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Zur Problematik der Appeasement-Politik | APuZ 16/1963 | bpb.de

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APuZ 16/1963 Artikel 1 Zur Problematik der Appeasement-Politik „Dolchstoß" -Diskussion und „Dolchstoßlegende" im Wandel von vier Jahrzehnten

Zur Problematik der Appeasement-Politik

Hans Herzfeld

Parallele zur Gegenwart Der Westen Europas hat in den Jahren 1933 bis 1939 vergeblich versucht, den sehr bald drohenden und dauernd befürchteten Zusammenstoß mit dem Nationalsozialismus durch eine Politik der Kompromisse und Konzessionen zu beschwören. Diese Politik des Appeasement gehört zu jenen Themen in der Geschichte der ersten Jahrhunderthälfte, deren Problematik auch heute noch ungeschwächt lebendig und erregend ist. Die gegenwärtige Koexistenz einer kommunistischen und einer nichtkommunistischen Welt stellt die gleiche Frage, ob der „Gegensatz prinzipieller Vorstellungen vom Menschen und seiner Würde" ob die daraus entspringende „Bürgerkriegssituation" der modernen Welt „Ausnahmefall der Weltgeschichte" und damit ein der Beruhigung durch die Bereitschaft zum Miteinanderleben zugängliches „Zwischenspiel" zu sein vermag. Ist es den Mitteln politischer Behandlung durch Geduld und Entgegenkommen zugänglich, oder muß dieser Versuch der Koexistenz an der Tiefe und Dauer der grundsätzlichen Spannungen notwendig scheitern? In der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unablässig geführten historisch-politischen Debatte über die Beurteilung jener Appeasement-Politik, die Adolf Hitler 1933 passiv zur Macht gelangen ließ und ihm bis 1939 ohne ernsthaften Widerstand gestatte, in steter Steigerung die gewagten Vorstöße seiner Außenpolitik durchzuführen, ist nicht nur dem Historiker die Aufgabe gestellt, die jüngste Geschichte zu „bewältigen", sondern spiegelt sich auch stets die Auseinandersetzung um das noch ganz anders zur Schicksalsfrage gewordene Problem unserer gegenwärtigen Lage: die Frage, ob Koexistenz und Appeasement-Bereitschaft nur einen unzulänglichen, weil den Schwierigkeiten nur ausweichenden „Zynismus einer sogenannten Realpolitik" darstellen, oder ein berechtigtes und zulässiges Rechnen mit dem steten Wandel der weltgeschichtlichen Entwicklung sind, das es in gefestigter eigener Grundposition wagen darf, auch schwere Krisen des Übergangs in der Haltung einer bewußten Defensive zu überdauern.

Eine Betrachtung des Appeasement, die von dieser Parallele ausgeht, ist freilich doppelt verpflichtet, die historische Besonderheit dieses Phänomens der dreißiger Jahre zu beach-ten, die ihm bei allen Zügen der Verwandtschaft mit unserer Nachkriegslage ein durchaus eigenes Gepräge verleiht und jede Analogie nur mit dem Zwang zum Vorbehalt ge-gen eine mechanische Gleichsetzung zuläßt. Wohl kennen auch wir heute jenen Zweifel an der Leistungsfähigkeit der freiheitlichen Demokratie, der die Träger des Appeasement Hans Herzfeld: Zur Problematik der Appeasement-Politik . . Seite Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen: „Dolchstoß" -Diskussion und „Dolchstoß" -Legende im Wandel von vier Jahrzehnten . . . Seite 25 so schwer belastet hat 3), aber die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wie die Erfahrungen von Kriegsende und ersten Nachkriegsjahren haben die Frage der Entscheidung zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur sehr viel grundsätzlicher gestellt als vor 1939. Die Fronten haben sich seit 1945 sehr viel schärfer und härter als zwischen 1933 und 1939 ausgeprägt, und die Warnung vor ihrer Erweichung ist sehr viel wirksamer geworden.

Debatte über den Nationalsozialismus konzentriert sich auf Hitler Auch die Tendenz zur Verkörperung der Diktatur in der Person des Diktators besteht sicherlich nach wie vor und ist durch die sowjetische Debatte um den Personenkult seit dem Tode Stalins nicht etwa aufgehoben. Vor allem bleibt der tiefe Unterschied bestehen, daß der revolutionäre Kommunismus sich seit einem halben Jahrhundert als weltgeschichtliche Kraft ersten Ranges behauptet hat. Die vergleichsweise enge Begrenzung und selbst Hohlheit des Nationalsozialismus ist trotz der augenblicklichen Vehemenz seiner Dynamik in den zwölf Jahren von 1933 bis 1945 nicht zu verkennen; das gleiche gilt vom Faschismus Mussolinis. Beide Bewegungen blieben selbst in ihrem Appell an die populärsten Tendenzen der ersten Jahrhunderthälfte, an den Nationalismus und an einen sehr bezeichnend verkürzten Sozialismus, weit hinter der Intensität zurück, mit der das System des Ostens bis heute immer wieder die Grundfrage nach dem Ordnungsprinzip der sozialen Welt gestellt hat. Die beiden mitteleuropäischen Diktatursysteme bedeuten dagegen deutlicher, als es den Zeitgenossen war, eher einen Versuch, die Sprengkraft einer Fragestellung auszubeuten, die sie gleichzeitig durch weitgehende Kompromisse mit der historischen Überlieferung abschwächten und im Grunde niemals zur vollen Entladung zu bringen gedachten. Die Unsicherheit, mit der die Beobachter der westlichen Welt den Ereignissen in Italien seit 1922 und denen in Deutschland seit 1933 gegenüberstanden, beruhte nicht zum mindesten auf der Tatsache, daß bei diesen mitteleuropäischen Explosionen der Zwischenkriegszeit die auch der russischen Revolution immer wieder entgegengehaltene Frage, ob ihre Ergebnisse nicht durch einen Prozeß fortschreitender Assimilation an die sie bald bedrohende, bald fürchtende Umwelt abgeschliffen werden würden, noch mit sehr viel stärkerer Berechtigung gestellt werden konnte und immer wieder gestellt worden ist. Dementsprechend sind sie auch noch sehr viel mehr als das Urteil über die russische Revolution von dem Urteil über Lenin und später Stalin abhängig geblieben von der Auffassung und Beurteilung ihrer zentralen Persönlichkeiten, des Duce und des Führers, die durch ihre eigene Programmatik Mitlebende wie Nachfolgende zu dieser persönlichen Zuspitzung der Problemstellung geradezu herausgefordert haben.

Bis zum gegenwärtigen Tage gilt vor allem, daß die Debatte über den Nationalsozialismus sich oft genug bis zur überschattung der mit seinen Triumphen verknüpften weiteren Problematik dazu geneigt hat, sich um die Person Hitlers zu konzentrieren. Gewisse populäre Versionen in der Beurteilung des Appeasement sind der Versuchung ausgesetzt, die Schwäche der Reaktion des Auslandes gegen seinen Aufstieg als Entlastung in der Frage des langsamen Auftauchens, der quantitativen Grenzen und der äußeren Erfolglosigkeit des deutschen Widerstandes anzurufen und damit der bedrückenden Frage nach den Ursachen und dem Grade auszuweichen, in denen die deutsche Nation sich für die Bestechung durch seine Schlagworte und Erfolge anfällig erwiesen hat.

Unterschiedliche Urteile des Auslandes

Aber die Kompliziertheit des Problems ist nicht einfach zu leugnen, wenn die Divergenz der noch heute möglichen Urteile des kritischen Auslandes als Maßstab zur Prüfung der Frage herangezogen wird. Gewiß besteht eine vorherrschende Linie in der historischen Beurteilung Adolf Hitlers, die seine bestimmende Bedeutung für den Gang der Ereignisse nicht verkennt. Alan Bullocks noch immer führende Biographie gesteht ihm auch auf dem Felde der Außenpolitik „die Gabe aller großen Politiker" zu, „die Möglichkeiten einer Lage schneller als seine Gegner" zu erfassen, ein „Fingerspitzengefühl" für die gefährliche Beherrschung der Massenemotionen, das ihm bis 1939 eine für den Verlauf der Appeasement-

Politik nicht zu übersehende Einwirkung auf die öffentliche Meinung auch Frankreichs und Englands gestattete. Man kann bezweifeln, ob ihm mit Trevor Roper eine „völlig durchkonstruierte politische Philosophie" zugesprochen werden sollte. Aber der Hinweis dieses Autors auf die Konstanz seiner Zielsetzung seit der Niederschrift von „Mein Kampf" im Jahre 1924 wird durch jedes neue authentische Zeugnis ebenso bestätigt wie seine Feststellung, daß die Kriegserklärung Hitlers an Rußland nicht etwa der „größte Fehler" seines Lebens, sondern die Erfüllung der immer wieder zäh aufgegriffenen Leitidee des „Lebensraumes" gewesen sei. Der Kern der These, daß die Eroberung des Ostens für Hitler „der Traum seines Lebens, der Daseinszweck des Nationalsozialismus" gewesen sei, hat durch die Quellenerweiterung der letzten Jahre immer wieder neue Bestätigung erfahren, auch wenn die Interpretation Trevor Ropers im einzelnen dazu neigen sollte, die Systematik, deren er fähig war, zu überschätzen.

Demgegenüber hat eben erst die weitgehende Zustimmung, die A. J. P. Taylors: Origins of the Second World War gerade in England erfahren hat, gezeigt, wie leicht gerade in diesem Punkte der Beurteilung Hitlers mühsam gewonnene Forschungsergebnisse wieder in Frage gestellt werden können. Gewiß sind die letzten Folgerungen dieses auf Blendung durch Paradoxie gestellten Buches für die ernsthafte historische Betrachtung kaum dis-kutabel. Taylor wild auf die Dauer wenig Zustimmung zu dei Behauptung finden, daß du* Außenpolitik Hillers seit 1933, auch noch iu den Jahren 1938 und 1939, um ein passives Wallen auf von dm Gegenseite gebotene Ge-legenheiten gewesen sei. Er verwechselt die Form im Wesen des Geschehens, wenn er selbst in dasHoßbach-Protokoll vom 5. II. 1937 diese Passiv ilat des opportunistischen Wartens auf Gelegenheiten von außen her hineindeutet, liir die Neville Chamberlain sichet lieh ein gegebener Kandidat gewesen wäre. Der Satz: „Hitler did not make plans — for world conquest and for anything eise. I le assumed, that others would provide for opportunities, and that he would seize them" bedeutet doch schlechthin, d. iß der Sinn dieser pi ogramma! i-sehen Kundgebung mit ihrer gespannten Bereilschalt zum entscheidenden Expansionsvor sloß zur Eroberung des „Lebensraumes" in das Gegenteil verkehrt wild.

Das gleiche gilt von der Beurteilung des von Hitler systematisch vorbereiteten, im entscheidenden Augenblick kaltblütig ausgelösten und bis zur letzten Grenze durchgeführten Anschlusses Osterreichs, wenn Taylor meint:

„Yet he look bis step unintentionally (I). Indeed he did not know that he had Inken 11 (! l)." Die Bewertung des Abschlusses dei So detenkrise in München als Triumph der brittischen Politik entspringt dem gleichen prä-tendierten Realismus eine Geschichtsbetrach-lung, die sich auf die Dokumente hm ult, um sie willkürlich zurechtzuschieben. Und ei schlagt vollends in sein Gegenteil um, wenn schließlich die Katastrophe des Kriegsausbruches mit Polen ) last mich dem Satze dei kleinen Ursachen und großen Wirkungen — auf eine geringfügige Verspätung von Hillers letztem Angebot an England zur ückgeführ I werden soll

Man mag mH dei schallen Kritik Trevor Ropers dem Buch zugestehen, daß es im ein-zelnen eine l ullt'von Kenntnissen und oll auch treffenden unkonventionellen Urteilen mit der Gabe schriftstellerische Paradoxe'und Gaminerie vereinigt, muß aber doch feststellen, daß es eine quellen kiilisch mein als vereinfachende Methode ist, in Hillers Außen politik. mich 1933 die unveränderte Fortset-zung der Linie seiner Vorgänger und in allen Selbstzeugnissen seines Lebens von „Mein Kampl" bis zu den „Bunkergesprächen" nm „Tagträume"; nur die Verallgemeinerungen eines mächtigen, aber unausgebildeten Intel lektes zu sehen, „Dogmen, die das Echo von Unterredungen in einem beliebigen österreichischen Caf oder einem deutschen Bierhaus" dar stellen Der Historiker Taylor, der in der Karikatur Ch. Chaplins das Wesen Hitlers, des mit dem Weltballon spielenden Diktators, erlaßt glaubt, endet mit der unhaltbaren Trivialität, daß der Diktator des Nationalsozialismus mir die allgemeine Im moralität der deutschen Forderung muh Revision des Versailler Friedens geteilt habe, aber nach Grundsatz und Doktrin nicht ruchloser und bedenkenloser gewesen sei als viele andere zeitgenössische Staatsmänner

Unsicherheit In der zeitgenössischen Beurteilung führte zum Appeasement So unhaltbar aber diese „casuistische Verteidigung der Außenpolitik Hitlerssein mag, so sehr ist sie geeignet, in die Unsicherheit einzuführen, mit dei die Zeitgenossen bis 1939 dei Entwicklung des Phänomens Hitler gegenübergestanden haben. Diese Unsicherheit ist als Nährboden des Appeasement eine dei grundlegenden Ursachen Im die Entwicklung diesei Politik gewesen, die nicht aus der rückblickenden Kenntnis des Historikers verdun-kelt worden darf.

