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Shirers „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches" | APuZ 50/1962 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 50/1962 Historie und weltpolitische Situation Die Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Shirers „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches"

Shirers „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches"

KLAUS EPSTEIN

Ein einflußreiches Werk

In weiten Kreisen ist das Buch „Rise and Fall of the Third Reich. A History of Nazi Germany" (New York — Simon and Shuster — 1960) von William L. Shirer als bedeutendes historisches Werk gepriesen worden. H. Sherman, Präsident des „Book of the Month Club“, hält es für „nahezu gewiß", daß dieses Buch „als die endgültige historische Darstellung eines der grauenhaftesten Kapitel der Menschheitsgeschichte angesehen werden wird". Das Buch hat sich bereits besser verkauft als irgendeine andere neuere Veröffentlichung zur europäischen Geschichte. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden zehntausende von amerikanischen Lesern ihr Bild von den Vorgängen im Deutschland der letzten Dezennien aus der Lektüre dieses Buches gewinnen. Deshalb ist es wichtig, daß die bedenklichen Mängel der Arbeit herausgestellt werden.

Es handelt sich m. E. dabei um vier Hauptschwächen: 1. Die Gesamtansicht des Autors von der deutschen Geschichte ist in kaum glaublichem Maße primitiv, so daß sich ihm viele der wichtigsten Fragen gar nicht stellen, welche sich dem Historiker beim Studium der nationalsozialistischen Zeit eigentlich aufdrängen müßten. 2. Die erforderliche Ausgewogenheit in der Behandlung des Gegenstandes fehlt völlig. Ihr Wert ist vielmehr durch höchst auffällige Lücken beeinträchtigt, und zwar gerade auf denjenigen Teilgebieten, auf welchen für die geschichtliche Erforschung des Nationalsozialismus noch Dringendes nachzuholen wäre. 3. Viele Interpretationen des Verfassers verraten eine ganz erstaunliche Unfähigkeit, in das eigentliche Wesen eines modernen totalitären Systems einzudringen. 4. Das Buch hält mit dem gegenwärtigen Stand der historischen Forschung auf dem behandelten Gebiet in keiner Weise Schritt.

Die vorliegende Besprechung bezweckt, diese schwerwiegenden Vorwürfe unter Beweis zu stellen. Die drei ersten der erwähnten Einwände sollen der Reihe nach ausgenommen werden, während zur Begründung des letzten Vorwurfs auf mehrere wichtige Arbeiten Bezug genommen wird, die Shirer nicht benutzt hat (oder zumindest in seiner Bibliographie wie den Anmerkungen nicht erwähnt

Einseitige Fehlurteile über die politische Geschichte Deutschlands

Shirer trägt seine allgemeine Auffassung von der Deutschen Geschichte in einem Einleitungskapitel vor, unter der Überschrift: „Hitlers Gedankengänge und die Wurzeln des Dritten Reiches", Er ist vom Vorhandensein einer spezifischen Logik, nach welcher die Entwicklung in Deutschland zwangsläufig abrollt, ebenso überzeugt wie davon, daß er selbst den Schlüssel zu dieser Logik besitzt: Die deutsche Geschichte von 1871 — 1945 nimmt „einen gradlinigen, völlig logischen Verlauf" (S. 93). Der Nationalsozialismus ist nichts als „eine logische Fortsetzung deutscher Geschichte“ (S. 88). Häufig ist vom deutschen Nationalcharakter die Rede, welcher nach Shirers Auffassung durch ein Kunterbunt von Faktoren geformt worden ist, wie etwa durch das Erlebnis jahrhundertelanger völkischer Zerrissenheit, durch eine Neigung zu Sadismus (und Masochismus) und durch die deutsche Rückständigkeit überhaupt. Was diesen letzten Punkt betrifft, so offenbaren manche Urteile des Verfassers erhebliche Unwissenheit und Voreingenommenheit. Zum Beispiel wird behauptet, Deutschland sei nach dem Westfälischen Frieden von 1648 „in eine Art mosko-

witischer Barbarei" (S. 90) herabgesunken. Aber wo ist dann in der nächsten Generation der russische Leibniz? In bezug auf die Hohenzollern vertritt Shirer folgende Auffassung: „Unter den brandenburgischen Kurfürsten, den Hohenzol-lern, die kaum mehr als kriegerische Abenteurer waren, wurden die Slawen, größtenteils Polen, allmählich nach Osten abgedrängt" (S. 91). Diese Behauptung ist in mehrfacher Hinsicht irrig. Wer im geringsten mit der deutschen Geschichte des Mittelalters vertraut ist, weiß, daß der „Drang nach Osten“, demzufolge die Slawen allmählich entlang der Ostsee zurückgeworfen wurden, lange vor 1400 sich bereits vollendet hatte, wohingegen die Hohenzollern erst 1417 Markgrafen von Brandenburg wurden. Es zeugt auch nicht gerade von einer rühmenswerten Kenntnis der preußischen Geschichte, wenn Shirer die Hohenzollern „kaum mehr als kriegerische Abenteurer" nennt. Friedrich I. (1417— 1440) war einer der bedeutendsten deutschen Fürsten des 15. Jahrhunderts. Joachim I. (1499— 1535) hat die Universität zu Frankfurt gegründet und die Übernahme des Römischen Rechts gefördert. Joachim II. (1535— 1571) führte die Reformation ein und verlieh dem Verwaltungsaufbau seines Staates eine von Grund auf neue Gestalt. Der Große Kurfürst (1640— 1688) war einer der vielseitigsten Herrscher seiner Zeit: Tatkräftiger Merkantilist, Schirmherr aller kulturellen Belange und bedeutender Administrator, kurz genau das Gegenteil eines „kriegerischen Abenteurers". Es sei mit betonter Nachsicht unterstellt, daß Shirers Urteil sich nur auf die frühen Hohenzollern beziehen soll. Die Absurdität seiner Behauptung träte noch offener zutage, wollte man sie auch auf Friedrich L, Friedrich Wilhelm L, Friedrich den Großen usw. in Anwendung bringen. Shirers Unkenntnis bezüglich alles Preußischen findet ihr Gegenstück in einer entsprechenden Stärke seiner Vorurteile. So läßt er sich zu generalisierenden Angriffen verleiten, wobei er unter anderem feststellt: „Selbst Kant predigte, die Pflicht sei über alle menschlichen Gefühle zu stellen" (S. 91). Hat Sokrates eigentlich etwas anderes gelehrt? Der von Bismarck begründete Deutsche Staat wird von Shirer so charakterisiert: „das . Sorgenkind'Europas und der Welt, eine begabte, vitale Nation, der zunächst dieser hervorragende Mann, dann Kaiser Wilhelm II. und schließlich Hitler mit Hilfe einer Militärkaste und einer Reihe merkwürdiger Intellektueller ein Streben nach Macht und Herrschaft, eine Passion für hemmungslosen Militarismus, eine Verachtung der Demokratie und persönlichen Freiheit und eine Sehnsucht nach Autorität, ja nach dem Autoritären einimpften. So in Bann geschlagen, erklomm diese Nation größte Höhen, stürzte ab und stieg wieder empor, bis sie mit Hitlers Tod im Frühjahr 1945 scheinbar vernichtet wurde — scheinbar, denn es ist wohl zu früh, davon mit Bestimmtheit zu reden" (S. 92).

