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Das Sowjetregime und die Intellektuellen | APuZ 50/1963 | bpb.de

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APuZ 50/1963 Warum ist die Sowjetliteratur interessant? Das Sowjetregime und die Intellektuellen

Das Sowjetregime und die Intellektuellen

Priscilla Johnson

Vor mehr als einem Jahr führte eine Gruppe von Schriftstellern, als sich ihre konservativen Häupter gerade auf einer Rundreise durch die Provinzen befanden, in Moskau die geheime Abstimmung sehr geschickt zur Wahl von acht ihrer jungen und liberalen Mitglieder in den Vorstand der Moskauer Schriftsteller-organisation. Zwei führende Konservative wurden abgewählt und drei andere erst gar nicht zur Wiederwahl aufgestellt. Gekränkt zog sich die alte Garde nach Rostow am Don zurück, dem Sitz der reaktionärsten Schriftstellerorganisation der UdSSR, um sich von ihrer Niederlage zu erholen und auf Rache zu sinnen.

„Ein solcher Schmerz hat meine Seele ergriffen", sagte Leonid Sobolew, der Vorsitzende der Schriftstellerorganisation der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, „daß ich nicht umhin kann, ihm Ausdruck zu verleihen". Die konservativen Schriftsteller, so kündigte er an, würden ihre Rache nehmen und zwar „von einer Parteistellung in der Literatur aus"

Nach weniger als einem Jahr, im März 1963, schienen die Konservativen Rache genommen zu haben. Doch gerade deshalb, weil sie sie „von einer Parteistellung in der Literatur" aus genommen hatten, scheinen sie ebenso wie die Liberalen zu immerwährender Enttäuschung verurteilt zu sein. Denn wie Ereignisse in jüngster Zeit immer deutlicher gezeigt haben, ist es die Politik der sowjetischen Kommunistischen Partei, sich zuerst der Linken, dann der Rechten zu bedienen, beide für ihre Ziele zu nutzen, niemals die Kontrolle aus der Hand zu geben und sich niemals auf die eine oder andere festzulegen.

Gewiß, bis zum letzten Herbst hatten die Liberalen in Kunst und Literatur eine solche Reihe von Erfolgen errungen, daß sich ihrer möglicherweise jenes kommunistische Gefühl des Erfolgsrausches bemächtigt hat. Auf dem Gebiet der Kunst waren einige Bücher und Artikel erschienen, in denen moderne, ja sogar abstrakte Trends in der Malerei vertreten wurden. Es hatten sogar gelegentlich Ausstellungen moderner Malerei und Plastik stattgefunden. An der literarischen Front waren die Erfolge der Liberalen noch augenfälliger und sogar noch weitreichender gewesen. Im Jahre 1962 waren mindestens zwei Versuche der Konservativen vereitelt worden, die liberale Moskauer Schriftstellerorganisation aufzulösen. Gegen Ende des gleichen Jahres wurden Jewgenij Jewtuschenko und Wassilij Aksjonow, beides Symbole eines Geistes jugendlicher Liberalisierung, in den Herausgeberstab der Zeitschrift Junost gewählt. In einer Vollsitzung des Vorstandes der Moskauer Schriftstellerorganisation Ende September hielt der Kritiker Alexander Borschtschagowskij eine mannhafte Rede zum Lobe der Jungen Die Dichterin Bella Achmadulina schlug die hoffnungsvolle Note an, die jetzt — teils aufrichtig, teils aus taktischen Gründen — von jungen Schriftstellern proklamiert wurde: „Ich glaube, daß jetzt für uns eine glückliche Zeit angebrochen ist, daß sie sich zu unseren Gunsten entwickelt. Meine Genossen können nicht nur arbeiten, es wird ihnen bei ihrem Bemühen auch jede Ermutigung zuteil."

Nach den Gründen für Achmadulinas Frohlocken brauchte man nicht weit zu suchen. Für eine ganze Generation von Schriftstellern, die noch vor wenigen Monaten als moralische und politische Jugendverderber gegeißelt worden waren, schien jetzt eine Amnestie erlassen worden zu sein Im Rahmen dieser Amnestie konnten die Kritiker nach ihrem freien Belieben über die literarischen Verdienste dieser Schriftsteller schreiben. Sie durften jedoch deren politische Motive nicht öffentlich und schriftlich erörtern. Diese Amnestie schien zu bedeuten, daß die Kommunistische Partei jetzt eindeutig im liberalen Lager stand.

Und trotzdem hat es während des ganzen Sommers und Herbstes Anzeichen dafür gegeben, daß der konservative Impuls in der Kunst keinesfalls erloschen war, mochte er auch eine Schlappe erlitten haben. Im Juli veröffentlichte die partei-theoretische Zeitschrift Kommunist einen nicht unterzeichneten Artikel „Uber die Haltung zum literarischen Erbe" von A. W. Lunatscharskij. Ohne Namen zu nennen, schien sich der Artikel gegen Männer wie Ilja Ehrenburg zu richten, die die Ansichten von Lenins Kommissar für Volksbildung zitiert hatten, um eine nachsichtige Politik der Partei in der Kunst zu rechtfertigen. Im gleichen Monat Juli druckte die literarische Zeitschrift Swesda einen groben, politisch motivierten Angriff auf den angeblichen „Linksdrall" des 29jährigen Dichters Andrej Wosnesenskij. Als der erste liberale Band der Kleinen Literatur-Enzyklopädie im Sommer erschien, deren verantwortlicher Herausgeber Alexej Surkow war, wurde er zuerst mit Lob, dann mit Kritik und zuletzt seltsamerweise mit Schweigen ausgenommen. Und schließlich wurde der Tag der Dichtung, der gewöhnlich am ersten Sonntag im Oktober gefeiert wird, merkwürdigerweise verschoben und erst am 16. Dezember begangen.

Es bestehen wenig Zweifel darüber, daß diese widersprüchlichen Trends in der Literatur, ein liberaler und ein konservativer, eine viel tiefer-greifende Spaltung in der politischen Sphäre widerspiegelten — vor allem den Kampf der aus der Stalin-Ära übriggebliebenen Bürokraten um die Erhaltung ihrer bisherigen Machtposition. Am 21. Oktober veröffentlichte die Prawda ohne große Vorwarnung ein Gedicht von Jewgenij Jewtuschenko mit dem Titel „Stalins Erben". In diesem Gedicht forderte Jewtuschenko die Kommunistische Partei auf, die Wache an Stalins Grab „zu verdoppeln und zu verdreifachen, damit Stalin und mit ihm die Vergangenheit nicht wiederauferstehe". Der Autor des Gedichtes und diejenigen, die es zu veröffentlichen beschlossen, beabsichtigten vielleicht, einen Schlag zu führen nicht nur gegen die Erben Stalins im allgemeinen, sondern gegen einen im besonderen. Ein Absatz des Dichters lautet: „Nicht ohne Grund erleiden die Erben Stalins oft Herzanfälle." Das prominenteste Mitglied des Führungsgremiums, von dem man weiß, daß er einen Herzanfall erlitten hat, war Frol R. Koslow Am gleichen Tag, an dem „Stalins Erben" erschien, veröffentlichte die Zeitung Komsomolskaja prawda ein weiteres Gedicht von Jewtuschenko unter dem Titel „Furcht". Dieses Gedicht feierte das Ende des Terrors. Keines der beiden Gedichte war schon früher veröffentlicht worden, obgleich bekannt war, daß sie schon eine Weile existierten.

Im November erschien dann in der Literatur-zeitschrift Nowyj mir eine bemerkenswerte, mit dem Stilmittel der Untertreibung arbeitende Geschichte „Ein Tag im Leben des Iwan Denisowitsch". Die Geschichte war eine erregende Beschreibung des Lebens in einem sowjetischen Gefangenenlager unter Stalin und mußte notwendigerweise in der Öffentlichkeit das Gefühl heraufbeschwören, daß diejenigen, die für die Verbrechen der StalinÄra verantwortlich waren, jetzt zur Rechenschaft gezogen werden müßten. Ihre Veröffentlichung schien ein Zeichen dafür zu sein, daß die Entstalinisierung jetzt gründlicher als je zuvor durchgeführt würde. Es schien zu bedeuten, daß im ganzen Lande die Posten und vielleicht sogar die Leben derjenigen in Gefahr waren, die den Terror unterstützt hatten

Inzwischen wuchs eine weitere Gefahr für die Stalinisten schnell heran. Als das Zentralkomitee der KPdSU am 19. November zusammentrat, ordnete es eine umfassende Überholung des gesamten Wirtschafts-und politischen Apparats des Landes an. Auch das schien teilweise darauf abzuzielen, die engstirnigen und unproduktiven Erben Stalins im Interesse einer größeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aus ihren Posten zu vertreiben. Eine alte Debatte über die relative Bedeutung wirtschaftlicher und ideologischer Faktoren in einer sozialistischen Gesellschaft war bereits wieder eröffnet worden und Chruschtschow hatte sich auf selten derjenigen gestellt, die glauben, daß wirtschaftliche Faktoren den Vorrang genießen und ideologische zweitrangig seien Seine Einstellung war tonangebend in der Reorganisation.

Daß er auch die führende Rolle bei der Wiedereröffnung der Anti-Stalin-Kampagne in der Literatur gespielt hat, trat in der Sitzung des Zentralkomitees zutage. In einer Rede am 23. November enthüllte Chruschtschow, daß er es gewesen war, der die Veröffentlichung von Jewtuschenkos „Stalins Erben" und Solshenizyns „Ein Tag im Leben des Iwan Denisowitsch" autorisiert hatte. Andere Mitglieder der sowjetischen Führung hatten Auslassungen in der Geschichte vorgeschlagen, wie er bekanntgab, aber er hatte sie überstimmt mit dem Argument, „daß niemand das Recht habe, die Version des Autors zu ändern"

Chruschtschows Rede war nie veröffentlicht worden. Nur wenige Tage, nachdem er sie gehalten hatte, schien er selbst eine gänzlich entgegengesetzte Politik gegenüber der Kunst einzuleiten. Die letzte Novemberwoche war in der Tat eine jener rätselhaften Perioden, in der ein Trend, der im Anwachsen begriffen zu sein schien, ebenso wie eine Welle, die gerade ihren Kamm gebildet hatte, plötzlich wieder in gefährliche Tiefen absinkt. Für diejenigen, die sich mit den Verhältnissen in der Sowjetunion befassen, ist das eine vertraute Erscheinung. Als sich die Vollversammlung vertagte, gab sie bereits die Bildung einer besonderen ideologischen Kommission des Zentralkomitees unter Leitung von Leonid Iljitschew bekannt. Zweck dieser neuen Kommission war, dafür Sorge zu tragen, daß in der bevorstehenden Zeit der Wirtschaftsreformen die ideologische Aktivität nicht vernachlässigt, sondern vielmehr belebt würde.

Inzwischen hatten die Erben Stalins, in der Hoffnung, ihre Position zurückzuerobern, eine Initiative ergriffen. Während das Zentralkomitee vom 19. bis 23. November tagte, erhielt es eine Petition „von einer großen Gruppe von Künstlern", die sich über zunehmende „formalistische Trends in der Kunst“ beklagten und die Partei baten, einzugreifen. Dies war der erste Schritt einer langen Serie, mit der die Konservativen der Partei den neuen liberalen Trend in der Kunst und Literatur zerstören wollten in dem Bemühen, dem Entstalinisierungsprozeß Einhalt zu gebieten und das Gleichgewicht der Macht innerhalb des Parteipräsidiums zu stören. Man kann mit Sicherheit annehmen, daß ihnen dabei der erfolgreiche Widerstand der Amerikaner gegen Chruschtschow in Kuba Ende Oktober und die wachsende Kritik an Chruschtschows Politik von Seiten Chinas zu Hilfe kamen. Betrachten wir einmal das zweite Glied der Kette, die zur Aktion führte.

Kunst im Dienste der Partei

Am Abend des Montag, des 26. November, wurde eine halbprivate Kunstausstellung, die nach Moskauer Maßstäben avantgardistisch war, in dem scheunenartigen Studio des 38jährigen Kunsterziehers Eli Beljutin eröffnet. Eine kleine Anzahl westlicher Korrespondenten, sowjetische Kulturfunktionäre und mehrere hundert Moskauer Bürger, die besondere Einladungen erhalten hatten, waren anwesend. Weitere Hunderte warteten draußen, in der Hoffnung, noch Einlaß zu finden. Es wurden etwa 75 Bilder gezeigt, die von Schülern Beljutins in abstraktem oder halb-abstraktem Stil gemalt waren. Das galt auch für die Werke des Bildhauers Ernst Neiswestnyj. Die Ausstellung, zu der die Öffentlichkeit nicht zugelassen war, währte nur wenige Stunden. Rückblickend muß man sie als perfektes Beispiel dafür ansehen, warum es die Strategie der sowjetischen Liberalen in den letzten Jahren war, jeden Schritt nach vorwärts sorgfältig abzuwägen. damit er es nicht ist, der eine Rückkehr zu Methoden der Vergangenheit heraufbeschwört. Am Abend des Donnerstag, des 29. November, sollte eine zweite Ausstellung moderner Kunst im Junost-Hotel in Moskau stattfinden. Einige Stunden vor der Eröffnung wurde die Ausstellung mysteriöserweise verschoben. Später wurde sie gänzlich abgesagt. Inzwischen wurden die Arbeiten des Beljutin-Studios plötzlich in die riesige Manesh-Galerie beordert, wo eine Ausstellung, eine Rückschau auf „Dreißig Jahre Moskauer Kunst" mit 2 000 Bildern und Skulpturen in jetzt üblichen Variationen des offiziellen, sozialistisch-realistischen Stils, seit fast einem Monat geöffnet war. Die Beljutinschen Arbeiten wurden nicht zusammen mit den übrigen Werken, sondern in drei separaten Räumen ausgestellt. Die Maler der Schule Beljutins hatten keine Ahnung, warum ihre gesamten Arbeiten in die Manesh-Galerie gebracht worden waren In der optimistischen Stimmung jener Zeit haben vielleicht einige geglaubt, daß ihre Arbeiten schließlich doch der Öffentlichkeit gezeigt werden sollten. Wenn das ihre Hoffnung war, war sie zu grausamer Enttäuschung verurteilt.

Am Nachmittag des Samstag, des 1. Dezember, stattete N. S. Chruschtschow zusammen mit vier Mitgliedern des Präsidiums und mehreren Mitgliedern des Parteisekretariats der Manesh-Galerie einen überraschenden Besuch ab über Chruschtschows Reaktion in all ihrer unverblümten Heftigkeit ist bereits anderenorts berichtet worden. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist, daß Chruschtschows negative Reaktion, ganz abgesehen von seiner Heftigkeit, für gewisse hochgestellte Kulturfunktionäre, ganz zu schweigen von Neiswestnyj und den Malern der Beljutin-Schule, die ebenfalls anwesend waren, vollkommen überraschend kam. Hatte denn nicht Chruschtschow die Veröffentlichung eines Bandes liberalen Schrifttums, „Taruskije stranizy“ im Jahre 1961 genehmigt, nachdem seine Funktionäre ihn zunächst beschlagnahmt hatten? Und waren denn nicht seine Worte des Lobes bei der Eröffnung des supermodernen Pionier-Palastes erst im vergangenen Sommer bekannt Damals war der „Mythos" von Chruschtschows Liberalismus aufgekommen, der nicht ganz unbegründet schien.

Wie jeder, der Chruschtschow bei Besuchen westlicher Ausstellungen beobachtet hat, weiß, scheint er moderne Malerei und Bildhauer-kunst im Gegensatz zu funktioneller Architektur aufrichtig zu verabscheuen. Diejenigen, die seinen Besuch in der Manesh-Galerie angeregt hatten und mit abträglichen Bemerkungen über die moderne Malerei neben ihm standen, rechneten demnach wahrscheinlich mit einem Ausbruch von Schmähungen seinerseits und wollten diesen Besuch für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. In der Nach-Kuba-Stimmung, in der die Befürworter einer gemäßigten Politik auf allen Gebieten in der Defensive waren, waren diese Konservativen bereit, die Konsequenzen sehr weit zu treiben. Hinsichtlich des Zeitpunktes hatten sie Glück. Die Panik, die über „Iwan Denisowitsch" bei ihnen ausgebrochen war, fiel zeitlich sehr günstig zusammen mit einem partei-internen Zurückweichen nach Kuba.

So war also wenige Stunden nach Chruschtschows Ausfällen in der Manesh-Galerie die Kampagne für „ideologische Reinheit" in der Kunst bereits im Gange. Die Zeitungen brachten Leitartikel, in denen u. a. gefordert wurde, daß alle Vereinigungen von Künstlern, Schriftstellern, Komponisten, Film-und Theaterschaffenden zu einer einzigen zusammengeschlossen würden, um in Zukunft Abweichungen zu verhindern.

Bürokraten der alten Zeit traten wieder in Erscheinung, und einige wurden in wichtige Ämter gewählt. Aber auch die Liberalen unternahmen etwas. Ohne sich von der Möglichkeit abschrecken zu lassen, daß sie später einmal der Verfolgung eigensüchtiger Interessen angeklagt werden könnten, richteten mindestens drei Gruppen von Intellektuellen jetzt Protest-petitionen an das Zentralkomitee 12). Eine Gruppe junger abstrakter Maler erklärte in einem Brief, daß sie ihren Weg in der „sozialistischen Kunst" suchten und daß es ohne solches Suchen keinen Fortschritt geben könne. Eine Gruppe von 17 hervorragenden Künstlern und Wissenschaftlern bat Chruschtschow in einer Botschaft, die sie direkt an ihn richteten, „dem Zurückgreifen auf Methoden der Vergangenheit in der darstellenden Kunst Einhalt zu gebieten, da sie dem Geist unserer Zeit fremd seien" Zu den Unterzeichnern dieses Briefes gehörten auch zwei Wissenschaftler, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet waren, Igor Tamm und Nikolaj Semjonow, sowie die Schriftsteller Konstantin Simonow, Ilja Ehren-burg, Kornej Schukowskij und Wenjamin Kawerin, die Bildhauer Konenkow und Favorskij, der Komponist Dimitrij Schostakowitsch, der Filmproduzent Michail Romm und andere Ein ähnlicher Brief, der aber noch weiter zu gehen schien und eine „friedliche Koexistenz aller Kunstrichtungen" forderte, wurde ebenfalls abgesandt Aus einer Quelle verlautet, daß dieser Brief später zurückgezogen wurde, aus einer anderen, daß eine oder mehrere Unterschriften zurückgezogen wurden Allein die später bekannt gewordene Tatsache, daß Alexej Surkow, der frühere Leiter des Schriftstellerverbandes und Verfolger von Boris Pasternak, zu den ursprünglichen Unter-zeichnern dieses Briefes gehörte, ist ein Zeichen dafür, wie tief der Bazillus liberaler Ideen sogar in diejenigen eingedrungen war, auf die die Partei sich bisher als eifrige Verfechter der Konformität hatte verlassen können.

Reden und Diskussionen

In einer Zusammenkunft am 17. Dezember im Pionier-Palast auf den Lenin-Hügeln zwischen Parteiführern und 400 Schriftstellern, Künstlern und anderen Intellektuellen erreichte die erste Phase der neuen Kampagne einen Höhepunkt. Chruschtschow hielt eine Ansprache, die nicht veröffentlicht wurde. Die Hauptrede jedoch, die 10 Stunden gedauert haben soll, hielt Iljitschew. Die Kunst, so sagte er, müsse militant sein. Sie müsse „den Geist der Kommunistischen Partei" einschärfen. Der Künst-ler habe keinen Anspruch auf eine eigene Sicht der menschlichen Natur. Er habe kein Recht, Schwächen zu verzeihen oder einem „abstrakten Humanismus" zu frönen. Doch das wirklich Auffallende an Iljitschews Rede war ihre defensive Note. „Es wird für unbequem und unmodern erachtet, korrekte Parteistandpunkte zu vertreten. Man könnte in den Ruf gelangen, so etwas wie ein Reaktionär und ein Konservativer zu sein." Unbeabsichtigt enthüllte er, welchem Druck das Regime ausgesetzt war, eine größere Freiheit des Ausdrucks zu erlauben. Es gäbe Leute, gestand er ein, die das Ende der Zensur forderten: „Ausstellungen ohne Jury, Bücher ohne Herausgeber, das Recht des Künstlers, ohne Mittelsmann auszustellen, was er wünscht. „Laßt uns schöpferisch sein, wie wir es wünschen', sagen diese Leute. . Erlegt uns keine Beschränkungen auf."

