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Die dritte Entspannungsrunde | APuZ 42/1963 | bpb.de

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APuZ 42/1963 Die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik Die dritte Entspannungsrunde

Die dritte Entspannungsrunde

Wechsel von Spannung und Entspannung Zweimal wurden größere Anstrengungen unternommen — von den geringfügigeren soll hier nicht die Rede sein — ein System zu errichten, in dem die Sowjetunion und der Westen in einer erträglichen Stabilität der Verhältnisse und mit einem geringsten Maß an Spannungen miteinander würden leben können. Es sieht so aus, als stünden wir nun vor einem dritten Anlauf, dies Ziel zu erreichen. Ein erster Versuch wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg unternommen, ein zweiter in den Jahren nach Stalins Tod. Spätere Historiker werden den Beginn des dritten in die Zeit nach der Kubakrise im Oktober 1962 verlegen.

Zwischen diesen Perioden diplomatischen Abtastens und Verhandelns lagen zwei massive, planmäßig vorgetragene sowjetische Offensiven: die Stalins in den Jahren 1946 bis 1951 und die Chruschtschows in den Jahren 1958 bis 1962. Das sind Vorgänge, die uns allen vertraut sind. Da sie aber im Laufe der Zeit und in der Perspektive des Rückblickes in einem rosigeren Licht erscheinen, dürfte es geboten sein, die Erinnerung daran aufzufrischen.

Die Sache begann, so können wir annehmen, mit Stalingrad. Von dem Augenblick an, da der Sieg so gut wie sicher war, traf Moskau Vorbereitungen, die Verwirrung auszunutzen, die der Krieg selbst und die Nachkriegszeit bringen würden Aus ähnlicher Verwirrung war die kommunistische Herrschaft in Rußland geboren worden. Und als der Zweite Weltkrieg seinem Ende zuging, wurde es von Tag zu Tag deutlicher, daß die Führer in Rußland trotz der ungeheuren Zerstörungen in ihrem Lande eine Zeit herannahen sahen, die ihnen eine Atempause bot, in der sie das Ziel ihrer Expansion weiter verfolgen konnten. Zur Verfügung stand ihnen die Rote Armee als Druckmittel. Wie weit sie allerdings in ihrem Streben nach Expansion gehen konnten, das hing natürlich davon ab, wie die damals erdrückende Übermacht der Vereinigten Staaten tatsächlich entfaltet werden würde. In den Jahren 1945 und 1946 war Stalin offenkundig der Meinung, die Vereinigten Staaten handelten gemäß der Voraussage Roosevelts, daß die USA ihre Truppen nicht länger als zwei Jahre nach dem Kriege in Übersee belassen könnten. Jedenfalls glaubte Stalin dies aus den Worten Roosevelts ihm gegenüber schließen zu können. Wir hatten über Europa und China Verhandlungen zu führen und taten dies vor dem Hintergrund einer übereilten, einschneidenden und einseitigen Abrüstung.

Stalins Offensive im Westen Stalin hegte große Hoffnungen: Er legte sie der Welt dar in seiner unnachgiebigen Rede vom 9. Februar 1946; die Zeit, die vor ihm lag, war für ihn eine Periode der Ausbreitung kommunistischer Macht. Die Offensiven, die er dann folgen ließ, zuerst im Westen, dann im Osten, zogen sich über einen längeren Zeitraum hin. Zwar wurde der Vorstoß gegen den Iran abgewiesen. Doch unmittelbar danach, es war im Sommer 1946, verstärkte Stalin den diplomatischen Druck der Sowjetunion, der mit Drohungen verbunden war, gegen die Türkei. In Griechenland unterstützte er einen ausgedehnten Partisanenkrieg. In Italien und Frankreich strebten die kommunistischen Parteien mit seiner Hilfe mit allen Mitteln nach der parlamentarischen Macht. Im Jahre 1947 trieb er seine Bemühungen, ganz Osteuropa in seine Hand zu bekommen, auf die Spitze; Symbol dafür war die Schaffung der Kominform im September 1947. In Prag fiel ihm der Erfolg im Februar 1948 zu. Einen Mißerfolg erlebte er in Belgrad; im Juni 1948 wurde Titos Abfall ruchbar.

