung Kaukasus und Indien herbeiführen können.

Die Begründung [des deutschen Standpunkts], daß nach dem Fall Frankreichs der Friedensschluß mit England unmittelbar oder zumindest in sehr naher Zukunft bevorstehe, war nicht haltbar. In Wirklichkeit waren auch deutsche offizielle Kreise, obwohl sie diesen falschen Standpunkt vertraten, mit Recht daran interessiert, alle französischen Atlantikstützpunkte bis zu den Pyrenäen zu besetzen, weil sie für die eventuelle Fortsetzung des Kampfes gebraucht wurden. 2. Panzer für Italienisch-Nordairika Von 1940 an wurden für die italienischen Truppen in Italienisch-Nordafrika Panzer angefordert, um sie in den Stand zu setzen, eine schnelle Offensive gegen die britischen Streitkräfte in Ägypten zu unternehmen. Den Ma terialanforderungen wurde nicht entsprochen, obwohl die deutsche Wehrmacht in der ganzen zweiten Hälfte des Jahres 1940 und im ersten Quartal 1941 in keine Kriegshandlungen verwickelt war.

Einige hundert Panzer hätten damals wahrscheinlich genügt, um die Suez-Zone zu be. -

setzen.

3. Beziehungen zu Frankreich Die Beziehungen zu Frankreich mußten angesichts der territorialen Bedingungen des Waffenstillstands (französische Mittelmeerküste, Korsika und Französisch-Nordafrika nicht von der Achse besetzt) direkte und schwerwiegende Auswirkungen auf die Kriegführung im Mittelmeerraum haben.

Die deutsche Einstellung zu diesen Beziehungen war der italienischen scharf entgegengesetzt und widersprach oft einer rationellen Kriegführung:

1. Die Deutschen machten aufs Geratewohl verschiedene Zugeständnisse in der Frage der Wiederbewaffnung Französisch-Nord-und -Westafrikas ohne Rücksicht auf die Erfordernisse des Mittelmeerkrieges und entgegen dem italienischen Standpunkt, der von der Notwendigkeit ausging, — Dakar zu stärken, um die Franzosen zur Selbstverteidigung gegen britische Angriffe zu befähigen, ohne ihnen jedoch die Möglichkeit zu geben, dieses Material gegen die Achse zu benutzen;

-— hingegen mit Zugeständnissen zugunsten Französisch-Nordafrikas und besonders Tunesiens sparsam zu sein;

— gleichzeitig Maßnahmen zu treffen, um den richtigen Gebrauch des überlassenen Materials zu gewährleisten (Absetzung verräterischer Führer, hauptsächlich Weygands, dessen Absetzung die italienische Waffenstillstands-Kontrollkommission den Deutschen geradezu abringen mußte).

2. In der Erkenntnis, daß die abwartende Haltung, die für die Situation Frankreichs nach dem Waffenstillstand kennzeichnend war, nicht von unbegrenzter Dauer sein konnte, nahm Italien im Dezember 1941 den guten Willen der französischen Regierung, sich entschieden der Achse zuzuwenden, als gegeben hin (Unterredung Darlan-Vacca Maggiolini in Vichy; Erklärungen von Petain; Treffen Ciano-Darlan in Turin), und entschloß sich nach sorgfältiger Prüfung der Lage und der französischen Forderungen, die Beziehungen zu Frankreich zu normalisieren. (Mündliche Anweisungen des Duce an Exzellenz Vacca Maggiolini.)

Diese Lösung hätte binnen kurzem den Anschluß Frankreichs an die Achsenmächte herbeigeführt, die Lage im Mittelmeer grundlegend verändert und den durch den Waffenstillstand 1940 angerichteten Schaden wiedergutgemacht.

(Beitrag der französischen Flotte, die Darlan völlig ergeben war — Benutzung der erstklassigen Basen in Französisch-Nordafrika — Bewegungsfreiheit im Mittelmeer.)

Die deutsche Seite, der die Frage vom Duce vorgelegt wurde, lehnte es nicht nur ab, den italienischen Standpunkt zu akzeptieren, sondern nahm einen plötzlichen, ganz unbegründeten Kurswechsel vor und bezog eine starr feindselige Stellung gegenüber Frankreich, wodurch sie die Fortführung der Verhandlungen unmöglich machte, den Sturz Darlans herbeiführte und in der Endkonsequenz wahrscheinlich auch seinen Abfall.

3. Bei der Prüfung der späteren Forderungen nach einer Stärkung Französisch-Nordafrikas nahm die italienische Seite, die überzeugt war, daß die Franzosen nach dem Fehlschlag ihres Versuchs einer Annäherung an die Achse niemals wieder mit der Achse selbst kollaborieren würden, logischerweise eine Haltung ein, die zwar nicht ausgesprochen negativ, aber zumindest hinhaltend war. Die Deutschen hingegen bemühten sich, den französischen Forderungen mit allen Mitteln entgegenzukommen, und erklärten ungeachtet der gegenteiligen italienischen Ansicht, sie seien von der Loyalität der Truppen und Kommandeure in Französisch-Nordafrika überzeugt ...

4. Besetzung von Malla Um das drückende Problem des Mittelmeers und des Nachschubs nach Afrika zu lösen, begann Italien im Winter 1941/42 ungeachtet seines bescheidenen Industriepotentials mit der Planung für eine Landung auf Malta. Die deutsche Seite akzeptierte den italienischen Standpunkt und wirkte verständnisvoll bei der luftkriegsmäßigen Vorbereitung des Unternehmens mit; sie versprach beträchtliche Hilfe in Form von Verbänden und Material für den Aufbau eines Expeditionskorps. Als sich im Mai 1942 die Chance bot, eine Offensive in der Cyrenaika durchzuführen, hielt das Comando Supremo zäh an der Auffassung fest, daß die Besetzung Maltas Vorrang vor jeder Initiative in Italienisch-Nordafrika haben müsse. Sein Ziel war dabei, die Versorgung ganz sicherzustellen und die Möglichkeit zu schaffen, eventuelle Anfangserfolge des Kampfes strategisch voll auszunutzen. Die deutsche Seite war anderer Meinung und ermächtigte Rommel, Offensivoperationen zu beginnen, die sich nach einem glänzenden Anfangserfolg bei El Alamein festliefen, eben weil es unmöglich war, den notwendigen Nachschub zu sichern.

Auf Grund des Vorstoßes nach El Alamein beharrte das deutsche Oberkommando trotz der gegenteiligen Ansicht des Comando Supremo bei der Auffassung, daß die Besetzung Maltas nicht mehr notwendig sei und daß der Versuch, die Suez-Zone zu erreichen, fortgesetzt werden müsse.

Aus Mangel an Luftwaffenunterstützung für das Expeditionskorps (für Malta) und aus Olmangel war die italienische Seite genötigt, den Beschluß des Verbündeten zu akzeptieren und die Operation zur Besetzung Maltas, deren Vorbereitung damals abgeschlossen war, auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

5. Versorgung von Italienisch-Nordafrika 1. Im Juli 1941 bat Italien Deutschland um eine Anleihe von 1 Milliarde Franc, die hauptsächlich dazu verwendet werden sollte, in Tunesien verschiedene Materialien zur Versorgung der in Italienisch-Nordafrika operierenden Truppen einzukaufen.

Deutschland hielt es für richtig, die Bitte abzuschlagen, obschon es täglich 500 Millionen Franc Besatzungskosten (in Frankreich) einnahm. 2. Während der zweiten britischen Offensive gegen Libyen begann Italien Verhandlungen mit den Franzosen wegen der Benutzung tunesischer Stützpunkte zur Versorgung der Expeditionsstreitkräfte in Italienisch-Nordafrika. Auch hier hemmten die Deutschen mit heimtückischen Manövern den Gang der Verhandlungen und erklärten offen, sie wünschten sich nicht zu beteiligen, obwohl die Frage auch für die Versorgung der deutschen Truppen von Interesse war.

3. Um den ernsten Konsequenzen der Nicht-besetzung Maltas zu entgehen, erbat die italienische Seite, die damit auch die Erfahrungen der Kämpfe um El Alamein berücksichtigte, von Deutschland wenigstens genug Flugzeuge, um eine ausreichende Herrschaft im Mittelmeer zu erlangen und die Schiffsverluste zwischen Italien und Nordafrika in erträglichen Grenzen zu halten. Die im Oktober, November und Dezember 1942 vorgebrachten Bitten blieben ergebnislos.

6. Reaktion auf die Besetzung Französisch-Nordafrikas durch die Anglo-Amerikaner 1. Auf der Salzburger Konferenz wurden die zu ergreifenden Gegenmaßnahmen erörtert: a) Deutschland blieb bei der irrigen Auffassung ..., daß es genüge, mit der Besetzung der sogenannten „freien" Zone des französischen Mutterlandes zu drohen, um die Franzosen in Nordafrika zum Widerstand gegen eine etwaige anglo-amerikanische Aggression zu veranlassen; es schlug als Lösung die Besetzung der Freien Zone und eventuell Korsikas vor, ließ aber Tunesien völlig außer acht. Erst auf Grund der klaren und entschiedenen Haltung Italiens wurde beschlossen, Tunesien zu besetzen, dessen fester Besitz uns nicht nur die Fortführung des Krieges in Afrika gestatten, sondern offensichtlich auch automatisch das Problem der beiden anderen Kriegsschauplätze lösen würde.

In der Praxis machten die Deutschen jedoch allerhand Schwierigkeiten und bemühten sich um die Aufstellung eines nur aus deutschen Truppen bestehenden Expeditionskorps, mit dem offenkundigen Ziel, Italien in einem Gebiet zu schädigen, auf das wir klare Ansprüche erheben. Dieses Manöver bewirkte einzig und allein, daß sich die Landung der Achsenkräfte in Biserta und Tunis um zwei bis drei Tage verzögerte, und die Folge war, daß der Brükkenkopf von Anfang an zum Vorteil unserer Gegner bedeutend kleiner ausfiel.

b) Der Duce erklärte es mit großem Nachdruck für ratsam, sich um eine spanische Intervention zu bemühen, um bei Gibraltar die Nachschublinien der anglo-amerikanischen Expeditionskräfte in Algerien abzuschneiden. Die Deutschen konnten nicht leugnen, daß dieser Schritt militärisch und politisch zweckmäßig und vernünftig war, und stimmten zunächst dem italienischen Vorschlag zu, ein Treffen zwischen Mussolini, Hitler und Franco anzuregen. Später änderten sie ihre Haltung und schlugen nun ein Zweiertreffen — Mussolini und Franco — vor, was einer höflichen, aber klaren Ablehnung gleichkam.

3. Mehrmals (November und Dezember 1942, März und April 1943) wiederholte Italien seine Bitten an Deutschland um Luftwaffenunterstützung zur Aufrechterhaltung des Kampfes in Tunesien. Keiner dieser Bitten wurde voll und befriedigend entsprochen.

7. Verteidigung des italienischen Mutterlandes — Zweite Front Je klarer sich der Ausgang des Kampfes um Tunesien abzeichnete, desto stärker war Italien daran interessiert, die Verteidigung des Mutterlandes zu stärken, und als die Absicht der Anglo-Amerikaner offenkundig wurde, großangelegte Operationen im Mittelmeer einzuleiten (Eröffnung der zweiten Front), erbat es deutsche Hilfe auf folgenden Gebieten: — Flugzeuge, um die wachsende feindliche Luftüberlegenheit auszugleichen;

— Waffen (Panzer, Artillerie, Lastwagen und so weiter) und Truppen, um die italienische Küstenverteidigung zu befähigen, dem erwarteten massiven Angriff des Feindes standzuhalten. Bei diesen Gelegenheiten wiesen wir den Bundesgenossen wiederholt auf folgendes hin: a) auf die Bedeutung des Mittelmeerraums, wo die Anglo-Amerikaner ihre Hauptkräfte konzentriert hatten und die zweite Front zu eröffnen suchten, die, wenn sie zustande kam, der Achse im Grunde nicht nur die Siegeschancen, sondern auch die Widerstandsfähigkeit nehmen würde, -

b) auf die Notwendigkeit, die Verteidigung der Seegrenzen Italiens so auszubauen, daß sie den feindlichen Angriff wenigstens zeitweilig aufhalten könne und für die in Deutschland bereitstehenden Achsenreserven Zeit bliebe, im Bedarfsfall in die Kampfzone zu eilen (Manöver auf der inneren Linie).

Deutschland kam den Truppen-und Material-anforderungen zur Verstärkung der Küsten-verteidigung nur teilweise und zögernd nach, und darüber hinaus begann es trotz der persönlichen Vorstellungen des Duce von sich aus neue Unternehmungen in Rußland, wohin es die in der Heimat aufgestellten Reserven schicken mußte, während gleichzeitig völlig klar war, daß eine Landung in Italien unmittelbar bevorstand.

Die Entscheidungen des deutschen Ober-kommandos erscheinen auch vom rein militärischen Standpunkt sinnlos. Tatsächlich waren auf Grund der Erfahrungen der Feldzüge von 1941/1942 keine entscheidenden Erfolge zu erwarten, während ein Sieg in Sizilien — der keineswegs unwahrscheinlich war — dem Feind so schwere Verluste zugefügt hätte, daß ein zweiter Versuch mit starken Kräften vor dem Winter oder sogar vor dem Frühjahr 1944 unmöglich gewesen wäre. Hinzugekommen wären die — auch militärisch ins Gewicht fallenden — günstigen Auswirkungen auf die Widerstandskraft der Heimatfront, auf die besetzten Länder, die und die alliierten Länder selbst. Auswirkungen, die in Anbetracht der angelsächsischen Propaganda und des gespannten Wartens auf die angekündigte zweite Front um so bedeutsamer gewesen wären.

8. Verschiedenes 1. Die verantwortlichen deutschen Stellen haben des öfteren erklärt, daß die Entscheidung des gegenwärtigen Konflikts auf dem russischen, nicht auf dem mittelmeerischen Kriegsschauplatz fallen werde. 2. Zum Problem Spanien erklärte der Führer, er gebe lieber solchen Ländern Waffen, die schon für die Achse kämpfen (Rumänien), als solchen, die vielleicht in Zukunft kämpfen würden; nichtsdestoweniger mußte um die Zuwendung von Verstärkungen an Italien, das bereits kämpfte, stets gefeilscht werden.

Der Türkei wurden jedoch Waffen und Ausrüstung überlassen, offenbar, weil das türkische Problem den kontinentalen Raum direkt berührte.

3. Die Deutschen versäumten keine Gelegenheit, bei der Ausbeutung der besetzten Länder und bei der Verwertung der Beiträge der kleineren Verbündeten mit der italienischen Wirtschaft zu konkurrieren. Auf diese Weise trugen sie, wenn auch indirekt, dazu bei, die militärischen Möglichkeiten der Achse im Mittelmeerraum zu schwächen.

Zwar fehlten schlüssige Beweise, doch ist es nicht ausgeschlossen, daß Deutschland zumindest teilweise planmäßig darauf ausging, Italien selbst auszuplündern, und zwar mittels systematischen Aufkaufs wertvoller Waren durch durchmarschierende oder auf der Halbinsel stationierte Truppen, die absichtlich großzügig mit italienischem Geld versehen wurden. 9. Schlußbemerkung Aus dem Dargelegten geht klar und unwiderleglich hervor, daß die Deutschen bei der Führung des Krieges niemals ein realistisches und umfassendes Bild des Achsenkrieges vor Augen gehabt haben, sondern sich vorwiegend von einem besonderen Aspekt leiten ließen, nämlich dem deutschen Krieg.

Das Unverständnis für die Bedeutung des Mittelmeerraums und seine bewußte Unterschätzung a) war erklärlich, wenn auch nicht zu rechtfertigen, in der politisch-militärischen Lage der Jahre 1940— 1942, als mit entscheidenden feindlichen Operationen im Mittelmeer nicht gerechnet zu werden brauchte, da die Anglo-Amerikaner unvorbereitet waren, während die Möglichkeit bestand, die russische Gefahr ein für allemal zu liquidieren, bevor die Anglo-Amerikaner mit ihren Vorbereitungen fertig waren;

b) findet keine Erklärung oder Rechtfertigung im Jahre 1943, wo die Vorbereitungen des Feindes unschwer erkennen ließen, daß die Anglo-Amerikaner im Mittelmeer einen Angriff auf die Festung Europa versuchen würden, um jene zweite Front zu eröffnen, deren Verwirklichung fast mit Sicherheit die militärische Niederlage der Achse nach sich ziehen mußte.

Fünf Minuten vor zwölf -Der Vorabend der Großratssitzung

Nach der Rückkehr aus F eltre am Abend des 19 Juli, verfaßte General Ambrosio eine Übersicht über die militärischen Fragen, die auf der Konfetenz und während der Bahnfahrt mit den Deutschen erörtert worden waren:

„Der Führer ist nicht gewillt, die 29. Panzer-division nach Sizilien oder die Panzergrenadierdivision (die ohnehin nicht marschbereit ist) nach Kalabrien zu verlegen und weitere deutsche Streitkräfte nach Italien zu schicken, solange Italien keinen stärkeren militärischen Einsatz zusichert. Italien müsse eigene Infanteriedivisionen nach Sizilien entsenden, damit die deutschen beweglichen Kräfte, die 15 und die Göring-Division, zurückgenommen und in Reservestellung gebracht werden können; es müsse zwei Infanteriedivisionen zur Sicherung der Verteidigung von Kalabrien dorthin schicken; und vor allem müsse es durch Zusammenfassung der gesamten vollziehenden Gewalt in Süditalien in den Händen des Befehlshabers der 7. italienischen Armee alle dem militärischen Handeln in Gestalt ziviler und privater Interessen entgegenstehenden Hindernisse beseitigen. Wenn das geschieht, meint Marschall Keitel, kann er den Führer dazu bewegen, zwei deutsche Infanteriedivisionen zu schicken.

Allgemein gesprochen: Angesichts der Tatsache, daß die deutschen Kräfte nicht vor zwei Monaten marschbereit seien und daß es dringend erforderlich sei, die Verteidigung Süditaliens auszubauen, müßten die in Norditalien verfügbaren Kräfte unverzüglich nach dem Süden verlegt werden, nämlich die italienischen Divisionen einschließlich der Alpini und den in Neuaufstellung begriffenen Divisionen. Sie würden dann zu gegebener Zeit durch einrückende deutsche Divisionen ersetzt.“ Ambrosio schloß seinen Bericht: Gegenüber dem „bekannten italienischen Standpunkt ... erkennt die deutsche Seite an, daß die zweite Front in Italien eröffnet worden ist, erklärt aber, daß sie keine bedeutende Luft-oder Panzerversiärkung schicken kann, und stellt sogar Bedingungen für die Entsendung der verfügbaren minimalen Verstärkungen“. Ambrosio schrieb, er habe Keitel schon darauf hingewiesen, daß es Sache des Duce sei, über diese Bedingungen zu entscheiden.

Am 20 Juli mittags war Ambrosio zum gewohnten Vortrag bei Mussolini, und man sprach über die Lage nach den Besprechungen von Feltre. Eine Ablehnung des deutschen Ultimatums — denn das war es — mußte unweigerlich zum Zusammenbruch der ganzen italienischen Front und damit des Regimes führen. Eine Annahme bedeutete, daß die Deutschen die unumschränkte Herrschaft über die bedrohten Gebiete Süditaliens erlangen, zu gegebener Zeit unter demVorwand, die Verteidigung des Po-Tales und des Alpengebiets gegen eine alliierte Landung im Golf von Genua zu organisieren, den Norden de facto militärisch besetzen und zwangsläufig wachsenden Einfluß auf das italienische Oberkommando und die italienische Regierung selbst gewinnen würden. Es war eine ganz klare Entscheidung, die zu treffen war.

In Feltre hatte Ambrosio darauf gedrängt, abzulehnen und den Krieg binnen fünfzehn Ta-gen zu beenden. Mussolini sagte ihm ruhig: „Ich will jetzt dem Führer schreiben, was Sie gestern in Ihrer aggressiven Erklärung als im Interesse des Landes liegend hingestellt ha-ben." Er nahm ein Blatt Papier, um einen Brief mit der Bitte um Entlassung aus den Bündnisverpflichtungen zu entwerfen. Ambrosio wand-te ein, daß „dies nur mündlich beim Treffen in Feltre hätte erreicht werden können, und verlangte seinen Abschied. Die Bitte wurde kurzerhand abgeschlagen, und Ambrosio kehrte an seine Arbeit zurück".

Am gleichen Nachmittag suchte Rintelen den Duce im Palazzo Venezia auf. Er hatte vom deutschen Oberkommando Befehl, eine Ant-wort auf Keitels „drei Punkte“ 3) * zu erbitten, die dieser auf der Bahnfahrt von Feltre nach Treviso vorgebracht hatte. Ambrosio war zugegen. „Beide machten eine finstere Miene. Die Forderungen des OKW nahm der Duce an. Als wir das Arbeitszimmer Mussolinis verlassen hatten, erklärte mir Ambrosio, daß er um seinen Abschied gebeten habe." Am Abend des 21. Juli berichtete Rintelen nach Berlin, der Duce habe in Gegenwart Ambrosios gesagt, daß Sizilien bis zum letzten Mann verteidigt werde, daß aber „jene Fragen noch offen sind". Ein paar Tage später berichtete Rintelen: „In allen maßgeblichen militärischen und politischen Kreisen stehen seit den Be-sprechungen am 19. 7. die Zweifel im Vordergrund, ob Deutschland in der Lage sein wird, Italien im Abwehrkampf gegen die Invasion ausreichend zu helfen.“

Auch wenn Italien Mitglied der Achse blieb, konnten die Deutschen seinen militärischen Zusammenbruch nicht verhindern. Das Treffen von Feltre hatte zweifelsfrei erwiesen, daß mit Hitler über ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg nicht zu reden war. Sein Ultimatum hatte den Sinn, Mussolini als Aushängeschild des faschistischen Regimes zu stützen und inzwischen begrenzte Verstärkungen auf den italienischen Kriegsschauplatz zu bringen, mit dem militärischen Ziel, Zeit für einen geordneten Rückzug auf eine verteidigungsfähige Frontlinie in Mittelitalien zu gewinnen, und dem politischen Ziel, Vorkehrungen gegen einen drohenden Staatsstreich in Rom zu treffen. Militärische Maßnahmen, die den Übertritt der Alliierten auf das italienische Fest-land eine Weile hinauszögern konnten, waren, wie geschildert, Mussolini nach Feltre aufgenötigt worden. Welche politischen Vorsichtsmaßregeln ergriffen nun die Deutschen für den Fall eines Staatsstreichs gegen den Duce? Am 19. Juli schrieb Himmler an Bormann: »Auf sicherem nachrichtlichen Wege erhalte ich folgende Meldung, die mit absoluter Sicherheit aus den Kreisen des Fünferausschusses stammt und die ich Dich bitte, sobald es Dir möglich ist, dem Führer vorzulegen: ... Zur Abwehr [eines etwaigen Staatsstreichs] haben ... achsentreue italienische Kreise in lockerer Organisationsform eine Gegenbewegung geschaffen ... Als Hauptbeteiligter wurde Riccardi genannt. Bewegung wird geleitet von einem Fünfer-Ausschuß . . . Diese Gegenbewegung erstrebt die Bildung eines Kriegskabinetts zur Durchführung einer entschieden anti-freimaurerischen, anti-jüdischen und prodeutschen Politik, radikale Beseitigung der Verräter aller Art, Neubildung des faschistischen Großrates in permanenter Tagung, Bildung eines einheitlichen militärischen Kommandos für die Achsenstreitkräfte. Sie bittet um deutsche Unterstützung durch restlose Unterrichtung des Duce mit Zweck sofortiger Herbeiführung von Vollmachten an Riccardi beziehungsweise einen der oben genannten Mitarbeiter."

Der Name Riccardi taucht häufig in deutschen Geheimberichten aus Rom auf. Riccardi war von 1939 bis Februar 1943 Minister für Außenhandel und Währung gewesen und hatte in dieser Eigenschaft viele Finanzverhandlungen mit deutschen Stellen geführt. Nach seiner Entlassung war er anscheinend einer der italienischen Hauptinformanten der Deutschen;

aber er hatte nicht das Format, gegebenenfalls Chef einer extrem faschistischen Regierung zu werden. Der führende Spezialist für Krisensituationen war, wie zur Zeit der Ermordung Matteottis im Jahre 1924, Farinacci, der auch dieser Gruppe angehörte.

Am Nachmittag des 21. Juli trafen sich Farinacci und Mackensen. Es geschah auf Wunsch Farinaccis, „der sich über die innere Lage offen auszusprechen wünschte, mich (Mackensen) aber auch über gewisse innerpolitische Vorgänge authentisch unterrichten wollte, die sich in der letzten Woche hier abgespielt ha-ben". Mit Farinacci war der mit diesem „befreundete" Marschall Cavallero gekommen und nahm „fast ausschließlich als Zuhörer" an der Unterhaltung teil. Farinacci schilderte zunächst die Zusammenkunft der Parteiführer mit Mussolini am 16. Juli. Man habe gemeinsam beim Duce Vorstellungen erhoben, „die auf das Unhaltbare der gegenwärtigen Regierungsmethoden und zugleich darauf aufmerksam machen sollten, daß es fünf Minuten vor 12 sei". Mussolini habe Farnacci und den anderen zugesichert, „die drei (nach Farinaccis Ansicht zur Zeit wichtigsten) Ministerien Krieg, Marine und Luft mit eigenen Ministern zu besetzen und Ende dieser Woche noch den Großrat einzuberufen".

