Viele Begriffe sind in den gängigen Tagesgebrauch der Politik, der Publizistik und auch in die wissenschaftliche Diskussion eingegangen, ohne daß ihr Ursprung noch bewußt und ihre Bedeutung im Wandel der Zeit klar umrissen ist. Dazu gehören die Vokabeln „rechts" und „links" zur Unterscheidung politischer Parteien und gleichzeitig gewisser Grundtypen politischen Denkens und Handelns. Sie tauchen ständig auf, aber mit ihnen verbinden sich zunehmend nur unklare Assoziationen, Gefühle der Zu-und Abneigung, fragwürdig gewordene Stimmungen einer politischen und moralischen Wertung.
Begriffliche Unklarheit ist besonders in der Politik von Übel. Es ist deshalb beklagenswert, daß wir in vielen Debatten und im politischen Journalismus seit 1945 — nach einer kurzen Phase des Bemühens um wirklich neue Denkformen — so stark in überholte Klischees und ungeprüfte Vorurteile zurückgefallen sind.
Wer weiß noch, woher die Vokabeln „rechts" und „links" eigentlich stammen? Die Erklärung ist recht einfach, fast banal. Sie kommen (wie vieles in unserer politischen Terminologie) aus der Frühzeit des konstitutionellen Systems in Europa, dem bürgerlichen Frankreich zwischen 1830 und 1848 nach Napoleon und der streng konservativen Restauration. Es waren zunächst formale, äußere Kriterien: In dem Pariser Parlament saßen um 1840 (vom Präsidenten aus gesehen) die Konservativen auf der „rechten“, die Liberalen auf der „linken" Seite des Hauses, eine Regelung, die später von den meisten westeuropäischen Volksvertretungen übernommen wurde.
Aber nur für einige Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts war diese einfache Gleichung „konservativ = rechts", „liberal = links" anwendbar. Schon relativ früh gab es unter diesen Sammelbegriffen sehr unterschiedliche Kräfte. Aus ökonomischen und konfessionellen Spannungen erwuchsen zudem andere Parteibildungen, für die dieses Schema nicht anwendbar war. Seit den siebziger, achtziger Jahren gewannen dann in fast allen westeuropäischen Staaten im Gefolge der industriellen Revolution die sozialistischen Arbeiterparteien schnell an politischer Werbekraft. Sie veränderten die innenpolitische Szenerie unseres Kontinents grundlegend.
Solange nur der Dualismus zwischen Liberalen und Konservativen bestand, erschien vielen die Klärung der Begriffe relativ einfach: „Links" kämpften die Kräfte des Fortschritts, der entschiedenen Reform, die den monarchisch-absolutistischen oder feudalen Staat in einen Verfassungsstaat umwandeln wollten, in dem das gebildete, besitzende Bürgertum durch Parlamente das Schicksal des Staates, der Nation mitbestimmen konnte. Die sozialistischen Parteien der neuen „Linken" standen aber mit ihrer zumeist klassenkämpferischen, revolutionären Programmatik in einer Grundspannung nicht nur zu den konservativen Kräften der „Rechten", sondern auch zu den liberalen bürgerlichen Gruppen.
So ist im Grunde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das Begriffspaar „links" und „rechts" zur Kennzeichnung der politischen Haupt-strömung Europas nicht mehr zureichend. Es hat sich dennoch bis in die politische Tages-sprache unserer Gegenwart behauptet.
Wir können wohl nicht von ungefähr manche Bemühungen verzeichnen, diese zählebigen, gleichsam unverwüstlichen Vokabeln durch neue Interpretationen wieder sinnvoll und auch für den reflektierten wissenschaftlichen Sprachgebrauch geeignet werden zu lassen. Dieser Versuch zielt in der Regel auf eine Typisierung. „Links" und „rechts" sollen, von der geschichtlichen Situation abgelöst, unter bestimmten moralischen Prämissen als Grund-positionen menschlichen Verhaltens zum Leben und zur Politik verstanden werden.