Mit der Truman-Doktrin und dem MarshallPlan begann im Jahre 1947 der Gegenangriff des Westens. Italien wurde durch die Wahlen im April 1948 gerettet; in Griechenland brachen die kommunistischen Anstrengungen im Abwehrkampf der Nation und durch Zerwürfnisse in den Reihen der Kommunisten selbst zusammen In Frankreich bildete sich eine Gruppe aus den Mittelparteien, die, wenn auch unsicher. fähig war, die Regierungsgewalt auszuüben und die innere kommunistische Bedrohung im Zaume zu halten. Deutschland steuerte vom Frühjahr 1946 an einer Spaltung entgegen; der Kontrollrat in Berlin war nicht mehr funktionsfähig. Am 20. März 1948 gaben die Sowjets diesem Zustand durch ihren Auszug dramatischen Ausdruck. Damit war der Weg frei gemacht für die totale Blockade zu Wasser und zu Lande, die drei Monate danach beginnen sollte. Es kam aber so, daß durch den Erfolg der Luftbrücke Stalins Bedrohung des Westens ein Ende fand. Die Offensive des Ostens führte schließlich zu einem Zwischenspiel, aus dem nicht nur der Marshall-Plan, sondern auch der Brüsseler Pakt (September 1948), die NATO (März 1949) und im Mai 1949 die Gründung der Bundesrepublik Deutschland erwuchsen.

Sowjetische Vorstöße in Asien Noch während dieses Duells im Westen startete Stalin eine Offensive im Osten. Ihr Beginn fällt etwa mit den Instruktionen zu aktivem Voigehen zusammen, die Shdanow den kommunistischen Parteien Asiens auf der Gründungsversammlung der Kominform im September 1947 erteilte. Im November 1946 begann in Indochina der offene Partisanenkrieg; in Burma im April 1948; in Malaya im Juni des gleichen Jahres; in Indonesien und auf den Philippinen im Herbst. Die kommunistischen Parteien in Indien und Japan hatten wenigei Spielraum für Partisanenaktionen, trotzdem verstärkten sie im Jahre 1948 ihre militante Aktivität. Als (entgegen früheren Erwartungen Stalins) im November 1949 in China der Sieg errungen war, empfahl das Kominform Maos politisch-militärische Strategie in aller Offenheit den kommunistischen Parteien in den Gebieten, wo Untergrundaktionen im Gange waren. Durch die Begegnung Stalins mit Mao zu Beginn des Jahres 1950 bekam die Welt eine Bestätigung dafür, welche ehrgeizigen Ziele in Asien verfolgt wurden. Diese Strategie fand ihren Höhepunkt in der Invasion Südkoreas Ende Juni 1950.

Die Antwort der Amerikaner und der Vereinten Nationen auf die Invasion in Südkorea waren die Landung in Inchon und der Marsch zum Yalu. Als die chinesischen Kommunisten in den Krieg eingetreten waren, wurde ihr massiver Angriff in den Monaten April und Mai 1951 am 38. Breitengrad zum Stehen gebracht. Dadurch wurde dem militärischen und quasi-militärischen Vorgehen der Kommunisten auf dem asiatischen Kontinent allmählich ein Ende gesetzt. Weder Moskau noch Peking hatten Lust zu einem allgemeinen Krieg, der die Anspannung aller ihrer Kräfte verlangt hätte, sie hatten nicht einmal Lust, die Kosten für eine Verlängerung der Offensive in Korea zu tragen. Auch anderswo waren die Träume der Kommunisten aus den Jahren 1946 und 1947 ausgeträumt. An keiner Stelle in Asien wiederholte sich Maos Erfolg. Indonesien, Burma und die Philippinen wurden überall mit Partisanen und Untergrundaktionen fertig. In Malaya wurden unter großem Kostenaufwand Großbritanniens die Partisanen aufgehalten und zurückgetrieben. Nur in Indochina, wo die örtlichen Verhältnisse die Kommunisten begünstigten, konnten sie Erfolge für sich buchen. Ho Chi Minh mußte sich aber schließlich mit einem halben Sieg zufriedengeben (Genf 1954). Er tat dies, weil Stalin gerade gestorben war und weil er mit einer Intervention der Amerikaner rechnete.

