Fast zwanzig Jahre nach dem Attentat, das Claus Graf Schenk von Stautfenberg auf Hitler verübte, veröffentlichte eine der größten deutschen Zeitungen einen Artikel mit der Überschrift: „Verlegenheit umStauffenberg?" Eine kürzlich erschienene Biographie des Grafen mußte bedauernd feststellen: „Im Westen Deutschlands — und nur von ihm sei die Rede — wird um Stauffenberg ein verlegener Bogen gemacht. Man liebt ihn nicht." Zwar hat man die Bendlerstraße, wo er seine Pläne zum Sturz des Tyrannen schmiedete und wo er am Abend des 20 Juli — mit dem Ruf „Es lebe unser heiliges Deutschland!" auf den Lippen — erschossen wurde, in Stauffenbergstraße umbenannt. Im Deutschland von heute besteht sehr viel mehr politische Sympathie für die konservativen Häupter der Verschwörung — Männer wie Carl Goerdeler. Ludwig Beck, Ulrich von Hassel, Johannes Popitz — oder für die gemäßigten Sozialdemokraten, die mit ihnen zusammenarbeiteten — Wilhelm Leuschner, Julius Le-ber, Carlo Mierendorff — als für den heißblütigen, draufgängerischen, fanatischen jun-gen Oberst, den bereits Goerdeler als einen „Querkopf” bezeichnete, „der auch Politik machen wollte"
Woraus erklärt sich diese ablehnende Haltung zu Stautfenberg, und vor allem, was waren seine politischen Vorstellungen und Pläne? Wir wissen, daß er ursprünglich — wie so viele seiner Altersgenossen — Hitler und dem Nationalsozialismus ganz unkritisch gegenüberstand. „Sicher, Stauffenberg begehrte nicht von Anfang an auf ... Lange erblickte er in Hitler ein Symbol für den Wiederaufstieg der Nation", schreibt sein Biograph Es war der von Hitler immer wieder herausgestellte Nationalismus, sein Eifern gegen „die Ketten von Versailles", sein Versprechen, Deutschland wieder groß und stark zu ma-chen, die durch ihn inspirierte „nationale Erhebung", die viele junge Menschen — und viele junge Offiziere — bestachen. „Als am 30. Januar 1933 eine begeisterte Menschenmenge in den Straßen Bambergs den nationalsozialistischen Sieg feierte, setzte sich ein jun-ger Leutnant in voller Uniform an die Spitze dieses Zuges. Das Offizierskorps, dem er angehörte, und seine Vorgesetzten fanden sein Verhalten unangebracht und tadelten ihn. Der Leutnant nahm diese Ablehnung gelassen hin und äußerte zu seinen Kameraden, daß die großen Soldaten aus der Zeit der Befreiungskriege wohl mehr Gefühl für solche echte Volkserhebung bewiesen hätten . ,." Der junge Graf und Leutnant — er war damals 25 Jahre alt — im 17. bayerischen Reiterregiment fühlte sich als der Urenkel Neidhardt von Gneisenaus dem Geist der Freiheitskriege näher verwandt als dem der „Bürogenerale* in der Bendlerstraße Das 100 000-Mann-Heer war auf Grund seiner ganzen Struktur isoliert vom Volk, von der Nation. Würde nicht die nationalsozialistische Bewegung imstande sein, die Brücke zum Volk zu schlagen? Würde die Reichswehr nicht dadurch aus ihrer Isolierung erlöst werden?