Immer wieder beklagte er — es war fast so etwas wie sein Leitmotiv — den Einfluß des Westens auf die sowjetische Kunst. Damit zeigte er, wie empfänglich die Partei für die Anerkennung ihres künstlerischen Exports im Ausland ist, und wie geschickt die Liberalen ihren Ruhm im Westen genutzt haben, um ihre Stellung im eigenen Lande zu verbessern.

Verglichen mit derartigen Reden der Vergangenheit war jedoch Iljitschews Ton, jedenfalls in dem veröffentlichten Text, sanft. Er vermied nicht nur, die Motive des modern gesinnten Intellektuellen fragwürdig erscheinen zu lassen, sondern gab sogar im einzelnen zu, daß er „sich vielleicht im Kriege eingesetzt und gute Absichten haben mag." Einige der zwanglosen Aussprachen während der Versammlung — von denen die Außenwelt dann später erfuhr — sind bemerkenswert dessentwegen, was sie von Chruschtschows Gefühlen offenbarten und was sie über den Widerstand der Intellektuellen gegen die Einmischung seitens der Partei besagen. So führte Ilja Ehrenburg die Fälle Picasso und Majakowskij an, um zu zeigen, daß moderne Künstler nicht, wie die Partei hartnäckig behauptet, politische Reaktionäre zu sein brauchen Der Bildhauer Ernst Neiswestnyj soll zu Chruschtschow gesagt haben: „Meine Arbeiten sagen Ihnen vielleicht nicht zu, sie finden aber die warme Unterstützung solch hervorragender sowjetischer Wissenschaftler wie Kapitza und Landau." Chruschtschow antwortete: „Das ist nicht der Grund, warum wir Kapitza und Landau bewundern." Jewtuschenko erhob sich zu Neiswestnyjs Verteidigung in einer ritterlichen Demonstration von Loyalität. „Er kehrte aus dem Kriege heim mit 14 Kugeln im Leib", sagte er. „Ich hoffe, er wird noch viele Jahre leben und noch viele schöne Kunstwerke schaffen." Worauf Chruschtschow antwortete: „Das Sprichwort lautet: Nur das Grab korrigiert einen Buckel." Die Reihe vzar nun an Jewtuschenko, eine Warnung auszusprechen: „Ich hoffe, Genosse Chruschtschow, die Zeiten sind vorbei, in denen das Grab als Korrektur-maßnahme diente." Nach anfänglicher Verblüffung brachen die Zuhörer in Beifall aus. Sogar Chruschtschow fiel ein Diese Solidaritätsbezeugungen im liberalen Lager aller Kunstsparten helfen erklären, warum die Kampagne so schnell von der Kunst auf die Literatur übersprang.

Die Tatsache, daß Schostakowitsch das Gedicht Jewtuschenkos „Babij Jar" zum Thema für den ersten Satz seiner neuen Dreizehnten Symphonie gewählt hatte, war für Chruschtschow Anlaß zu einem heftigen Ausfall gegen den Antisemitismus. Es gebe keinen Antisemitismus in der Sowjetunion, erklärte Chruschtschow.

Trotzdem sei es besser, wenn Juden keine hohen Regierungsposten inne hätten, um keine Ressentiments im Volke zu wecken. Chruschtschow fügte hinzu, daß seiner Meinung nach die Unruhen in Polen und Ungarn im Jahre 1956 nur auf die große Zahl von Juden in hohen Stellungen zurückzuführen waren. Nach diesen Bemerkungen erhob sich eine solch mißmutige Unruhe im Saal, daß Chruschtschow später zu Ehrenburg ging und ihm versicherte, daß sich seine Worte nicht gegen ihn persönlich gerichtet hätten. „Sie müssen verstehen", sagte Chruschtschow, „daß ich als Berufspolitiker die Dinge so nehmen muß, wie ich sie finde, und vor Gefahren warnen muß." Auf Grund der Äußerungen Chruschtschows erklärte sich Jewtuschenko bereit, seinem „Babij Jar" mehrere neue Zeilen hinzuzufügen

Am 24. und 26. Dezember hielt Iljitschew im Sitz des Zentralkomitees mit 140 Schriftstellern, Künstlern und Filmschaffenden eine Versammlung ab. In seiner Rede wandte er die Methode an die Schafe von den Böcken zu trennen, die hoffnungslosen Sünder von denjenigen, die noch zu retten waren, eine Methode, die fast zum Kennzeichen der Kampagne wurde. Er lobte drei Redner wegen ihrer „Reife als Bürger": Neiswestnyj, Jewtuschenko (offensichtlich weil er bereit gewesen war, „Babij Jar" neue Zeilen hinzuzufügen) und Aksjonow (weil er sich nach monatelangem Weigern bereit erklärt hatte, an seiner Geschichte „Fahrkarte zu den Sternen" Änderungen vorzunehmen). Auf der anderen Seite übte er scharfe Kritik an dem Maler N. Andronow (der seinen hartnäckigen Widerstand fortsetzte und zu keiner Zeit nachgab), ebenso an dem Dichter und Gitarristen Bulat Okudshawa, an dem Zwölfton-Komponisten Andrej Wolkonskij und dem Schriftsteller Jurij Nagibin (wegen eines Artikels in Literaturnaja gaseta, in der Neiswestnyj gelobt wurde). Nagibins Frau, Bella Achmadulina, wurde überhaupt nicht erwähnt. Andrej Wosnesenskij, der gerade eine Auslandsreise nach Paris und Italien unternahm, wurde, gleichzeitig mit einem schwachen Lob, verurteilt. Von den Dichtern Robert Rochdestwenskij, Ignor Isajew, Rimma Kasakowa und Wladimir Firsow sagte der Parteiführer, ihre Stimmen erhöben sich immer kräftiger. (Firsow und Isajew gehören dem konservativ-nationalen Trend an. Sie sollten im Verlauf der Kampagne immer mehr in den Vordergrund treten.)

Sogar während Iljitschew mit Künstlern und Schriftstellern gleichzeitig zusammentraf, wurde ganz deutlich ein kleiner Kampf ausgefochten zwischen Gemäßigten, die immer noch hofften, die Kampagne auf die Kunst beschränkt zu sehen, und Extremisten, die sie auch auf die Literatur ausdehnen wollten, die wegen ihrer Rolle bei der Entstalinisierung, stets Ziel ihrer Angriffe gewesen war. So erschien am 25. Dezember ein Artikel des konservativen Kritikers Sergej Barusdin auf der ersten Seite der Literaturnaja gaseta, in der die Zeitung aufgefordert wurde, den Künstlerverband und die Kunstakademie nicht länger des Liberalismus zu bezichtigen, sondern vielmehr anzu Dezember ein Artikel des konservativen Kritikers Sergej Barusdin auf der ersten Seite der Literaturnaja gaseta, in der die Zeitung aufgefordert wurde, den Künstlerverband und die Kunstakademie nicht länger des Liberalismus zu bezichtigen, sondern vielmehr anzufangen, den Schriftstellerverband zu kritisieren, „der ihm sehr viel näher sei". „Da gebe es etwas", argumentierte Barusdin, „über das man nachdenken und streiten, das man sogar kritisieren sollte". Als ob Barusdins Warnung das Stichwort gewesen sei, verkündete die nächste Ausgabe der Zeitung, d. h. die vom 27. Dezember, die Ablösung des bisherigen Chefredakteurs W. A. Kosolapow durch den orthodoxeren Alexander Tschakowskij 23). Trotzdem wurden gleichzeitig entgegengesetzte Signale laut, Signale, die nur bedeuten konnten, daß gemäßigte Kräfte, die hohe

Unterstützung in der Partei hatten, darum kämpften, sich zu behaupten. So veröffentlichte z. B. am 28. Dezember die Prawda Jurij Kasakows „Ein leichtes Leben", die Geschichte eines Tunichtgut in Sibirien. Daß die Geschichte gerade zu diesem Zeitpunkt und noch dazu in der Prawda erschien, war auffallend. Denn es war in literarischen Kreisen Moskaus wohlbekannt, daß ein Verleger nach dem anderen Kasakows Geschichte, die schon im Jahre 1957 geschrieben war, abgelehnt hatte, weil die Moral des Helden allzu verschwommen war für eine Literatur, die immer noch für sich in Anspruch nahm, der erzieherischen Richtschnur des sozialistischen Realismus treu zu sein.

Am Neujahrstag trat der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Konstantin Fedin, öffentlich dafür ein, daß man die Literatur verschone. „Extremismus", so argumentierte Fedin, „habe es dort im Vergleich zu den Schönen Künsten so gut wie nicht gegeben. Wenn es jetzt zu einer . Kampagne'oder . außerordentlichen Maßnahmen'kommen sollte, wären Schriftsteller nicht in der Lage, . einen neuen Schritt vorwärts zu machen’." Außerdem würde eine Kampagne „das Übel nur nach innen verdrängen" 24). Zwei Tage später veröffentlichte die Prawda einen erstaunlich offenen Brief aus der Feder des ehrwürdigen Kornej Tschukowski, des Leninpreisträgers für Literatur von 1962, zum Lobe der jungen Schriftsteller.

Der Januar war im großen und ganzen gekennzeichnet durch ein Paradoxon, es war eine Zeit offensichtlicher Unentschlossenheit in der Führungsspitze. Die Presse reservierte ihr Pulver ausschließlich für den Kampf gegen den „Formalismus" in den Schönen Künsten. Schriftsteller wurden weniger als solche, sondern vielmehr als Befürworter moderner Kunst kritisiert 25). Trotzdem wurde am 17. Januar im Puschkin-Museum eine Ausstellung mit 300 Bildern des französischen Malers Fernand Leger eröffnet, eines Abstrakten, der außerdem den Anstand besaß, Kommunist zu sein. Sie war drei Monate lang geöffnet, ehe die Bilder wieder nach Paris zurückgeschickt wurden. Die jungen Dichter hielten so viele öffentliche Dichterlesungen ab wie möglich, und dem viel kritisierten Bulat Okudshawa wurde erlaubt, in einem Vortragsabend mit seiner Gitarre im Sportpalast eine Menge von 10 000 Menschen zu unterhalten. Valentin Katajew und der Bühnenschriftsteller Viktor Rosow reisten wie vorgesehen nach den USA ab, und Jewtuschenko fuhr nach Westdeutschland und Frankreich. Vor seiner Abreise gab er noch eine recht trotzige Äußerung von sich die eine innere Verärgerung darüber widerzuspiegeln schien, daß man ihn gezwungen hatte, seinem „Babij Jar" einige Zeilen hinzuzufügen.

In den Schönen Künsten machten sich Anzeichen hartnäckigen Widerstands bemerkbar, sogar von Seiten der Öffentlichkeit, von den Künstlern selbst ganz zu schweigen. In einer Komsomol-Versammlung in der Moskauer Universität Ende Dezember wurde Jewgenij Kazman, ein Funktionär des Künstlerverbandes, ausgepfiffen, als er versuchte, den Studenten die neue Linie zu erläutern. Kunst-funktionäre, die mit einer ähnlichen Mission wie die Kazmans durch das Land reisten, fanden manchmal bei den Zuhörern eine recht kühle Aufnahme, manche sogar eine ausgesprochen feindselige. Sogar von so entlegenen Orten wie Irkutsk kamen Berichte von scharfen Debatten, in denen Studenten sehr heftig den westlichen Abstraktionismus und die avantgardistische Kunst Rußlands der zwanziger Jahre verteidigten. Sogar Kunstfunktionäre zeigten Anzeichen von Widerstand. So hielten sich z. B. Mitglieder des Leninpreis-Ausschusses ostentativ fern, als ein Gemälde von Wladimir Serow, „Mit Lenin", zur Diskussion gelangte.

Während sich die meisten Schriftsteller standhaft in ihrer Opposition erwiesen, als später die Kampagne mit ganzer Wucht gegen sie geführt wurde, so waren es die bildenden Künstler, die sich am schweigsamsten und hartnäckigsten zeigten. Da sie weniger Erfolg gehabt hatten als die Schriftsteller und während der ganzen Nach-Stalin-Ära in geringerem Maße eine öffentliche Rolle gespielt hatten, sind sie vielleicht nicht so sehr mit einem Gefühl der Verantwortung belastet gewesen. Da sie in den letzten Jahren geringere Hoffnung hatten, durch geschicktes Manövrieren die Uhr des Fortschritts vorstellen zu können, hatten sie sich leichter damit abgefunden, nur „für die Schublade" zu malen und ihre Zeit abzuwarten. So besaßen sie eine besondere Immunität gegen Erpressung oder Versuchung. Es gab nur wenige und vereinzelte, die zu Kreuze krochen.

Erst sechs Wochen nach der Partei-Wallfahrt zur Manesh-Galerie konnte ein einziger der jungen Maler, die Chruschtschow dort kritisiert hatte, überredet werden, in der Prawda (in der Ausgabe vom 14. Januar) mit so etwas wie einem Widerruf vor die Öffentlichkeit zu treten. Diese Erklärung von Andrej Wasnezow war kaum ein Beweis von Zerknirschung.

Wasnezow lobte die jungen Kollegen, die der Kritik Chruschtschows anheimgefallen waren. Matisse, Picasso und Leger bezeichnete er als „große Künstler". Er nannte die Arbeit junger Maler eine „natürliche Reaktion" auf die „Schwülstigkeit, Gelacktheit und Seelenlosigkeit" der Stalinistischen Kunst und erklärte, daß „ein neuer Inhalt nicht immer in alte Formen passe". Daß sogar die Prawda eine solche Erklärung veröffentlichte, zeigte die Schwierigkeiten, die die Partei mit den Künstlern hatte und noch hat.

Angriff von rechts

Gegen Ende Januar nahm die Kampagne eine scharfe Wendung. Von jetzt an richtete sie sich vornehmlich gegen die Schriftsteller. Diese Wende trat am 20. Januar ein, als die Iswestija einen scharfen anonymen Angriff auf den 52jährigen Viktor Nekrasow wegen seiner Reisenotizen über Italien und Amerika druckte Iswestija bezeichnete seine bemerkenswert fairen Bemerkungen über den Westen als „außerordentlich oberflächlich und ungenau" und warnte, daß seine „Halb-undHalb-Einstellung" bei der Beurteilung der Verdienste beider Seiten im Kalten Krieg „ein sehr gefährliches Spiel" sei.

Der Vorwurf der pro-westlichen Einstellung, der bereits zu einem Hauptthema der Kampagne geworden war, wurde einige Tage später erneut in einem Gedicht von Nikolaj Gribatschjow in der Prawda erhoben, das den Titel trug „Nein, Jungens!" Es war eine Parodie auf ein Gedicht von Jewtuschenko, das einige Monate früher erschienen war Die Tatsache, daß die Parteizeitung jetzt ein so gemeines Gegenstück abdruckte, war ein Zeichen dafür, daß die Chancen der Konservativen im Steigen begriffen waren. Die Formel, auf die im Gedicht alles gebracht wurde, lautete etwa so: Der Westen ist gleichzusetzen mit abstrakter Kunst. Es kommt einem Verrat gleich, eines von beiden zu lieben.

„Der Teufel weiß, was sie auf ihre Leinwand schmieren und sich in ihren Versen birgt.

Sie bieten uns des Auslands Ware als wiese sie den Weg zu höchstem Ruhm.“

Die Formel geht etwa so weiter: Sowjetische „Söhne" sind undankbar gegenüber ihren „Vätern", die um ihretwillen Krieg und Revolution auf sich nahmen. Gribatschjow brachte dann die drei — die „Söhne", „abstrakte Kunst" und den „Westen" — in der Person Jewtuschenkow auf einen Nenner. An ihn richtete er eine Warnung, die fast wie eine Ankündigung des bevorstehenden Unheils klingt:

„Da ist dieser schreckliche Augenblick im Ausland, als Du ausgeglitten warst — und Du bist schon eine Waise, gehörst nicht mehr unter die Rote Fahne ...

Du bist allein . ..

der Verachtung Deiner Kameraden ausgeliefert. Auf diese Weise sind viele der Vergessenheit anheimgefallen.

Das Licht ihrer Seele erlosch, ohne Spuren zu hinterlassen.

Keine Zeile mehr, kein Echo ihrer Lieder, nicht einmal ihre Tränen haben uns je wieder erreicht.“

Der stark nationalistische Geist von Gribatschjows Gedicht war von da an ein wichtiger Bestandteil der Kampagne gegen die Schriftsteller. Das Anfangsstadium der Literatur-Kampagne erreichte einige Tage später seinen Höhepunkt, als die Iswestija 30) einen vernichtenden Angriff von Jermilow auf Ilja Ehrenbürg brachte, hauptsächlich wegen dessen Behauptung, die sich in seinen in Nowyj mir veröffentlichten Memoiren findet, daß er und andere Sowjetbürger in den dreißiger Jahren sehr wohl gewußt hätten, daß Millionen von Opfern Stalins unschuldig waren, daß sie aber gezwungen gewesen wären, „die Zähne zusammenzubeißen" und zu schweigen Jermilow leugnete das sehr heftig. Niemand, so behauptete er, es sei denn, er sei besonders privilegiert gewesen, habe damals gewußt, daß die Verhaftungen zum großen Teil auf eine Intrige zurückzuführen gewesen seien. Diese wenigen Einzelpersonen, die zufällig gewußt hätten, daß ein bestimmtes Opfer unschuldig war, hätten „gekämpft, und zwar nicht schwei--gend". Die Frage ist natürlich die: wenn ein Journalist wie Ehrenburg gewußt hat, wie stand es dann um hochgestellte Persönlichkeiten wie Chruschtschow, der selbst damals verantwortliche Parteiposten innehatte? Waren sie zu feige, um gegen das Gemetzel Einspruch zu erheben? Oder waren sie wissentlich Handlanger? Ehrenburg verlor keine Zeit mit der Antwort Er bestritt Jermilows Behauptung, daß jemand die Verhaftungen der dreißiger Jahre „bekämpft" habe. „Ich habe an keiner einzigen Versammlung teilgenommen, in der jemand aufgestanden und gegen die willkürliche Verfolgung von Genossen protestiert hätte, an deren Unschuld kein Zweifel bestand. Mir ist kein einziger Artikel des Protestes vor Augen gekommen."