Schon die durchaus kritische'und seht ernst-halt zu nehmende Beurteilung Sir Horace Rumbolds im Jahre dei nationalsozialistischen Machtergreifung zeigt das charakteristische Schwanken zwischen Optimismus und Pessi-mismus in der Beurteilung dei deutschen Int Wicklung. Sie registriert sofort muh den Wah-len vom 5. März 1933 daß der „Hurricane"

der nationalsozialistischen Agitation in dieser „bemerkenswertesten Wahl, die je abgehalten wurde", zwar durch den überraschend starken Widerstand der ihren alten Parteien treu bleibenden Wähler moralisch mit einer Niederlage für die Partei geendet habe. Er verhehlt sich aber nicht, daß keine deutsche Regierung seit 60 Jahren eine solche unangefochtene Machtstellung erreicht habe, während der Beurteiler zugleich doch noch seine Hoffnung auf einen Prozeß der „unvermeidlichen Reaktion setzt. So klar der englische Diplomat bald sieht, daß die drei führenden Persönlichkeiten der Partei, Hitler, Göring und Goebbels, „notorisch pathologische Fälle" — vor allem Goebbels, der „Demagoge schlimmsten Typs" — seien, möchte er sich doch damit trösten, daß es Hitlers Außenpolitik in sehr kurzer Zeit fertig gebracht habe, praktisch die ganze Welt gegen sich aufzubringen. Die Erkenntnis, daß es unfair sein würde „Deutschland als Ganzes für die Handlungen seiner gegenwärtigen Regierung zu verdammen", trifft sicher zu, aber ist politisch wenig hilfreich. Obwohl in diesen Berliner Berichten die Einzelelemente der deutschen Lage oft überraschend einsichtsvoll gezeichnet sind, bleibt doch ein Spielraum, der Baldwin an dem Druck auf das verbündete Frankreich festhalten läßt, weil er glaubt, durch den Abschluß einer Abrüstungskonvention die Loyalität Deutschlands auf vier Jahre sicherstellen zu können. Der Nachfolger Rumbolds, Sir Eric Phipps ist noch nach dem 14. Oktober von der Ehrlichkeit der Rede überzeugt, mit der Hitler den Auszug der deutschen Delegation aus dem Völkerbund begleitete, und dämpfte den Glauben, daß die gegenwärtige deutsche Regierung keinen Krieg plane, nur vorsichtig mit der Skepsis, daß der Diktator „ein abnormaler Mann mit einem artistischen Temperament" sei, dessen „vergangene Geschichte keine Garantie für seine Zuverlässigkeit" gebe. Die erste persönliche Begegnung mit Hitler bestärkte ihn noch in der Erwartung, „durch persönlichen Appell an seine Emotionen" auf ihn einwirken zu können. Auch er empfahl daher, Deutschland eine Ruhepause zu gewähren, damit es sich von seinen gegenwärtigen „dancing derwish-state" erholen könne.

Diese Unsicherheit über die letzten Wesenszüge eines Mannes, der sich von Jahr zu Jahr ausschließlicher als Herr des deutschen Schicksals erwies, ist mit wenigen Ausnahmen bis zu der Besetzung Prags im Jahre 1939 bestehen geblieben. Lloyd George war bereit, Hitler als Mann des Geschicks anzuerkennen, und fand keinen Widerspruch gegen seinen Anspruch, daß Deutschland den Ersten Weltkrieg gewonnen haben würde, wenn es nur 1918 durchgehalten hätte. Selbst ein Winston Churchill glaubte noch im Januar 1938 an Hitler mit der Beschwörung durch seine eigene Lei-stung appellieren zu sollen: „Es wäre in der Tat ein verhängnisvoller Schritt, wenn er all das, was er für das deutsche Volk getan hat, zunichte machte, indem er es in einen Krieg führte, der beinahe sicher zu einem Weltkrieg werden müßte."

So erscheint es wenigstens einigermaßen verständlich, daß Neville Chamberlain in Berchtesgaden zwar nicht bestritt, daß Hitler abnormal, unberechenbar und von üblen Ratgebern umgeben sei, aber sich damit ermutigte, sein Eindruck von diesem ehemaligen „Hausanstreicher" sei „eher unangenehm, besonders in der Ruhe und im ganzen sähe er gänzlich ohne Auszeichnung" aus. Dann meinte er aber doch, Hitler sei ein Mann, auf den man sich verlassen könne, „wenn er sein Wort gegeben habe". Es ist ein handgreifliches Fehlurteil — gerade das, was Hitler erreichen wollte —, zu dessen Verständnis man aber an den resignierten Ausbruch des immerhin kritischeren und weniger zur selbstsuggerierten Dauertäuschung neigenden Halifax denken sollte: er suche sich stets der Notwendigkeit zu erinnern, nicht in der Psychologie dieses seltsamen Mannes fehlzugreifen; aber, alles gesagt und getan, taste man die ganze Zeit wie ein Blinder, der seinen Weg über einen Sumpf zu finden versuche, während ihm alle Welt von den Ufern verschiedene Informationen zurufe, wo sich der nächste Gefahrenpunkt befinde. Daladier mochte gelegentlich warnen, daß Mystizismus Geschicklichkeit nicht ausschließe, aber das konnte einen Nevile Henderson weder hindern, mit seinen deutschen Freunden in Hitler immer wieder einen Schutzwall gegen die Extremisten der Nationalsozialistischen Partei zu erhoffen, noch helfen, wenn er dann wieder verzweifelnd zugestand daß der Kanzler niemals und auf niemands Rat höre. Deutschland sei auf Gnade und Ungnade einem pathologischen Individuum ausgeliefert. Daß er in Nürnberg auf der Höhe der Sudetenkrise feststellen mußte, die Form von Hitlers Genialität (Genius) liege an der Grenzlinie des Wahnsinnes („on the borderline of madness“), hat ihm zu einer endgültigen Klärung dieser bei ihm persönlich auch das Jahr 1939 durchziehenden Unsicherheit über die Grundkategorien im Wesen des gefürchteten deutschen Gegenspielers nicht verhelfen können. Es sollte nicht übersehen werden, daß auch ein so feinsinniger Beobachter wie der Schweizer Carl J. Burckhardt noch im August 1939 das Element der „Femininität“ in Hitler unterstrichen und gemeint hat, daß seine prahlerischen Rodomontaden auf die Wurzel der Furcht zurückgeführt werden sollten, wenn man die Schwierigkeit der Deutung des Phänomens im ganzen Umfang ermessen will.

Diese von der Position des rückblickenden Historikers so ganz verschiedene Unsicherheit des Urteils über den Führer des Nationalsozialismus ist eine erste wesentliche Grundlage für die lange Kette von den heute greifbar widerlegten Fehlurteilen gewesen, mit denen die verschiedenen Kreise und Schichten der „Appeaser“ seine verwirrende Laufbahn begleitet haben. Sie beginnen mit englischen und französischen Presseurteilen die 1933 versicherten, Hitler wisse, daß man die Folgen eines verlorenen Krieges tragen müsse, oder annahmen, daß es nach dem Plebiszit an der Saar keine Frage mehr zwischen Deutschland und Frankreich geben werde, während Taylor gegen die historische Widerlegung dieser Illusionen noch heute uneingeschränkt die These der Legalität der Machtergreifung vertritt und seinen kritischeren Fachgenossen vorwirft, daß dies Ereignis dichter als die Ankunft Hengists und Horsas in Kent von Legenden eingesponnen sei; Hindenburg habe seine Ernennung zum Kanzler aus „soliden demokratischen Gründen" vorgenommen. Die englische öffentliche Meinung begrüßte auch 1935 Hitlers Rede über die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht als „großen Beitrag zur Sicherung des Friedens", während die Labour Party durch Herbert Morrison die schüchterne Mahnung Baldwins zur Vorsicht mit der Erklärung beantwortete, daß der Premierminister die Gelegenheit zu einer großen und erhabenen Geste versäume. Die Reaktion dieser Öffentlichkeit auf das Wagnis der Rheinlandbesetzung 1936 ging dahin, daß der Deutsche damit ja doch nur in den Hinter-garten des eigenen Hauses zurückkehre, während die Times erklärte, daß eine klare Verständigung mit Deutschland nicht nur alle Problematik der Welt lösen, sondern auch eine starke Grundlage darstellen würde, „auf der man aufbauen könne". So konnte Neville Chamberlain 1937 wieder das völlig vage Ergebnis des Halifax-Besuches in Berchtesgaden — im Zeitpunkt der Hoßbach-Rede — als „großen Erfolg" ansehen, nämlich daß Hitler ernsthaft bereit sein werde, seine Politik an die englische Vorbedingung von „reaso-nable agreements, reasonably reached" zu binden. Chamberlain meinte, daß Hitlers und Görings Beteuerungen ihrer Abneigung gegen Krieg ehrlich seien: „I think we may take this as correct at any rate for the present."

Nach der auf dem Fuße folgenden Überraschung des erzwungenen österreichischen Anschlusses war es dann zu spät für die außerdem nur vorübergehende Erkenntnis daß Gewalt das einzige Argument sei, das dieses Deutschland verstehe. Denn diese Einsicht war nicht nur mit dem Wissen von der Ohnmacht Englands und Frankreichs verkettet, sondern auch schon wieder mit der Illusion, die Lage Europas werde sich beruhigen, wenn es gelinge, einen weiteren Gewaltstreich in der Tschechoslowakei zu vermeiden; eines Tages könnten dann die „Friedensgespräche" mit den Deutschen wieder ausgenommen werden. Es ist das die unerschütterlich bleibende, persönliche Einstellung des Premierministers gewesen, der erst im Zeitpunkt der grausamen Zerstörung seiner Hoffnungen durch den Prager Staatsstreich im März 1939 vor der Abwendung der öffentlichen Meinung wie seiner Mitarbeiter im eigenen Lande kapitulieren und sich zu der Warnung seiner Birmingham-Rede vom 17. März bereit finden mußte, nach-dem er selbst schon gegenüber den Herausforderungen Hitlers im vorhergehenden Winter geklagt hatte: es brauche zwei, um ein Übereinkommen zu erreichen Aber auch jetzt weigerte er sich doch noch, nach wie vor, endgültig zu resignieren: „As always, I want to gain time, for I never accept the view that war is inevitable" Chamberlain hat noch im Juni des Jahres 1939 bei aller Erschütterung durch die Zuspitzung der deutsch-polnischen Krise über Danzig, die ihn nun endlich selbst an der Möglichkeit zweifeln ließ, den Krieg zu vermeiden, in sehr bezeichnender Weise niedergeschrieben: „Wenn die Diktatoren nur ein bescheidenes Maß von Geduld besitzen würden, könne er sich vorstellen, daß ein Weg gefunden werden könne, den deutschen Ansprüchen gerecht zu werden und zugleich Polens Unabhängigkeit und wirtschaftliche Sicherheit zu retten." Es ist jenes selbe Traumbild, das seine Politik und die Hoffnungen der englischen Nation im Vorjahre auf den Weg von der Vermittlung der Runciman-Mission zu der praktischen Preisgabe der Tschechoslowakei als unabhängiger Staat in München und von München zu der Prager Katastrophe geführt hatte. Appeasement ein Ausdruck der Kriegsgefahr als eines Grundgefühls der Epoche Die ununterbrochene Kette dieser in ihrer Hartnäckigkeit und Konsequenz heute so erstaunlich anmutenden Illusionen und Demütigungen, die zwar die englische Politik in erster Linie bestimmt haben, mit einem größeren Beisatz von Demütigung, Auflehnungsversuchen und Zynismus auch die widerwilligen Kapitulationen des gleichzeitigen Frankreichs charakterisierten, wäre aber nicht verständlich, wenn man sie nur als das nicht zu leugnende und nicht abzuschwächende Versagen der einzelnen Persönlichkeiten, von denen keine das Durchschnittsmaß außenpolitisch verantwortlicher Staatsmänner überragt hat, ansehen würde. Sie alle sind erst verständlich als Opfer einer revolutionären Epoche, die über das Ausmaß der sie fortreißenden Krise in tiefgehender Unklarheit befangen war und von den stürmisch vorwärtsdrängenden Ereignissen der dreißiger Jahre mit wenigen Ausnahmen völlig überrumpelt worden ist. Das geschah gerade durch den Ernst ihres Bestrebens, die Ursachen des Ersten Weltkrieges zu vermeiden und den Ausbruch eines zweiten Weltkrieges in der gleichen Generation zu verhüten. In dieser Haltung aber sind sie Repräsentanten der von ihnen geführten Nationen gewesen. Denn das Appeasement war ein echter Ausdruck für allgemein bestimmende Kräfte der Epoche, denen sie zum Opfer fielen, vor allem der auf diesen Wegen nicht zu beschwörenden revolutionären Gärung in dem kontinentalen Europa der Zwischenkriegszeit. In Deutschland wurde diese Lage durch die Auflehnung gegen den Frieden von 1919, durch die Dauer des inneren Krisenzustandes und die Demagogie der von diesen Bedingungen lebenden Extreme einigermaßen verdeckt. Aber auch hier wurzelte doch die Furcht vor einer Wiederholung der Schrecken des Ersten Weltkrieges sehr tief, die in England und Frankreich bis zum Eintritt der Katastrophe eine der stärksten Kräfte der Zwischenkriegszeit geblieben ist. Sie bestimmte in England die Zähigkeit, mit der man sich bis 1936 an das Programm der kollektiven Sicherheit durch den Völkerbund geklammert und bis 1935 dauernden Widerstand gegen militärische, vor allem landmilitärische Rüstung in jeder Form geleistet hat, weil man an Sicherheit durch den Völkerbund auf Grund gegenseitiger Verständigung der Nationen glaubte, ohne zu einer die einzelstaatliche Souveränität schmälernden kollektiven Streitmacht bereit zu sein. Es ist leicht, heute diese Position zu kritisieren und mit G. M. Young in dem Programm der kollektiven Sicherheit „die sinnloseste der sinnlosen Phrasen" zu erblicken, die jene Generation erfüllt hätten. Die Konservativen sind allerdings gegen sie skeptisch geblieben haben sich aber bezeichnenderweise bis 1936 der Stärke dieser Strömung nicht widersetzen können. Das gilt auch und gerade für das Kabinett der nationalen Koalitionsregierung von 1931 in dem eine besonders große Zahl von ehemaligen Kriegsteilnehmern gesessen hat. Die Folge war freilich, daß man auch in die Abrüstungskonferenz seit 1932 nur mit der Waffe des Appells an die öffentliche Meinung gegen die Ungeduld Deutschlands und das Mißtrauen Frankreichs hineingehen konnte. Chamberlain bedauerte etwa 1934, daß England sich durch diese Lage habe zwingen lassen, zuviel Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten der Abrüstung und zuwenig auf das Problem der Sicherheit zu verwenden, so daß man Hit-lers Vorschlag von zehnjährigen Nichtangriffsverträgen nicht eingehend genug geprüft habe, obwohl die englische Regierung noch immer geneigt sei, sie für aufrichtig zu halten. Das Ergebnis war, daß die führenden Labour-Mitglieder der Regierung, MacDonald und Arthur Henderson, ebenso wie nach ihnen Chamberlain und Halifax gezwungen waren, mit stumpfen Waffen zu arbeiten. Auch wenn man gelegentlich Deutschland als Quelle und Ursprung aller europäischen Wirren und Ängste anklagte und daraus folgerte, daß man nicht allzu schroff („stiff") mit Frankreich umgehen dürfe, blieb man auf dem Wege der steten Anknüpfung von Verhandlungen, das zur tiefen Enttäuschung des französischen Verbündeten mit dem Flottenabkommen von 1935 endete. „Hitlers Germany is the bully of Europe; yet, I don't despair." Auch als Eden, der selbst den Verzicht auf die Sanktionen gegen Italien durchgeführt hatte, Anfang 1938 aus dem Kabinett Chamberlain ausschied, stand er mit seiner Resignation an der Fruchtbarkeit dieser Politik noch in der Minderheit. Hore-Belisha war zwar nach dem Untergang Österreichs schon über die Folgen dieses Ereignisses tief besorgt: England verliere das Vertrauen aller südeuropäischen Staaten. Aber die Befürchtung, Hitler ganz in die Arme Mussolinis zu treiben, die Illusion der Appeasement-Möglichkeit mit Rom, ließ ihn doch für die Politik des Premierministers optieren. Wenn man unbestritten Gespräche führen müsse, warum nicht? So hat er Neville Chamberlain nach seinem eigenen Geständnis bis München seine volle Unterstützung gewährt obwohl er sich schon im Verlauf der Sudetenkrise darüber klar wurde, daß nur noch eine Verschiebung des Unheilstages erreicht werden könne.

