Vier Grundsätze einer Atlantischen Gemeinschaft Es ist interessant zu sehen, daß — mit sehr wenigen Ausnahmen — selbst die eifrigsten Anhänger der Idee einer Atlantischen Gemeinschaft weder klar definiert haben, welche Nationen sie umfaßt, noch gewillt waren, sich darauf festlegen zu lassen, was sie für die beste Form ihrer politischen Organisation hielten. Es scheint mir auch zu diesem Zeitpunkt ebenso naheliegend wie klug, die beiden Fragen nicht dogmatisch zu behandeln. Ich glaube jedoch, daß eine Einigung über bestimmte Grundsätze jetzt schon möglich ist; und ich bin davon überzeugt, daß in verhältnismäßig kurzer Zeit Teillösungen ebenfalls möglich sein werden. Deswegen ist jetzt eine Diskussion sowohl der Grundsätze wie möglichen auch der verschiedenen Lösungen wünschenswert. Es ist unmöglich vorauszusagen, ob die Antwort schließlich in einer klaren Führung, wie sie Jean Monnet bei der höchst erfolgreichen Förderung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gezeigt hat, oder in einer breiter angelegten Diskussion liegen wird, bei der die Öffentlichkeit die Entscheidungen erzwingt.
Im Hinblick auf die Grundsätze, die für die Organisation der Atlantischen Gemeinschaft maßgebend sein sollten, scheint es mir, daß die folgenden wesentlich sind: Erstens sollte die Gemeinschaft jene Nationen Europas und Nordamerikas umfassen, die willens sind, die Rechte und Pflichten auf sich zu nehmen, die aus einer engen politischen Bindung resultieren. Zweitens sollte diese politische Bindung und die Mittel, um sie wirksam zu machen, möglichst wenig spürbar sein, aber doch stark genug, um den wirtschaftlichen und militärischen Abkommen, die geschlossen würden, Festigkeit und eine gewisse Dauerhaftigkeit zu geben. Drittens sollte die Bildung einer Atlantischen Gemeinschaft in keiner Weise eine engere politische Angliederung aller freien Nationen verhindern, sondern vielmehr den Weg dahin öffnen. Sie sollte nicht das Aussehen einer exklusiven Gesellschaft reicher Industrienationen annehmen, sondern vielmehr so gefaßt werden, daß sie von möglichst großem Nutzen für alle jene Nationen in Asien, Afrika, Süd-und Mittelamerika wäre, die eine enger geknüpfte internationale Gesellschaft, gegründet auf gemeinsamen Prinzipien, zu sehen wünschen. Die Nationen Latein-Amerikas haben das Recht auf enge Verbindung mit der Atlantischen Gemeinschaft oder sogar auf Mitgliedschaft, denn das Erbe, das sie verwalten, ist westlich, und die Organisation amerikanischer Staaten basiert auf denselben Prinzipien wie die NATO. Viertens sollte die Gemeinschaft eine gemeinsame Front gegen die kommunistische Aggression bilden. Sie sollte alle jene Elemente der Verschiedenheit bewahren, die eine freie Gesellschaft bereichern, und zugleich sollten ihre Mitglieder nichtsdestoweniger grundsätzlich übereinstimmen im Hinblick auf Prinzipien wie die Würde des Individuums, die Rolle des Staates als Diener und nicht Beherrscher des als Volkes und die Achtung vor einmal angenommenen Rechtsnormen zur Regelung internationaler Streitigkeiten, die zu ernsten Spannungen oder zum Krieg führen könnten.