Kann man ein derartiges Urteil als gerecht bezeichnen? Shirer bezichtigt nicht nur den deutschen Mittelstand, sondern auch die Arbeiterschaft, „alles Streben nach politischer Freiheit gegen materielles Wohlergehen eingetauscht" zu haben (S. 94), wobei die soziale Gesetzgebung Bismarcks „insofern einen tiefen Einfluß auf die Arbeiterklasse“ hatte, „als diese allmählich die Sicherheit höher bewertete als politische Freiheit und im Staat... einen Wohltäter und Beschützer sah“ (S. 1051, A 27). Bismarck selbst hätte diese indirekte Anerkennung einer Politik, welche gewöhnlich als mißglückt beurteilt wird, wohl die größte Überraschung bereitet. Eine weitere maßlose und schematische Verallgemeinerung zielt auf den deut-sehen Mittelstand: „Er fand sich mit der Hohen-zoilern-Autokratie ab. Er fügte sich der Junker-Bürokratie und machte eifrig den preußischen Militarismus mit. Der Stern Deutschlands war aufgegangen, und der Mittelstand — wie fast die gesamte Bevölkerung — war sehr darauf bedacht, das zu tun, von dem seine Herren sagten, es müsse hochgehalten werden" (S. 94). Da kann man nur fragen: Haben die Leser der „Frankfurter Zeitung“, dieses großen deutschen liberalen Blattes, vielleicht einem soldien homogenen Mittelstand angehört? Shirer hat ganz offensichtlich nicht die mindeste Ahnung vom Ausmaß und von der Entschiedenheit der Kritik, welche im Wilhelminischen Deutschland seitens der Links-Liberalen und der Sozialisten ununterbrochen an der herrschenden Schicht (der zivilen wie der militärischen) geübt worden ist. Es würde für ihn nützlich sein, zur Korrektur seiner einseitigen Ansichten über das politische Leben in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg die Reichstags-Debatten über die „Daily Tele-

graph“ -Affäre vom November 1908 oder den Zabern-Zwischenfall (Dezember 1913) zu studieren — um nur zwei Beispiele zu erwähnen.

Primitive Interpretation der deutschen Geistesgeschichte

Solche einseitigen Fehlurteile über die politische Geschichte Deutschlands erscheinen allerdings noch belanglos, verglichen mit der systematischen Voreingenommenheit des Verfassers gegenüber der deutschen Geistesgeschichte. Hitlers „Weltanschauung“ hat nach ihm auch ihre „Wurzeln in der deutschen Geschichte und Philosophie“ (S. 84), genauer gesagt in „jener seltsamen Auslese hochgelehrter, aber innerlich unausgeglichener Philosophen, Historiker und Hochschullehrer, die in dem Jahrhundert vor Hitler den deutschen Geist gefangennahmen“

(S. 95). Shirer verfolgt die Ahnenreihe des Nationalsozialismus zurück bis zu Fichte (von dem gesagt wird, er habe seine nationalistischen Parolen „vom Katheder der Universität Berlin“

im Jahr 1807 verkündet [S. 96, so nur in der englischen Fassung]), zu Hegel (wegen seiner Verherrlichung des Staates und des Helden), zu Treitschke (weil er Preußentum und Krieg predigte), zu Nietzsche (weil er den Übermenschen glorifizierte und das Christentum verachtete)

und zu Wagner (dessen „Welt der barbarischen, heidnischen Nibelungen . . . stets faszinierend auf die deutsche Mentalität wirkte und einer Art von schrecklichem Verlangen in der deutschen Seele entsprach" [S. lOO]). Auch Gobineau und Houston S. Chamberlain erhalten ihren Platz auf dieser Liste der Vorläufer des Nationalsozialismus, wobei der Verfasser bedauert, daß „der beschränkte Rahmen eines Buches von der Art des vorliegenden . . . ein Eingehen auf den starken Einfluß, den andere deutsche Intellektuelle mit ihren in Deutschland populären Schriften auf das Dritte Reich gehabt haben, wie Schlegel, J. Görres, Novalis, Arndt, Jahn, Lagarde, List, Droysen, Ranke, Mommsen, Konstantin Frantz, Stöcker, Bernhardi, Klaus Wagner, Lang-behn, Lange und Spengler“ verbiete (S. 1952, A. 35). Diese gleichsam aus dem Sack gegriffene und äußerst gemischte Kollektion von Namen vermittelt dem orientierten Leser nicht gerade einen überzeugenden Eindruck von Shirers Kenntnis deutscher Geistesgeschichte Um seine einseitige Betrachtungsweise zu stützen, werden parallele Textstellen von Hitler, Hegel und Nietzsche nebeneinandergestellt (S. 108— 109). Das ist ein primitiver Rückfall in den Pamphletistenstil des letzten Krieges, der keines Kommentars bedarf. Shirer fällt allen so oft schon bloßgestellten Täuschungen seiner Vorgänger auf dem Gebiet der nationalsozialistischen „Ahnenforschung“ zum Opfer (Mc Govern, Viereck, Rohan D‘O. Butler usw.): 1. indem er den spezifischen Einfluß aller dieser sogenannten Vorläufer übertreibt; 2. indem er aus den Werken dieser sogenannten Vorläufer bestimmte Zitate, welche vielleicht in gewisser Hinsicht auf den Nationalsozialismus hindeuten, herauszieht, auch wenn sie möglicherweise in der geistigen Gesamterscheinung des Autors nur ein verhältnismäßig nebensächliches Element darstellen; 3. indem die von ihm ausgewählten Vorläufer zum Nachweis einer bestimmten Erbmasse des Deutschen Geistes herhalten müssen, während diejenigen Gestalten, die in diese Ahnenreihe nicht hineinpassen — so wesentlich sie für ihre Zeit auch waren (wie z. B. Goethe) — vollkommen außer Betracht bleiben; 4. indem andererseits der Vorläufer nationalsozialistischen Denkens außerhalb Deutschlands (z. B. Carlyle oder Danilewsky) keinerlei Erwähnung getan wird, während ihr Dasein doch erheblich an der Gegebenheit einer spezifisch deutschen Eigenart in dieser Hinsicht zweifeln läßt. Das Ergebnis einer Geschichtsschreibung, wie sie Shirer hier bietet, ist eine verstümmelte ad hoc Darstellung des deutschen geistigen Er-bes, die den Beweis für eine offensichtliche a priori These liefern soll. Shirer möchte beweisen, daß Hitler „in dem deutschen Volk, so wie es eine unerforschliche Vorsehung und die Jahrhunderte bis zu jener Zeit herausgebildet hatten, ein naturgegebenes Instrument vorfand, das er für seine eigenen unheilvollen Zwecke formen konnte“ (S. 6).