Dann kam die Rede auf die Konferenz von Feltre. Farinacci sagte, er habe die Ergebnisse in großen Zügen von Scorza erfahren, der von Mussolini unterrichtet worden sei; aber diese Information bezog sich offenbar nur auf jenen Teil, „wo vom Ausmaß eventueller deutscher Hilfe die Rede gewesen sei". Hier unterbrach Mackensen seinen Gesprächspartner und sagte, „daß ich angesichts des Vertrauens, das ich bei dem Duce und Bastianini genieße und das die nicht wegzudenkende Basis meiner Arbeit sei, selbstverständlich Bastianini von dem In-halt unserer Unterredung Kenntnis geben und im übrigen ihn [Farinacci]bitten müsse, in seiner Kritik an der Person des Duce nicht zu vergessen, daß ich, wenn auch sein persönlicher Freund, doch in erster Linie Vertreter des Führers sei". Farinacci antwortete, er werde dem Rechnung tragen, aber in der Lage, in der sich Italien heute befinde, müsse er gerade deshalb offen sprechen, „weil er wolle, daß der Führer über die wahre Haltung des Faschismus, den er und seine Freunde repräsentierten, völlig klar sehe". Mackensen gab nun eine eigene Darstellung des Treffens von Feltre. „Der Führer habe dem Duce keine . Bedingungen'gestellt, wohl aber jene Voraussetzungen klar umrissen, die erfüllt sein müßten, wenn anders die deutsche militärische Hilfe einen Sinn haben sollte, und nur dann könne natürlich sie geleistet werden." Zu diesen Voraussetzungen gehöre in allererste) Linie, „daß unseren hier eingesetzten Truppen italienischerseits nicht wie bisher zu ihrer Installation — Flugplätze, Unterbringung und so weiter — von irgendwelchen Präfekten, Federalen oder Bürgermeistern unausgesetzt die größten Schwierigkeiten bereitet würden. Nur ein radikaler Wandel in dieser Hinsicht, restlose Ausschaltung aller bürokratischen Quertreibereien, rigorose Überwachung der vom Duce erlassenen Befehle können hier Wandel schaffen." Farinacci unterbrach Mackensen und entwickelte zu diesem Thema Gedanken, „die fast wörtlich dem entsprechen, was der Führer in Feltre dem Duce gesagt und worüber der Führer mit mir im Hauptquartier gesprochen hat".

Farinacci war damit beim eigentlichen Zweck seines Besuchs: „Von sich aus kam er mit dem Gedanken (nicht eines Direktoriums sondern) eines Mannes, der mit absoluter Vollmacht ausgestattet, dekretieren könne, etwa ein Minister der drei Wehrmachtsteile ... Meine Darstellung dessen, was bei uns die Kampfkommandantur bedeutete, griff er mit Begeisterung auf und meinte, das sei die einzige richtige Lösung."

In einer hurtigen Analyse der politischen Szene schüttelte Farinacci eine Handvoll Urteile aus dem Armei. Der König sei „aus Überzeugung mit dem Duce unlösbar verbunden". Beim Kronprinzen müsse man „ein leichtes Fragezeichen" setzen. Badoglio sei „absolut antiduce eingestellt“. Grandi „hoffe durch Zurückhaltung noch etwas bedeuten“, und Ciano sei „politisch erledigt". Dann gab Farinacci ein vernichtendes Urteil über die italienische Armee und besonders das Offizierskorps ab; dieses Urteil „deckt sich vollkommen mit dem Urteil des Führers". Cavallero hatte bisher kein Wort gesagt; hier griff er zum ersten und einzigen Mal in das Gespräch ein. „Daß Marschall Cavallero in dieser Hinsicht — im übrigen recht zögernd — Vorbehalte machen zu müssen glaubte, ändert nichts daran, daß auch er erkennt, daß hier, wenn nicht alles, so doch viel erneuerungsbedürftig."

Auf Grund dieses Gesprächs und anderer Berichte bildete sich Mackensen eine eigenartige Meinung von der Krise in Rom, nämlich: Eine von Farinacci repräsentierte energische Gruppe führender Parteileute habe im Bunde mit Cavallero eine Sitzung des Groß-rats erzwungen, und dieser werde dieselben grundlegenden militärischen und administrativen Reformen fordern, die Hitler in Feltre verlangt hatte. Auf diese Aktion würde in den nächsten Tagen alles ankommen, und wenn alles planmäßig verlief, konnte sie das politische Gegenstück zu den militärischen Maßnahmen bilden, die jetzt vom deutschen Oberkommando ergriffen wurden.

Von nun an verhielten sich die Deutschen in Italien merkwürdig passiv, beinahe so, als wären sie für jede Eventualität gerüstet. Etwas von Hitlers augenblicklichen Gedanken sickerte seltsamerweise in die Kreise der unterirdischen deutschen Opposition durch. Kurz nach Feltre schrieb Goerdeler an Feldmarschall von Kluge: „Hitler [hat] seiner Umgebung die Teilung Italiens als Ziel hingestellt! Endlich würde Mussolini ihn um Hilfe bitten müssen; dann würde er ihn vielleicht zum Statthalter von Norditalien einsetzen und den Apennin zur deutschen Grenze machen!“ Das war eine erstaunliche unbewußte Prophezeiung. Mit den Truppenbewegungen, die Keitel am 19. Juli ultimativ von Ambrosio gefordert hatte, sollte zweierlei erreicht werden: für den Augenblick eine Verzögerung der alliierten Invasion im Süden, sodann die Verlegung italienischer Divisionen nach Kalabrien, die bisher im Norden gestanden hatten. Dort würde an ihre Stelle Rommels neue Heeresgruppe treten, die jetzt aufgestellt wurde und deren eigentliche Aufgabe es war, die deutsche Front in Mittelitalien aufzubauen. Diese Maßnahmen boten auch die Gewähr, daß Deutschland bei einem plötzlichen Zusammenbruch oder Staatsstreich die militärischen Aufgaben der Italiener auf dem Boden des italienischen Mutterlandes selbst übernehmen konnte. Es ist bezeichnend, daß Jodl „auf Grund der Eindrücke von Feltre" die Vorbefehle für die Unternehmen „Alarich“ und „Konstantin aufhob.

Diese Selbstzufriedenheit schien gerechtfertigt, als Ambrosio am 22. Juli offiziell die Entsendung zweier deutscher Divisionen nach Süditalien und die Verlegung der 29. Panzergrenadierdivision von Kalabrien nach Sizilien erbat, wobei er betonte, daß das Comando Supremo „über die nach Italien entsandten deutschen Verstärkungen frei verfügen müsse“. Diese deutschen Truppenbewegungen begannen am 23. Juli.

Am 21. Juli, während die deutsche Heeresgruppe in Norditalien noch in der Aufstellung war, wurde Rommel plötzlich von seinem Rumpfkommando in Süddeutschland wegversetzt, um die Verteidigung Griechenlands und der Ägäischen Inseln in die Hand zu nehmen.

Die deutsche militärische Planung ging von der allgemeinen Annahme aus, daß einer großen Krise in Italien eine Landung der Alliierten in Südosteuropa folgen werde. „Schon am 19. Juli teilte uns [sic] der König seinen Entschluß mit, Mussolini zu liquidieren."

Ambrosio war erst an diesem Abend aus Feltre zurückgekehrt und vom Bahnhof mit Oberst Montezemolo, dem Verbindungsoffizier des Kriegsministeriums beim Oberkommando, in sein Büro im Kriegsministerium gefahren.

Eine Audienz beim König am gleichen Abend ist urkundlich nicht belegt. Es ist jedoch bedeutsam, daß der König später erklärte, er habe, als er Mussolini zur Berichterstattung empfing, „über die Unterredung von Feltre schon durch die Mitteilungen General Ambrosios und Oberst Montezemolos Bescheid gewußt". Die Erwähnung des Obersten läßt darauf schließen, daß die beiden am Abend des 19. Juli vom Bahnhof direkt zum König fuhren und daß dieser im Laufe des Gesprächs zumindest eine Vorentscheidung traf. Auf jeden Fall scheint er am 22. Juli, als der Duce bei ihm war, entschlossen gewesen zu sein, zu handeln und ihn nach der nächsten regulären Audienz am 26. Juli verhaften zu lassen. Bevor sich Ambrosio am nächsten Morgen zum Vortrag zu Mussolini begab, empfing er den Besuch des Prinzen von Piemont; und, was vielleicht noch bedeutungsvoller war, am Spät-nachmittag kam Acquarone ins Kriegsministerium. Am 19. Juli, dem Tag des Luftangriffs auf Rom und der Rückkehr aus Feltre, nahm nach Anfusos Worten „die Verschwörung feste Formen an: jeder setzte seine Maske auf und betrat die Bühne".

In Rom verbreitete sich die Kunde, daß die Gipfelkonferenz keine Blitz-und Zauberformel erbracht hatte. Ein geschäftiges Hin und Her begann. Am Morgen des 21. Juli erschien Bottai bei Farinacci in dessen Hotel, und die beiden suchten zusammen Bastianini in seinem Ministerium auf, um sich über das Ergebnis des Treffens mit den Deutschen zu unterrichten. Die Schilderung war entmutigend. „Eine Atmosphäre von Verlegenheit, Unbehagen und Zweideutigkeit habe über den Gesprächen gelegen." Von oben kam kein Zeichen. Am gleichen Tage traf Bottai mit Scorza zusammen; er notierte: Der Parteisekretär „wartet darauf, daß Mussolini die Einberufung des Großrats bestätigt und das Datum festsetzt. Er sagt mir, der Chef habe keine kritische Reaktion auf den Schritt vom Sechzehnten gezeigt."

Grandi hatte sich bisher in Bologna aufgehalten, weitab von der römischen Arena. Er hatte es abgelehnt, an der Zusammenkunft der Parteiführer am 16'Juli teilzunehmen, obwohl ihm Mussolini in einem zornigen Telegramm befohlen hatte, zu erscheinen und „seine Gehorsamsverweigerung zu begründen". In Bologna verfaßte Grandi mehrere Schriftstücke.

Nach der Landung in Sizilien sandte er zunächst einen Privatbrief an General Puntoni:

„Fast auf den Tag hundert Jahre, nachdem ein großer König von Piemont das Grundgesetz des Reiches verkündet und sein Schwert gezogen hat, um Italien Freiheit, Einheit und Unabhängigkeit zu geben, taumelt das Vaterland der Niederlage und Schande zu.“ Dann schrieb er zwei Briefe „mit dem gleichen Tenor" an den König und an Mussolini. Sie enthielten die Hauptpunkte der Entschließung, die er dem Großrat unterbreiten wollte, dessen Einberufung der Duce am 16. Juli zugesagt hatte. Das „Programm", das Grandi skizzierte, umfaßte zwei Hauptforderungen. Erstens: Durchgreifende Reform der Staatsführung durch Wiedereinsetzung der bestehenden Staatsorgane in ihre Rechte. Die Kammer, der Ministerrat, die einzelnen Ministerien und vor allem der Großrat sollten wieder in Tätigkeit treten. Die persönliche Herrschaft eines Mannes habe die Regierungsarbeit lahmgelegt, worauf schon Cini und de Marsico in der Ministerratssitzung am 19. Juni hingewiesen hatten. Zweitens: Trennung der militärischen Führung des Krieges von der politischen Leitung und Rückgabe an jene Stelle, bei der sie bis zu ihrer Usurpation durch den Duce im Jahre 1940 theoretisch gelegen hatte: die Krone.

Federzoni war zur Zeit gleichfalls in Bologna, und die beiden konferierten miteinander, ehe sie in die Hauptstadt abreisten. Grandi beschloß jetzt, nach Rom zurückzukehren und sich wieder in die politische Arena zu begeben, die er seit Juni gemieden hatte.

Am Morgen des 21. Juli suchte er Scorza auf, der ihm mitteilte, Mussolini habe ihm, soeben aus Feltre zurückgekehrt, „beim Aussteigen aus dem Zug" befohlen, den Großrat für den 24. Juli einzuberufen. Bei diesem Gespräch in Scorzas Arbeitszimmer gab ihm Grandi anscheinend den Entwurf seiner Entschließung; denn er empfing, wie Mussolini berichtet, am gleichen Morgen zur gewohnten Stunde den Parteisekretär zum Vortrag und erhielt bei dieser Gelegenheit eine Abschrift. „Ich las das Dokument durch — es war ziemlich lang, über drei Seiten — und gab es Scorza zurück mit dem Bemerken, es sei unzulässig und verächtlich. Scorza packte es wieder in seine Aktentasche und bestand nicht weiter darauf. Bei dieser Gelegenheit machte Scorza ziemlich zweideutige Redensarten über eine . Sensation’ oder . Supersensation', die vielleicht bevorstehe — Redensarten, denen ich keine große Bedeutung beimaß." Grandis Dokument war in keiner Weise revolutionär, und seine Lösung war trügerisch einfach. Er gab nicht dem Wesen des faschistischen Staates die Schuld, sondern dem Geist, in dem er gehandhabt wurde. Die politischen Methoden des Duce — oder das Fehlen solcher Methoden — hätten das Regime aus den Fugen gebracht. Gelang es nicht, Mussolini hiervon zu überzeugen, so blieb nur noch die Geltendmachung der königlichen Vorrechte — ein unberechenbares, unerprobtes Mittel, das in der zwanzigjährigen Geschichte des Faschismus noch nie angewandt worden war. Und hier tappte Grandi genauso im dunkeln wie alle anderen, und auch er war am Ende der Gefoppte. Sorgfältig berechnend und unter Einsatz seines ganzen politischen Kapitals machte er sich daran, Unterstützung für sein Projekt zu gewinnen, nicht als Verschwörer, sondern in erster Linie als Politiker. Mittags verließ er Scorzas Büro und begab sich zunächst in Federzonis Haus, wo er auch Bottai antraf. „Wir drei dachten alle gleich. Es bedurfte keiner Diskussion."

Sodann versuchte Grandi ein letztes Mal, den Duce zu bewegen, seine Vorschläge anzunehmen, sei es nach der Debatte im Großrat, sei es ganz ohne Zusammentritt dieses Gremiums. Grandi hatte nie die Einberufung des Großrats verlangt, wohl weil er fürchtete, damit dem Parteiapparat unter Führung Scorzas oder Farinaccis oder beider ein Zentrum zu schaffen. Auch war der Großrat das traditionelle Forum, wo Mussolini seine Autorität gegenüber den Führern des Regimes zu bekräftigen pflegte. Später stellte Grandi die Sache so dar, daß Mussolini die Einberufung erst nach einem Gespräch mit Hitler endgültig genehmigt habe; Hitler habe den Schritt durch Hinweise auf den „Verrat“ vieler Großratsmitglieder provoziert. Letztlich seien also die Deutschen für die Sitzung verantwortlich gewesen; in Wirklichkeit hätten sie die Absicht verfolgt, Farinacci den Rahmen für einen dramatischen Auftritt zu schaffen: er sollte den in Feltre konzipierten deutschen „Plan" für Italien verkünden und den Duce vor vollendete Tatsachen stellen.

Um 17 Uhr (am 21. Juli) wurde Grandi im Palazzo Venezia empfangen. Offiziell kam er, um dem Duce ein Exemplar eines Buches über das Londoner Nichteinmischungskomitee zur Zeit des spanischen Bürgerkrieges zu überreichen. Als er im Palazzo eintraf, zeigte ihm der Diener die Besucherliste: ihm waren zwanzig Minuten zugestanden worden. Beim Durchschreiten des Vorraums — des Großratssaales, der schon für die Sitzung hergerichtet war — bemerkte Grandi einen hohen deutschen Offizier, der dort saß. Der Diener sagte ihm, es sei Feldmarschall Kesselring, den der Duce anschließend zu einer längeren Besprechung empfangen werde.

Laut Mussolini „berührte Grandi in der Unterhaltung verschiedene Punkte, sagte aber nichts von dem, was kommen sollte". Grandi hat berichtet, das Gespräch, das „mindestens dreiviertel Stunde" dauerte, sei nicht stürmisch verlaufen, wie später behauptet worden ist. „Ich sagte Mussolini alles, was ich ihm zu sagen hatte und was ich ihm später vor dem Großrat wiederholte.“ Der Duce habe geduldig zugehört und am Schluß in ruhigem Ton geantwortet: „Sie hätten recht, wenn der Krieg verloren wäre." Die Deutschen seien dabei, eine Geheimwaffe herzustellen, welche die Lage grundlegend verändern werde. Er, Grandi, habe ihn gebeten, von der Einberufung des Großrats abzusehen und die in dem Entschließungsentwurf enthaltenen Vorschläge von sich aus zu verwirklichen. Hier habe sich Mussolinis Haltung versteift: „Ich will die Zügel niemandem übergeben.“ Grandi verabschiedete sich. Es war das letzte Mal, daß die beiden unter vier Augen miteinander gesprochen hatten.

Die sonstigen Zeugnisse über diese bedeutungsvolle Unterredung sind spärlich. Giacomo Acerbo, der Finanzminister, berichtet: „Im Palazzo Venezia traf ich Grandi, der gerade aus dem Arbeitszimmer des Duce kam; er bestätigte mir, daß dieser, wenn auch zähneknirschend, die Einbringung des Antrags genehmigt hatte." Am gleichen Abend schrieb Bottai in sein Tagebuch: „Ich ging wieder zu Grandi, der eben aus dem Pallazzo Venezia zurückgekommen war, wo er Mussolini . gereizt wie einen Löwen, aber nicht viel dahinter’ vorgefunden habe. Er habe mit ihm sprechen und ihm einige harte Dinge sagen können. Vor allem habe er erreicht, daß nur über eine nationale Regierung und die Rückgabe des vollen Oberbefehls an den König gesprochen wurde."

Am nächsten Tag unterrichtete Kesselring den deutschen Botschafter über Grandis Besuch. „Generalfeldmarschall Kesselring ... erzählte mir, daß er beim Duce ... längere Zeit habe warten müssen, da Grandi beim Duce gewesen sei. Des letzteren Audienz hat mindestens dreiviertel Stunde gedauert. Duce habe Feldmarschall gegenüber sich wegen Verzögerung mit Empfang Grandis entschuldigt und diesen dabei als . einen treuen Mann'bezeichnet. Im Zusammenhang mit Farinaccis gestriger Mitteilung an mich, daß Grandi, obwohl von ihm zur Teilnahme an dem gemeinsamen Schritt beim Duce aufgefordert, diesem ferngeblieben sei und sich mit Krankheit entschuldigt habe. scheint mir dieser Empfang Grandis durch den Duce höchst beachtlich.'

Das *„Beachtliche — und vom deutschen Standpunkt Gefährliche — konnte darin liegen, daß Mussolini im Begriff war, wie im Februar die Taktik der „Wachablösung" anzuwenden, diesmal aber mit dem entgegengesetzten Ziel: Bildung einer Regierung, die sich um eine „politische" Beendigung des Krieges bemühen sollte. War dies der Fall, dann war Grandi der gegebene Außenminister.

Um so dringender wurde es notwendig, daß Farinacci und seine Freunde handelten. Makkensen schloß sein Telegramm an Ribbentrop mit einem Satz, der wohl eher Bedauern ausdrückte: „Einberufung großfaschistischen Rates ist bis zur Stunde, soweit mir bekannt, noch nicht erfolgt."

Offenbar hatte Mussolini nach seiner Rückkehr aus Feltre nicht um eine Sonderaudienz beim König gebeten, noch hatte dieser eine vorgeschlagen. Der Duce wurde routinemäßig am Donnerstag, dem 22. Juli, vormittags empfangen. Seit seiner Machtübernahme vor zwanzig Jahren war er jeden Montag und Donnerstag im Quirinal zur Audienz erschienen. In den letzten Monaten hatten es die beiden, wie es scheint, vermieden, einander durch eine ernsthafte Erörterung der heraufziehenden Krise in Verlegenheit zu bringen. Alfieri schrieb: „Auf diese Weise war zwischen dem König und dem Duce eine neutrale Zone entstanden, die beide aus entgegengesetzten Gründen nicht zu betreten wünschten."

Mussolini fand den König „finster und nervös. . Eine gespannte Lage', sagte er. Es kann nicht mehr lange so weitergehen ... Wir müssen den Deutschen unser Dilemma klarmachen’. * Später schilderte der König die Szene: „Mussolini kam, um mit mir zu sprechen ... Ich hörte mir den Bericht des Ministerpräsidenten an In Feltre habe Hitler ganz allein geredet und zu beweisen gesucht, daß der Krieg nicht verloren sei Ich bemerkte, in Rußland, in Afrika und auch in Sizilien hätten sich die Deutschen ohne Rücksicht auf den Pakt oder auf die Ehre zurückgezogen und uns im Stich gelassen, wenn sie den rechten Augenblick für gekommen hielten. Die Lage in Italien sei so. daß das Dilemma den Deutschen klargemacht werden müsse ... Ich wolle meinem Land Ruin und Leiden ersparen, statt alles einem jetzt sinnlos gewordenen Widerstand zu opfern Mussolini begann mir von den deutschen Geheimwaffen zu erzählen Ich unterbrach ihn-. Die besten Geheimwaffen sind die welche am besten bekannt sind 'Er verabschiedete sich von mir Der Rest ist bekannt " Wie Puntoni berichtet, fand er den König nach Mussolinis Weggang „finster blikkend und mürrisch. Erst schien es, als hätte er Mühe zu sprechen; schließlich sagte er, wie um sich von einer drückenden Last zu befreien:

Ich habe versucht, dem Duce begreiflich zu machen, daß seine Person nicht nur die Zielscheibe der Feindpropaganda, sondern auch der öffentlichen Meinung ist, daß sie eine innere Gesundung und eine Klärung unserer militärischen Lage verhindert. Er hat mich nicht verstanden oder wollte mich nicht verstehen. Es war, als redete ich in den Wind.“

Die offiziellen Einladungen zur Sitzung des Großrates am Sonntag, dem 24. Juli, waren am Vortag ergangen. Grandi und seinen Freunden blieben gerade noch zwei Tage, ihre politische Aktion unter Dach und Fach zu bringen. Es ging darum, sich noch vor der Sitzung den Beistand der Mehrheit der Großratsmitglieder zu sichern. Die innere Gruppe einigte sich auf eine einfachere Fassung des Entschließungsentwurfs und begann, Unterschriften zu sammeln. Von seiner Unterredung mit dem Duce ging Grandi zu Scorza. Er teilte ihm mit, daß er seinen Antrag einbringen werde, und kehrte dann zu seinen Freunden, Ciano, Bottai, Federzoni und anderen, zurück. Scorza wurde über ihre Beratungen und Absichten auf dem laufenden gehalten. De Marsico, der Justizminister, suchte Grandi am Abend auf und wirkte mit seinen juristischen Kenntnissen an der Neufassung des Dokuments mit.

Am Vormittag des 23. Juli herrschte im Palazzo Wedekind, dem Sitz der Parteiführung, lebhaftes Kommen und Gehen. Gegen Mittag erschienen Grandi und Bottai; sie trafen Ciano im Gespräch mit dem Parteisekretär an. Später, während des Verhörs in seinem Prozeß, erklärte Ciano: „Ich fand ihn [Scorza] etwas zerstreut und niedergeschlagen; er hielt die Lage für ernst, meinte aber nichtsdestoweniger, daß die Partei genügend Kräfte und Mittel besitze, um die Dinge an der Heimatfront in der Hand zu behalten. Während des Gesprächs erschien Grandi; er sprach von der Notwendigkeit, die Stimmung der Nation zu heben, und erwähnte eine Entschließung, die er entworfen habe und der mehrere Kameraden im Prinzip zugestimmt hätten, darunter *Federzoni. Dann erschien Farinacci im Parteihauptquartier. Mit seiner Ankunft änderte sich der Ton; Erinnerungen an vergangene mörderische Kämpfe innerhalb des herrschenden faschistischen Clans wurden wach. Der Boß von Cremona war stets ein „Unberührbarer" gewesen. Seine Konzeption vom Faschismus als permanente Revolution hatte mit der „konstitutionellen" Richtung Grandis, Federzonis und Bottais nichts gemein. Seine Anwesenheit störte in diesem Augenblick, da seine engen Beziehungen zur deutschen Botschaft und zu anderen deutschen Stellen in Rom kein Geheimnis waren und Grandi und seinen Freunden im gegenwärtigen Zeitpunkt aus taktischen Gründen nichts daran lag, den Eindruck der Illoyalität gegenüber der Achse zu erwecken. Offiziell zielte ihr Programm auf eine politische und militärische Reorganisation zwecks Fortführung des Krieges. Bottai notierte: „Wir alle fühlten, in welchem Sinne und in welchen Schranken er seine Zustimmung gab: Solidarität jusqu'au baut mit den Deutschen." Farinacci ließ sich nicht narren und hatte für alle Fälle seine eigene Lösung parat. Am 22. Juli, nach seinem Gespräch mit dem deutschen Botschafter, hatte er in seinem Hause zusammen mit Cavallero eine Entschließung entworfen, die er seinerseits dem Großrat vorzulegen gedachte. Er kannte jetzt Grandis Antrag und mag sich sogar bereit erklärt haben, ihn zu unterschreiben, vielleicht um die anderen zu täuschen. Es gibt keinen Beweis dafür, daß er von seinen Absichten etwas verlauten ließ. Sein Entwurf folgte insofern dem Grandis, als er den König nominell aufforderte, das Oberkommando über die Streitkräfte zu übernehmen, aber er betonte die Notwendigkeit, „fest zu den übernommenen Bündnisverpflichtungen zu stehen" und alle Staatsorgane zu erneuern, auch die Partei und die Korporationen, die in Grandis Entwurf nicht erwähnt wurden.