Die Iswestija druckte die Antwort Ehrenburgs, allerdings zusammen mit einem neuen Angriff Jermilows und einer Anmerkung der Herausgeber, in der dieser Angriff unterstützt wurde. Jermilows Angriff wiederholte seine früheren Unterstellungen: entweder log Ehren-burg oder er hatte „besondere Einsicht" oder genoß „besonderen Vorteil" in den dreißiger Jahren. Mit einem solchen „Vorteil" konnte nur die Protektion durch Stalin selbst gemeint sein. Zum wenigsten war dieses Gefecht ein Versuch, einen führenden Liberalen der älteren Generation als Feigling oder Lügner hinzustellen

Unmittelbar nach dem ersten Angriff auf Ehrenburg ging die Iswestija dazu über, zwei weitere Angehörige der älteren Generation zu geißeln, die die talentierten, aber heißspornigen Jungen protegiert hatten Die Opfer waren Alexander Twardowskij, der Herausgeber von Nowyj mir, und Boris Polewoi, der Herausgeber der Zeitschrift Junost. Die Iswestija tadelte Twardowskij wegen der Veröffentlichung von Alexander Jaschins Geschichte „Wolodgaer Hochzeit", die als ein erschreckendes Bild von Armut, Brutalität und Aberglauben in einem russischen Dorf nach 47 Jahren sowjetischer Herrschaft bezeichnet wurde. Twardowskij anwortete dreieinhalb Monate lang nicht. Dann bezeichnete er in einem Interview mit dem UPI-Korrespondenten Henry Shapiro Jaschins Geschichte als „hervorragend" und „voller Poesie" Er fügte hinzu, daß die Geschichte seiner Meinung nach zu Unrecht in der Presse angegriffen worden sei. Diese Worte wurden in der Wiedergabe des Interviews in der Prawda gestrichen

Auf der anderen Seite ihres doppelt geführten Angriffs nahm sich die Iswestija Polewoi vor, weil er in die Januar-Ausgabe von Junost „banale kleine Verse über Italien" des talentierten Andrej Wosnesenskij „hineingezwängt" habe. Entgegen den Erwartungen vieler, die ihn gekannt hatten, ehe das Tauwetter von 1959— 1962 alle außer den Eisigsten zum Schmelzen gebracht hatte, entschuldigte sich Polewoi nicht. Statt dessen leugnete er, daß die-Verse „banal" seien und meinte, die Iswestija hätte ihre Kritik direkt an Wosnesenskij und nicht allein an den Herausgeber richten müssen

In der zweiten Februarhälfte trat das ein, was ein Beobachter als „einen Waffenstillstand" bezeichnet hatte, „bei dem jedes Lager seine Position behauptet". Eine Zeitlang unterblieben Angriffe der extremen Konservativen (z. B. ein heftiger Angriff, den Jermilow gegen Viktor Nekrasow vorbereitet haben soll, wurde nicht gedruckt und eine Anzahl liberaler Schriftsteller wie Gladilin, Okudshawa, Ehrenburg, Schtschipatschow, Jaschin, Nagibin, Jewtuschenko und Kasakow erschienen im Druck. Aber auch die Konservativen schwiegen nicht. Sie gingen sogar so weit, Solshenizyn anzugreifen, der bisher über jeden Tadel erhaben war.

Die Situation Anfang März konnte folgendermaßen kurz zusammengefaßt werden: Die talentierteren Schriftsteller und Künstler forderten ein begrenztes Recht auf formale Experimente und ein Recht auf eigene Gedanken.

Wenige lehnten das Ideal des Kommunismus als solches ab. Wenn die Partei auf ihrem Recht bestand, Schiedsrichter des intellektuellen Gewissens zu sein, hatte sie es nicht mehr wie in den „frostigen" Jahren 1954 und 1957 nur mit einigen wenigen schöpferischen Künstlern zu tun. In Dichterlesungen und Kunst-ausstellungen waren die wenigen Kunstschöpfenden jetzt in Kontakt mit Zehn-vielleicht Hundertausenden von Intellektuellen gekommen, darunter mit vielen Jugendlichen, und das Verständnis für ihre Werke hatte sich verbreitet. Durch die Publizität — der größten seit den Shdanow-Säuberungen der Jahre 1946 bis 1948 —, mit der die Partei den Angriff geführt hatte, hatte sie nur dazu beigetragen, Neugier und Sympathie zu wecken. So blieb nach Chruschtschows Ausfällen in der Manesh-Galerie die Ausstellung selbst geöffnet und wurde anschließend noch zahlreicher besucht als zuvor. Scherzhaft wurde gesagt, daß der Angriff des Ministerpräsidenten auf Neiswestnyj dem Bildhauer mehr wertvolle Publizität verschafft habe, als es jede Ausstellung hätte tun können Was die Öffentlichkeit betraf, hatte es die Partei mehr mit gutmütiger Neugier zu tun als mit irgendeiner Art von Revolte. Aber sie fühlte, daß ihre Vollmacht über die Ansichten und die Moral des Volkes nicht mehr uneingeschränkt war. Um diesen „Einbruch" abzuwehren, forderten extreme Konservative, daß die Partei „administrative Maßnahmen" oder ein tatsächliches Verbot gegen die liberalen Intellektuellen zur Anwendung bringen solle Bis zum 7. März wurde berichtet, daß die Moskauer intellektuellen Kreise es für unmöglich hielten, daß etwas derartiges in Erwägung gezogen würde. Aber am Vorabend der inzwischen berühmt gewordenen Versammlung vom 7. März gingen von tiefem Pessimismus gekennzeichnete Gerüchte um. Wosnesenskij und Jewtuschenko, so hieß es, würden die Opfer einer großen Offensive werden.

Der Höhepunkt der Kampagne

So war es denn eine sorgenvolle Versammlung von 600 Schriftstellern, Künstlern und anderen Intellektuellen, die am 7. März in der Swerdlow-Halle des Kreml zusammen gekommen waren, um wieder einmal den Parteiführern zuzuhören. Jewtuschenko hatte am 28. Februar in Paris ein dringendes Telegramm erhalten, in dem er zu dieser Versammlung zurückbeordert wurde. Er flog am 4. März ab, dem letzten Termin, um noch rechtzeitig nach Moskau zu gelangen. Etwaige Zweifel an der Stimmung der Intellektuellen werden beseitigt durch das in der Prawda veröffentlichte Bild mit seiner Reihe von finsteren Gesichtern und ängstlichen Händen, die die Worte der Sprecher genau mitschreiben.

Iljitschew war der erste wichtige Redner Er gab zu, daß die am 1. Dezember ausgelöste Diskussion inzwischen zu einer „nationalen Debatte" geworden war, und gestand ein, daß das Vorgehen der Partei mit Skepsis, Schweigen und offenem Protest ausgenommen worden war. Manche fürchteten, so gab er zu, daß es zu einer „Stagnation der schöpferischen Kräfte" und zur „Unterdrückung der Suche nach Neuem in der Kunst" kommen könnte. Manche „hätten nicht nur mißverstanden, sondern verharrten hartnäckig auf ihrem Irrtum. Einige wiederum versuchten sogar, andere für ihren Standpunkt zu gewinnen, Künstler, die einer gesunden Kritik zugänglich sind, mit einer Mauer der Gleichgültigkeit und Entfremdung zu umgeben und sie wegen . Abtrünnigkeit" und . Prinzipienlosigkeit" in den Bann zu tun." Nach seiner Methode „teile und herrsche" gab er bekannt, daß Jewtuschenko, Neiswestnyj und Beljutin „ihre Fehler richtig eingeschätzt hätten" (vermutlich am 24. — 26. Dezember). Das gleiche habe Wasnezow in seinem Prawda-Artikel getan. Einige Künstler und Kunstkritiker dagegen nähmen „in aggressiver Weise eine unkorrekte Haltung" ein.

Der Hauptangriff in Iljitschews Rede war gegen Ehrenburg gerichtet. Ebenso wie Jermilow beschuldigte er den älteren Schriftsteller, die besondere Protektion Stalins genossen zu haben. Hatte nicht Ehrenburg, so fragte er, indem er einige Zeilen von Ehrenburgs Prosa zitierte, Stalin im Jahre 1951 gepriesen? Als ob er vorbeugen wollte, daß diese Waffe einmal gegen ihn selbst gerichtet würde, fügte Iljitschew hinzu: „Wir alle sprachen und schrieben damals in dieser Weise, ohne deshalb Heuchler zu sein. Wir glaubten, was wir schrieben. Aber Sie, so erweist sich jetzt, haben nicht geglaubt, was Sie schrieben. Das sind unterschiedliche Positionen!"

Ehrenburg zog es vor, auf den böswilligen Angriff Iljitschews nicht zu antworten, ebenso-wenig auf diejenigen, die noch folgten. Unmittelbar nach der Rede zog er sich auf seine Datscha außerhalb Moskaus zurück. Dort verlebte er anscheinend mehrere Wochen in aller Abgeschiedenheit. Ehe er jedoch die Kreml-halle verließ, sprach er einem Angehörigen der jüngeren Generation gegenüber aus, daß er seine Hoffnungen begraben hätte: „Ich werde nie die Blüte der sowjetischen Künste erleben", sagte er traurig, „aber Sie werden es — in zwanzig Jahren." Angesichts der Bestürzung unter den in der Halle anwesenden Russen folgerte ein ausländischer Beobachter, es sei schwer zu sagen, ob die Prophezeiung im optimistischen oder im pessimistischen Sinne falsch war

In Iljitschews Angriff auf Ehrenburg fielen auch noch andere ein. So z. B. Scholochow, der auf der Rednertribüne erklärt haben soll: „Ich habe Ehrenburg seit langem kritisieren wollen" Außerdem ergriff Ernst Neiswestnyj das Wort, der (ebenso wie am 24. und 26. Dezember) Selbstkritik übte, sowie der Direktor Grigorij Tschuchrai, der in einer mutigen Rede für avantgardistische Filme eingetreten sein soll. Redner des folgenden Tages waren Wsewolod Kotschetow, Wassilij Aksjonow und der Kritiker Elisar Malzew. Wosnesenskij soll zwei Gedichte vorgetragen und die Bemerkung gemacht haben: „Ich bin kein Mitglied der Kommunistischen Partei und beabsichtige auch nicht, eines zu werden. Ebenso wie mein Lehrer Majakowskij ..." Anscheinend auf die Nichtmitgliedschaft des Dichters in der Partei anspielend, rief Chruschtschow dazwischen: „Das ist kein Grund, stolz zu sein!" Wosnesenskij wurde niedergeschrieen, als er fortfahren wollte

Hauptredner der zweitägigen Versammlung war N. S. Chruschtschow Seine Rede brachte schließlich den Moskauer Intellektuellen die ganze Heftigkeit der Kampagne zum Bewußtsein, die gegen sie im Gange war. Das Bestürzende daran war die teilweise Rehabilitierung nicht nur von Stalins Geschmack, sondern von Stalin selbst. „Wußten die führenden Kader der Partei damals von Verhaftungen? Ja!

Wußten sie aber, daß Leute verhaftet wurden, die in keiner Weise schuldig waren? Nein! Sie glaubten Stalin, und es kam ihnen gar nicht der Gedanke, daß ehrenhafte Leute, die unserer Sache treu ergeben waren, unterdrückt werden könnten"

Fast mit einem einzigen Schlag enthüllte er seine Empfindlichkeit in der Frage der Verbrechen Stalins und widersprach seinen eigenen Behauptungen, er habe nichts davon gewußt. Weil es glücklicherweise keine „JaMänner" gegeben habe, so prahlte er, seien größere Säuberungsaktionen in Moskau und in der Ukraine genau zu dem Zeitpunkt verhindert worden, als er an der Spitze der Moskauer bzw.ukrainischen Parteiorganisation stand. Indem er den Anfang von Stalins Irrtümern auf 1934 vordatierte (erst wenige Wochen vorher hatten Parteihistoriker seine Irrtümer auf die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts datiert), rehabilitierte sich Chruschtschow: „Bei Stalins Begräbnis hatten viele Menschen Tränen in den Augen, darunter auch ich. Obgleich wir von einigen persönlichen Fehlern Stalins wußten, so glaubten wir doch an ihn."

Mit diesen Worten hatten die Erben Stalins das gewonnen, was sie suchten: Sie hatten das, was als eine Partei-Untersuchung über „abstrakte Kunst" begann, als einen Hebel benutzt, um die Entstalinisierung abzustoppen. Chruschtschows Anspielungen auf Ehrenburg waren besonders giftig. Er verglich den alten jüdischen Autor, der angeblich Stalins Protektion genossen hatte, nicht nur mit der Schriftstellerin Galina Serebrjakowa Stalins Opfer, sondern auch mit Michail Scholochow, der im Jahre 1933 einen Brief an Stalin richtete, in dem er gegen „Übergriffe" und „Exzesse" bei den Kollektivierungsmaßnahmen bei den Bauern des Don-Tales protestierte. Indem er ausdrücklich Archivmaterial der Geheimpolizei zitierte, hoffte Chruschtschow zweifellos, seine Zuhörer einzuschüchtern. Er erinnerte sie nämlich daran, daß den gleichen Archiven Material entnommen werden könnte, das einen jeden von ihnen zu jedem von der Partei gewünschten Zeitpunkt in akute Verlegenheit bringen könnte. Und er leistete sich einen seiner Widersprüche, wie sie ihn keinesfalls stören: entweder hatte die Kollektivierung von 1933 historisch nichts zu tun mit den großen Säuberungsaktionen von 1937/1938, von denen Ehrenburg gesprochen hatte, und der Vergleich mit Scholochow war unzutreffend, oder die zwei Säuberungsaktionen müssen als eine einzige betrachtet werden. Falls der letztere Fall gelten sollte, wie könnte dann Scholochow von „Exzessen" gewußt haben und Chruschtschow nicht, da er doch damals eine hohe Stelle in der Partei einnahm?

Selbst indem Chruschtschow die Archive zitierte, warnte er sowjetische Schriftsteller davor, allzu tief in ihrem Gedächtnis zu forschen. Die Säuberungsaktionen der dreißiger Jahre seien „ein sehr gefährliches Thema", warnte er. Er verriet, daß die Verlagshäuser mit „Manuskripten über das Leben von Personen im Exil, in Gefängnissen und in Lagern überschwemmt würden" und fügte hinzu, daß solches Material die Feinde der Sowjetunion im Ausland nur „entzücken" könnte

In einer Diskussion über einen Film von M. Chuziew „Iljitsch-Wache“ schnitt Chruschtschow das an, was vielleicht die heikelste Frage im Leben der heutigen Sowjetunion ist: die Frage der „Väter und Söhne". Dieses Thema liegt dem sowjetischen Führer vielleicht besonders nahe am Herzen, denn es wirft ebenfalls die Frage nach der Verantwortung in den dreißiger Jahren auf. Es ist die Verachtung jüngerer Männer, von denen viele ihre eigenen Väter in den dreißiger Jahren verloren haben, für eine ganze Generation von „Vätern", die diese Säuberungsaktionen geschehen ließen. Einerseits handelt es sich um die besondere Verachtung junger Männer der Sowjetunion für alte Männer und alte Ideen, für „Väter", die unter Stalin engstirnige und bürokratische Methoden lernten und jetzt nicht mehr umlernen können, andererseits um die übliche Ungeduld der Jungen, selbst ans Ruder zu kommen. Als er über die „Iljitsch-Wache" sprach, leugnete Chruschtschow, wie er das immer tut, daß das Problem von „Vätern und Söhnen" überhaupt existiert. Aber die Heftigkeit, mit der er es leugnete, zeigte, wie groß seine eigene Empfindlichkeit hinsichtlich der Vorstellung ist, daß sowjetische „Väter" ihren „Söhnen" nichts mehr beibringen können und daß, wie er es ausdrückte, „es keinen Zweck habe, sie um Rat zu fragen" über die Sorgen um seine „Söhne" vergaß Chruschtschow nicht ihre „Großväter", jene kleine Gruppe tapferer alter Männer, die den Jungen ihren Schutz angedeihen ließen und ihnen jene geistige Verbindung mit einer Welt vermittelten, die vom Stalinismus unberührt ist: mit dem Westen, dem Rußland des 19. Jahrhunderts und dem noch sehr experimentierenden Ruß-land der zwanziger Jahre. Wie wir gesehen haben, hat er sich bereits mit Ehrenburg befaßt. Nun tat er ein übriges, um Valentin Katajew (Autor von „Die Quadratur des Kreises") zu kritisieren, der als Herausgeber von Junost fast allen jungen Schriftstellern zum Start verhülfen hatte. Katajew, so behauptete Chruschtschow, sei bei seinen Äußerungen in Amerika im Januar „unbedacht" gewesen. Im Ausland schmeichelten sie einem labilen Menschen, sagte Chruschtschow, sie „bezeichneten ihn als . Symbol einer neuen Ära", und dann vergesse er, woher er komme, wohin er gekommen sei und warum und fange an, Unsinn zu reden". Schließlich beklagte er sich, daß Bemerkungen, die Konstantin Paustowskij u. a. während eines Besuches in Frankreich gemacht habe, auf ihn einen „unerfreulichen Eindruck" gemacht hätten.

Ein weiterer Autor, den Chruschtschow mit einem besonders scharfen Tadel bedachte, war Viktor Nekrasow. Er kanzelte den mit dem Stalin-Preis ausgezeichneten Romanschriftsteller wegen seiner Bemerkungen ab, die er während eines Frankreich-Aufenthaltes gemacht hatte, wegen seiner Reisenotizen in Nowyj mir und wegen seines Lobes für den Film „Iljitsch-Wache". Mit seiner Aufgeschlossenheit in Sachen der Kunst und gegenüber dem Westen sei Nekrasow nicht viel anders als Ehrenburg, erklärte Chruschtschow.

Niemandem gegenüber war Chruschtschow so zweideutig wie gegenüber Jewtuschenko. Einmal beschuldigte er Jewtuschenko zusammen mit Ehrenburg eines „großen ideologischen Irrtums", weil er eine Vorliebe für einiges der zeitgenössischen Kunst habe. Er lobte ihn jedoch für seine Rede, die er am 24. /26. Dezember gehalten hatte, und gab dem Dichter einige väterliche Ratschläge: „das Vertrauen der Massen hoch zu schätzen, keine billigen Sensationen zu suchen und sich den Ideen und dem Geschmack der Spießer nicht zu beugen." Er nahm „Babij Jar" zum Anlaß, seine bisher längste öffentliche Erklärung über den Antisemitismus in der Sowjetunion abzugeben („Wir haben keine Juden-Frage, und diejenigen, die sie sich zurechtphantasieren, blasen in das Horn des Auslandes"). Am Ende seiner Rede wandte er wieder in verwirrender Folge abwechselnd Zuckerbrot und Peitsche an. Auf der einen Seite bestätigte er, daß Jewtuschenko sich im Gegensatz zu Wosnesenskij, Nekrasow, Paustowskij und Katajew während seiner Reise nach Westdeutschland und Frankreich „würdig benommen habe", auf der anderen Seite behauptete er aber, Jewtuschenko habe in einem Interview mit Les Letters Franaises „der Versuchung nicht widerstanden, sich um die Gunst der bourgeoisen Öffentlichkeit zu bemühen".

Zum Zeitpunkt der Rede Chruschtschows wurde Jewtuschenko bereits in der Presse angegriffen. In den Angriffen wurde es nicht ausgesprochen, aber es war in Moskau bekannt, daß der Dichter einer fortsetzungsweisen, am 21. Februar beginnenden, Veröffentlichung seiner in fünf Teilen zerfallenden Autobiographie in der französischen Wochenzeitschrift L’Express zugestimmt hatte. Ob die Partei aus seiner Autobiographie einen Fall machen würde, darüber wurden in der sowjetischen Hauptstadt noch Mutmaßungen angestellt. Als Chruschtschow sprach, mußte ihm der Inhalt von mindestens zwei Fortsetzungen der Autobiographie bekannt sein. So läßt also Chruschtschows Rede darauf schließen, daß er hoffte, seinen berühmtesten reisenden Botschafter, den jungen Mann, der zum Symbol des Bildes von einem neuen und liberaleren Rußland geworden war, intakt zu erhalten Die Rede läßt sogar an eine Art Vater-Sohn-Verhältnis zwischen beiden denken, das vielleicht weniger auf persönlicher Bekanntschaft als auf Jewtuschenkos Freundschaft mit Chruschtschows Schwiegersohn Alexej Adshubej beruht, dessen alte Zeitung Komsomolskaja prawda als eine der ersten Werke des Dichters veröffentlicht hatte

Noch ehe die Versammlung zu Ende war, war klar, daß die Konservativen immer noch nicht befriedigt waren und weiter gehen wollten. Sie waren so ungeduldig, daß eines ihrer gemäßigteren Mitglieder, Alexander Tschakowskij, der, um die konservative Richtung wieder durchzusetzen, erst vor wenigen Wochen zum Herausgeber der Literaturnaja gaseta ernannt worden war, davor warnte, die Kampagne allzu weit zu treiben Ungeachtet dieser Warnung brachten die Zeitungen an den folgenden Tagen zahlreiche Artikel, in denen die neue und striktere Einstellung der Partei zur Kunst lautstark begrüßt wurde. Aber von Seiten derjenigen, die am heftigsten angegriffen wurden, wurde zunächst keinerlei Reue laut. In einer Versammlung von Intellektuellen in Leningrad wurde Nikolaj Akimow, der 61jährige Regisseur des Leningrader Komödientheaters, vom örtlichen Parteisekretär Wasilij Tolstikow wegen „verschwommener ideologischer Tendenz" mehrerer von Akimow inszenierter Schauspiele kritisiert, insbesondere wegen Jewgenij Schwartz'„Der Drachen". (Die Moral des Stückes ist, daß ein Tyrann oft nur gestürzt wird, um einem anderen Platz zu machen, wenn nicht die Tyrannei selbst bekämpft wird.) Die Antwortrede Akimows auf Tolstikows „gerechte Kritik", so berichtet die Zeitung Leningradskaja prawda, „befriedigte die Zuhörer nicht“. Das gleiche galt für eine Rede des Malers namens Leonid Tkatschenko, der das Recht des Künstlers auf „unbeschränkte Formen" vertrat, und diejenige einer ungenannten Kuratorin der Abteilung für Europäische Kunst des Eremitage-Museums. Wie die Zeitung berichtet, beschrieb sie „formalistische" Kunst als ein „fröhlich schöpferisches Werk"

Von den Intellektuellen, die Chruschtschow persönlich kritisiert hatte, war Neiswestnyj der erste, der sich äußerte Auch seine Erklärung war ein Meisterwerk der Doppeldeutigkeit. Er schloß mit den Worten: „Ich sage mir immer wieder: Ich muß mehr, besser, ideologischer und ausdrucksstärker arbeiten. Nur so kann ich meinem Land und meinem Volk nützen." (Kein Wort über die Partei.) Der einzige, der sich sonst noch äußerte, war der 30jährige Dichter Robert Roshdestwenskij. Seine kurze Erklärung war ein weiteres Wunderwerk von Zweideutigkeit Es begann: „Es ist interessant, am Leben zu sein." Später Hieß es dann:

„Ich finde es interessant, am Leben zu sein."