überwältigende Friedenssehnsucht der britischen Völkerfamilie Die konservative Skepsis ist aber bei allem dadurch gelähmt worden, daß niemals ein Zweifel an der überwältigenden Friedenssehnsucht der englischen Nation im ganzen bestehen konnte. Das berühmte Peace-Ballot von 1934/35 das unter der Leitung von Sir Robert Cecil dank der Abgabe von 11, 5 Millionen Wählerstimmen die „High Watermark" von Nachkriegspazifismus und Völkerbundsmanie wurde, hat über die Neigung der Nation für „peace by wishing" nicht den geringsten Zweifel gelassen, mit dem man einen „Opportunismus der besten Art" zu betreiben gedachte. Damit hatten sich 27, 9% aller Wähler über 18 Jahre für diese beherrschende Linie der englischen Politik ausgesprochen und im Ausland, gerade auch in Frankreich, schon damals und nicht erst 1938, den Eindruck erweckt, daß England den Frieden um jeden Preis wolle. Die Wahlen des Jahres 1935 gaben zwar den Konservativen 10, 5 Millionen Stimmen und 387 Sitze gegen 154 der Labour Party und damit ein erdrükkendes Übergewicht im Unterhaus, aber die Stimmenzahl von 8, 3 Millionen der Arbeiterpartei und 1, 4 Millionen der Liberalen beweist, daß die führende Partei, wollte sie das Land nicht gefährlich spalten, in ihrer Außen-und Rüstungspolitik keineswegs der Rücksicht auf die mögliche Stärke der Opposition enthoben war.

Weit mehr noch als das weitgehend zur Form gewordene Fortbestehen der nationalen Koalitionsregierung hat diese Kräftelage die Regierung gezwungen, die bis Ende 1938 doktrinär konsequente außenpolitische Haltung der Labour Party als Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zu berücksichtigen. Denn die-se erschöpfte sich in dem ideologischen Festhalten an der Politik der kollektiven Sicherheit, des „Friedens durch den Völkerbund" eines „Kreuzzuges für den Frieden", der auf völlige Abrüstung der nationalen Heere und ihren Ersatz durch eine internationale Polizei drängte und im Kriegsfall mit dem Generalstreik drohte. Auch wenn der linke Flügel des religiös-pazifistischen Lansbury und des für die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion empfänglichen Sir Stafford Cripps auf die Dauer sich gegen Attlee und Bevan, die realistischen Männer der aufsteigenden Generation, nicht durchsetzen konnte, teilten diese vorläufig noch die grundlegenden Illusionen des Parteiprogrammes und traten den konser-vativen Führern der eigenen Regierung mt einem mindestens ebenso tiefen Mißtrauen wie dem Ausland entgegen, während sie gleichzeitig zu radikalem Widerstand gegen das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland aufforderten. Attlee warf in der Krise der Sanktionspolitik während des Abessinienkrieges der Regierung vor, die Ehre des Landes verraten zu haben, erklärte aber noch 1936 wiederholt daß die Regierung mit ihrer Skepsis gegen die kollektive Sicherheit zu Nationalismus und Isolierung Englands zurückkehren wolle und diese Politik nur zu einem Weltkrieg führen könnte. Der im Kabinett verbliebene MacDo-nald mußte stets befürchten, daß die Regierung von der eigenen Partei der Kriegstreiberei beschuldigt wurde. Dabei drängte Attlee selbst so unaufhörlich zum Kriege gegen die Aggressoren, daß ihm Eden ironisch vorhalten konnte, Palmerston verblasse zur Bedeutungslosigkeit neben der kindischen Aufgeregtheit des „right honourable gentleman". Erst 1939 hat sich diese Lage langsam gewandelt. Noch im vorhergehenden Herbst wollte nach der Beobachtung Dirksens „die große Masse nicht kämpfen und war passiv; jetzt hat sie der Regierung gegenüber die Initiative übernommen", eine Erscheinung, die er als „eine ernste Realität" beachtet wissen wollte. Aber wenn 1939 Hore-Belisha selbst im Kreise der Regierung Mühe genug hatte, Chamberlain zu der Einführung der allgemeinen Dienstpflicht zu drängen so stellte sich Attlee der Wehrpflicht noch immer mit dem Argument entgegen, daß sie England nur teilen und schwächen werde; das Land könne als Munitionslieferant seiner Verbündeten und Träger einer starken Luftwaffe nicht auch noch eine starke Landarmee aufstellen — womit er nur ein Argument verwendete, das die Regierung selbst bisher dem französischen Verbündeten gegenüber immer wieder gebraucht hatte.

Zu dieser inneren gewichtigen Belastung kam, daß die seit 1919 bestehende Abneigung der Dominien — mit der einzigen Ausnahme Neuseelands — gegen erneute Verflechtung in einen europäischen Krieg sich noch 1938 mit nicht zu übersehender Deutlichkeit und Schärfe anmeldete Die Politik von München hat die völlige Billigung der Dominien besessen.

Sie haben noch Ende September 1938 Neville Chamberlain durch ihre High-Commissioners sehr ernst darauf hingewiesen, daß ein Scheitern seiner Vermittlungspolitik „einen Krieg heraufführen könnte, für den sie nicht vorbereitet seien, und zwar über einer Frage (issue), der gegenüber viele in ihren Völkern indifferent seien." Der Vertreter Kanadas mochte persönlich über die „Trägheit"

Mackenzie Kings und das unerwartete Bild einer ängstlichen und isolationistischen Regierung Kanadas schelten. Tatsache blieb, daß in den Dominien noch zu diesem Zeitpunkt jede „Kreuzzugsbereitschaft" fehlte und der kanadische Premierminister Chamberlain als den großen Friedensmann, „the great pacifier", rühmte: was Großbritannien in den letzten Jahren getan habe, um Gegensätze zu beruhigen, sei etwas, was die übrige Welt kaum richtig einzuschätzen beginne.

Zweifel an der Weisheit der Friedensmacher von 1919 So gibt die Friedenssehnsucht der Generation nach 1919 den elementar bestimmenden Nährboden der Appeasement-Politik ab. Diese erhält in England ihr besonderes Gewicht durch die bis in den diplomatischen Einzelverlauf entscheidende Enttäuschung der führenden Kreise wie der öffentlichen Meinung an den Ergebnissen der in England vom Augenblick ihrer Entstehung an angefochtenen Friedensschlüsse von 1919 und 1920. Der „Guilt-Complex" ist in einem nicht leicht zu überschätzenden Umfang für die englische Politik seit 1933, gerade in dem Augenblick also, in dem dieses Motiv seine Fruchtbarkeit verlor, maßgebend geworden. A. J. P. Taylor, auch hier im einzelnen nicht übermäßig konsequent, hat das von Locarno bezeichnete Vorspiel dieser Politik als völlig unfruchtbar und verfehlt kritisiert. Locarno G nach ihm der größte Triumph des Appeasement — sofern nicht München ihm diesen Rang streitig macht — habe „Sicherheit für Frankreich" nur „in einer Wolke von Worten" gebracht, die Politik Stresemanns und Briands bis 1930 mit völligem Mißerfolg geendet. „Eine Beruhigung wurde nicht erreicht, im Gegenteil, die deutsche Auflehnung war größer am Ende als im Beginn.“ Aber über die englische Vermittlungslinie in der Locarnophase hinaus hat sich die englische Kritik an den bitteren Früchten des Vertrages von Versailles während der folgenden Jahre — wenigstens in der vorwiegenden Strömung der öffentlichen Meinung — noch immer weiter vertieft, um erst nach einem letzten Höhepunkt im Jahre 1938 dann mit einem schroffen Rückschlag weitgehend zu verblassen. Mit der Kritik am Frieden verband sich lange auch die Kritik an der Politik der englischen Bindungen vor 1914, die ebenfalls erst 1938 ihre Kraft zu verlieren begann, als sich langsam wieder die entgegengesetzte Sorge Bahn brach, den deutschen Gegner vor einer Unterschätzung der englischen Entschlußkraft im Notfall warnen zu müssen.

„Die Engländer dachten tief über die Irrtümer ihrer Politik in den Vorkriegsjahren nach" und fühlten sich dadurch zum Rückfall in stärkere Distanzierung gegen den Kontinent, auch gegen das verbündete Frankreich als den Hauptträger der Versailler Lösung, bestärkt. Auch ein für diese Friedensverträge so verantwortlicher Politiker wie Lloyd George war jetzt in der Fortsetzung seiner schon 1919 deutlichen Zweifel so kritisch gegen die zu Lasten Deutschlands betriebene „Balkanisierung" des östlichen Mitteleuropa, gegen den Chauvinismus der Nachfolge-und Randstaaten, aber auch gegen die Abtrennung Ostpreußens vom Reich geworden, daß diese Lösungen geradezu als „Herausforderung von Geschichte und Vernunft", ihre Berichtigung als das „größte praktische Ziel einer den europäischen Frieden suchenden Diplomatie" erscheinen mochte. Die von Harold Nicolsons Buch über die „Friedensmacher 1919" vertretene Kritik wies in die gleiche Richtung. Und ein selbst mit ihrer Entstehung so eng verbundener Vertreter der Kritik an dem alten Osterreich-Ungarn wie Seton-Watson war der „moralischen Krise" Englands über die Zulässigkeit der Auflösung des Habsburger Staates, dem Zweifel an der Wertbeständigkeit des „unechten Nationalstaates" der Tschechoslowakei zugänglich geworden.

So konnte eine emotional gefärbte Beurteilung zu dem Schlüsse kommen, daß der „Hitlerismus" als Ganzes nur eine Auflehnung gegen die „Erniedrigung" Deutschlands darstelle, Chamberlain ging seit dem November 1937 als Premierminister an die Fühlungnahme mit Deutschland in der Bereitschaft heran, ihm trotz aller Schwierigkeiten in der Kolonialfrage entgegenzukommen, wenn, etwa durch den Verzicht auf Tanganjika, der Weltfriede zu erreichen sei. Wenn sich Lloyd George 1936 in Berchtesgaden überzeugte, daß Deutschland die englische Freundschaft wünsche und wenn ein „neues Locarno" das eigentliche Sehnsuchtsziel der Politik Chamberlains seit 1936 wurde, so hängt das auf das engste mit der für Nevile Henderson noch im Juli 1939 feststehenden Überzeugung zusammen, daß der grundlegende Irrtum nicht in München, sondern in Versailles und durch die ganze von Frankreich gedeckte Politik der Tschechen während der 20 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg begangen worden sei.

Im tiefsten Kern dieser englischen Selbstkritik, die wohl den Höhepunkt des außerdeutschen „Revisionismus" gegen Versailles darstellt, ist freilich noch eine weitere Ursache von entscheidendem Gewicht enthalten: Die Bereitschaft, anzuerkennen, daß das auf liberale Ideen aufgebaute britische Commonwealth sich nicht auf die Dauer und nicht mit gutem Gewissen gegen die Anwendung des Grundsatzes der Selbstbestimmung auch auf Deutschland wenden könne. Hat das die englische Politik schon in der Krise des österreichischen Anschlusses belastet und noch in den Verhandlungen von 1939 über Danzig und den Korridor eine nicht zu übersehende Rolle gespielt, so hat dieses Motiv doch das Höchstmaß seines Gewichtes in dem lang hin-

gezogenen Verlauf der Sudetenkrise von 1938 vor, während und nach der Vermittlungsmission Lord Runcimans erreicht.

In der Anschlußkrise Österreichs setzte man zwar dem deutschen Anspruch, daß es sich „um nichts als eine Familienangelegenheit" handle, den Vorwurf entgegen: das gewaltsame Vorgehen Hitlers habe „dem europäischen Vertrauen(den) härtesten und schwersten Stoß" versetzt. In der Sudetenkrise aber wurde es den Tschechen gegenüber ein Hauptargument Hendersons, er könne nicht sehen, wie die englische Jugend eingesetzt werden solle, um gegen das Prinzip der Selbstbestimmung zu kämpfen, das die Grundlage der Verfassung des britischen Reiches darstelle. Chamberlain hat fast gleichzeitig in den Londoner Debatten mit Daladier das gleiche Argument verwendet. In der anschließenden Krise des August 1938 mahnte der englische Botschafter in Berlin von neuem, es sei „das wahrste britische Interesse, sich auf die Seite der höchsten moralischen Grundsätze" zu stellen — noch mit dem Optimismus, daß eine dadurch erreichte deutsch-englische Verständigung den Weltfrieden für wenigstens eine Generation bedeute. Er gebrauchte dabei in einer fast greifbar von seiner deutschen Umgebung gefärbten Weise eine Art von „Rassen" -These: Teutonen und Slawen seien unversöhnbar, geradeso wie es Briten und Slawen sind. Daher weigerte er sich mit fast leidenschaftlicher Schärfe, einen deutsch-englischen Krieg über die sudetendeutsche Streifrage auch nur als zulässig zu betrachten weil er zwar bereit sei, morgen für eine gute Sache gegen Deutschland zu kämpfen, sich aber weigern müsse, dies für die Sudetenfrage zu tun.

Britische Presse für Ausgleich mit Deutschland

Die viel behandelte Frage des Anteils, den die englische Presse und große Teile der Oberschicht der englischen Gesellschaft an Konzeption und Durchführung der Appeasement-Politik besessen haben, mag im einzelnen zu zusätzlicher Kritik herausfordern, bestätigt aber als ganzes doch nur die Tiefe und Kraft dieser so schwer sterbenden Strömung auch in ihren Illusionen. Mochten in der englischen Öffentlichkeit 1938 Liberale und Sozialisten, Finanz und City zu der Sache der Tschechoslowakei neigen, so hat doch in der großen Presse die entgegengesetzte Strömung das Übergewicht behalten, wenn nicht so explosive Fragen wie die Judenverfolgung Hitlers den englischen Liberalismus allzusehr herausforderten. Es ist sehr charakteristisch, daß auch noch im Jahre 1938 der evangelischeWiderstand gegen Hitler neben den Stimmen der entschiedenen Sympathie auch englischen Zweifeln begegnete, ob nicht etwa Niemöller die Grenzen des Unentbehrlichen und Zulässigen überschritten habe. Die Times meinte: „We in this country have also to obey police instructions of this kind."