Seine private Taktik hatte Farinacci im voraus festgelegt. Er wollte darauf dringen, noch am Abend der Großratssitzung Ambrosio als Generalstabschef abzusetzen und Cavallero zurückzuberufen. Für sich selbst hatte er den Posten des Innenministers vorgesehen, und die „defätistischen" Parteichefs, zumindest aber Grandi, sollten verhaftet werden.

Wie Grandi aus Bologna, so war Ciano am 17. Juli aus Livorno, wo er einige Zeit in diplomatischer Zurückgezogenheit in seinem Elternhaus verbracht hatte, nach Rom zurückgekehrt. An jenem Nachmittag nun saßen die beiden mit Bottai zusammen und überarbeiteten den Entwurf, zuerst in Grandis Büro und dann in Bottais Haus. Dort schloß sich Ciano ihrem Aktionsplan an. Er meinte zwar, der Großrat sei nicht der rechte Ort für ein solches Ultimatum, „da seine Zusammensetzung nicht rein politisch sei", sah aber ein, daß „der Tag entscheidend für uns alle sein werde". Das vorhandene Material gibt keinen klaren Aufschluß über seine Rolle in diesen Stunden. Anfuso, der während des alliierten Bombardements vom 19. Juli in Rom angekommen war, suchte kurz danach Ciano auf, der den Luftangriff beobachtet hatte. „Ciano befand sich in seiner Wohnung; er hatte eine politische Krankheit, die an den zahlreichen Fäden der zahlreichen Verschwörungen aufgehängt war." Das Haus war voller Fürstinnen und Gräfinnen. Einmal erschien Cini und zog sich mit Ciano zu einer vertraulichen Besprechung zurück. Beim Gehen sagte Cini, Mussolini sei verrückt, und man müsse den Mut haben, ihn wegzuschicken. Inmitten des Gedränges der Besucher zog Ciano Anfuso beiseite: „Begreifst du denn nicht, daß alles zu Ende ist! Ich kann dir nichts sagen, aber du mußt verstehen ..."

Am nächsten Morgen, dem 24. Juli, fand in Grandis Amtszimmer die letzte Zusammenkunft der Gruppe statt. Scorza hatte eine Abschrift der endgültigen Fassung des Entschließungsentwurfs erhalten. Farinacci kam dazu und schien mit allem einverstanden zu sein, ausgenommen die größeren Vollmachten für den König. Alfieri, der italienische Botschafter in Berlin, war von Scorza nach Rom gerufen worden. Auch er akzeptierte vorbehaltlos die Grundlinie von Grandis Dokument. Um weitere Unterschriften wurde geworben. Cianetti, der Landwirtschaftsminister, erschien und erklärte sein Einverständnis. Später schilderte Cianetti die Szene wie folgt: „Grandi sagte wörtlich zu mir: . Lieber Cianetti, es handelt sich darum, den Duce von der totalen Verantwortung für die Kriegführung zu entlasten; die Monarchie, der wir Glanz und Schimmer gegeben haben, muß mit einbezogen werden. ’ " Federzoni hatte bei der „Alten Garde“, de Vecchi und de Stefani, sondiert; auch sie erklärten sich einverstanden, unterschrieben aber nicht.

Kurz nach seiner Ankunft in Rom wurde Grandi zu Acquarone gebeten, doch beschloß er, ihn erst nach der Sitzung des Großrates aufzusuchen. Er schickte seinen Freund Mario Zamboni, der seine Ablehnung erklären sollte: „Was wir für die Großratssitzung vorbereiten, ist höchst gefährlich, und deshalb möchten wir die Krone nicht exponieren. Es ist unser Ziel, dem König jene . verfassungsmäßige Handhabe'zu liefern, die, wie der Souverän stets erklärt hat, die unerläßliche Voraussetzung seines Handelns ist. Wir beabsichtigen nicht, mit dem Hof zu . konspirieren', und noch weniger mit der Armee. Die Generale werden nie etwas unternehmen, es sei denn, der König befiehlt es ihnen. Der König allein ist der Schlüssel zu allem."

Am 24. Juli, eine Stunde vor dem Zusammentritt des Großrats, sprach Zamboni noch einmal bei Acquarone vor und überbrachte ihm einen Brief Grandis an den König sowie eine Abschrift der Entschließung, die in der Sit-B zung eingebracht werden sollte. „Ich habe die Ehre, Euer Majestät mitzuteilen, daß ich in Kürze nach dem Palazzo Venezia aufbrechen werde, um dem Großrat die beiliegende Entschließung zu unterbreiten, deren Text zu lesen ich Euer Majestät bitten möchte ... Ich weiß nicht, ob die im Einverständnis mit anderen Mitgliedern ergriffene Initiative bei den Versammelten eine Mehrheit finden wird. Wir haben es für richtig gehalten, das Äußerste zu versuchen, um die verfassungsmäßigen Bedingungen für eine Wiederherstellung der gesetzlichen Garantien und der Prärogative des Souveräns zu schaffen."

Die Ereignisse des 23. Juli, gipfelnd in der Erörterung von Grandis Entschließungsentwurf im Parteihauptquartier, hatten in den Führungskreisen der faschistischen Partei eine trügerische Atmosphäre der Einmütigkeit geschaffen Scorza trat als Fürsprecher einer politischen Bestrebung von gesamtnationaler Bedeutung auf, die weit über den Zuständigkeitsbereich des Parteisekretariats hinausgriff, und erweckte damit bei jüngeren -Partei chefs wie Bignardi den Eindruck, daß die offizielle Parteiführung — sogar mit Wissen Mussolinis — Grandi unterstützte.

An jenem Abend gegen 20. 30 Uhr rief Scorza die vier Vizesekreiäre der Partei in sein Arbeitszimmer. Einer von ihnen hat die Kernpunkte seiner Ansprache festgehalten: „Sie haben gesehen, daß in den letzten Tagen hier im Parteihauptquartier ein lebhaftes Kommen und Gehen von Parteichefs und hohen Persönlichkeiten herrschte Ich sage Ihnen gleich, daß einige daran denken, den Duce abzulosen. Nun, ich habe Grandi, dem Wortführer dieser Gruppe gesagt, daß ich mich an ihrem Plan in keiner Weise beteilige. Meiner Ansicht nach würde die Ablösung des Duce die Lage nur verschlimmern Für den Augenblick halten sich alle dem Parteihauptquartier und mir persönlich fern Sie werden bemerkt haben, daß sich seit gestern früh keiner von ihnen hier hat blicken lassen Jetzt, wo alles mögliche geschehen kann, muß jeder von uns selbst die volle Verantwortung tür sein Tun übernehmen Deshalb habe ich eine eigene Entschließung entworfen, von der niemand etwas weiß, nicht einmal der Duce, und ich werde sie morgen selbst in der Sitzung des Großrats vorlegen Ich will sie Ihnen vorlesen, weil ich wissen mochte, wie jeder von Ihnen darüber denkt "

Der Text — nunmehr der dritte, der in der Sitzung eingebracht werden sollte — war in der hohlen Phraseologie von Parteiautrufen abgelaßt, aber er ist verblüffend interessant, weil er Licht aut Scorzas eigene Stellung zur Krise des Regimes wirft. „Der Großrat ist überzeugt, daß der von den Kriegsereignissen geschaffenen neuen Lage mit neuen Methoden und Mitteln begegnet werden muß." Es sei dringend notwendig, „in der Regierung, im Oberkommando und im inneren Leben des Landes ... Reformen und Neuerungen" einzuführen. Der Großrat „grüßt in Seiner Majestät dem König . .. das Sinnbild der Kraft und Dauer der Nation". Höchst bezeichnenderweise war in Scorzas Entwurf nicht die Rede von der Übertragung militärischer Befugnisse an die Krone.

Die vier Parteifunktionäre pflichteten einmütig bei und unterzeichneten am nächsten Morgen (24. Juli) eine Erklärung in diesem Sinne.

Inzwischen war Scorza offenbar bei Mussolini gewesen, und dieser hatte ihm mitgeteilt, er sei bereit, in seiner Eröffnungsrede im Groß-rat die von Scorza vorgeschlagenen Reformen und Neuerungen zu verkünden.

Seit zwanzig Jahren galt es als Pflicht der Partei und ihrer bewaffneten Verkörperung, der Miliz, das Regime bis zum äußersten zu verteidigen, überall kursierten Gerüchte von Verschwörungen. Scorza selbst erzählte dem Duce von einem Bericht über eine geheime Zusammenkunft von Generalen, die beschlossen hätten, Mussolini zu verhaften und Badoglio an seine Stelle zu setzen. Der Duce sagte dazu nur-„Erzählen Sie keine Detektiv-geschichten.“ Nichtsdestoweniger war die Partei verpflichtet. Gegenmaßnahmen zu treffen und dem Duce Empfehlungen zu geben.

Verläßliche Berichte wiesen auf Ambrosio als die Zentralfigur der sich bildenden Verschwörung gegen den Faschismus. In einer geheimen Versammlung ausgewählter Parteichefs am 22. Juli wurde über seine Absetzung diskutiert. Scorza schlug vor, an seine Stelle Graziani zu setzen, der 1940 kurze Zeit Stabschef des Heeres gewesen war. Einer der Anwesenden, Alessandro Melchiorri, erhielt den Auftrag, über den Privatsekretär Grazianis dessen Einstellung zu erkunden. Wie es scheint, kam Graziani am Morgen des 24. Juli nach Rom, und über die beiden Mittelspersonen wurde vereinbart, daß er sich zur Verfügung des Duce halten solle. Melchiorri schrieb einen Brief, der noch vor der Großratssitzung an de Cesare. Mussolinis Privatsekretär. abgesandt wurde Der Schreiber gab an, er „habe erwähnen hören, daß Graziani den König besuche und sich mit Badoglio treffe oder irgendwie verständige". Diese Mitteilung sei wahrscheinlich dem Chef der Polizei in gutem Glauben gemacht worden, weil eine der wenigen Personen, mit denen Graziani Umgang pflege, gegenüber von Badoglios Haus wohne und eine andere in der Nähe der königlichen Villa Savoia. Graziani leugne, daß derartige Treffen stattgefunden hätten, und betrachte Badoglio „als seinen schlimmsten Feind". Auch habe er Melchiorri gesagt, falls es der Duce für nötig oder richtig halte, werde er, Graziani, ihm stets zur Verfügung stehen. Melchiorri fügte seinem Brief in aller Eile eine Nachschrift hinzu, in der er sagte, Graziani „hofft noch immer, daß der Krieg zu einem günstigen Abschluß gebracht werden kann", es müsse jedoch „ein ehrenhafter Abschluß" sein.

Die Benennung Grazianis als Nachfolger Ambrosios war vielleicht der Hauptpunkt in Scorzas „Plan". Mussolini wußte vor der Sitzung, daß diese Karte im Spiel war, und er wußte auch, daß Scorza die Absicht hatte, unter gewissen Bedingungen im Großrat diesen Vorschlag zu machen.

So hatte jede Partei ihren eigenen Militär: der König setzte auf Badoglio, Grandi auf Caviglia und Mussolini jetzt vielleicht auf Graziani.

Der Duce hatte Kenntnis von den Manövern, die rund um ihn im Gange waren. Er wußte von Grandis Entschließung und von den Richtungen innerhalb der Partei. Am Abend des 23. Juli unterrichtete ihn Chierici, der Chef der Polizei, über die Kontakte zwischen den einzelnen Großratsmitgliedern und äußerte die Ansicht, daß sich wahrscheinlich schon die Mehrheit der Stimmberechtigten für Grandis Antrag entschieden habe. Mussolini war vor Verschwörungen an allen Edeen und Enden gewarnt worden, bei Hofe, im Generalstab. Ähnliche Berichte erhielt er nun schon seit zwanzig Jahren immer wieder von der Polizei, von alten Parteimitgliedern und anonymen Denunzianten. Das Motiv des Verrats innerhalb und außerhalb des Regimes überschattet die ganze Geschichte des Faschismus. Spezialist in solchen Warnungen war Farinacci; sein Lieblingsthema waren „die Verräter im Generalstab". In seinem Brief vom 24. Juli schrieb Melchiorri: „Marschall Badoglio hat erklärt, er sei kein mexikanischer General und werde nicht als solcher handeln. Nach Graziani bedeutet dies, daß Badoglio keine Piazza-Revolution in mexikanischem Stil anzetteln, sondern konstitutionell vorgehen oder es wenigstens versuchen will, da der größte Anteil des Generalstabs für ihn ist und er auf die Unterstützung des Hauses Savoyen hofft." Das war, wie sich erweisen sollte, eine genaue Voraussage.

Nach der Darstellung des Duce war Grandi in den letzten Stunden unschlüssig und beunruhigt. „Am Donnerstag und Freitag [22. und 23. Juli] herrschte an der Piazza Colonna, wo sich im Palazzo Wedekind der Sitz der Parteiführung befand, lebhaftes Kommen und Gehen.

In einem bestimmten Augenblick äußerte Grandi den Gedanken, die Sitzung des Groß-rats zu verschieben — ein kluger Schachzug, der nach einem Alibi aussah. Scorza rief an und fragte, ob das möglich sei. Ich antwortete, es sei jetzt unbedingt notwendig, zu einer allgemeinen Klärung der Lage zu kommen.

Das Datum war festgesetzt. Die Einladungen waren ergangen. Von allen Verfassungsorganen, deren Zusammentritt in jener Woche ins Auge gefaßt war — Kammer oder Senat —, war der Großrat am geeignetsten, die Probleme des Krieges im Lichte der jüngsten Ereignisse, wie der Invasion des vaterländischen Bodens, zu erörtern."

Mussolini selbst war ruhig und befand sich, wie immer in solchen Augenblicken, in „splendid Isolation“. Der deutsche Botschafter sprach mit ihm am 23. Juli — es sollte das letzte Mal sein.

„Meine Audienz beim Duce zwecks Übergabe der Niederschrift des Gesandten Schmidt über die Unterhaltung Führer—Duce in Feltre hat durch die starke Inanspruchnahme des Duce infolge der innerpolitischen Krise und schließlich infolge Luftalarms erst um dreizehn Uhr stattfinden können. Duce bedankte sich für Übermittlung Niederschrift, durchlas sie in einzelnen Teilen und bemerkte alsdann, er halte sie für eine fast stenographisch genaue Wiedergabe der Ausführungen des Führers. Er einging sodann in langen Ausführungen an Hand einer Karte Siziliens auf militärische Lage, die deutlich erkennen ließen, wie sehr ihn Ausführungen des Führers beeindruckt haben. Er fand für die Notwendigkeit, aber auch für die Voraussetzungen erfolgreichen Durchhaltens in Sizilien Ausdrücke, die wörtlich dem entsprachen, was der Führer zu diesem Thema gesagt hat. Wesentlich abweichend freilich war auch diesmal wieder seine immer noch weit übersteigerte Einschätzung des Kampfwertes der dort eingesetzten italienischen Divisionen ... Die ruhige und sichere, betont zuversichtliche Art, mit der Duce sprach, ließ in keiner Weise erkennen, daß er innerpolitisch inmitten der schwersten Krise steht, die das Regime seit Matteotti durchzumachen hat."

In einem Telegramm, das fast gleichzeitig — in den frühen Morgenstunden des 24. Juli — abging, berichtete Mackensen:

„Im Zusammenhang mit zweifellos schwerer Krise, die die faschistische Staatsführung zur Zeit durchläuft und deren weittragende Bedeutung mir über die Mitteilungen von Fari-B nacci hinaus von anderen zuverlässigen Seiten bestätigt wird, erscheint es mir in der Tat höchst beachtlich, wenn der Duce in der Person des in seiner Haltung seit längerer Zeit bewußt undurchsichtigen Grandi in der Situation, wie sie der Kollektivschritt Farinaccis, Bottais und so weiter ausgelöst hat, in langer Audienz, einen Mann empfängt, der an diesem Schritt teilzunehmen abgelehnt hat, sich also mit der Gruppe Farinacci nicht identifizieren will, obwohl zu dieser Gruppe niemand geringerer als der Parteisekretär Scorza gehört. Es ist nicht nur meine Ansicht, daß der Duce sich unter Umständen Grandis bedienen will, um zu versuchen, aus der für ihn höchst unerquicklichen Situation anders als durch ein Nachgeben an die Gruppe Farinacci herauszukommen. Eine der wesentlichsten Forderungen dieser Gruppe hat er inzwischen dadurch erfüllt, daß er, wie ich aus bester Quelle höre, tatsächlich den Großfaschistischen Rat auf morgen Sonnabend einberufen hat."

Mackensen nahm fest an, die Initiative in der kommenden entscheidenden Sitzung der Führer des Regimes werde in den Händen Farinaccis und seiner Freunde liegen. „Das Bestreben der Gruppe Farinacci läuft nicht zuletzt darauf hinaus, selbstdenkende und selbst-handelnde Minister zu schaffen, die nicht lediglich Befehle des nach ihrer Ansicht nicht immer vollständig informierten und daher zu schiefen Entscheidungen kommenden Duce ausführen, sondern auf Grund von Sachkenntnis und unter Ausnutzung aller Informationsquellen über das Bestmögliche ihr Amt verantwortlich verwalten."

Am gleichen Tag telegrafierte Rintelen an das Oberkommando der Wehrmacht: „Der faschistische Großrat tagt am 24. 7. Dieser Sitzung ist unter Umständen große Bedeutung beizumessen. Es verlautet, daß eine Gruppe des faschistischen Großrates eine stärkere und energischere Staatsführung fordern will. Man spricht auch davon, daß der Duce veranlaßt werden soll, die persönliche Leitung der drei Wehrmachtsministerien abzugeben."

In den geschlossenen Kreisen des italienischen Hoi es und des Oberkommandos traf man die letzten technischen Vorkehrungen, um für den Fall, daß der Duce vom König entlassen wurde, gerüstet zu sein.

Wie der ehemalige Polizeichef Senise berichtet, wurde er — offenbar am Nachmittag des 19. Juli — zu Acquarone gebeten. Acquarone fragte ihn „aus persönlicher Neugier" nach seiner Ansicht „über die offenkundigen Bestrebungen der oppositionellen Faschisten wie Grandi, Ciano und Bottai, die Nachfolge Mussolinis anzutreten". Senise meinte, eine derartige Regierung komme nicht in Frage. Acquarone fragte weiter, wie sich die Partei und die Miliz verhalten würden, wenn der König eine Entscheidung träfe. Die Antwort lautete:

„Bei der Partei würde es genügen, ohne Furcht vor Widerstand von seifen der Faschisten zur Auflösung zu schreiten ... Die Miliz sei ungefähr ebenso gesinnt wie die Partei, aber es wäre gefährlich, bewaffnete Männer nach Hause zu schicken, und das beste wäre, alle Einheiten unter einem energischen General in die Armee einzugliedern." Acquarone wollte wissen, was man mit Mussolini nach seiner Amtsenthebung anfangen solle. Senise erwiderte, der König müsse den Duce in den Quirinal rufen und dort, „im Palast selbst", festnehmen lassen. Wenn man ihm erlaube, das Gebäude zu verlassen, „würde dies eine ernste Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit des Landes darstellen".

Anscheinend kam Acquarone in dieser Unterhaltung auch auf die Zusammensetzung der Regierung zu sprechen, die den Duce ablösen sollte. Senise behauptet, er habe angeregt, den Ministerpräsidenten des Ersten Weltkrieges, Vittorio Emmanuele Orlando, heranzuziehen.

Zwei Tage später, am 21. Juli, ließ Acquarone wiederum Senise zu sich kommen und sagte ihm, der König habe beschlossen, „den Staatsstreich durchzuführen". An der Spitze der aus hohen Offizieren und Beamten zusammengesetzten neuen Regierung werde Badoglio stehen. Den Deutschen werde man sagen, daß Italien weiterkämpfe. Der König wünsche, daß Senise das Innenministerium übernehme. Senise lehnte jedoch ab, und man einigte sich darauf, daß er wieder Polizeichef werden sollte.

Für die technische Durchführung des Staatsstreichs, die schon seit Monaten vorbereitet wurde, sollte Senise verantwortlich sein. Dazu gehörten die Verhaftung des Duce, die Besetzung des zentralen Fernsprechamts, die Auflösung der faschistischen Partei, die Eingliederung der Miliz in die Armee und eventuell die Dienstverpflichtung der Eisenbahn-und Postarbeiter. Senise bestand jedoch darauf, daß der Duce nicht von der Polizei festgenommen würde — „die noch Chierici untersteht, der bestimmt nicht eingeweiht werden kann" —, sondern von den Carabinieri; denn hierfür müsse die neue Regierung die Verantwortung übernehmen, und formal sei er, Senise, nicht einmal aktiver Beamter. Die Liste der zu verhaftenden Faschistenführer sei schon vor einiger Zeit aufgestellt worden, und auch die anderen vorgesehenen Maßnahmen könne die Polizei treffen. Die beiden vereinbarten, „in ein paar Tagen" wieder zusammenzukom16 men. Am gleichen Nachmittag erhielt Senise von Acquarone die Anweisung, sich für den 25. Juli bereitzuhalten.

Wie Castellano berichtet, sagte ihm Acquarone am 20. Juli, der König habe beschlossen, Badoglio „in sechs oder sieben Tagen“ ans Ruder zu bringen. Der Duce werde wahrscheinlich am Montag, dem 26. Juli, während der üblichen Audienz beim König verhaftet werden. Das solle nicht durch Polizei geschehen, wie Senise mit feinem Sinn für Legalität Acquarone klargemacht hatte.

Das Element der Gewalt mußten daher die Carabinieri stellen, jene traditionell monarchistisch-piemontesische Truppe, die noch im vorfaschistischen Italien wurzelte. General Hazon, der sie seit Februar befehligte, stand seit Kriegsausbruch dem Hof nahe. Doch er kam bei dem alliierten Luftangriff auf Rom am 19. Juli ums Leben. Hastig suchte man nach einem Nachfolger; die Wahl fiel auf General Angelo Cerica von der Forstmiliz. Der neue Kommandeur, der sich in der Nähe von Florenz im Urlaub befand, übernahm seinen Posten erst am 22. Juli. Ambrosio trat sofort am nächsten Morgen an ihn heran, und laut Castellano wurde die Festnahme des Duce bis ins einzelne vorbereitet.

Neben den Carabinieri ergriff auch die Armee Vorsichtsmaßregeln für den Fall eines Gegen-staatsstreichs der Faschisten. General Roatta, der Stabschef des Heeres, war schon bei seiner Ernennung Anfang Juni von Ambrosio auf einen bevorstehenden Regierungswechsel hingewiesen worden. „Unmittelbar vor der Sitzung des Großrats nahm ihn Ambrosio nach einer Konferenz der Stabschefs, in der er diese Fragen nicht erwähnt hatte, beiseite und befahl ihm, bestimmte . schon bezeichnete’ bewegliche Verbände nach Rom zu verlegen.

Am 21. Juli wurde General Carboni, der unternehmende, ehrgeizige junge General, den Ciano in der Kampagne, die Cavalleros Entlassung voranging, „lanciert" hatte, zum Befehlshaber eines in Aufstellung begriffenen motorisierten Korps bei Rom ernannt, mit dem Auftrag, die Hauptstadt zu verteidigen, falls es unter deutschem Einfluß zu faschistischen Gegenaktionen käme. Am nächsten Abend, in der Routinekonferenz der Stabschefs, gab Ambrosio folgenden offiziellen Befehl: „Um die Verteidigung der Hauptstadt gegen etwaige Landeversuche zu sichern, sollen bestimmte Verbände in Latium [der die Hauptstadt umschließenden Provinz] näher an Rom herangeführt werden.“ Aus Sicherheitsgründen hatte Ambrosio in diesen Besprechungen seit dem 10. Juli nur mündliche Befehle erteilt. Nach Feltre war beschlossen worden, die drei

Divisionen, die das jetzt Carboni unterstehende motorisierte Korps bildeten, um Rom zusammenzuziehen. Diese Truppenbewegung sollte Vorrang vor allen anderen haben, „einschließlich der Verteidigung gegen die Anglo-Amerikaner“. Die Nachricht, daß Einladungen zu einer Sitzung des Großrats für den 24. Juli, 17 Uhr, ergangen waren, elektrisierte das ganze politische Rom. So wie Grandi und seine Freunde in den zwei Tagen zwischen der Ankündigung und der Sitzung des Großrats ihren Kurs festlegen mußten, so mußten Acquarone und seine militärischen Verbindungsleute im Generalstab im gleichen Zeitraum, aber ganz getrennt, ihre Vorbereitungen abschließen. Es war durchaus möglich, daß Grandis Vorgehen den König in den Stand setzte, Mussolini „verfassungsmäßig“ zu entlassen; aber man mußte die Gefahr revolutionärer Aktionen der faschistischen Parteimiliz ins Auge fassen, ganz zu schweigen von örtlichen feindseligen Handlungen der Deutschen.