Europäische politische Union und Atlantische Gemeinschaft können zugleich geschaffen werden Der Vertrag von Rom, der im März 1957 unterzeichnet wurde und im Januar 1958 in Kraft trat, schuf die Europäische WirtschaftsGemeinschaft, die Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg umfaßt. Ihre Gründer sahen besondere politische Vereinbarungen vor, die aus der neuen Gemeinschaft eine starke politische Einheit machen sollten. Es ist noch nicht sicher, wieviele der europäischen Nationen die Vollmitgliedschaft in der EWG erwerben werden, noch auch wie weit sie in Richtung auf die politische Einheit kommen wird. Sie besitzt jedoch bereits Institutionen, die zur Lösung wirtschaftlicher Fragen geschaffen, leicht so erweitert werden könnten, daß sie in der Lage wären, eine begrenzte Anzahl politischer Fragen zu behandeln. Westlichen demokratischen Traditionen entsprechend, gleichen diese Institutionen denen der meisten demokratischen Nationen darin, daß sie exekutive, gesetzgebende und rechtsprechende Funktionen haben. Wie jedoch das besondere Gewicht jeder Nation in diesem Rat durch den Beitritt neuer Nationen verändert wird, ist noch problematisch. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird die Legislative gebildet von Parlamentariern, die durch die nationalen Parlamente gewählt wurden, ähnlich wie die Senatoren in den USA früher von den gesetzgebenden Körperschaften der einzelnen Staaten gewählt wurden. Der Vertrag von Rom sieht jedoch vor, daß sie zu einem noch unbestimmten späteren Zeitpunkt durch direkte Wahl innerhalb der sechs zusammengeschlossenen Staaten bestimmt werden sollen. Die Legislative, das sogenannte Europäische Parlament, kann Rechenschaftsberichte von der Exekutive verlangen, um sie zu diskutieren und geeignete Empfehlungen zu geben. Gespräche mit führenden europäischen Politikern und anderen Persönlichkeiten, die sich mit der Frage befaßt haben, wie eine größere Einheit zu erreichen wäre, haben mir gezeigt, daß der größte Teil von ihnen davon überzeugt ist, Europa müsse zuerst seine eigene politische Integration erreicht haben, ehe es mit Kanada und den Vereinigten Staaten in die Diskussion über den besonderen verfassungsrechtlichen Charakter einer größeren Atlantischen Gemeinschaft eintreten könne. Sie alle sind sich bewußt, daß Kanada und die USA durch ihre Mitgliedschaft in der NATO bereits verpflichtet sind, in weitem Umfang die militärische Sicherheit Europas zu garantieren (wobei den Vereinigten Staaten ganz offensichtlich die Führungsrolle in dieser militärischen Allianz zufällt). Sie sind aber trotzdem der Meinung, daß das politische Verhältnis dieser beiden Länder Nordamerikas zu Europa (abgesehen von der militärischen Allianz) nicht zur Diskussion gestellt werden sollte, bis die wichtigsten europäischen Nationen so weit integriert sind, daß sie zu dieser Frage in voller Einstimmigkeit Stellung nehmen können. Dasselbe gilt für den wirtschaftlichen Bereich, obwohl hier die Bedingungen ihrer wirtschaftlichen Partnerschaft schon jetzt festgelegt werden müssen, ohne Rücksicht darauf, welche Form ein möglicher wirtschaftlicher Zusammenschluß Nordamerikas mit Europa annehmen könnte. Kanada und die Vereinigten Staaten sind beide Mitglieder der OECD, aber diese ist grundsätzlich darauf beschränkt, Empfehlungen abzugeben.
Die Gefühle der Europäer in dieser Hinsicht sind völlig verständlich. Als Einheit, so glauben sie, werden sie in der Lage sein, mit den nordamerikanischer Ländern auf gleicher Basis verhandeln zu können. Dadurch werde wahrscheinlich eine viel dauerhaftere Art von Partnerschaft zustandekommen. Ich glaube, daß die jetzige Regierung der Vereinigten Staaten die gleiche Ansicht vertritt, die neuerdings als die „Hantel" -Konzeption bezeichnet wird, womit man zum Ausdruck bringen will, daß eine wirtschaftliche oder politische Allianz in sich festgefügter ist, wenn die beiden Partner, die sie bilden, von gleichem Gewicht sind.
Ich selbst glaube, daß die europäische Integration und die Besprechungen über die Bildung einer echten Atlantischen Gemeinschaft nahezu parallel nebeneinander her laufen können.
Schwierigkeiten auf dem Wege zur atlantischen Einigung Sollten sich die gegenwärtigen Bemühungen um eine politische Integration Europas festfahren, müßte man die Situation noch einmal überprüfen. Zur Zeit liegt die Gefahr, daß dieses eintreten könnte, in den sehr realen Differenzen, die jetzt innerhalb der EWG selbst aufgetreten sind. General de Gaulle hat klar zum Ausdruck gebracht, daß er nur ein „Europa der Vaterländer" unterstützen wird, womit er vermutlich eine lockere Föderation meint, in der jeder Staat seine völlige Souveränität behält und keiner supranationalen Behörde das Recht zuerkannt wird, bindende Beschlüsse durch entsprechende Abstimmung zu fassen. Diese Ansicht wird von einigen Kreisen in Deutschland und Italien geteilt. Das wird auch in Großbritannien der Fall sein, wenn es der EWG beitritt. Aber diese Auffassung stimmt nicht überein mit der grundsätzlichen Politik Bundeskanzler Adenauers und wird auch von den BENELUX-Staaten abgelehnt, die eine ausgeprägtere Form des Föderalismus für nötig halten.