Die wesentlichen Probleme werden gar nicht gesehen

Einer solchen Art, an die Dinge heranzugehen, ist nicht nur der Vorwurf der verzerrenden Geschichtsschreibung zu machen. Schlimmer ist, daß, wer so befangen ist, zu vielen wesentlichen Fragen, die das Phänomen des Nationalsozialismus aufwirft, gar nicht erst hingelangt. Shirer selbst stellt sich nirgends die Frage, warum das deutsche Volk im Jahre 1933 der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten so wenig Widerstand entgegengesetzt hat. Für ihn ist das einfach kein Problem, weil seiner Ansicht nach die deutsche geschichtliche Überlieferung notwendigerweise zu einer begeisterten Annahme des Nationalsozialismus hinführen mußte. Er fragt nicht: Was ist eigentlich mit den deutschen Sozialisten passiert, den einst so kampflustigen und mutigen Verfechtern der Freiheit? Oder mit der Zentrumspartei, die sich so heldenhaft gegen Bismarck gewehrt hatte? Oder mit der liberalen Gruppe des Bürgertums, welche sich 1918 aus innerer Überzeugung der Republik angeschlossen hatte? Der Leser wird nach einer Antwort auf diese Fragen vergeblich suchen. Die Kapitel, welche der Weimarer Republik und besonders deren Zusammenbruch gewidmet sind, enthalten nur eine konventionelle Aufzählung der Fakten.

Es wird aber in keiner Weise der Versuch zur Durchleuchtung dieser Fakten unternommen.

Häufig trägt Shirer Anklagen vor, wo Erklärungen am Platze wären. So zum Beispiel bei seinem an sich gerechtfertigten Angriff gegen das Verhalten der deutschen Konservativen zwischen 1930 und 1933: „Mit einer Engstirnigkeit, einer Voreingenommenheit, einer Blindheit, die dem Verfasser dieses Buches, blickt er auf jene Zeit zurück, unfaßlich erscheinen, schlugen sie so lange auf die Grundlagen der Republik ein, bis sie sie, im Bunde mit Hitler, zu Fall gebracht hatten" (S. 183). Ist es unbillig, von jemandem, der sich die historische Darstellung des Dritten Reiches zur Aufgabe gestellt hat, den Versuch zu erwarten, diese Instinktlosigkeit der Konservativen, die für Hitler ein so wesentlicher Faktor auf seinem Wege zur Macht gewesen ist, irgendwie zu erklären? Shirer läßt denn auch die ausgezeichneten deutschen Arbeiten aus jüngster Zeit völlig außer acht, die in allen Einzelzügen dem Problem nachgehen, wie „das Unbegreifliche“ tatsächlich geschah Das Fehlen von Analysen ist nicht die einzige Schwäche, an welcher die Kapitel über die Weimarer Zeit kranken. Shirer bringt es nicht fertig, ein adäquates Bild von der allgemeinen verzweifelten Stimmung zu entwerfen, welche für die ersten Jahre der Republik charakteristisch war. Ebensowenig gelingt es ihm, das spezifisch bayerische Milieu zu schildern, in welchem sich die Geburt des Nationalsozialismus vollzogen hat. Zudem hat sich Shirer — nicht unbegreiflicher Weise — während der dreißiger Jahre über die übertriebenen Attacken der Nationalsozialisten gegen Versailles so geärgert, daß er zu der Überzeugung gelangt ist, der Vertrag sei im Grunde recht vernünftig gewesen Auch was er über die Ursachen der großen Inflation von 1921— 1923 und ihre mögliche Kurierung äußert, ist reichlich seltsam. Er glaubt, „die Inflation hätte durch eine Ausbalancierung des Staatshaushalts aufgehalten werden können, was zwar schwierig, jedoch nicht unmöglich gewesen wäre" (S. 61). Eine etwas naive Feststellung, die an vielen wirtschaftlichen Tatsachen der frühen zwanziger Jahre glatt vorbeigeht (z. B.der Not-

Wendigkeit des „Dumpings" im Exportgeschäft, um für die Reparationszahlungen Devisen sicher-zustellen.

Einer der Gründe, welche Shirer dafür angibt, daß der Staatshaushalt nicht ausgeglichen war, ist geradezu köstlich. Der Generalstab des Heeres, an anderem Ort etwas übertrieben als „das wirkliche Zentrum politischer Macht in dem neuen Deutschland“ bezeichnet, (S. 59) „nahm zur Kenntnis, daß die Kriegsschulden durch die Geldentwertung getilgt waren und Deutschland somit finanziell unbelastet einem neuen Krieg entgegensehen konnte" (S. 61). Die Punkte, die hier berührt wurden, sind stellvertretend für eine Vielzahl von halbwahren oder auf Mißverständnissen beruhenden oder aus Voreingenommenheit resultierenden Urteilen des Verfassers, die gleichfalls hätten erwähnt werden können. Sie belegen, daß Shirers Wissen um die politische und die Geistesgeschichte Deutschlands ihm nicht das Rüstzeug zu der These verleiht, der Nationalsozialismus sei im Gesamtgang der deutschen Entwicklung angelegt.

Mangel an Ausgewogenheit

Eine weitere Schwäche des Buches ist der Mangel an Ausgewogenheit. Es mag noch als unerheblich hingehen, daß sieben Seiten dem gescheiterten (und verhältnismäßig unbedeutenden) Versuch der Nazis gewidmet sind, im Jahre 1940 den Herzog von Windsor aus Portugal zu entführen (S. 713— 720), während der Erörterung vieler Schlüsselprobleme, welche das Hitler-Deutschland aufwirft, keine Zeile eingeräumt wird. Ernsthafter ist, daß Shirer gar nicht den Versuch unternimmt, eine abgerundete Geschichte des Dritten Reiches zu schreiben, welche auch wirklich alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt. Er liefert in erster Linie einen detaillierten chronologischen Bericht der diploma-

tischen und militärischen Ereignisse. Das sind die beiden Seiten des Gesamtbildes, für welche dem Historiker Materialien am leichtesten zugänglich sind. Aber selbst innerhalb dieser beiden Gebiete fallen seltsame Mißverhältnisse ins Auge. Die Jahre 1934— 1937 werden auf dreißig Seiten abgetan; die sehr ins einzelne gehende Beschreibung der 18 Monate vom „Anschluß“

bis zum deutschen Einmarsch nach Polen (März 1938 bis September 1939) zieht sich über 300 Druckseiten hin. Auszüge aus schon veröffentlichten Dokumenten werden in großem Umfang wiedergegeben, aber zu ihrer Interpretation geschieht erstaunlich wenig. Shirer umgeht häufig die Aufgabe interpretierender Analyse dadurch, daß er einfach feststellt, es sei ihm unbegreiflich, wie Menschen so handeln konnten, wie sie es getan haben, z. B. im Falle von chamberlains Münchner Kapitulation (S. 3 86 ff.). Dabei ist das doch eines der am meisten durchleuchteten Themen der modernen Geschichte, eines, zu dem man vom Historiker des Dritten Reiches eine bestimmte Meinung eigentlich erwarten dürfte Die Darstellung der diplomatischen Entwicklung ist übrigens fast ausschließlich auf Europa beschränkt. Über die eifrige Kultivierung des Auslandsdeutschtums durch die Nationalsozialisten (z. B. in Südamerika) oder das angestrebte Bündnis mit dem Arabischen Nationalismus hat Shirer so gut wie nichts zu sagen, und die Abschnitte über die Deutsch-Japanische Allianz gehören zu den oberflächlichsten des Buches.