Am Morgen des 24. Juli besuchten Senise und Castellano den neuen Kommandeur der Carabinieri, General Cerica. Man vereinbarte, den kommandierenden Polizeioffizier der „Inneren Gruppe'in Rom und den Leiter der Transport-zentrale um Hilfe anzugehen. Die technischen Einzelheiten wurden Cerica überlassen, währen Castellano und Senise zusammen die Liste der festzunehmenden faschistischen Parteichefs durchgingen. Sie sollten gleichzeitig mit dem Duce verhaftet werden.

Am gleichen Vormittag suchten Acquarone, Ambrosio und Castellano den Marschall Badoglio in seinem Hause auf. Sie teilten ihm mit, daß der König beschlossen habe, Mussolini abzusetzen und ihn an seiner Statt zum Regierungschef zu ernennen, und zeigten ihm die von Orlando entworfene Proklamation der neuen Regierung. Zu diesem Dokument äußerte sich Badoglio nicht.

Später, im Laufe des Vormittags, traf Castellano mit Carboni zusammen. „Da Cerica nicht genügend Kräfte hatte, einen eventuellen Angriff der deutschen SS abzuwehren, beschlossen Carboni und ich, den Carabinieri nur die Verhaftungen zu überlassen, während Carboni mit seinen Truppen die Stadt militärisch besetzen sollte.“

Nun blieb abzuwarten, wie die Sitzung des Großrats ausging.

Die Sitzung des Großrats

»Ich hatte eine vertrauliche Sitzung im Sinn", schrieb Mussolini später, „in der jeder Gelegenheit haben sollte, Erklärungen zu verlangen und zu erhalten; eine Art geheimes Komitee. In Erwartung einer langen Diskussion wurde der Großrat für fünf Uhr nachmittags einberufen, statt, wie sonst üblich, für zehn Uhr abends.“

Nicht nur die Stunde, auch der äußere Rahmen war ungewöhnlich. In seiner ganzen zwanzigjährigen Geschichte hatte dieses innere Kabinett des Faschismus stets mit großem Zeremoniell getagt; von Miliz eskortiert, waren die Standarten und Insignien der Partei in den Palazzo Venezia getragen worden, wo die „Musketiere des Duce", seine Leibgardisten, Posten standen. Diesmal fehlten die äußeren Symbole von Macht und Einheit. De Cesare, der Privatsekretär des Duce, rief morgens den Milizkommandanten General Galbiati an und übermittelte ihm den Befehl, die Musketiere nicht zur Ehrenwache aufziehen zu lassen. Im Palazzo Venezia befand sich nur die Polizei-Leibwache, und vor dem Gebäude schritten vier Milizposten auf und ab. Der Balkon war nicht mit dem Parteibanner geschmückt. Von ein paar Detektiven in Zivil abgesehen, war der Platz vor dem Palazzo diesem heißen Sommernachmittag fast menschenleer. Nach dem Luftangriff vom 19. Juli hatten viele Einwohner die Stadt verlassen. Der letzte Akt des Regimes schloß nüchtern und ohne Begleitmusik.

Die Mitglieder des Großrats trafen kurz vor der festgesetzten Stunde nacheinander ein. Um kein Aufsehen zu erregen, parkten sie ihre Wagen im Innenhof. Mehrere von ihnen rechneten mit einem gewaltsamen Ende der Sitzung. Einige, so Federzoni und Grandi, waren vorher zur Beichte gegangen; andere hatten Waffen am Körper versteckt. Grandi bekannte später, daß er zwei Handgranaten bei sich hatte; eine davon gab er unter dem Tisch an de Vecchi weiter.

Im Ratssaal bildeten die Mitglieder kleine Gruppen. Die Sitze standen in der gewohnten Ordnung bereit: am Kopfende, auf einer mit rotem Brokat bedeckten Erhöhung, der Sitz des Duce; zu seiner Rechten hatte de Bono als ältester Quadrumvir des Marsches auf Rom seinen Platz, neben ihm de Vecchi, der andere noch lebende Träger dieses Titels; links vom Duce Scorza als Parteisekretär und neben diesem Suardo, der Senatspräsident. Die Stühle für die anderen waren an zwei langen Tischen aufgereiht, die einander gegenüber rechtwinklig zu dem Tisch standen, an dem der Duce präsidierte. Ein Stenograf war nicht anwesend;

der Bürostuhl im Innenraum des Hufeisens war leer.

Während man wartete, eilte Grandi von Gruppe zu Gruppe, um noch in letzter Minute Unterschriften für seine Entschließung zu sammeln. Fünf Minuten nach fünf erschien der Amtsdiener mit einer Aktenmappe in der Tür und kündigte den Duce an. Mussolini trat ein. Wie alle Anwesenden trug er Milizuniform. Scorza forderte zur rituellen Begrüßung des Führers auf. Dann nahmen die Mitglieder ihre Plätze ein.

Mussolini schlug ein dickes Aktenbündel auf, das vor ihm lag, und begann zu sprechen. Er habe den Großrat auf ausdrücklichen Wunsch derer einberufen, die Scorza auf seinen Befehl als Redner für die Versammlungskampagne in den Provinzen ausersehen habe; einige von ihnen hätten ihm erklärt, der Sinn dieser Maßnahme sei eine „Bekundung von Verantwortungsbewußtsein".

„Betrachten wir zunächst die Geschichte des Oberkommandos." Politische und militärische Kreise ihre Kritik auf jene, richteten schärfste die für die militärische Leitung des Krieges verantwortlich seien. „Lassen Sie sich ein für allemal gesagt sein, daß ich den Oberbefehl über die Streitkräfte im Felde, den mir der König am 10. Juni übertrug, nicht im mindesten gewünscht habe. Das geschah auf Initiative von Marschall Badoglio.“ Mussolini las drei Denkschriften Badoglios aus dem Mai und Juni 1940 vor, in denen entsprechende Vorschläge gemacht worden waren. Wie habe diese Regelung funktioniert? „Unehrlichkeit beherrschte die Führung dieses Krieges“, zum Teil deshalb, weil es schwierig gewesen sei, die von den verschiedenen Fronten, die sich alle in Uberseee befanden, eingehenden Berichte und Einzelmeldungen zu überprüfen. Die strategischen Entscheidungen auf diesen weit entfernten Kriegsschauplätzen hätten nur die örtlichen Befehlshaber treffen können, auf deren Initiative man sich habe verlassen müssen. Die Tätigkeit des Oberkommandos sei mehr technischer Natur gewesen.

Mit einem Anflug von Stolz fuhr Mussolini fort: „Nur einmal habe ich — in Cavalleros Abwesenheit — persönlich eine Operation geleitet: die Seeschlacht vor Pantelleria am 15. Juni 1942. Dieser klare Sieg war mein Verdienst ... Als ich im Oktober 1942 krank wurde, gedachte ich den Oberbefehl niederzulegen, aber ich tat es nicht, weil es mir unziemlich schien, das Schiff mitten im Sturm zu verlassen. Ich verschob es bis zu einem .Sonnentag', der bisher nicht gekommen ist. ” Vom Thema des Oberbefehls war nicht die Rede.

Es folgte eine Aufzählung von Fehlern: Alamein und die Mißgriffe Rommels in Nordafrika, die verfrühte Räumung von Tripolis, die schmachvolle Kapitulation von Pantelleria, die Mussolini schließlich hatte anordnen müssen. Und jetzt die Lage in Sizilien, wo die Soldaten nach Hause liefen, die Einheiten sich in wilder Flucht über die ganze Insel zerstreuten und in den Dörfern und Flecken die ersten Anzeichen von Antifaschismus auftauchten. „Und was sagt der Generalstab für die allernächste Zukunft voraus? Vielleicht greift der Feind Sardinien an, wo hundertsechzigtausend Mann stehen, oder den Dodekanes und andere Mittelmeerinseln, nicht um eine Landung auf unserer Halbinsel vorzubereiten, die für unwahrscheinlich gehalten wird, sondern ein großangelegtes Manöver in Frankreich oder auf dem Balkan."

Wie stehe es um Hilfe aus Deutschland? die In gewissen Kreisen ziehe man das Ausmaß dieser Hilfe in Zweifel. Sie sei großzügig und ansehnlich. Und Mussolini führte Zahlen über die Rohstoffeinfuhr aus Deutschland seit 1940 an.

Damit beendete der Duce seine militärischen Ausführungen und wandte sich dem Hauptthema der Sitzung zu: der Bedrohung seiner Autorität durch den Antrag Grandis. Bottai beobachtete ihn: „Bis dahin hatte er sich beim Sprechen über seine Papiere gebeugt... Aber jetzt blickte er auf, in dem starken Licht, das uns alle von oben beschien. Die Maske fiel. Sein wahres Gesicht trat hervor. Ich las in seinen Zügen den Ausdruck eines Willens, der sich mit der endgültigen Abrechnung abgefunden hatte. Seine Stimme hatte nicht mehr den herausfordernden, höhnischen Ton aggressiver Polemik. Sie war seltsam ruhig, und seine gewohnte, auf Wirkung berechnete Rede-weise klang matt; ihr fehlte die Wärme der Überzeugung.“

Mussolini fuhr fort: „Ein anderer Punkt der Kapitulanten lautet: , Das Volk ist nicht mit dem Herzen beim Krieg.'Nun, das Volk ist nie mit dem Herzen beim Krieg. Nicht einmal in den Kriegen des Risorgimento war es d-n, wie sich mit unanfechtbaren Dokumenten läßt. Wir brauchen diese großen Schatten nicht zu bemühen; erinnern wir uns an näherliegende Ereignisse. War etwa das Volk 1915 bis 1918 mit dem Herzen beim Krieg? Nicht im mindesten. Das Volk wurde in den Krieg von einer Minderheit hineingezogen, der es gelang, drei Großstädte — Mailand, Genua und Rom — und ein paar kleinere Städte wie Parma für sich zu gewinnen. Drei Männer haben die Bewegung in Gang gebracht — Corridoni, d'Annunzio und ich. Auch damals gab es keinerlei . heilige Einheit'. Das Land war in Neutralisten und Interventionisten gespalten, und diese Spaltung bestand noch nach Caporetto fort. War das Volk mit dem Herzen bei einem Krieg, der im Lande fünfhundertfünfunddreißigtausend Deserteure hervorbrachte? Wie es scheint, war das Volk , mit dem Herzen'weit weniger bei jenem Krieg als bei dem jetzigen ... Ein Krieg ist immer ein Partei-krieg, ein Krieg der Partei, die ihn gewollt hat; er ist immer ein Einmannkrieg, der Krieg des Mannes, der ihn erklärt hat; wenn dieser Krieg heute Mussolinis Krieg genannt wird, dann hätte der von 1859 Cavours Krieg genannt werden können. Das ist der Augenblick, die Zügel zu straffen und die notwendige Verantwortung zu übernehmen. Es wird mir nicht schwerfallen, Männer zu ersetzen, die Schraube anzuziehen, auf noch nicht eingesetzte Kräfte zurückzugreifen, im Namen unseres Landes, dessen territoriale Integrität heute verletzt ist. 1917 waren einige Provinzen des verloren, aber Veneto niemand sprach von . Kapitulation'. Damals sprach man von Verlegung der Regierung nach Sizilien; heute werden wir sie, wenn es sein muß, ins Po-Tal verlegen.

Nun appelliert Grandis Entschließung an die Krone. Sein Appell richtet sich nich so sehr an die Regierung als vielmehr an den König. Der König habe die Wahl: entweder müsse er ihn, Mussolini, auffordern die Geschäfte weiterzuführen, oder er müsse gemäß der Verfassung von 1848 — die nominell noch in Kraft war — die gesamte vollziehende Gewalt übernehmen und das Regime liquidieren. Reaktionäre und antifaschistische Kreise, jene Elemente, die den Angelsachsen ergeben sind, werden die zweite Lösung fordern. Meine Herren, sehen Sie sich vor. Grandis Entschließung kann die ganze Existenz des Regimes aufs Spiel setzen." Der Duce hatte fast zwei Stunden gesprochen. Die Unterredungen mit den Deutschen in Feltre hatte er nicht ein einziges Mal erwähnt. Der Rangordnung nach ergriff als erster Marschall de Bono das Wort. In schleppenden, gefühlvollen Wendungen hielt er eine kurze, wenig überzeugende Verteidigungsrede für die Armee. Er wurde bald von Farinacci unterbrochen, der bemerkte, daß eine Diskussion über Sachfragen nicht möglich sei, wenn nicht General Ambrosio als Generalstabschef hinzugezogen würde. Mussolini schien zuzustimmen, ließ dann aber die Sache fallen. Als sich de Bono setzte, flüsterte er de Vecchi, dem anderen noch lebenden Quadrumvir des Marches auf Rom, zu: „Helfen Sie mir." De Vecchi behauptet, er habe die Armee gegen Mussolinis geringschätzige Äußerungen in Schutz genommen und die Mißerfolge der faschistischen Erziehung der Jugend sowie die „politischen Ernennungen“ hoher Offiziere angeprangert. „Mussolini zeigte keine Reaktion;

er zuckte nur die Achseln und gab mit der Hand ein Zeichen, tischabwärts fortzufahren.“

Nun erhob sich Grandi und las die endgültige Fassung seines Entschließungsentwurfs vor.

Den meisten Anwesenden war sie schon bekannt: „Der Großrat... erklärt, daß ... die unmittelbare Wiederherstellung aller staatlichen Funktionen notwendig ist, indem der Krone, dem Großrat, der Regierung, dem Parlament und den Korporationen die ihnen durch die Grundgesetze zugesprochenen Pflichten wiedergegeben werden.

Er lädt den Regierungschef ein, Seine Majestät den König, dem sich das Herz der ganzen Nation in Treue und Vertrauen zuwendet, zu bitten, Er möge zur Ehre und Rettung des Vaterlandes mit der Kommandoführung über die Wehrmacht zu Lande, auf dem Meere und in der Luft nach Artikel 5 der Verfassung des Königreichs jene oberste Initiative der Entscheidung übernehmen, die unsere Institutionen Ihm zuweisen und die immer in unserer ganzen nationalen Geschichte die ruhmreiche Erbschaft unserer erhabenen Dynastie von Savoyen gewesen ist."

Man horte Grandi schweigend zu. Nach der Verlesung sprach er weiter und erhob scharfe Anklage gegen die persönliche Herrschaft eines Mannes, die „zu lange gedauert und mit ihrer Entartung das Antlitz des Führers verändert, den Faschismus zerstört und getötet hat. Der wirkliche Feind des Faschismus ist die Diktatur. An dem Tag, da die alte Losung . Freiheit und Vaterland'auf den Bannern der Kampfscharen durch die andere, . Glauben, gehorchen, kämpfen', ersetzt wurde, war der Faschismus erledigt. Die enge, absurde Formel vom faschistischen Krieg hat die Nation ins Verderben gestürzt. Die Verantwortung für dieses Unheil trägt nicht der Faschismus, sondern die Diktatur. Sie ist es, die den Krieg verloren hat." Und, zum Duce gewandt: „Es genügt nicht, daß Sie die Verantwortung übernehmen. Wir sind auch noch da, und auch das Land Was haben Sie in den fünfzehn Jahren getan, in denen Sie die militärischen Staatsämter innehatten? Die Initiative der Krone ist erstickt, ihre Prärogative sind mißbraucht worden "

Er attackierte das Parteiregime Staraces und äußerte Enttäuschung über die Amtsführung Scorzas, „die vielversprechend begonnen hat“.

Seine eigene Entschließung ziele darauf ab, eine „innere nationale Front" zu schaffen, „die bis heute in Italien nicht existiert, weil die Krone eine Position vorsichtiger Zurückhaltung bezogen hat. Laßt den König seine historische Verantwortung übernehmen."

Grandi hatte fast eine Stunde gesprochen.

Zum Schluß erinnerte er Mussolini an die Losung von 1924: „Die Fraktionen mögen untergehen, damit das Vaterland lebe!“

Während er sprach, saß Mussolini zurückgelehnt in seinem Sessel, bedeckte die Augen mit der Hand und zeigte kaum eine Reaktion.

Nur einmal machte er einen sarkastischen Zwischenruf: „Heute abend können wir auch darüber debattieren, ob die Revolution beendet ist."

Als nächster sprach Bottai. Er äußerte wie Farinacci die Meinung, daß die Anwesenheit General Ambrosios für die militärische Diskussion nützlich wäre. Er spreche nicht als militärischer Fachmann, sondern als Politiker, und als solcher habe er dreierlei zu sagen:

„Erstens: Die These des Generalstabs, wonach sich der Feind nach der Besetzung Siziliens nicht dem Festland zuwenden wird, leuchtet mir nicht ein. Der Feind hat die Wahl zwischen einer weitreichenden stragegischen Operation, die ihn entweder auf den Balkan oder nach Südfrankreich bringen würde, und einem strategisch-politischen Unternehmen mit dem Ziel der Besetzung des italienischen Festlands. Das erste Unternehmen wäre zweifellos strategisch wertvoller, würde aber längere Zeit erfordern. Das zweite würde schneller Resultate bringen und wäre politisch nützlicher. Wird der Feind den unmittelbaren Vorteilen, die dieser Schritt für sein Prestige mit sich brächte, widerstehen können, wc doch nicht einmal Hitler, als seine Armeen am Ärmelkanal standen, der Anziehungskraft von Paris widerstehen konnte? Italien bedeutet Rom. Und in einem Krieg, den Sie als . Religionskrieg'bezeichnet haben, erhielte er damit die Möglichkeit, die führende Hauptstadt der gegnerischen politischen Religion zu besetzen.“ Sei Italien auf den Schock vorbereitet? „Die Frage gibt der anderen, die Sie gestellt haben, konkreten Sinn: Krieg oder Frieden? ... Auf die Frage, die Sie uns vorlegten, haben Sie selbst negativ geantwortet. Ihr Bericht war ein schwerer Schlag gegen unsere letzten Illusionen und Hoffnungen .. . Sie haben uns auf der einen Seite eine Reihe von Unglücksfällen, Fehlern und Schwierigkeiten aufgezählt, c’ie für die Beschaffenheit des Generalstabs und unserer ganzen Militärmaschine kenn20 zeichnend sind; auf der anderen eine Reihe von Urteilen, Vorschlägen und Befehlen Ihrerseits über Bauprojekte, Kriegsmaterial und Operationspläne, die von den technisch Verantwortlichen nicht befolgt oder berücksichtigt wurden. Das bedeutet, daß zwischen den beiden Gehirnhälften der kämpfenden Nation keine organische Verbindung, keine Übereinstimmung und Harmonie besteht und daß der politische Teil des Oberkommandos nicht das notwendige Übergewicht besitzt, dem technischen Teil seine Entscheidungen aufzuzwingen. Und so nagt ein Wurm an den Wurzelfasern unseres Befehlssystems.“ Bottai schloß: „Wir sind nicht nur augenscheinlich technisch außerstande, einen feindlichen Angriff auf die Halbinsel abzuwehren, wir haben außerdem einen unfähigen Befehls-apparat.“ Der nächste Redner war Ciano. Ruhig und maßvoll schilderte er die Vorgeschichte des Bündnisses mit Deutschland, den Abschluß des Stahlpakts und Hitlers Versprechen, „bis 1942 keine Probleme aufzuwerfen, die zum Krieg führen könnten". Aber schon vor der Unterzeichnung des Pakts sei Hitler entschlossen gewesen, Polen zu besetzen. „Jedenfalls sind wir nicht die Verräter, sondern die Verratenen." Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann ergriff Farinacci das Wort. Zunächst las er seinen Entschließungsentwurf vor. Der Ton lag auf enger Zusammenarbeit mit dem Achsenpartner und der Pflicht aller Italiener, fest zu den übernommenen Bündnisverpflichtungen zu stehen. Ein Abschnitt stimmte fast wörtlich mit Grandis Formulierung überein, nur war bezeichnenderweise unter den Macht-organen auch die Partei aufgeführt: Der Groß-rat „erklärt es zu diesem Zweck für dringend notwendig, alle Organe des Staates vollständig wiederherzustellen und dem König, dem Großrat, der Regierung, dem Parlament, der Partei und den Korporationen die in unserer Verfassung und Gesetzgebung festgelegten Aufgaben und Verantwortlichkeiten zuzuerkennen.“ Zum Schluß wurde, ebenfalls wie in Grandis Entschließung, der König gebeten, „die Kommandoführung über die Wehrmacht zu übernehmen".

Farinacci fuhr fort: „In meinem Antrag verlange ich noch engeren Zusammenschluß mit unserem Bundesgenossen Deutschland in der Kriegführung. Nun hat der Duce in seiner Rede eine Verpflichtung in diesem Sinne abgegeben. Alle Anwesenden haben das so hingehen lassen, obwohl alle sagen, sie wüßten, daß er in der Innen-und Außenpolitik alles allein tut. Aber in dieser ernsten Stunde kommt es darauf an, daß sich jeder vor aller Welt dazu bekennt, unseren Führer unterstützt und sein Schicksal teilt... Ich bin überzeugt, in diesem Raum kann man diejenigen an den Fingern einer Hand abzählen, die bereit sind, mit dem Duce einen moralischen und politischen Pakt abzuschließen, mit ihm durch dick und dünn zu gehen, was auch geschehen mag — obwohl wir doch überzeugt sind, daß unsere Sache wirklich gerecht ist; bis vor ein paar Monaten hat sogar Kamerad Grandi zu erkennen gegeben, daß er so denkt.“

Farinacci sprach leidenschaftlich und ganz im Sinne des deutschen „Programms" für Italien.

„Zweitens fordert mein Antrag eine strenge Untersuchung der militärischen Führung, des unerhörten Zusammenbruchs in Sizilien, des Verhaltens von Ambrosio, Rosi, Roatta und Guzzoni. Ich verlange, daß General Ambrosio hier im Großrat gehört wird und daß wir, die politischen Führer, wenigstens dieses eine Mal über die Mittel, die Männer, die Waffen und die Methoden urteilen können, mit denen der Generalstab unsere Politik und unser Land verteidigt. Ferner fordere ich den Rücktritt Ambrosios, eine zusätzliche Untersuchung des Generalkomplotts und ein echtes Zusammenwirken des Oberkommandos mit den Deutschen. In diesem Krieg haben unsere Feinde, erst die Engländer und Franzosen und dann die Engländer und Amerikaner, ein einheitliches Kommando und eine politisch-militärische Leitung des Krieges geschaffen. Auf politischem Gebiet ist die Achse dank dem Duce und dem Führer in der gleichen Lage, aber im militärischen Bereich sind wir völlig souverän und unabhängig, und wir sehen, wo das hingeführt hat.

Weiter verlange ich — die gleiche Forderung hat Grandi mit Recht erhoben —, daß der König und das Königshaus aufgerufen werden, hervorzutreten und die Ehre und Last des Krieges zu teilen, der, wenn er siegreich ausgeht, das Haus Savoyen zu einem der glorreichsten Herrscherhäuser Europas machen wird. Ich stimme mit Ihnen, Kamerad Grandi, über den Artikel 5 der Verfassung überein. Aber ich möchte in Ihrer Entschließung, wo es heißt . Seine Majestät möge zur Ehre und Rettung des Vaterlandes die oberste Initiative der Entscheidung übernehmen . ein Wort eingefügt sehen — . faschistisch Um es Victor Emanuel klar und offen zu sagen . Zirm Besten der Nation geben wir Faschisten Euer Majestät die Machtbefugnisse und Vorrechte zurück, die Ihnen nach dem Albertinischen Statut zukommen, aber nur deshalb, weil Sie an unserer Seite für die Größe des faschistischen Italiens kämpfen.'“

Hier unterbrach ihn Ciano: „Spitzfindigkeiten, die des Augenblicks unwürdig sindl“ „Das ist nicht wahr", entgegnete Farinacci. „Wenn heute Grandis Entschließung angenommen wird, kann der König sagen: Die Faschisten im Großrat haben Mussolini und mit ihm die faschistische Regierung in die Minderheit gedrängt. Daraus folgt, daß ich eine neue Regierung bilden kann, auch aus Antifaschisten, denn durch eure Abstimmung habt ihr mich nicht auf den Faschismus, sondern nur auf das Wohl des Landes verpflichtet.'Mit einem einschränkenden Adjektiv würdet ihr die monarchistische Clique daran hindern, sich dieses Alibi zu schaffen."

Es war seltsam, wie hier Schutz bei einer Formulierung gesucht wurde.

Zu Grandi gewandt, fuhr Farinacci fort: „Sie haben die Krise des Faschismus provoziert, während der Feind den Boden des Vaterlandes betritt. Sie dürfen diesen unterirdischen, kannibalischen Krieg gegen uns nicht fortsetzen. Außerdem sind in dieser obersten Versammlung des Faschismus nicht nur Anklagen gegen frühere Parteisekretäre erhoben worden, sondern auch gegen Scorza und die Partei im allgemeinen. Solche Angriffe auf die Partei richten sich auch gegen den Duce, gegen die Methoden, das System, die Lehre und die einfachen Mitglieder. Ich fordere, daß die Partei eine Handhabe bekommt, sich und ihren Führer zu verteidigen, und daß sie bis sechs Monate nach Beendigung der Feindseligkeiten absolute Macht erhält. Nur der Duce und die faschistische Partei können die Heimatfront verantwortlich führen."

Nachdem sich Farinacci gesetzt hatte, griff Mussolini kurz in die Debatte ein. Er mißbilligte den zersetzenden Angriff auf den Faschismus und die Partei. Und was sei mit der „Rückkehr zur Verfassung" gemeint? Mit solchen Kritiken und Revisionen könne man nicht drei Weltmächten im Krieg entgegentreten.