Zum Schluß trat er für „Qualität“ (ein Schlagwort der Liberalen) sowie für „ideologische Reinheit“ (das Schlagwort der Partei) ein.

Die Antwort der jungen Schriftsteller war so unbefriedigend, daß Komsomolskaja prawda (die jetzt konsequent als Sprachrohr der Reaktion fungierte) sich am 17. März bewogen fühlte, einen Vorschlag des 20jährigen Dichters Igor Wolgin zu veröffentlichen, der gleichzeitig eine Drohung enthielt: „Es wäre für uns sehr nützlich, eine Weile in lokalen Zeitungen, Zeitschriften und Druckanstalten zu arbeiten. Die gewonnenen Erfahrungen würden uns in die Lage versetzen, den Platz des Dichters in der Welt der Arbeit besser zu verstehen." Am 17. März lieferte die Prawda zwei weitere neue Hinweise dafür, daß die Konservativen auf dem Kriegspfad waren. Der erste war ein grober Angriff nach stalinistischem Muster auf Michel Tatu, den Moskauer Korrespondenten der französischen Zeitung Le Monde, auf den die Leser außerhalb der Sowjetunion mehr als auf jede andere westliche Quelle angewiesen waren, wollten sie etwas über die Kultur-offensive erfahren. Der von Jurij Shukow unterzeichnete Angriff war ein Versuch die Rückberufung Tatus zu erzwingen, offensichtlich deshalb, weil eine detaillierte und genaue Berichterstattung über die Treibjagd im Westen den unnachgiebigeren Moskauer Funktionären mißfiel.

Am gleichen Tag gab die Prawda auch bekannt, daß Stepan Schtschipatschow, ein unpolitischer Dichter, der sich als Chef der Moskauer Organisation durch seine tolerante Haltung gegenüber jungen talentierten Schriftstellern ausgezeichnet hatte, zwar zuvor „auf eigenen Wunsch" seines Postens als Vorsitzender der Moskauer Organisation des Schriftstellerverbandes entkleidet und durch Georgij Markow ersetzt worden war, der ironischerweise Autor eines neuen Romans mit dem Titel „Vater und Sohn" war.

Hauptzielscheibe der Angriffe — die Jungen

Schtschipatschows Sturz deutete auf eine plötzliche Richtungsänderung. In Versammlungen von „Arbeitern der Kunst", die jetzt überall im Lande stattfanden, tauchte mysteriöserweise der Name Ilja Ehrenburg nicht mehr auf. Stattdessen wurden westlich orientierte junge Schriftsteller zur Hauptzielscheibe der Angriffe von denen der bedrohlichste in einer Versammlung des Moskauer Schriftstelleraktivs geführt wurde. Als Zweck der Veranstaltung wurde angegeben, daß über „ernste Versäumnisse in der ideologischen Erziehung der Schriftsteller" diskutiert werden sollte, als Schtschipatschow, Elisar Malzew und Alexander Borschtschagowskij tonangebend in der Organisation gewesen seien In scharfer Form wurden diese ehemals führenden Männer bezichtigt, „nicht genügend Mut aufgebracht zu haben, um gewissen Leuten wie z. B. Je. Jewtuschenko wegen einiger seiner Presseäußerungen die Meinung zu sagen". Die einzige Gegenstimme in diesem immer lauter werdenden Chor war diejenige Juljan Seminows, des einzigen jungen Schriftstellers, der in dieser Versammlung sprach, und der „schöpferische Arbeit und nicht fruchtlose Diskussionen über Themen, die wenig mit Literatur zu tun hätten", forderte.

Am 26. März begann eine Vollsitzung des Vorstandes des UdSSR-Schriftstellerverbandes in Moskau, während gleichzeitig im In-und Ausland Gerüchte umliefen, daß der gemäßigte, liberale Alexander Twardowski als Herausgeber von Nowyj mir von Jermilow abgelöst werden sollte und die Stellung Konstantin Fedins als Vorsitzender des Schriftstellerverbandes möglicherweise ebenfalls gefährdet sei. Zusammen mit ihren Berichten über die Sitzung veröffentlichte Literaturnaja gaseta bedeutsamerweise auch zwei Photos, eines von Fedin und das andere von Twardowski, die solche Gerüchte Lügen straften und zeigten, daß sie eine mächtige Unterstützung bei den Gemäßigten genossen. Die Sitzung begann mit einer Ansprache Fedins, in der dieser die Individualität in der Kunst in vorsichtiger Weise verteidigte: „Wir sind froh, daß die Bedeutung künstlerischer Individualität auch von Nikita Sergejewitsch anerkannt wird." Nach Fedin betrat der ältere Dichter Nikolaj Tichonow die Rednertribüne, der trotz eines Untertons von mildem Tadel an den jungen Schriftstellern sich ebenso wie Fedin als gemäßigt zeigte: „Laßt uns dafür Sorge tragen, daß wir nicht durch allerlei Kleinkram und verschiedene interne Streitigkeiten von unserer Hauptaufgabe als Schriftsteller abgelenkt werden, damit unsere ganze Energie zum Wohle unserer sozialistischen Gesellschaft eingesetzt wird und nicht Leidenschaften entfacht, die keiner Notwendigkeit entspringen"

Andere Reden in der Sitzung waren nicht so gemäßigt. Diejenige Alexander Prokofjews, des Dichters, der im Jahre 1961 den Lenin-Preis gewonnen hatte, und der ein entschiedener Gegner von Jewtuschenkos Auslandsreisen ist, schlug den eifersüchtigen, erbitterten Ton an, dem sich viele anschließen sollten. Er beklagte sich, daß der liberale Geist nicht nur in Moskau, sondern auch in Leningrad und Sibirien eingedrungen sei, und stellte die Frage, warum Jewtuschenko, Wosnesenskij und vier oder fünf andere „Neon-Neuerer" in Riesenausgaben von fünfzig-oder hunderttausend Exemplaren erschienen und warum ein erster Gedichtband des jungen Leningrader Dichters Viktor Sosnora vierzehnmal rezensiert worden sei, „während Bücher von Autoren, die einen sowjetischen Standpunkt einnehmen, fast keine Beachtung fänden"

Neid und Wehleidigkeit klingen auch durch die anderen Reden. Wiederholt führten die Redner einen Fragebogen an, der im vorausgegangenen Jahr von Woprosy literatury ausgegangen war. In ihren Antworten, so beklagten die Redner, hätten allzu viele junge Schriftsteller erklärt, daß sie am meisten von Boris Pasternak beeinflußt worden seien (und nicht von Michail Scholochow), von Hemingway, Salinger, Heinrich Böll, Erich Maria Remarque und nicht von einheimischen russischen Autoren. Ein Sprecher griff sowjetische Schriftsteller an, die „unter dem Deckmantel der Kybernetik und modernen mathematischen Methoden hartnäckig versucht hätten, den russischen Formalismus der zwanzi-ger Jahre wieder zum Leben zu erwecken" Ein anderer verriet mit einem Nachgefühl von Schadenfreude, daß Jewtuschenko und Wosnesenskij, „angetrieben von dem Verlangen nach Macht", sich seinerzeit zur Wahl für Funktionärsposten in der Sektion für Dichtung der Moskauer Schriftstellerorganisation gestellt hätten. Sie seien durchgefallen, sagte der Redner, weil diejenigen, die darüber abzustimmen hatten, erwachsene Menschen gewesen seien und verstanden hätten, daß diese Genossen für eine führende Position nicht reif waren"

Jewtuschenko, Wosnesenskij und in einem geringeren Ausmaß auch Aksjonow waren diejenigen Schriftsteller, deren Namen am meisten und mit Verachtung genannt wurden. Besonders Jewtuschenko war bösartigen Angriffen ausgesetzt, unter denen sich derjenige von Boris Rjurikow, einem früheren Herausgeber der Literaturnaja gaseta und seinerzeitigem für Literatur zuständigen „Apparatschik" des Zentralkomitees, durch grenzenlose Heftigkeit auszeichnete. Rjurikow geißelte nicht nur Jewtuschenko, er bezeichnete auch — was seine Vorredner nicht getan hatten — genauer den Fehler, dessentwegen Wosnesenskij und Aksjonow angegriffen wurden: ein Interview, das sie der polnischen Wochenzeitschrift Politika gegeben und in dem sie die miteinander in Zusammenhang stehenden Probleme der „Väter und Söhne" und der Verantwortlichkeit für die Säuberungen der dreißiger Jahre angeschnitten hatten. Andeutend, daß es sich um eine Sache der Beweggründe handeln könnte, schloß Rjurikow, daß diese jungen Schriftsteller nicht in Rechnung stellten, „welch klägliche Rolle sie im Kalten Krieg spielten, ob sie es beabsichtigten oder nicht"

Die Reden enthüllten den gewaltigen Druck, dem Jewtuschenko und Wosnesenskij ausgesetzt waren — Aksjonow war zu der Zeit gerade nicht anwesend —, ihre Sünden zu bekennen und ihre Herzen erneut der Partei zu weihen. Aber dieser öffentliche Druck war noch nicht alles. Mehr privat wurde ihnen angedeutet, daß ihre Arbeiten in Zukunft überhaupt nicht veröffentlicht würden, wenn sie nicht das Vorrecht der Partei akzeptierten, ihre Arbeit zu lenken

Es lag aber noch eine andere Art von Gefahr in der Luft. In Moskau hatte sich inzwischen eine Atmosphäre von Angst verbreitet. Es herrschte das Gefühl, daß man die Kontrolle verloren habe, daß alles, sogar eine Rückkehr zum Stalinismus möglich sei. Es ist durchaus möglich, daß Wosnesenskij und Jewtuschenko zu dem Eindruck gelangt waren, daß ihre Beichte notwendig sei, um eine solche Möglichkeit auszuschalten.

Es war daher nicht allzu überraschend, daß die schlanke, jungenhafte Gestalt Andrej Wosnesenskij auf das Podium trat und sich an die versammelten Schriftsteller wandte. Was dann folgte, war knapp — nur 114 Worte — und eine in der Geschichte der russischen Reuebekenntnisse recht denkwürdige Erklärung: „Es ist in diesem Plenum gesagt worden, daß ich die harten und strengen Worte Nikita Sergejewitsch'nicht vergessen dürfe. Ich werde sie nie vergessen. Ich werde nicht nur diese strengen Worte, sondern auch die Ratschläge nicht vergessen, die mir Nikita Sergejewitsch gab. Er sagte: . Arbeite'. Ich will mich jetzt nicht rechtfertigen. Ich möchte nur sagen, daß für mich die Hauptsache jetzt arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten ist. Meine Arbeit wird zeigen, wie meine Haltung gegenüber meinem Lande und dem Kommunismus ist, und was ich selbst bin." (Prawda, 29. 3.)

Widerrufen heißt zugeben. Aber hier jedenfalls gab es kein überflüssiges Wort, nicht den Schatten einer Kapitulation, die heraus-gelöst und ausgenutzt werden konnte. Wenn Nuancen entscheidend sind für das, was sie an Talent für die Zukunft retten oder opfern, dann dürfte Wosnesenskijs Begabung ziemlich intakt hinübergerettet worden sein. In der Kunst des Reuebekenntnisses ist er offensichtlich bei Boris Pasternak in die Schule gegangen, der im Leben wie in der Dichtkunst sein Lehrer war.

An Jewtuschenkos Reuebekenntnis läßt sich seine Zwiespältigkeit ermessen. Es war abwechselnd trotzig und unterwürfig. Es wurde nur teilweise veröffentlicht und folglich falsch wiedergegeben, wie gröblich, wissen wir nicht. Einigen Aussagen zufolge verteidigte sich der Dichter und ging sogar zum Gegenangriff über. Bezeichnenderweise verteidigte er energisch seinen Kollegen Neiswestnyj. Auf der anderen Seite war er nicht einverstanden mit Ehrenburgs „geschicktem Satz" vom „Tauwetter" und beharrte darauf, daß „Frühling" gemeint sei. Das war ein Vergehen gegen die Solidarität, das verurteilt wurde, obgleich Jewtuschenko diese Kritik schon früher geäußert hatte. In den Teilen seiner Erklärung, die in der sowjetischen Presse veröffentlicht wur-den beschränkte sich Jewtuschenko auf seine Autobiographie. Er entschuldigte sich nicht dafür, daß er sie geschrieben oder gar veröffentlicht hatte. Er widerrief nicht, was er tatsächlich geschrieben hatte. Im Gegenteil sagte er, sie enthalte vieles, was „ernsthaft und reif" sei. Aber er fügte hinzu: „Ich sehe jetzt, daß sie vieles enthält, was überflüssig und unbescheiden ist. Mein schwerster Fehler ist, daß ich die Moral der bourgeoisen Presse nicht berücksichtigt habe, und dafür bin ich grausam bestraft worden." Er sei das Opfer von Entstellungen und irreführenden Über-schriften durch die Herausgeber von L'Express geworden. Er schloß: „Ich habe einen Fehler begangen, der nicht mehr wiedergutzumachen ist. Ich habe schwere Schuld auf mich geladen ... Ich habe in diesen Tagen viel durchgemacht und nachgedacht. Es ist für mich eine Lehre fürs ganze Leben. Ich möchte dem Schriftsteller-Kollektiv versichern, daß ich meinen Irrtum voll ermesse und versuchen will, ihn durch meine zukünftige Arbeit wiedergutzumachen."

Nach Berichten von Reisenden zu urteilen war die Stimmung unter vielen jungen Leuten in Moskau so sehr auf Unnachgiebigkeit ausgerichtet, daß sie Jewtuschenkos und sogar Wosnesenskijs Erklärung mit Ärger, Enttäuschung und Bestürzung aufnahmen. Ihre Idole waren angeschlagen, obgleich anscheinend nicht zerstört. Die konservativen Schriftsteller im Plenum waren ebenfalls unzufrieden, wenn auch in einem anderen Sinne. Nachdem sie den Dichtern nur ein kleines Schuld-bekenntnis abgerungen hatten, waren sie jetzt darauf bedacht, sie gänzlich zu brechen: sie wollten, wenn möglich, den Unterschied, der hinsichtlich des moralischen Formats und des Talents zwischen der älteren und der jüngeren Generation bestand, symbolisch beseitigen und sie zu immer gefügigeren Werkzeugen der Partei machen. Wie Jewtuschenko von einem seiner Lieblingsautoren, Kipling, hätte lernen können: „Das Blöken der Schafe stört den Tiger."

Es war Jewtuschenkos verhängnisvolle Kombination von Auflehnung und Reue, die ihn mehr als alle anderen unaufhaltsam in den Sturm zu zerren drohte. Seine rebellische Art stachelte seine Feinde noch mehr an, sein Reuebekenntnis ließ sie auf noch mehr hoffen. Und so bemerkte die Prawda, daß die Erklärung Jewtuschenkos „die Teilnehmer des Plenums nicht befriedigt habe. Der Ton seiner Rede zeige, daß Jewtuschenko die Wurzeln seiner Irrtümer bei der Veröffentlichung seiner Autobiographie oder in einigen seiner Gedichte nicht erkenne." Jurij Shukow fragte böse, warum Jewtuschenko zu einer „Position der Kapitulation vor unseren ideologischen Feinden übergegangen sei" Der ukrainische Autor Leonid Nowitschenko bezeichnete ihn als Intriganten, Widerspenstigen, der mit seinem eigenen Ruhm hausieren gehe.“ Und Wladimir Firsow bezichtigte Jewtuschenko, ein Egozentriker zu sein. Er kritisierte, daß er es zugelassen habe, daß seine Autobiographie in einer der „reaktionärsten französischen Zeitungen" erscheine. Was Firsow und seine Zuhörer vielleicht nicht gewußt haben, war, daß die Sowjetregierung selbst in der gleichen reaktionären Zeitung eine Rede Chruschtschows an den Obersten Sowjet am 12. 12. 1962 auf ihre Kosten veröffentlichen ließ!

Michail Sokolow, der Herausgeber der Zeitschrift Don, hielt ebenfalls eine aufschlußreiche Rede. Er startete einen Angriff auf Alexej Surkow, weil er zu den Unterzeichnern eines Briefes an Chruschtschow im vergangenen Dezember gehörte, in dem eine „friedliche Koexistenz" unterschiedlicher Trends in der Kunst gefordert wurde. In einer Rede vor dem Moskauer Schriftsteller-Aktiv, die nicht veröffentlicht worden war, offensichtlich, weil sie nicht genügend Selbstkritik enthielt, verriet Surkow laut Sokolow, daß er neun Stunden nach der Unterzeichnung seine Unterschrift wieder zurückgezogen hatte. Sokolow forderte, daß Surkow jetzt unterwürfige Abbitte leiste. Es „kann nicht erlaubt werden, daß die Koexistenz von Ideologien auch nur neun Sekunden, geschweige denn neun Stunden propagiert wird!", rief er aus. Sokolow verlangte ferner, daß Alexander Twardowski Selbstkritik übe, weil er Ehrenburg, Nekrasow und zwei Kurzgeschichten von Solshenizyn veröffentlicht habe

Selbst jetzt hatte die Erbitterung der Konservativen noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Er trat erst auf einer Sitzung des Vorstandes des Schriftstellerverbandes der RSFSR am 2. /3. April ein. Hier drohte die Woge der Reaktion übermächtig zu werden. Vier Sprecher, darunter Iwan Charabarow, einst Schüler Pasternaks und Anführer der jungen Liberalen, verlangten, daß Jewtuschenko aus dem Schriftstellerverband selbst ausgeschlossen würde. Ein Redner beklagte in einer, wie es hieß, „aufrüttelnden Rede", daß die konservativen Schriftsteller in der Periode der liberalen Erfolge an einem „Gefühl der Schutzlosigkeit" gelitten hätten Sergej Barusdin erklärte es folgendermaßen: „Zuerst kämpften wir, und die literarischen Ereignisse der Jahre 1956 und 1957 machen deutlich, daß wir in der Lage waren, zu streiten und anzugreifen. Aber dann — und besonders in den letzten zwei oder drei Jahren — wurden wir entweder müde oder ängstlich. Wovor fürchteten wir uns? Daß wir in geheimer Wahl überstimmt würden? Daß man uns als . Dogmatiker, Stalinisten usw.'bezeichnete?" Ähnliche Beschwerden wurden gegen das Büro für Propaganda Künstlerischer Literatur laut, das Redner für die Dichterlesungen gestellt hatte, in denen Jewtuschenko, Wosnesenskij und andere ihren Ruhm begründet und Anhänger gefunden hatten. Viktor Poltorazki schlug einen chauvinistischen Ton an: „Wer hat auch nur einmal versucht, einen Abend mit wirklich russischer Dichtung (im Polytechnischen Museum oder in der Moskauer Universität) zu veranstalten? Warum wird ein solcher Abend nicht veranstaltet? . .. Dann würden die Zuhörer sehen, welchen Weg echte sowjetrussische Dichtkunst geht und wofür sie eintritt".