Welche Haltung Frankreich letztlich zu dieser Frage einnehmen wird, läßt sich schwer voraussagen, aber es ist sehr interessant festzustellen, daß fünf Mitglieder des Kabinetts de Gaulle im Mai 1962 von ihren Ministerposten zurücktraten, weil sie mit Präsident de Gaulle gerade in diesem Punkte nicht übereinstimmten. Hinzu kommt noch, daß die französische Regierung, als der Außenminister im Juni 1962 in der Nationalversammlung einen Abriß der französischen Außenpolitik gab, ein zustimmendes oder ablehnendes Votum.der Na-tionalversammlung in dieser Frage verbot. Daraufhin verließ fast die Hälfte der Parlamentarier den Saal. Dieser Auszug wird allgemein dahin ausgelegt, daß die Legislative mit Präsident de Gaulle weitgehend uneins ist in der Frage der engeren europäischen politischen Union.
Da Kanada unser bedeutendster Handelspartner ist, hat seine Einstellung zum Gesamt-problem einer Atlantischen Gemeinschaft für die Vereinigten Staaten außerordentliche Bedeutung. Die jüngsten Wahlen haben wenig Aufschluß über die kanadischen Vorstellungen gegeben. Ich hoffe aber dennoch, daß die nationalistischen Gefühle in Kanada, die in den letzten Jahren so häufig ihren Ausdruck in einer anti-amerikanischen Haltung gefunden haben, unsere beiden Länder nicht daran hindern werden, eine weitgehende Überein-stimmung bezüglich der Rolle zu erzielen, die wir am besten gemeinsam bei der Entwicklung einer Atlantischen Gemeinschaft spielen können.
Eine ähnliche Schwierigkeit ergibt sich in bezug auf Japan, das wir davon überzeugen müssen, daß die Schaffung einer Atlantischen Gemeinschaft sich nicht abträglich auf Japans berechtigte Hoffnungen auf Einbeziehung in solche Handelsabkommen auswirken wird, die sich letztlich aus den Verhandlungen zwischen dem Gemeinsamen Europäischen Markt und den Vereinigten Staaten ergeben werden.
Atlantische Gemeinschaft und Entwicklungsländer Es ist absolut notwendig, daß wir den weniger entwickelten Gebieten der Welt klar machen, wie wertvoll für sie ein engerer Zusammenschluß der Industriestaaten der Atlantischen Gemeinschaft sein kann. Sie werden künftig, wie auch bisher schon, ständig Angriffe der kommunistischen Mächte gegen den Gemeinsamen Markt und gegen die Länder der Atlantischen Gemeinschaft vernehmen, genauso wie Stalin vor 15 Jahren den Marshall-Plan beschimpft hat. Uns wird zwar häufig vorgehalten, wir seien zu empfindlich in bezug auf die Meinungen kleinerer Nationen mit geringem Einfluß. Ihre Meinung kann aber in einer solchen Angelegenheit nicht ignoriert werden, falls sie einmal Grund zu der Annahme hätten, sie würden durch Maßnahmen der Atlantischen Gemeinschaft benachteiligt werden. Darin liegt nämlich eine echte Gefahr.
Wenn andererseits unsere Verhandlungen mit dem Gemeinsamen Markt erfolgreich sein sollten und wenn eine Atlantische Gemeinschaft zustande kommen würde, müßte sich eine solche Entwicklung zum Vorteil für andere Staaten auswirken. Welche Gestalt auch immer die Atlantische Gemeinschaft haben wird, sie kann einfach keine exklusive Organisation werden. Politische und militärische Faktoren können und müssen sogar die atlantischen Völker enger zusammenführen, damit sich die eigene Stärke und ihr Wohlstand erhöht; doch darf sich das nicht zu einem Instrument gewollten oder nicht gewollten wirtschaftlichen Druckes auf schwächere Nationen auswirken. Die Atlantische Gemeinschaft muß so beschaffen sein, daß das eigene Wachstum in Handel und Wohlstand seinen Niederschlag findet im gegegenseitigen Nutzen für alle Entwicklungsländer der Welt, und das nicht nur durch gesteigerte Hilfeleistungen, sondern auch auf dem noch wichtigeren Gebiet einer Handels-ausweitung. Ich kann nicht nachdrücklich genug betonen, wie wichtig diese Erwägungen für uns bei den Verhandlungen mit dem Gemeinsamen Markt sein müssen.