Diese Bemerkungen waren das Stichwort für Justizminister de Marsico. Er hatte an der Abfassung von Grandis Entschließung tatkräftig mitgewirkt und verteidigte sie jetzt. Er argumentierte, faktisch befinde sich „der italienische Staat in einer Krise, und gerade die gegenwärtige Kriegslage fordere eine schnelle Revision seines Aufbaus, dessen Spitze die Machtbefugnis des Königs und seine uneingeschränkte Entscheidungs-Initiative bilde".

Während de Marsico sprach, beriet sich der Duce im Flüsterton mit Scorza, und als die Rede zu Ende war, gab er bekannt, daß der Parteisekretär eine Vertagung des Großrats bis zum nächsten Tag vorschlage.

Grandi explodierte: „Wegen der Charta der Arbeit haben Sie uns sieben Stunden hier festgehalten. Heute, wo es um das Leben des Vaterlandes geht, können wir nötigenfalls eine Woche durchdiskutieren."

Der Duce gab nach. Federzoni stand auf und unterstützte Grandis Antrag. Er widersprach Mussolinis These, daß alle Kriege unpopulär seien. Auf den Feldzug in Lybien und den Krieg von 1915— 1918 treffe das nicht zu. Wenn der jetzige Krieg unpopulär sei, „so sei dies hauptsächlich auf die Formel vom . faschistischen Krieg'zurückzuführen, welche die Italiener noch tiefer spalte, als das schon die Partei mit ihrer Organisationspolitik besorgt habe." Mit Federzonis Rede wurde praktisch jenes Bündnis des nationalistischen Bürgertums mit dem Faschismus gekündigt, das den Marsch auf Rom ermöglicht hatte.

Dann hielt Bignardi, der Präsident des Landarbeiterverbandes, eine kurze Jungfernrede. Er sprach davon, daß die ländlichen Massen von der Verwaltung der Volkswirtschaft losgelöst seien.

Es war wenige Minuten vor Mitternacht. Mussolini unterbrach die Sitzung und zog sich auf eine Viertelstunde in sein Arbeitszimmer zurück, „um die neuesten Telegramme von den Fronten zu lesen". Nacheinander waren Alfieri, Scorza und Galbiati bei ihm. Galbiati erhielt den Auftrag, gegen Grandis Antrag zu sprechen und sich nach der Sitzung zu Mussolinis Verfügung zu halten. Wie es scheint, spielte der Duce, der sich noch nicht sicher war, wie die Debatte ausgehen würde, einen Augenblick mit dem Gedanken, die Miliz einzusetzen. Alfieri war ihm aus dem Konferenzraum in das Arbeitszimmer gefolgt. „Was geht in Deutschland vor?" fragte Mussolini ziemlich überraschend. Alfieri wiederholte kurz das, was er ihm schon in Feltre gesagt hatte, und betonte, daß Berlin besonders an der inneren Lage Italiens und der Wirkung des alliierten Bombenangriffs auf Rom interessiert sei. Noch einmal brachte er vor, was er, Ambrosio und Bastianini in Feltre dringend nahegelegt hatten: Der Duce müsse einen letzten Versuch machen, Hitler davon zu überzeugen, daß Italien an der Grenze der Bündnistreue angelangt sei.

Mussolini saß in abweisendem Schweigen da und trank in kleinen Schlucken Milch aus einem Glas. Dann bemerkte er: „Und so reden Sie, der Botschafter in Berlin", und entließ ihn „kalt". Während Alfieri ging, betrat Scorza das Arbeitszimmer. Draußen stieß Alfieri auf Grandi, der ihm in diesem geschickt gewählten Augenblick seine Entschließung mit den angehängten Unterschriften überreichte. Alfieri unterzeichnete. Sein Name war der neunzehnte und letzte auf der Liste. Buffarini wurde, seiner eigenen Darstellung zufolge, ebenfalls zum Duce gerufen und drängte ihn, drastische Maßnahmen zu ergreifen. „Verhaften Sie alle. Es ist ein Komplott Hier drin braucht man nicht einmal zwanzig einzusperren. Und draußen sollten wir uns Badoglio und ein Dutzend andere greifen ..." Mussolini antwortete nur, er solle still sein. Im Ratsaal war Grandi inzwischen von Gruppe zu Gruppe gegangen und hatte weitere Unterschriften für seinen Antrag gesammelt. Die Spannung hatte ein wenig nachgelassen, aber noch herrschte nicht das Gefühl, die Entscheidung sei schon gefallen. In die Diskussion nach seiner Rede hatte der Duce bisher nur kurz eingegriffen. Die meisten meinten, seine Selbstverteidigung werde erst noch kommen. Die Sitzung ging weiter. Albini sprach über die ernste innere Lage und sagte, der Widerstreit der Richtungen im Großrat spiegle die Situation im Lande wider.

Bastianini, der nicht Mitglied des Rates war, wurde von Mussolini zum Sprechen aufgefordert. „Sie haben uns eingeladen, freimütig zu sprechen und die Verantwortung auf uns zu nehmen. Das will ich tun, aber nicht, ohne vorher zu bemerken, daß ich alles, was ich sagen werde, Ihnen schon bei verschiedenen Gelegenheiten mündlich oder schriftlich unterbreitet habe ... Heute klafft ein tiefer Graben zwischen dem Land und der Partei. Zu dem ständig fortschreitenden Absinken unserer Kriegsproduktion, zu den riesigen Lücken unserer Rüstung kommt noch der Mangel an Kampfgeist bei der Nation."

Mussolini warf ein, vielleicht sei an dieser Kluft die Bereicherung gewisser Personen schuld.

Bastianini erwiderte, was immer die Ursache sei, es komme jetzt darauf an, die Nation zusammenzuschweißen. „In diesen zwanzig Jahren haben Sie, Duce, der Nation Taten, Worte, Ideen gegeben, die sie in ihrer Selbstachtung hoch gehoben haben, und das alles kann nicht in ein paar Monaten verlorengegangen sein. Selbst wenn Giolitti an Ihrer Stelle wäre, könnte das Werk von zwanzig Jahren nicht in einem Augenblick zerrinnen. Ideen sind nicht Kanarienvögel, die man in einem Käfig hält.“ Alle nationalen Kräfte müßten zusammengefaßt werden. „Möge der König wie in anderen schweren Augenblicken der Geschichte zum Volke sprechen. Der Feind muß einen Beweis unseres Widerstandswillens erhalten.“ Später schrieb Bastianini an Mussolini, er habe auch betont, daß es notwendig sei, „einen Block jener Kräfte zu bilden, welche die Fahne des geeinten Vaterlandes gegen den Eindringling erheben könnten. Ich sagte, wenn sich der König an die Spitze der Armee stelle, werde er vor aller Öffentlichkeit bekunden, daß sich Regime und Krone eins fühlten, und werde damit das Pflichtbewußtsein, wo es abhanden gekommen sei, neu erwecken. Das sagte ich, und die Gewißheit, daß dies sofort zu verwirklichen sei, entnahm ich dem, was Sie selbst unmittelbar vor meiner Rede sagten und was ich wörtlich wiedergebe: . Mein Verhältnis zum König ist ausgezeichnet; erst letzten Donnerstag sagte der König zu mir: Mein lieber Mussolini, Sie werden von allen Seiten angegriffen, aber ich stehe zu Ihnen und verteidige Sie. "

Nach Bottais Aufzeichnungen sagte Bastianini folgendes über die diplomatische Szene:

„Draußen kommt nur eine politische Beendigung des Konflikts in Frage, wie sie beim letzten Salzburger Treffen dem Verbündeten vergeblich vorgeschlagen worden ist. So oder so; aber möglich ist nur eine politische Lösung. Und sie ist wirklich noch möglich. Die Kontakte müssen wieder ausgenommen werden; es war unser Fehler, sie nicht aufrechterhalten zu haben.“

Es folgte ein vorbereiteter Diskussionsbeitrag Galbiatis: „Ich habe Grandis Antrag nicht unterzeichnet und werde ihn nicht unterzeichnen. Ich will die Gründe nennen. Die Lage ist so ernst, daß keine Entschließung sie auch nur im geringsten verbessern kann. Alle Erklärungen, die wir bisher gehört haben, verurteilen die mangelhafte Vorbereitung des Krieges, die Führung der Operationen und die Unfähigkeit der Generale. Was die Versäumnisse bei der Kriegsvorbereitung betrifft, so ist nur allzu klar, daß daran nicht — wie hier angedeutet wurde — die Tatsache schuld ist, daß Mussolini seit siebzehn Jahren das Amt des Kriegs-ministers bekleidet, sondern die unvorhersehbare Ausweitung des Konflikts, der Außmaße angenommen hat, die in gar keinem Verhältnis zu den Mitteln unseres Landes stehen . .. Die Operationsführung ist ein Problem, das aufs engste mit dem ungeheuren Versorgungsproblem zusammenhängt.“ über die Fähigkeit der Kommandeure dürfe man nicht vorschnell urteilen. „Warum sind wir in den Krieg eingetreten? Lassen Sie uns das bedenken. Wir sind mit Siegeszuversicht an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten ... Wer hätte voriges Jahr im September, als unsere Truppen vor Alexandria standen, am Sieg gezweifelt? ... Heute, wo der Feind in Sizilien steht, wo er von unserem Himmel herabstarrt und unsere Küsten bedroht, kann Italien nicht von Erfolgen reden, das ist klar. Es steht aber auch fest, daß Italien noch wie jede andere Nation das Letzte aus sich herausholen muß. Sie haben von dem Riß zwischen Partei und Land, zwischen Faschismus und Nation gesprochen. Das ist nicht wahr, ein solcher Riß existiert nicht. Es mag sein, daß ein Riß zwischen Ihnen und dem Land besteht, zwischen den Faschisten und manchen Parteimitgliedern ... Gäbe es eine Kluft zwischen dem Faschismus und der Nation, so müßte sie sich noch unverhüllter bei der Miliz zeigen, die das bewaffnete Element der faschistischen Partei ist. Ganz im Gegenteil, die Miliz genießt im Lande hohes Ansehen, und als Gliederung der Streitkräfte hat sie gekämpft und kämpft sie in fester kameradschaftlicher Verbundenheit mit den Soldaten der anderen Wehrmachtsteile. ... Wenn die Spaltung existiert, dann, ich muß es wiederholen, zwischen dem Faschismus und einigen Parteimitgliedern, die in seine Reihen eingedrungen und immer zum Verrat bereit sind; zwischen den Massen guter Italiener und denen, die einen schwachen Charakter haben und imstande sind, alles zu verleugnen, sogar die Ehre.“

Der Ton und die Stoßrichtung von Galbiatis Rede lieferten Mussolini das Stichwort, nun selbst wieder in die Debatte einzugreifen. Er gab sich nicht die Mühe, sachlich zu argumentieren, sondern verfiel — charakteristisch für ihn — in persönliche Schmähungen. Wenn es einen Riß gebe, dann zwischen den Parteiführern selbst. „Man müsse Gewissensforschung treiben. Wenn es eine Spaltung gebe, so müsse gesagt werden, daß sie durch die finanzielle Situation vieler Parteiführer verursacht sei, deren wirtschaftlicher Standard, an ihrer politischen Aktivität gemessen, zu hoch sei." Dann brach es aus Mussolini heraus: „Weiterhin wirft dieser Antrag die schwersten Probleme persönlicher Würde auf. Was bedeutet der Satz: „Der Regierungschef bittet Seine Majestät ...'? Und was wird der König antworten? Nehmen wir an, er ist bereit, die mir übertragenen militärischen Befugnisse wieder selbst zu übernehmen. Dann erhebt sich die Frage, ob ich bereit bin, mich köpfen zu lassen. Ich bin sechzig Jahre alt; ich weiß, was gewisse Dinge bedeuten. Es ist besser, ganz offen zu reden." Und zum Schluß schlug er einen Ton an, der Verwirrung stiften mußte: „Mehr noch, ich habe den Schlüssel zur Klärung der Kriegslage im Kopf. Aber ich sage nicht, worin er besteht."

Diese Worte des Duce machten die Anwesenden, was nur natürlich war, für einen Augenblick unschlüssig. „Kunstgriffe verfehlen nicht ihre Wirkung auf ermüdete Geister", notierte Bottai.

Diesen Augenblick wählte Scorza für seine Diskussionsrede. In der kurzen Pause um Mitternacht war er in Mussolinis Arbeitszimmer gewesen; aber über das, was dort zwischen den beiden besprochen wurde, gibt es keinen zuverlässigen Bericht, und es existiert auch kein vollständiger und verläßlicher Text der kurzen Rede, die er jetzt hielt.

Während er bisher bei Grandi und seinen Freunden den Eindruck erweckt hatte, daß er sie vorsichtig unterstütze, legte er jetzt eine begrenzte, nicht ganz echte Selbständigkeit an den Tag. Vielleicht hatten ihn, wie Bottai vermutet, die Angriffe auf die Partei veranlaßt, etwas zu ihrer Verteidigung zu sagen. Sein Plädoyer war lahm und kurz. Scorza gab bekannt, daß er ebenfalls eine Entschließung ausgearbeitet habe. Im Ton glich sie der Grandis, wich aber in mehreren wesentlichen Punkten von ihr ab. Vor allem sagte sie nichts darüber, daß der König wieder den Oberbefehl über die Streitkräfte übernehmen solle. Der Kernsatz lautete: „Der durch die Kriegsereignisse geschaffenen Lage muß mit neuen Methoden und Mitteln begegnet werden." Scorza forderte deshalb den Großrat auf, er möge „die dringende Notwendigkeit“ verkünden, „in der Regierung, im Oberkommando und im inneren Leben des Landes jene Reformen und Neuerungen einzuführen, die durch die volle Wirksamkeit der verfassungsmäßigen Organe des Regimes gewährleisten, daß die vereinten Anstrengungen des italienischen Volkes zum Siege führen".

Die übrigen Empfehlungen Scorzas waren vage und vorsichtig formuliert. „Ich möchte jedoch in meiner Eigenschaft als Sekretär der Partei bestimmte Forderungen vorbringen. Erstens muß die Lage im Generalstab gründlich geprüft werden. Es steht fest, daß an dieser Stelle, die das Hirn der Streitkräfte sein müßte, Verrat, Sabotage, Fahrlässigkeit und mangelnde Vorbereitung anzutreffen waren. Eine strenge Untersuchung wird eingeleitet werden.“ Zweitens müsse eine nationale Einheitsfront geschaffen werden, wie das in Ruß-land im Augenblick höchster Gefahr geschehen sei, und sie müsse auf die Partei gründen, die verantwortliche Führerin zur Zukunft der Nation. „Was die Komplotte anlangt, die heute abend hier erwähnt worden sind, so habe ich dafür schon früher vom Duce zuverlässige Beweise erhalten." Offenbar unterbrach ihn Bottai: „Davon müßte man uns auch etwas sagen!" Doch er erhielt keine Antwort. Zum Schluß seiner Rede verteidigte Scorza die Idee der Partei. Er forderte, sie von unzuverlässigen Elementen zu säubern und alle Gruppen und Klassen, die Armee, das Bürgertum, die Bauern und die Geistlichen zusammenzuschließen. Vielleicht müsse man zu die-24 sein Zweck das Kriegsrecht verkünden und dem Faschismus die gesamte Macht übertragen. Hier fiel ihm Ciano ins Wort: „Rührt um Himmels willen die Kirche nicht an. Wir haben schon genug Ärger mit dem Vatikan wegen unserer Politik der letzten Zeit."

Es war fast ein Uhr. Schon seit einigen Stunden war den Anwesenden klar, wo die — noch unscharfe — Trennungslinie verlief: die einen unterstützten vorbehaltlos den Duce, die anderen traten mehr oder weniger entschieden für Grandis Antrag ein. Auch kam ihnen nach und nach zum Bewußtsein, daß eines Tages jeder einzelne von ihnen erbarmungslos danach beurteilt werden würde, wie er sich in dieser Debatte verhalten hatte, in der es um die Zukunft des faschistischen Regimes selbst ging. Während am Ratstisch ein Redner den anderen ablöste, versuchte man in den Korridoren, den Nebenräumen und dem angrenzenden kleinen Salon, der für diesen Anlaß in eine Orangeade-Bar verwandelt worden war, einander im letzten Augenblick zu bekehren. Der Zugang zur Außenwelt jenseits dieses Trakts des Palazzo war durch Detektive in Zivil abgeriegelt.

Galbiati schildert die Szene: „Ich traf andere Mitglieder, die sich kurze Zeit entfernt hatten; ich wollte mit ihnen meine Gedanken austauschen, doch sie gehörten alle zu der Gruppe, die den entgegengesetzten Standpunkt vertrat, und ich hatte das Gefühl, daß sie mir aus dem Wege gingen. Als ich das erste Mal in den Ratssaal zurückging, bemerkte ich, daß vor der Tür in bequemen Sesseln Chierici, de Cesare, Stracca und Agnesina saßen [alle für die Sicherheit des Duce und die Leitung der italienischen Polizei Verantwortlichen sowie Detektive, denen der Schutz seiner Person oblag], vielleicht auch noch andere. Augenscheinlich hatten sie die ganze Sitzung verfolgt.“

Am Tisch wurde inzwischen hitzig weiterdiskutiert. Alfieri versuchte zweimal vergeblich, die Aufmerksamkeit des Duce auf sich zu lenken; endlich erhielt er das Wort. „Meiner Ansicht nach müssen die Beschlüsse, die gewünscht und erwartet werden und die der Regierungschef im Interesse Italiens zu fassen am Schluß der Debatte für richtig halten wird, zuerst einmal Hitler zur Kenntnis gebracht werden. Das ist eine Vorsichtsmaßregel, die mir unerläßlich scheint, damit man uns nicht Verrat vorwerfen kann. Da man hier so viel Gewicht auf die Hilfe aus Deutschland gelegt hat, muß ich auch dem Großrat erklären, was ich in meinen ausführlichen, genauen Berichten, die der Duce sicherlich kennt, oft hervorgehoben habe: Deutschland wird Italien weder rechtzeitig noch in ausreichendem Maße Verstärkungen schicken. Es ist deshalb nutzlos, sich weiter der Selbsttäuschung hinzugeben ... Ganz abgesehen davon, daß man uns offenkundig gar nicht helfen will, ist Deutschland auch an seinen verschiedenen Fronten gebunden, um frei über seine Kräfte verfügen zu können. Deutschland will Italien zu seinem Bollwerk machen, um die Besetzung deutschen Gebiets hinauszuzögern; nichts als das. An diesem Programm kann kein Zweifel bestehen. Und doch war hier die Rede von Widerstand Italiens um jeden Preis, gegen alles und jedermann.

Das sind edle, großherzige Pläne, die aber einen Fehler haben: sie lassen die wirkliche Lage außer acht, in der sich unser Volk befindet. Jedes Opfer hat eine Grenze. Jüngst auf der Konferenz in Feltre hat General Ambrosio dem Duce in meinem Beisein erklärt, daß die italienische Armee höchstens noch einen Monat lang Widerstand leisten kann. Albini seinerseits hat ausgeführt, wie äußerst ernst die innere Lage ist. Unter diesen Umständen ist es für unser Land absolut lebensnotwendig, eine Lösung zu finden. Nur der Duce kann das tun, indem er direkt und persönlich mit Hitler verhandelt.“

Diese Rede wirkte auf die einzelnen Zuhörer sichtlich verschieden. Senatspräsident Suardo gab aufschluchzend bekannt, daß er seine Unterschrift unter den Antrag Grandis zurückziehe. Einen Augenblick herrschte Verwirrung. Bottai erkannte, daß die anderen Befürworter und vor allem die Unschlüssigen einer Rücken-stärkung bedurften.

„Ich fühlte, daß solche Schwankungen Unklarheit in die unmittelbar bevorstehende Abstimmung bringen konnten. Ich verlangte das Wort. Ich wies darauf hin, daß Grandis Antrag, dem ich mich anschlösse, aus drei Teilen bestehe. Der erste, der die ersten vier Abschnitte umfaßt, bekräftigt stolz und ohne Einschränkung unseren Widerstandswillen; über diesen Punkt darf man keine Zweifel oder Spekulationen zulassen. Mögen sich Akzente, Motive und Formulierungen unterscheiden — wir alle, von uns bis zu Farinacci und Scorza mit ihren Anträgen, sind uns darin einig, daß wir Widerstand leisten wollen, über die Mittel und Wege werden die verantwortlichen Organe entscheiden. Jeder hat seine eigene Rhetorik und gebraucht Worte in seinem eigenen . scholastischen’ Sinn. Es mag sein, daß unser Sprachgebrauch nicht mit dem des Generals Galbiati oder des Parteisekretärs übereinstimmt.. . Nichtsdestoweniger sind wir uns alle einig in dem Verlangen nach einer . Wiederbelebung'— wie wir und Farinacci sagen — oder den notwendigen . Reformen'— wie es Scorza ausdrückt — jener Institutionen, die ein einheitliches, verantwortliches Handeln der Regierung verbürgen. Es geht heute nicht um Reformen, sondern um die Anwendung bestehender Gesetze.

Nun komme ich zum letzten Teil der Entschließung: dem Appell an den König. In unserer ist er umfassend und uneingeschränkt; in der Farinaccis ist er in unannehmbarer Weise auf den militärischen Bereich eingeengt. Das ist ein wesentlicher Unterschied, der aber zu verschwinden scheint, wenn man folgendes bedenkt: Sobald wir uns an den Souverän wenden, wird auch ein halber Appell zu einem ganzen, der die Gesamtheit seiner Prärogative umfaßt. Scorza dagegen meint, eine Krise, in welche die ganze Nation mit ihren historischen Interessen hineingezogen ist, sei im Rahmen der Partei und des Regimes lösbar und dürfte nicht als Ganzes der Krone zur letzten Entscheidung überantwortet werden. Wir wollen, daß in dieser ernsten Stunde deutlich sichtbar jene Einheit der Direktiven von König und Duce verwirklicht wird, welche die Sicherheit der Nation und des Regimes gleichermaßen verbürgt.“

Grandi ergriff noch einmal kurz das Wort und überreichte dann Mussolini seine Entschließung. Ein Blatt mit den neunzehn Unterschriften war angehängt. Der Duce legte das Schriftstück „mit gespielter Gleichgültigkeit" vor sich hin. Und dann, „ohne noch ein Wort zu sagen oder eine Geste zu machen, erschlafft und resigniert“, forderte er Scorza auf, über Grandis Antrag abstimmen zu lassen. Scorza erhob sich und rief, der Rang-und Sitzordnung nach, mit de Bono beginnend, die Namen der Anwesenden auf. In lastendem Schweigen zählte er: neunzehn dafür, sieben dagegen. Suardo enthielt sich der Stimme, Farinacci blieb bei seinem eigenen Antrag, über den nicht abgestimmt wurde. Der Duce packte seine Papiere zusammen und stand auf. Seiner späteren Darstellung zufolge sagte er: „Ihr habt die Krise des Regimes heraufbeschworen. Die Sitzung ist geschlossen.“ Scorza wollte zum rituellen Gruß an den Duce auffordern, doch der fiel ihm ins Wort: „Nein, das ist euch erlassen", und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.

Es war 2. 40 Uhr morgens; man schrieb Sonntag, den 25. Juli. Die letzte Sitzung des Groß-rats hatte mit einer kurzen Unterbrechung fast zehn Stunden gedauert.

Text der dem Großrat vorgelegten Entschließungen

I. Grandi Des Großrat des Faschismus, der sich in dieser Stunde der schwersten Prüfung versammelt hat, gedenkt an erster Stelle der heldenhaften Kämpfer aller Waffen, welche die edlen Über-lieferungen der Tapferkeit und des unermüdlichen Opfermuts unserer glorreichen Wehrmacht erneuern, Seite an Seite mit der stolzen Bevölkerung Siziliens, in deren Haltung die Treue des italienischen Volkes ein glänzendes Beispiel findet.

Nadi Prüfung der inneren und äußeren Lage und der politischen und militärischen Krieg-führung — verkündet er die heilige Pflicht aller Italiener, die Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit des Vaterlandes, die Früchte der Opfer und Anstrengungen von vier Generationen seit seiner Wiedergeburt, das Leben und die Zukunft des italienischen Volkes um jeden Preis zu verteidigen, — bestätigt er die Notwendigkeit der moralischen und materiellen Einheit aller Italiener in dieser schweren und für die Geschicke der Nation entscheidenden Stunde, — erklärt er, daß zu diesem Ziel die unverzügliche Wiederherstellung aller staatlichen Funktionen notwendig ist, indem der Krone, dem Großrat, der Regierung, dem Parlament und den Korporationen die ihnen durch die Grundgesetze zugesprochenen Pflichten wiedergegeben werden, — lädt er den Regierungschef ein, Seine Majestät den König, dem sich das Herz der ganzen Nation in Treue und Vertrauen zuwendet, zu bitten, Er möge zur Ehre und Rettung des Vaterlandes mit der Kommandoführung über die Wehrmacht zu Lande, auf dem Meere und in der Luft nach Artikel 5 der Verfassung des Königsreichs jene oberste Initiative der Entscheidung übernehmen, die unsere Institutionen Ihm zuweisen und die immer in unserer ganzen nationalen Geschichte die ruhmreiche Erbschaft unserer erhabenen Dynastie von Savoyen gewesen ist.

