Der Beitrag von Hermann Glaser gibt an einem exemplarischen Beispiel (Mein Kampf, 5. Kap.) Gedanken und Argumente wieder, die in einer größeren Arbeit über Wesen und Werden des deutschen Kleinbürgers im 19. und 20. Jahrhundert (mit besonderer Berücksichtigung von Hitlers „Mein Kampf") ausführlicher begründet werden.
Vorbemerkung:
Ein Kommentar zu Hitlers „Mein Kampf" sieht sich zunächst vor große Schwierigkeiten gestellt: die erläuternde Sternchenmethode, d. h. die Bereitstellung von historischem, biographischem oder sonstigem Tatsachenmaterial, welches das Verständnis des Werkes erleichtern könnte, erübrigt sich weitgehend, da das Buch kaum Fakten bringt, also nicht einmal dort greifbar ist, wo es die nationalsozialistische Bewegung und ihre Geschichte beschreibt — sieht man von ein paar beiläufig erwähnten Namen ab, zu deren Verständnis kein besonderer wissenschaftlicher Apparat notwendig ist. Faßt man jedoch eine Kommentierung auf als eine Interpretation des dem Bande immanenten Geistes (Ungeistes), als eine Analyse seines anthropologischen, soziologischen sowie psychologischen Gehalts, so ergeben sich interessante und ergiebige Bezüge: „Mein Kampf" erweist sich als ein Sammelbecken von Strömungen, die im 19. Jahrhundert aus der epigonalen Romantik und Klassik aufsteigen, das deutsche Verhängnis seit langem vorbereiten und schließlich in der Zerstörung deutscher Kultur, Gesittung und Politik gipfeln. Typologisch siegt der Spießer über den Bürger (der Volksgenosse über den Staatsbürger). Man hat die Meinung vertreten, Bedeutung und Einfluß von Hitlers „Mein Kampf" dürften nicht hoch eingeschätzt werden, da das Buch Buch zwar viel verbreitet, aber kaum gelesen wurde. Das mag stimmen; doch sollte man daraus eine zunächst paradox klingende Folgerung ziehen: das Buch war so erfolgreich, ohne daß es überhaupt noch gelesen werden mußte! Lebensgefühl und Weltanschauung eines Großteils der deutsch n Bevölkerung stimmten mit dem überein, was in „Mein Kampf" dargeboten und propagiert wurde. Der Inhalt des Buches (zudem in Tausenden von Broschüren, Zeitungen, Zeitschriften sowie Reden unters Volk gebracht) enthielt all das, was des „Spießers Wunderhorn“, (die Pandorabüchse kleinbügerlicher Traktätchenverfasser) bereit hielt: abgründige Gemeinheiten, breitgetretener Wortquark, in schiefe Metaphern geschlagene Ressentiments, endlose Tiraden und rhetorisch aufgeschminkte Platitüden. Ein Kommentar zu Hitlers „Mein Kampf“ ergibt somit einen Spießerspiegel par excellence. Hitler besaß die Genialität des Mittelmäßigen: seine Durchschnittlichkeit war überdurchschnittlich; so wurde seine Mediokrität zum Schicksal eines Volkes, das sich Schritt um Schritt von Theorie und Praxis der Humanität hatte abbringen lassen.
Das 5. Kapitel Das 5. Kapitel von „Mein Kampf" beschreibt die „unvergeßlichste und größte Zeit" von Hitlers „irdischem Leben". Für die politisch-anthropologische Betrachtungsweise erscheint hier als besonderer Aspekt der deutsche Hang zur „Monumentalität": das Heroische nahm seit langem in der Wertepyramide des deutschen Bürger-und Kleinbürgertums die Spitze ein
Der „junge Wildfang", den das „Mädel" mit hingebungsvoll-unterwürfiger Liebe anhimmelte
a) mit ihrer Sittlichkeit und strengen Ordnung, die sich zeigt in der Verteilung der Beschäftigung (Hermann: Feld und Stallung; Vater:
Gastwirtschaft; Mutter: Hauswesen) und im Gegensatz zum welschen Nachbar (dem Sitte, Zucht und Achtung vor der Ehe abgehen).