Wie war die Lage, als im Sommer 1951 über einen Waffenstillstand in Korea verhandelt wurde? Stalin hatte Osteuropa konsolidiert, Mao China. Doch immer noch lag das Schwergewicht im Spiel der Mächte bei der freien Welt, wenn auch mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet. Und dieser Westen hatte unter Führung der Vereinigten Staaten unzweideutige Antworten auf drei Fragen gegeben, von denen die kommunistischen Planer ausgegangen waren und auf die sie ihre Hoffnungen gestützt hatten. Erstens war erwiesen worden, daß die Bindung der Vereinigten Staaten an Europa den Krieg überlebt hatte und daß Roosevelts Befürchtungen und unglückselige Prophezeiungen Lügen gestraft waren. Zweitens war erwiesen worden, daß Westeuropa sich aus dem Desaster des Zweiten Weltkrieges erhoben und seine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Kraft wiedergefunden hatte und daß es mit amerikanischer Hilfe in der Lage war, die kommunistische Bedrohung des östlichen Mittel-meeres, Italiens, Frankreichs und auf dem Höhepunkt des Kampfes auch die Bedrohung Berlins abzuwehren. Drittens war in Korea erwiesen worden, daß die Vereinigten Staaten und die freie Welt als Gesamtheit willens und fähig waren, einer Aggression mit konventionellen Waffen über die Demarkationslinie des Kalten Krieges hinweg entgegenzutreten.

Sechs Jahre relativer Ruhe Zwischen dem Sommer 1951 und dem Start des Sputniks im Oktober 1957 lag eine verhältnismäßig ruhige Periode, nur unterbrochen von der Suezkrise und der Ungarnkrise, die aber beide weniger aus den Spannungen des Kalten Krieges herrührten, sondern aus der Dynamik der Veränderungen in der freien Welt und innerhalb des kommunistischen Blocks. Es ist wahrscheinlich, daß die sowjetischen Planer sich bewußt wurden, daß die Phase einer Ausnutzung der Möglichkeiten, wie sie sie in den ersten Nachkriegsjahren hatten, vorüber war. Die Positionen, die auf dem XIX. Parteikongreß im Oktober 1952 in Moskau bezogen wurden, waren offensichtlich von dem Gedanken einer weit vorausschauenden Strategie beeinflußt Nach Stalins Tod zog sich ein heimlicher Kampf um die Macht etwa vier Jahre hin. Erst im Jahre 1957 gelang es Chruschtschow. die unbestrittene Macht sowohl über den Regierungs-als auch über den Par-teiapparat in seiner Hand zu vereinigen. Zu gleicher Zeit vollzogen sich bemerkenswerte und die Kräfte in Anspruch nehmende Veränderungen in der Sowjetunion; unter den Satelliten gab es Neuorientierungen: sowohl das Regime Gomulkas in Polen im Jahre 1956 wie die Ungarische Revolution einige Wochen später gingen daraus hervor.

Sicherlich dachte man auch hier und da an die Möglichkeit einer Verständigung mit dem Westen. Oben schon wurde erwähnt, daß der Krieg in Indochina wenigstens formell beendet war; Moskau hatte das Abkommen über Triest gebilligt, Österreich hatte eine Garantie über seine Freiheit in Neutralität erhalten (Juli 1955). In den beiden großen Streitfragen jedoch — Kontrolle der Bewaffnung und Deutschland — war kein wesentlicher Fortschritt erzielt worden. Die Gipfelkonferenz von 1955 erbrachte kein Ergebnis von irgendwelcher Bedeutung, und die im Oktober 1955 folgende Außenministerkonferenz, in der über Deutschland diskutiert wurde, ging, ohne zu einem Resultat gelangt zu sein, auseinander. Trotzdem herrschte, wenn man nur die Oberfläche betrachtete, eine Atmosphäre relativer Entspannung, und zwar bis zu der Gipfelkonferenz im Jahre 1960, die dann wegen des U-2-Zwischenfalles in die Luft flog. In Wirklichkeit hatten sich aber schon zwei Jahre vorher Wolken am Himmel zusammengezogen.

Blicken wir heute zurück, so wird uns der Grund für das Ende der Entspannung, die im Jahre 1950 eingesetzt hatte, einigermaßen klar. Zwei neue Faktoren waren inzwischen auf der Bühne des Weltgeschehens hinzugekommen, und die Männer, die in der Sowjetunion die Politik machen, waren zu dem Schluß gekommen, daß sich daraus bedeutende Vorteile ziehen ließen.