Nun hat gerade ihr in enger Verbindung zu Chamberlain stehender Herausgeber, Sir Geoffrey Dawson sich noch 1940 dazu bekannt, daß er immer ein reueloser Verteidiger dessen bleiben werde, was man die Politik von München nenne; im Herbst 1938 hätten fast tägliche Besucher aus Kanada und Australien ihm immer wieder klar gemacht, daß ein Krieg gegen Deutschland zu dieser Zeit von einem Ende des Empires zum anderen mißverstanden und bedauert worden wäre. Das ist freilich schon eine nachträgliche realpolitische Rechtfertigung des eigenen Verhaltens, die der Energie seiner Anwaltschaft zugunsten eines deutsch-englischen Ausgleiches seit 1933 nicht mehr völlig gerecht wird. Die Front großer Blätter, die wie die Times, der Daily Express Lord Beaverbrooks, die Daily Mail Lord Rothermeres, wie Garvin im Observer diese Linie vertreten haben, ist so ausgedehnt, daß hinter dem Gewicht dieser Stimmen ihre Verknüpfung mit engen Kreisen der sozialen Oberschicht, wie des um Lord Lothian und Lady Astor sich sammelnden „Cliveden Set" zwar nicht an Bedeutung verliert, aber doch weniger bezeichnend ist als die Feststellung, daß diese Argumentation bis 1938 einen sehr erheblichen Einfluß auf die Formung der öffentlichen Meinung der englischen Nation besessen hat. Lloyd George und Dawson sonst scharfe Gegner, stimmten doch in der Forderung überein, daß man „Deutschland die volle Gleichberechtigung zu geben" habe. Nicht zum wenigsten diese Presse hat bewirkt, daß die Politik des Appeasement in weitem Maße zur Annahme dessen durch die britische Regierung wurde, was englische Politik nach Hitlers Ansicht sein sollte — zum wenigsten solange auch der deutsche Diktator im Bedarfsfall sich in der Beherrschung der Sprache von Genf als unübertroffener Meister zu zeigen bemühte

Der Höhepunkt dieses Einflusses liegt zweifellos wieder in dem tragischen Schicksal des Appeasement 1938, in dem Times und Observer darin einig waren, daß Großbritannien „niemals daran denken würde, Deutsche und Ungarn unter der tschechischen Herrschaft zu halten", während der Daily Telegraph im Juli und August eine „Großoffensive" von 21 Artikeln mit schärfster Kritik an der Rolle füllte, die Benesch auf der Pariser Friedenskonferenz gespielt hatte. Nachdem der New Statesman als Auftakt zu dem Nürnberger Reichsparteitag am 27. 8 erklärt hatte, daß der strategische Wert der böhmischen Grenze nicht zum Anlaß eines Weltkrieges gemacht werden dürfe, folgte am 7. 9.der berühmte Times-Artikel mit der Aufforderung an die Tschechoslowakei, den Vollzug der Umwandlung in „einen homogeneren Staat" nicht zu verkennen und sich mit der Abtrennung des „Saumes ihrer fremden Bevölkerungen" abzufinden. Selbst Lord Halifax antwortete auf die Beschwerde des französischen Botschafters über diese offene Aufforderung der englischen Politik zur Kapitulation in der Daseinskrise eines befreundeten Staates, es sei für ein angelsächsisches Volk unmöglich, gegen das Selbstbestimmungsrecht zu den Waffen zu greifen. Dawson berief sich gegen das offizielle Dementi der Regierung darauf, daß Lord Halifax privat mit der These des Artikels übereinstimme. Zusammengenommen mit dem Verhalten Hendersons in Berlin und Nürnberg kann es däher kaum erstaunen, daß die englische Regierung 1938 Hitler niemals den Eindruck wirklicher Entschlossenheit machte und daß dieser Eindruck auch 1939 weiter seine verhängnisvolle Nachwirkung ausgeübt hat. Denn wenn die Labour Party schon am 19. 9. 1938 die Politik der Regierung als „schändlichen Verrat eines friedlichen und demokratischen Volkes" angegriffen hatte, mußte dies doch völlig vor dem Jubel verblassen, der Chamberlain begrüßte, als er mit dem Glauben an „Frieden für unsere Zeit" aus München zurückkehrte und die Times ihn feierte: kein Triumphator, der von einem Sieg auf dem Schlachtfeld zuiückkehrte, sei mit edleren Lorbeeren geschmückt gekommen.

Großbritannien hat trotz der Anerkennung der Rheinlinie als seiner militärischen Verteidigungsgrenze bis 1939 an der These oder Illusion festgehalten, seine Verflechtung in die Frage des Kontinents begrenzen zu können. Es bereitete seinem französischen Verbündeten immer wieder die doppelte Enttäuschung, daß es sich weigerte, konkrete militärische Zusagen für den Kriegsfall zu ge-ben und politische Verpflichtungen für den territorialen Besitzstand jenseits der deutschen Ostgrenzen zu übernehmen Unter dem Schutz des Glaubens an die Durchführbarkeit dieses Vorbehaltes hat sich England gewissermaßen den realpolitischen Luxus weitgehend grundsätzlich motivierter Reaktionen auf die Entwicklung des Nationalsozialismus zu leisten versucht, bis die Stunde der bitteren Enttäuschung im März 1939 schlug. Die Dialektik zwischen dem Anspruch Frankreichs auf die führende Großmacht in Europa, dem tatsächlichen Absinken seiner Macht und Leistungsfähigkeit, beides gesteigert durch die Spannungen seiner inneren Krise in den dreißiger Jahren erklären das sehr viel größere Ausmaß von Sprunghaftigkeit, Bitterkeit und Unsicherheit, das die Rolle Frankreichs in der Politik des Appeasement bezeichnet.

Resignation in Frankreich Im Grunde fehlt hier zu jeder Zeit der Optimismus, mit dem man von der englischen Insel her an die Lösbarkeit des deutschen Problems durch eine Korrektur der zugestandenen Fehler des Friedenswerkes von 1919 zu glauben bereit war. Es fehlt im französischen Lager keineswegs an Ansätzen zu der Einsicht, daß die weitgehende Machtstellung von Versailles unhaltbar zu werden drohte. Vor allem empfand man mit oft erschütternder Stärke die Gefahr des Weißblutens der eigenen Nation im Falle eines neuen Krieges gegen den volkreicheren Nachbarn. Daladier, der „Patriot ohne Stärke des Willens", ist zweifellos mit der gleichen Echtheit wie Neville Chamberlain „ein Mann des Friedens bis in den Grund seiner Seele" gewesen, der sich ganz als „alter Frontkämpfer" empfand und eben deshalb 1938 und 1939 zu großen Opfern für die Rettung des Friedens bereit war, um Europa vor der Verödung durch „Kosaken-

und Mongolenhorden" zu retten. Schon 1938 hat er in den englisch-französischen Besprechungen vom 18. 9. in London erklärt, daß er bereits seit Jahren „kein fanatischer Anhänger des Versailler Vertrages" gewesen sei und Frankreich auf keinen Fall durch die Fesseln dieses Friedens in einen Krieg verstrickt sehen wolle. Wenn er sich nur schrittweise und widerstrebend zur Preisgabe der verbündeten Tschechoslowakei hat drängen lassen und dies Verhalten mit dem Interesse des europäischen Friedens rechtfertigte, ist dies für seine Person doch wohl erzwungene taktische Rechtfertigung, die England zum Vortritt auf dieser Bahn zu nötigen versuchte, und echte persönliche Überzeugung zugleich gewesen. Er wie andere Persönlichkeiten der französischen Rechten und der Mitte haben sich nicht gescheut, deutschen Gesprächspartnern ein diskretes Maß von Verständnis für den deutschen Antisemitismus — mit heftigen Angriffen gegen den Chauvinismus jüdischer Kreise, der zum Kriege dränge — zu erkennen zugeben. Noch der letzte Briefwechsel Daladiers mit Hitler beschwor am 25. 8. 1939 die Vision herauf, daß der sicherste Sieg in dem bevorstehenden Kriege nach nur 25 Jahren der Waffenruhe zwischen den beiden Völkern der Triumph „der Zerstörung und der Barbarei" sein werde. Und auch dem amerikanischen Botschafter Bullitt hat er schon im September 1938 nicht verschwiegen, daß nach seiner Ansicht ein Krieg nur die Prophezeiung Napoleons auf St. Helena erfüllen werde, daß die Kosaken Europa beherrschen würden

Die Summe der in der Nation verbreiteten Müdigkeit und Abneigung gegen jeden Krieg ist in Frankreich sicher nicht geringer gewesen als in England. Die Versuche, einen möglichst großen Anteil des 1918 erlangten Status quo auch in dem Prozeß notgedrungener Teilrevisionen des Friedens zu retten, gehen mit überwältigender Stärke auf ein sicherlich echtes und als berechtigt empfundenes Sicherheitsbedürfnis schon in den Jahren zurück, die noch nicht wie 1938 unter dem Druck eines zu spät als überwältigend groß erkannten Rüstungsdefizites standen. George Bonnet ist sicherlich in seiner Vertretung dieses Standpunktes bis zum kaum mehr verhüllten Zynismus gegangen. Aber selbst bei ihm läßt sich gelegentlich der Zug der ehrlichen, radikalen Verzweiflung nicht verkennen, wenn er in einer Privatunterredung nach den französischenglischen Gesprächen des 28. und 29. 4. 1938 im Mai geäußert haben soll: „Machen wir nicht in Heroismus, wir sind dazu nicht in der Lage.

Frankreich kann sich nicht mehr einen Aderlaß wie den von 1914 gestatten."

Schon 1933 zog sich das Land in die Mystik der Maginot-Linie zurück und benutzte diese Zuflucht, um in weitgehender Passivität die Augen vor der Bedeutung des steigenden deutschen Einflusses in Mittel-und Südeuropa zu schließen. Während nur Barthou als letzter Poincare-Schüler Hitlers „Mein Kampf"

gelesen hatte, suchte Daladier, der sein erstes Kabinett wenige Tage nach Hitler bildete, durch die Entsendung Brinons — der im Matin das Bild eines friedliebenden Hitlers entwarf, der vor allem den Krieg vermeiden und eine Verständigung mit Frankreich wollte —• sofort die Fühlung mit dem nationalsozialistischen Deutschland aufzunehmen.

Auch wenn man sich 1938 zu der formellen Warnung aufraffte, daß Frankreich im Falle der Tschechoslowakei zu seinen Bündnispflichten stehen werde, wurden dahinter doch die Zweifel, ob die Hilfe überhaupt wirksam werden könne, auch im Kreise der französischen Regierung so schnell und allgemein deutlich, daß der Protest der französischen Presse gegen das: „Mourir pour la Tchco-Slovaquie" kaum notwendig gewesen wäre, um die innere Hohlheit dieser Demonstrationen der Verzweifelung über die drohende Bloßstellung Frankreichs zu enthüllen. Wenn sich die Mehrheit der Kammer unter dem Einfluß Leon Blums zu der Politik der Vertragstreue bekannte, war es doch ein offenes Geheimnis, daß führende Persönlichkeiten der Rechtskreise wie Pierre-Etienne Flandin ganz offen den Standpunkt vertraten, Frank-reich müsse seine Bindungen in Osteuropa aufgeben und sich hinter die Maginotlinie zurückziehen. Dies war aber keineswegs nur im Defaitismus einzelner Persönlichkeiten und Gruppen, sondern auch in der Masse der Nation eine noch 1938 alles überwiegende Strömung, die der englische Botschafter lapidar dahin charakterisierte, das Beste, was in Frankreich vorhanden sei, sei fast um jeden Preis gegen den Krieg. Er warnte daher, man dürfe die Gefahr nicht übersehen, daß sich ein geschlagenes Frankreich gegen England wenden werde. Hatte er doch eine Äußerung Flandins zu berichten, daß die ganze Bauernklasse gegen den Krieg sei und ihre Herzen nicht bei ihm sein würden, obwohl sie im Falle der Notwendigkeit marschieren würden. Wie er hatte schon vorher Caillaux zu einem Mitglied des Stabes der englischen Botschaft geäußert, Frankreich würde niemals für die Tschechoslowakei marschieren und das ganze Verhalten der Regierung sei nur ein — bisher erfolgreicher — Bluff. Wie die deutschen sind auch englische und amerikanische Beobachter in Paris einig gewesen, daß Frankreich nach den Worten seines Außenministers Bonnet nicht bereit sei, 10 Millionen Menschen für 3, 5 Millionen Sudetendeutsche zu opfern. Die traditionelle Politik in Mittelund Osteuropa besaß im Grunde nur noch vereinzelte Anhänger wie Reynaud, während der Versailler Vertrag oft genug als das „törichtste Dokument" gescholten wurde, das jemals angefertigt worden sei: es gelte gerade so maßgebenden Männern wie Daladier und Bonnet bereits als revisionsbedürftig.

Zum mindesten die fast unverhüllt auf eine Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland rechnenden Rechtspolitiker wie Flandin haben denn auch die Besetzung Prags im März 1939 sofort als eine „irreparable Wendung der Lage" beklagt, die kaum mehr einen Ausweg offen lasse und die Arbeit aller Freunde der Annäherung in den letzten Jahren völlig zerstöre. „Nur etwas ganz . Großes'könne die gegenwärtige Krise überwinden." Er mußte endlich begreifen, welche Antwort Hitler auf seine schon im Frühjahr 1938 gestellte Frage: „Will Deutschland überhaupt verhandeln?" zu geben entschlossen war.

Französische Haltung noch schwankender als die britische Die sicherlich zweideutige Gestalt Bonnets ist sich schließlich doch in einem konsequent geblieben, in der Zähigkeit, mit der er, der Schwäche Frankreichs voll bewußt, bestrebt blieb, einem Zusammenstoß mit dem mächtigen Nachbarn unter allen Umständen aus dem Wege zu gehen. Hatte die Außenpolitik seines Vorgängers Paul-Boncour noch versucht, wenigstens die Würde Frankreichs zu wahren, läßt sich für ihn doch das scharfe Urteil Celovskys nicht widerlegen, daß sein Streben, die Ablehnung der Vertragspflichten gegen die Tschechoslowakei durch den Schleier der englischen Initiative zu verdecken, sich mit völliger Skrupellosigkeit gegen den zuverlässigsten Verbündeten Frankreichs im Osten gepaart hat. Es war nur die Krönung dieser politischen Linie, daß er im Verlauf der Krise von 1938 sich kaum weniger scharf als London gegen die Widerstandsversuche des Präsidenten Benesch wendete und den al-ten Träger des französisch-tschechischen Zusammengehens schließlich mit vollendeter Kälte opferte. Nicht anders als Flandin ist er je länger je mehr zum Repräsentanten einer Politik des Friedens um jeden Preis geworden. Schon in dem Auftakt der Krise von 1938 verstand es Bonnet, dem deutschen Geschäftsträger in Paris deutlich zu machen, daß er sich als den „ausgesprochenen Vertrauensmann" maßgebender konservativer Elemente und Wirtschaftskreise in der radikalsozialistischen Partei betrachtete. Er sprach dem deutschen Geschäftsträger nicht nur Sympathien für deutsches Wesen und Kultur, sondern auch seine Bewunderung für die Stärke und die Errungenschaften des „neuen Deutschlands" aus und suchte fast flehentlich um deutsche Mitarbeit bei der Lösung der tschechischen Frage zu werben. Nimmt man hinzu, daß die deutschen Beobachter in diesem Zeitpunkt behaupteten, auch Francois-Poncet habe in Berlin seine Warnungen vor einem neuen deutschen Gewaltakt in der Form nicht konziliant genug einkleiden und nicht weit genug von Teilen der französischen Presse abrücken können, die eine schärfere Tonart vertraten, daß auch er seine Warnung vor einem „Weltbrand" vor allem mit der Haltung Englands begründete, so begreift man, daß die französische Politik in Berlin 1938 noch weniger den Eindruck der Festigkeit zu machen vermochte als diejenige Londons. Schon Mitte September bedrückte Bonnet der Alpdruck eines Dreifrontenkrieges, den sein Land gegen Deutschland. Italien und Spanien zugleich zu führen habe. Frankreich gedenke diesen Sprung vom Eiffelturm nicht zu tun.