Ähnliche Gedanken bewegten seit Jahren viele junge Offiziere. Schon 1929 hielt der Oberleutnant Henning von Tresckow — der später einer der geistigen Führer der militärischen Widerstandsbewegung werden sollte — im Potsdamer Offizierskasino einen Vortrag, der die von den Nationalsozialisten propagierte „Brechung der Zinsknechtschaft'bejahte; auch sonst versuchte er, die Offiziere seines Regiments — des 9. preußischen Infanterieregiments — nationalsozialistisch zu beeinflussen Schon 1929 zirkulierten in der Reichswehr Flugblätter, die von jungen Offizieren verfaßt waren und mit der lapidaren Feststellung begannen: „Der Geist in der Reichswehr ist tot." Alle Offiziere, die für die nationale Revolution seien, müßten sich zusammenschließen und erreichen, „daß die Reichswehr auf eine nationale Volkserhebung nicht schießt, sondern sich dieser Volkserhebung anschließt und Kerntruppe wird für eine kommende Volksarmee der nationalen Befreiung"
Als man den Verfassern dieses Flugblattes den Prozeß vor dem Reichsgericht machte — sie hatten später Verbindung zur Reichsleitung der NSDAP ausgenommen —, schrieb ein anderer junger Oberleutnant, Helmuth Stiess, der auch eine wichtige Rolle in der Widerstandsbewegung spielen sollte, an seine Braut: „Was sie (die Angeklagten) so aussagen, kann man leider meistens nur unterschreiben, und Du wirst viele Dinge lesen, über die auch ich mich oft empört habe. Das ist vielleicht das Gute an der ganzen Sache, daß den Leutchen da oben mal die Augen über die riesige Unzufriedenheit im Offizier Korps geöffnet werden..." Und zwei Wochen darauf: „Zweifelsohne haben die Angeklagten falsch gehandelt und gegen das Gebot der Unterordnung verstoßen. Aber sind nicht ihre Nöte auch die unseren? All dasselbe habe ich Dir oft genug gesagt, und so denken mindestens 90 °/o des Offizier Korps . . .
Zu der nationalen Begeisterung dieser jungen Offiziere kam ihre scharfe Ablehnung der politischen Parteien — gleichgültig welcher Richtung — ebenso wie der Revolution vom 9. November 1918 und des „Systems" der Weimarer Republik, das dieser Revolution seine Existenz verdankte. Auch das kam in den Briefen Stieffs über den Leipziger Prozeß klar zum Ausdruck: „Aber auf diese Weise wirbt man nicht für das jetzige System, und daß es zu so bedauerlichen Auswüchsen kommen mußte, ist allein Schuld der Parteien, die dies System der Verärgerung stützen. Unsere obere Führung aber trifft der harte Vorwurf, daß sie aus Bequemlichkeit nicht für Abhilfe Sorge trug (. ..) und daß sie sich den Standpunkt der Novemberlinge, die einen Ehren-Standpunktwie wir nicht kennen, zu eigen machte (wahrscheinlich aus parlam. taktischen Erwägungen heraus) ..." In dem gleichen Brief schrieb Stiess ebenso scharf über die große republikanische Wehrorganisation des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold: „Das wir mit dem Reichsbanner zusammen einen Grenzschutz nicht organisieren können, weil diese Schufte doch alles verraten würden, ist doch auch Dir klar. Wir selbst sind zu schwach und müssen den Anschluß an wehrwillige Kreise haben ..." Und das schrieb er zu einer Zeit, in der die offizielle Politik der Heeresleitung — Heye, Hammerstein, Schleicher — die Heranziehung des Reichsbanners für die Aufgaben des Grenzschutzes im Osten Deutschlands erstrebte.
In dieser ebenso wie in anderen Fragen bildete sich „innerhalb des Offizierskorps eine Kluft zwischen den kaiserlichen Vorkriegsoffizieren und der jüngeren Generation, die über das hinausging, was die Natur an Trennendem zwischen verschiedene Generationen zu legen pflegt ..." l Die älteren Offiziere blieben auch während der Jahre der Republik ihren monarchistischen Überzeugungen treu. Sie vertrauten auf den greisen Generalfeldmarschall, der jetzt der Präsident der Republik war, und sahen in ihm eine Art Statthalter des Hauses Hohenzollern — bis zu dem Tage, an dem dieses seinen angestammten Platz wieder einnehmen würde. Natürlich erkannten die Klügeren unter ihnen, daß zu letzterem vorläufig keine reale Aussicht bestand, aber das änderte wenig an ihrer Grundeinstellung.