Der erste Faktor ist das Auftauchen thermonuklearer Waffen im Jahre 1950, die man über große Entfernungen mit Hilfe von Raketen ins Ziel bringen konnte. Zum ersten Male hatte die Sowjetunion die Möglichkeit, Westeuropa mit Zerstörung und die Vereinigten Staaten mit Schäden großen Ausmaßes zu bedrohen. In Anbetracht dieses Kriegsinstrumentariums hielt es Moskau offensichtlich für möglich, den Westen zu begrenzten diplomatischen Zugeständnissen zu zwingen. Das Thema der Erpressung mit Hilfe der Atomwaffen tauchte in der Sowjetpolitik zuerst im Jahre 1956 auf; in aller Deutlichkeit wurde während der Suez-krise davon gesprochen.

Dei zweite große Faktor auf der Weltbühne, der die Sowjets mit neuen Hoffnungen erfüllte, war die Tatsache, daß die Revolutionen, die auf nationale Unabhängigkeit und Modernisierung abzielten, in Asien, im Mittleren Osten, in Afrika und in Lateinamerika mit immer größerer Geschwindigkeit abliefen. Es besteht kein Zweifel, daß Moskau des Glaubens war, es könne die kommunistische Macht und den kommunistischen Einfluß in diesen Ländern auf Kosten des Westens ausdehnen, wenn es sich einer breiten Skala von Methoden bediente, nämlich der der Subversion und des Partisanenkrieges, des Handels und der direkten Hilfe, indem es an die Gefühle des Antikolonialismus und des Nationalismus appellierte, und schließlich dadurch, daß es nicht müde wurde, zu behaupten, daß der Kommunismus nicht nur der mächtigste Rivale der Vereinigten Staaten sei, sondern daß er auch eine unfehlbare Methode hätte — wenn diese zunächst auch unbarmherzig schiene —, ein unterentwickeltes Gebiet zu modernisieren. Das Waffenlieferungsabkommen mit Ägypten und die Bereitwilligkeit, den Assuan-Damm zu bauen, waren die ersten größeren Anstrengungen in Richtung auf dieses Ziel.

Chruschtschows Offensive schlägt fehl Doch die zweite kommunistische Großoffensive der Nachkriegszeit trat erst nach dem Start des Sputniks im Oktober 1957 voll in Erscheinung. Im Jahre 1958 erging von Moskau das Ultimatum in der Berlinfrage. Im gleichen Jahre verkündete die kommunistische Partei in Hanoi, sie werde in Südvietnam mit dem Partisanenkrieg beginnen. Kurz darauf nahm die Pathet Lao mit aktiver Hilfe der Kommunisten in Nordvietnam ihre Anstrengungen, Laos zu erobern, wieder auf. In diesen ersten Jahren nach dem Start des Sputniks nutzten die Sowjets alle Möglichkeiten, im Kongo eine Basis für kommunistische Operationen in Zentralafrika zu errichten. Eine Milliarde Dollars investierten sie zu gleicher Zeit, um einen Bruch oder sogar einen Krieg zwischen Indonesien und den Niederlanden wegen West-Neuguineas herbeizuführen, womit sie den sowjetischen Einfluß und die kommunistische Position in Indonesien zu verstärken hofften. Zu gleicher Zeit — dabei mag der Zufall eine Rolle gespielt haben — kam in Kuba Castro an die Macht (Ende 1958).

An zwei Stellen wurde dem kommunistischen Druck, der dem Sputnikstart folgte, durch überlegene amerikanische Aktionen erfolgreich Widerstand entgegengesetzt: bei der Libanon-Jordanien-Krise und bei dem Konflikt um Quemoy-Matsu im Jahre 1958. Doch im Januar 1961 hatte Chruschtschows Offensive in Südostasien, Afrika und Lateinamerika noch nichts von ihrer Stoßkraft verloren.

Die erste Aufgabe, vor der die Kennedy-Regierung im Jahre 1961 stand — sie kann mit den Problemen verglichen werden, denen sich Truman im Jahre 1947 gegenüber —, war die, der kommunistischen Offensive dadurch Einhalt zu gebieten, daß man nachwies, auf welch tönernen Füßen die beiden Hypothesen standen, von denen die Sowjets ausgingen. Im großen und ganzen wurde das Problem in der Zeit zwischen der Feuereinstellung in Laos im Mai 1961 und der Raketen-Krise in Kuba im Oktober 1962 gelöst.