An einer ähnlichen Unausgewogenheit krankt auch die Darstellung der militärischen Operationen (welche, nebenbei bemerkt, infolge des Mangels an Spezialkarten nur mit Schwierigkeiten zu verfolgen ist). Shirer gibt eine sehr ins einzelne gehende Übersicht der Feldzüge bis zum Frühjahr 1942, dann aber resigniert er, so daß die an sich ebenso wichtigen restlichen Kriegs-jahre zu kurz kommen. Eine grundsätzliche Beurteilung der Rolle Hitlers als Feldherr fehlt, ebenso wie eine Analyse der Gesamtorganisation der Deutschen Wehrmacht (oder deren Organisationsmängel), und genauso wenig werden die Ursachen der militärischen Niederlage Deutschlands näher untersucht. Um die wirtschaftlichen Aspekte der deutschen Kriegführung (auch um die Probleme der Produktion von Kriegsmaterial) bemüht sich Shirer im Grunde überhaupt nicht. Das gleiche gilt von der gesamten innerpolitischen Entwicklung Deutschlands im Kriege, mit der einen Ausnahme der Verschwörung gegen Hitler.

Bei der Behandlung der deutschen Innenpolitik bis 1938 wird der Verfasser im allgemeinen dem Gegenstand gerecht, wenn er auch nicht an die vorzüglichen und bahnbrechenden Arbeiten von Konrad Heiden auf diesem Gebiet heranreicht. Die Schilderung vom Ausbau der nationalsozialistischen Macht (1933— 1934) (Kap. 7) liest sich flott, ist aber in mancherlei Hinsicht anfechtbar. Der Verfasser weist die Verantwortung für den Reichstagsbrand in zu kategorischer Weise dem Regime zu, indem er schreibt, daß „es wenig Anlaß zu geben scheint, daran zu zweifeln, daß es die Nationalsozialisten selbst waren, die — für ihre eigenen politischen Zwecke — die Brandstiftung vorbereiteten und durchführten" S. 189). Die Artikelserie, welche Fritz Tobias für den „Spiegel" im Frühjahr 1960 schrieb, hat, wenn sie auch nach Ansicht des Rezensenten die Nationalsozialisten nicht einwandfrei reingewaschen hat, diese Frage auf jeden Fall offen gelassen. Es ist schon erwähnt worden, daß Shirer es an jeder stichhaltigen Erklärung dafür fehlen läßt, warum die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 auf so wenig Widerstand gestoßen sind. Was er über das so einschneidende Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 zu sagen hat, ist ausgesprochen töricht: „Abgesehen von der Verhaftung der kommunistischen und einiger sozialdemokratischen Abgeordneten war alles ganz legal vor sich gegangen, wenn auch mit terroristischer Begleitmusik" (S. 196, Sperrung vom Rez.). Mit besonderem Nachdruck betont er: „Die Deutschen konnten niemand anderen als sich selbst die Schuld geben“ (S. 197). Er entwickelt sogar so etwas wie eine geschichtliche Theorie der Autonomie innerpolitischer Faktoren, um damit die Ereignisse von 1933 zu erklären: „Das Hohenzollernreich war aus den Waffensiegen Preußens hervorgegangen, die deutsche Republik aus der Niederlage nach einem großen Krieg. Aber das Dritte Reich verdankte sein Entstehen weder dem Kriegsglück noch äußerem Einwirken. Es wurde in Friedenszeiten ins Leben gerufen und von Deutschen selbst — eine Frucht sowohl ihrer Schwächen wie ihrer Stärke“ (S. 183 f.). Sind das hohle Phrasen oder gehört das zum Charakter eines angeblich abschließenden Geschichtswerkes über das Dritte Reich? Sicher wird kein ernstzunehmender Historiker bestreiten, daß internationale Ereignisse, wie etwa der Versailler Vertrag, der Streit um die Reparationen und der New Yorker Börsenkrach, beträchtlich zur Eerleichterung der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten beigetragen haben.

Wichtige Teilbereiche bleiben unberücksichtigt

Lückenhaft wie die Schilderung der Innenpolitik der ersten nationalsozialistischen Jahre stellen-weise auch ist, sie existiert immerhin in Shirers Buch. Für die Jahre nach 1937 gilt dies nicht mehr. Hier fehlt jede Erörterung der deutschen innerpolitischen Angelegenheiten, wenn man von der Fritsch-Blomberg-Krise im Jahr 1938 absieht Das ist deshalb besonders beklagenswert, weil das Kapitel VIII „Leben im Dritten Reich 1933— 1937“ das beste des ganzen Buches sein dürfte, da es auf der perönlichen journalistischen Erfahrung des Verfassers beruht. Die Ausführungen dieses Kapitels über Justiz, Kultur, Wirtschaft usw. werden aber in keiner Weise für die verbleibenden zwei Drittel der Nazi-Epoche (8 von 12 Jahren) wieder ausgenommen.

In der Erörterung der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik ist die Arbeit Shirers, selbst für die Zeit vor 1937, verhältnismäßig schwach. Nur neun von 1044 Textseiten (S. 249— 258) sind wirtschaftlichen Fragen gewidmet. Die von Hitler zur Überwindung der Depression angewandten Methoden werden so gut wie gar nicht unter die Lupe genommen, das Programm öffentlicher Arbeiten, in dessen Mittelpunkt der Autobahnbau steht, wird mit keinem Wort erwähnt Hier klafft eine recht auffällige Lücke, denn die unter Hitler so erfolgreich einsetzende Herabdrückung der Arbeitslosigkeit, wie sehr sie auch in erster Linie den Kriegsvorbereitungen zu verdanken war, beeindruckte die Zeitgenossen im In-und Ausland in hohem Maße, insbesondere angesichts des Kontrastes gegenüber der schmerzlich langsamen Erholung der Wirtschaft im England Baldwins und im Amerika Roosevelts. Über die Art, wie die deutsche Wirtschaft zur nationalsozialistischen Zeit operierte, hat Shirer sehr wenig zu sagen, obgleich die wesentlichen Tatsachen schon längst bekannt sind. Auf die Probleme der deutschen Rüstungsindustrie vor und nach 1939 geht Shirer in keiner Weise ein. Die Figur Albert Speers, der ab Februar 1942 die Überwachung der gesamten Produktion unter sich hatte, tritt in Shirers Erzählung nur ganz nebenbei auf, obgleich zweifellos der Fehlschlag in der totalen Mobilisierung sowohl seiner eigenen wirtschaftlichen Hilfsquellen wie der des eroberten Europa eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch des Dritten Reichs war. Die Ernennung von Goebbels zum Reichskommissar für totale Mobilisierung in den letzten Monaten des Regimes wird nirgends erwähnt, so tief auch diese Maßnahme etwa mit dem puritanischen Verbot sämtlicher Vergügungsveranstaltungen usw. in das Alltagsleben im Dritten Reich eingriff.