Auswirkungen auf die Vereinten Nationen Unterstützung der Vereinten Nationen bleibt ein Axiom der amerikanischen Außenpolitik, das in der öffentlichen Meinung einen starken Rückhalt findet. Aus diesem Grunde wird die Reaktion der amerikanischen Öffentlichkeit auf die Idee einer eng verknüpften Atlantischen Gemeinschaft weitgehend davon abhängen, ob das amerikanische Volk glaubt, daß die Schaffung einer derartigen regionalen Gemeinschaft die Wirksamkeit der Vereinten Nationen beeinträchtigen könnte. Meines Erachtens dürfte es im Grundsätzlichen keine wesentlichen Interessenkonflikte geben.
In Wirklichkeit aber glaube ich, daß eine objektive Beurteilung der Rolle der Vereinten Nationen in der Weltpolitik eine wachsende Skepsis der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber der Frage zutage bringen wird, ob die Vereinten Nationen die hochgespannten Erwartungen von 1945 überhaupt erfüllen können. Eine solche Skepsis scheint mir berechtigt zu sein. Die ursprüngliche Struktur der Vereinten Nationen setzte voraus, daß die damals als Großmächte bezeichneten Nationen — die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion und China — auch weiterhin in ausreichender Harmonie zu-42 sammenleben würden, um den Frieden zu erhalten, und daß sie bei dem Bemühen, kleine Nationen zur Einhaltung bestimmter internationaler Verhaltensnormen anzuhalten, kollektiv vorgehen würden. Die Charta der Vereinten Nationen räumte diesen fünf Mächten Sonderrechte ein, darunter auch das VetoRecht im Sicherheitsrat, dem die Hauptverantwortung für die Erhaltung des Friedens übertragen wurde. Diese Konzeption ging sehr bald schon in die Brüche, als nämlich Sowjetrußland damit anfing, von seinem Veto-Recht in einer Weise Gebrauch zu machen, die alle konstruktiven Bemühungen des Sicherheitsrates vereitelte. Und innerhalb von fünf Jahren unterstanden dem China, das einen Sitz im Sicherheitsrat einnahm, nur noch Formosa und einige kleinere Inseln, während eine kommunistische Regierung das gesamte chinesische Festland beherrschte. Diese beiden Faktoren führten dazu, daß man sich immer stärker auf die Generalversammlung stützen mußte, um wirksam handeln zu können.
Dieses zweite Organ, in dem jeder als Mitglied der Vereinten Nationen zugelassene Staat ohne Rücksicht auf geographische, wirtschaftliche und bevölkerungsmäßige Unterschiede eine gleiche Stimme besitzt, hat in den vergangenen siebzehn Jahren seinen Charakter von Grund auf verändert. In dieser Zeit hat sich die Zahl der Mitgliedstaaten mehr als verdoppelt, und Blockbildungen innerhalb der Mitglieder, wie zum Beispiel die Afro-Asiatische Gruppe, können nun in besonderen Fällen bei den Abstimmungen den Ausschlag geben oder doch wenigstens die Versammlung davon abhalten, in einer wichtigen Angelegenheit zu einer Entscheidung zu kommen, für die eine Zweidrittelmehrheit vorgeschrieben ist. Obwohl sie nur selten ihre Meinung einstimmig abgeben, haben die Entwicklungsländer der Welt mit Hilfe der ihnen in der Regel zur Verfügung stehenden kommunistischen Stimmen die Möglichkeit, Resolutionen zu erzwingen, wenn sie das wollen, und das ohne Rücksicht auf die Ansichten der viel stärkeren Nationen in der Gruppe der Atlantischen Gemeinschaft, die das meiste Geld zur Finanzierung der Aktionen der Vereinten Nationen aufbringen. Das Ergebnis ist, daß die Versammlung Resolutionen annimmt, die in einigen Fällen gerade von den Ländern ignoriert werden, die von ihnen am meisten betroffen werden.