Wir erinnern uns, daß die erste sowjetische Theorie, die der Verwundbarkeit des Westens durch Atomgeschosse ist. Die Antwort darauf wurde ihnen durch den gesamten Verlauf der Berlinkrise im Jahre 1961/62 gegeben, insbesondere durch die Rede des Präsidenten im Juli 1961 und die nachfolgenden Rüstungsanstrengungen. Nachdem der sowjetische Versuch im Februar und März 1962, die Einheit des westlichen Bündnisses durch Eindringen in die nach Berlin führenden Luftkorridore zu sprengen, fehlgeschlagen war, kam Moskau offensichtlich zu der Einsicht, daß die Position des Westens in Berlin zu fest war, als daß sie auf dem direkten Wege hätte unterminiert werden können. Dann setzten die Sowjets das Unternehmen der Lieferung von Raketen nach Kuba in Gang, und das Ende dieser Affäre nahm — wenigstens für den gegenwärtigen Zeitpunkt — den Sowjets die Hoffnung, daß die freie Welt auf irgendwelche Lebensinteressen unter dem Druck des Atom-krieges verzichten würde.

Die Antwort auf die zweite Frage — nämlich ob der Westen fähig sei, die Machtergreifung des Kommunismus in den unterentwickelten Gebieten zu verhindern — mußte an verschiedenen Stellen mit verschiedenen Methoden gegeben werden: in Laos durch eindeutige Entschlossenheit, eine kommunistische Machtergreifung zu vereiteln; in Vietnam durch die Aufstellung eines erweiterten Programms zur Bekämpfung der Untergrund-und Aufstandsbewegung; in Indonesien durch erfolgreiche Verhandlungen zwischen den Niederlanden und der indonesischen Regierung über die Frage West-Neu-Guineas; in Afrika durch den ganzen Zuschnitt unseres Auftretens gegenüber den neuen afrikanischen Nationen — insbesondere durch Unterstützung der Bemühungen der UN im Kongo; in Lateinamerika durch die Isolierung Kubas und durch eine Allianz, die den wirtschaftlichen Fortschritt zum Ziele hat.

Mit dem Ende der Raketenkrise in Kuba im Herbst 1962 verschwand die Stoßkraft aus Chruschtschows Offensive, die er nach dem ersten Sputnikerfolg gestartet hatte, obwohl die Krisen in Kuba und in Südostasien noch nicht völlig beigelegt waren.

Schwächen der sowjetischen Position Im Verlaufe dieser Ereignisse kam es zu Situationen, aus denen sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit eine Veränderung der sowjetischen Politik ergeben mußte. Erstens: Westeuropa nahm weiter einen erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung, wie er seit 1914 nicht erlebt worden war; es näherte sich als Ganzes dem Status einer Weltmacht, und es war wahrscheinlich, daß es in dieser oder jener Form seine Rolle auf dem Gebiet der Atomwaffen ausbauen würde.

Zweitens: Neben den Anstrengungen der Vereinigten Staaten, dem Hauptstoß der Kommunisten in die unterentwickelten Gebiete zu begegnen, zeigten diese Nationen selbst, daß sie fähig waren, ihre Unabhängigkeit mit immer größerer Geschicklichkeit und Entschlossenheit und mit wachsendem Verständnis für die kommunistischen Ziele und Methoden zu verteidigen. Der Verlauf der letzten Ereignisse in Asien, im Mittleren Osten, in Afrika und Lateinamerika macht die Vorstellung von einer Kontrolle Moskaus über diese Gebiete zunehmend unwahrscheinlicher, womit natürlich nicht gesagt ist, daß der gefährliche Mangel an Stabilität in diesen Ländern nicht den Kommunisten die Möglichkeit gäbe, dort im Trüben zu fischen.

Drittens: Innerhalb des kommunistischen Blocks wurde die ideologische Einheit und die Disziplin in der Organisation der internationalen kommunistischen Bewegung durch nationalistische Impulse erschüttert, wie sich in dem Bruch zwischen Rußland und China, aber auch an anderen Stellen zeigt. Aus dieser Entwicklung erwuchs die Möglichkeit, daß die chinesischen Kommunisten schließlich als selbständige Atommacht dastehen können, und zwar innerhalb eines Zeitraumes, der von unserer gegenwärtigen Planung bereits in Betracht gezogen werden muß.