Inzwischen gelang es den Angreifern, ein weiteres Opfer zur Strecke zu bringen, nämlich Wasilij Aksjonow, und zwar in der Prawda vom 3. April. Ebenso wie seine Freunde Jewtuschenko und Wosnesenskij entschul-digte sich Aksjonow nicht für seine Arbeit selbst — seine respektlosen und mit Jargon überladenen Geschichten „Fahrkarte zu den Sternen" und „Orangen aus Marokko" waren von den Kritikern heftig angegriffen worden —, sondern für ein Interview, das er und Wosnesenskij der polnischen Wochenzeitung Polityka gegeben hatten. Im Verlauf des Interviews, das im Herbst 1962 stattgefunden hatte, bezeichnete Wosnesenskij Lorca, Eluard und Pasternak als seine geistigen Vorläufer in der Dichtkunst. Er distanzierte sich von der gegenwärtigen Generation literarischer „Väter" in der Sowjetunion und erklärte stolz, daß „die Vererbung manchmal eine Generation überspringen könne". Aksjonow stellte das „Väter-und Söhne-Problem" in einen mehr persönlichen als dichterischen Rahmen. Mit dem Hinweis, daß sein eigener Vater ein Opfer Stalins gewesen sei, tadelte er die Generation seines Vaters nichtsdestoweniger: „Wie konnten sie Dinge, wie sie sich im Jahre 1937 abgespielt haben, zulassen?"

In seinem Reuebekenntnis folgte der 30jährige Aksjonow dem Beispiel Jewtuschenkos. Er behauptete, er sei falsch zitiert worden. Als merkwürdige Entschuldigung wies er darauf hin, daß das Interview doch einer kommunistischen und nicht einer kapitalistischen Zeitung gewährt worden sei. Er fügte hinzu, daß es unter offizieller Aufsicht in Moskau und nicht im Ausland unter dem Eindruck bourgeoiser Schmeichelei stattgefunden habe. Er versprach trotzdem, „zu arbeiten", um seine Irrtümer zu korrigieren. Seine Erklärung wurde ungekürzt in der Prawda veröffentlicht und scheint weiter gegangen zu sein als diejenigen Jewtuschenkos oder Wosnesenskijs.

Die Affäre Jewtuschenko

Wie bereits erwähnt, war niemand heftigerem Druck ausgesetzt, ein Reuebekenntnis abzulegen, als Jewtuschenko; er kam zum Ausdruck in „spontanen Leserbriefen", in denen alle Nuancen von der Drohung mit Gewalt bis zur Hoffnung auf Rettung seines Seelenheils anklangen. Man wollte ihm ein neues, viel zerknirschteres Sündenbekenntnis abringen. In einer Erklärung der Redaktion von Junost im April 1963 ließ man durchblicken, daß er seinen Posten im Mitarbeiterstab der Zeitung verlieren würde, wenn er nicht über seine Erklärung vom 29. März hinausgehen würde. Und schließlich drohte der Chef des Komsomol, Sergej Pawlow, in einer Parteikonferenz am 19. April dem jungen Autor ganz deutlich damit, daß sein neuer Gedichtband verboten würde, wenn er sich nicht besserte. („Jewtuschenkos prahlerische Haltung hat ihn vernichtet, öder könnte ihn vielmehr vernichten, wenn er sein schändliches Verhalten nicht aufgibt.") Alle diese Entwicklungen deuteten darauf hin, daß die Treibjagd gegen Jewtuschenkow jetzt zum Mittelpunkt und zum Kern der ganzen Kampagne geworden war Das Einsetzen dieser Treibjagd (die, wie man später sehen wird, kurz nach Pawlows Pressekonferenz zum Stillstand kam) ist so ungeheuer aufschlußreich für die Dynamik des Angriffs auf die liberalen Intellektuellen in ihrer Gesamtheit, daß es sich nicht lohnt, abzuschweifen und sie in ihren Einzelheiten zu untersuchen.

Betrachten wir zunächst einmal die Umstände, unter denen der Dichter dazu kam, im Ausland seine berühmte „Vorzeitige Autobiographie" zu veröffentlichen Bekanntlich traf Jewtuschenko Mitte Februar von Westdeutschland kommend (wo seine Erklärungen wie die, daß er es bedaure, daß Bonn keine diplomatischen Beziehungen zu den kommunistischen Ländern habe, zu Spekulationen in der deutschen Presse führten, daß er nicht so sehr „ein zorniger junger Mann“, sondern vielmehr ein sowjetischer Diplomat ohne Portefeuille sei) in Paris ein. Seine Autobiographie war damals größtenteils, wenn nicht sogar gänzlich, fertig-gestellt Fast unmittelbar traf er eine Vereinbarung über ihre fortsetzungsweise Veröffentlichung in L'Express. Die erste Fortsetzung erschien am 21. Februar, etwas mehr als eine Woche nach seinem Eintreffen in Frankreich. Die letzte Fortsetzung erschien genau einen Monat später, am 21. März.

Aber der Entschluß zur Veröffentlichung barg ein gewaltiges Risiko in sich, und Jewtuschenko wußte das. Nach dem Fall Pasternak im Jahre 1958 hatte das Zentralkomitee eine neue Richtlinie herausgegeben, nach der es sowjetischen Schriftstellern verboten war, im Ausland Material, besonders Bücher zu veröffentlichen, die im Inland noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben waren. Jewtuschenko hatte gezeigt, daß er diese Richtlinie sehr wohl kannte. In Dichterlesungen in Moskau z. B. pflegte er häufig Verse zu zitieren, die noch nicht im Druck erschienen waren. Doch hatte er wiederholt Ausländern Kopien dieser Gedichte verweigert, vermutlich wegen der „Lex Pasternak". Zweifellos hoffte der Dichter bei der fortsetzungsweisen Veröffentlichung der Autobiographie in einer Zeitung vor ihrem Erscheinen in Buchform, daß seine „Pasternak-Sünde" nicht den offiziellen Zorn heraufbeschwören werde, zumal schon früher einzelne Artikel von ihm im Ausland erschienen waren.

Angeblich war der Grund für den Wunsch des Dichters nach Veröffentlichung die Tatsache gewesen, daß er in vielen seiner Interviews 72 im Ausland falsch zitiert worden sei und jetzt richtig verstanden werden wollte Das war seltsam. Denn Jewtuschenko waren zahlreiche Angebote gemacht worden, in besonderen Artikeln in westlichen Publikationen Stellung zu nehmen, was nur ein geringes Risiko bedeutet hätte. Und bei einigen Gelegenheiten hatte er das auch getan. Zwingendere Gründe müssen ihn zur Veröffentlichung der Autobiographie bewogen haben als diejenigen, die er anführte.

Fühlte er sich angesichts der Heftigkeit, die die Kulturoffensive in seinem Lande noch annehmen konnte, bewogen, mit einer zu Herzen gehenden , apologia pro sua vita mit fliegenden Fahnen unterzugehen, ehe er schweigen mußte? Oder war er so sehr vom Größenwahn beseelt, daß er einfach annahm, ein Jewtuschenko könne sich alles erlauben? Die Umstände deuten darauf hin, daß sein Motiv vielleicht irgendwo in der Mitte lag. Wir müssen uns zunächst daran erinnern, daß er Mitte Januar sein Heimatland verlassen hatte, nachdem ihn Iljitschew wegen seiner „staatsbürgerlichen Reife" gelobt hatte. Sogar Intellektuelle innerhalb Rußlands unterschätzten bis zur Versammlung vom 7. /8. März das Kesseltreiben, das gegen sie im Gange war. Wolfgang Leonhard, der Jewtuschenko für Die Zeit interviewte, und Freunde, die mit ihm in Paris sprachen, hatten den Eindruck, daß er allzu optimistisch hinsichtlich des Angriffs auf Schriftsteller und Künstler sei.

Auf der anderen Seite ist Jewtuschenko wegen seiner politischen Intuition bekannt, der keine entsprechende Fähigkeit zum Manövrieren zur Seite steht. Während seines Aufenthaltes in Paris wurde er von sowjetischen Geheim-agenten scharf überwacht, und er machte aus seinem diesbezüglichen Verdacht auch kein Geheimnis. Euphorisch und zugleich seltsam entschlossen machte er den Eindruck eines Mannes, der am Rande eines selbst gewählten Abgrundes entlang wandelt. Seine Frau Galina fürchtete, daß die Veröffentlichung der Autobiographie ein Fehler war, und daß sie niemals wieder die Sowjetunion verlassen dürften. Aber auf einer Pressekonferenz vor Erscheinen seiner Autobiographie sagte Jewtuschenko prophetisch von sich und Wosnesenskij (obgleich in einer Diskussion über Formalexperimente in der Dichtkunst): „Wer weiß, ob wir nicht letzten Endes doch eine Generation von Geopferten sind? Wir wären dann wie die Reiter Napoleons, die sich in den Fluß warfen, um eine Brücke zu bilden." Jewtuschenkos Beweisführung war möglicherweise etwa folgende: Entweder war das Kesseltreiben der Partei auf dem Gebiet der Kunst nicht ernst zu nehmen, in welchem Falle seine Autobiographie dazu beitragen könnte, ihm eine andere Richtung und der liberalen Sache Aufschwung zu geben, oder die Situation war nicht mehr zu retten, in welchem Falle er mit Gewißheit ein Opfer sein würde und nichts mehr zu verlieren hätte, wenn er ein letztes Glaubensbekenntnis ablegte. Möglicherweise rechnete er aber auch mit hoher Protektion von seifen Chruschtschows oder dessen Schwiegersohn Adshubej. Wenn diese Protektoren ihn nicht retten könnten, wer könnte es dann? hat Jewtuschenko sich vielleicht ausgerechnet.

Wie stand es nun aber um die Beweggründe der sowjetischen offiziellen Kreise? Vom Augenblick seiner Ankunft in Paris an machte Jewtuschenko kein Geheimnis aus seiner Absicht, die Autobiographie zu veröffentlichen. Maurice Thorez, der Führer der Kommunistischen Partei Frankreichs, wußte davon, desgleichen der sowjetische Botschafter. Keiner von beiden machte einen Versuch, ihm das auszureden. Im Gegenteil, nachdem zwei Fortsetzungen erschienen waren und ehe Jewtuschenko nach Moskau zurückkehrte, beglückwünschten ihn offizielle Vertreter der Botschaft und französische Kommunisten zu der „guten Arbeit für die UdSSR". Es mag als guter Witz gelten, daß Jewtuschenko für seine Autobiographie bezahlt wurde, während Chruschtschow die Veröffentlichung seiner Rede vom 12. Dezember im L’Express bezahlen mußte Aber etwas mehr als zwei Wochen später, als die Ereignisse in Moskau eine dramatische Wendung genommen hatten und Jewtuschenko schnell zum Hauptangriffsziel geworden war, wurde das Original seines Manuskript, das ihm am 19. März von L’Express um fünf Uhr nachmittags zurückgeschickt wurde, damit er die Kürzungen und Änderungen zur Kenntnis nehmen könnte, auf dem Postweg gestohlen — offensichtlich von der sowjetischen Geheimpolizei Am gleichen Tage gab Jurij Shukow in Moskau bekannt, daß es „ihm zugefallen sei, die . Spuren von Dichtern zu verfolgen', die ins Ausland gereist seien. Als sich daher Jewtuschenko einige Tage später im Plenum der Schriftsteller erhob, um sich zu verteidigen, konnte er das nur mit einem unvollständigen Text in der Hand tun, der vom Russischen ins Französische und wieder zurück ins Russische übersetzt worden war, und mit dem Wissen, daß sich das Original in den Händen der Geheimpolizei befand.

War Jewtuschenko also das Opfer einer riesengroßen Provokation? Hatte der sowjetische Funktionärsapparat ihn nur deshalb bis an das Ende einer langen Straße gelockt, um ihm dann den Rückweg abzuschneiden? Einige sowjetische Funktionäre haben das zweifellos beabsichtigt. Aber die Kette von Ereignissen, die dazu führten, daß er zum Sündenbock für eine ganze Generation wurde — so unvermeidlich diese Folge auch gewesen sein mag — scheint nicht so glatt abgerollt zu sein.

Denken wir zuerst zurück an die Versammlung vom 7. /8. März, in der Ehrenburg und Nekrasow die Hauptziele waren. Keiner von beiden legte Reuebekenntnisse ab. Diese waren auch — außer durch Gewaltanwendung — anscheinend nicht zu erwarten. Den Angriff fortzuführen ohne Aussicht auf ein Reue-bekenntnis würde nicht nur eine Niederlage für die Partei bedeuten, sie könnte sich auch als gefährlich erweisen, da die von Ehrenburg aufgeworfene Frage — die Frage der Verantwortlichkeit in den dreißiger Jahren — sofort zum Angriff auf mehrere Parteiführer hätte benutzt werden können. Eine Anzahl von älteren Mitgliedern des Präsidiums und viele hochgestellten Funktionäre dürften daher nur allzu gern das politische heiße Eisen wieder haben fallen lassen, zu dem der Fall Ehren-burg geworden war. So hörten die Angriffe auf Ehrenburg fast sofort wieder auf, nachdem Chruschtschows Rede vom 8. März in der Prawda erschienen war.

Auf der anderen Seite hatten die Reden Chruschtschows und Iljitschews die antiliberalen Literaten völlig entfesselt. Und sie — die Sobolews und Kotschetows und Sokolows — wollten jetzt ihr Opfer haben. Nach dem Ton von Chruschtschows Rede zu urteilen, war er nicht bereit oder auch vielleicht nicht leicht dazu in der Lage, sie sofort wieder an die Leine zu legen. Es mußte also ein anderes Opfer gefunden werden.

Den konservativen Literaten mußte die gesamte Gruppe der jungen liberalen Schriftsteller als Opfer wünschenswert gewesen sein, denn das Talent, das sie entwickelten, war eine Gefahr für alle Mittelmäßigkeit. Für die Aufpasser in der Partei mußten die jungen Liberalen ebenfalls eine logische Zielscheibe sein, weil sie unter der Jugend des ganzen Landes bereits eine beträchtliche Anhängerschaft gewonnen hatten. Und schließlich hatte gerade ihr Erfolg die Aufmerksamkeit auf das windige Thema von „Vätern und Söhnen" gelenkt. Auf die politische Ebene übertragen, lautet dieses Thema: „Laßt uns die Kommunistische Partei entstalinisieren! Entledigen wir uns all derjenigen, die in den dreißiger Jahren verantwortliche Stellungen innehatten, und stellen wir andere an ihre Stelle, die unschuldig sind."

Wenn also die Jungen geopfert werden sollten, dann könnte das Opfer Jewtuschenko als stellvertretend für alle gelten. Seine forsche, sieghafte Art, die Privilegien, die er genoß, seine riesigen Auflagen hatten ihn inzwischen zum Gegenstand viel privaten Neides gemacht. Vor allem besaß er den mitreißenden neoleninistischen Geist, entfachte er Begeisterung bei Dichterlesungen. Er war die Art von Opfer, wie es den Konservativen zusagte.

Parteiführer bis hinauf zu Chruschtschow scheinen jedoch Hemmungen gehabt zu haben. Im Ausland würde der Sturz Jewtuschenkos den Hohn der Imperialisten heraufbeschwören. „Das soll das neue und liberale Rußland Chruschtschows sein?" würden sie fragen. Wichtiger noch war, daß Jewtuschenko, wie er in seiner Autobiographie offen zugab, die Last des Kompromisses für seine ganze Generation auf sich genommen hatte. Teilweise mit Hilfe seines Kompromisses, auf Grund seiner zwischen Dichter und Politiker gespaltenen Persönlichkeit, war die Partei in die Lage versetzt worden, die gesamte Jugendbewegung unter Kontrolle zu halten. Manche glaubten vielleicht, daß es an der Zeit sei, daß Jewtuschenko nun, da er aus seinen Kleidern her-ausgewachsen war, abtrete. Andere dürften die Frage gestellt haben: „Wird das nächste Idol so leicht zu gängeln sein?"

Wenn es wirklich Männer gab, die zu Zurückhaltung mahnten, so kam ihnen doch der Zeitpunkt dabei nicht zu Hilfe. Bis Mitte März muß die vorletzte Fortsetzung der Autobiographie in Moskau vorgelegen haben. In diesem Kapitel zeigte der Dichter die weiterhin bestehende Stärke stalinistischer Elemente in der Partei, den Kampf, den die jungen Liberalen gegen die „Fehler ihrer Väter" führten, und die Verfolgung, der Jewtuschenko selbst infolgedessen ausgesetzt war. Nichts konnte besser darauf abgezielt sein, „Stalins Erben" in Wut zu bringen. So konnte dem Druck, den jungen Dichter ans Messer zu liefern, nicht länger standgehalten werden. Am 15. März wurde Stepan Schtschipatschow von seinem Posten als Vorsitzender der Moskauer Schriftsteller-Organisation abgesetzt, teilweise mit der Begründung, daß er Jewtuschenkos erste Auslandsreise befürwortet habe Am 19. März gab Shukow bekannt, daß er Jewtuschenkos „Pfaden" im Ausland „folge". Ein oder zwei Tage später fing der Staatssicherheitsdienst Jewtuschenkos Manuskripte ab. Am 22. und 24. März veröffentlichten Iswestija und Prawda satirische Schmähschriften gegen den Dichter. Etwaige Zweifel an der von der Führung eingeschlagenen Strategie wurden von Alexander Korneitschuk, einem Freund Chruschtschows aus den Tagen seiner langen Amtszeit als Parteisekretär der Ukraine in Kiew, in einer Ende März gehaltenen Rede beseitigt. Es war offensichtlich die Taktik der Führung, sich mit dem Angriff zu identifizieren, um ihn unter Kontrolle zu halten und zu verhindern, daß er sich möglicherweise gegen Chruschtschow selbst wenden könnte.

Kehrtwendung ?

Es war Ende März und Anfang April geworden, als der Sturm tatsächlich unkontrollierbar zu werden drohte. Bald darauf flaute das Toben gegen Jewtuschenko und die anderen jungen Schriftsteller jedoch ab. Auf die Frage nach dem Warum gibt es zwei mögliche Antworten. Die eine hat etwas zu tun mit Protesten Kommunistischer Parteien im Ausland und die andere mit Spannungen innerhalb der sowjetischen Führung.