Als er dann auf dem Höhepunkt der Krise nur noch bestrebt war, den Frieden um jeden Preis zu retten, ließ er auch dem englischen Botschafter gegenüber die Maske über die Ausdehnung seiner Bereitschaft zu Zugeständnissen völlig fallen: man müsse sich auf die Notwendigkeit vorbereiten, schrittweise eine friedliche Modifikation mancher Grenzen in Europa zuzugestehen, da der Vertrag von Versailles zusammengebrochen sei.

Gewiß wurde er dann nach der demütigenden Rettung von München langsam besorgt, daß ihm Hitler eine dauernde Abdankung Frankreichs zumuten werde Noch aber scheint er sich als Rivalen gegen Francois-Poncet empfunden zu haben, der gleichfalls Anspruch auf die Vaterschaft der Lösung von München erhob. Er wurde dadurch ebenso wie durch die Eifersucht auf die Chamberlain gegebene Friedenszusage Hitlers in seinem Streben bestärkt, mit London wie Berlin gleichzeitig in Fühlung zu bleiben, weil sich bereits die Gefahr einer Zusammenarbeit der englischen mit der französischen Opposition gegen seine Politik abzeichnete Es ist für Bonnet charakteristisch, daß er dagegen behauptete, 90% der Nation stände noch immer hinter seiner, nur von „Juden und Kommunisten" kritisierten Politik, die auch von zwei Drittel der sozialistischen Fraktion gebilligt worden sei. Offensichtlich hat er auch in den Besprechungen mit Ribbentrop über die deutschfranzösische Erklärung vom 6. Dezember 1938 die von der Voraussetzung ausging, daß zwischen Deutschland und Frankreich „keine Fragen territorialer Art" mehr schwebten, dem deutschen Partner nicht nur seine Bereitschaft zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, sondern auch zu gemeinsamem Kampf gegen „kommunistische Zersetzung" zu erkennen gegeben, überdies glitt er über den Vorstoß des deutschen Außenministers, daß die Militärallianzen Frankreichs im Osten „ausgesprochene Überbleibsel“ des Versailler Vertrages oder der Versailler Mentalität seien, mit der Bemerkung hinweg, daß -sich diese Verhältnisse seit München „grundlegend geändert" hätten. Er hob sogar erneut hervor, daß „die französische Regierung absolut ge-gen den Bolschewismus" sei, und deutete selbst an, er sei „an einer Lösung des Judenproblems sehr interessiert".

Auch wenn er dann gegen deutsche Beschwerden schon in seiner Kammerrede vom 2. Januar 1939 wieder die französische „presence im Osten" anmeldete, konnte dadurch der ermutigende Eindruck seines vollendeten Opportunismus nicht sehr eindrucksvoll abgeschwächt werden. Wenn sich fortan die Warnung auch so weitgehender Vertreter des Zusammengehens mit Deutschland, wie es Flandin und Deat waren, zu häufen begannen obwohl sie noch immer beteuerten, daß das französische Volk nicht für Danzig zu fechten wünsche, so wurde doch ihr Wider-stand gegen den sich nun auch in Frankreich verbreitenden „Kriegsfatalismus" mehr und mehr durch die Erkenntnis matt gesetzt, daß der allgemeine Krieg unvermeidlich bevorstand. Das Ende war dann die subjektiv sehr viel ernstere Klage Daladiers daß er durch die mit der Errichtung des Protektorates Böhmen vollendete Annexion von 7 Millionen Slawen durch Hitler „nicht nur getäuscht, sondern auch ridiculisiert" worden sei, „und mit ihm das ganze französische Volk". Der im Vergleich zu England stets mit halbschlechtem Gewissen verfolgte Lauf der französischen Appeasement-Politik hatte auch innerlich mit einer vollendeten Katastrophe geendet. Diese Politik hatte auf ihrem Weg in die Niederlage durch einen entschlossenen skrupellosen Gegner bis zum Frühjahr 1939 niemals einen Halt gefunden, an dem sie sich grundsätzlich zum Widerstand entschließen konnte. Das ist aber nicht nur mit der unleugbaren Enttäuschung über die Ergebnisse der Pariser Friedensschlüsse von 1919/20, nicht nur mit der Sorge über die England wie Frank-reich hemmenden, für die Demokratie vielleicht normalen innenpolitischen Spannungen und Gegensätze zu erklären, sondern ist eben-so folgenreich dadurch bewirkt worden, daß spätestens mit dem Ausbruch des Spanienkrieges 1936 das gärende Europa der Zwischenkriegszeit in eine akute Phase des das 20. Jahrhundert durchziehenden Bürgerkriegs der Ideen eingetreten war. Demgegenüber zeigte sich die Staatsräson dieser ihrer Zukunft selbst nicht mehr sicheren Demokratie in Westeuropa, in Frankreich noch viel stärker als in England, nicht mehr der Aufgabe gewachsen, eine auch nur leidlich genügende Integration der inneren Spannungen für die Aufgaben der Außenpolitik zu bewirken. Spannungen in der Frage der spanischen Intervention In Großbritannien wird diese kritische Wen-dung, die hier nicht allzu lange dauern sollte und bereits 1939 in der Hauptsache überwunden wurde, dadurch verschleiert, daß die nationale Koalitionsregierung durch das Verbleiben von MacDonald und Henderson im Kabinett die Tragweite der jetzt auftretenden Risse einigermaßen verschleierte. Immerhin begann jetzt auch hier eine Übergangszeit des Klassenbewußtseins in Fragen der Außenpolitik, da die Opposition der Labour Party gegen die vorsichtige Politik Edens auf Intervention drängte und den Konservativen „Vorliebe für die Diktatoren" vorwarf. Der New Statesman erkannte ganz richtig, daß der Kampf für und gegen Franco in das Stadium des Ideenkrieges eingetreten war und dadurch die Nation im Tiefsten zu spalten drohte: „Die Demokratien machen gegen die Diktatoren Front — es ist ein Krieg der Ideen. Die Arbeiter machen Front gegen die Unternehmer — es ist ein Krieg der Klassen." Nicht einmal in den Reihen der konservativen Partei bestand in dieser Frage wirkliche Einheitlichkeit, obwohl der Radikalismus der bedrohten spanischen Republik ihr offensichtlich zum großen Teil tief widerstrebte. Ähnliche Schwierigkeiten sollte dann in England auch die Zusammenarbeit mit der französischen Volksfrontregierung bereiten, so daß die frühere Selbstverständlichkeit der Zusammenarbeit beider Länder während der Leitung des Foreign Office durch Austen Chamberlain und Arthur Henderson doch fühlbar gedämpft wurde. Denn den englischen Konservativen blieb trotz aller Rücksichtnahme Leon Blums — gerade in der Spanienpolitik — das nun einmal radikale Volksfrontexperiment ebenso verdächtig wie seinen Gegnern in Frankreich selbst. Die Vorliebe, die die englische Appeasementpolitik für die direkte Verständigung mit Rom und Berlin zeigte, ist offensichtlich dadurch bestärkt worden, daß in der jetzt ganz überwiegend starken konservativen Partei der „alte Haß gegen den Bolschewismus" — auch mit dem Blick auf Spanien und Frankreich — noch keineswegs erloschen war.

Diese Spannungen haben die sehr viel schwächere Demokratie der französischen Dritten Republik noch sehr viel stärker belastet als Großbritannien. Die Bewegungsfreiheit Leon Blums ist in der Frage der spanischen Intervention nicht nur durch die Rücksicht auf Lon-don, sondern auch durch die Wirksamkeit belastet worden, die Hitlers dauernder Appell zum Kampf Europas gegen den Bolschewismus im eigenen Lande ausübte. Die französische Rechte hat das Kabinett der Volksfront als Regierung der Girondisten und Kopie Kerenskys ganz offen mit dem Schlagwort „Lieber Hitler als Blum" befehdet. Die Rechtspresse begann jetzt, in der Sorge um die soziale Zukunft Frankreichs, den Kampf um die Außenpolitik förmlich als Klassenkampf zu führen und war bereit, für die Anklage empfänglich zu werden, daß Frankreich Europa dem Bolschewismus auszuliefern drohe. Die von rechts wie von links ständig angegriffene Regierung Leon Blums* ist dadurch notwendig um so mehr in das Schlepptau der englischen Spanienpolitik geraten, weil sie in der Zeit der Säuberungen Stalins von Mißtrauen gegen die Stärke Rußlands keineswegs frei war. Ihrem Wesen nach nur eine problematische, stets von Desorganisation bedrohte Koalitionsregierung, sah sie sich dauernd von dem bisherigen Kampf ihrer Führer gegen den bürgerlichen „Klassenstaat" belastet, so daß auch die Leistungen ihrer Sozialreform keine Entspannung der inneren Lage zu bewirken vermochten. Der unverkennbare Zug des Defaitismus, der die französische Außenpolitik der letzten Jahre seit 1937 — und noch die Katastrophe des Jahres 1940 — durchzieht, ist seiner innenpolitischen Wurzel nach auch ein Ergebnis dieser nur äußerlich überbrückten Krise der Dritten Republik gewesen. Furcht vor dem Bolschewismus Unvermeidlich hat aber diese Unsicherheit durch die ideologischen Spaltungen in der westeuropäischen Demokratie zu der Zähigkeit wie zu der Ohnmacht des Appeasement auch dadurch beigetragen, daß sie Churchills Predigt der „Grand Alliance" zwischen Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion bis in die Katastrophe des Hitler-Stalin-Paktes vom 24. August 1939 hinein notwendig mit Unfruchtbarkeit geschlagen hat. Schon in der Spanienkrise hat die heute säkular verständliche, in der Lage vor 1939 aber fast nur als Lähmung der politischen Entschlußkraft wirksame Furcht vor dem Bolschewismus eine erhebliche Rolle gespielt. Sie hat zu einem ständigen Wechselspiel von Mißtrauen und halber Annäherung gegen die so schwer zu enträtselnde Macht des europäischen Ostens geführt. Sie hat die Nationen des Westens vielfach ansprechbar für den Antibolschewis-mus Hitlers gemacht und, verbunden mit der Krise der Stalinschen Säuberung, einigermaßen widerspruchsvoll zugleich zu einer allgemeinen Unterschätzung, wenn nicht der augenblicklichen, so doch sicher der dauernden Stärke des revolutionären Rußland geführt.

Die Empfänglichkeit für die laut proklamierten Absichten des Nationalsozialismus, Deutschland zum Bollwerk gegen den Bolschewismus zu machen, hat schon den Aufstieg der Partei zur Macht begleitet. Die Daily Mail Lord Rothermeres begrüßte bereits den Erfolg der Partei bei den Reichstagswahlen des Septembers 1930 als Verstärkung der Abwehr gegen diese Gefahr. An der gleichen Stelle konnte sich dieses Motiv beim Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund mit der Befürchtung mischen, daß ein rigoroses Vorgehen gegen das Reich nur mit dem Sieg des Kommunismus in Deutschland enden würde. Es war das alte Motiv, das schon die Sieger von 1919 auf der Pariser Konferenz bedrückt hatte. Und auch die Times hatte noch 1934 das gleiche Bedenken. In den kommenden Jahren sei mehr Grund vorhanden, sich für Deutschland zu fürchten, als Deutschland zu fürchten. Die Formulierung von G. M. Young wird im ganzen als zutreffend angesehen werden müssen: „Es gab unzweifelhaft viel Sympathie mit Hitler, und vielen Engländern war die Restauration Deutschlands als eine Schranke gegen den Kommunismus nicht unwillkommen."

Für die Mehrzahl der englischen Konservativen blieb wie für Chamberlain die Sowjetunion ein halbasiatisches Land, das militärisch als unzuverlässig galt und im Grunde eher danach strebte, andere Nationen in Konflikte zu verwickeln, als ihre Freiheit zu verteidigen. Die durch Stalins Säuberung bewirkte militärische Schwäche Rußlands wurde noch 1938 als so groß angesehen, daß der Vertreter Englands in Moskau urteilte: „The Soviet Union must be counted out of European politics." Er befand sich damit in bester Übereinstimmung mit Hitler, der dem ungarischen Außenminister Teleky noch im April 1939 versicherte, Rußland, das eben erst 4 000 Offiziere hingeschlachtet habe, sei praktisch außerstande, Krieg zu führen Der polnische Nachbar der Sowjetunion glaubte sogar noch einen Schritt weiter gehen und auch den Mißerfolg des Fünfjahresplanes vorhersagen zu dürfen: Rußland stehe auf dem Gebiet des Verkehrswesens und der Industrieproduktion vor einer Krise, die es sehr bald — und zwar nicht nur für Monate, sondern für Jahre —• aktionsunfähig machen werde; man stehe vor dem Beginn eines „Kraches" in der ganzen Struktur der Sowjetunion.

Neville Chamberlain ist in dieser Frage bis 1939 nicht nur eine irrende Einzelpersönlichkeit, sondern die Verkörperung tief wurzelnder englischer Besorgnisse gewesen, die in weiterer geschichtlicher Perspektive vielleicht doch nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihres Mißerfolges im Augenblick beurteilt werden sollten. Noch in dem durch Hitler erzwungenen Wendepunkt seiner Politik hat er dies Mißtrauen gegen die letzten Ziele Stalins zum Ausdruck gebracht, dessen Kern durch die spätere Entwicklung nicht einmal widerlegt worden ist: er müsse sich zu dem tiefsten Mißtrauen gegen Rußland bekennen, das er nicht nur mit dem Zweifel an der militärischen Fähigkeit der Roten Armee zur Offensive begründete, sondern in dem er sich durch den Widerstand aller Nachbarn der Sowjetunion von den Balkanländern bis nach Rumänien bestärkt fühlte.