Der Publizist Horst Krüger hat sich beispielsweise unter diesem Vorzeichen im „Monat" (Oktoberheft 1961) um eine Antwort auf unsere Frage „Was ist eigentlich links?" bemüht und eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Er schrieb: „Links konnte man immer stehen: im Spartakus-Aufstand des alten Roms, in den Bauernaufständen des 16. Jahrhunderts, in der Bundesrepublik von 1961. Links ist in diesem Sinne eine . ewige’ Haltung. Es entspricht ihr eine bestimmte Konzeption von Gesellschaft schlechthin. In der Tiefe ist sie eine moralische Haltung." Der „Linke" glaubt, so meint Krüger, an die „Veränderbarkeit der Welt", glaubt prinzipiell an den „realisierbaren Glücksanspruch jedes einzelnen Menschen". Er ist nicht „Tragiker, sondern Optimist". „Er glaubt an die gerechte Welt überhaupt. Sein Glaube ist ein sozialer Welthumanismus." Walter Dirks, gleich Krüger um eine geistige Neubegründung der „linken" Position bemüht, meinte etwas Ähnliches, als er schrieb: „Nichts ohne Not ändern, ist das stille Bekenntnis der Rechten. Das Notwendige tun, ist der lautere Wille der Linken".
So geistvoll und fesselnd derartige definitorische Bemühungen gelegentlich sind, sie können nicht befriedigen. Zu viele historische und politische Phänomene widersprechen diesem Typenschema und seinen moralischen Vorzeichen auf das entschiedenste.
Waren die Führer des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes von 1776/1783 Männer der „Linken"? Von George Washington und Alexander Hamilton wird dies niemand ernsthaft behaupten. Otto Vossler und andere namhafte Historiker haben jedoch in sorgfältigen Untersuchungen dargestellt, daß auch Thomas Jefferson zu der Zeit, als er seine berühmte Unabhängigkeitserklärung schrieb, vom historischen Rechtsstandpunkt der Kolonien gegenüber dem Mutterland ausging, einem im Grunde also konservativen Argument.
Kann man den Freiherrn vom Stein und Scharnhorst als Männer der „Linken" bezeichnen? Krüger meint, daß „in Deutschland der Staatsbeamte und der Soldat stets rechts gewesen seien". Aber Stein, der große Verwaltungsfachmann und moralische, schöpferische Geist, und Scharnhorst, der gebildete, reflektierende Offizier, verwirklichten als treue Diener der preußischen Monarchie einschneidende Reformen von weitreichender Bedeutung.
Wer hat die politischen Zustände Deutschlands im 19. Jahrhundert grundlegender verändert als Bismarck? Und lange vor den meisten Politikern der liberalen „Linken", die im Fortschritts-und Harmoniedenken befangen waren, erkannten manche Männer der konservativen „Rechten" (Theodor Lohmann, Adolf Wagner, Hermann Wagener u. a. j, wie einschneidend die gesellschaftlichen Wandlungen der industriellen Revolution waren und wie sehr sie eine aktive staatliche Sozialpolitik erforderlich machten. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um die Fragwürdigkeit der zitierten Typisierung zu verdeutlichen.
Zu den alten Unterschieden zwischen Konservativen, Liberalen, Christlichen Demokraten und Sozialisten in ihren verschiedenen Schattierungen kommt seit einem halben Jahrhundert noch eine weitere grundlegende Differenz, die das Begriffsschema „rechts" und „links" zusätzlich entwertet. Es ist das Entstehen totalitärer Parteien und Herrschaftssysteme aus Ideologien und Gruppierungen sowohl der überkommenen „Rechten" wie „Linken". Die kommunistische Partei Lenins — und später auch Stalins wie Chruschtschows — nahm (und nimmt) für sich in Anspruch, Vollstreckerin dei eigentlichen sozialistischen Ziele, Programme und Hoffnungen zu sein. Ihr ist nach der geltenden Doktrin die geschichtliche Verwirklichung der von Marx formulierten Aufgabe des Proletariats gelungen. So wird die kommunistisch-sozialistische Gesellschaft als Erfüllung des humanistischen und demokratischen Strebens der „Linken" vergangener Generationen gepriesen.