b) überhaupt alle Hauptpersonen sind Deutsche:
der Löwenwirt (sorgt hausväterlich für die Stadt und die Seinen), die Wirtin (fleißig, gemütvoll, liebevoll), Hermann (Anhänglichkeit an den deutschen Boden, Zartheit seines Benehmens gegen Dorothea), Dorothea (Reinheit bei der Verteidigung der Unschuld ihrer Gespielinnen; Zurückhaltung gegen Hermann, dem sie notgedrungen ihre Liebe verrät). nerungen so trefflich beschrieben hat
„AIs jungen Wildfang hatte mich in meinen ausgelassenen Jahren nichts so sehr betrübt, als gerade in einer Zeit geboren zu sein, die ersichtlich ihre Ruhmestempel nur mehr Krämern oder Staatsbeamten errichten würde. Die Wogen der geschichtlichen Ereignisse schienen sich schon so gelegt zu haben, daß wirklich nur dem friedlichen Wettbewerb der Völker, das heißt also einer geruhsamen gegenseitigen Begaunerung unter Ausschaltung gewaltsamer Methoden der Abwehr, die Zukunft zu gehören schien."
Hitler nennt nicht die Ahnen seines Heroenkultes; sie mögen ihm, dem sehr oberflächlich und häufig abstrus Belesenen auch gar nicht die Philosophien bewußt gewesen sein:
vom Willensmenschen (von Carlyle bis Stefan George), den vitalistischen Mystizismus eines Bergson und Nietzsche, die Gewaltlehre Sorels, die Psychologie eines Klages und seiner Vorläufer
Richtigkeit ihrer Idee, in der Wahrhaftigkeit ihres Handelns den Talisman sehen, der sie sicherlich hinüberführt aus einer vergeblichen Gegenwart in eine unsterbliche Zukunft"
„Warum konnte man denn nicht hundert Jahre früher geboren sein? Etwa zur Zeit der Befreiungskriege, da der Mann wirklich auch ohne Geschäft noch etwas wert war?! Ich hatte mir so über meine, wie mir vorkam, zu spät angetretene irdische Wanderschaft oft ärgerliche Gedanken gemacht und die mir bevorstehende Zeit , der Ruhe und Ordnung" als eine unverdiente Niedertracht des Schicksals angesehen. Ich war eben schon als Junge kein . Pazifist" und alle erzieherischen Versuche in dieser Richtung wurden zu Nieten."
Die nachfolgenden Passagen handeln von dem „Wetterleuchten" der Kriege und Krisen, die dem ersten Weltkrieg vorausgingen. Die „ewige Sorge" habe das Gefühl der herannahenden Katastrophe zur Sehnsucht werden lassen; die Interpretation, die Hitler hier von der Vorkriegszeit gibt, deckt sich auch mit seriösen Quellen; „dieser Frieden", meinte etwa Georg Heym, „ist so faul ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln"
ein Greuel war, reagiert sich anschließend wieder einmal ab
„Mir selber kamen die damaligen Stunden wie eine Erlösung aus den ärgerlichen Empfindungen der Jugend vor. Ich schäme mich auch heute nicht, es zu sagen, daß ich, überwältigt von stürmischer Begeisterung, in die Knie gesunken war und dem Himmel aus übervollem Herzen dankte, daß er mir das Glück geschenkt, in dieser Zeit leben zu dürfen"
Einer verhältnismäßig häufig anzutreffenden psychologischen Erfahrung gemäß tritt gerade beim labilen, anämischen Typ, bei einem Menschen, dem nichts gelingt und der sich kaum zu Arbeit und Handeln aufraffen kann
Alle Triften, alle Stätten färbt mit ihren Knochen weiß, welchen Rab'und Fuchs verschmähten, gebt ihn den Fischen preis;
dämmt den Rhein mit ihren Leichen;
laßt, gestäuft von ihrem Bein, schäumend um die Pfalz ihn weichen, und ihn dann die Grenze sein!"