Daher ist es kein Zufall, daß in den Plänen der militärischen Opposition schon 1938 ganz konkret die Möglichkeit ins Auge gefaßt wurde, Hitler zu verhaften und den ältesten Sohn des Kronprinzen, den Prinzen Wilhelm von Preußen, zum Reichsregenten auszurufen. Während des Krieges nahmen diese Pläne viel genauere Gestalt an. Da Prinz Wilhelm im Mai 1940 in Frankreich gefallen war, dachte man jetzt vor allem an den zweiten Sohn des Kronprinzen, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, oder auch — als eine Ubergangslösung — an den Kronprinzen selbst In diesem Sinne sondierten Generaloberst Beck und Goerdeler bei den Offizieren, die der Verschwörung nahestanden, und bei Stauffenberg. Aber sie stießen bei diesem auf wenig Gegenliebe, und das gleiche galt wohl für die jüngeren Offiziere im allgemeinen
Doch gingen deren Bedenken gegen die Absichten Goerdelers sehr viel weiter. Stauffenberg hatte ihn und die anderen „Zivilisten" im Verdacht, sie wollten „die republikanisch-demokratisch-parlamentarische Systemzeit wieder herbeiführen". Daher schickte Goerdeler im April 1944 einen ihm befreundeten Rechtsanwalt zu Stauffenberg, der ihm die „konstruktiven neuen Gedanken" Goerdelers entwickeln sollte. „Man einigte sich, daß nach keiner Richtung hin alte Zustände wieder aufgewärmt werden sollten ..." Zwei Monate später kam es zu einem „Krach“ zwischen Goerdeler und Stauffenberg, weil dieser sich, ohne Goerdeler zu fragen, mit führenden Sozialdemokraten in Verbindung setzte — vermutlich, um bei ihnen Unterstützung gegen Goerdelers restaurative Pläne zu suchen, während letzterer „derartige Verhandlungen nicht für eine Sache der Militärs ansah ..."
Sehr ähnlich war die Einstellung eines anderen jüngeren Offiziers, des Leutnants Peter Graf Yorck von Wartenburg, den enge Bande mit Stauffenberg verknüpften. Yorck bezeichnete Männer wie Goerdeler und Popitz „als zu alt und reaktionär, als daß man von ihnen eine tragfähige Regierung erwarten könnte .. .". Sie erstrebten eine ausgesprochene „KerenskiLösung"; die Pläne Becks und Goerdelers führten „ein ausgesprochen reaktionäres Regime herbei, das naturnotwendig die Wiedererrichtung der alten Gewerkschaften und Parteien bedinge und damit die Verhältnisse von 1932 wiederherstelle ...". Ganz wie Stauffenberg wünschte er „eine viel breitere Basis . .. unter Einbeziehung der Arbeiterschaft bis zum linken Flügel der Sozialdemokratie .
Doch als ein alter Sozialdemokrat Stauffenberg „die Auffassungen der Gewerkschaften" vortrug, befremdeten diese ihn stark Kein Wunder, denn die Pläne der Sozialdemokraten waren genauso „restaurativ" wie die Goerdelers, das heißt, gerichtet auf „die Wiedererrichtung der alten Gewerkschaften und Parteien“, die von den jüngeren Offizieren verworfen wurde.
In der Auseinandersetzung mit dem gleichen Sozialdemokraten entwickelte Stauffenberg bereits im Winter 1943/44 seine eigenen politischen Anschauungen. Auch er hielt „eine gewisse gesellschaftliche Neuordnung für notwendig"; aber er betonte seinen Wunsch, „daß die überkommenen Güter nicht einfach über Bord geworfen würden und daß man die geschichtlichen Leistungen des Adels berücksichtigen solle .. Er legte auch „ein Expose über seine gesellschafts-politischen Auffassungen vor", das sich aber so unklar ausdrückte, „daß seine wahre politische Absicht nicht zu erkennen" war ' Für einen „revolutionären* Offizier, den man des öfteren der Hinneigung zum Bolschewismus und zu Sowjetrußland verdächtigt hat, waren das merkwürdig konservative Ansichten. Schon Gerhard Ritter hat die Vermutung ausgesprochen, Stauffenberg habe sich damit gegen eine Bodenreform und die Aufteilung des Großgrundbesitzes gewandt und in der Tat kann das Wort „Güter" in doppeltem Sinn verstanden werden. Bei allem Radikalismus war dieser Sproß einer alten deutschen Adelsfamilie doch außerordentlich traditionsbewußt, wie schon die erste von ihm überlieferte Äußerung über „die großen Soldaten aus der Zeit der Befreiungskriege" andeutete. Nur war er traditionsbewußt in einem anderen Sinne als Beck und Goerdeler, deren Denken an die Hohenzollernmonarchie gebunden war.