Denn auch er vermochte zu den Motiven des roten Zaren kein Zutrauen zu fassen, die ihm mit gutem Grunde „wenig Verbindung mit unseren Ideen von Freiheit" zu besitzen schienen.

Im Grunde hat er nur widerstrebend sein ursprüngliches Ziel aufgegeben, „eine Einigung Europas ohne Rußland" zu bewirken, dessen Führer er im Verdacht hatte, „alle Drähte (zu) ziehen, um uns in einen Krieg mit Deutschland zu verwickeln"

A. J. P. Taylor kann also mit Recht sagen daß die englische Werbung um Stalin 1939 im Grunde mehr eine Sache der Opposition, der Churchill, Lloyd George und der Labour Party, gewesen sei, während die Regierung ihre tiefe innere Skepsis nie überwunden habe. Hitler sei für viele Konservative erst durch den Pakt mit Stalin zum Verräter an der Zivilisation geworden. Auch Lord Halifax hat sich doch erst sehr schrittweise zu einem Chamberlain vorausgehenden Realismus durchgerungen. Er hat angeblich noch bei seinem Besuch in Berchtesgaden im November 1937 Hitler das Kompliment gemacht, daß er nicht nur in Deutschland selbst Großes geleistet, sondern durch die Vernichtung des Kommunismus im eigenen Lande diesem auch den Weg nach Westeuropa versperrt habe. Noch im November 1938 hielt er fest, daß ein gesicherter Friede in Europa nur durch ein echtes Einvernehmen zwischen Deutschland, Großbritiannien und Frankreich erreicht werden könne. Wohl beginnter jetzt, mit der Möglichkeit eines deutschen Ukraine-Abenteuers zu rechnen, und rät Frankreich daher von einer Preisgabe seines Vertrages mit der Sowjetunion trotz der Gefahr ab, in einen deutsch-russischen Krieg verwickelt zu werden. Rußland sei nun einmal „ein Teil Europas, und wir können seine Existenz nicht ignorieren". Aber selbst darin wird doch noch deutlich, wie schwer ihm der notgedrungene Gang nach Moskau 1939 werden mußte.

Das gleiche gilt im Grunde auch für die französische Politik dieser Jahre, trotzdem sie opportunistisch den Draht nach Moskau nie völlig hat abreißen lassen und 1939 zuletzt stärker auf Zugeständnisse an Stalin drängte, als dies in London gern gesehen wurde. Selbst der Generalstabschef Gamelin war •— gleichzeitig mit dem Geständnis, daß Frank-reich der Tschechoslowakei taktisch nicht helfen könne — geneigt, auf Rußland nur für die Front gegen Japan zu rechnen und zu hoffen, daß es in Europa neutral gehalten werden könne. Es ist ein Wunsch, in dem doch wohl nicht nur militärische Skepsis gegen die Rote Armee, sondern auch gewisse dem faschistischen Italien gegenüber besonders deutliche Untertöne der politischen Reserve mitklingen. Was der Soldat im Beginn der Sudetenkrise noch einigermaßen verhüllt andeutete, hat Bonnet in ihrem Verlauf brutal dahin ausgedrückt, es sei Rußlands einziger Wunsch, einen allgemeinen Krieg anzustiften, um dann in seinen getrübten Wassern fischen zu können Nicht umsonst hatte er bereits Ende 1937, noch als Finanzminister, zusammen mit dem damaligen Premierminister Chautemps auch Papen gegenüber ganz offen erklärt, daß er in den Reihen der radikalsozialistischen Partei mit aller Energie „gegen die bolschewistischen Tendenzen" ihrer Koalitionspartner arbeite und einen deutsch-französischen Interessenausgleich förmlich ersehne. Chautemps hat dies unter Hinweis auf die in Gang kommende „Gesundung" der innerpolitischen Zustände Frankreichs mit dem Appell an Hitler bestätigt, es würde eine „weltgeschichtliche Tat" sein, wenn beide Nationen „die europäische Politik auf eine neue und gesündere Basis stellen würden". Es ist im Grunde schon das gleiche Angebot, das Bonnet auch noch bei den Verhandlungen des Dezember 1938 in Paris wiederholte, wenn er zugestand, daß Frankreich zwar nicht gleichzeitig im Osten den von Ribbentrop geforderten völligen Verzicht leisten und im Mittelmeer Zugeständnisse an Mussolini ma-chen könne, aber doch versicherte, es „werde selbstverständlich keinerlei Politik im Osten treiben, die Deutschland störe". Soviel ist sicher, daß dieser Mann am Quai d'Orsay nur durch eine ausweglose Notlage gezwungen wurde, den Faden der Beziehungen zu Rußland weiterzuspinnen. Auch hierin deckt sich seine Haltung mit derjenigen des Ministerpräsidenten Daladier, der in seiner Kriegssorge vor München (27. September 1938) dem amerikanischen Botschafter beteuert hatte: der einzige Gewinner würden die Bolschewisten sein, da das Ergebnis eines Krieges für jedes Land Europas in der sozialen Revolution und dem Siege des Kommunismus bestehen müsse.

Es ist diese Ahnung von der Unberechenbarkeit des bolschewistischen Rußland als Bundesgenossen, die wie ein roter Faden die Verhandlungen des Jahres 1939 durchzieht. Sie wurde nicht nur durch Polen, sondern ebensosehr durch Rumänien bestätigt, wenn Gafencu bei seinem Londoner Besuch im April 1939 erklärte „Wenn Deutschland gewinnt, würde Rumänien ein Vasall sein. Wenn Rußland gewinnt, würde Rumänien bolschewistisch sein." Das war nicht nur eine exakte Prophezeiung des Kriegsausganges, sondern erklärt auch, warum die leitenden Männer der englischen Politik ihre Werbung um Moskau stets nur mit dem Gefühl innerer Auflehnung ge-gen den Druck geführt haben, mit dem die durch Hitler geschaffene Lage auf ihnen lastete. Halifax klagte daher Anfang Juli: „The Russian business is quite infuriating, it blocks every thing and everybody's nerves", während Strang je länger das hoffnungslose Ringen mit dem zähen Molotow dauerte, desto bitterer empfand, daß diese Verhandlungen im ganzen eine demütigende Erfahrung darstellten. Hitlers Stalinpakt, den vor allem Henderson mit Recht als „verräterischen Zynismus" über jede Grenze der Glaubwürdigkeit hinaus empfand, hat diese innere Reserve im Grunde bestätigt Militärische Schwäche der Westmächte Schließlich tritt die Einwirkung der militärischen Schwäche auf die Politik der Westmächte zumindestens ebenbürtig neben alle bisher erörterten Motive der Appeasement-Politik. Vor allem die Ereignisse der Jahre 1936 (Rheinlandbesetzung) und 1938 (Sudetenkrise) haben dazu geführt, daß diese militärische Schwäche immer wieder als Hauptmotiv für die Haltung der Wsstmächte in den Vordergrund gerückt worden ist. Mehr als einmal ist diese Schwäche als der nahezu ausschließende Grund für den verhängnisvollen Gang der Ereignisse hervorgehoben worden. Es war vor allem Churchills faszinierende Darstellung im ersten Band seiner Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, die unter Berufung auf seinen vergeblichen Kampf für einen rechtzeitigen Beginn der englischen Wiederaufrüstung diesen Gesichtspunkt — in der Gestalt leidenschaftlicher Anklagen gegen die verantwortlichen Persönlichkeiten — eindrucksvoll herausgearbeitet hat.

Will man das Appeasement-Problem als Ganzes verstehen, wird freilich über allem Berechtigten dieser Auffassung nicht übersehen werden dürfen, daß auch die weitgehende Abrüstung der Westmächte — in England aus Grundsatz, in Frankreich aus Friedensbedürfnis und Schwäche — selbst ein Ausdruck der Tendenzen war, aus denen die Appeasement-Politik bis 1939 ihr Übergewicht gegen alle Warnungen behauptet hat. Nicht ohne Grund konnte man sich bis 1935 darauf berufen, daß dank der französischen Armee das eigene Übergewicht gegen das seine Aufrüstung von sehr bescheidenen Anfängen her beginnende Deutschland noch auf Jahre gesichert sei. Erst 1938 erwachte man zu der vollen Erkenntnis des Ernstes der Lage, da jetzt selbst französische Generale beweglich über die Schutzlosigkeit der eigenen Städte gegen die allgemein eher überschätzte Gefahr eines deutschen Luftangriffes klagten und dadurch ihre englischen Zuhörer zu der Folgerung veranlaßten, „daß die Franzosen nicht die Absicht haben, zu kämpfen". In der Herbstkrise des Jahres 1938 konnte sich Bonnet gegen Daladiers Drängen auf Generalmobilmachung darauf berufen, daß nach der Ansicht ihres verantwortlichen Chefs, des Generals Vuille-

min, die französische Luftwaffe binnen 14 Tagen nach der Eröffnung der Feindseligkeiten ausgelöscht sein würde. Es war das Ergebnis dieser demütigenden Erfahrung, daß jetzt auch in Frankreich endlich nicht nur der verspätete Versuch eingeleitet wurde, die eigene Schwäche in der Luft auszugleichen, sondern angesichts der Ernüchterung der an München geknüpften Illusionen der noch immer zögernde englische Bundesgenosse zur Einführung der allgemeinen Dienstpflicht gedrängt wurde, an die sich das englische Kabinett freilich erst im März 1939 nach der Besetzung von Prag, und auch jetzt noch mit stärkstem innenpolitischen Bedenken, heranwagte.

Für Frankreich gilt aber, daß seine tiefe militärische Schwäche in den dreißiger Jahren ein getreuer Ausdruck für die allgemeine Abspannung einer tief friedensbedürftigen Generation ist, die selbst den Verlust der 1919 erreichten kontinentalen Vorrangstellung als Preis für die Erhaltung des Friedens zwar zögernd, aber bei leidlich schonender Durchführung der schmerzlichen Operation doch hinzunehmen bereit war. Die nach der Katastrophe von 1940 so erbittert umstrittene Schwäche Frankreichs im politisch-militärischen Führungsapparat entspricht genau einer die Nation beherrschenden Strömung, gegen die die Armee, objektiv gesehen, doch wohl ohnmächtig war. Nicht nur der die ganze Laufbahn des Verteidigers von Verdun durchziehende Konservativismus Petains, sondern ebenso auch der resignierte Opportunismus von Gamelins Verhältnis zu der politisch verantwortlichen Regierung sind dieser Lage entsprungen. Die Einführung der einjährigen Dienstzeit — gleichzeitig mit dem Herankommen der schwachen Rekrutenjahrgänge aus den Schlußjahren des Ersten Weltkrieges —, ebenso die dauernde Anpassung der strategischen Konzeption an das zum Herrn des militärischen Denkens in Frankreich erhobene System der Maginot-Linie sind der genaue Ausdruck dieses Verhältnisses. Soldaten wie Gamelin mochten diese Resignation schamhaft mit der These verkleiden, daß auch die Defensive nicht so passiv zu sein brauche, wie sie dann im Winter 1939/40 tatsächlich geworden ist. Die Folgerungen der Politik waren unvermeidlich handgreiflicher. Angesichts der Tatsache, daß man von 1930 bis 1934 bei einer Durchschnittsstärke von 560 000 bis 570 000 Mann im französischen Mutterlande nur 375 000 Mann zur Verfügung hatte, wagte sich ein Kriegsminister, Maurin, 1935 damit zu trösten, daß eine französische Offensive nicht mehr zu erwarten und nicht mehr nötig sei: würden wir töricht genug sein, um aus dieser Barriere herauszugehen’für ein, ich weiß nicht welches, Abenteuer? Der Ab-stand zwischen den traditionellen, aber der Nation selbst nicht mehr glaubhaften Ansprüchen der französischen Politik und der Struktur eines ganz defensiven Heeres war schließlich so groß geworden, daß die Katastrophe bei einer ernsthaften Belastungsprobe unvermeidlich war: sie konnte schon 1938 im Grunde kaum mehr verschleiert werden und wurde im Feldzug von 1940 zur unbarmherzigen Tatsache. Der Kapitulationsentschluß Petains war die Konsequenz des von ihm als dem führenden Soldaten der Vorkriegsjahre vertretenen Prinzips der absoluten Defensive eines unbedingt friedlichen Frankreich: „Das grundsätzliche Element der französischen Sicherheit war die durch die Befestigungen geschützte durchgehende Front. Das friedliche und defensive Frankreich kann nur gegen die Motorisierung des Heeres sein (anti-motorisatrice)'', wie er gegen die Reformideen de Gaulles über die Bildung einer Stoßarmee als Instrument der europäischen Politik einwendete

Die militärische Seite der Katastrophe Frankreichs ist vor allem Ausdruck für die Begrenztheit der Kräfte der Nation nach dem Ersten Weltkriege gewesen. Das dauernde Bewußtsein dieser Schwäche hat seine Sicherheitspolitik in dem zähen Ringen für die Deutschland einengenden militärischen Bestimmungen des Versailler Friedens bestimmt. Demgegenüber beruhte die englische „Abrüstung durch Beispiel" auf einem so stark phlegmatischen Sicherheitsgefühl des Inselstaates, daß erst das Heeresbudget des Schatzkanzlers Neville Chamberlain im Jahre 1932 den Tiefpunkt in der Kurve der englischen Rüstungen bezeichnet hat. Die ersten Mahnungen Baldwins zu realistischer Vorsicht nach dem Wiederbeginn des Rüstungswettlaufes wurden 1934 von der Opposition mit der Ablehnung aller Militärausgaben beantwortet. Churchill hat Baldwin den bitteren Vorwurf gemacht, aus wahltaktischen Gründen die Interessen der konservativen Partei über die des Landes gesetzt zu haben. Gewiß trifft es nun zu, daß England seine Abrüstung weit über die Grenze der Sicherheit getrieben hatte, so daß man dies „den bestimmenden Schlüssel" für seine Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen hat nennen können. Auch die Irrtümer Baldwins einschließlich der 1935 dramatisch schnell widerlegten, verhängnisvollen Unterschätzung der deutschen Luftrüstung beruhten aber doch auf einer Reihe von durch die Nation weithin geteilten Voraussetzungen. Gerade die Konservativen sind dem Bedenken zugänglich gewesen, daß Pakte und Konferenzen auf die Dauer nicht Schutz gegen das nationalsozialistische Deutschland gewährleisten würden. Baldwin hat sich immerhin schon 1934 für den Beginn eines stärkeren Ausbaus der Luftwaffe eingesetzt und den Defaitismus eines Sozialisten keineswegs geteilt, der meinte, wenn London drei Nächte hindurch mit Bomben belegt werde, könne nichts eine Revolution verhindern. Der Optimismus Baldwins: No inferiority to any power within striking distance sollte zwar sehr kurzlebig sein, ist aber wahrscheinlich subjektiv ehrlich gewesen. Denn im Gegensatz zu der Beunruhigung von Unterhaus und öffentlicher Meinung nach Hitlers Ankündigung zu Sir John Simon in Berlin (März 1935), daß Deutschland die Parität gegen England in der Luft bereits erreicht habe, meinte die englische Luftwaffe selbst damals noch, daß dies ein bloßer Bluff sei. So konnte der Nachdruck der nun sehr langsam einsetzenden englischen Rüstungen noch bis Ende 1938 ganz auf Flotte und Luftwaffe gelegt werden, über dem allen sollte man aber nicht vergessen, daß Attlee auch jetzt noch die Verteidigungs-

denkschrift der Regierungen als verhängnisvoll und zum Kriege führend bekämpfte, so daß Baldwin bei einem energischen Vorgehen sehr ernsthaft Rückschläge bei künftigen Wahlen befürchtete.