In der zunächst verwirrenden und schwierigen Auseinandersetzung mit diesen Parolen hat sich in Europa eine moderne Form des demokratischen Sozialismus ausgeprägt, der einen deutlichen Trennungsstrich zu der in manchen ideologischen Wurzeln benachbarten kommunistischen „Linken" zieht. Die Herausforderung des Totalitarismus ließ manche scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den gemäßigten sozialistischen, liberalen und konservativen Kräften geringer werden. Wesentliche Unterschiede bestehen weiter, aber sie haben in der Regel ihre unversöhnliche, einander nahezu ausschließende Schärfe verloren. Eine ganz ähnliche Wirkung hat dann auch das Aufkommen von totalitären Systemen unter „rechten" Vorzeichen gehabt, des Faschismus in Italien und des Nationalsozialismus in Deutschland.
Es war für viele ein schmerzlicher und langwieriger Prozeß, aus überkommenen Denkformen und „Freund-Feind" -Vorstellungen herauszukommen und die neuen Fronten zwischen Freiheit und Unfreiheit klar zu erkennen. Ohne die Hilfe der Deutschnationalen Partei Hugenbergs wäre Hitler am 30. Januar 1933 nicht Reichskanzler geworden. Aber Kon4 servative, frühere Deutschnationale, wie Karl Goerdeler, fanden sich mit evangelischen und katholischen Christen anderer Gruppierungen, mit Liberalen und demokratischen Sozialisten in der Widerstandsbewegung gegen den totalitären Staat zusammen.
In ihren grundlegenden Reflexionen und Planungen, vor allem im Kreisauer Kreis, wurden tief eingewurzelte Gegensätze überbrückt oder doch, angesichts der gemeinsamen Aufgabe gegenüber der furchtbaren Zerstörungsgewalt einer Diktatur für Freiheit und Recht einzutreten, in ihrer relativen Größenordnung erkannt. Auf der anderen Seite hat die fragwürdige kommunistische Parole von der sozialistischen Solidarität der „Linken", der Arbeiterschaft gegenüber Bürgertum und Kapitalismus seit 1945 ihre einstmals werbende Kraft stark eingebüßt. Ihre zündende Wirkung ist vor allem durch die furchtbare Anschauung der Praxis kommunistischer Herrschaft in Mittel-und Osteuropa zurückgegangen. In Italien und Frankreich spürt man sie freilich noch deutlich, auch bei kleinen, lautstarken Gruppen der sogenannten „heimatlosen Linken" in Deutschland, die sich als „neue linke Intelligenz" deklarieren möchten.
Das Aufkommen der modernen Diktaturen unter verschiedenen Vorzeichen hat somit die alten Orientierungspunkte „rechts" und „links" noch problematischer gemacht. Die Extreme berühren sich; diese Feststellung finden wir schon früh. In den zwanziger Jahren tauchen die Formulierungen vom „Nationalbolschewismus" auf, von den „Linken Leuten von rechts." In der Tat gibt es manche historische Beispiele für ein nicht nur taktisches Zusammenwirken der Flügelparteien in Deutschland und anderswo, eine erstaunliche Überein-stimmung im Absolutheitsanspruch, bestimmten Methoden des Terrors, der Verfolgung der christlichen Kirchen, der Einstellung zur Kunst, Gemeinsamkeiten, die trotz der unterschiedlichen ideologischen Begründung und Programmatik offenkundig sind.
Was ist denn heute, unter dem Schatten totalitärer Erfahrungen und Drohungen eigentlich „links"?
Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Fritz Erler hat dazu in der schon erwähnten Diskussion im „Monat" geschrieben: „Der rechte Pol ist gekennzeichnet durch die Beharrung, die Bewahrung des Bestehenden, die Ordnung, die Form, der linke Pol durch die Dynamik, die Veränderung, den Geist, die Freiheit, den Inhalt." Erler ist in seiner Definition subtiler als der eingangs erwähnte Krüger. Er meint, „daß die verschiedenen Erscheinungen im politischen Leben immer nur ein überwiegen der Eigenschaften des einen oder anderen Pols kennen. Die Ordnungsbilder des fortschrittlichen linken und des konservativen rechten Grundzuges finden sich daher in manchen Elementen bei jeder unserer Parteien wieder."
Aber auch dieser Versuch einer Neubewertung der Begriffe kann nicht überzeugen. Daß der Geist „links" stehe und die Idee der Freiheit bei der „Linken" zu Hause sei, entstammt der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts. Es kann natürlich heute noch so sein, aber als Reservat der „Linken" zur Abgrenzung nach „rechts" sind Worte wie Geist und Freiheit nicht mehr geeignet.
Wie ist es mit der Dynamik, dem Willen zur Veränderung? Nachdem viele Staaten Jahre und Jahrzehnte hindurch sozialistisch regiert wurden, können sie sich genau so. unter konservativen Vorzeichen manifestieren. Unter dem Motto „ Its time for a change" siegte Eisenhower 1952 in den USA als Kandidat einer konservativ bestimmten Republikanischen Partei nach 20 Jahren der demokratischen Ära Roosevelt-Truman. Eine verjüngte, dynamische Konservative Partei gewann 1951 die Unterhauswahlen in England und löste die sozialistische Regierung mit einem Programm ab, in dem individuelle Freiheit von einem Übermaß an staatlichen Eingriffen in die Gesellschaft und die persönliche Sphäre gefordert wurde.
Diese Hinweise erscheinen mir notwendig, wenn wir den politischen Begriff „links" von übertriebenen Ambitionen und ideologischem Ballast befreien, ihn gleichsam „entmythologisieren" wollen, um in vorsichtiger und bebescheidener Weise seinen begrenzten Aussagewert zu begreifen. Dabei bleibt uns der Versuch einer ungefähren Definition nicht völlig erspart, nachdem wir das Fließende, Vieldeutige dieser Vokabel gegenüber zu eingeengten Kennzeichnungen betont haben, ihre Anwendung (vielleicht sogar Unentbehrlichkeit) im politischen Sprachgebrauch aber doch in Rechnung setzen müssen. „Links" und „rechts“ können wir nur als Hilfswörter ansehen. Sie sind keine exakten Größen in sich, geschweige denn moralisch unterschiedene Werte Die Vielfalt der Erscheinungen in Geschichte und Politik ist zu groß, Recht und Unrecht, Gut und Böse sind zu komplex, oft in einer Person, einer Gruppe und einem Ereignis unlösbar miteinander verbunden, um in ein so einfaches polares Begriffs-schema eingefangen werden zu können. Je gründlicher wir uns mit historischen Phänomenen auseinandersetzen, je eindringlicher und unvoreingenommener wir das politische Geschehen unserer Zeit wirklich zu begreifen versuchen, desto mißtrauischer werden wir gegenüber allen Bemühungen einer vorschnellen Systematisierung, des Einordnens von Personen und Ereignissen in zu einfache Kategorien, wie sie von einer populären Spielart der Soziologie und des politischen Journalismus leider oft geübt wird.