Die Darstellung dessen, was man als die politische Geschichte der späteren Jahre des Dritten Reiches bezeichnen könnte, ist gleichermaßen unbefriedigend. Man erfährt wenig von den unaufhörlichen Machtkämpfen in der Umgebung Hitlers und den phantastischen Fehlleistungen, zu denen diese führten. Mit der Person Himmlers und mit der SS befaßt sich Shirer nur sehr oberflächlich, obgleich diese Organisation ganz offensichtlich ab etwa 1943 eine beherrschende Rolle im institutionellen Aufbau spielte. Von einer Analyse der Struktur dieser Organisation wird abgesehen, und wesentliche Maßnahmen wie die Anwerbung von SS-Einheiten in den verschiedenen eroberten Gebieten erfahren keinerlei Erwähnung (vielleicht deshalb, weil hier eine Unvereinbarkeit mit der These von der ausschließlich deutschen Natur des Nationalsozialismus deutlich werden würde). Wir finden nichts über die Zeitung „Das schwarze Korps", die beste Quelle zur Einführung in das, was man SS-Ideologie nennen kann, auch nichts über den faszinierenden Versuch eines hellen Kopfes unter jüngeren SS-Führern, Gunther d’Alquen, eine antistalinistische Bewegung unter Russen im Herbst 1944 zu organisieren. Himmlers Tätigkeit als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums wird von Shirer so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen, obwohl gerade sie von grundsätzlicher Wichtigkeit ist, um die Rolle zu zeigen, welche die Ideologie in Hitler-Deutschland gespielt hat, auf Kosten des Eigeninteresses und der Vernunft. Es wird nicht geschildert, wie Görings politischer Stern nadi 1941 sinkt (er fiel wegen des Versagens der Luftwaffe in Ungnade), oder wie andererseits der unheimliche Martin Bormann in der Partei-kanzlei zu höchstem Einfluß gelangt, nachdem Hess nach England geflogen war. Die NSDAP verschwindet praktisch aus Shirers Darstellung nach 1937; unter Hess hatte die Partei allerdings stark an Bedeutung verloren, aber nach dem Bormann sie in zahllose Funktionen des Staates eingeschaltet hatte (z. B. die Zivilverteidigung), stieg ihre Bedeutung wieder an. Nirgends erfährt der Leser etwas von dem zunehmenden Einfluß von Bormann, Kaltenbrunner, Goebbels, Keitel und Lammers oder dem damit gleichlaufenden Zurücktreten von Männern wie Rosenberg, Frick und Ribbentrop.

Auch unternimmt Shirer keinen Versuch, die Rolle zu bestimmen, welche die deutsche Ministerialbürokratie in Entwicklung und Ausführung der Politik des Regimes zu spielen fortfuhr. Dem Historiker begegnen hier zwei Phänomene, einerseits das Mittun allzu vieler Beamten bei den verbrecherischen Praktiken des Regimes, andererseits aber auch ein beachtlicher Widerstand demgegenüber und eine Sabotage der Nazi-Politik, wie sie fast in allen Ministerien vorgekommen ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, zweifellos, wie Shirer wiederholt vermerkt, als Komplize an vielen Greueltaten beteiligt, war nichtsdestoweniger der Kopf eines Widerstandskreises und ging damit ein hohes persönliches Risiko ein. Es erübrigen sich weitere Ausführungen darüber, daß Shirer die Gelegenheit unbenützt läßt, vielen interessanten Aspekten der Verwaltungsgeschichte des Dritten Reiches nachzugehen.

Eine der auffallendsten Lücken in Shirers Buch ist das Fehlen jeder zusammenhängenden Darstellung der nationalsozialistischen Herrschaft in den besetzten Gebieten. Im XXVII. Kapitel („Die Neuordnung“) wird eine wertvolle Schil-

derung der nationalsozialistischen Greueltaten geliefert, welche so leicht dem Vergessen anheimfallen (besonders im heutigen Deutschland).

Die Berichte sind gut dokumentiert und führen dem Leser die nationalsozialistischen Brutalitäten gegenüber slawischen „Untermensdien" vor Augen, die Plünderung Europas, den Einsatz von Zwangsarbeitern, die grauenhaften Mißhandlungen von Kriegsgefangenen, den Terror in den eroberten Ländern, die „Endlösung" der Judenfrage, die Ausrottungslager, die Vernichtung des Warschauer Ghettos, die bestialischen medizinischen Experimente, die grausame Liquidierung von Lidice und Oradour-sur-Glane. Es werden aber dabei die vielen Probleme nicht angegangen, deren Klärung für das Verständnis der vierjährigen nationalsozialistischen Gewaltherrschaft über den größten Teil Europas wesentlich wäre. Auf Fragen der Kollaboration, welche in mehreren Ländern eine wichtige Rolle gespielt hat, geht der Verfasser so gut wie gar nicht ein. Das Gleiche gilt für die Widerstandsbewegungen in den besetzten Gebieten, welche häufig indirekt zur Stärkung der Kollaboration beitrugen, weil jene immer mehr unter kommunistischen Einfluß gerieten (z. B. in Jugoslawien). Die Verwaltungsstruktur, die Hitler dem eroberten Europa auferlegte, wird von Shirer in ihrer chaotischen Verschiedenheit nicht näher erörtert: Unmittelbare Annexion durch Deutschland (z. B. Warthegau im Osten, Eupen im Westen), Zivilverwaltung als Vorbereitung zur späteren Annexion (z. B. Elsaß-Lothringen), angeschlossenc Gebiete, welche zu ewiger Versklavung bestimmt waren (z. B. das Böhmische „Protektorat“, das Polnische „General-Gouvernement“, die Ukraine usw.), besetzte Gebiete unter Militärverwaltung (z. B. Belgien, Nordfrankreich) oder unter Zivilverwaltung (z. B. Norwegen, Holland), Operationszonen (z. B. das besetzte Italien nach Badoglios Umschwenken zu den Alliierten. Je nach dem Typ der deutschen Verwaltung war das Los der Bevölkerung in diesen Gebieten sehr unterschiedlich, und an diesen verschiedenen Herrschaftstypen kann bis zu einem gewissen Grade abgelesen werden, was die Nationalsozialisten aus Europa gemacht haben würden, hätten sie den Krieg gewonnen Bedauerlich ist auch, daß Shirer nirgends die Hitlerschen Nachkriegspläne analysiert, zu denen eine große Siegesfeier auf der Marienburg (Symbol des Deutschen Ordens) gehörte sowie auch ein baldiger Schlag gegen die christlichen Kirchen und die Systematisierung der Zwangsarbeit in den Ostgebieten. Die Gedankengänge einiger nationalsozialistischer Ideologen entbehrten jedoch auch nicht ganz gewisser „europäischer Züge“, und es fehlte nicht an Plänen für öffentliche Arbeiten und für industrielle Arbeitsteilung im kontinentalen Rahmen — ohne Zweifel eine scheußliche Pervertierung des Traums vom vereinigten Europa, aber doch gewiß ein Gegenstand, welchen jeder Historiker des Dritten Reiches anpacken sollte.