Das Ergebnis dieses Zögerns war dann allerdings 1938 eine Lage, in der Warnungen der Westmächte nach Berlin im Falle eines Krieges nach Hore-Belisha dem Verhalten eines Mannes verglichen werden konnten, der einen Tiger angreifen wolle, ehe er sein Gewehr geladen habe. Bisher war man überzeugt gewesen, daß Flotte und Luftwaffe als Instrument der englischen Politik im Ernst-fall genügen würden, und hatte den Ausbau einer Wehrpflichtarmee nach kontinentalem Muster als einen verhängnisvollen Fehler abgelehnt. Baldwin hat daher bis 1937 diese Lösung so entschieden verweigert, daß Chamberlain noch 1939 größte Scheu hegte, über diese Bin-dung der Partei einfach hinwegzugehen. Er wie der Leiter des Kriegsamtes, Hore-Belisha fühlten sich außerdem durch die Hartnäckigkeit gehemmt, mit er ein Teil der englischen Generale sich — so mit ihrem tiefen Mißtrauen gegen die moderne Bedeutung der Panzerwaffe — an völlig veraltete Traditionen klammerten. So kam es viel zu spät, wenn Lord Halifax Ende 1938 endlich den Schluß zog, die größte Lehre der Krise von München sei die Feststellung gewesen, daß es unweise sei, eine auswärtige Politik bei ungenügender Waffenstärke treiben zu wollen. Es ist bezeichnenderweise diese Argumentation, die ihn zu jenem Schluß veranlaßte, daß man Rußland im Bösen und Guten als Teil Europas beachten müsse und seine Existenz nicht ignorieren dürfe. Aber dieses Eingeständnis eines ihrer Träger, daß die ganze Politik des Appeasement auf brüchiger Grundlage aufgebaut gewesen sei, kam zu spät, um sie noch vor der Katastrophe zu bewahren. Es hebt auch nicht auf, daß dieser Irrtum nicht nur ein Irrtum der Persönlichkeiten, sondern Folge von Überzeugungen war, die den ganzen Gang der Geschichte seit dem Ende des Ersten Weltkrieges weitgehend bestimmt hatten.

Berufsdiplomaten ohne Einfluß Etwas Ähnliches gilt für die Beantwortung der Frage, welche Rolle für die Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkriege die charakteristische und in England besonders stark hervortretende Zurücksetzung der fachkundigen Berufsdiplomatie gegenüber dem politischen Amateur gespielt hat. Lloyd George zu Beginn dieser zwei Jahrzehnte und Chamberlain an ihrem Ende bilden die bekanntesten und dankbarsten Beispiele für den Nachweis dieser Tendenz, die auch in Frankreich eine nicht unwichtige, aber doch begrenzte Rolle gespielt hatte Das persönliche Mißtrauen Neville Chamberlains gegen die Fachleute, voran Vansittart, hat sicherlich die Arbeit des For-

eign Office wesentlich erschwert. Es kann kaum ein Zweifel bestehen, daß der aus dem Arbeitsministerium kommende Sir Horace Wilson „aus den besten Motiven . . .der schlechteste Berater auf dem Felde der Außenpolitik" gewesen ist. Dagegen bereitet das Urteil über die Versetzung Nevile Hendersons von Buenos Aires nach Berlin größere Schwierigkeiten. Es ist daher neuerdings Einspruch gegen seine mitleidig verächtliche Beurteilung als eines bloßen „Nervenbündels" erhoben und darauf hingewiesen worden, daß er durch Vansittart selbst für diesen Posten ausgewählt worden sei. Wer die erdrückende Fülle der Dokumente über seine Tätigkeit in Berlin sorgfältig durcharbeitet, wird mit dem zwiespältigen Eindruck scheiden, daß hier Ahnung der wirklichen Gefahr und verzweifeltes Widerstreben, dieser berechtigten Einsicht ihr volles Gewicht zuzusprechen, in einem mehr als tragischen Kampfe gestanden haben.

Vansittart selbst ist durch seine Rolle in der Kriegszielfrage während der letzten Jahre des Zweiten Weltkrieges für die deutsche Auffassung, fast zu einer Inkarnation des Bösen ge-worden. Schon als er im Januar 1938 durch Chamberlain in die Rolle eines bloßen diplomatischen Beraters der englischen Regierung verwiesen wurde, atmeten die deutschen Diplomaten auf, weil er nun keine direkten Weisungen an die englischen Auslandsvertretungen mehr geben könne und damit praktisch weitgehend kaltgestellt sei. Immerhin hat aber auch er im November 1937 Berlin gegenüber angedeutet, daß England auf die Dauer den Zusammenschluß Österreichs und Deutschlands für unvermeidlich halte, und nur vor den Gefahren des Putschweges dringend gewarnt. Es ist doch durch die Geschichte nicht eigentlich widerlegt worden, wenn er bereits in einer Denkschrift vom August 1933 gewarnt hat, daß die Dynamik der nationalsozialistischen Revolution sehr viel gewaltsamer sein würde als der Faschismus in Italien, und sich daher gegen die von Lord Beaver-brook empfohlene Preisgabe des Bündnisses mit Frankreich zu Wehr setzte. Seine Charakteristik der neuen Lage in Deutschland, die er mit der Entwicklung Rußlands seit 1917, in Parallele setzte — „beide bedeuten die völlige Unterdrückung der Freiheit, beide sind auf dem Terror begründet, beide sind hochfahrende Tyrannis" — hat die tatsächliche Entwicklung besser vorhergesehen als der Optimismus der Appeaser. Schon damals warnte er, es werde schwer sein, Hitler noch aufzuhalten, wenn er seine erste außenpolitische Runde gewonnen habe. Und ebenso hat er Recht behalten wenn er an die Richtigkeit der späteren Berichte über die Angriffspläne Hitlers geglaubt hat und dringend warnte: „Wir sind furchtbar schwach, wir müssen Zeit gewinnen, um stärker zu werden. Nur mit militärischer Stärke werden wir Hitler aufhalten, und im Augenblick besitzen wir sie nicht." Auf jeden Fall stellt auch die von ihm bis 1939 vertretene Linie ein Problem dar, das nicht nur im Lichte der letzten Kriegsjahre beurteilt werden sollte, wenn man nicht gegen die Warnung verstoßen will, Geschichte dürfe nicht rückwärts geschrieben werden, eine Warnung, die nirgends dringlicher ist als für die in der Katastrophe von 1939 endenden Jahre.

Praktisch hat allerdings auch nach englischem Urteil Chamberlain die Außenpolitik der Jahre von 1937 bis 1939 fast diktatorisch bestimmt und selbst Lord Halifax sich im Unterschied zu seinem Vorgänger Eden lange Zeit damit begnügt, die Rolle des „Mechanikers" für ihn zu spielen. So ist der Premierminister selbst dafür verantwortlich zu machen, wenn einer seiner überzeugtesten Helfer, Sir Samuel Hoare, noch am 10. 3. 1939, kaum eine Woche vor Prag, in öffentlicher Rede das goldene Zeitalter des Friedens feierte, in dem ein übernationaler Fünfjahresplan den Wohlstand Europas auf unerhörte Höhe führen würde, und meinte, daß fünf Männer, die drei Diktatoren und die Premierminister Englands und Frankreichs, sich durch ihre Zusammenarbeit zu ewigen Wohltätern des Menschengeschlechts machen könnten.

Ein verzweifelter Versuch zur Rettung des Weltfriedens Die heute so leicht greifbare Selbsttäuschung dieses verspäteten Appeasement-Traumes bedeutet freilich auch einen letzten Hinweis darauf, daß diese Haltung nicht nur als partikularer Ausfluß von Kurzsichtigkeit und Blindheit gegen die Wirklichkeiten der Stunde genommen werden sollte. Sie darf nicht nur nach dem Maßstab von Erfolg und Mißerfolg, nicht nur als Unzulänglichkeit der Personen historisch interpretiert werden. Der reine „Realismus", der diese vergangene Geschichte heute wie eine Schlangenhaut abstreifen und verleugnen möchte, übersieht in solchen Urteilen das Ausmaß der Verflechtung von Realität und Idee in dem Schicksalsweg der Geschichte.

Für den Historiker, der im Individuum die allgemeinen Kräfte der Epoche aufzuspüren sucht, bleibt es noch immer eine lohnende Aufgabe, einmal das zu Unrecht gelegentlich unterschätzte, breite Material der Dokumente, etwa zur englischen Außenpolitik des Appeasement, über die persönlichen Tragödien ihrer beiden vornehmsten Vertreter, Neville Chamberlains und Nevile Hendersons, eingehend nadizuprüfen und die ganze Zwiespältigkeit ihres Schwankens zwischen stets neuen Ansätzen zu realistischer Erfassung der sie bedrohenden Gefahr und immer neuem Siege der Versuchung festzustellen, dieser Gefahr zu entgehen, indem man sie verleugnete.

Schließlich hat man sich auch in London Anfang 1939 der Einsicht nicht mehr einfach verschlossen, daß durch die Fol-gen der eigenen Politik die pax britannica in Mitteleuropa nicht mehr respektiert werde und Großbritannien nicht mehr hoffen könne, der „Polizist Europas" zu sein. Selbst Henderson gestand schon im Oktober 1938 in einem Verzweiflungsausbruch zu, daß er nur „niedergeschlagen und mit einem schlechten Geschmack im Munde" in Berlin arbeite und den Tag seiner Versetzung auf einen anderen Posten begrüßen würde. „Ich wünsche niemals wieder mit Deutschen zusammenzuarbeiten." Es ist vielleicht die beste Verteidigung dieser Politik, wenn Chamberlain im Stadium der spät beginnenden und um so drückenderen Unsicherheit über das Ergebnis seiner persönlichen Bemühungen im Januar 1939 gemeint hat, wenn der Krieg einmal begonnen sei, könne man niemand sagen, wann oder wo er halt machen würde. Man hat darauf hingewiesen daß England seit dem Streit des ersten Jahrzehntes nach 1900 über die radikale Gesetzgebung der Liberalen politisch niemals so zerrissen gewesen sei, wie durch die Debatte über den Vertrag von München, der nicht nur von Liberalen und Arbeiterpartei, sondern auch von einer zunehmend starken Gruppe der Konservativen im Gegensatz zur Mehrheit von Unterhaus und Nation von Anfang an als demütigende Kapitulation kritisiert worden ist. Chamberlain hat sich im Augenblick gegen diese Kritik hartnäckig verschlossen und selbst im März 1939 noch gezögert, die Widerlegung seiner Hoffnungen durch Adolf Hitler als völlig unwiderrufliche Tatsache zu akzeptieren. Aber in dieser seiner persönlichen Schranke ist zusammen mit seinem tragischen, offenen Geständnis bei Kriegsausbruch, daß nun sein ganzes Lebenswerk in Trümmer geschlagen sei, erst die ganze Dop-

pelseitigkeit des historischen Problems enthalten, daß über die Einzelheiten des Verlaufs hinaus doch wohl ein notwendiges Phänomen der revolutionären Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Die Geschichte dieses halben Jahrhunderts würde nicht nur unvollständig, sondern auch ärmer gewesen sein, ohne die Irrtümer dieser verzweifelten Versuche zur Rettung des Welt-friedens in einer Generation, die von 1914 bis 1919 das Erlebnis des modernen Krieges zum ersten Male in seiner ganzen Schwere durchgemacht hatte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. H. Rothfels, Gesellschaftsordnung und Koexistenz, in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, Göttingen 1959, S. 2Ö 1 ff.

  2. Ebenda S. 213.

  3. Vgl. Keith Feiling, The Life of Neville Chamberlain, London 1947, S. 210. 6. VII. 1932.

  4. Alan Bullock, Hitler, A Study in tyranny. New York 1952, S. 345.

  5. Vgl. Kongreß für Zeitgeschichte in München, 24. -27. XI. 1959. Vjh. f. Zeitgesch. 8 (1960), S. 310 ff.

  6. Vgl. neuerdings: Hitlers Zweites Buch Ein Dokument aus dem Jahr 1928, hrsg. durch Gerh. L, Weinberg u. H. Rothfels (Quellen u. Darstellungen zur Zeitgesch 7), Stuttgart 1961.

  7. A. J. P. Taylor, Origins of the Second World War, London 1961.

  8. Ebenda S. 134 11, „an obviousandidate for this Position."

  9. Ebenda S 150.

  10. Eßend. i S, 150, „ The settlement al Munich was a triumph for British policy, which had worked precisely to lins end; not a triumph for Hitler, who had started wilh no such Hear intention."

  11. Ebenda S. 278.

  12. „Hitler may have projected a great wai all along, yet il seems from Ilie end that he became involved In war through launching oii 2t) August an diplomat ic manoeuvre which he ought Io have launched on 28 August."

  13. Vgl. die Kritik Trevor Ropers In. Encounter Nr. 49, . lull 1961, S. 88 - 96.

  14. Das bedeutet nahezu die Rückkehr zu der nach Samuel Hoare (Neun bewegte Jahre, Düsseldorf 1955, S. III) lllller durch Harold Laski gestellten Diagnose: „Hitler ist niemals etwas anderes als ein Symbol gewesen . , . ein zweitrangiger Akteur ohne ein reales politisches Ziel, . . . ohne wirk ließe Begabung lediglich ein Produkt der Verhält nisse", der sich einbilde, „ein deutscher Mussolini zu sein, aber seine Laufbahn in Irgend einem bayerischen Doil" mit prahlerischen Erzählungen in seinem Freundeskreis beenden werde

  15. A.I.P. Taylor, a.a.O. S., 68-71

  16. Trevor-Roper, a.a.O., S. 96

  17. Sir Horace Rumbold, 7. und 14. III. 1933. Documents on British Foreign Policy Second Series, Vol. V (DBFP II, 5) Nr. 258/263.