Ende März oder Anfang April, auf dem Höhepunkt der Kampagne gegen die jungen Schriftsteller, wurden alle in Moskau ansässigen Vertreter ausländischer kommunistischer Zeitungen zusammengetrommelt. Der Herausgeber einer führenden sowjetischen Literatur-Zeitschrift zeigte ihnen ein „Dossier des Angeklagten". In einer Ausdrucksweise, die an die Zeit der Säuberungen erinnerte, sprach das „Dossier" von einer „Opportunistengruppe“, von Jurij Kasakow („jenem Nachkommen von Iwan Bunin") bis Jewtuschenko reichend, nach dem Muster „jener zweifelhaften politischen Persönlichkeit Boris Pasternaks". Das Dossier bezeichnete Jewtuschenkos Autobiographie (die Schatten des „Dr. Shiwago") als eine „Blasphemie der Oktoberrevolution"

Dieser Versuch, die Öffentlichkeit in den übrigen kommunistischen Ländern auf weitere drakonische Maßnahmen vorzubereiten, scheint ein Schlag ins Wasser gewesen zu sein. Ein älterer Kommunist sagte in der Versammlung, er fühle sich an Shdanowismus erinnert. Ein Kubaner stand auf, um Jewtuschenko zu verteidigen, der in seinem Lande als Nationalheld verehrt werde Der Korrespondent der italienischen kommunistischen Zeitung L’Unita, Pancaldi, schrieb einen kritischen Bericht. Die Franzosen schwiegen. Trotzdem muß die Bezeichnung „Blasphemie" für Jewtuschenkos Autobiographie wie eine Verunglimpfung der dialektischen Kompetenz von Maurice Thorez, Louis Aragon und anderen Leuchten der französischen Kommunistischen Partei erschienen sein. Sie hatten nicht nur keine „Blasphemie" entdeckt, sie hatten darüber hinaus einen Empfang für den in Paris weilenden Autor veranstaltet, als bereits Teile der Autobiographie im Druck erschienen waren. Das gleiche galt für die Tschechen, die sich um die Veröffentlichungsrechte bemüht hatten. Die Polen fühlten sich offensichtlich beleidigt, weil das Polityka-Interview vom 1. März dazu benutzt worden war, um Wosnesenskij und Aksjonow einzuschüchtern. Und schließlich gab Palmiro Togliatti, der Führer der Kommunistischen Partei Italiens, am 30. April, dem Vorabend der italienischen Wahlen, eine Erklärung ab, in der er sich von dieser Kampagne distanzierte. „Niemand", so sagte er, „wie fähig und klug er auch sein mag, sollte den Versuch unternehmen, einem Künstler zu sagen, wie er ein Gedicht schreiben, Musik komponieren oder malen soll." Und all das geschah zu einer Zeit, als die sowjetischen Genossen mit China im Streit lagen und in den kommunistischen Parteien in Europa um Freunde warben! Bis Ende April bestand also, wie wir gesehen haben, anscheinend die Gefahr, daß die Welle der Reaktion innerhalb der Sowjetunion außer Kontrolle geraten könnte. Die negative Reaktion kommunistischer Führer im Ausland hat möglicherweise den Gemäßigten, die die Kampagne nicht weiter geführt haben wollten, ein starkes Argument in die Hand gegeben.

Noch eine andere Reihe von Umständen scheint eine Rolle gespielt zu haben. Während Chruschtschows fast fünfwöchentlichem Ferien-aufenthalt in Gagra vom 20. März bis zum 20. April übernahmen andere hohe Mitglieder des Präsidiums seine Repräsentationspflichten: Koslow, Suslow, Mikojan, Breshnew und Kosygin. Gegen Ende März drangen Gerüchte über Meinungsverschiedenheiten in führenden Kreisen der sowjetischen Partei nach dem Westen, Gerüchte, die sich besonders um den von Chruschtschow zum Nachfolger bestimmten Frol Koslow drehten. Es ist unbekannt, welche Rolle Koslow, wenn überhaupt eine, in der Kulturkampagne spielte. Wir wissen aber, daß Jewtuschenko es in seinem Interview mit der Zeit vom 8. Februar geflissentlich unterließ, in Beantwortung einer diesbezüglichen Frage abzuleugnen, daß ein Teil seines Gedichtes „Stalins Erben" im Gedanken an Koslow geschrieben wurde. Diese Unterlassung konnte den zweitobersten Mann der Sowjethierarchie nur in Wut versetzen. Mag sein wie es will, der letzte einer Reihe von bösartigen Angriffen auf Jewtuschenko fand am 7. April statt Am 11. April wurde Koslow krank. Er erlitt einen neuen Herzanfall.

Offensichtlich spiegelte also das dann im April erfolgende deutliche Nachlassen der Kampagne gegen die Intellektuellen — ebenso wie die früheren Stadien im November — Manöver innerhalb der Parteispitze und den Einfluß ausländischer kommunistischer Parteien wider. Am 20. April nahm Chruschtschow seine Arbeit im Kreml wieder auf. In einer energischen Rede vor Industrie-Arbeitern am 24. April bestätigte er erneut die starke Kontrolle des Parteizentrums über Rechte und Linke. Er machte klar, daß Zwang — die Methode, auf die die Rechten drängten, um die Widerspenstigen in die Knie zu zwingen — nicht mehr angewandt werde. Das Regime wende stattdessen einen maximalen moralischen Druck an in der Hoffnung, daß das Gewissen des einzelnen Schriftstellers oder Künstlers mit dem Willen der Partei übereinstimme: „Auch Dichter und Schriftsteller sollten unsere Unzulänglichkeiten kritisieren. Das einzige, worauf es ankommt, ist, von welchem Standpunkt aus das geschieht und zu welchem Zweck, ob es geschieht, um zu vertreten, was neu und kommunistisch ist, oder um es abzulehnen."

Fast drei Wochen später veröffentlichte die Prawda das oben erwähnte Interview Alexan-der Twardowskijs mit dem UPI-Korrespondenten Henry Shapiro, in dem der Herausgeber von Nowyj mir dem Zentralkomitee und Chruschtschow persönlich zu ihrer „Aufgeschlossenheit" beglückwünschte, als sie die Veröffentlichung von „Ein Tag im Leben des Iwan Denisowitsch" erlaubten. Sanften Tadel sprach er gegen Jewtuschenko und Wosnesenskij aus (die er als „Dichter" bezeichnete, die „jung seien, nicht so sehr hinsichtlich ihres Alters als vielmehr ihrer Berufserfahrung". Er fügte hinzu, daß „ein Dichter ein Schicksal und nicht eine Karriere haben solle"). Er bekannte sich zu allen seinen Autoren, die Angriffen ausgesetzt waren. (Seinem Eintreten für einen von ihnen, für Valentin Owetschkin, kommt eine besondere Bedeutung zu, denn Owetschkin, ein Redakteur von Nowyj mir, soll Chruschtschow in einer öffentlichen Versammlung im Herbst 1962 kritisiert haben. Einem starken Druck ausgesetzt, hat er später einen Selbstmordversuch unternommen und mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden.) Von der Kritik an Ehrenburg sagte er nicht, daß sie richtig sei, sondern nur, daß er sie „ernst nehme, und dies um so mehr, als die Parteiführer ihn als einen bemerkenswerten Schriftsteller, einen talentierten Publizisten und eine hervorragende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens bezeichnet hätten".

In einer Erklärung in der April-Ausgabe, die erst im Mai erschien ging der Redaktionsstab von Nowyj mir über Twardowskijs Erklärung hinaus. Er gab zu, daß die von Chruschtschow und Iljitschew gegen Ehrenburgs Memoiren gerichtete Kritik „gerecht ist, und wir tragen unseren Teil Verantwortung". Er gestand ferner zu, daß Chruschtschows Bemerkungen über Nekrasow (über die Twardowskij als alter und enger Freund geschwiegen hatte) „richtig" gewesen seien. Anscheinend war die Zustimmung zur Kritik an Nekrasow der Preis dafür, daß seine Arbeiten weiterhin veröffentlicht werden durften. Denn die Redakteure gaben ausdrücklich bekannt, daß Nekrasow und andere Schriftsteller, die angegriffen wurden — Jaschin, Tendrjakow und Aksjonow — an neuen Manuskripten arbeiteten und daß Nowyj mir an seinem Publikationsplan festhalten werde, der auch diese Autoren einschließe.

Unsicherheit und Widerstand

Wenn auch die Erklärung von Nowyj mir ein Zeichen dafür war, daß der Druck seitens der Partei nach wie vor stark war, lieferte doch ein Leitartikel der Prawda am 19. Mai einen neuen Beweis dafür, daß äußerste Aggressivität letztlich doch nüchternen Überlegungen Platz gemacht hatte. In einer Erklärung, die irgendwie an die Rede Chruschtschows an die sowjetischen Schriftsteller im Mai 1959 erinnerte, verkündete die Prawda jetzt, daß die Partei „keine Notwendigkeit sehe, jeden Schritt der Intellektuellen zu überwachen, im einzelnen zu erklären, wie ein Buch zu schreiben, ein Stück zu inszenieren, ein Film zu machen und Musik zu komponieren sei. Die Partei zeichne das Hauptziel schöpferischer Arbeit auf und empfehle den Meistern der Literatur und Kunst schöpferische Kühnheit und Unabhängigkeit". Wenn diese Erklärung auch keine völlige Kehrtwendung darstellt, so doch, verglichen mit den Reden vom 8. März, zum wenigsten eine größere Richtungsänderung. Inzwischen sollte ein Ereignis stattfinden, das bereits dreimal verschoben worden war und nicht mehr länger aufgeschoben werden konnte. Ursprünglich für Dezember vorgesehen, war die groß angekündigte Konferenz junger Schriftsteller dazu bestimmt, das Wiedererwachen der sowjetischen Literatur und vor allem das Auftauchen junger talentierter Schriftsteller zu feiern. Im Verlauf des Winters fielen stattdessen alle diejenigen, die geehrt werden sollten, der Offensive der Partei zum Opfer. Wie konnte die Versammlung abgehalten werden ohne ihre vorgesehenen Helden, die jetzt alle bei der Partei in „Ungnade" gefallen waren oder doch nahe daran waren: Wosnesenskij, Jewtuschenko, Achmadulina, Aksjonow, Gladilin, Kasakow? Ungeachtet dieser Schwierigkeiten fand die Versammlung schließlich doch statt, nachdem ihr eine Ankündigung vorausgegangen war, daß zwei von denjenigen, die ursprünglich auftreten sollten, stattdessen „ins Hinterland" geschickt worden seien, damit sie „dem Leben näher" seien: Aksjonow nach dem Ort eines Bauvorhabens in Sibirien und Wosnesenskij nach Wladimir, damit er dort teilweise in Fa-briken arbeite Trotz dieses Schattens nahm die Versammlung von 170 jungen Schriftstellern — die sich noch nicht bewährt hatten und alle aus den Provinzen kamen — ihren Verlauf. Die Anspielungen auf Wosnesenskij, Jewtuschenko, Roshdestwenskij und Sosnora, die in einer Rede Nikolaj Rylenkows, eines älteren Dichters aus Smolensk, enthalten waren, waren bemerkenswert zahm Die schärfste Rede hielt, wie üblich, der Führer des Komsomol, Sergej Pawlow, der behauptete, daß die jungen Dichter „den Marxismus in Wirklichkeit entstellten", während sie vor-gäben, „Kritiker der dogmatischen Entstellungen des Marxismus" zu sein. Wegen ihrer „Langweiligkeit" sei, wie Pawlow verriet, die Auflage von Molodaja Gwardija, der Literatur-zeitschrift des Komsomol, auf nur 60 000 Exemplare (verglichen mit der Auflage von 600 000 der Zeitschrift Junost) herabgesunken. Um die Zahl der Abnehmer zu steigern, so gestand er, „haben wir zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen gegriffen", wie z. B. zur Veröffentlichung von Tendrjakows und Ikranows „äußerst anfechtbaren" „Weißen Flagge", derentwegen der Chefredakteur inzwischen entlassen worden war

Inzwischen hatte die Kampagne gegen die Intellektuellen so viel Aufmerksamkeit erregt, daß sie Gegenstand lebhafter Anteilnahme im ganzen Lande geworden war. Allein in den Monaten März und April hatten 10 000 Funktionäre in den Provinzen an 16 regionalen Versammlungen teilgenommen, um über die bevorstehende Sitzung des Zentral-komitees zu diskutieren, die ursprünglich auf den 28. Mai anberaumt, ausschließlich ideologischen Fragen gewidmet sein sollte. Die Versammlungen spiegelten „Vorbehalte und Ratlosigkeit" hinsichtlich der Parteikampagne in der Kunst wider, wie der italienische kommunistische Korrespondent in Moskau berichtete Als Antwort auf einen Artikel gegen Jewtuschenko erhielt die Zeitung Komsomolskaja prawda z. B. 1 200 Briefe, von denen viele anscheinend für den Dichter Partei ergriffen

Unter Intellektuellen und Parteifunktionären in Moskau waren zwei Vorschläge Gegenstand heftiger Diskussion. Der eine war die schon früher ausgesprochene Anregung, die gegenwärtigen Verbände von Schriftstellern, Künstlern, Komponisten und Filmschaffenden abzuschaffen und sie in einem einzigen Verband schöpferischer Künstler aufgehen zu lassen.

Auf diese Weise hofften die Konservativen, in Zukunft einen Durchbruch der Liberalen, wie er sich im Moskauer Schriftstellerverband im April 1962 ereignet hatte und in der Zulassungspolitik des Schriftsteller-und Künstler-verbandes zum Ausdruck kam, zu verhindern.

Ein weiterer ernsthafter Vorschlag sollte dem Zweck dienen, die Kontrolle über Veröffentlichungen zu verschärfen. Danach würden die liberalen kulturellen Zeitungen ausgemerzt werden, während Prawda und Iswestija eine Ausweitung ihres kulturellen Teils erfahren würden. Ein riesiger „Glawpetschat" würde geschaffen werden, um das Verlagswesen im ganzen Lande zu kontrollieren. Möglicherweise würde Adshubej mit dieser Aufgabe betraut werden.

Während solch umwälzende Vorschläge in der Luft lagen, wurden von einem Tag zum anderen widerspruchsvolle Schritte unternommen, die darauf hindeuteten, daß grundsätzliche Entscheidungen über die einzuschlagende Politik noch nicht getroffen worden waren. Im Anschluß an den Spionage-Prozeß gegen Wymne und Penkowskij im Mai starteten z. B. die Zeitungen eine neue „ Wachsamkeits" -Kampagne mit einem ungewöhnlich drohenden Leitartikel, in dem die Sowjetbürger vor allen Kontakten mit Leuten aus dem Westen gewarnt wurden. Aber zum gleichen Zeitpunkt, als die offizielle anti-westliche Stimmungsmache auf ihrem Höhepunkt zu sein schien, wurde anscheinend auf hoher Ebene der Beschluß gefaßt, das planmäßige Stören britischer und amerikanischer Rundfunksender in russischer Sprache einzustellen. Im Falle der Stimme Amerikas hörte es am 13. Juni auf. Was die Schriftsteller anging, so wichen die Taten der Partei in überraschender Weise von ihren Worten ab. Entgegen besorgten Gerüchten war seit dem Beginn der Kampagne im Dezember kein einziger Redakteur irgendeiner der größeren Zeitungen, in der liberale Schriftsteller regelmäßig zu Wort kamen, entlassen worden: das gilt für Nowyj mir, Junost, Snamja und Moskwa. Das war gewiß ein Zeichen außerordentlicher Solidarität unter den Herausgebern wie auch einer Unentschlossenheit seitens der Partei!

Die Namen liberaler Autoren (obgleich natürlich mit so auffallenden Ausnahmen wie Jewtuschenkos, Okudshawas, Aksjonows und anderen) tauchten auch weiterhin auf den Seiten von Zeitungen und Zeitschriften auf. Ein größerer Verlag gab seine Absicht bekannt, in der zweiten Jahreshälfte die vorgesehenen Werke Jurij Kasakows in der bisher größten Auflage von 100 000 Exemplaren herauszubringen. Von Wladimir Tendrjakow, dessen Arbeit zu einer offiziellen Zurechtweisung durch Komsomol Anlaß gegeben hatte, wurde am 1. Mai ein Teil eines neuen Romans in Literaturnaja gaseta veröffentlicht, zusammen mit der Bekanntgabe, daß das Ende des Romans demnächst in der Zeitschrift Wissenschaft und Leben erscheinen würde Auf der anderen Seite wurden jetzt Auslandsreisen junger Liberaler ebenso wie Dichterlesungen nicht mehr gestattet.

Am Vorabend der Sitzung des Zentralkomitees begann die Prawda „Hundert Antworten" auf einen Fragebogen zu veröffentlichen, den sie an Schriftsteller mit Fragen über ihre gegenwärtigen Arbeiten verschickt hatte. Zweck dieses Unterfangens war zweifellos, den Eindruck zu erwecken, daß mit der sowjetischen Literatur alles in Ordnung sei. Es ist nicht bekannt, wieviele Schriftsteller, die einen Fragebogen erhielten, ihn nicht beantwortet haben oder welchem Druck sie ausgesetzt waren, ihn zu beantworten. Das Fehlen einiger war jedoch auffallend. So fehlten die Namen von Surkow, Twardowskij und Kotschetow. Scholochow, der es ebenso wie jener andere berühmte Romanschriftsteller der Sowjetunion, Leonid Leonow, abgelehnt hatte, etwas zugunsten der Parteikampagne zu veröffentlichen, war nur mit einem einzigen mürrischen Satz vertreten. Der einzige Liberale, der geantwortet hatte, war Aksjonow. Als sich die Sitzung des Zentralkomitees ihrem Ende näherte, wurde die liberale „Verschwörung des Schweigens" mit bemerkenswerter Standhaftigkeit fortgesetzt.

Der bei weitem ungewöhnlichste Fall war jedoch derjenige Viktor Nekrasows. Vom Standpunkt der Partei aus bestand die „Hauptsünde" dieses angesehenen Schriftstellers vielleicht nicht so sehr in einer einzelnen Bemerkung seiner Reisenotizen über Italien und Amerika als vielmehr in seinem ausdrücklichen Bemühen, nur das wiederzugeben, was er sah, und nichts mit der Brille der Vorurteile zu sehen. Das ist es auch, was das Lesen seiner Reisenotizen so erfreulich macht.

Nach Chruschtschows Rede am 8. März, in der er eines der Hauptangriffsziele darstellte, schwieg Nekrasow. Erst am 9. April wurde er gezwungen, in einer Versammlung von Parteimitgliedern und Intellektuellen in seiner Heimatstadt Kiew Stellung zu beziehen. Es ist zwar schwierig, Nekrasows Bemerkungen zu rekonstruieren — er hat keine Gelegenheit erhalten, sich in der Presse zu verteidigen —, aber er scheint es abgelehnt zu haben, ein Reuebekenntnis abzulegen, und erklärt zu haben, daß er nur die „Wahrheit, die große Wahrheit, die echte Wahrheit" schreiben werde An diesem Punkt stieß er mit den Ambitionen von Nikolaj Podgornij zusammen, eines im Aufsteigen begriffenen Schützlings von Chruschtschow. Nekrasow wurde von Podgornij beschuldigt: „ ... hat nichts gelernt und auch nicht die Absicht, es zu tun. Wie Ihr alle gehört habt, betrachtet er das Eingeständnis von Irrtümern als eine Einbuße an Selbstachtung als Kommunist. Welches ist Deine Wahrheit, Genosse Nekrasow? Deine Rede und die Ideen, die Du auch weiterhin vertrittst, riechen stark nach kleinbürgerlicher Anarchie. Die Partei, das Volk können und wollen das nicht dulden. Genosse Nekrasow, Du solltest ernsthaft darüber nachdenken".

Das langerwartete Plenum

Der Angriff auf Nekrasow wurde von Chruschtschow in einer Rede fortgesetzt, die er im Plenum des Zentralkomitees hielt, das am 18. Juni eröffnet wurde. Diese Sitzung verlief in einer Atmosphäre der Unentschlossenheit von Seiten der Partei einerseits und des Schweigens, ja sogar Widerstandes von selten der Intellektuellen andererseits. In bezug auf Nekrasow war Chruschtschow allerdings kaum unentschlossen. Er forderte den Aus-Schluß des Schriftstellers aus der Kommunistischen Partei. Erbost über Nekrasows Ansichten sowie seine Weigerung, sie zu ändern sprach Chruschtschow die Warnung aus, daß das „Nachlassen des Klassenkampfes in der internationalen Arena" ihn zu extremeren Maßnahmen veranlassen könnte. Gogols Held, Taras Bulba, so deutete Chruschtschow finster an, „tötete seinen eigenen Sohn, weil er zur Seite des Feindes übergegangen war. Das ist die Logik des Kampfes".