2. Farinacci Der Großrat des Faschismus, unterrichtet über die innere und äußere Lage und die politische und militärische Kriegführung an den Fronten der Achse, — grüßt stolz und dankbar die heldenhaften Streitkräfte Italiens und unseres Bundesgenossen, geeint in Mühe und Opfer für die Verteidigung der europäischen Zivilisation, die Be-B völkerung des angegriffenen Siziliens, die dem Herzen unseres Volkes heute näher denn je ist; die arbeitenden Massen in Industrie und Landwirtschaft, die durch ihr Schaffen die Nation in Waffen stärken, und die Schwarzhemden und Faschisten in ganz Italien, die in unwandelbarer Treue zum Regime in Reih und Glied marschieren, — verkündet die heilige Pflicht aller Italiener, den geweihten Boden des Mutterlandes bis zum letzten zu verteidigen und fest zu den übernommenen Bündnisverpflichtungen zu stehen, — erklärt es zu diesem Zweck für dringend notwendig, alle Organe des Staates vollständig wiederherzustellen und dem König, dem Groß-rat, der Regierung, dem Parlament, der Partei und den Korporationen die in unserer Verfassung und Gesetzgebung festgelegten Aufgaben und Verantwortlichkeiten zuzuerkennen, — lädt den Regierungschef ein, Seine Majestät den König, dem sich das Herz der ganzen Nation in Treue und Vertrauen zuwendet, zu bitten, Er möge die Kommandoführung über die Wehrmacht übernehmen und damit der ganzen Welt zeigen, daß die gesamte Bevölkerung, unter seinem Befehl vereint, für das Heil und die Würde Italiens kämpft.

3. Scorza Der Faschistische Großrat, der zusammengetreten ist, während der Feind — durch Erfolg kühn und durch seinen Reichtum hochmütig gemacht — den Boden Siziliens zertrampelt und die Halbinsel von der See und aus der Luft bedroht, bestätigt feierlich die unbedingte und unumstößliche Notwendigkeit des Widerstands um jeden Preis.

In der Gewißheit, daß alle Organisationen und Bürger im vollen Bewußtsein der Verantwortung der Stunde ihre Pflicht bis zur Aufopterung zu tun wissen werden, ruft er dazu auf, alle geistigen und materiellen Kräfte der Nation für die Verteidigung der Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit des Mutterlandes zu mobilisieren.

Der Großrat des Faschismus erhebt sich und grüßt die durch Feindeswut dem Boden gleichgemachten Städte und ihre Bevölkerung, die in Rom — der Mutter des Katholizismus, der Wiege und Schatzkammer der höchsten Zivilisation — den würdigsten Ausdruck ihrer Entschlossenheit und Disziplin findet.

Er grüßt in Seiner Majestät dem König und in der Dynastie des Hauses Savoyen das Sinn-27 bild der Kraft und Dauer der Nation und den Ausdruck des Mutes unserer gesamten Streitkräfte, die zusammen mit den tapferen deutschen Soldaten das Mutterland zu Lande, zu Wasser und in der Luft verteidigen.

Er weiß sich in Ehrerbietung einig mit dem Papst im Kummer über die Zerstörung so vieler Monumente, die jahrhundertelang dem Kult der Religion und der Kunst geweiht waren..

Der Großrat des Faschismus ist überzeugt, daß der durch die Kriegsereignisse geschaffenen neuen Lage mit neuen Methoden und Mitteln begegnet werden muß. Er verkündet deshalb die dringende Notwendigkeit, in der Regierung, im Oberkommando und im inneren Leben des Landes jene Reformen und Neuerungen einzuführen, die durch die volle Wirksamkeit der verfassungsmäßigen Organe des Regimes gewährleisten, daß die vereinten Anstrengungen des italienischen Volkes zum Siege führen.

Der Staatsstreich

Nadi Schluß der Sitzung kehrte der Duce in sein Arbeitszimmer zurück, gefolgt von einigen Großratsmitgliedern, die für ihn gestimmt hatten: Scorza, Buffarini, Tringali-Casanova, Biggini und Galbiati. „Es wurde besprochen, ob alles, worüber abgestimmt worden war, legal sei, aber midi interessierte diese Frage nicht besonders.“ Andere Äußerungen Mussolinis über diese abgerissene Diskussion sind nicht überliefert. Er hatte den faschistischen Würdenträgern erlaubt, sich auszusprechen; aber er hatte sich nicht herbeigelassen, seine eigene Ansicht über die kritische Lage kund-zutun. Weder die Art und Weise noch das Ergebnis der Abstimmung schienen ihn zu interessieren. Auch früher schon hatte er in entscheidenden historischen Augenblicken den Großrat einberufen und eine zwanglose Debatte über hohe Politik zugelassen, so im Februar 1939, wo er selbst einen vorbereiteten, wohldurchdachten Überblick über die italienische Außenpolitik gegeben hatte. Er betrachtete den Großrat als ein Forum, vor dem er seine Ansichten gleichsam zu Protokoll geben konnte. In jener Rede hatte er gesagt: „Ein autokratisches und totalitäres Regime — das heißt ein Regime ohne Oppositionsparteien — muß den Mut zur Selbstkritik haben." Zum letzten Mal war das Gremium im Dezember 1939 zusammengetreten, um den Entschluß, nicht in den Krieg einzutreten, zu bestätigen und Italiens „Nichtkriegführung" zu proklamieren. Seine Auffassung von der Rolle des Großrats hatte Mussolini im Oktober 1925 in einem Brief an Farinacci klar zum Ausdruck gebracht: „über meine Anordnungen wird nicht abgestimmt; sie werden entgegengenommen und ohne Geschwätz ausgeführt. Der Großrat ist kein kleines Parlament; niemals, ich wiederhole: niemals kann darin von Abstimmung die Rede sein."

Es war deshalb nur folgerichtig, wenn er jetzt, fast zwanzig Jahre später, in den frühen Mörgenstunden des 25. Juli 1943, den wirren Ratschlägen der kleinen Gruppe, die in seinem Arbeitszimmer um ihn versammelt war, nur geringe Aufmerksamkeit schenkte. Scorza sah sich trotzdem veranlaßt, die Verfassungsmäßigkeit der Abstimmung zu bestreiten. „Er dachte daran, als alles vorbei war", bemerkte Buffarini etwas boshaft. Aber Buffarini, der die Bestimmungen über die Funktionen des Großrats im Kopf hatte, vertrat selbst nachdrücklich die Meinung, daß die Abstimmung in der Tat verfassungswidrig sei. Grandis Antrag sei ausschließlich eine innere Angelegenheit des Rates; die Außenwelt brauche nichts davon zu erfahren.

Offenbar drängten die Anwesenden den Duce, die sofortige Verhaftung Grandis und seiner Anhänger anzuordnen. Mussolini würdigte sie keiner Antwort, sondern rief den Präfekten von Bologna an und befahl ihm, einen aufmunternden Aufruf an die Bevölkerung dieser Stadt zu erlassen, die ein paar Stunden vorher schwer bombardiert worden war. Dann legte er den Hörer nieder und verabschiedete die Versammelten ohne ein Wort. Scorza blieb zurück und bat den Duce, ihn nach Hause in die Villa Torlonia begleiten zu dürfen. Kurz nach drei Uhr verließen die beiden zusammen das Gebäude.

„Die Straßen waren verlassen. Aber in der morgendlichen Luft — es war fast schon hell — meinte man jene Stimmung des Unvermeidlichen zu spüren, die vom rollenden Rad des Schicksals ausgeht, dessen unbewußte Werkzeuge die Menschen oftmals sind. Die Diskussionen in der Nacht, die als . Nacht des Großrats'bekanntgeworden ist, hatten zehn Stunden gedauert... Sehr wahrscheinlich wäre diese Krise auch ohne die Sitzung, die Debatte und die Entschließung ausgebrochen, doch die Geschichte kümmert sich nicht um unbestätigte Hypothesen.“ (Mussolini)

Bevor er sein Arbeitszimmer verließ, hatte Mussolini anscheinend erwähnt, daß er am nächsten Tag um eine Audienz beim König nachsuchen und „ihn bitten werde, , die militärischen Minister zu ernennen und einen Aufruf zum festen Zusammenschluß aller Italiener zu erlassen“ Farinacci berichtet, der Duce habe ihm nach der Sitzung gesagt: „Ich folge Ihrem Rat hinsichtlich Ambrosios und habe Verbindung mit Graziani ausgenommen; ich denke, er wird annehmen." Mussolini rechnete zuversichtlich damit, daß der König keine Einwände gegen einen Vorschlag, die Krise politisch beizulegen, erheben werde. Zweifellos trug er sich insgeheim mit einem solchen Plan. Infolge seiner natürlichen Verschwiegenheit ist von seinen Absichten nicht das mindeste ans Licht gekommen.

„Um 7 Uhr stand ich auf", schrieb Mussolini später. „Um 8 Uhr war ich im Palazzo Venezia. Regelmäßig wie stets seit 21 Jahren begann mein Arbeitstag — der letzte! Unter der Post war nichts von großer Bedeutung, außer einem Gnadengesuch für zwei zum Tode verurteilte . dalmatische Partisanen'. Ich telegrafierte in günstigem Sinne an den Gouverneur Giunta.“ Gegen 9. 30 Uhr gab Scorza ein „Lebenszeichen"; er teilte telefonisch mit, „daß viele, die für die Tagesordnung Grandis gestimmt hatten, es bereut hätten. Ich anwortete, daß es nunmehr zu spät sei. Fast in derselben Minute wurde mir ein Brief des Ministers Cianetti zugestellt, in dem er mir mitteilte, daß er seine Stimme zurückziehe. Ich maß der Tatsache nicht die geringste Bedeutung bei.“

Der Duce suchte Grandi zu erreichen. „Ich wollte ihn einfach fragen, warum er mich am Donnerstag [22. Juli], als er gekommen war ..., gebeten, ja geradezu beschworen hatte, den Großen Rat nicht einzuberufen. Alibi? Manöver?“ Mussolini erfuhr, daß Grandi aufs Land gegangen sei und nichts über seinen Aufenthaltsort hinterlassen habe. Spätere Spekulationen haben keine einleuchtende Erklärung für diesen Schritt des Duce zutage gefördert.

Um elf kam Albini, um, wie jeden Tag, Vortrag über die Angelegenheiten des Innenministeriums zu halten. Mussolini sagte ihm, in der vergangenen Nacht hätte er von Rechts wegen nicht mit abstimmen dürfen. Albini antwortete mit überschwenglichen Bekundungen seiner Ergebenheit, „die mich kalt ließen“. Tatsächlich beschäftigte sich der Duce den Vormittag über mit Routinesachen und zeigte kein Verlangen nach den Ratschlägen seiner Mitarbeiter.

Offenbar zur gewohnten Mittagsstunde erschien Scorza im Palazzo Venezia. Er brachte den Entwurf eines Briefs mit, den er, mit der Unterschrift des Duce versehen, an alle Mitglieder des Großrats schicken wollte. Darin stand lediglich, der Duce habe dieses Gremium gemäß dem Gesetz einberufen, „um es wegen der gegenwärtigen politischen Lage zu konsultieren, und die verschiedenen Anträge und Erklärungen zur Kenntnis genommen". Mussolini kommentierte lakonisch: „Aus dieser Mitteilung, die in Wirklichkeit nicht abgesandt wurde — es wäre auch zwecklos gewesen —, geht hervor, daß Scorza mit einer normalen Entwicklung der Lage rechnete.“ Ob auch Scorza eigene Ideen für eine Lösung hatte, ist noch nicht aufgeklärt. Er war gegen dreiviertel vier Uhr morgens ins Parteihauptquartier zurückgekehrt, wo ihn die Vizesekretäre ungeduldig erwarteten. Zunächst schilderte er ihnen das Gespräch, das nach der Großratssitzung im Arbeitszimmer des Duce stattgefunden hatte. Er betonte, es bestehe kein Zweifel, daß die Abstimmung ungültig und der Großrat nach dem Gesetz nur ein beratendes Gremium sei. Weiter erzählte er den Vizesekretären, auf dem Heimweg im Auto habe ihm der Duce für sein Auftreten in der Diskussion gedankt, worauf er, Scorza, erwidert habe: „Sie haben mich im Stich gelassen“ — Mussolini sei nämlich auf „die wichtigen Dinge, über die sie sich verständigt hätten", nicht öffentlich eingegangen. Diese dunkle Andeutung scheint sich auf ein Manöver zu beziehen, das in letzter Minute, unmittelbar vor dem Zusammentritt des Rats, eingeleitet worden sein muß: Falls es in der Sitzung zu einer Auseinandersetzung über das Oberkommando kam, mußte zwangsläufig die Frage auftauchen, welcher Militär Nachfolger Ambrosios als Generalstabschef oder vielleicht sogar Chef einer neuen Regierung werden sollte. Tatsächlich hatte jede der interessierten Gruppen schon einen Kandidaten im Auge: Grandi dachte an Caviglia, Farinacci an Cavallero und Scorza an Graziani.

Für den Augenblick jedoch verfolgte Scorza diesen in letzter Minute gefaßten Plan nicht weiter. Offenbar ging es ihm in erster Linie darum, die Wirkung des Abstimmungsergebnisses der letzten Nacht möglichst abzuschwächen. Er wollte telefonisch ein Treffen mit Farinacci vereinbaren, aber dieser war unauffindbar. Dann traf er sich anscheinend mit Bastianini und Cianetti. Bastianini erwähnt in seinem Brief an Mussolini vom 9. November 1943 eine Äußerung Scorzas, wonach „Sie auf Grund der Abstimmung des Großrats die Absicht hatten, Veränderungen in der Regierung vorzunehmen“. Er, Bastianini, habe gewisse Namen vorgeschlagen.

An diesem schicksalsschweren Vormittag machte Mussolini als Regierungschef und Oberkommandierender keine Anstalten, den Chef des Generalstabs, General Ambrosio, zum Vortrag über die Lage an den Fronten rufen zu lassen. Auch hielt er es nicht für notwendig, außerordentliche Maßnahmen gegen eine Gefährdung der inneren Sicherheit zu ergreifen. Jedoch erschien unangemeldet General Galbiati mit einer Denkschrift. Ihm schwebten mehrere Lösungen vor: der Duce solle das Parteidirektorium oder die führenden Persönlichkeiten der Partei und der Miliz zusammenrufen, oder er solle ihn, Galbiati, zu inoffiziellen Besprechungen mit Himmler nach Deutschland schicken. Galbiati hatte gehört, daß Grandi unauffindbar war, und forderte wiederum seine und seiner Gruppe Verhaftung. Der Duce wollte davon nichts hören und bemerkte ziemlich dunkel: „In ein paar Stunden gehe ich zum König und bespreche mit ihm die Lage. Man kann erst dann Maßnahmen gegen eine bestimmte Person ergreifen, nachdem man sie ihres Amtes enthoben hat.

Es handelt sich um Minister und Unterstaatssekretäre, die ich nicht ohne Zustimmung des Königs auswechseln kann. Außerdem sind Träger des Annunziatenordens darunter; ich kann sie nicht wie gewöhnliche Bürger behandeln.“

In seiner verschlossenen Art schickte sich Mussolini an, die Krise auf seine eigene Weise beizulegen, wie so oft in der Vergangenheit. Er wollte die Geschehnisse der vergangenen Nacht als unbedeutend abtun und nichts Außergewöhnliches unternehmen. In den letzten einundzwanzig Jahren war er jeden Montag und Donnerstag um 10. 30 Uhr vom König empfangen worden. Den widrigen Augenblicksumständen machte er nur insofern ein kleines Zugeständnis, als er seinen Sekretär, de Cesare, anwies, um eine Audienz in der Villa Savoia für diesen Nachmittag, 17 Uhr, nachzusuchen. Er ließ ausrichten, daß er wie gewöhnlich in Zivil erscheinen werde. Puntoni teilte telefonisch mit, daß der Zeitpunkt genehm sei. Der Besuch würde beinahe wie eine Routineangelegenheit erscheinen.

Scorza wußte von diesem Schritt; vielleicht war er zugegen, als die Verabredung getroffen wurde. Kurz danach empfing er Tarabini und Host Venturi, beides führende, langjährige Parteimitglieder. Host Venturi riet Scorza, keine Zeit mit reuigen Großratsmitgliedern zu vergeuden, sondern zu handeln. Scorza sagte ihm, „der Duce werde am nächsten Tag mit dem König sprechen, und alles werde in Ruhe geregelt werden". So deutete Scorza Mussolinis Absichten. Host Venturi forderte — seiner späteren Darstellung zufolge — dringend, die „M" -Division nach Rom in Marsch zu setzen, und fragte, was Galbiati mit der Miliz unternehme. Scorza erwiderte, er wisse es nicht. Tatsächlich stand er in diesen Stunden nicht mit Galbiati in Verbindung — er war in den ganzen letzten zehn Tagen nicht für ihn zu sprechen gewesen, und er selbst hatte auch die Verbindungsoffiziere zwischen Partei und Miliz abgeschafft und damit ein organisiertes gemeinsames Vorgehen auf politischer Ebene unmöglich gemacht.

Es war klar: Scorza beabsichtigte nicht, von Seiten der Partei irgendwelche Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Soviel sich nachweisen läßt, war er weder von den Schritten des Hofes unterrichtet, noch sah er eine Notwendigkeit, zum Schutz des Regimes revolutionäre Maßnahmen einzuleiten. Der Duce hatte ihn nicht ins Vertrauen gezogen und mußte später düster konstatieren: „Wenn ich heute an die Haltung Scorzas bei gewissen Gelegenheiten zurückdenke, steigen in mir starke Zweifel auf.“

Was immer Scorza von den bevorstehenden Ereignissen gewußt haben mag, er war wahrscheinlich, genau wie der Duce, immun gegen die Gerüchte von Komplotten und Gegenkomplotten und glaubte instinktiv an eine politische Lösung.

Mittags empfing der Duce seinen nächsten Besucher, den neuen japanischen Botschafter Hidaka, der Ende Juni in Rom eingetroffen war. Schon vor der Konferenz von Feltre hatte er sich um eine Audienz bei Mussolini bemüht.

„Er habe ... ohne jeden Zusammenhang mit dieser von seiner Regierung den Auftrag erhalten, sich beim Duce persönlich über die allgemeine Lage Italiens Informationen zu holen. Die Audienz sei schließlich für den 25. dieses Monats mittags angesetzt worden." Bastianini, der zugegen war, hielt die Unterredung fest:

„Der japanische Botschafter bat den Duce im Namen von Ministerpräsident Tojo, ihm ein möglichst genaues Bild der politischen und militärischen Lage Europas zu geben, die Japan mit einer gewissen Besorgnis betrachte; er fügte hinzu, daß die japanische Regierung bereit sei, mit der italienischen Regierung in jeder Weise zusammenzuarbeiten, die geeignet erscheine, eine Besserung herbeizuführen. Der Duce erwiderte, ... er billige die Politik Japans im Fernen Osten, da er selbst die Meinung vertrete, daß man, wenn eine Situation mit Waffengewalt nicht zu meistern sei, auf die Politik zurückgreifen müsse. Er habe wiederholt, bei verschiedenen Gelegenheiten, versucht, dies dem Führer begreiflich zu machen; es sei ihm jedoch nicht gelungen, ihn zu überzeugen ... Er, der Duce, habe daher beschlossen, im Laufe der nächsten Woche energische Schritte zu unternehmen, um die Aufmerksamkeit des Führers ernstlich auf die jüngst entstandene Lage zu lenken und den Führer zu veranlassen — was er schon mehrfach versucht habe —, die Feindseligkeiten an der Ostfront einzustellen und zu einer Verständigung mit Rußland zu gelangen. Sobald das erreicht sei, könne das Reich das ganze Gewicht seines militärischen Potentials gegen die Anglo-Amerikaner im Mittelmeer einsetzen und damit eine Lage wiederherstellen, die heute zweifellos gefährdet sei.

Der Duce bat den japanischen Botschafter, Ministerpräsident Tojo mitzuteilen, es sei sein ernster Wunsch, daß er (Tojo) diese Demarche beim Führer, die auf Beendigung der Feindseligkeiten gegen Rußland abziele, nach besten Kräften unterstütze. In der gegenwärtigen Lage könne man sich einfach nicht mehr darauf versteifen, die Ukraine zu halten, die für das Reich keine vollkommene Lösung seiner Wirtschaftsprobleme und seiner Nahrungsmittelversorgung darstelle. Er, der Duce, richte diese Bitte an Ministerpräsident Tojo, weil er der Ansicht sei, daß nur so die Lage zugunsten der Dreierpaktmächte geändert werden könne. Ansonsten seien die Umstände, unter denen Italien kämpfe, derart, daß es binnen kurzem zur Fortführung des Krieges völlig außerstande und gezwungen sein werde, eine Lösung politischen Charakters ins Auge zu fassen."

Hidaka erzählte später seinem deutschen Kollegen, „der Duce habe ihn eingehend orientiert und habe in der halbstündigen Unterhaltung nicht im geringsten den Eindruck eines Mannes gemacht, der seiner Sache nicht völlig sicher sei".

Einige Tage darauf teilte Bastianini dem deutschen Botschafter noch einiges über das Gespräch zwischen dem Duce und dem japanischen Botschafter mit: „Danach hat Duce in der Antwort auf die Bitte des Botschafters um Information zur Lage — zum, wie Bastianini sagt, in seiner Gegenwart ersten Male — von der Möglichkeit gesprochen, daß Italien nicht unbedingt durchhalten könne, sondern beim Ausbleiben ausreichender Unterstützung in die Lage kommen könne, nachgeben zu müssen. Duce habe hinzugefügt, er werde nächster Tage an den Führer herantreten und ihm nahebringen, daß er zum Frieden mit Rußland kommen müsse und daß die Möglichkeit hierzu gegeben sei."

Offenbar plante der Duce unter dem Eindruck der Ereignisse der letzten Nacht zuversichtlich — und wie immer in undurchdringlicher Isolierung — einen dramatischen Schritt, der ihn aus der schlimmsten Sackgasse seiner bisherigen Laufbahn befreien und mit einem Schlag wieder zum Herrn der Lage machen sollte. Notwendig war dazu natürlich eine Blitzlösung an beiden zerbröckelnden Fronten gleichzeitig — an der Kriegs-wie an der Heimatfront. Der Umstand, daß ihn der japanische Botschafter gerade in diesem Augenblick um eine Unterredung gebeten hatte, bot ihm Gelegenheit, sich zur Kriegslage zu äußern. Er ergriff sie mit beiden Händen und brachte noch einmal von sich aus den Gedanken vor, daß ein sofortiger Separatfrieden mit Rußland die Hauptvoraussetzung für die Fortführung des Krieges sei. Unzweideutig, wenn auch spät, bezeichnete er dieses Ziel als das wichtigste und dringendste Problem in den Beziehungen zwischen den Achsenpartnern.

Eine Möglichkeit, diese Gedanken an Hitler heranzubringen, die sich mit der anderen, durch das Gespräch mit Hidaka gebotenen gut zusammenfügte, lag in dem Umstand, daß Mussolini am 29. Juli sechzig Jahre alt wurde. Vor einiger Zeit war angeregt worden, daß Göring aus diesem Anlaß dem Duce einen feierlichen Besuch abstatten solle. Es würde nicht das erste Mal sein, daß der Abgesandte des Führers in persönlicher Mission — und recht gelegen — nach Rom kam. Welches Verhältnis zwischen Mussolini und Göring bestand, ist ungeklärt. Es mag durchaus sein, daß sich die beiden ganz gut miteinander verstanden. Die Protokolle ihrer vorangegangenen Begegnungen sprechen für diese Annahme. Görings Stellung in Deutschland hing in gewissem Maße mit seinem persönlichen Verhältnis zu Mussolini zusammen; zudem war er als Oberbefehlshaber der Luftwaffe stark am mittelmeerischen Kriegsschauplatz interessiert. Und, was am meisten ins Gewicht fällt, es gibt mehr als einen Hinweis, daß Göring über die Ostfront ebenso dachte wie der Duce und daß einer den anderen brauchte, um bei Hitler für diese Ideen zu werben. Göring hatte nie gewagt, das Thema im Kreis der deutschen Führung anzuschlagen, und ebensowenig war der Duce imstande gewesen, seine Meinung dem Führer ins Gesicht zu sagen. Doch jetzt hatte Mussolini bestimmt erkannt, daß es eine andere Möglichkeit nicht mehr gab, und für das Gelingen eines letzten Vorstoßes bei Hitler konnte Görings Mitwirkung entscheidend sein. In der vom Großrat heraufbeschworenen inneren Krise, die seine Machtstellung bedrohte, konnte es sich der Duce aber nicht leisten, vier Tage zu warten. Es war unbedingt notwendig, die beiden Lösungen — die äußere und die innere — zeitlich genau aufeinander abzustimmen.

Nachdem Bastianini von der Unterredung zwischen dem Duce und dem japanischen Botschafter ins Außenministerium zurückgekehrt war, erhielt er eine Anfrage Mackensens „wegen Besuchs des Reichsmarschalls zum Geburtstag des Duce ... Er habe sie sofort telephonisch an den Duce weitergeleitet und von ihm unter Hinweis auf seine immer wieder beB kündete Abneigung gegen eine Feier des Geburtstages, erst recht des 60., eine ziemlich schroffe negative Antwort erhalten. Auf Bastianinis Hinweis, daß es ihm doch vielleicht erwünscht sein könne, gerade im gegenwärtigen Augenblick eine Gelegenheit zu haben, sich mit dem Abgesandten und Vertrauten des Führers aussprechen zu können, zumal wir ja für den Besuch nicht den Geburtstag selber in Aussicht genommen, sondern schon vom 27. oder 28. gesprochen hätten, habe der Duce sofort zugestimmt, denn dann handelt es sich tatsächlich nicht um eine Gratulation, sondern um eine Aussprache, die in der Tat nützlich sein könnte. Er könne dann gleich mit dem Reichsmarschall über seinen Gedanken, Lösung der deutsch-russischen Frage, sprechen."