Die Erfahrungen der Vereinten Nationen in Korea, Suez und im Kongo beweisen, daß wirksame Aktionen, die größere Verpflichtungen und erhebliche finanzielle Aufwendungen mit sich bringen, bestenfalls sehr gewagte Unternehmen sind, und daß besonders diese Aktionen ohne die starke Rückendekkung der Vereinigten Staaten unmöglich gewesen wären. Es ist sehr interessant festzustellen, daß die Generalversammlung im Jahre 1960 einstimmig (70: 0) für ein militärisches Eingreifen im Kongo entschied, während bis Juli 1962 nur neunzehn Staaten den auf sie entfallenden Teil der Kosten dieser Aktion bezahlt hatten, über fünfzig haben überhaupt noch nichts bezahlt. Diese Tatsachen ziehen zwangsläufig eine gewisse Skepsis in der Beurteilung der Frage nach sich, was für eine wirksame Rolle die Vereinten Nationen nun tatsächlich spielen können.
Dennoch stellen die Vereinten Nationen das einzige Forum dar, in dem eine freie Diskusion internationaler Probleme, die irgendein Gebiet der Welt berühren, stattfinden kann. Sie bieten noch immer die größte Sicherheit dafür, daß den neu entstandenen und noch nicht genügend gefestigten Nationen, die einen so großen Teil der Mitglieder repräsentieren, die Unabhängigkeit erhalten bleibt. Die Vereinten Nationen spielen immer noch eine außerordentlich wichtige Rolle durch ihre Sonderorganisationen, wie zum Beispiel auf dem Gebiet der Technischen Hilfe, der Volksgesundheit, der Kinderfürsorge, der Erziehung und der Flüchtlingsbetreuung.
Die Entwicklung einer starken Atlantischen Gemeinschaft braucht nicht in Widerstreit mit den Vereinten Nationen zu geraten. Ebenso-wenig sollten die Entwicklungsländer das Entstehen einer solchen Atlantischen Gemeinschaft mit Besorgnis betrachten. Es ist ja doch so, daß der Ausbau der Atlantischen Gemeinschaft zu einer eng verbundenen Gruppierung sehr wohl der Stärkung des ganzen schon vorhandenen Apparates dienen kann, der den Frieden erhalten soll. Ich glaube, daß dies dem amerikanischen Volke allmählich klar wird.
Militärische und wirtschaftliche Integration vor politischer Einheit Ich selbst bin mir völlig im klaren darüber, daß eine wirkliche Atlantische Gemeinschaft nur durch einen von innen kommenden Entwicklungsprozeß entstehen wird. Voraussetzung dafür ist, daß Übereinstimmung über den Einsatz der Atommacht und über die Rolle der europäischen Staaten einerseits und den Vereinigten Staaten andererseits in der militärischen Gesamtkonzeption erzielt wird. Überdies muß die Handelspartnerschaft mit Europa, so wie sie in der Handelspolitik der jetzigen amerikanischen Regierung vorgesehen ist, erheblich über den derzeitigen Stand hinaus erweitert werden, ehe es Zweck hat, die Frage gemeinsamer politischer Institutionsformen zu erörtern. Das Fernziel muß man sich dabei aber stets vor Augen halten. Ich bin überzeugt, daß weder eine militärische Allianz noch Handelspartnerschaft allein ohne das starke Band politischer Institutionen von Dauer sein können. Ich bin aber gleichermaßen davon überzeugt, daß es ohne die militärische Allianz und die Handelspartnerschaft keine politischen Institutionen geben kann. Es wird aber teilweise die Ansicht vertreten, daß die Reihenfolge umgekehrt sein müßte und daß wir sofort auf die Sicherung der politischen Einheit hinarbeiten müßten, weil nämlich die militärischen und wirtschaftlichen Probleme wahrscheinlich erst dann ins rechte Licht gerückt werden, wenn vorher föderative Organe errichtet worden sind. Dieser Auffassung stimme ich nicht zu.
Der Zeitplan ist von überragender Bedeutung. Man hat, besonders in unserem Land, noch nicht klar genug erkannt, wie dringlich es ist, jetzt vorwärts zu gehen. Natürlich besteht die Gefahr, daß die gesamte Konzeption einer echten Atlantischen Gemeinschaft durch zu starkes Forcieren scheitert, während nämlich der Integrationsprozeß innerhalb Europas selbst noch im Gange ist, während unsere Handelspartnerschaft mit diesem sich integrierenden Europa noch diskutiert wird und während wir noch immer nach einer praktikablen Lösung der Aufgabenteilung im Atom-bereich suchen. Dennoch ist die Schaffung einer echten Atlantischen Gemeinschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre ein wirklichkeitsnahes und durchaus erreichbares Ziel. Da aber noch so viele Fragen in der Schwebe sind, scheint es etwas müßig zu sein, schon jetzt einen genauen Zeitplan ausarbeiten zu wollen. Wenn aber andererseits nicht absolute Einmütigkeit darüber erzielt wird, daß eine baldige Aktion zweckmäßig ist, kann sehr wohl das Bewußtsein für die Dringlichkeit verloren gehen und der momentane Schwung abflauen.