Viertens: Abgesehen von der chronischen Unfähigkeit der kommunistisch beherrschten Nationen, Lebensmittel in genügender Menge zu erzeugen, zeigte sich auch ein Langsamer-werden der industriellen Produktion in der Sowjetunion und in Osteuropa. Der Grund ist der, daß die Schwerindustrie, auf die sich der Nachkriegsaufschwung stützte, einen unvermeidlich eigenen Weg ging. Im Jahre 1962 hatten die der NATO angeschlossenen Länder eine durchschnittliche Zuwachsrate des Brutto-sozialproduktes von 4, 8 Prozent; der kommu-nistische Block hatte — läßt man das in gewaltiger Umwälzung begriffene kommunistische China außer acht — eine solche von 3, 6 Prozent. Die Folge dieser Verlangsamung, durch welche die Gesamt-Zuwachsrate der Sowjetunion in den letzten Jahren von etwa 7 Prozent auf etwa 4 Prozent herunterging, ist die, daß die Zunahme der aus sowjetischen Quellen fließenden Gütermengen, die für militärische, außenpolitische und für Zwecke der Versorgung der eigenen Bevölkerung benötigt wurden, zurückging, wenn auch die im Abnehmen begriffene Zuwachsrate immer noch verhältnismäßig hoch ist. (Die Vereinigten Staaten haben die rückläufige Bewegung überwunden, und ihre Gesamtzuwachsrate für 1962 lag bei 5, 4 Prozent, d. h. sie war überdurchschnittlich hoch.)

Fünftens: Während der Zeit, in der Moskau nach dem Start des Sputniks seine Offensive mit großem Eclat und einer bemerkenswerten Risikobereitschaft vorantrieb, zielten bestimmte, von langer Hand vorbereitete Strömungen in Rußland und Osteuropa auf eine gewisse Liberalisierung der Gesellschaft in diesen Ländern hin. Damit ging eine Verstärkung des Nationalbewußtseins und ein gesteigerter Friedenswille dieser Völker Hand in Hand.

Damit mag der Rahmen abgesteckt sein, in dem sich die dritte Runde im west-östlichen Kampf der Nachkriegszeit abspielt.

Voraussetzungen einer Entspannung: Wirksame Rüstungskontrolle und Selbstbestimmung für Deutschland In gewissem Sinne sind die grundlegenden diplomatischen Streitfragen und die sich aus ihnen ergebenden Probleme seit den ersten Nachkriegstagen immer dieselben geblieben. Die Grundprobleme sind: erstens die Weigerung der Sowjetunion, eine internationale Inspektion und Kontrolle zuzulassen, wie sie notwendig ist, damit dem Rüstungswettlauf ernsthaft Einhalt geboten werde; zweitens der Mangel an Bereitschaft bei der Sowjetunion, eine klare Trennung herbeizuführen zwischen ihren legitimen Sicherheitsansprüchen in Mitteleuropa und ihrer ideologisch bedingten Zwangsvorstellung, sie müsse Ostdeutschland gegen den Willen des Volkes als kommunistischen Staat halten.

Im Jahre 1945/46 wurde das diplomatische Geschehen dramatisiert durch den Vorschlag Baruchs, eine internationale Kontrolle der Atomenergie herbeizuführen, und durch den Vorschlag des Staatssekretärs Byrnes, den Deutschen durch einen Friedensvertrag freie Wahlen zu gestatten und ihnen so die Möglichkeit einer Einigung zu geben, sie aber für die Dauer von fünfzig Jahren gänzlich zu entwaffnen. In den fünfziger Jahren war die Welt dadurch kompliziert geworden, daß in drei Ländern Atomwaffen hergestellt wurden. Wollte man das Wettrüsten beenden, so waren in erster Linie Verhandlungen über eine gegenseitige Rüstungskontrolle erforderlich. Den Kern dieser Verhandlungen bildete das Problem der Inspektionen, das durch Eisenhowers Vorschlag, eine gegenseitige Luftüberwachung einzuführen, im Jahre 1955 eine neue Wendung erhielt. Die deutsche Frage nahm eine andere Gestalt an, als die Bundesrepublik in die NATO integriert wurde und die Deutsche Demokratische Republik in den Ostblock. Die Anstrengungen, die nötig waren, den Lauf der Dinge zu ändern oder sogar das Rad der Geschichte zurückzudrehen, spiegelten sich in dem Vorschlagspaket für stufenweise Abrüstung, das im Mai 1959 in Genf vorgelegt wurde. Das Entscheidende bei allem aber blieb das Problem freier Wahlen, die in ganz Deutschland durchzuführen waren, und ein europäisches Sicherheitssystem, das den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht wurde.