Mit dem Begriff „links" verbinden sich als gültiges Kennzeichen somit nur gewisse generelle Tendenzen. Die „Linke" erstrebt die Wandlung der überkommenen politischen und gesellschaftlichen Ordnung mit dem Anspruch, den Menschen durch die Beseitigung hierarchischer Ordnungen ein besseres und glückliches Leben zu ermöglichen. Soweit sie selbst regiert und ihre konkreten innenpolitischen Ziele zunächst verwirklicht hat, verlagert sich dieses Programm oft in die Sphäre der Außenpolitik, sei es unter dem Vorzeichen einer allgemeinen sozialistischen und humanistischen Solidarität, der kommunistischen Weltrevolution oder der antikolonialistischen Parolen in den Entwicklungsländern. Die „linken" Gruppen sind so durch revolutionäre oder grundlegende reformerische Zielsetzungen bestimmt. Diese entziehen sich jeder allgemeinen Wertung und können nur in der unendlichen Vielfalt politischer Situationen individuell begriffen und beurteilt werden. Der Kampf eines Fidel Castro gegen eine Rechts-diktatur für innere Freiheit und soziale Gerechtigkeit in Kuba fand die Sympathien der ganzen westlichen Welt. Aber hinter diesen „linken“ Parolen eines scheinbar demokratischen Sozialismus verbarg sich ein neuer totalitärer Anspruch, der schließlich in ein kommunistisches System einmündete. Die Rechtsdiktatur wurde von der Linksdiktatur abgelöst. Ob dies für die Menschen Kubas auch nur ein relativer Fortschritt ist, bleibt sehr zweifelhaft.
Die „Linke" betont die Funktionen des Staates im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, zur Daseinsvorsorge für den einzelnen und Einebnung überkommener Hierarchien. Dies war nicht immer so; die europäischen Linksliberalen des ausgehenden 19. Jahrhunderts standen einer aktiven staatlichen Sozialpolitik ungleich skeptischer gegenüber als die meisten Konservativen. Aber seitdem die Begriffe „links" und „sozialistisch" in eine engere Beziehung traten, ist die Überzeugung von der Notwendigkeit umfassender staatlicher Interventionen im Ökonomischen ein typisches Merkmal der „Linken". Auch hier bleibt die Kennzeichnung notwendigerweise vage. Ob im kommunistischen System mit der Parole von der Diktatur des Proletariats der omnipotente Staat den einzelnen total beherrscht, oder ob die Eingriffe sich im demokratischen Verfassungsstaat mit sozialistischer Regierung in legalen Formen, also nach den Normen des Rechts, vollziehen, ist ein ganz entscheidender qualitativer Unterschied.
Aber auch innerhalb der nichtkommunistischen Welt ist eine weitgehende Differenzierung notwendig. Tiefgreifende soziale Reformen sind für viele Staaten Asiens und Südamerikas angesichts des rapiden Bevölkerungswachstums und der kommunistischen Herausforderung zweifellos ein lebenswichtiges Gebot. Doch die konkrete Gestalt der „linken", auf einen Wandel drängende Gruppen ist gerade in diesen Kontinenten . wenig einheitlch. In einigen Ländern, vor allem in Mexiko und Venezuela, haben sich „linke" Parteien sozialistischer, christlich-sozialer oder republikanischer Prägung durch sichtbare Leistungen als Wettbewerbs-und handlungsfähig gegenüber der totalitären Gefahr erwiesen. Andererseits sind in Argentinien, Brasilien und mehreren kleineren Staaten „linke" sozialreformerische Kräfte aus ideologischer Verworrenheit oder dilettantischem taktischen Kalkül politische Bündnisse mit den Kommunisten eingegangen, über deren Gefährlichkeit nach dem kubanischen Beispiel kein Zweifel mehr bestehen kann. Das gleiche gilt für maßgebliche „linke" Gruppen in einigen asiatischen und afrikanischen Ländern, vor allem in Ceylon, Indonesien und Ghana.
Jedoch selbst bei einer klaren Abgrenzung zu totalitären Tendenzen hat der „linke" Weg keineswegs immer die besten Ergebnisse für den politischen und sozialen Fortschritt in rückständigen Staaten gebracht. Die Forderung nach grundlegender Reform oder Revolution kann uneingeschränkt geboten sein, wenn in manchen Entwicklungsländern die Staatsführung mit kleinen, immobilen und korrupten Feudalgruppen identisch ist, die jedes Fortschreiten zu modernen Formen öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens ver6 hindern. Sie erscheint jedoch in solchen Ländern fragwürdig, ja gefährlich, die (wie z. B. Japan, Malaya oder die Philippinen) mit dem System einer freieren Wirtschaft und legal gewählten Regierungen für ihre Bürger wesentliche größere Erfolge errungen haben, als vergleichbare sozialistische Staaten. Die Frage, ob und in welchem Umfang die „linken" Rufe nach einem grundlegenden Wandel und mehr staatlichen Interventionen begründet sind, ist somit auch für die Entwicklungsländer nicht generell zu beantworten.