— selbst solche Verse gab ihm sein Napoleonund Franzosenhaß ein. — Von einem Besuch beim Komponisten der „Wacht am Rhein"
berichtet die „Gartenlaube" („Ich mußte ihn aufsuchen, den Komponisten des Liedes, das der nationalen Begeisterung dieser Tage Flügel geliehen, des ersten wahrhaft kernigen Volksliedes seit Jahrzehnten"), daß dieser wegen verschiedener körperlicher Gebrechen sehr mutlos und ohne jeden Lebenselan erscheine, immer wieder in Tränen ausbreche, also kaum soldatische Tugend an den Tag lege — was natürlich vom Gartenlauben-Autor nur sehr verhüllt dargestellt, d. h. mit mit nationalistischem Pathos verdeckt wird
— Nietzsches Ruf nach der „blonden Bestie", einem „Gefährlich leben!", nach „Wohnungen am Vesuv" entsprang einer bis zum Wahnsinn sich steigernden seelischen Labilität. — Wilhelms II. bramarbasierenden Reden müssen auf dem Hintergrund seines angeborenen körperlichen Gebrechens gesehen werden, das er psychologisch nie überwand
Warum gerade dem Deutschen der Krieg als der große Lehrmeister der Nation erschien, läßt sich wohl nicht eindeutig erklären. Sicher ist, daß die seit 1815 zurückgestauten, weder außenpolitisch noch innenpolitisch zur Entfaltung gekommenen natürlichen menschlichen Aktivbestrebungen — abgedrängt in die „deutsche Innerlichkeit" (des Biedermeier, des poetischen Realismus, epigonaler Klassik und Romantik und anderer traditionalistischer Strömungen) — mit dem Jahr 1870/71 plötzlich zum Durchbruch kamen. Dies äußerte sich, den Zeitläufen entsprechend, in einem übersteigerten Expansiv-und Imperialwillen, der zunächst um so mehr rhetorischer Art war, als es Bismarck verstand, ihn außenpolitisch zu zügeln. Angesichts der aufwuchernden nationalistischen Demagogie, die mit Hitler ihren Höhepunkt erreichte
„Bismarcks Werk mußte sich nun schlagen;
was die Väter einst mit ihrem Heldenblute in den Schlachten von Weißenburg bis Sedan und Paris erstritten hatten, mußte nun das junge Deutschland sich aufs neue verdienen."
In den nachfolgenden Abschnitten erreicht Hitlers Pathetik einen Höhepunkt: Vokabular, Topik und Syntax sind die der patriotischen Festredner des 19. Jahrhunderts; Analogien zum „Liedgut", wie es seit Jahrzehnten die Kommersbücher, Singfibeln, Gesangvereinsbücher und Schulliederbücher in abgründiger Harmlosigkeit geziert hatten, stellten sich ein; wohin Hitler auch greift, es gelingt ihm immer, ein Klischee in die Feder zu bekommen — und gerade diese stilistische Mediokrität mußte „ankommen": so sprach man bei Fahnenweihfesten, bei Kriegsveteranentreffen, am Sedanstag, an Kaisers Geburtstag, so schrieben die Völkischen
„Ich hatte einst als Junge und junger Mensch so oft den Wunsch gehabt, doch wenigstens einmal auch durch Taten bezeugen zu können, daß mir die nationale Begeisterung kein leerer Wahn sei. Mir kam es oft fast als Sünde vor, Hurra zu schreien, ohne vielleicht auch nur das innere Recht hierzu zu besitzen; denn wer durfte dieses Wort gebrauchen, ohne es einmal dort erprobt zu haben, wo alle Spielerei zu Ende ist, und die unerbittliche Hand der Schicksalsgöttin Völker und Menschen zu wägen beginnt auf Wahrheit und Bestand ihrer Gesinnung?