Die Aussicht, die äußere Krise des Krieges auf diese Weise meistern zu können, muß den Duce in seiner optimistischen Meinung bestärkt haben, daß es ihm am Nachmittag beim König gelingen werde, auch der verfahrenen inneren Lage Herr zu werden. Im Angesicht der schwersten Krise seiner Laufbahn handelte Mussolini scharfsinnig und gleichzeitig naiv. Sein Verhalten war das gewohnte, aber die katzenhafte Schläue, mit der er sich der Folgen eines Fehlschlags in den nächsten Stunden bewußt war, ließ das Muster schärfer und klarer denn je hervortreten. Konnte er Hitler überreden, den Kampf im Osten einzustellen, dann ließ sich die Stellung im Mittelmeer vielleicht noch halten und stabilisieren. Und konnte er den König bewegen, wieder das Oberkommando zu übernehmen — »ein Kommando, das ich schon seit einiger Zeit niederzulegen gedachte“ — und nochmals in eine gewöhnliche Kabinettsumbildung einzuwilligen, dann würde er, der Duce, abermals siegreich als Alleinherrscher aus den Wirren hervorgehen. Bis dahin sollte es keine vertraulichen Beratungen geben, keine Hinweise auf bevorstehende Entlassungen oder Ernennungen — nur undurchdringliche, ja entnervende Verschwiegenheit. Bevor er in die Villa Torlonia zurückkehrte, ließ der Duce noch einmal Galbiati kommen und forderte ihn auf, ihn auf einer Rundfahrt durch die Viertel Roms zu begleiten, die bei dem alliierten Luftangriff am 19. Juli schwer getroffen worden waren. Offenbar suchte er in diesem Augenblick instinktiv seelische Stärkung im direkten Kontakt mit der Masse, wie sie ihm Einzelgespräche nicht bieten konnten. „Gegen die Kirche San Lorenzo improvisierten Gruppen von Marineanwärtern eine Demonstration.“

Auf dem Rückweg in die Villa Torlonia sprachen die beiden über die Denkschrift, die Galbiati am Vormittag überbracht hatte, und gingen nacheinander die einzelnen Mitglieder des Großrats durch, „diese teigen Kreaturen, die mir vor werfen, daß id sie von Zeit zu Zeit aus ihren Führungspositionen abberufen und zu spät zurückgeholt habe“ Galbiati erwiderte: „Man muß sie nach Chianciano zur Kur unter strenger Aufsicht schicken. Dann kann man weitersehen und weitere Schritte unternehmen. An sich ist Grandis Entschließung nur ein Alibi für morgen." Mussolini fiel ihm ins Wort: „Sie spüren den widrigen Wind und wittern, daß Sturm aufkommt, wie es bei gewissen Tieren der Fall ist, und sie betrügen sich selbst, wenn sie sich ein Alibi schaffen. Diesen kleinmütigen Kreaturen kommt nicht in den Sinn, daß sie sich im irdischen Staub recht elend fühlen werden, wenn der nicht mehr da ist, der sie auf seinen Schultern emporgehoben hat.“

Am Tor der Villa Torlonia schied Galbiati vom Duce. Dieser betonte noch einmal, daß er uneingeschränktes Vertrauen zum König habe. „Ich habe nie etwas ohne sein volles Einverständnis getan. Seit über zwanzig Jahren spreche ich ein-oder zweimal wöchentlich mit ihm, und ich habe ihn in jeder Staatsangelegenheit und sogar in privaten Fragen zu Rate gezogen. Er hat immer fest zu mir gehalten.“ Der Duce kam noch einmal auf Galbiatis Denkschrift zu sprechen und erklärte kategorisch: „Was unser eigenes Pack betrifft — tun Sie nichts, was die Dinge verschlimmern kann. Um mit denen fertig zu werden, ist immer noch die Partei oder die Polizei da. Untersuchen Sie lieber genau, ob es geheime militärische Aktionen gibt.“ Dann versprach er, ihn nach der Audienz beim König anzurufen. Es war schon nachmittags drei Uhr. „Eine erdrückende Schwüle lastete auf den Seelen der Menschen und drückte vom unbeweglichen Himmel auf die Stadt Rom ... Ich nahm das übliche Frühstück ein und verbrachte eine Stunde im Gespräch mit Rachele im sogenannten kleinen Musiksalon. Meine Frau war mehr als beeindruckt, und ihre Besorgnis über irgend etwas, das sich ereignen würde, hatte sich aufs äußerste gesteigert.“ (Mussolini) Inzwischen war Scorza eifrig bemüht, den Duce telefonisch zu erreichen. Es glückte ihm erst, als dieser zu seiner Audienz beim König aufbrach. Scorza hatte am frühen Nachmittag mit Grazianis Sekretär gesprochen und offenbar wieder davon angefangen, daß der Marschall Nachfolger Ambrosios werden solle. Mussolini antwortete ihm nur: „Alles wird gut werden. Nachher werde ich Sie entweder in den Palazzo Venezia oder in die Villa Torlonia rufen lassen. Bringen Sie jene Person mit.“ Der Duce scheint so seinem Mitarbeiter jenen trügerischen Optimismus eingeflößt zu haben, den er um sich verbreitete.

In anderen Kreisen wurde das nächtliche Werk des Großrats sehr viel anders bewertet. Als Acquarone am Spätnachmittag des 24. Juli Grandis Nachricht erhalten hatte, war er sofort zu dem Schluß gelangt, ein für Mussolini ungünstiges Abstimmungsergebnis im Großrat könne jetzt die Voraussetzungen schaffen, auf die er und Ambrosio gewartet hatten, um die in den letzten Wochen so still und tatkräftig vorbereitete Palastrevolution auszulösen. Mussolini würde gezwungen sein, den König zu konsultieren, und dieser würde seinen Rücktritt verlangen. In diesem Fall mußte man schnell handeln, um sich vor einem Gegenschlag der Partei oder der Miliz zu sichern. Es war notwendig, sofort entsprechende technische Vorkehrungen zu treffen. Zunächst kam es darauf an, möglichst ohne Zeitverlust das Ergebnis der Großratssitzung zu erfahren. Der gegebene Informant war Grandi. Er hatte die Krise ausgelöst und hatte bestimmt eine eigene politische Lösung vorzuschlagen. Im Kern war diese Lösung in seiner Entschließung enthalten, deren Entwurf Acquarone schon in Händen hatte, und wenn dieser Antrag in der Sitzung durchkam, würde Grandi auf jeden Fall dem König einen mehr ins einzelne gehenden Plan zu unterbreiten haben. Nicht etwa, daß der König in den letzten Wochen in seinen vertraulichen Gesprächen mit Acquarone und Ambrosio besonderes Interesse an einer „Grandi-Lösung“ — im Sinne einer Alternative zur gegenwärtigen Regierung — gezeigt hätte. Für Acquarone bestand Grandis Rolle darin, eine Krise des Regimes von innen her auszulösen, die es, wenn alles gut ging, dem König erlauben würde, Mussolini auf verfassungsmäßige Weise abzusetzen und der Krone die historische Stellung wiederzugeben, die ihr seit dem Marsch auf Rom genommen war.

Vom Palazzo Venezia hatte sich Grandi in sein Büro im Parlamentsgebäude begeben.

Hier suchte ihn Acquarone auf, um sich aus erster Hand über die Sitzung berichten zu lassen. Es war morgens 3. 30 Uhr. Die beiden verfügten sich sofort in das Haus von Grandis Vertrautem Mario Zamboni in der Via Giulia und blieben dort fast drei Stunden im Gespräch beisammen. Grandi übergab dem Minister des Königlichen Hauses seine Entschließung mit den Originalunterschriften der neunzehn Befürworter. Jetzt hing alles vom Willen des Königs ab. In diesen frühen Morgenstunden war das ganze italienische Staatsgefüge aus den Angeln gehoben. Der Mann, der die Krise des Regimes heraufbeschworen hatte, hatte sich auch Gedanken über ihre Beilegung gemacht. Sein Gespräch mit Acquarone verlief nach seinen eigenen Angaben wie folgt. Der König, sagte er, müsse sogleich die volle Verantwortung übernehmen und eine neue Regierung bilden. Grandis Kandidat für den Posten des Regierungschefs war Marschall Caviglia, „der einzige von den alten Marschällen des Krieges von 1915— 18, der sich gegenüber Mussolini und der Diktatur seine Würde und seinen Stolz bewahrt hat. Sein Ansehen in der Armee ist sehr groß, und er ist der einzige, der erhobenen Hauptes mit England und den Vereinigten Staaten verhandeln kann". Caviglia solle eine Ubergangsregierung aus Fachleuten — Faschisten wie Antifaschisten — bilden. Orlando, der erprobte Führer der Nation im Jahre 1918, solle in einem Manifest an das Land zum heiligen Zusammenschluß aller Patrioten aufrufen. Der Monarch solle durch königliches Dekret die faschistische Kammer in eine Deputiertenkammer umwandeln. Grandi als ihr Präsident glaubte sich verbürgen zu können, daß ein Vertrauensvotum für die neue Regierung eine Zweidrittelmehrheit erhalten würde. Die meisten Mitglieder der faschistischen Partei würden dem König bei seinem Vorgehen folgen. Mitglieder des Groß-rats sollten jedoch der neuen Regierung nicht angehören.

Acquarone warf den Namen Badoglio ins Gespräch und deutete an, daß vielleicht ihm die Macht übertragen werden könne. Grandi antwortete, der Marschall sei „aus naheliegenden Gründen" ungeeignet, vor allem, weil er mitverantwortlich für Italiens Kriegseintritt sei.

„Und Sie selbst?“ fragte Acquarone. Grandi erklärte, er wünsche nur eines: „Heute abend auf eigene Verantwortung nach Madrid abzureisen und Kontakt mit meinem alten Freund Samuel Hoare aufzunehmen ..., um ihm die Lage zu erklären und ihn auf ein Friedensangebot vorzubereiten, das von jedem, den Sie dazu bestimmen wollen, überbracht werden kann."

Der Hausminister hörte zu und äußerte sich kaum. Er stellte noch eine Frage: Wie werde Mussolini jetzt reagieren? „Ich wäre nicht überrascht", antwortete Grandi, „wenn er die Abstimmung von heute nacht als Trumpfkarte in dem Manöver zur Loslösung von Hitler an-sähe, das er auf eigene Faust vorhat. Verwundern würde mich nur, wenn er sich Entscheidungen des Königs widersetzte."

Acquarone brach auf, um in der königlichen Villa Bericht zu erstatten. Jetzt mußte radikal gehandelt werden. Der Plan, Mussolini während der normalen Audienz am Montagvormit-B tag (dem 26. Juli) zu verhaften, war fertig;

aber jetzt konnte sich alles überstürzen.

Gegen sieben Uhr traf Acquarone im Oberkommando mit General Ambrosio zusammen.

Es handelte sich nur darum, den fertigen Plan zu verwirklichen. Ambrosio erklärte später, es sei behauptet worden, die Einberufung des Großrats habe ihn überrascht und die Pläne über den Haufen geworfen. „Das stimmt nicht. Ich möchte sagen, Grandis Vorgehen . .

und die Beschlüsse des Großrats ergänzten unseren Plan; außerdem bot das Verdikt des Großrats dem König die verfassungsmäßige Handhabe zur Absetzung Mussolinis." Der König hatte Ambrosio schon am 19. Juli gesagt, er habe beschlossen, im geeigneten Augenblick so vorzugehen.

Jetzt, in den frühen Morgenstunden des Sonntags, teilte ihm Acquarone mit — nachdem er mit dem König gesprochen hatte —, daß dieser Augenblick gekommen sei.

Um 10. 50 Uhr ging Puntoni zum König. „Ich fand ihn ruhig und gelassen. Wir erörterten die Lage, und den Worten Seiner Majestät konnte ich leicht entnehmen, daß die Absetzung Mussolinis beschlossene Sache war. Der König wird sich den Duce morgen, Montag, in der üblichen Audienz vornehmen." Um 12. 15 Uhr rief Mussolinis Sekretär bei Puntoni an; was er sagte, warf das Programm des Königs über den Haufen. „De Cesare erbat eine Privataudienz für den Duce um fünf in der Villa Savoia. Ich telefonierte sofort mit dem Souverän und antwortete dann dem Privatsekretär des Duce, Seine Majestät komme Mussolinis Bitte nach. Ich benachrichtigte auch Acquarone und sagte ihm, der König wolle ihn um vier sprechen."

Acquarone teilte die Neuigkeit sofort telefonisch Castellano mit. Anscheinend räumte er dabei die Möglichkeit ein, daß der König noch zaudere, den endgültigen Befehl zur Verhaftung des Duce zu geben. Die beiden verabredeten, sich in Ambrosios Haus zu treffen. Im Laufe des frühen Nachmittags wurde die Festnahme Mussolinis im Detail vorbereitet. Im inneren Kreis der Palastverschwörung hatte man sich schon darauf geeinigt, daß die Verhaftung von den Carabinieri vorgenommen werden müsse. Ihr neuer Kommandeur, General Cerica, war erst am 22. Juli ernannt worden, während er in der Nähe von Florenz Urlaub machte. Am Vormittag des 25. Juli erledigte er noch offizielle Antrittsbesuche. Kurz nach Mittag wurde er dringend in Ambrosios Büro im Palazzo Vidoni gebeten. Nach eigener Darstellung erfuhr er dort, daß der König beabsichtige, Mussolini zu entlassen und einen neuen Ministerpräsidenten zu ernennen. „Nach der Audienz müssen Sie dafür sorgen, daß Mussolini festgesetzt wird, denn er könnte versuchen, Verbindung mit seinen Leuten aufzunehmen und sich an die Spitze einer umstürzlerischen Bewegung zu stellen.“

Auf Cericas Frage, ob „wir verfassungsmäßig oder außerhalb des Gesetzes handeln", antwortete Ambrosio: „Verfassungsmäßig. Der Befehl kommt vom Souverän.“

In diesem Augenblick erschien Acquarone. Er war „alles andere als sorgenvoll". Nachdem er noch einmal Einzelheiten von der Sitzung des Großrats erzählt hatte, wandte er sich an Cerica: „Sie müssen sofort handeln, es ist keine Zeit zu verlieren. Wie Ihnen Ambrosio gesagt haben wird, müssen auch die beiden Sender Prato Smeraldo und San Paolo, die Büros des Italienischen Rundfunks, die Haupt-post und die Telefonzentralen im Innen-und Kriegsministerium besetzt werden." Cerica wollte sich sofort zu General Puntoni begeben, um mit ihm das Einrücken von Carabinieri in die Gärten der Villa Savoia zu organisieren. Acquarone hielt ihn zurück:

„Seine Majestät hat befohlen, daß außer dem Kommandeur der Carabinieri niemandem etwas von dem Plan gesagt werden soll Die für das Unternehmen ausgewählten Leute werden sich direkt mit mir in Verbindung setzen." Vor dem Weggehen fiel Cerica noch ein, daß die faschistische „M" -Division mit ihren sechsunddreißig Tiger-Panzern fünfundzwanzig Kilometer entfernt am Stadtrand von Rom stand, und er sagte zu Ambrosio, wenn sie eingriffe, könne er den Plan kaum verwirklichen. „Denken Sie an den Teil der Operation, der Sie betrifft; mit der militärischen Frage habe ich mich schon befaßt", erwiderte Ambrosio. In der Tür stieß Cerica auf General Carboni, der eben deshalb herbestellt worden war: er sollte nach der Festnahme des Duce die römische Garnison übernehmen. Nach Cerica war es genau 12. 25 Uhr. Zunächst galt es zu verhindern, daß sich die Carabinieri, die Sonntagsurlaub hatten, in der Stadt zerstreuten. Cerica eilte in seinen Dienstsitz in der Viale Legi und ordnete für alle Kasernen des Standorts Rom Ausgangssperre bis 16. 30 Uhr an, da er als neuer Kommandeur alle Verbände besichtigen wolle. (Es handelte sich um etwa 8000 Mann.) Dann bestimmte er drei Offiziere für die Durchführung des Unternehmens und zog auch einen höheren Polizeibeamten hinzu, Marzano, der nicht nur sein Verbindungsmann zur Polizei war, sondern außerdem die Kraftverkehrsabteilung des Innenministeriums leitete.

Diese kleine Gruppe arbeitete den technischen Plan aus. Es wurde beschlossen, einen Krankenwagen zu benutzen, den fünfzig Cara34 binieri in einem Lastkraftwagen begleiten sollten. Wahrscheinlich würde der Duce von Leibwächtern eskortiert sein, und man riskierte ein unerquickliches Handgemenge auf offener Straße vor der königlichen Villa, falls nicht entschieden wurde, die Verhaftung innerhalb der Einfriedigung vorzunehmen. Man brauchte Punkt dieser klare Befehle; aber würde bis zum letzten Augenblick offen bleiben müssen. Im Hauptquartier der Carabinieri erschien jetzt der dem Königlichen Hause beigegebene höhere Polizeibeamte, um an den Vorbereitungen mitzuwirken. Der Krankenwagen sollte an der Auffahrt der Villa der parken, Savoia Lastwagen mit fünfzig Mann, im Gebüsch versteckt, gegenüber dem Haupteingang.

Der König traf ebenfalls Vorbereitungen für diese ungewöhnliche Audienz. Kurz nach drei Uhr ließ er General Puntoni rufen und sagte ihm, er habe die Genehmigung erteilt, Mussolini nach der Unterredung „außerhalb der Villa Savoia" zu verhaften. Er fuhr fort: „Da ich nicht weiß, wie der Duce reagieren wird, möchte ich Sie bitten, sich an die Tür des Salons zu stellen, in den wir uns zur Besprechung zurückziehen werden. Sie können dann nötigenfalls eingreifen."

Während die beiden im Gespräch die Auffahrt auf-und abschritten, gesellte sich Acquarone zu ihnen. Er teilte mit, daß Cerica dringend bitte, die Verhaftung auf dem Grundstück der Villa vornehmen zu dürfen, „um die Operation nicht zu gefährden". Der König machte eine unmutige Geste, und dann wurde von beiden Seiten zäh argumentiert. Mussolini mußte jeden Augenblick kommen, als der König endlich widerstrebend den mündlichen Befehl gab, auf den Cerica wartete.

Knapp vor fünf Uhr bog der Wagen des Duce in die Auffahrt ein. Mussolini kam in Begleitung von de Cesare; drei Wagen mit seinen persönlichen Detektiven und seiner Leibwache blieben draußen vor dem Tor stehen. Der König empfing den Duce auf den Stufen des Haupteingangs.

Uber ihre letzte Begegnung gibt es mehrere Darstellungen. Der Duce rechnete nicht mit einer inhaltsreichen Diskussion. Er brauchte nichts weiter als die formelle Genehmigung des Souveräns, die in der vorigen Nacht heraufbeschworene Krise auf seine gewohnte Weise beizulegen. „Bei mir hatte ich ein Buch mit dem Gesetz über den Großrat, Cianettis Brief und andere Schriftstücke, aus denen hervorging, daß die Entschließung des Großrats für niemand bindend war, da dieses Organ nur beratende Funktionen hatte. Ich nahm an, der König werde den mir am 10. Juni 1940 übertragenen Oberbefehl über die Streitkräfte wieder selbst übernehmen, ein Kommando, das ich schon seit einiger Zeit niederzulegen gedachte. Ich betrat daher die Villa Savoia völlig frei von irgendwelchen Ahnungen, in einem Zustand, der rückblickend wirklich ganz arglos genannt werden kann."

Es war ein schwerflüssiges Zwiegespräch voll Verlegenheit. Der Duce gab zunächst mit leiser Stimme einen kurzen Überblick über die militärische Lage und die Sitzung des Groß-rats. Er kam gar nicht dazu, seine Vorschläge zu unterbreiten. Der König hatte nicht die Absicht, zu diskutieren und das Gespräch in die Länge zu ziehen. In ein paar abgerissenen Sätzen, in die er nach seiner Gewohnheit piemontesische Dialektausdrücke einflocht, teilte er dem Duce mit, die Entwicklung der letzten Stunden habe ihn genötigt, bestimmte Schritte zu unternehmen. Er bitte ihn jetzt um seinen Rücktritt. Er habe schon Badoglio zu seinem Nachfolger als Regierungschef bestimmt — „er sei praktisch bereits im Amt". Im Raum herrschte Stille, „unterbrochen nur durch einen Satz, den der König im Laufe des Gesprächs mehrmals wiederholte: Es tut mir leid, es tut mir leid, aber eine andere Lösung war nicht möglich.'" Die Audienz endete in Schweigen. Der König begleitete den Duce zum letztenmal zum Haupteingang. „Die Unterredung dauerte eine halbe Stunde. Im Augenblick des Abschieds auf der Schwelle drückte mir der König sehr herzlich die Hand." Während dieses kurze Gespräch seinen Verlauf nahm, traf man die letzten Vorbereitungen für die Verhaftung des Duce. Sein Chauffeur wurde unauffällig im Fernsprechraum der Villa festgesetzt, sein Wagen vom Haupteingang weggefahren.

Der Duce erschien auf der Eingangstreppe.

„Mein Wagen erwartete mich an der rechten Seite der Palazzina, doch während ich mich dahin begab, hielt mich ein Hauptmann der Carabinieri mit den Worten auf: . Seine Majestät hat mir befohlen, Ihre Person zu schützen." Als ich weiterhin in mein Auto steigen wollte, ließ er mich in einen schon bereitstehenden Krankenwagen steigen.“ Mussolinis Sekretär, de Cesare, bestand darauf, ihn zu begleiten, und die seltsam zusammengesetzte Gesellschaft fuhr in scharfem Tempo zu einer Carabinieri-Kaserne in der Via Quintino Sella. Mussolini wurde in das Zimmer des Obersten gebracht; vor der Tür zog ein bewaffneter Posten auf. So wurde der Mann, der über zwanzig Jahre lang Italien beherrscht hatte, jäh und ohne eine Spur zu hinterlassen von der öffentlichen Szene entführt.

Die Verhaftung des Duce war das notwendige Vorspiel zur „legalen" Revolution. Die zügige Durchführung der seit langem vorbereiteten technischen Einzelmaßnahmen bildete einen gedämpften Epilog. Cerica hatte die ihm übertragenen Aufgaben gegen fünf Uhr erledigt.

Senise war etwa eine Stunde vorher mit ungefähr fünfhundert Polizisten im Innenministerium erschienen, und alle staatlichen Nachrichtenmittel gingen in sichere Hände über. Kurz nach fünf Uhr erschien Buffarini in der Villa Torlonia. Donna Rachele erwartete die Rückkehr ihres Gatten von der Audienz beim König. In wachsender Unruhe suchte Buffarini überall in Rom anzurufen, aber nirgends bekam er Verbindung. Schließlich kam ein Anruf mit der Mitteilung, daß Mussolini verhaftet war. Buffarini blieb die Nacht über in der von der Außenwelt abgeschnittenen Villa und wurde am nächsten Morgen festgenommen. Gegen fünf Uhr ließ Scorza die Vizesekretäre ins Haus der Parteiführung rufen, um mit ihnen den Ausgang der Audienz zu erwarten. An Farinacci wurde eine Benachrichtigung geschickt, er solle ebenfalls kommen. Die Zeit verging, und man hörte nichts vom Duce. Scorza bekam keine Telefonverbindung zum Palazzo Venezia. Das war für ihn offenbar das erste Anzeichen, daß etwas nicht stimmte. Die kleine Gruppe im Parteihauptquartier geriet rasch in Panikstimmung. Scorza rief nun die Telefonzentrale im Innenministerium an, und man hörte ihn aufschreien: „O Gott, bloß das nicht!“ Nach einer erregten Auseinandersetzung mit zweien seiner Untergebenen machte er sich im Auto auf den Weg zum Palazzo Venezia. Er hinterließ die Anweisung, falls er nicht wiederkomme, solle die Partei-organisation der Stadt Rom alarmiert und mobilisiert werden.

Scorza versuchte nicht erst, in den Palazzo Venezia hineinzukommen, sondern fuhr zum Hauptquartier der Carabinieri, wo er von General Cerica empfangen wurde. Er sagte, er brauche Hilfe, um Mussolini aufzuspüren, aber Cerica schnitt ihm das Wort mit der Erklärung ab, daß er zu seinem Bedauern gezwungen sei, ihn unverzüglich festzunehmen. »Ich erklärte ihm, daß Mussolini nicht mehr Ministerpräsident sei, sondern sich in Gewahrsam außerhalb von Rom befinde, und daß er, Scorza, als erster auf einer Liste festzunehmender Personen stehe, die ich von meinen Vorgesetzten erhalten hätte."