Dieser Hinweis auf praktische Beispiele, bestimmte politische Gruppierungen und Konstellationen mag genügen. Er erscheint mir für die Diskussion von Begriffen unerläßlich, wenn sie nicht in ideologischer Abstraktion, Wunschdenken oder geistvollem Feuilletonismus enden soll. Der kurze, durchaus sporadische Ausblick auf die politische Wirklichkeit in ihrer unendlichen Vielfalt soll die These verdeutlichen, daß die Vokabeln „links" und „rechts" nur noch Hilfswörter sein können, die ohne eigenen Aussagewert sind und in jedem Einzelfall der Präzisierung durch Hauptwörter und einer genauen, situationsbezogenen Beschreibung bedürfen. Sie werden wahrscheinlich auch in Zukunft unentbehrlich sein. Aber wenn wir uns gegen jeden Versuch wehren, sie absolut und autonom zu setzen, wenden wir uns zugleich gegen ein Denken in den Klischees und Fronten von vorgestern, die auch im modischen Aufputz avantgardistischer Literatur veraltet sind.
In Deutschland scheinen seit 1945 die geistes-geschichtlichen und realpolitischen Voraussetzungen für neue, zeitgemäße Denk-und Organisationsformen günstiger zu sein als jemals zuvor. Es gibt bei uns aber viele Men sehen, die nach den Überspanntheiten einer totalitären Weltanschauung, eines verlogenen politischen Messianismus, tief enttäuscht sind und Politik jetzt nur noch vordergründig als nackten Macht-und Interessenkampf sehen wollen. Sie merken dabei nicht, wie sehr sie wieder einem falschen Vorurteil, diesmal unter den entgegengesetzten Vorzeichen der Verneinung oder Skepsis, verfallen.
Daneben bestehen die alten ideologischen Positionen der „Rechten" und „Linken" fragmentarisch in einer gewandelten Welt weiter. Dies wird bei uns in besonders peinlicher Weise bei manchen zeitgeschichtlichen und tagespolitischen Diskussionen über den Nationalsozialismus und Kommunismus, die „rechte" oder „linke“ Diktatur, deutlich. Wir erleben unter beiden konträren Vorzeichen immer wieder den offenen oder unausgesprochenen Versuch, die zwei Systeme unter moralischem Vorzeichen grundlegend qualitativ zu unterscheiden, das aktive Eintreten für die eine oder die andere Herrschaftsform in der Bewertung von Personen und Ereignissen a priori, ohne genaue wissenschaftliche Prüfung der Einzelsituation, verschieden zu bewerten.
Um so eindeutiger müssen wir den Trennungsstrich zur extremen „Rechten" und „Linken" gleichermaßen ziehen. Im freiheitlichen Rechtsstaat sollen die wesentlichen Prinzipien Gemeingut aller demokratischen Kräfte sein. Begriffe wie Freiheit, Recht, Loyalität zur Verfassung und soziale Verantwortung, sind nicht das Reservat einer politischen Richtung. Es bleibt genug an wichtigen, tiefgreifenden Unterschieden. Auf politische Vokabeln zur Kennzeichnung der verschiedenen Gruppen und Tendenzen können wir nicht verzichten. Aber in den Namen unserer Parteien, in ihren Programmen und der allgemeinen ernsthaften Diskussion über Fragen des Staates finden wir geeignetere Begriffe für möglichst präzise Analysen und Aussagen, als in dem alten Schema „rechts" und „links".