Zu dieser Grundeinstellung paßt auch, was Gisevius — der ihn instinktiv ablehnte und ihn deshalb um so schärfer sah — über ihn berichtet: „In einem war er klar und zielbewußt: Stauffenberg wollte nicht, daß Hitler die von einer tödlichen Gefahr bedrohte Armee in seine Katastrophe mit hineinriß; Soldat durch und durch, waren ihm die Rettung des Vaterlandes und die Rettung der Wehrmacht gleichbedeutend ,.."! Seit lan-18 gern hatte es in der preußischen Armee zwei verschiedene Traditionen gegeben: die nationalrevolutionäre Scharnhorsts, Gneisenaus und Boyens, die für die innere und die äußere Freiheit kämpften, und die streng konservative Roons und Moltkes, deren Nachfahren Seeckt und Bede waren. „Der junge Oberst kann und will seine ideologische und berufliche Herkunft nicht verleugnen. Was ihm vorschwebt, ist die Rettung Deutschlands durch politische Offiziere, die sich von der Korruption und Mißwirtschaft lossagen ...“
Doch bedeutete das nicht, daß sie — wie noch Seeckt das getan hatte — ein Bündnis mit der Sowjetunion gegen den Westen anstrebten. Der zuerst von Gisevius Stauffenberg zugeschriebene Gedanke „an den gemeinsamen Siegeszug der grau-roten Armeen gegen die Plutokratien" S wird durch keine Zeugenaussagen und durch keine sonstigen Beweise erhärtet. Was die Verschwörer beabsichtigten, war, „unmittelbar nach der Übernahme der Macht ... Unterhändler sowohl nach Moskau wie nach London zu entsenden .. Sie wollten „gleichzeitig Verbindung nach Osten und Westen" aufnehmen Und gerade Stauffenberg war es, der nach den Feststellungen der Gestapo „unbelehrbar in der Auffassung verharrte, daß eine Einigung mit England oder den englischen Heerführern zum gemeinsamen Vorgehen gegen Sowjet-Rußland möglich sein müsse ...", obgleich einige seiner Mitverschworenen versuchten, ihn davon zu überzeugen, daß dieser Plan undurchführbar sei Stauffenberg war kein Nationalbolschewist, weder in seinen außenpolitischen Plänen noch in seinem innerpolitischen Programm. Auch von den Proklamationen des in Rußland gegründeten Nationalkomitees „Freies Deutschland" zeigte er sich wenig beeindruckt Worin aber bestand Stauffenbergs innerpolitisches Programm? Wie seine Altersgenossen, die Grafen Moltke und Yorck, war er sicherlich ein „Offizier mit Interesse für sozialpolitische Fragen“ Doch, wie die Sozialdemokraten bald feststellen mußten, war er kein Sozialist und auch kein christlicher „Sozialist", wie das noch kürzlich behauptet worden ist Das zeigt sich auch in dem Entwurf eines Eides, den er für den Fall verfaßte, daß Deutschland von den Siegerstaaten zerrissen werden würde. Hier hieß es: „Wir wollen eine neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge und beugen uns vor den naturgegebenen Rängen. Wir wollen ein Volk, das, in der Erde der Heimat verwurzelt, den natürlichen Mächten nahe bleibt, das im Wirken in den gegebenen Lebenskreisen sein Glück und sein Genüge findet und im freien Stolze die niederen Triebe des Neides und der Mißgunst überwindet. Wir wollen Führende, die, aus allen Schichten des Volkes wachsend, verbunden den göttlichen Mächten, durch großen Sinn, Zucht und Opfer den anderen vorangehen.“ Die scharfe Ablehnung der „Gleichheitslüge“ und die Ehrfurcht „vor den naturgegebenen Rängen“ zeigen, wie weit Stauffenberg von den Gedankengängen des demokratischen Sozialismus entfernt war.