Weder in den Jahren 1945 und 1946 noch in den fünfziger Jahren war die Sowjetunion willens, füi Rußland einen höheren Grad nationalei Sicherheit durch die Zustimmung zu internationalen Inspektionsmaßnahmen einzuhandeln Sie war auch nicht willens, einer Lösung zuzustimmen, durch welche die gefährlichen Spannungen in Mitteleuropa vermindert werden konnten; jedes, auch das kleinste Risiko füi den Kommunismus in Ostdeutschland, war für sie nicht akzeptabel.

Aus diesen beiden ungelösten Problemen ergibt sich für die in Moskau Verantwortlichen die gleiche Frage, die ihnen von den chinesischen Kommunisten in den letzten Monaten in brutaler Offenheit gestellt wurde: Soll die Politik der Sowjetunion eine Politik sein, die einzig und allein den Interessen der russischen Nation dient? Oder soll sie eine Politik sein, die in erster Linie das Ziel verfolgt, dem Kommunismus in der ganzen Welt zum Siege zu verhelfen? Dies ist die einzig entscheidende Frage.

Im gegenwärtigen Zeitpunkt kann niemand mit Sicherheit sagen, ob die Sowjetunion bereit ist, einem definitiven Abkommen über die kritischen Probleme der Waffenkontrolle und der Abrüstung näherzutreten — die beide selbstverständlich gegenseitige Inspektion voraussetzen — oder ob sie einem System gegenseitiger Sicherheit den Vorzug geben will, das das Recht auf Selbstbestimmung in Mitteleuropa einschließt.

Die Argumente für eine wirksame Kontrolle des Wettrüstens und einer Minderung der Gefahren für alle, wie sie von dem Ulbricht-Regime ausgehen, sind gewichtig, sogar wenn sie mit den Augen Moskaus betrachtet werden. Die ersten Schritte, die sich aus dem begrenzten Atomstop ergeben haben, könnten bei einiger Geduld zu weiteren Resultaten führen. Aber niemand kann erwarten, daß Leute, die das Alter, die Vergangenheit und die politischen Verpflichtungen Chruschtschows und seiner Kollegen haben, plötzlich selbst revolutionäre Veränderungen betreiben werden, wie sie ein dauerhafter Friede verlangt. Wir dürfen nichts von einem „coup de thtre“ erwarten, vielmehr gilt es, abzuwarten, was die Zeit und die ihr innewohnende Gesetzlichkeit bewirken.

Der Westen hat seine Lektion gelernt Auf der anderen Seite ist die ganze Geschichte seit Stalingrad für den Westen eine wichtige Lektion gewesen.

Erstens: Wir haben gelernt, daß Moskaus Streben nach der Expansion der kommunistischen Macht so tief eingewurzelt und institutionalisiert ist, daß die Sowjetführer beinahe die historische Pflicht zu haben glauben, in den Fähigkeiten, in der Einheit und im Wollen des Westens Lücken aufzuspüren, die sie sich zunutze machen können. Immer wieder von neuem stehen wir vor den fünf grundlegenden Fragen, auf die wir während der Offensiven Stalins und Chruschtschows zu antworten hatten. Das heißt: die Verpflichtung der Vereinigten Staaten für die Sicherheit der westlichen Welt muß fest bleiben; Westeuropa muß weiterhin seine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Kraft beweisen; der gesamte Westen muß darauf vorbereitet sein, einem kommunistischen Stoß über die Grenzen des Kalten Krieges wirksam zu begegnen; in den unterentwickelten Gebieten müssen wir in unseren Anstrengungen fortfahren und sie noch verstärken, um das Bewußtsein zu entwickeln, daß diese Völker und Regierungen mit unserer Hüte in der Lage sind, ihre Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten und zu einem Aufbau und zur Gestaltung einer modernen Gesellschaft, die in Übereinstimmung mit ihren eigenen Traditionen, Kulturen und Bestrebungen steht, weiterzuschreiten; und das Wichtigste von allem: der Westen muß mit seinen Rüstungsanstrengungen fortfahren und sich weiter so verhalten, daß die Erpressung mit Hilfe der Atombombe ein nutzloses Verfahren bleibt.