Natürlich können die Meinungen darüber auseinandergehen, was jetzt im einzelnen zu tun ist. Ich selbst halte die folgenden vier Maßnahmen für zweckmäßig, wenn ich auch nicht so weit gehen möchte, sie als die umfassende Beantwortung dieser Frage hinzustellen
Vier Empfehlungen Die erste Empfehlung besteht darin, daß die Regierungen der NATO-Staaten aufgefordert werden, zum frühestmöglichen Zeitpunkt; eine aus Regierungsvertretern zusammengesetzte Sonderkommission mit dem Auftrag einzuset zen, Pläne für die Schaffung einer echten Atlantischen Gemeinschaft auszuarbeiten, die so zu organisieren sei, daß sie den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird. Ich bin mir bewußt, daß etwaige Vorschläge von selten dieser Kommission für Maßnahmen, die von den Regierungen getroffen werden müßten, nicht von heute auf morgen ausgearbeitet werden können. Ein Grund mehr, um ohne weitere Verzögerung anzufangen.
Zweitens trete ich für die Errichtung eines ständigen Hohen Rates als unerläßlich für eine echte Atlantische Gemeinschaft ein, und zwar auf höchster politischer Ebene, der die Aufgabe hätte, alle die Gemeinschaft als Ganzes betreffenden Angelegenheiten zu vereinheitlichen, zu planen und in vorher festgelegten Fällen grundsätzlich zu entscheiden. Bis zur Errichtung dieses Rates müßte der NATO-Rat dadurch verstärkt werden, daß man ihm zusätzliche Aufgaben zuweist. Die genaue Zusammensetzung und Natur dieses Hohen Rates wäre auszuhandeln, doch ist der Zweck völlig klar. Es soll nämlich dadurch versucht werden, eine entscheidungsbefugte Körperschaft einzurichten, die eine Reihe knifflige und seit langem anstehende Probleme lösen könnte, insbesondere die militärischen Probleme, die mit der Aufgabenteilung und dem Einsatz der militärischen Atommacht Zusammenhängen, sowie den Umfang der konventionell bewaffneten Streitkräfte, die von der NATO unterhalten werden sollten.
Die Errichtung eines Hohen Rates würde es den Staaten der Atlantischen Gemeinschaft ermöglichen, gemeinsam die großen Probleme anzupacken, die an ihre Lebensinteressen rühren. Die strittige Frage der Souveränität würde in das rechte Licht gerückt werden. Die Worte, die Sir Winston Churchill in seinem historischen Aufruf zur Einheit Europas 1948 im Den Haag gefunden hat, treffen auch heute noch auf die Entscheidung zu, vor die jetzt die atlantischen Nationen gestellt sind; „Man kann unmöglich die Wirtschaft und die Verteidigung aus der allgemeinen politischen Struktur herausnehmen. Zu der gegenseitigen Hilfe auf dem Gebiete der Wirtschaft und zur gemeinsamen militärischen Verteidigung muß zwangsläufig in jeder Phase auch eine parallele Politik hinzutreten, die auf eine enge politische Verbundenheit gerichtet ist. Es trifft schon zu, daß damit ein gewisser Verzicht auf nationale Hoheitsrechte oder eine Zusammenlegung solcher Hoheitsrechte verbunden ist. Es ist aber auch möglich und etwa nicht unangenehmer, diesen Prozeß so zu betrachten, als übernähmen dabei alle beteiligten Staaten allmählich jene größere Souveränität, die allein ihre mannigfaltigen und charakteristischen Bräuche und Eigenheiten sowie ihre völkischen Traditionen schützen kann, welche samt und sonders unter einem totalitären System, ob nationalsozialistisch, faschistisch oder kommunistisch, zweifellos für alle Zeiten verschwinden würden."