Ähnliche Meinungen wurden auch von anderen jüngeren Offizieren vertreten, die zu dem Verschwörerkreis gehörten. Im Sommer 1941 schrieb Oberstleutnant Stiess an seine Frau:
„Aber die Überzeugung hat sich in mir immer tiefer festgesetzt, daß die Völker am besten regiert und geführt werden, wo die Regierungsgewalt alte traditionsgebundene Schichten in den Händen haben und nicht Emporkömmlinge und hemmungslose Autokraten . . . Das hatte zwar eine deutliche Spitze gegen Hitler und andere Diktatoren, aber richtete sich ebenso gegen die „Novemberlinge“, von denen sich der Briefschreiber schon zehn Jahre früher distanziert hatte. Eine Rückkehr zu der „Systemzeit“ von Wei-mar wurde auch von Stauffenberg abgelehnt. Während die älteren konservativen Offiziere und „Zivilisten" die Monarchie für den idealen Staat hielten, hatten Stauffenberg und die jüngeren keine wirkliche Alternative zu einem konstitutionellen Staat mit den modernen Massenorganisationen der Parteien und Gewerkschaften. Sie träumten von einem Staat, der von einer natürlichen, traditionsgebundenen Elite patriarchalisch geführt werden sollte; entsprechend ihrer Herkunft sahen sie diese Elite verkörpert in den alten Adels-familien. Aber würden diese imstande sein, einen neuen Staat aufzubauen und zu leiten? Und würden im 20. Jahrhundert die unteren Schichten des Volkes willens sein, sich von den Adelsfamilien leiten zu lassen? Zumal in einem Lande, in dem durch die Revolution von 1918, durch die Inflation und Krise und durch die nationalsozialistische Diktatur alle Bande der Tradition zerstört worden waren? Diese Fragen scheinen sich die Offiziere nicht gestellt zu haben.
Faktisch entsprachen das ausgeprägte Elite-gefühl, der betonte Aristokratismus, die Ablehnung des Bürgertums und des modernen Plebejertums, der romantische revolutionäre Nationalismus, das Wurzeln in bestimmten preußischen Traditionen, das Stauffenberg, Yorck und andere Offiziere kennzeichnete, den Ideen, die schon vor 1933 in nationalistischen und hündischen Kreisen Deutschlands ganz allgemein diskutiert worden waren. Am meisten verdankten sie offenbar den Schriften Ernst Jüngers — und zwar weniger dem Jünger des zweiten Weltkrieges, der sich auf einen isolierten Beobachtungsposten zurückgezogen hatte, als dem Jünger der zwanziger Jahre, der ein politischer Aktivist war und großen Einfluß auf die national denkende Jugend ausübte. Bis 1923 war Jünger Reichswehroffizier gewesen; er stand in seiner ganzen Gedankenwelt und Ideologie den jüngeren Offizieren außerordentlich nahe — selbst wenn sie selbst sich dieser geistigen Verwandtschaft nicht bewußt waren. Erst kürzlich hat man darauf hingewiesen, daß Jüngers Vorstellungen denen des „Kreisauer Kreises" des Grafen Moltke auch in Einzelheiten entsprachen, „obwohl kaum direkte Verbindungen zu jener Gruppe bestanden"
Dies war die geistige Heimat Stauffenbergs und anderer radikaler Offiziere, eine Heimat, die ihnen nach ihrer Herkunft und Umwelt sehr viel vertrauter war als der Sozialismus oder der Kommunismus, die Demokratie oder der Parlamentarismus. Es ist nicht überraschend, daß sie von ihren Mitverschworenen als Revolutionäre angesehen wurden, die vielleicht sogar mit dem Osten liebäugelten. In Wirklichkeit standen auch sie politisch rechts, aber nicht im Lager der traditionellen Rechtsparteien. Ihre Ideenwelt hat keinen Einfluß auf die politische Entwicklung in Deutschland nach dem Kriege gehabt; aber das gleiche wäre vermutlich eingetreten, wenn der Staatsstreich vom 20. Juli geglückt wäre. Auf den Gedanken, die Stauffenberg in seiner Eides-formel aussprach, ließ sich kein neuer Staat aufbauen. Doch bewunderswert bleiben sein Mut, sein Patriotismus, seine persönliche Einsatzbereitschaft, sein stürmischer Tatendrang, ohne die es nie zu dem Attentat auf Hitler gekommen wäre. Er wagte die Tat, obgleich die Aussichten auf ein Gelingen des Umsturzes ungeheuer gering waren. Er war kein Cunctator — und daher verdient er einen ehrenvollen Namen in der Geschichte. Es besteht keinerlei Veranlassung zu einer . Verlegenheit um Stauffenberg“.