Die beiden waren verlegen. Laut Cerica erklärte Scorza, seine Verhaftung werde „die Faschisten befehl-und führerlos lassen und den Bürgerkrieg entfesseln" Wenn man ihn auf freiem Fuß ließe, werde er veranlassen „daß sich die Italiener nicht gegenseitig abschlachten'. Cerica ließ Scorza auf Ehrenwort frei, und dieser „gab entsprechende *B. efehle Statt ins Parteihaus zurückzukehren, tauchte Scorza unter. Es ist nicht klar, ob er im Anschluß an sein Gespräch mit Cerica seinen Untergebenen telefonisch irgendwelche Weisungen erteilte. Als er nicht wiederkam, teilte man dem Federale von Rom, dem Leiter der städtischen Parteiorganisation, der vorsorglich ins Parteihauptquartier beordert worden war, Scorzas Mobilisierungsbefehl mit. Der Funktionär antwortete, da Sonntag sei, könne er nicht mehr als zwanzig Parteigenossen zusammentrommeln. In diesem Augenblick kam der Privatsekretär, einer von denen, die mit Scorza das Gebäude verlassen hatten, mit den neuesten Nachrichten zurück: Der Duce sei verhaftet und werde nach La Rocca delle Caminate gebracht. Scorza scheine ebenfalls festgenommen zu sein, und das gleiche Schicksal erwarte die anderen führenden Persönlichkeiten des Faschismus. Das Telefon klingelte; Tarabini, von den Anwesenden der ranghöchste Parteifunktionär, nahm den Hörer ab. Am Apparat war General Ambrosio. „Tarabini antwortete: Gut, ich werde mich sofort darum kümmern.'Und er notierte sich einen Text, der ihm wörtlich durch das Telefon diktiert wurde. Am Schluß des Gesprächs sagte er so, daß es alle hören konnten: . Dieses Telegramm muß an die Federali geschickt werden.'Er setzte sich an einen Schreibtisch, um den Text ins reine zu schreiben. Als er fertig war, sagte er: , Es ist besser, mit . Scorza'zu unterzeichnen.'Da Sonntag war, war das Telegrafenbüro der Partei geschlossen; ein Angestellter wurde zur Hauptpost geschickt und bezahlte die Telegramme am Schalter in bar.“

Die Gruppe in Scorzas Büro war mit ihrer Arbeit fertig und ging auseinander. Im Laufe des Abends wurde das Gebäude von der Armee besetzt. Tarabini ging nach Hause. Dort suchte ihn Host Venturi um 23 Uhr auf und erfuhr, was im Parteihaus geschehen war. In den frühen Morgenstunden ging Host Venturi zu Fuß zum Palazzo Braschi, dem Sitz der städtischen Parteileitung, „um zu sehen, ob die Partei etwas unternommen hatte. Alles war verlassen, es herrschte vollkommene Ruhe".

Inzwischen hatte Galbiati anscheinend auf eigene Faust beschlossen, sich mit Himmlers Vertreter, Obersturmbannführer Dollmann, zu beraten. Um 17 Uhr bat er ihn in sein Büro. Er unterrichtete ihn nicht ausführlich über die Großratssitzung, sondern sagte ihm nur, er habe Befehl vom Duce, sich auf eventuelle militärische Aktionen vorzubereiten, und bat ihn, ein Treffen mit Feldmarschall Kesselring zur Abstimmung dieser Maßnahmen zu arrangieren. Dollmann versprach, die Zusammenkunft am nächsten Tag zu organisieren, da Kesselring nicht in Rom war.

Wie Scorza im Parteihaus, dem Palazzo Wedekind, wartete dann Galbiati im Milizhauptquartier, umgeben von seinem Stab, auf weitere Aufklärung vom Duce. Die Zeit verstrich, die Spannung stieg. Telefonische Anfragen im Palazzo Venezia blieben unbeantwortet. Ausgesandte Meldefahrer berichteten, daß vom Wagen des Duce vor der Villa Savoia nichts zu sehen sei. In der Stadt bemerkte man Truppenbewegungen. Buffarini rief mehrmals von der Villa Torlonia aus an; er wußte auch nichts Neues und wurde immer mißtrauischer. Galbiati schickte seinen Stabschef zu Chierici ins Hauptquartier der Polizei. Gegen 19. 30 Uhr kam der Offizier mit der Nachricht zurück, daß Mussolini zurückgetreten und offenbar nach La Rocca delle Caminate gebracht worden sei. Kurz danach traf Tarbini ein und schilderte die Vorgänge im Parteihaus.

Um 19. 45 Uhr meldete das Milizkommando in dem Arbeiterviertel Trastevere, daß es von regulären Truppen beschossen werde. Meldungen liefen ein, wonach einzelne Miliz-angehörige in den Straßen von Zivilisten angegriffen worden waren. Galbiati erließ eine Weisung an alle Milizkommandos, Provokationen aus dem Wege zu gehen, sich aber zu verteidigen, wenn sie angegriffen würden. Dann machte er noch einen verzweifelten Versuch, der Lage einigermaßen Herr zu bleiben: er wollte Bologna, Mailand und den Stab der Division „M“ anrufen, der untätig in seinem Standort Sette Vene saß. Der Telefonist teilte ihm mit, daß die Zentrale auf Befehl des Innenministeriums sämtliche Leitungen gesperrt habe.

In den nächsten zwei Stunden war Galbiatis Arbeitszimmer Schauplatz einer chaotischen Diskussion. Jedermann beteiligte sich: Stabsoffiziere, Milizionäre, Fahrer und Zivilisten. Man redete wirr von einem zweiten Marsch auf Rom. Galbiati war nicht bereit, sich auf irgendeine Aktion einzulassen. Die Division , M“ übte, weit auseinandergezogen, in der Umgebung des Lago di Bracciano nördlich von Rom, und außerdem unterstand sie seit Anfang Juli direkt dem Generalstab. In der Stadt Rom befanden sich keine kampfbereiten Miliz-bataillone, und die zur Miliz gehörenden Flak-verbände waren auf einen Raum von hundert Kilometern Durchmesser verteilt.

Hingegen war die Armee sichtlich dabei, Gegenmaßnahmen einzuleiten; schon standen Panzer auf dem Platz vor Galbiatis Dienst-gebäude. Nach der Festnahme Mussolinis hatte Roatta von Ambrosio telefonisch den Befehl erhalten, die Division „Piave" nach Rom einrücken zu lassen. Am nächsten Morgen war die Hauptstadt von starken motorisierten Verbänden besetzt.

Um 22. 10 Uhr gelang es Galbiati, Albini anzurufen, der noch an seinem Schreibtisch im Innenministerium saß. Galbiati diktierte ihm eine kurze Erklärung: „Ich bitte Sie, denjenigen, der in diesem Augenblick für die Regierung verantwortlich ist, davon zu unterrichten, daß die Miliz ihren Grundsätzen treu bleibt, die da lauten: dem Vaterland im Namen des Königs und des Duce zu *dienen. Kurz danach rief Ambrosio an: Er habe die Erklärung erhalten, und Badoglio, der die Regierungsgeschäfte übernommen habe, wünsche Galbiati zu sprechen. Galbiati sagte, er wolle nicht auf seinem Posten bleiben und bitte um die Bestellung eines Nachfolgers. Um Mitternacht empfing er einen von Badoglio unterzeichneten Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde, daß er zu gegebener Zeit abgelöst werde. Mit diesem Notenaustausch fand die Rolle der Miliz in diesem Geschehen ihr Ende. So liefen die von Ambrosio und Acquarone geplanten technischen Maßnahmen ab, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die formale, protokollarische Prozedur ging ebenfalls reibungslos vonstatten. Kurz nach 17 Uhr bestellte Acquarone Badoglio telefonisch zum König. Badoglio war schon am Morgen gebeten worden, sich bereitzuhalten, und hatte den Nachmittag besonnen am Bridgetisch hingebracht. Er traf in Marschallsuniform in der Villa Savoia ein. Der König unterrichtete ihn kurz von Mussolinis Festnahme und den vor ihm stehenden Aufgaben. Es sei notwendig, unverzüglich eine Regierung aus militärischen und zivilen Fachleuten zu bilden, Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten und eine Proklamation über die Fortführung des Krieges an der Seite der Achse, verfaßt von dem Veteranen Orlando, zu erlassen. Badoglio fuhr in dem Wagen ab, der den Duce z*ur Audienz gebracht hatte.

Zunächst galt es sicherzustellen, daß alle Maßnahmen zur Verhinderung eines faschistischen Gegenschlags wirklich ausgeführt wurden. Diese Aufgabe hatte schon Ambrosio in Zusammenarbeit mit Acquarone übernommen, und in den nächsten Stunden war das Oberkommando das Zentrum der noch ungefestigten neuen Macht. Gegen 19 Uhr war die Operation abgeschlossen. Doch erst um 23 Uhr erschien der vorsichtige Badoglio in Ambrosios Amtssitz.

Die drei Rundfunkaufrufe an die Nation, in denen verkündet wurde, daß der König Mussolinis „Rücktritt“ angenommen, Badoglio mit der Regierung betraut und selbst das Oberkommando über die Streitkräfte übernommen habe und daß der Krieg weitergehe, hatten Acquarone und Orlando gegen 18. 30 Uhr verfaßt. Sie gingen um 22. 45 Uhr über die Sender, unmittelbar vor Badoglios sorgfältig darauf abgestimmter Ankunft im Palazzo Vidoni.

In diesem Stil vollzog sich die Machtübertragung. Vielleicht den treffendsten Kommentar gab ein höherer Parteifunktionär, der am nächsten Tag in einem abgehörten Telefongespräch mit einer Dame sagte: „Wir haben den Bürgerkrieg vermieden; wir haben Beschimpfungen hingenommen, ohne einen Schuß abzugeben und ohne zu reagieren. Morgen lösen wir die Partei auf, und alles ist vorüber. Die Armee wird die Ordnung wiederhergestellt haben. 1'

Rückschau

„Das ist mein Achtzehnter Brumaire", soll dei König gemurmelt haben, als er nach der Festnahme des Duce im Garten der Villa Savoia aut und ab ging. In den gleichen Räumen hatte er andere Ministerpräsidenten empfangen Salandra während der Interventionskrise 1915 und Facta in den Stunden vor dem Marsch auf Rom 1922. Heute wie damals war das Geschehen entscheidend von der Persönlichkeit des Monarchen geprägt worden. Der Staatsstreich, der zum Sturz Mussolinis führte, war eine persönliche und dynamische Aktion.

Das Hauptziel war, das Haus Savoyen in seiner traditionellen Rolle als Wahrer jener verfassungsmäßig verbürgten Freiheiten zu erhalten, die der Faschismus in den Jahren seiner Herrschaft eine nach der anderen vergewaltigt hatte. Nach zwanzig Jahren voll Demütigungen eröffnete sich jetzt dem König die Aussicht, sein persönliches Regiment aufrichten zu können. Die Art seines Vorgehens gegen den Duce war Ausdruck seiner Persönlichkeit — mißtrauisch, vorsichtig, verschwiegen; alles war darauf angelegt, das öffentliche Leben möglichst wenig zu stören. Bei der Vorbereitung der Aktion war „vielleicht mehr Mißtrauen gegen andere als Selbstsicherheit am Werk".

Aus dem Gewirr von Gerüchten, Redereien und Denunziationen, das die politischen Kreise Italiens überzog, lassen sich zwei getrennte, einander entgegengesetzte Verschwörungen — oder wohl vielmehr Privatkabalen — gegen das Regime herausschälen. Die Idee eines Staatsstreichs entstand im Sommer 1942 im Kreis der Prinzessin von Piemont, in einer Atmosphäre von vorfaschistischem Liberalismus und Salonpolitik. Dieser enge Kreis wurde zum Zentrum eines Netzes geheimer Verbindungen zwischen den Führern der traditionellen Ordnungsparteien des Giolitti-Systems. Führer und Koordinator dieser Persönlichkeiten und Programme war Ivanoe Bonomi. Im Sommer 1943 traten diese Elemente der historischen antifaschistischen Opposition mit einem politischen Aktionsplan hervor. Wie Bonomi selbst sagt, war sein Haus Mitte 1943 der Mittelpunkt aller antifaschistischen Kreise geworden, wozu nicht nur extreme Elemente mit ihren bekannten Ideen und Absichten gehörten, sondern auch Leute der alten „Ordnungsparteien", die eine Regierung bilden konnten, „fähig, die Physiognomie der demo-liberalen Kabinette aus der Zeit vor dem Marsch auf Rom wiederzuerwecken".

Diese Gruppen hatten „insgeheim eifrig Kontakt mit den lebendigen Kräften im Lande” ausgenommen. Ihr Programm, wie das aller anderen Prätendenten auf die Nachfolge des Duce, setzte ein Eingreifen der Krone voraus.

Bonomis Plan war im Kern einfach: Der König mußte sich der Regierung Mussolinis entledigen, ihn selbst einsperren lassen, um einen faschistischen Gegencoup zu verhindern, für kurze Zeit einen General an die Spitze der neuen Regierung stellen und dann ein aus älteren Politikern bestehendes Zivilkabinett ernennen, das mit den Alliierten über Italiens Ausscheiden aus dem Krieg verhandeln konnte. Bezeichnenderweise akzeptierten sogar die Kommunisten diese Lösung, besonders was die Rolle der Monarchie anlangte.

Der König hatte grundsätzliche Einwände gegen ein politisches Manöver dieser Art. Der Kreis antifaschistischer Persönlichkeiten war von Anfang an der Prinzessin von Piemont verbunden, deren politische Aktivität ihr Schwiegervater von jeher mit Argwohn beobachtete. Familiäre Fehden und Rivalitäten im Königshaus spielten, wie am Vorabend der Ereignisse von 1922 — damals zwischen dem König und dem Duca d'Aosta — so auch 1943 ihre Rolle. Daß diese antifaschistischen Persönlichkeiten mit der Prinzessin in Verbindung standen, machte einesteils den Souverän ihnen abgeneigt, nötigte ihn aber auch wieder, ihre Vertreter anzuhören. Er traute diesen Männern nicht viel zu. Aus Erfahrung glaubte er zu wissen, daß die Kräfte, die 1922 den Faschismus nicht hatten aufhalten können, 1943 schwerlich imstande sein würden, eine arbeitsfähige Alternativregierung zu bilden. „Sie sind Gespenster", sagte er zu Badoglio, der ursprünglich Bonomis Pläne unterstützt und sich beim König für sie verwendet hatte. Es war ihnen auch nicht gelungen, unter der faschistischen Herrschaft Rudimente einer geheimen Parteiorganisation zu bewahren. Die einzige Ausnahme, und auch das nur in Grenzen, bildete die illegale kommunistische Partei, die zur Zusammenarbeit mit dieser embryonalen antifaschistischen Opposition bereit war; doch selbst sie verfügte nur über eine bescheidene Organisation, woran auch die später von ihr übermäßig herausgestrichenen Streiks vom März 1943 nichts ändern. Im August 1939 hatte die Partei auf einer geheimen Tagung in Paris, an der einundzwanzig Delegierte teilnahmen, beschlossen, ihr organisatorisches Zentrum nach Italien zu verlegen. Der Zusammenbruch Frankreichs vereitelte den Plan, und der erste Emissär traf erst im Juli 1941 ein.

Aber selbst wenn Massenorganisationen existiert hätten, die zur Unterstützung einer antifaschistischen Regierung bereit gewesen wären, so hätte das den Argwohn des Königs nur verstärkt; denn eine solche Aktion konnte nicht nur den Bürgerkrieg und einen faschistischen Gegenschlag heraufbeschwören, sondern explosive Formen annehmen, die Monarchie selbst unterminieren und gerade das herbeiführen, was der König um jeden Preis vermeiden wollte — die Errichtung eines republikanischen Regimes. Mitte Juni 1943 gab der König klar zu verstehen, daß Bonomis Programm für ihn nicht annehmbar war und daß er sich darauf beschränken würde, einer Militärregierung, verstärkt durch zivile Fachleute, die Macht zu übertragen. Die Einzelheiten dieses Unternehmens überließ er vorsichtig Acquarone und Ambrosio.

Ehe man offen die Autorität und Macht Mussolinis anfocht, mußte das faschistische System selbst unterhöhlt und gespalten sein. Während die Flut der militärischen Niederlagen stieg, formierten sich in den offiziellen Reihen des Faschismus behutsam und zögernd die Elemente einer zweite Fronde. Es war keine eigentliche Verschwörergruppe, kein organisiertes Komplott gegen das Regime. Die führenden Männer des gemäßigten „revisionistischen" Faschismus, Grandi, Federzoni und Bottai, kamen von Zeit zu Zeit heimlich zusammen, um nach einer anderen Lösung zu suchen. Sie hatten sich 1940 dem Kriegseintritt widersetzt und seinerzeit, jeder auf seine Weise, mäßigend und dämpfend am Zustandekommen des politischen Kompromisses mitgewirkt, der dem Marsch auf Rom im Jahre 1922 folgte. Diese Politiker — als organisierte politische Gruppe kann man sie nicht bezeichnen — wollten der Monarchie ihre in zwanzig Jahren faschistischer Herrschaft mit Füßen getretenen verfassungsmäßigen Prärogative wiedergeben und eine nationale Front schaffen. Sie sollte vermittels der wieder in ihre Rechte eingesetzten parlamentarischen Körperschaften, des Senats und der Kammer — deren Präsident Grandi war —, regieren und der Außenwelt das Bild eines konstitutionellen Regimes bieten. Alle Menschen guten Willens sollten ihr angehören, auch die gemäßigten Elemente der faschistischen Partei, die sich — was auch andere von ihnen denken mochten — durch die Fehler der persönlichen Herrschaft Mussolinis und vor allem durch die Verantwortung für den Krieg nicht belastet fühlten.

Grandis Kreis besaß ebensowenig wie Bonomi und seine Freunde eine Massenorganisation, auf die er sich stützen, durch die er eine politische Macht hätte werden können. Vorschläge aus diesem Kreis hatten nur insoweit Bedeutung, als seine einzelnen Mitglieder der Krone nützlich sein konnten. Federzoni, der Senior der nationalistischen Gruppen, verfügte noch über einen ansehnlichen, aber völlig unorganisierten Anhang in gewissen faschistischen Kreisen. Bottai, die treibende Kraft beim Aufbau des Korporativstaates und unermüdlicher Streiter für den faschistischen Revisionismus, für die Zulassung einer Opposition innerhalb der Bewegung, erschien gleichfalls auf Grund seiner Vergangenheit als einflußreiche Gestalt. Die besten Voraussetzungen von allen brachte vielleicht Grandi mit. Er war nach 1922 nicht nur als Anhänger einer gemäßigten Innenpolitik bekanntgeworden, sondern genoß auch in ausländischen Kreisen bedeutenden, unbestreitbaren Ruf als maßvoller Mann. Nicht grundlos betrachtete er sich als den annehmbarsten Unterhändler zwischen einer auf Initiative der Monarchie umgebildeten italienischen Regierung und den westlichen Alliierten. Sein konstitutionelles Programm, das er im Frühjahr und Sommer 1943 im vertraulichen Gespräch mit Federzoni und Bottai entwickelte, hing untrennbar zusammen mit dem Plan, Friedensfühler zu den Westalliierten auszustrecken. Bisher liegen keine Beweise vor, daß der König zu irgendeinem Zeitpunkt Grandis Plan einer politischen Lösung in Betracht gezogen hätte. Seine politische Schule war der Erste Weltkrieg gewesen, und nach diesem historischen Vorbild hielt er nur die Hofkreise für fähig, einen Kompromißfrieden zustande zu bringen. Vielleicht würden die Alliierten, wenn überhaupt, nur mit ihm selbst verhandeln wollen. Nach Ansicht des Königs konnte von Friedensverhandlungen keine Rede sein, solange nicht die persönliche Herrschaft Mussolinis gestürzt oder zusammengebrochen war.

Das Wirken Grandis und seines Kreises war für die Krone und Hofminister Acquarone in direkterem Sinne nützlich, weil es den Zerfall des faschistischen Systems beschleunigte und Mussolini immer mehr in die Isolierung drängte.

Anfang Juli scheint der König widerstrebend sein Einverständnis mit begrenzten Plänen für einen technischen Coup erklärt zu haben, der, von der Armee und den Carabinieri ausgeführt, zur Festnahme Mussolinis und der faschistischen Parteiführer sowie zur Errichtung einer provisorischen Militärregierung unter Badoglio führen sollte. Ein Zeitpunkt wurde nicht festgelegt; man mußte sich nach dem Gang des Geschehens richten. Bis zum letzen Augenblick fühlte sich der König verpflichtet, das Ergebnis der letzten Vorstöße Mussolinis bei Hitler abzuwarten; er hoffte immer noch, daß sich Italiens Ausscheiden aus dem Krieg mit diplomatischen Mitteln und mit dem Einverständnis Deutschlands erreichen lasse. Alles hing von diesem jetzt fast aussichtslosen Unterfangen ab. Der Fehlschlag von Feltre beschleunigte den Ausbruch der Krise, bestimmte jedoch nicht ihre Form. Der faschistischen Elite selbst war es vorbehalten, den Anstoß zur Vernichtung des Systems zu geben.

Die Einberufung des Großrats, dessen Mitglieder am 21. Juli von Scorza die offizielle Einladung erhielten, „beschwor die Krise des Regimes herauf", wie Mussolini in der Sitzung formulierte. Sie versetzte die interessierten Parteien in heftige, erwartungsvolle Erregung, handelte es sich doch hier um das einzige Forum, in dem eine wirkliche Debatte auf hoher Ebene möglich war. Aber selten hat eine so entscheidende Sitzung unter so verworrenen Umständen stattgefunden. Dem König gab die Großratssitzung, falls sie mit einem für Mussolini ungünstigen Abstimmungsergebnis schloß, die einzige Waffe in die Hand, nach der er verlangte, nämlich die Möglichkeit, seinen Ministerpräsidenten verfassungsgemäß zu entlassen und damit direkte Gewaltmaßnahmen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Für Grandi bedeutete sie eine äußerst gewagte Herausforderung, und es ist kaum überraschend, daß er im letzten Augenblick gezögert zu haben scheint. Wenn alles gut ging, konnte er mit dem Abstimmungsergebnis zum König gehen und es als Beweis für seine starke persönliche Stellung in der faschistischen Bewegung vorweisen, vielleicht auch für seine Fähigkeit, sie in „konstitutionelle" Richtung zu lenken. Wurde er dagegen überstimmt, würde er das erste Opfer von Repressalien sein.

Das Verhalten Mussolinis in diesen kritischen Juni-und Julitagen des Jahres 1943 entzieht sich bisher der genauen Zergliederung. Später schrieb er mit offenkundiger Untertreibung:

„Alles reduzierte sich auf verständliche Äußerungen der Unzufriedenheit." Mit seiner instinktiven Meisterschaft, widrige Ereignisse zu seinem Vorteil zu wenden, hoffte er der Sitzung positive Ergebnisse abzugewinnen. Ein ungünstiges Abstimmungsergebnis — er betrachtete ja den Großrat nicht als beschließendes Organ, sondern nur als Resonanzboden — lieferte ihm vielleicht einen Vorwand, Hitler die Zustimmung zu einem ordnungsgemäßen Ausscheiden Italiens aus dem Krieg abzunötigen, also das, worüber der Führer in Feltre nicht mit sich hatte reden lassen. Was die innere Front anlangte, fühlte er sich imstande — was er dann auch zuversichtlich tat —, als Ministerpräsident zum Souverän zu gehen und ihm zu diesem Zweck eine gewöhnliche Kabinettsumbildung vorzuschlagen; und er war bereit, der Krone ihre militärischen Befugnisse zurückzugeben, weil so vielleicht der König die Verantwortung für einen Bruch mit Deutschland auf sich nehmen mußte. Jedenfalls beschloß diese historische Sitzung vom 24. /25. Juli 1943, unbewußt und ohne verschworerische Absicht, den Sturz des Regimes. Ihre eigentliche Bedeutung lag darin, daß sie die wahren Verantwortlichkeiten und Machtverhältnisse des faschistischen Regimes verwischte und verwirrte. Dank der bewußt geübten persönlichen Regierungstechnik des Duce gab es im faschistischen System keine organisierten Parteien. Weder war der Großrat ein in sich geschlossenes Gremium, noch wurde er durch starke Gruppenbindungen zusammengehalten. Seine Einberufung in äußerst kritischer Lage mußte etwaigen Versuchen der faschistischen Partei und ihrer bewaffneten Verkörperung, der Miliz, zum Schutz des Regimes die Kräfte zu sammeln, die Stoßkraft nehmen. Man diskutierte in einem unechten Kabinettssitzungsstil, der den Traditionen der faschistischen Herrschaft fremd war. Der Beschluß des Großrats, auch wenn er formal verfassungswidrig war, schien die faschistische Führung ihrer Verantwortung zu entbinden, und die Debatte in der Nacht vom 24. zum 25. Juli bedeutete eine vollkommene Abdankung der Führung mit Einschluß jedes einzelnen Mitglieds und auch Mussolinis selbst.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Von einem Treffen zwischen Hitler und Keitel einerseits und Mussolini und Ambrosio andererseits.

  2. Forderungen des deutschen Oberkommandos an die Italiener: 1. Vermehrung der italienischen Kräfte zur Bildung einer verteidigungsfähigen zweiten Stellung in Sizilien; 2 Sicherung des Nachschubs und Schaffung starker Verteidigungsstellungen auf dem süditalienischen Festland; 3. durchgreifende Maßnahmen, um den militärischen Stellen in Süditalien die Machtbefugnis zur Mobilisierung aller militärischen und zivilen Kräfte für die Kriegführung zu geben.

  3. Ricci, Farinacci, Rossini, Preziosi, Bastianini u. a.

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