So quoll mir, wie Millionen anderen, denn auch das Herz über vor stolzem Glück, mich nun endlich von dieser lähmenden Empfindung erlösen zu können. Ich hatte so oft . Deutschland über alles" gesungen und aus voller Kehle Heil gerufen, daß es mir fast wie eine nachträglich gewährte Gnade erschien, nun im Gottesgericht des ewigen Richters als Zeuge antreten zu dürfen zur Bekundung der Wahrhaftigkeit dieser Gesinnung ... So wie wohl für jeden Deutschen, begann nun auch für mich die unvergeßlichste und größte Zeit meines irdischen Lebens. Gegenüber den Ereignissen dieses gewaltigsten Ringens fiel alles Vergangene in ein schales Nichts zurück. Mit stolzer Wehmut denke ich gerade in diesen Tagen, da sich zum zehnten Male das gewaltige Geschehen jährt, zurück an diese Wochen des beginnenden Heldenkampfes unseres Volkes, den mitzumachen mir das Schicksal gnädig erlaubte."
Der Ursprung dieser Pathetik ist leicht zurückzuverfolgen, d. h. ihre strukturelle Übereinstimmung mit Redefiguren der epigonalen Romantik und Klassik festzustellen. Vor allem bekundet sich der Einfluß jener politischen Hochsprache des 19. Jahrhunderts, die an Schiller anzuknüpfen glaubte, während sie in Wirklichkeit die Schillersche Sprache pervertierte und mißbrauchte. Die Sprache Schillers war Ausdruck eines leidenschaftlichen Bemühens um „Erziehung des Menschengeschlechts". Der ihm eigene idealistische Schwung war kein Verschließen vor der Wirklichkeit; im Gegenteil: sein Weltbild war durch einen strengen Dualismus gekennzeichnet: Idee und Leben, Hoffnung und Angst, Leben und Tod, Freiheit und Zwang, Glück und Leid, Frieden und Krieg, Form und Stoff, Kunst und Wirklichkeit waren Gegensätze, die sich dem Dichter ständig aufdrängten und in seiner dialektischen Sprache Eingang und Widerspiegelung fanden; exakte, wenn auch häufig etwas farblose Methaphorik (Gedankenlyrik), tiefgründige Problematik (Dramen)
und eine klare, kluge Ausdrucksweise (Philosophische Schriften) sind besondere Kennzeichen von Schillers Werk. Dieser luzide Denker und Dichter, der nach 1945 für eine breitere Öffentlichkeit erst wieder durch die Festrede Thomas Manns zum 150. Todestag aus dem nationalen Gitterkäfig befreit und ihr in seiner echten Menschlichkeit nahegebracht wurde, hatte im 19. Jahrhundert das Schicksal erlitten, zum Idol des nationalen Bürgertums erkürt zu werden: er war zum „Moraltrompeter" und zum Vorkämpfer nationaler Einheit geworden. Die „Glocke" fürs Jungmädchenzimmer, der „Teil" für die Freilichtbühne, der Dichter selbst in der Gestalt eines Bur-schenschaftlers — das waren Teilaspekte dieser Fehldeutung. Der arme tapfere Mann, der seinem von ständiger Krankheit bedrängtem Körper und seinem von ständigen Zweifeln und leidvollem Pessimismus heimgesuchten Geist ein Werk der Humanität abgerungen hatte, wurde auf das Piedestal der nationalen Beweihräucherung gestellt, von wo herab er als strahlender Jüngling und „hehre, hochgemute Gestalt" das Pathos seiner kleinbürgerlichen Festredner jahrzehntelang entzündete. Dieses Pathos hatte sich „emanzipiert“:
war nun es nicht mehr Gewand des Gedankens, die des Gedachten, Gesehenen, Erhöhung Erlebten, Erfühlten, sondern — sich selbst überlassen — unverbindlicher, willkürlicher Wortrausch. Gestalt und Gehalt stehen nicht mehr in echter, unauswechselbarer Verbindung; das Klischee dominiert; der Mensch bewegt sich im Gehäuse der Worte: sinnlos und im Kreise sich drehend; ein Wort gibt das andere, ein Phrase die andere. Die Reden des Schillerjahres 1859 markieren die erste Etappe dieser Entwicklung. Die Festrede Gabriel Rießers etwa umfaßt rund 5000 Worte, darunter etwa 150 Steigerungsformen, meist (grammatikalische) Superlative. Völlig unberücksichtigt sind bei dieser Zahl die inhaltlichen Superlative