Zweitens: In einer Welt, in der als Ergebnis der keimenden Energien von Nationen und Völkern in vielen Gegenden der Welt die Macht-und Herrschaftsverhältnisse unklar werden, haben wir als Führer des Westens die Aufgabe, das Suchen nach neuen Formen in Bahnen zu lenken, in denen nicht nur die Interessen anderer Regierungen, sondern auch deren eigene Wünsche nach Konsultationen und nach Sitz und Stimme, wenn es um Entscheidungen geht, respektiert werden. Wenn wir von einer bipolaren Welt sprechen, so gilt dies nur für einen recht engen Bereich von Problemen Ein Rahmen für den Frieden kann nur durch eine Verständigung zwischen Moskau und Washington abgesteckt werden; Grundlage eines solchen Vertragswerkes müßte die Berücksichtigung der Interessen vieler Völker sein, und deren Energien müßten mit eingeplant werden.

Drittens: Die Lösungen, die wir vorschlagen, müssen der Sowjetunion — und mit ihr anderen Nationen mit kommunistischen Regierungen — den Mut geben, zu begreifen, daß die Welt, die wir im Westen durch unsere . Anstrengungen und durch Verhandlungen zu errichten suchen, allen Nationen einen würdigen Platz bietet, die in sauberer Weise ihre nationalen Interessen zu verwirklichen suchen und die die harten Gebote, wie sie in der gegenseitigen Abhängigkeit und in den Rechten anderer Nationen und Völker beschlossen liegen, anerkennen.

Viertens: Was wir bestenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sehen, ist ein mühsamer und langwieriger Prozeß; es hat darum keinen Sinn, schon vorzeitig in heller Begeisterung die Hüte in die Luft zu werfen. In den Jahren 1945 und 1946 und in den Jahren um 1955, also in den beiden Zeiten scheinbarer Entspannung, sind wir einer Selbsttäuschung verfallen und haben die kommunistische Führerschaft durch eine übersteigerte Reaktion unter den Völkern des Westens in Versuchung geführt. Aus sehr geringfügigen Fortschritten zog man den Schluß, das der Friede angebrochen war. Wir im Westen sollten klug und hartgesotten genug sein, unsere Feiertagsstimmung dem jeweils auf dem Wege zum Frieden hin wirklich Erreichten anzupassen — ganz gleich, was am Ende wirklich dabei herauskommt. Im Augenblick können wir es uns leisten, dem Atomstop-Abkommen die Wichtigkeit beizumessen, die es als ein bedeutender Schritt vorwärts verdient; denn wir haben nun Erfahrung genug, um zu wissen, daß es nur ein Schritt auf dem Wege zum endgültigen Erfolg ist. Notfalls eine vierte Runde abwarten Was füi uns auf dem Spiele steht, ist so groß, daß wir — und ebenfalls unsere Alliierten — mit allem uns zur Verfügung stehenden Ideenreichtum und Ernst an die bevorstehenden Verhandlungen herangehen müssen. Es ist wirklichkeitsiremd, anzunehmen, daß die Geschichte statisch ist und daß wir dazu verdammt sind, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Aber die unter großen Mühsalen gewonnene Lehre aus der Erfahrung, bei der manche Zufälle mitgespielt haben, ist die, daß wir unser Pulver trocken halten sollen. Wenn wir uns des wirklich revolutionären Charakters der letzten Zeit bewußt sind, aber auch der unverminderten. ja, der zunehmenden Kraft und Vitalität des Westens und seiner Werte, dann werden wir auch die nötige Gemütsruhe haben, geduldig auszuharren. Aus der dritten Runde sollten wir das Beste herausholen, wir sollten uns aber auch nicht davor fürchten, nötigenfalls auch eine vierte Runde abzuwarten.

Fussnoten

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