Unverständnis für das Wesen des totalitären Staates

Bei einem Mann, welcher eher vom Journalismus herkommt als von der Wissenschaft, ist vielleicht ein so beschaffenes Bild der deutschen Geschichte und ist auch das Unterlassen ernsthafter historischer Studien auf bisher unerforschten Gebieten nicht unbedingt erstaunlich. Was aber überrascht, ist die Tatsache, daß es dem Verfasser nicht gelingt, das Wesen eines modernen totalitären Staates zu beschreiben, oder ein echtes Verständnis für dieses Phänomen aufzubringen, obgleich er mehrere Jahre lang als Ausländskorrespondent in Berlin zugebracht hat. Man darf ihm zugutehalten, daß er der primitiven marxistischen Theorie vom Nationalsozialismus als einer natürlichen Fortentwicklung des Monopol-Kapitalismus nicht verfällt Das Vermeiden dieses Irrtums führt jedoch nicht zu einem allgemeineren Verständnis der Wurzeln des modernen Totalitarismus. Nichts ist zu lesen vom „Aufstand der Massen“, von der Atomisierung der Sozialstruktur Europas seit der Französischen Revolution, von der Wurzellosigkeit der modernen Industriegesellschaft, von der Tendenz zur „Flucht vor der Freiheit“ usw. Die ausschließliche Beschäftigung mit dem nationalsozialistischen Deutschland erlaubt dem Verfasser keine vergleichende Analyse der modernen totalitären Systeme. Seine Lieblingstheorie, wonach der Nationalsozialismus den natürlichen Kulminationspunkt einer spezifisch deutschen Entwicklung darstellt, verbaut ihm jede Einsicht, die vom Studium anderer „totalitärer Gesellschaften", etwa von der Art der sowjetrussischen, zu gewinnen wäre. An keiner Stelle des Buches merkt man etwas von einem Versuch des Verfassers, in das Problem bis zu dem Punkt einzudringen, wo der Nationalsozialismus eine allgemein-menschliche Bedeutung besitzt; wo die erschreckenden Abgründe der menschlichen Natur und die gefährdete Lage unserer ganzen gegenwärtigen Zivilisation sichtbar werden: Der „Hitler in uns selbst", wie Max Picard dieses Phänomen bezeichnet, das unglückseligerweise keineswegs nur ein deutsches ist.

Es kann bei der begrenzten Einsicht Shirers in das Wesen des modernen Totalitarismus nicht ausbleiben, daß er in der Frage der Kollektivschuld des Deutschen Volkes an den von der nationalsozialistischen Regierung verübten Verbrechen einen ausgesprochen dogmatischen Standpunkt verficht. Edmund Burke hat einst erklärt, er wüßte nicht, wie man Anklage gegen ein Volk in seiner Gesamtheit erheben könne. Shirer weiß es. Seine pauschalen Verurteilungen ähneln zuweilen in der Tat in verdächtiger Weise den nationalsozialistischen Lehren von Rasse und Volkstum. Die vollkommene Hilflosigkeit, zu welcher der durchschnittliche Staatsbürger im Getriebe eines totalitären Systems verdammt ist, wird von Shirer nicht in genügendem Maße in Rechnung gestellt. Bei den letzten noch relativ freien Wahlen (März 1933) gaben etwa 5 5 Prozent der deutschen Wähler nicht-nationalsozialistischen (hauptsächlich anti-nationalsozialistischen) Parteien ihre Stimme. Es ist natürlich zutreffend, daß viele von diesen Wählern (vielleicht die meisten) in der Folgezeit die nationalsozialistische Regierung „unterstützten". Der Begriff des „Unterstützens“ umfaßt jedoch eine Skala sehr verschiedener Verhaltensweisen gegenüber einem totalitären Regime, angefangen bei der konkret-persönlichen Mittäterschaft an verbrecherischen Handlungen über die bloße Begeisterung für das Regime (also immerhin auch eine Art von stellvertretender Mittäterschaft) über ein wissendes Sich-Beruhigen und -Fügen bis hin zur politischen Gleichgültigkeit. Shirer sieht zwischen diesen verschiedenen Verhaltensweisen und den sich daraus ergebenden verschiedenen Graden der Verantwortlichkeit keinerlei Unterschied. „Widerstand" gegen einen totalitären Staat ist ebenfalls ein vielfältiges Phänomen. Es kann aktive Verschwörung bedeuten, aber auch bloßes Nichtmitmachen oder „innere Emigration“.

Keine gerechte Würdigung des deutschen Widerstandes

Einer der sehr wenigen Lichtblicke der deutschen Geschichte während des Dritten Reiches beruht auf der Tatsache, daß die von den Nationalsozialisten verübten Greueltaten im Deutschen Volk ganz erhebliche Opposition hervorgerufen haben. Shirers Darstellung der deutschen Widerstandsbewegung ist verhältnismäßig vollständig, aber die spürbare Kälte, mit welcher der Verfasser das Thema behandelt, und das Fehlen eines näheren Eingehens auf die Motive und Ideale der Führer des Widerstands beeinträchtigen den Wert auch dieser Abschnitte. Shirer ist sehr viel rascher bereit, über Verzögerungen und Mißgriffe den Stab zu brechen — deren es, leider!, nur zu viele gab —, als den enormen Schwierigkeiten gerecht zu werden, welchen sich die Ver-schwörer in dem von der Gestapo beherrschten Deutschland gegenüber sahen. Seine Erzählung wird dem Heldentum jener Männer entfernt nicht gerecht, die ihr eigenes Leben und das ihrer Angehörigen aufs Spiel setzten und die ihre richtige Einschätzung des Nationalsozialismus dadurch bewiesen, daß sie sich — unter Mißachtung aller konventionellen Begriffe von Patriotismus und politischem Gehorsam — mitten im Krieg zum Attentat auf den obersten Kriegsherrn entschlossen (20. Juli 1944)

Nicht unberechtigt ist die Kritik Shirers an den vielen Deutschen, welche ihr eigenes Versagen auf die westlichen Alliierten abschieben, weil diese die Verschwörer nicht ermutigt und statt dessen die Forderung der bedingungslosen Kapitulation und den Morgenthau-Plan verkündet hätten (930). Aber er übertreibt mit der Behauptung, für die meisten Beteiligten habe es sich nicht um Widerstand gegen das Nazisystem gehandelt, sondern nur darum, daß Deutschland noch zu einigermaßen günstigen Bedingungen aus dem Krieg herauskomme. Der Kerntrupp der Verschworenen hat am 20. Juli 1944 bewiesen, daß auch ohne irgendeine Ermutigung von Seiten der westlichen Alliierten sie zum Losschlagen entschlossen waren. Es kann darüber kein Zweifel bestehen, daß ihre Aufgabe erleichtert worden wäre, wenn ihnen der Westen offiziell oder privat das Versprechen tragbarer Friedensbedingungen (etwa die deutschen Grenzen von 1937) angeboten hätte. Nach Shirers Meinung ist der Erfolg, den Goebbels aus der Ausbeutung des Wortes von der bedingungslosen Kapitulation zur Auspeitschung der letzten Widerstandskraft des deutschen Volkes zog, „von einer überraschend großen Zahl westlicher Schriftsteller weitgehend übertrieben worden“ (S. 1033 — nur in der englischen Fassung). Einen Beweis dafür tritt der Verfasser jedoch nicht an. Wie man weiß, hat eine beträchtliche Anzahl von Generälen, an welche sich die Führer der Widerstandsgruppe gewandt hatten, die Teilnahme verweigert, bevor nicht in irgendeiner Form eine Ermutigung von Seiten der Westmächte erfolgt sei. In vielen Fällen war das zweifellos eine Entschuldigung, die andere Beweggründe zur Zurückhaltung verdecken sollte. Eine echte Schwierigkeit hat jedoch bestanden. Man setze den Fall, den Verschworenen wäre es gelungen, Hitler zu stürzen, und sie wären danach gezungen worden, bedingungslos zu kapitulieren mit der Folge einer Besetzung Ostdeutschlands durch die Russen, Westdeutschlands durch die Anglo-Amerikaner, und dies im Zeichen (wenn auch nur auf eine gewisse Zeit) einer „Morgenthau-Plan“ -Psychologie. Es würde schwer sein, sich ungünstigere Voraussetzungen für die Entwicklung einer gesunden deutschen Politik vorzustellen. Besser hätte einer Wiederbelebung des Nationalsozialismus, gestützt auf eine neue Dolchstoßlegende, der Boden nicht bereitet werden können. Shirer hat offenbar keinen Sinn für solche Überlegungen