  18. Ebenda S. 461.

  19. Ebenda H. Rumbold, 30. VI. 1933, Nr. 229.

  20. Ebenda S. 389.

  21. Ebenda S. 617, Nr. 406.

  22. Ebenda Nr. 492. Sir Eric Phipps, Berlin 25. X. 1933.

  23. Ebenda 26. X., Nr. 495.

  24. Vgl. Zitat bei Boris Celovsky, Das Münchener Abkommen 1938 (= Quellen und Darstellungen z. Zeitgesch. 3), Stuttgart 1958, S. 265.

  25. Keith Feiling, a. a. O., S. 365.

  26. „Entirely undistinguished." Ebenda S. 367.

  27. DBFP Third Series, Vol. II (DBFP III, 2) 6. IX. 1938.

  28. Ebenda Nr. 928. Prot. vom 18. IX. 1938.

  29. Ebenda Nr. 560. 30. VII. 1938.

  30. Ebenda S. 649. 10. IX.

  31. DBFP 111, 6 Nr. 659. 11. und 14. VIII. 1939.

  32. Vgl. Bullock, S. 284 ff. über Daily Mail und Matin.

  33. A. J. P. Taylor, a. a. O„ S. 68/69.

  34. Sir Samuel Hoare, a. a. O., S. 122.

  35. Ch. Loch Mowat, Britain between the wars, 1918— 1940. London 1955, S. 564. Urteil von Lord Lothian.

  36. Times 9. III., ebenda S. 565.

  37. Vgl. Feiling, a. a. O., S. 333, und Bullock, a. a. O., S. 336: „It needed remarkable obstinacy, however, to believe this."

  38. Feiling, a. a. O„ S. 341/342.

  39. Ebenda S. 392. 11 XII. 1938.

  40. Ebenda S 461. 19. III. 1939.

  41. G. M. Young, Stanley Baldwin. London 1952, S. 173

  42. Ebenda: „Baldwin never whole-heartedly believed in the League of Nations as an effective force in the affairs of the world."

  43. Feiling, a a. O., S. 248.

  44. Tagebuch Januar 1934. Feiling, a. a. O., S. 251.

  45. Chamberlain 1934, ebenda S. 254.

  46. Feiling, S. 256.

  47. R. J. Minney, The Private Papers of Hore-Belisha, London 1960, S. 101. 20. III. 1938.

  48. Ebenda S. 142 und 151.

  49. Mowat, a. a. O., S. 541 f. — Hoare, a. a. O., S. 116.

  50. Hoare, S. 116. Einschränkend ist aber mit Wheeler-Bennett (Munich, Prologue to Tragedy. London 1948, S. 248) festzustellen, daß zwar 101/2 Millionen von 11, 5 Millionen der Teilnehmer sich für eine radikale Abrüstung erklärten und 91/2 Millionen die Luftwaffe durch internationales Abkommen abschaffen wollten, aber doch 10 Millionen für nichtmilitärische Sanktionen gegen eine Aggressornation und immerhin 6— 8 Millionen im Notfall auch zu militärischen Sanktionen bereit waren.

  51. Spectator, vgl. ebenda S. 541.

  52. Mowat, a. a. O., S. 354.

  53. Vgl. Mowat, a. a. O., S. 538 ff., 548 ff.

  54. Ebenda S 557.

  55. Mowat, S. 569; Feiling, S. 262.

  56. Feiling, S. 270.

  57. Akten zur DeutschenAußenpolitik 1918— 1945 Serie D (ADAP), Bd. VI Nr. 645. Dirksen, London 10. VII. 1939.

  58. R. J Minney, a. a. O., S. 187. Sir Horace Wilson, 28. III. 1939: „On political grounds (conscrip-tion) was impracticable." — S. 194. Chamberlain zu Hore-Belisha, 18 April: „that 1 had bee in my bonnet about .............................. he feit" (mit Hinweis auf die Zusagen Baldwins an die Labour Party") „it would be a very dangerous course to pursue."

  59. Ebenda S. 302.

  60. Hore-Belisha. 20. VIII. 1938. Ebenda S. 138.

  61. Vgl. Nic. Mansergh, Survey of British Commonwealth Affairs. Problems of War-Time Cooperation and Post-War Changes, 1939— 1952 RJJA. London 1958, S. 13 und 15— 16.

  62. A. J P Taylor, S. 53— 54. Vgl. ebenda S. 48: „Appeasement was to have been attempted only in 1938, and by then it was too late."

  63. So Taylor, S. 39.

  64. Vgl. Feiling, S. 246.

  65. Vgl.den Hinweis bei Helmuth K. Rönnefarth, Die Sudetenkrise und die Internationale Politik. Wiesbaden 1961, S. 143.

  66. Feiling, a. a. O., S. 300.

  67. DBFP III, 6 Nr. 337, 17. VII. 1939.

  68. Vgl, Göring 12. III. 1938. ADAP Bd. II, S. 125.

  69. Halifax 16. III. Ebenda S. 138.

  70. DBFP III, 2 Nr. 286, 10. IX. 1938. — Henderson war freilich schon im Frühjahr (ebenda III, 1 Appendix S. 621 ff. Brief an Halifax vom 13. IV.) stets der Überzeugung gewesen, Österreich sei dazu bestimmt, in irgendeiner Form früher oder später ein Teil Deutschlands zu werden. Es sei die „Summe des ganzen Gegenstandes", daß Verhandlungen über Mitteleuropa auf die moralische Basis des Selbstbestimmungsrechtes gestellt werden müßten.

  71. Konversationen vom 18 IX DBFP 111, 2 Nr. 928

  72. Henderson 12. VIII. Ebenda III 3. Nr. 613.

  73. Ders. an Halifax, ebenda Nr. 665, 22. VIII.

  74. Ebenda: „I would fight Germany to-morrow for a good cause, but I refuse to contemplate on doing so for the Sudeten "

  75. Vgl. Alfred Wiener, Untersuchungen zum Widerhall des deutschen Kirchenkampfes in England, 1933— 38, in: On the Track of Tyranny ed. by Max Beloff London 1961, S. 211— 212.

  76. History of the Times IV, 2, S. 1022. 8. XI. 1940.

  77. Mowat, a. a. O., S. 591.

  78. Sir Samuel Hoare, S. 111.

  79. Bullock, S. 284 ff. „The Counterfeit of Peace", besonders S. 308.

  80. Dawson und GarVin vgl. Wheeler-Bennett, S. 63, und Rönnefarth, a. a. O., S. 322 ff.

  81. Rönnefarth, S. 499 f,

  82. Ebenda S. 499 f. und Anmerkungsband S. 242— 244 mit den Anmerkungen 6, 8 und 11.

  83. Wheeler-Bennett, S. 116, Anm. 1.

  84. Times 1. X.; vgl. Wheeler-Bennett, S. 180.

  85. Vgl. G. M. Young, S. 180, und Wheeler-Bennett, S. 32 ff. Baldwin: „When you think of the defence of England, you no longer think of the chalk cliffs of Dover, you think of the Rhine." — Eden (Rede in Lexington, 20. XII. 1936): „Nations cannot be expected to incur automatic obligations save sor ones where their vital interests are concerned." — Lord Halifax im House of Lords, 3. III. 1938: „We are unable to define beforehand what be our atti-tude to an hypothetical complication in Central or Eastern Europe."

  86. Vgl. zusammenfassend: Rud. von Albertini, Zur Beurteilung der Volksfront in Frankreich 1934— 1938. Vjh. für Zeitgesch. 7 (1959), S. 140— 162.

  87. Wheeler-Bennett — nach Pertinax

  88. ADAP Bd. II, S. 258, 25. V. 1938. — — S. 67. DBFP III, 3 Nr. 928.

  89. DBFP III, 3 Nr. 928.

  90. Vgl Celovsky, S 440, nach: Foreign Relations of the United States 1938, Vol. I S. 686 ff.

  91. Wheeler-Bennett, S. 65, Anm. 1 nach P. Lazareff, De Munich ä Vichy. New York 1944, S. 32— 33.

  92. Wheeler-Bennett, S. 232 ff.

  93. Paul-Boncour 4. IV. 1938. ADAP Bd. II. S. 171.

  94. 7. III. 1938 vgl. Wheeler-Bennett, S. 32.

  95. Sir Eric Phipps 24. IX. 1938. DBFP III, 2 Nr. 1075 und 1076.

  96. Phipps 14. VI. 1938. DBFP 111, 1 Nr. 484.

  97. Vgl. Rönnefarth, S. 537, und For. Rei. of the United States 1938, I, S 602.

  98. Bericht Bräuer, Paris 22. III. 1939, ADAP Bd. V, Nr. 69.

  99. Bericht Welczek l. V. 1938. ADAP Bd. II, S. 200.

  100. Ebenda 17. V. Nr. 163, S. 224 ff.

  101. Genfer Britische Delegation 11. IX. Nr. 83. DBFP 111, 2 Nr. 835

  102. E. Phipps DBFP III, 2. 29. IX., Nr. 1206.

  103. ADAP Bd. IV, S. 397.

  104. ADAP Bd IV, S. 405: Feststellung, daß bei dem Besuch von Chamberlain und Halifax nicht nur die Linkspresse, sondern auch die rechtsgerichtete L'Epoque die englischen Besucher scharf kritisierte

  105. ADAP Bd IV, S 409 ff.

  106. Ebenda S. 431.

  107. ADAP Bd. VI, S. 574.

  108. Welczek 12 VII ADAP Bd. VI. Nr. 658.

  109. Mowat, a. a. O., S. 574 ff. und 590 f

  110. Ebenda 1. VIII. 1936.

  111. Vgl. Bullock, S. 323 ff.

  112. Vgl. Albertini, a. a. O., S. 140 ff.

  113. Vgl Bullock, S. 144 f.

  114. Lloyd George in Daily Mail, 13. X. 1933. DBFP 11, 5 S. 680

  115. Taylor, a. a. O., S. 74.

  116. G. M. Young, a. a. O., S. 182.

  117. Mowat, S. 590 f.

  118. Chilton 19. IV. 1938. DBFP 111, 1. Vgl. auch ebenda Nr. 151.

  119. ADAP Bd. VI, Nr. 296. Aufz. Hewel, 29. IV. 1939.

  120. General Stachiewicz. DBFP III, 1 Nr. 411.

  121. Feiling, S. 403, 26. III. 1939.

  122. Tagebuch vom 20. III. 1938. Feiling, S. 347. Vgl. Rönnefarth, S. 573.

  123. Taylor, S. 266.

  124. 19. XI. 1937. ADAP Bd. I, S. 46 f.

  125. An Sir Eric Phipps 1. XL 1938. DBFP HI, 3 Nr. 285.

  126. Pariser Besuch der englischen Regierung vom 24. /25. IV. 1938; vgl. Minney, a. a. O., S. 120 f.

  127. Sir E. Phipps DBFP III, 2 Nr. 751, 2. IX. 1938.

  128. ADAP Bd. I, S. 35.

  129. ADAP Bd. IV, S. 409 ff.

  130. DBFP III, 5 Nr. 285, S. 331.

  131. DBFP 111, 6 Nr. 272. 7. VII. 1939.

  132. Strang 26. VII. 1939. Ebenda Nr. 376

  133. Henderson an Halifax 22. VIII. 1939. DBFP III, 7 Nr 158 — Henderson hatte noch vor kurzem (ebenda Vol 6, S 712. 9 VIII.) gefürchtet, daß ein Scheitern dieser Verhandlungen in Moskau verhängnisvoll sein werde, aber sich an die Hoffnung geklammert, daß eine Regelung mit Deutschland und Italien leichter werden könne, wenn man mit Moskau bei einem ganz farblosen Abkommen enden würde

  134. General Dentz, vgl. Hoare, S. 284.

  135. Vgl. Rönnefarth, S. 625, nach Lazareff.

  136. Ende Januar 1939, vgl. Sir E. Phipps über das Drängen Daladiers. 19. I. 1939. DBFP III, 4 Nr. 52.

  137. Gamelin: Servir Vol. II, S. 12.

  138. Ch de Gaulle, Memoires de Guerre; L’Appel 1940— 1942. Paris 1954, S. 16 f.

  139. Vgl. nach der politischen Seite hin auch die Sympathien Gamelins (Servir II, S. 173) für die faschistische Armee Italiens in der Episode der Stresafront. Eine Parallele zu seinen Besprechungen mit Badoglio stellt auch der Kontakt mit Blomberg und Beck bei ihrer Begegnung in London anläßlich der Krönung Georgs VI. im Mai 1937 dar. Beck und Gamelin (Servir II, 282 ff.) fanden sich in der Sorge, daß ein Krieg das Ende der europäischen Zivilisation bedeuten würde. „Le bolchevisme seul en profiterait". Aber auch Gamelins stets sorgfältig gewahrte konstitutionelle Korrektheit, die jede politische Verantwortung des Soldaten zu vermeiden suchte, weiter seine dauernde Reserve gegen Präzisierung der französischen Verpflichtungen gegen Polen, seine tödliche Sorge vor jedem Mißerfolg im Beginn eines Krieges zeigen, daß die Lähmung der französischen Armee untrennbar mit dem allgemeinen Dilemma der zwischen Resignation und der Fortwirkung anspruchsvollerer Traditionen der französischen Politik in aussichtsloser Zerrissenheit schwankenden Führer der Armee von 1940 zusammenhängt.

  140. Vgl. Taylor, S. 33 und 61.

  141. Sir Samuel Hoare, S. 116.

  142. G. M. Young, S. 36/37.

  143. Ebenda, S. 178.

  144. Wheeler-Bennett, S. 200— 202. — Hoare, S. 120.

  145. G. M. Young, S. 194 f.

  146. R J. Minney, S 146.

  147. Für 1937 vgl. ebenda S. 97.

  148. Ebenda, S. 55.

  149. An Phipps 1. XI. 1938 DBFP III, 3 Nr. 285

  150. Zu der Frage im ganzen vgl. noch immer die das Problem der Diplomatie in der modernen Massendemokratie zuerst in lebendiger Übersicht zusammenfassende Arbeit von Gordon A. Craig und Fel. Gilbert, The Diplomats 1919— 1939 Princeton 1953, vor allem Buch II, S 311 ff.

  151. Mowat, S. 593 ff.

  152. Taylor, S. 92

  153. Hoare, S. 274.

  154. ADAP Bd. II, S. 26.

  155. Memorandum über die gegenwärtige und zukünftige Lage in Europa. 28. VIII. 1933. DBFP 11, 5 Nr. 371.

  156. Ebenda, S. 55.

  157. Hoare, S. 126 f.

  158. G. M. Young, S. 143.

  159. Wheeler-Bennett, S. 329.

  160. DBFP III, 3 S. 563.

  161. An Halifax 6. X. 1938 ebenda.

  162. 12. I. 1939. DBFP 111, 3 Nr. 500.

  163. Wheeler-Bennett, S. 296.

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Hans Herzfeld, Dr. phil., geb. 22. Juni 1892, em. o. Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.