Chruschtschows Zorn war zweifellos auf das zurückzuführen, was die Partei als nichts anderes als eine schimpfliche prowestliche Einstellung Nekrasows betrachten mußte. Das war seine Haltung, die verwandt war mit der christlichen Auffassung von einer einzigen, ungespaltenen Welt, wie sie Jewtuschenko in Deutschland zum Ausdruck brachte: „Die Grundlage jeder fruchtbaren Diskussion ist Vertrauen. Wann wird ein neuer Messias auf Erden auftauchen, der den Menschen nur befiehlt, . einander zu vertrauen', ohne daß wir ihn kreuzigen? Wie können wir ein solches Vertrauen fördern? Ich kann den Westen vieler Dinge wegen kritisieren, und der Westen kann mit gleicher Berechtigung den Osten kritisieren."

Wozu all diese Anschauungen — Pazifismus, pro-westliche Haltung, die Vorstellung von einer einheitlichen christlichen Welt — unter der sowjetischen Bevölkerung führen, ist ein Gefühl von einem „Frieden um jeden Preis", das die Partei durch ihre eigene Friedens-propaganda genährt hatte. Es ist mehr die Stärke dieses Gefühls bei Nekrasow als seine Weigerung, zu bereuen, die Nekrasow zum Sündenbock machte, wie es schon früher dazu beigetragen hatte, auch Ehrenburg und Jewtuschenko zu Sündenböcken zu machen. Und es ist auch die Stärke dieses Gefühls, das die Parteikritiker in den letzten Monaten dazu veranlaßt hatte, ihre Angriffe auf Okudshawa, Bondarow und Baklanow zu verstärken, weil sie in ihren Geschichten vom Zweiten Weltkrieg das Heldentum geschmälert oder Pazifismus an den Tag gelegt hatten.

Obgleich er das Gespenst physischer Gewaltanwendung heraufbeschwor, war Chruschtschows Rede in mancher Hinsicht doch weicher als diejenige vom 8. März. Er gab sich große Mühe, einen Frontalangriff auf die intellektuellen Kreise als Ganzes oder auf einzelne Intellektuelle zu vermeiden, mit deren Hilfe man neue Ausgangspunkte finden könnte, und richtete seine Kritik außer auf Nekrasow nur noch auf den Filmregisseur Michail Romm. Er lobte ausdrücklich Fedin, Scholochow und bezeichnenderweise auch Twardowskij. Auf der einen Seite die Anwendung von Gewalt, auf der anderen die Hoffnung auf Versöhnung.

Der aufschlußreichste Teil von Chruschtschows Rede befaßte sich mit der Entstalinisierung.

Er verteidigte die Richtigkeit der Entstalinisierung gegen die Vorwürfe ihrer Kritiker, daß diese Kampagne die Achtung vor Autorität zerstört habe und für die Krise zwischen „Vätern und Söhnen" verantwortlich sei. Er nahm die Verantwortung für den Beschluß auf sich, Stalins Verbrechen zu verurteilen, wobei er sich gleichzeitig gegen die in Ehrenburgs Memoiren unausgesprochen enthaltene Andeutung verteidigte, daß er an diesen Verbrechen beteiligt gewesen sei. Im Jahre 1956, so erklärte er, als der Beschluß gefaßt wurde, auf dem XX. KPdSU-Kongreß damit herauszukommen, wurde er „hart umstritten". Einige Leute, „die sich großer Schuld bewußt waren wegen der Verbrechen, die sie zusammen mit Stalin begangen hatten, hatten Angst". „Stalin ist tot, ebenso wie viele seiner Opfer", so sagten sie. „Der Staat entfaltet sich, wir haben Führer, warum soll man alles wieder aufrühren?"

Chruschtschow auf der anderen Seite sagte ihnen: „Wir sollten auf dem XX. Parteikongreß die Wahrheit sagen, denn es ist der erste Kongreß nach Stalins Tod. Wenn wir erst auf dem XXL Kongreß damit herauskommen oder noch später, könnten die Leute das nicht verstehen. Was man nicht ans Tageslicht bringt und verurteilt, billigt man und macht es für die Zukunft legitim." Es habe „lange Auseinandersetzungen gegeben", fuhr Chruschtschow fort. „Aber schließlich hätten auch diejenigen, die ein schlechtes Gewissen hatten, einer Erörterung der Frage auf dem Kongreß zugestimmt." Damit sagte also Chruschtschow: was immer Ehrenburg aüch behaupten mag, sein eigenes Gewissen hinsichtlich der Säuberungen sei rein.

Habe er sich selbst vor Stalin gefürchtet (auch dies wurde in Ehrenburgs Memoiren indirekt unterstellt)? Keineswegs! Chruschtschow führt einen Fall an, als er Stalin seine Meinung gesagt habe. Die Bauern der Ukraine seien unzufrieden, habe er dem Diktator gesagt. Der XIX. Parteikongreß (im Oktober 1962) habe festgestellt, daß das Getreide-Problem gelöst sei, und trotzdem hätten die Bauern kein weißes Brot zu essen. Mit der ganzen unwissenden Majestät einer Marie Antoinette habe Stalin geantwortet: „Die Ukrainer müssen weißes Brot erhalten."

An anderer Stelle seiner Rede bezog sich Chruschtschow auf die Vorschläge, die Organisation zur Kontrolle der Kunst zu straffen. Der Gedanke, einen einzigen Verband anstelle der jetzigen verschiedenen Verbände für Künstler, Schriftsteller usw. zu schaffen, fand bei ihm nur eine laue Aufnahme. Er erhob keine Einwände gegen das Fortbestehen getrennter Verbände, wie er sagte, solange ihre Arbeit nicht im Widerspruch zur Parteilinie stünde. Auf der anderen Seite stand er der Schaffung eines einzigen Verlagsunternehmens wohlwollend gegenüber und zwar aus Gründen, die er in seiner üblichen anschaulichen Art illustrierte: „Ein Schriftsteller schreibt ein schlechtes Buch. Er geht zu einem Verleger. Wenn er keinen Erfolg hat, geht er zu einem anderen. Falls er in Moskau oder Leningrad wohnt, und sie sein Manuskript -nicht annehmen, dann begibt er sich häufig in irgendeine abgelegene Gegend. In der einen oder anderen Stadt werden sie dann sein Werk herausbringen, weil sie sich geschmeichelt fühlen, ein Buch eines Schriftstellers aus der Hauptstadt herauszubringen.“

Eine strengere Aufsicht über die Veröffentlichungen sei notwendig, folgerte Chruschtschow, genüge aber allein noch nicht. Neue und wachsamere Leute müßten für die Arbeit des Herausgebens und Zensierens von Büchern, Schauspielen, Symphonien, Filmen und Rundfunksendungen gewonnen werden. Bezeichnenderweise gab er der Partei jetzt auf, sich nicht, wie sie es in letzter Zeit getan hatte, auf Literatur-und Kunstkritiker zu verlassen, wenn es galt, dafür zu sorgen, daß schöpferische Intellektuelle nicht aus der Reihe tanzten. Denn die Kritiker waren oft „nicht aus prinzipiellen Positionen, sondern aus Gruppen-Positionen heraus an ihre Arbeit herangegangen. Wir müssen diese Arbeit neu und anders organisieren".

Nichts illustriert deutlicher den improvisierten Charakter des Plenums, das Fehlen der früheren Koordinierung nach Stalinschem Muster als die Bemerkungen Chruschtschows über die vorgeschlagenen Änderungen im Verlags-wesen und über den Einheitsverband schöpferischer Künstler. Da Chruschtschow als einer der letzten das Wort ergriff, wußten die anderen anscheinend nicht, daß er der vorgeschlagenen Verlagsreform seinen Segen geben würde, und erwähnten sie deshalb so gut wie gar nicht Auf der anderen Seite traten viele für den Einheitsverband ein, demgegenüber er sich gleichgültig zeigen sollte. Zu denjenigen, die dafür waren, gehörte auch Iljitschew, der Sekretär des Parteikomitees der Stadt Leningrad, G. I. Popow, und der Vorsitzende des Komponistenverbandes, Tichon Chrennikow. In der von der Versammlung angenommenen Schlußerklärung wurde weder der eine noch der andere Vorschlag erwähnt.

Einige Reden geben Aufschluß, nicht nur über die Atmosphäre von Unentschlossenheit im Plenum, sondern auch über den von Anfang an sprunghaften Verlauf der Kulturkampagne. Da Chruschtschow mit dringenderen Angelegenheiten beschätigt war, wie z. B. mit dem Streit in China oder dem Besuch Fidel Castros, blieb den kleineren Funktionären genügend Spielraum, um in Rivalitäten miteinander zu schwelgen. Nicht wenige hatten daher die Kampagne dazu benutzt, nicht nur den „Parteigeist" in der Kunst zu fördern, sondern auch ihre eigene Karriere zu verbessern.

So führte Adshubej, dessen Zeitung Iswestija dafür bekannt war, daß sie die Kulturoffensive zu dämpfen versuchte, mehrere Beispiele dafür an, „wie niedrig der Nutzeffekt der ideologischen Arbeit" sei, die von „Arbeitern der Ideologischen Sektion des Zentralkomitees“ geleistet werde. Damit war offensichtlich Iljitschew gemeint. Dieser beschuldigte andererseits die Minister für höhere und Hochschulbildung der „Nachlässigkeit bei der Erziehung der jüngeren Generation". Er fügte hinzu, daß man vom Kultusministerium eine „energischere Führung hätte erwarten können." Darauf antwortete der Kultusminister, Frau Jekaterina Furzewa, untertänigst, daß Iljitschews Kritik „berechtigt" und ihr Ministerium „schuldig" sei

In vielsagendem Gegensatz zu seiner früheren Rolle als Eiferer versäumte es Sergej Pawlow, der Führer des Komsomol, fast, die Kulturkampagne zu erwähnen, und sprach von den jungen Schriftstellern und Künstlern überhaupt nicht. Vielleicht aus dem Gefühl heraus, daß er in seinem Eifer zu weit gegangen war, bedachte er Chruschtschow mit mehr gedrechselten Lobesworten als irgendein anderer Redner der Versammlung.

Das Plenum war deswegen bemerkenswert, weil Kotschetow — er hatte ein Touristenvisum für einen Besuch in England, über sein Eintreffen, wenn es überhaupt erfolgte, wurde aber nicht berichtet — abwesend war und Jurij Shukow, Alexander Prokofjew und andere, die im Zusammenhang mit den schlimmsten Stadien der Kampagne genannt worden waren, keine Ansprache hielten. Extreme wurden verhindert, desgleichen Entscheidungen. Daß die Furzewa den Erfolg der sowjetischen Kulturkontakte mit dem Westen sehr herausstrich, war ein weiteres, ein positiveres Zeichen für das Nachlassen der Kampagne. Sie machte spöttische Bemerkungen über diejenigen, die die modernen Künstler unterstützt haben und noch unterstützten, und versetzte auch den Kritikern der modernen Kunst einen Hieb. Einer dieser Kritiker, so berichtete sie, habe Neiswestnyj in einer Versammlung heftig angegriffen, um ihm dann 12 000 (alte) Rubel für eine Statue zu bezahlen! Daß Gregorij Tschuchari, ein Filmregisseur, der kein Blatt vor den Mund zu nehmen pflegte, zum Redner ausersehen wurde, könnte sogar eine Geste der Versöhnung gegenüber den Liberalen gewesen sein.

Iljitschews dreistündige Rede war zwar kaum versöhnlich, nahm aber davon Abstand, Namen zu nennen oder allzu viel Verdruß zu bereiten. Sehr darauf bedacht, in allem, was er sagte, eine Bilanz zu ziehen, gab er sich große Mühe, nicht die Gesamtheit der intellektuellen Kreise vor den Kopf zu stoßen, wie er das in seinen Reden vom 7. und 8. März getan hatte. Sich an diejenigen wendend, die den sehnlichsten Wunsch haben, daß ihnen die Partei nicht hineinredet, fügte er hinzu:

„Denken wir alle daran, daß wir von sowjetischen Künstlern sprechen, von Menschen, die uns politisch nahe stehen. Es ist unsere Aufgabe, sie nicht zu exkommunizieren, sondern ihnen zu helfen, ihre künstlerischen und ideologischen Irrtümer einzusehen. Es widerspräche dem Geist unserer Partei, schöpferische Arbeiter, die Fehler begangen haben, in die Reihen der Hoffnungslosen und Unverbesserlichen zu verweisen." In schärfer gehaltenen Teilen seiner Rede forderte er die Herausgeber von Junost, Nowyj mir und Newa dazu auf, ihre Mißgriffe bei Veröffentlichungen zu erklären. Schließlich warnte er seine Zuhörer davor, anzunehmen, daß es sich nur um eine „zeitweilige Kampagne" gehandelt habe, die bald vorüber sei, daß „alles wieder vergessen" werde und daß man nur ruhig abzuwarten brauche. Damit sei es nicht getan! Die Partei führe keine Kampagne, sondern einen dauernden Kampf.

Wie steht es um die Zukunft?

Wie jedoch die Partei diesen „Kampf" führen solle, konnten weder Iljitschew noch irgendein anderer Redner im Plenum sagen. Die in der Sitzung angenommene Resolution enthielt nicht einen einzigen konkreten Vorschlag. Wenn die Ereignisse des letzten Winters etwas beweisen, dann das, daß die Erhaltung „ideologischer Reinheit" in der Kunst, was immer das auch bedeuten mag, selten für lange Zeit im Mittelpunkt des Parteiinteresses steht. Gelegentlich kann es bei einem Zusammentreffen verschiedener politischer Umstände für kurze Zeit der Fall sein. Sobald die Führer ihre Aufmerksamkeit einer dringenderen Krise oder einem Dilemma mehr praktischer Natur zuwenden, haben zweit-und drittrangige Funktionäre Gelegenheit, auf eigenem politischen Weideland zu grasen in der Atmosphäre, die die Führer hinterlassen haben. Auf diese Weise haben Literatur und Kunst — sozusagen in den Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit ihrer Führer von ihnen abgelenkt war — in der Zeit zwischen 1959 und 1962 einiges an Boden gewonnen. Daß das Regime auch in Zukunft von seinen abstrakteren Zielen abgelenkt werden könnte, ist angesichts des zunehmenden Uberhandnehmens von wirtschaftlichen Aufgaben über die ideologischen um so wahrscheinlicher.

Die Partei wird jedoch sehr wahrscheinlich versuchen, ihre Aufmerksamkeit nie allzu lange von der Kunst abzuwenden. Da es der Stil des Chruschtschows-Regimes ist, zu improvisieren, sich über logische Unmöglichkeiten großzügig hinwegzusetzen, prinzipien-bedingten Alternativen aus dem Wege zu gehen — wie der, Konformität des Ausdrucks ohne Zwangsmaßnahmen zu erreichen —, dürfte es zu Mitteln greifen von der Art, wie es sie in der Wirtschaft anwendet: schärfere administrative Kontrollen und Personalveränderungen. Der Vorschlag, die Verbände der Schriftsteller, Künstler, Komponisten und Film-schaffenden zu einer einzigen Organisation zusammenzuschließen, ist vielleicht im Keime erstickt worden, nicht, weil die Liberalen dagegen gewesen wären — was ja zutrifft —, sondern weil die konservativen Schriftsteller selbst dagegen waren, sie, mit den großen Auflagen, den großen Tantiemen und daher auch großen Beiträgern zum Literatur-Fonds des Schriftstellerverbandes. So sehr sie auch daran interessiert sind, daß ihren liberalen Brüdern schärfere Zügel angelegt werden, sind die Privilegierten des Literatur-Fonds noch mehr daran interessiert, zu verhindern, daß die Landhäuser, Sanatorien und die übervollen Reisekassen des Schriftstellerverbandes unter bedürftige Bildhauer und Maler aufgeteilt werden. „Das Problem", schrieb der Dichter Nikolaj Gribatschow in einem aufschlußreichen Artikel, „ist groß, denn wir leben auf Erden und nicht im Himmel" Selbst ein verwässerter Vorschlag für einen Zusammenschluß hat bisher diese Einwände nicht überwinden können Es ist jedoch durchaus möglich, daß das von Chruschtschow und Iljitschew vorgeschlagene System zur strengeren Kontrolle der Veröffentlichungen zustande kommt.

Die Schwierigkeit bleibt natürlich die, daß die schöpferische Arbeit von allen menschlichen Betätigungsgebieten diejenige ist, die am schwersten bürokratisch kontrolliert werden kann. Wie sollen Zensoren allein das in der Atmosphäre der heutigen Sowjetunion bewerkstelligen? Außerdem wird immer noch die Heuchelei praktiziert, auf die die Furzewa in ihrer Rede hinwies: Funktionäre wettern auf Parteiversammlungen gegen alles Neue, protegieren aber den Neuerer, indem sie seine Bilder zu Hause aufhängen. Aus den unterschiedlichen Maßnahmen, mit denen in den letzten Monaten von offizieller Seite versucht wurde, jeden Abtrünnigen einzeln in die Knie zu zwingen — Wosnesenskij, Neiswestnyj, Jewtuschenko, Nekrasow, Roshdestwenskij, Aksjonow und Ehrenburg —, ist ersichtlich, daß Günstlingswirtschaft und Protektion, die ja gerade das ungünstige Klima der letzten Jahre geschaffen haben, immer noch an der Tagesordnung sind.

Während man auf der einen Seite damit rechnen kann, daß sich die Bürokraten auf neue administrative Kontrollen werfen werden, haben literarische Kritiker seit Monaten ihre Bemühungen verstärkt, das Interesse der Schriftsteller und Leser von den zwanziger Jahren, dem Jahrzehnt funkelnder Experimente, wieder auf das 19. Jahrhundert zu lenken, vom Formalismus auf den Realismus, von der Neuerung zur Tradition, vom Westen zurück auf Rußland selbst. Beim letzten Punkt müssen wir einhaken. In ihrer Sorge über pro-westliche Gesinnung und alles, was damit in Zusammenhang steht — Pazifismus und ein Gefühl, daß „wir vielleicht ebensoviel Schuld haben wie der Westen" —, hat die Partei in den letzten Monaten nationalistische „Rußland-orientierte" Schriftsteller ermutigt. Aus diesem Grund hat sie nicht nur wohlwollend auf konservative Nationalisten wie Firsow und Gribatschow geblickt, sondern auch weiterhin die Werke von Liberalen veröffentlicht, die einen starken „pro-russischen Zug" aufweisen, wie Jaschin und Kasakow und sogar Tendrjakow. Die Schwierigkeiten dieser Politik sind zweifacher Art. Erstens wird es das Regime, wenn es seinen Bruch mit China akzeptiert, immer schwerer haben, die kulturellen Schranken gegen dem Westen aufrechtzuerhalten. Zweitens kritisieren die „pro-russischen" Elemente das Regime ebensosehr und sind in ihrem Versuch, es zu beeinflussen, weniger zurückhaltend als die Liberalen. Das geht aus Fjodor Abramows Roman „Ein Tag im . Neuen Leben'" hervor, der die Sinnlosigkeit und Verarmung von Chruschtschows Kolchosen kritisiert, wie auch aus dem ungezügelten Verhalten der Konservativen im April.

Da es also unwahrscheinlich ist, daß neue Richtlinien für Veröffentlichungen und neue Funktionäre dem Drang nach Experimenten lange Einhalt gebieten können, oder daß das Regime es für ratsam halten wird, mehr zu tun, als Kotschetow und Poltorazkij nur dann Handlungsfreiheit zu geben, wenn es sich ihrer bedienen will, um sie dann später mit einer Fahrkarte für eine Reise in den Westen abzuspeisen, dürfte das Hauptergebnis der Kampagne ihre Wirkung auf die sowjetische Öffentlichkeit sein. Gewiß, das Regime steht vor einem echten Dilemma: auf der einen Seite steht das Ende der Konformität des Denkens, wie sie unter Stalin existierte, auf der anderen das Entstehen einer unabhängigen öffentlichen Meinung. Diese öffentliche Meinung ist, da sie sich einer Kontrolle von oben entzieht, vom Standpunkt der Partei aus potentiell in Opposition. Aber die kürzlich geführte Kampagne um die Künste war kein konsequenter Versuch, mit diesem Problem fertigzuwerden. Von einer Gruppe innerhalb der Partei aus Gründen des politischen Vorteils veranlaßt und von rivalisierenden Bürokraten im Interesse ihrer eigenen widersprüchlichen Ziele aufgegriffen, verschlimmerte sie dieses Dilemma eher, als es zu beseitigen. Weit davon entfernt, die Kontrolle über die Gesinnung des Volkes zu festigen, könnte sich diese Kampagne auf lange Sicht als ein Stadium im Erosionsprozeß der Parteikontrolle erweisen.