Drittens sollten der NATO-Parlamentarierkonferenz zusätzliche Aufgaben übertragen werden, und zwar die einer Beratenden Versammlung (möglicherweise gleichzeitig für die NATO und die OECD), ohne ihr dabei besondere zusätzliche Befugnisse zu geben. Dieses Organ ist eine Schöpfung der gesetzgebenden Versammlungen der NATO-Staaten, die Delegationen aus ihren eigenen Reihen zusammenstellen und zu den regelmäßig stattfindenden Tagungen entsenden. Dort erörtern sie die Probleme und die Zukunft der NATO und richten häufig Empfehlungen an den NATO-Rat oder an die Regierungen der Mitgliedstaaten. Doch zählt die Konferenz jetzt noch nicht zu den offiziellen Organen der NATO. Während in Europa auf jeden einzelnen Schritt im Aufbau europäischer Organe die Schaffung einer europäischen gesetzgebenden Versammlung in der einen oder anderen Form folgte, um als Forum für die offene Diskussion von politischen Grundsatzfragen zu dienen und um eine gewisse Überwachung auszuüben, besteht keine derartige Körperschaft für die NATO oder die OECD oder für einen etwa noch zu schaffenden Apparat einer Atlantischen Gemeinschaft. Diese Empfehlung bedarf natürlich noch der Präzisierung, besonders im Hin-blick auf den größeren Kreis der Mitglieder bei der OECD.
Meine vierte Empfehlung geht dahin, einen atlantischen Gerichtshof einzurichten, der bestimmte Rechtsstreitigkeiten, die sich aus den Verträgen ergeben könnten, zu entscheiden hätte. Dieser Schritt könnte natürlich erst dann unternommen werden, nachdem bestimmte Übereinkommen oder Pakte geschlossen worden sind, da sich die Zuständigkeit des Gerichtshofes auf die Regelung von Streitigkeiten beschränken müßte, welche sich aus der Auslegung dieser Übereinkommen ergeben.
Die Rolle der atlantischen Beratenden Versammlung Abgesehen von meiner ersten halten sich die anderen Empfehlungen alle mehr oder weniger an das allgemein anerkannte Schema von Exekutive, Gesetzgebung und Rechtsprechung, wobei die jeweiligen Rollen nicht allzu klar umrissen worden sind. Bei der dritten Empfehlung dürfte es sich aber lohnen, noch einige zusätzlichen Bemerkungen zu machen. Die der vorgeschlagenen Beratenden Versammlung zugedachte Rolle entspricht dem Vorbild derjenigen Körperschaften, die bereits innerhalb der europäischen Institutionen errichtet worden sind. Und wenn auch zur Zeit noch nicht empfohlen wird, dieser Versammlung besondere Befugnisse zu übertragen, so ist es dennoch wichtig, sich einmal die historische Entwicklung des parlamentarischen Einflusses und der parlamentarischen Verantwortung vor Augen zu führen, wie sie Woodrow Wilson vor vielen Jahren in seinem Buch über die verfassungsrechtliche Struktur der Vereinigten Staaten beschrieben hat:
„Wir sprechen jetzt dauernd von . Legislaturen', von . gesetzgebenden'Versammlungen, werden bei ausgedehnten Debatten sehr ungeduldig und mokieren uns über parlamentarische Körperschaften, die es nicht fertig bringen, ihre . Geschäfte'zu erledigen, Wir machen uns gern Carlyles beißend spöttische Bemerkung über talking shops *) zu eigen, belächeln Parlamente, die ihre Zeit mit endlosen Diskussionen ausfüllen, statt sich eifrig um das zu bemühen, was sie zusammengeführt hat. Und doch zeigt eine derartige Einstellung zu Volksvertretungen eine völlige Unkenntnis ihrer Geschichte und ihres ersten und wichtigsten Zwecks. Sie sollen ja gerade , talking shops'sein. Die Bezeichnung . Parlament'gibt nicht nur rein zufällig ihre Funktion an. Dort sollte ja mit denjenigen, in deren Hände damals die Geschicke des Landes lagen, parliert'werden: über Gesetze, über Verwaltungsakte, über Grundsätze und Pläne der Innen-und Außenpolitik, damit man nichts ohne Kommentar oder Tadel durchgehen ließ, was der allgemeinen Auffassung widersprach, damit man die Maßnahmen durchsetzen konnte, welche die Nation brauchte, und sich den Maßnahmen widersetzen konnte, welche die Nation nicht brauchte oder welche ihr zum Schaden gereichen würden. Ihr Zweck war wachsame Kritik, das Gespräch, in dem die Absichten der Regierung restlos aufgedeckt werden und mit dem den Trägern der Regierungsgewalt die wahren Empfindungen und Wünsche des Volkes vor Augen geführt werden sollten. Und wie gut sie diese Funktion ausgeübt haben, ergibt sich aus den Worten und Taten manch eines unsicheren Monarchen.