Es wären noch einige besondere Punkte zu erwähnen, in denen Shirer über das Widerstands-problem Urteile fällt. Der geistige Werdegang Stauffenbergs, der zugegebenermaßen erst spät zu einer anti-nationalsozialistischen Stellung-nähme gelangte und der zu den Bewunderern des Dichters Stefan George gehörte, macht auf den Verfasser wenig Eindruck. Derselbe Mann, der später persönlich das Attentat auf Hitler versucht hat, interessierte sich lebhaft für die russische Anti-Stalin-Bewegung unter General Wlassow (was Shirer, wie schon bemerkt, nicht getan hat): „Stauffenberg glaubte, daß russische Truppen benutzt werden könnten, um Stalins Tyrannei zu stürzen, während die Deutschen gleichzeitig sich der Hitlerschen entledigten. Vielleicht war dies ein Beispiel von Stefan Georges wirren Ideen.“ (S. 1929, nur in der englischen Fassung). Was war eigentlich wirr an dem Gedanken, mit Hilfe von Russen Stalins Herrschaft zu stürzen? War nicht Himmlers entgegengesetzte und verbrecherische Politik der Versklavung des russischen Volkes ein Höhepunkt mangelnder Realistik, indem ein solches Vorgehen ja die Russen förmlich dazu zwang, Stalin die Stange zu halten? Und was hatte überhaupt Stefan George mit Stauffenbergs Auffassungen von der Kriegsführung in Rußland zu schaffen?

Mit seiner Darstellung des deutschen Widerstands wird Shirer der Größe des Themas nirgends gerecht. Er kann sich für keine der Gestalten, welche an der Verschwörung beteiligt waren, wirklich erwärmen — nicht einmal für den feurigen Stauffenberg oder den verklärten Moltke. Für die politischen Ideen des„Kreisauer Kreises“ hat er nur Verachtung; er tut sie allzu leichtfertig mit den Worten ab: „Sie schwebten mit ihre edlen Idealen hoch in den Wolken, und es haftete ihnen etwas vom deutschen Mystizismus an“ (S. 927). Es entgeht ihm völlig die Bedeutung, welche einer über den politischen Gegensätzen des Alltags stehenden „Gemeinschaft der Geister" zukommen kann, wenn einmal die Scheidelinie gezogen ist zwischen ethisch gebundenen Menschen und solchen, die es nicht sind. Die Widerstandsbewegung in Deutsch-

land hat Generäle und Zivilisten, alte und junge Männer, Katholiken und Protestanten, Sozialisten, Liberale und Konservative zusammengeführt. Gemeinsam war ihnen das Gebundensein an gewisse Grundbegriffe von Recht, Gesetz, Anstand und Achtung für die Würde des Menschen. Sie wurden sich dieses gemeinsamen Bodens bewußt, indem sie in entschiedener Opposition standen gegen das im Naziregime verkörperte Böse schlechthin. Das gehört eben auch zur Geschichte des Dritten Reiches, das die in ihm verkörperte äußerste Verderbnis eine Reaktion edelster Offenbarungen des menschlichen Geistes hervorgerufen hat, wobei sich übrigens zeigen sollte, daß die deutsche Geschichte Möglichkeiten bereit hielt, die aufs deutlichste von denen sich unterschieden, die Shirer im Rahmen seines engen Geschichtsbildes so ausschließlich heraushebt.

Shirer bekennt, ratlos dem Problem gegenüberzustehen, wie es denn Hitler möglich war, beim deutschen Volk auch noch während der letzten Monate des Krieges seine Autorität aufrechtzuerhalten: „Wie hypnotisiert, unter einer Suggestion stehend, die — wenigstens für einen Nichtdeutschen — unerklärlich ist, bewahrte dieses große Volk Hitler bis zuletzt seine Anhänglichkeit und sein Vertrauen“ (S. 987). Die Lösung dieses Problems ist nicht annähernd so schwierig, wie Shirer annimmt. Zunächst übertreibt er das Vertrauen und die Anhänglichkeit, über die Hitler während der letzten Jahre seiner Regierung noch verfügte. Der weitverbreitete Defaitismus und die zahllosen Desertierten, welche von der SS in brutaler Weise geahndet wurden, sind beredtes Zeugnis vom Gegenteil. Es ist ein besonders schwerwiegender Mangel von Shirers Buch, daß sich die Darstellung der Ereignisse im Frühjahr 1945 völlig auf Hitler konzentriert, daß all die Wahnsinnsszenen, welche sich in dem Berliner Bunker abspielten, im Detail festgehalten werden und darüber das Bild der deutschen Katastrophe als Ganzes zu kurz kommt. Die unaufhörlichen Luftangriffe gegen deutsche Städte hatten Millionen von Deutschen in Wut gegen die Westmähte versetzt; grauenerregende Berichte vom Verhalten der russischen Truppen in Ostdeutschland waren zu ihnen gedrungen; von den westlichen Regierungen, bei denen der Geist Morgenthaus herrschte, glaubten sie sich wenig erhoffen zu dürfen. Sie standen unter den betäubenden Wirkungen der von Goebbels monopolisierten Propaganda. Wie bezeichnend, daß, nah seinem eigenen Zeugnis, sogar Shirer selbst ihr zuweilen zum Opfer gefallen ist, trotz seiner journa-listishen Erfahrung und trotz regelmäßiger Kontakte mit nihtdeutshen Kreisen, und das in dem noh verhältnismäßig milden Klima von 1939 (S. 536). Ferner wurden ja den Deutshen sogenannte „Wunderwaffen“ (ferngelenkte Raketen, Düsenflugzeuge, neuartige Unterseeboote) versprühen, mit Hilfe derer noh eine Wende der militärishen Lage herbeigeführt werden könne; vor allem aber standen sie unter dem Terror der SS-Kommandos, weihe die geringste Spur von Defaitismus durh sofortige Exekution auszurotten suhten. Ist es bei all dem wirklih so erstaunlih, daß viele Deutsche bis zum bitteren Ende weitergekämpft haben?

