Der Glaube an einen großen Sieg auch nur über Frankreich war endgültig dahingegangen. Was blieb, war eine vielleicht günstige Front und Machtstellung beim Auslaufen des Krieges, die das eine oder andere begrenzte Objekt verwirklichen ließ. In einem Ende ohne diese Vorteile war es dann ein Sieg, sich selbst zu behaupten und die Faustpfänder sich mehr oder weniger teuer abkaufen zu lassen. Die große Hoffnung des Umsturzes der Mächtekonstellation, die bis zur Marneschlacht aus eigener Kraft mit Gewalt erreicht werden sollte, blieb nur, wenn einer der Entente-partner zum Bruch mit seinen Verbündeten gebracht würde und einen Separatfrieden mit Deutschland schloß, der eo ipso das Band der Koalition auf immer oder lange zerschnitten hätte.
Und folgerichtig versuchte der Reichskanzler zuerst den Separatfrieden mit Frankreich, denn er glaubte sogar mitten im Kriege an eine Versöhnung mit dem historischen „Erbfeind". Nachdem Frankreich die Wunde von 1870 „wohl verwunden" habe, müsse es — so entgegnete Bethmann Hollweg den annexionistischen Industriellen — nach Möglichkeit geschont werden; es von neuem zu verstümmeln, hieße nichts anderes, als „die unnatürliche Coalition, der wir uns jetzt gegenüberbefänden, zu verewigen"
Dementsprechend glaubte er auch in der Unterredung, in der ihn drei Tage zuvor Tirpitz für die Idee des russischen Sonderfriedens gewann, „den Ausweg mehr über Frank-reich zu suchen als über Rußland"
Einem solchen Versuch stand freilich man-ches entgegen. Nach Tirpitz waren die Franzosen nicht für einen Frieden zu haben, solange sie auf den russischen Bundesgenossen zählen konnten. Schließlich hatten sie dort — nicht zuletzt aus militärischen Gründen — Milliarden investiert, und eben jetzt führte ihnen die Invasion der Deutschen drastisch vor Augen, daß Frankreich auf die historische Politik der östlichen Allianz angewiesen war.
Außerdem bedeuteten die hunderttausend Engländer auf französischem Boden eine Bin-dung an das britische Imperium.
Vor allem hatten die Franzosen gar nicht nötig, sich auf Friedensbesprechungen einzulassen, die ihnen bestenfalls den Status quo versprachen. In jenen Novembertagen, als sich der deutsche Generalstabschef für den Verständigungsfrieden mit Frankreich aussprach, suchte im Wiener Außenministerium Graf Hoyos, nach einem Wege, um französische Politiker für die Idee eines Separatfriedens mit den Mittelmächten zu gewinnen, und zwar unter dem „Eindruck, daß man auch in Berlin ganz gerne bereit wäre, mit Frank-reich zu sprechen und erträgliche Bedingungen zu stellen''. Am 17. November wies Hoyos im Auftrag seines Ministers den k u. k. Gesandten in der Schweiz, v. Gagern. an, eine Persönlichkeit ausfindig zu machen, die hierfür die Vermittlung übernehmen könne; am besten sei es, einem angesehenen Gelehrten zu suggerieren, daß er sich mit einer solchen Aktion Verdienste um die Menschheit erwerben könne. Es gelang dem Gesandten auch, den Pazifisten Alfred Fried zu gewinnen. Aber die Voraussetzungen waren auch nach Hoyos militärische Erfolge der Deutschen in Flandern und in Rußland. Ohne diese sei Frankreich „noch nicht genügend entmutigt", um für irgendwelche Sonderabkommen zu haben zu sein.
Dennoch beschäftigte sich Bethmann Hollweg in den ersten Januartagen mit dem Gedanken an einen französischen Sonderfrieden. Dafür hoffte er, sich einer Figur auf dem europäischen Schachbrett bedienen zu können, die noch des Einsatzes harrte. Der italienische Dreibundpartner verfügte über eine intakte Armee von über einer Million Mann, die zudem noch in ihrer Kampfkraft überschätzt wurde. Mit einem Kriegseintritt Italiens auf selten der Mittelmächte, vielleicht bereits mit der drohenden Bereitschaft dazu, glaubte der Reichskanzler die Franzosen friedenswillig zu machen. Nun suchte die deutsche Diplomatie schon im November 1914 die italienische Regierung zu überzeugen, daß Italien mit wenig Kraftaufwand und geringem Risiko einen „gewaltigen" und „sicheren" Gewinn erreichen könne. „Rom braucht nur die Hand auszustrecken", lockte Zimmermann im Gespräch mit dem italienischen Botschafter
Während die deutschen Bemühungen um eine Preisgabe des Trentino in Wien auf starken Widerstand stießen, empfahl Bethmann Hollweg dem als Sonderbotschafter nach Rom entsandten früheren Reichskanzler, Fürst Bülow, den Italienern vor Augen zu führen, was sie mit einem Kriegseintritt als Dreibundpartner gewinnen könnten
Man mag für solche optimistische Perspektive berücksichtigen, daß sie an die Adresse des zu gewinnenden Italiens gerichtet werden sollte. Dieses hatte schon bei den Dreibundverhandlungen darauf hingewiesen, daß es angesichts seiner langen Küsten der englischen Seemacht nicht gewachsen sei. So mußte ihm Bethmann schon „Erschütterung englischer Weltherrschaft" in Aussicht stellen, obgleich er in seinem Räsonnement vom 19. November — allerdings ohne Italiens Einsatz — damit rechnete, daß England mit Friedensschluß sich im Besitze „einer materiell nicht besiegten Flotte und der nicht gebrochenen Herrschaft über den Welthandelsverkehr" befinden würde. „England gegenüber aber wäre unsere Macht sehr gering."
Das brachte Bülow in seiner Antwort