wie: mächtiges Rauschen, hohes Tönen, gewaltiger Genius und dergleichen mehr. Um deutlich genug aufzuzeigen, daß Schiller edel, erhaben, mächtig, herrlich und unerreicht wäre, wurden die entsprechenden Worte zu rhetorischen Gipfeln aufgetürmt; allein das Wort „hoh" (zusammen mit „hoch", „höchst") taucht sechzigmal auf; ähnlich „edel" etc. Für Rießer und seine enthusiastisch andächtigen Zuhörer war in Schiller „die höchste und edelste Bildung erschienen", die „reine Entwicklung des Natürlichen, die schönste Blüte, die süßeste Frucht; in ihm lebten die zartesten und tiefsten Empfindungen, das reinste Geistigste, die höchsten Mächte und die ursprünglichsten und kindlichsten Gefühle" (und dies alles in einem Satz).
In diesem Sinne ist das „leere Pathos" auch zum Kennzeichen der politischen offiziellen Reden des konservativen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Lagers bis herauf zu Hitler geworden — die deutsche geschichtliche Verirrung verhängnisvoll vorbereitend, fördernd und begleitend. Man vergleiche zur Illustration einmal ein paar Beispiele solcher politischer Rhetorik — den Schwulst der Bilder, die Betäubung des Logos durch mythifizierendes Geraune, die Zerstörung der Begriffskerne, so daß leere Worthülsen allein verbleiben, die Fülle der falschen oder schiefen Genitive, die um hochtrabende Feierlichkeit bemühten Inversionen und all die anderen Stil-und Sprachfigurationen:
„Heute vor sieben Jahren ward auf diesen Feldern des Vaterlandes herrlichster Sieg erkämpft, und die Tausende, welche des Sieges Opfer wurden, gingen fröhlich hinüber zu den freien Vätern, denn sie starben im Gefühl zu bluten für heilige Dinge, für des Vaterlandes Zukunft über ihren Gräbern."
„Seine erste Frage an die ihm zunächst liegenden Verwundeten war gewesen, ob der Feind geschlagen? Und als hierauf ein beseligendes Ja erfolgte, wohin er geflüchtet? „Auf Paris zu'hatte ein Unglücklicher ohne Beine geantwortet: und jetzt hatte er, dem Ewigen dank-bar, bemerkt, daß ihm beide Beine noch waren; vor ihm Paris, hinter ihm Deutschland und die Lazarette, links die Schweiz. Die rechte Hand vom Sturz gelähmt, in der Brust eine Kugel, im Kopfe eine Hiebwunde, im Her-zen Mimili." — „Wenn die Todesnachrichten aus dem Westen einliefen, dann sagten die Väter und die Brüder: viel Trauer, viel Ehr'; und auch den Müttern, den Frauen, den Schwestern blieb im schweren Herzeleid doch der Trost, daß ihrem kleinen Hause ein Blatt gehöre in dem schwellenden Kranze des deutschen Ruhmes.“ — „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter König Etzel sich eirE 2 Namen gemacht haben, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so muß der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen. Wahrt Manneszucht, der Segen Gottes sei mit euch, die Gebete eines ganzen Volkes, meine Wünsche begleiten euch, jeden einzelnen, öffnet der Kultur den Weg ein für allemal!" — „Doch wenn der Morgen kommt mit Schimmerfarben,
zähl ich die Kämpfer nimmer, die verdarben, zähl nur das Leben, segne diesen Krieg, nenn heilig ihn und glaube wieder an der Menschheit Sieg.“ — „Der Geist der Materialschlacht und des Grabenkampfes, der rücksichtsloser, wilder, bru-taler ausgefochten wurde als je ein anderer, erzeugt Männer, wie sie bisher die Welt nie gesehen hatte. Es war eine ganz neue Rasse, verkörperte Energie mit höchster Wucht geladen. Geschmeidig hagere, sehnige Körper, markante Gesichter, Augen in tausend Schrekken unterm Helm versteinert. Sie waren Überwinder, Stahlnaturen, eingestellt auf den Kampf in seiner gräßlichsten Form . . . Ein Bild: der höchste Alpengipfel, ausgehauen zu einem Gesicht unter wuchtendem Stahlhelm, das still und ernst über die deutschen Lande schaut, den Rhein hinunter bis aufs freie Meer."