Wenn auch nur durch die Art, in der sie die Kampagne aufzog, weitete doch die Partei den Umfang des Problems aus, mit dem sie fertig werden muß. Indem sie ihre Angriffe in der gesamten Presse führte — viel mehr noch als während der „Frostperiode" der Jahre 1954 oder 1957 —, machte die Partei bei vielen Bürgern, die früher nie davon gehört hatten, Reklame für die Arbeiten abstrakter Künstler und pro-westlicher Schriftsteller. Bei diesem Vorgang haben die liberalen Intellektuellen eher Anhänger gewonnen als verloren. Wenn das Entstehen einer öffentlichen Meinung bisher kein nationales Problem war, so ist es das jetzt geworden.

Der Mangel an Logik in dieser Kampagne muß für alle diejenigen eine demoralisierende Lehre gewesen sein, die scharfsinnig genug waren, ihn wahrzunehmen. Vor allem muß Chruschtschows Loblied auf Stalin im vergangenen März, als die Kampagne auf ihrem Höhepunkt war, enttäuschend für die vielen Russen gewesen sein, für die die Entstalinisierung eine schmerzliche, aber ernst genommene Verpflichtung ist. Kann ein so durchsichtiges Manöver, das vor aller Öffentlichkeit durchgeführt wurde, verfehlen, der idealistischen Jugend, die solche taktischen Kehrtwendungen bis jetzt noch nicht kennengelernt hatte, seinen Zynismus zu offenbaren? Wenn sie auch bisher noch nicht in Opposition standen, so dürften wenigstens einige dieser jungen Leute jetzt in Opposition gedrängt sein. Und diejenigen, die schon ihrer Natur nach eine Opposition darstellen, sind in Zukunft vielleicht weniger skrupellos hinsichtlich der Taktik, die sie sich glauben erlauben zu können.

Die größte Lehre der Kampagne ist aber die, daß es nicht nur möglich ist, den Forderungen der Extremisten zu trotzen, sondern daß sich unter gewissen Umständen der Widerstand auch bezahlt macht. Es besteht bereits eine Beziehung zwischen der öffentlichen Meinung und dem Machtkampf innerhalb der Partei. So unterstützen also die „Verschwörung des Schweigens" der Schriftsteller und Künstler und der Beistand, den sie dabei von anderen Intellektuellen erhielten, ganz klar und deutlich die Argumente der Gemäßigten innerhalb der Partei, daß Gewalt keine Antwort ist. Wenn sie stellvertretend gegen einige Einzelpersonen angewandt wird oder in genügend großem Umfang zur Anwendung kommt, um wirksam zu sein, würde man dabei allzusehr die Unterstützung der Öffentlichkeit verlieren.

Umgekehrt, wenige Stunden nach den Reue-bekenntnissen von Jewtuschenko und Wosnesenskij am 29. März, schrie der rechte Flügel nach mehr. Indem sie die Forderungen der Extremisten nur heraufschraubten, hatten diese Reuebekenntnisse den Druck auf die gesamte liberale Linke nur noch verstärkt und damit sogar auf die Parteimitte. Sie brachten nicht nur den Angriff nicht zum Erliegen, sondern gaben ihm neue Nahrung. In der schnellen Erkenntnis, daß ihre Entschuldigungen nicht nur unnötig, sondern auch ein politischer Fehler waren, weigerten sich die Dichter, noch weiter zu gehen.

Seit mehreren Jahren haben die weisesten und erfahrensten Liberalen wie z. B. Twardowskij erkannt, daß man mit Widerstand — wenn dieser geleistet werden kann — die Position der Gemäßigten innerhalb der Partei nur stärkt. Weil sie den Mut aufgebracht haben, auszuhalten, und oft nur unter schwerem Druck, sind Twardowskij und Männer wie er gelegentlich vielleicht sogar für ihren Widerstand mit Unterstützung von gemäßigten Elementen an der Spitze belohnt worden. Was Männer wie Twardowskij immer gewußt haben, haben andere jetzt vielleicht aus der Kulturkampagne der Jahre 1962/63 gelernt.

Während kein Zweifel darüber bestehen kann, daß das Meinungsklima innerhalb der Sowjetunion dazu beitrug, den jetzigen Ausgang der Kampagne zu bestimmen, ist es wahrscheinlich, daß die Intervention kommunistischer Parteien des Auslandes bei dieser Gelegenheit noch wirksamer war. Für alle diejenigen, die sie erlebt haben, muß jedoch die Kampagne eine aufschlußreiche Lehre über das innere Funktionieren einer sich wandelnden Partei gewesen sein. Sie hat dazu beigetragen, die Voraussetzungen für entscheidendere Auseinandersetzungen zwischen dem Regime und der sowjetischen Öffentlichkeit zu schaffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Literatura i shisn, 13., 16., u 20 5. 1962. Aus: Problems of Communism, Nr. 4/1963.

  2. Moskwa Nr 2, 1962.

  3. Literaturnaja gaseta (im folgenden LG), 2 10. 1962.

  4. In einem Interview mit Wolfgang Leonhard, wiedergegeben in „Die Zeit" vom 8. 2. 1963, leugnete Jewtuschenko bei der Antwort auf eine Frage nicht, daß es sich bei dem Mitglied des Führungsgremiums um Koslow handelte. Koslow erlitt den ersten Herzanfall 1960

  5. Die Redakteure hatten offenbar spätestens am 21. 9. die Erlaubnis, die Erzählung zu veröffentlichen. An diesem Tage wurde Nowyj mir (im folgenden NM) zum Satz gegeben. Hätten sie das 67 Seiten umfassende Manuskript nach Fertigstellung des Satzes zurückziehen müssen, wären sie in große Schwierigkeiten geraten. Da nun die stalinistischen Elemente in der Partei schon sehr frühzeitig wußten, daß die Erzählung erscheinen würde, hatten sie ausreichend Zeit, eine Gegenaktion vorzubereiten.

  6. Siehe Prawda, 28. 9 1962, „Neues W 1. Lenin-Dokument“ und Leitartikel; Kommunist, Nr 14, 1962; Rede von N S. Chruschtschow, Prawda, 26. 4. 1963; Kommunist, Nr. 7, 1963, p 30— 41

  7. Rede von Alexej Adshubej, Prawda, 20 6 1963.

  8. New York Times, 29. 11. 1962.

  9. New Statesman, 28. 12. 1962.

  10. Siehe Übersetzung von Chruschtschows Bemerkungen in: Encounter, April 1963, p. 102— 103.

  11. Siehe Leitartikel in Iswestija, 4. 12. 1962.

  12. ebenda.

  13. Le Monde, 28. 12. 1962.

  14. Iljitschew, s. Anm. 12.

  15. Rede von Michail Sokolow, LG, 2. 4 1963.

  16. Le Monde, 28. 12. 1962.

  17. Time, 11. 1. 1963.

  18. ebenda.

  19. The Observer, 13. 1. 1963.

  20. Es ist berichtet worden, daß es Schostakowitsch war, der zuerst den Forderungen nach Hinzufügungen neuer Zeilen im Text der Vertonung von „Babij Jar" nachgab und daß Jewtuschenko erst zustimmte, nachdem der Komponist es getan hatte.

  21. LG, 10. 1. 1963.

  22. A. Laktionow kritisierte in der Prawda vom 4. 1. 1963 Ehrenburg und Nagibin als Beschützer der Künstler. A. Gerasimow griff in Trud vom 9. 1. 1963 Ehrenburg, Nagibin und Paustowski] heftig an und fügte die unwahrscheinliche Beschuldigung hinzu, daß die Zeitschriften Ogonjok, herausgegeben von A Sofronow, und Nedelja, herausgegeben von Alexej Adshubej, unter „linken" Einfluß geraten waren. Für diesen Akt übersteigerten Konservativismus wurde er in der Iswestija gerügt und, nach Le Monde vom 31. 1. 1963, gezwungen. Ogonjok eine schriftliche Entschuldigung zu übergeben.

  23. Je Jewtuschenko, „Meine Ideologie", Iswestija, 8 1 I 963

  24. V Nekrasow, „Zu beiden Seiten des Ozeans", NM, Nr 11 u. 12., 1962.

  25. Prawda, 27. 1. 1963.

  26. Je Jewtuschenko, „Vorwärts, Jungens!", NM, Nr. 7, 1962 30) 30 1. 1963.

  27. Das von Jermilow verwendete Schlüsselzitat wurde einem Vorabdruck aus Ehrenburgs „Menschen, Jahre, Leben" in NM, Nr. 1, 1961, p 105— 106, entnommen Der Vorabdruck, der über die genauen Einzelheiten der Säuberungen berichtet, erschien in NM, Nr. 5, 1962. Der Sturm, der sich über Ehrenburgs Erinnerungen erhob, war also zumindest verspätet.

  28. Iswestija, 6 2. 1963.

  29. Diese Interpretation machen sich auch Michel Tatu in Le Monde vom 31. 1 1961 und der Moskauer Korrespondent des New Statesman, 15. 3. 1963, zu eigen.

  30. Iswestija, 31. 1. 1963.

  31. Prawda, 12. 5. 1963.

  32. Diese Worte sind dem im Ausland verteilten Text von UPI entnommen — in ihnen liegt der einzige Unterschied zwischen den Versionen von UPI und der Prawda.

  33. Iswestija, 14. 2. 1963.

  34. Le Monde, 9. 3. 1963.

  35. ebenda.

  36. ebenda.

  37. Prawda, 9. 3. 1963

  38. Le Monde, 12. 3. 1963.

  39. ebenda, 10. — 11. 3. 1963.

  40. Dieser Bericht ist zusammengestellt aus italienischen kommunistischen Quellen und LG, 30. 3. 1963, Rede von W. Firsow.

  41. Prawda, 10. 3. 1963.

  42. Zu den Unterschieden zwischen dieser Version und Chruschtschows früheren Bemerkungen siehe Problems of Communism, Nr. 2, 1962, p 57.

  43. Witwe zweier von Stalin „Gesäuberter", Grigori) Sokolnikow und L. P Serebrjakow, verbrachte die Serebrjakowa selbst ein Jahrzehnt in Gefängnissen. In einer Rede bei der Versammlung am 17 12., die nicht veröffentlicht worden ist, soll sie Ehrenburg sowohl krimineller wie politischer Verbrechen während der Stalinära angeklagt haben. In einer sensationellen Enthüllung fügte sie hinzu, daß Alexander Poskrebyschow, Stalins persönlicher Sekretär, der für tot gehalten worden war, am Leben sei und ihre Anschuldigungen bestätigen könne Ihre Anklagen hatten der Anti-Ehrenburg-Kampagne schon zu Beginn düstere politische Nebentöne gegeben, und die Nennung ihres Namens durch Chruschtschow trug dazu bei, daß diese Nebentöne im Gedächtnis blieben

  44. Trotz Chruschtschows Warnung hörte die Entstalinisierungsliteratur nicht auf, zu erscheinen: Solshenizyns Roman kam Anfang 1963 heraus (in einer Auflage von 100 000 Exemplaren), Kochewnikows Buch im zweiten Quartal (30 000 Exemplare) und l Stadnjuks Roman im dritten Vierteljahr (115 000 Exemplare).

  45. Obgleich die Sowjets erklären, daß das „Väter und Söhne" -Problem eine westliche Erfindung ist, erscheinen Artikel darüber — in der Hauptsache von Konservativen — ständig in der sowjetischen literarischen Presse. So widmete Oktjabr, Nr. 11, 1962, 20 Seiten der Diskussion über dieses Thema. Einer der Autoren war bezeichnenderweise der Armeegeneral A. A Jepischew, Chef der Zentralen Politischen Abteilung der sowjetischen Streitkräfte. Ein ungewöhnliches Eingeständnis, daß das „Väter und Söhne" -Problem ein reales ist, enthält auch Woprosy literatury Nr. 4, 1963, p. 10.

  46. Während seines Aufenthaltes in Frankreich im letzten Februar bat Jewtuschenko den Maler Marc Chagall, durch ihn ein Geschenk an Chruschtschow zu senden Chagall gab Jewtuschenko eine handsignierte Biographie mit der Widmung „Für Nikita Sergejewitsch" Siehe Le Monde, 7. 5. 1963

  47. Prawda, 11 3 1963.

  48. Alle Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten wurden aus den Berichten über die Versammlung in der Prawda vom 15. 3., in Sowjetskaja kultura und LG vom 16 3. entfernt. Ein Bericht in dei Leningradskaja prawda war jedoch aufschlußreicher

  49. Prawda, 15. 3. 1963.

  50. ebenda, 18. 3. 1963.

  51. Früher Pariser Korrespondent der Prawda und später Vorsitzender des Staatlichen Komitees für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland. In der letzteren Eigenschaft sagte er vor dem Obersten Sowjet im Herbst 1959, unmittelbar vor den Verhandlungen über ein neues kulturelles Austausch-abkommen mit den Vereinigten Staaten, daß ein solcher Austausch ein Trojanisches Pferd sei.

  52. Das gleiche geschah den Kritikern, die sie verteidigten Siehe z. B. Bemerkungen über Lew Anninski, Alla Martschenko und B. Runin von Ju Barabasch, LG, 16. 3.

  53. LG, 19. 3.

  54. Prawda, 27. 3.

  55. Prokofjew hatte mit seiner ersten Anklage ganz recht: nach Kasachstanskaja prawda vom 27. 3. z. B. war der junge kasachische Dichter Olshas Suleimenow angeklagt worden, „Formalismus" zu treiben und Wosnesenskij zu verteidigen. Was die „Riesenausgaben" angeht, übertrieb Prokofjew maßlos: sogar auf der Höhe der liberalen Strömung im Jahre 1962 erschienen die jungen Liberalen in Auflagen von 5— 30 000, die die Nachfrage nicht decken konnten, während der Klassiker Scholochow und der Reaktionär Kotschetow Auflagen von 500 000 erhielten.

  56. Rede von I Anisimow, LG, 30. 3. 1963; Woprosy literatury, Nr. 4, 1963, p. 5.

  57. Rede von W. Fjodorow, LG, 2. 4. 1963.

  58. LG. 30. 3. 1963.

  59. L'Express, 20 6. 1963, von K. S. Karol.

  60. Prawda, 29. 3. 1963, LG, 30. 3. 1963.

  61. Shukow unterstellte, daß Jewtuschenko das Recht zur Wiederveröffentlichung an L'Express verkauft hatte. Nach K. S. Karol in L'Express vom 4. 11. blieben alle Wiederveröffentlichungsrechte in der UdSSR und anderen kommunistischen Ländern Jewtuschenko vorbehalten. Daher mußte L'Express den Verkauf der Rechte an die Tschechische Zeitschrift Kulturni zivot verweigern.

  62. LG, 2. 4.

  63. Literaturnaja Rosija, 12. 4.

  64. ebenda, 5 4.

  65. ebenda, 12. 4.

  66. Polityka (Warschau), 2. 3. 1963.

  67. Eine bemerkenswerte Geste der Solidarität stellt „Burschen mit hochgeschlagenen Kragen", Junost, Nr. 3, dar, ein Gedicht von Roshdestwenskij, das dafür gedacht zu sein schien, Jewtuschenko den Rücken zu stärken

  68. In englischer Sprache 'm Verlag E. P. Dutton New York, erschienen

  69. David Rousset in Le Figaro litteraire, 6. 4.

  70. L'Express, 4. 4.

  71. Le Monde, 14. 2.

  72. L Express, 4. 4.

  73. ebenda.

  74. Schtschipatschow mag der Prügelknabe gewesen sein, der die Schläge für die „Oberen" einschließlich möglicherweise Chruschtschows einsteckte. Chruschtschow hatte beifällig zugesehen, als der temperamentvolle Jewtuschenko überall in der Welt Schlagzeilen machte, und den unverhofften Propagandaerfolg eingeheimst.

  75. K. S. Karol in L'Express, 11. 4.

  76. Als Fidel Castro Anfang Mai in Moskau war, besuchte ihn Jewtuschenko, der zu dieser Zeit den Tiefstand seiner Karriere erreicht hatte, über die Begegnung ist nichts bekannt. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß Castro zugunsten seines Freundes interveniert haben mag.

  77. Newsweek, 29. 4.

  78. Später jedoch gab es einige sporadische Angrifte der massiven Art; siehe Istwestija, 7. 5., und das Gedicht in der Prawda vom 3. 6. von Sergej Michalkow.

  79. Jede Ausgabe von Nowyj mir liegt im Durchschnitt 4 bis 6 Wochen beim Zensor. Die Ausgabe vom März 1963 jedoch, die den letzten Vorabdruck des Teiles V der Ehrenburg-Memoiren enthielt, blieb mehr als zwei Monate beim Zensor, vom 25. 1 bis zum 29. 3. Die April-Ausgabe, die die obengenannte Stellungnahme des Redaktionsstabes enthielt, war beinahe drei Monate beim Zensor, vom 8. 2. bis zum 3. 5.

  80. Von Georgij Markow, Iswestija, 7. 5. 1963.

  81. LG, 9. 5. 1963.

  82. Komsomolskaja prawda, 11. 5. 1963.

  83. Giuseppe Boffa, in Rinascitä (Rom), 1. 6.

  84. Komsomolskaja prawda, 23. 5.

  85. Der Chefredakteur, W. N. Bolchowitinow, war einer der sechs liberalen Redakteure, die am 22. 1. aus der Literaturnaja gaseta entfernt worden waren. Stellvertretender Chefredakteur ist Rada N. Adshubej, Tochter Chruschtschows und Ehefrau Alexej Adshubejs.

  86. Rede von Podgornij, Prawda ukrainij, 10. 4. 1963.

  87. ebenda.

  88. In seiner Rede (Prawda, 20. 6.) enthüllte A. D. Skaba, ein ukrainischer Parteisekretär, zweifellos, daß Nekrasow einen Brief an das Ukrainische Zentralkomitee gerichtet hatte. Der Brief war offensichtlich unbefriedigend.

  89. Die Zeit, 15. 2. 1963: „Laßt uns das Eis brechen. Gedanken bei meiner Abreise aus Deutschland", von Je. Jewtuschenko. In der Komsomolskaja prawda vom 30. 3. und 23. 5. sowie in Nedelja, Nr. 16, 1963, wurde dieser Artikel heftig kritisiert. Jewtuschenkos Artikel mag für ihn ebenso verhängnisvoll gewesen sein wie seine an sich mehr kritisierte Autobiographie.

  90. Chruschtschow hat recht, was die Praxis angeht, und einige der Bücher, die auf diese Art und Weise erschienen sind, würden wir für gut und er für schlecht halten: Sologub in Kemerowo, 1958, Wosnesenskij in Wladimir 1960, der Sammelband Taruskije stranizy in Kaluga 1961 (von Chruschtschow selbst zum Verkauf freigegeben).

  91. Außer Iljitschew, der dafür eintrat.

  92. Schon am 1. 12. 1962 tadelte Chruschtschow während seines Besuchs in der Manesh-Galerie Iljitschew und Furzewa, weil sie zu großzügig gegenüber den Künstlern seien (siehe Übersetzung in Encounter).

  93. LG, 27. 6.

  94. Le Monde, 3. 7.

Weitere Inhalte

Priscilla Johnson, eine junge amerikanische Journalistin, hielt sich von 1959 bis 1961 und im Jahre 1962 als Korrespondentin der North American Newspaper Alliance in der Sowjetunion auf. Sie ist Mitarbeiterin einer Reihe von bedeutenden amerikanischen Zeitschriften. Zur Zeit arbeitet sie an einem Buch über die sowjetische Gegenwartsliteratur.