Nichts lag dem ursprünglichen Zweck der Volksvertretung ferner als der Gedanke, sie solle die Regierungsgeschäfte tatsächlich besorgen........... Ihre Aufgabe bestand in der allgemeinen Beratung; die Richtschnur für ihr Vorgehen ergab sich aus der altüberlieferten Auffassung über das Wesen der konstitutionellen Staatsform, — einer Staatsform, die auf schriftlichen oder stillschweigenden Abmachungen beruht, welche in den Überlieferungen und Grundsätzen englischer Lebensweise wurzeln. Man erwartete von der Volksvertretung die Zustimmung zu Maßnahmen, die der überlieferten Auffassung entsprachen, umgekehrt aber die Ablehnung von Maßnahmen, die dieser überlieferten Auffassung zuwiderliefen. Sie sollten das Gewissen des Volkes im Beisein der Regierung und in der Ausübung der Hoheitsgewalt Ausdruck verleihen"
Zweifellos würde einer atlantischen Versammlung, auch wenn sie sich auf Reden und Debatten beschränken müßte, ohne dabei in die den einzelnen Staaten verbleibende Entscheidungsbefugnis einzugreifen, eine entscheidende Rolle zufallen, nämlich Ratschläge zu erteilen und dem Gewissen der Atlantischen Gemeinschaft Ausdruck zu geben.
Wie wird sich die amerikanische öffentliche Meinung verhalten?
Bei einer jeden Diskussion, die man in unserem Lande über die Idee der wahren Atlantischen Gemeinschaft führt, muß man sich zwangsläufig auf das Glatteis der richtigen Einschätzung der öffentlichen Meinung in Amerika begeben. Wird sie die auf dieses Ziel gerichteten Schritte der Regierung hemmen oder zu ihrer Beschleunigung beitragen? Man kann das zwar nicht mit Sicherheit voraussagen, doch steht immerhin fest, daß das Interesse der Öffentlichkeit an diesem Thema ganz außerordentlich rege geworden ist.
Noch vor anderthalb Jahren hat man in unserem Lande dem Europäischen Gemeinsamen Markt und seinen sehr weitreichenden Folgen nur wenig Beachtung geschenkt. Erst als Großbritannien um seine Aufnahme ersuchte, wurde uns richtig klar, daß die Bewegung in Richtung auf die europäische Integration viel schneller erfolgt war, als man bei uns erwartet hatte. Plötzlich regte sich sehr merklich das Interesse in den Bürgervereinigungen, Universitäten und Hochschulen in allen Teilen der Vereinigten Staaten. Die EWG avancierte zum Hauptdiskussionsthema. Die Empfehlungen, die der Präsident bezüglich der neuen Außenhandelspolitik gegenüber dem Kongreß abgab, hat dieses Interesse noch gesteigert und dem amerikanischen Volke klar gemacht, daß sich die Ereignisse in Europa unmittelbar auf unsere eigene wirtschaftliche und politische Zukunft auswirken werden.
Häufig wird behauptet, die öffentliche Meinung marschiere in Angelegenheiten der hier erörterten Art der offiziellen Auffassung voran. Natürlich gibt es bei der Einschätzung der Meinungen solange nur Mutmaßungen, bis die tatsächlich abgegebenen Stimmen in den Parlamenten ausgezählt sind. In diesem Zusammenhang ist aber sehr ermutigend festzustellen, wie überwältigend die Mehrheit war, mit der ein so fortschrittliches Gesetzgebungswerk wie das Außenhandelsgesetz (Trade Expansion Act) in beiden Häusern des Kongresses verabschiedet wurde. Hier fand tatsächlich die amerikanische öffentliche Meinung ihren Niederschlag. Sieht man sich einmal die Protokolle der Verhandlungen des Kongresses über dieses Gesetz an, so stellt man fest, daß die Zahl der Seiten, auf denen das Gesetz befürwortet wird, viel geringer ist als die der Seiten, auf denen einem stärkeren Protektionismus und