Die Texte bieten sich in Fülle an; die angeführten exemplarischen Proben sollten auf die immer wieder anzutreffende soziologische und literarsoziologische Herkunft dieser Sprache verweisen: burschenschaftliches Schrifttum (Karl Hase in seiner Festrede auf die Schlacht bei Leipzig, 1820), Trivialliteratür (Heinrich Clauren: „Mimili"), nationale Historie (Heinrich von Treitschke: Zum Gedächtnis des großen Kriegs, 1880), monarchische Verlautbarungen (Wilhelm II. an die 1900 zur Niederwerfung des Boxeraufstandes von Bremerhaven in See gehenden Truppen), patriotische Lyrik (Ludwig Ganghofer: „Eiserne Zither", Kriegslieder 1914), „hohe" Literatur (Ernst Jünger: „Der Kampf als inneres Erlebnis", 1929, und „In Stahlgewittern", 1920).
„Mögen Jahrtausende vergehen, so wird man nie von Heldentum reden und sagen dürfen, ohne des deutschen Heeres des Weltkrieges zu gedenken. Dann wird aus dem Schleier der Vergangenheit heraus die eiserne Front des grauen Stahlhelms sichtbar werden, nicht wankend und nicht weichend, ein Mahnmal der Unsterblichkeit.
Solange aber Deutsche leben, werden sie bedenken, daß dies einst Söhne ihres Volkes waren."
Selbstverständlich steht neben solchem „saueren" auch süßlicher Kitsch: etwa die Kameradschaftsromantik des Soldatenlebens schildernd — im Stil der vergilbten Photographien, die (neben dem Hochzeitsbild hinter die Glasscheibe der Vitrine geklemmt) zu den Utensilien kleinbürgerlicher Idyllik gehörten:
„Wie gestern erst zieht an mir Bild um Bild vorbei, sehe ich mich im Kreise meiner lie-ben Kameraden eingekleidet, dann zum ersten Male ausrücken, exerzieren usw., bis endlich der Tag des Ausmarsches kam."
Auch die Naturromantik kommt nicht zu kurz;
wo könnte sie besser eingeschoben werden als bei der Schilderung der ersten Fahrt zum Rhein, dem „deutschen Schicksalsstrom", des-sen imperialistische Mythologisierung aus der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts hinreichend bekannt ist! Wieder zeigt sich als hervorstechendes Merkmal des Hitlerschen Stils die nachtwandlerische Sicherheit, mit der Hitler jede Platitüde ergreift: „stille Wellen", „Strom der Ströme", „alter Feind", „zarte Schleier des Frühnebels", „milde Strahlen der ersten Sonne", „quoll mir das Herz über" . . .
Die Gestalt der Germania (hier das Denkmal auf dem Niederwald) gehört zu den vielen nationalen Symbolen, die das Bewußtsein des deutschen Menschen im 19. Jahrhundert mitprägen halfen. Man wird dem Germania-Gedicht des Grafen Moritz von Strachwitz dabei besondere Bedeutung zumessen dürfen, weil in ihm die Vielzahl der Assoziationen, die sich für den gebildeten Patrioten dann später bei der „Beschwörung dieser edlen Figur" einzustellen pflegten, vorbereitet wurde: „Land des Rechtes, Land des Lichtes, Land des Schwertes und Gedichtes, Land der Freien und Getreuen, Land der Adler und der Leuen . . ." Was man alles in Deutschland deutsch nenne, — darüber hatte sich J. Fröbel schon 1858 aufgehalten („Deutsche Kraft", .deutsche Treue", .deutsche Liebe", .deutscher Ernst", .deutscher Gesang", deutscher Wein", .deutsche Tiefe", , deutsche Gründlichkeit", .deutscher Fleiß', .deutsche Frauen", — Deutsche Jungfrauen", .deutsche Männer", — welches Volk braucht solche Bezeichnungen außer das deutsche?"
Nach der Schilderung der Stimmung des ersten Gefechts („. . . zischt plötzlich ein eiserner Gruß über unsere Köpfe . . . dröhnt aus zweihundert Kehlen dem ersten Boten des Todes das erste Hurra entgegen ... als der Tod gerade geschäftig hineingriff in unsere Reihen, da erreichte das Lied auch uns, und wir gaben es nun wieder weiter: . Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Weltl'") — nach diesen Stellen eines z. B. aus Beumelburg oder Zöberlein millionenfach bekannten Morgenrot-und Morgenritt-Bardiets wendet sich Hitler im zweiten Teil dieses Kapitels der Lage in der Heimat zu. Damit ist auch stilistisch eine Zäsur gegeben. Es folgt nun — wie so oft in diesem Werk — das, was Goebbels im „Reich" den „Stuhlgang der Seele" nannte: das Schimpfen, ein hemmungsloses Wüten auf Parlamentarier, Juden, Marxisten, auf all jene, die den Dolchstoß in den Rücken der kämpfenden Front geführt hätten (eine Lüge, die zwar Hitler nicht erfand, aber geschickt demagogisch ausnützte)
Der „betrügerischen Genossenschaft der jüdischen Volksvergifter" hätte der Garaus gemacht, sie hätte unbarmherzig ausgerottet werden sollen. „Wenn an der Front die Besten fielen, dann konnte man zu Hause wenigstens das Ungeziefer vertilgen."
barbarischer Trieb wurde mit edelstem Geist garniert — Hölderlin im Tournister. Was bleibt, stiften die Dichter — und die Soldaten.
„Krieg und Kunst ist eine griechische, eine deutsche, eine arische Losung . . . Der Liniensoldat hat seinen Namen von den großen und einheitlichen Linien, in welche sich die Truppen unter normalen Verhältnissen formieren;
das klassische Kunstwerk führt seinen Na-men mit Recht, wenn es seinen individuellen Charakter zur großen und einheitlichen Linienführung, in materieller und geistiger Hinsicht erweitert."
„In der ewig gleichmäßigen Anwendung der Gewalt allein liegt die allererste Voraussetzung zum Erfolg. Diese Beharrlichkeit jedoch ist immer nur das Ergebnis einer bestimmten geistigen Überzeugung ... Im Ringen zweier Weltanschauungen miteinander vermag die Waffe der brutalen Ge-walt, beharrlich und rücksichtslos eingesetzt, die Entscheidung für die von ihr unterstützte Seite herbeizuführen."
Politik und Terror waren in der für den Nationalsozialismus typischen Form miteinander verknüpft. Das 5. Kapitel endet mit der Bemerkung, daß schon während des Krieges Hitler im Kreis seiner Freunde versichert habe, „nach dem Kriege als Redner neben meinem Berufe wirken zu wollen."