Die gültige Geschichte des Dritten Reiches muß noch geschrieben werden

Es wird aus diesen kritischen Betrachtungen wohl deutlich hervorgehen, daß eine wirklich den Dingen auf den Grund gehende Geschichte des Dritten Reiches, welche alle Umstände gegeneinander abwägt, noch geschrieben werden muß. Eine solche Darstellung wird allerdings das von Shirer wieder aufgewärmte Märchen der Kriegszeit vermeiden müssen, wonach Deutschland sich gewissermaßen auf einer Einbahnstraße von Luther zu Hitler bewegt habe. Sie muß sich vielmehr zum Ziel setzen, den Nationalsozialismus im allgemeinen Zusammenhang des modernen Totalitarismus zu begreifen. Sie muß versuchen, den spezifischen Zusammenhang von Ursachen aufzufinden, wozu gewiß auch der besondere Nationalcharakter der Deutschen und ihr geschichtliches Erbe gehören, aber nicht minder auch die konkreten Umstände, nationaler wie internationaler Art, die 1933 zum Sieg des Nationalsozialismus geführt haben. Eine solche Darstellung müßte sich um eine gegenstandsgerechte Verteilung der Gewichte auf die diplomatischen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen, verwaltungsmäßigen und kulturellen Fragen bemühen. Sie müßte Schritt halten mit den Ergebnissen der neuesten Forshung, insbesondere der sehr fruchtbaren historishen Arbeit, weihe gegenwärtig in Deutshland geleistet wird. Sie muß nah Antworten suhen auf rihtig gestellte Fragen und darf sih niht mit einer bloßen hronikalishen Aufzählung von Ereignissen begnügen. Vor allem aber sollte sie beseelt sein von einer großzügigen und weltoffenen Gesinnung, die gegen Vorurteile angeht und die es dem Historiker erlaubt, niht nur die nationalsozialistischen Ver-breher und deren Komplizen ihrem eigentlihen Wesen nah zu verstehen, sondern auh die Menshen, die heldenhaft Widerstand leisteten. Nur so ist es möglih, ein wirklihes Gesamtbild Deutshlands in der nationalsozialistischen Zeit zu entwerfen. Politik und Zeitgeschichte Aus dem Inhalt der nächsten Beilagen:

Robert J Alexander: Die kommunistische Durchdringung Lateinamerikas Peter Bender: Die Weltjugendfestspiele in Helsinki Jakob Hommes: Kommunistische und freie Gesellschaft philosophisch kontrastiert K. A. Jelenski: Die Literatur der Enttäuschung Harald von Koenigswald: Deutsch -schwedische Flüchtlingshilfe Fihr. V. Lansdorf: Sowjetische Wirtschaftspolitik Walter Z. Laqueur: Rußland mit westlichen Augen Egmont Zechlin: Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche (IV. Teil) v

Fussnoten

Fußnoten

  1. Daß Shirer die neuere deutsche Geschichtsschreibung unberücksichtigt läßt, erhellt aus der Tatsache, daß er auf keinen einzigen Aufsatz in den . Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte* Bezug nimmt, obgleich es sich hierbei um die maßgebliche geschichtswissenschaftliche Zeitschrift handelt, welche der Epoche der Weimarer Republik und des Dritten Reiches gewidmet ist, und fast jede Nummer wichtige Beiträge enthält. Er erwähnt das Vorhandensein dieser Zeitschrift nur, umfestzustellen (S. 1182, nur in der englischen Fassung), daß in einer bestimmten Nummer (jedes Heft enthält als Beilage eine . Bibliographie zur Zeitgeschichte', die fortlaufend Neuerscheinungen nach Sachgruppen geordnet aufzeigt!) eine wertvolle Bibliographie erschienen sei, wobei er, wie noch gezeigt werden soll, von dieser Bibliographie keinen nutzbringenden Gebrauch macht.

  2. Hierzu sei nebenbei bemerkt, daß die Universität von Berlin erst 1810 gegründet wurde, wie jedem bekannt ist, der sich mit der Zeit der preußischen Reform befaßt hat.

  3. S z. B. Karl Dietrich Bracher: „Die Auflösung der Weimarer Republik“ (Stuttgart 1957); Werner Conze: „Die Krise des Parteienstaates in Deutschland 1929— 1930", Historische Zeitschrift, CLXXVIII (1954, 47— 83); W Besson: „Württemberg und die deutsche Staatskrise“ (Stuttgart 1959) Dieser Aufzählung muß jetzt noch der hervorragende Sammelband: „Das Ende der Parteien 1933" (herausgegeben von Erich Matthias und Rudolf Morsey, Düsseldorf 1960) hinzugefügt werden, welcher gleichzeitig mit dem hier besprochenen Buch von Shirer herauskam.

  4. Hier auf S. 57 hinzuweisen, wo sich Shirer liber jene lustig macht, welche den Vertrag als unerträglich bezeichneten. Der Vertrag hatte aber in der Tat viele unerträgliche Züge, abgesehen davon, daß er einen klaren Bruch des „Vor-Waffen-Stillstands-Vertrages* bedeutete. Das Problem ist meiner Ansicht nach am einsichtigsten von Erich Eyck in seiner: . Geschichte der Weimarer Republik* I, Kap IV (Zürich 1954) behandelt worden. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß ein unerschütterlicher deutscher Liberaler wie Eyck das Opfer nationalsozialistischer Propaganda geworden sein sollte.

  5. Shirer benutzt hier, soweit er auf Sekundär-literatur zurückgreift, die Arbeit von J. Wheeler-Bennet: »Munich: Prologue of Tragedy* (New York 1948), ein ausgezeichnetes Buch im Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Unberücksichtigt bleiben die neueren Arbeiten: R. G. D. Lassan: »The Crisis over Czechoslovakia Jan. —Sept. 1938* (London 1951) und Boris Celovsky: »Das Münchener Abkommen von 1938* (Stuttgart 1958,) welch letztere Wheeler-Bennet teilweise überholt.

  6. Shirer unterläßt es dabei, die maßgebliche Abhandlung von Hermann Foertsch: »Schuld und Verhängnis. Die Fritschkrise im Frühjahr 1938 als Wendepunkt in der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“ (Stuttgart 1951) heranzuziehen.

  7. Die notorische Tatsache, daß manche von den ewig gestrigen Deutschen törichterweise mit dem Hinweis auf die Autobahnen zu beweisen versuchen, daß nicht alles im Hitler-Reich schlecht gewesen sei, ist in diesem Zusammenhang belanglos.

  8. Wenn Shirer auch gelegentlich, einem weitverbreiteten Irrtum folgend, Hitler als . Politiker der Rechten* bezeichnet (S 24) oder als .conservative nationalist* (S. 161, nur in der englischen Fassung steht das Wort „konservativ“; vgl. S. 156 der deut-sehen Fassung).

  9. Von einem Versuch, sämtliche Lücken aufzuzei-gen, welche dem Buch Shirers in bezug auf die Widerstandsbewegung eigen sind, muß hier abgesehen werden. Die Opposition, welche die christlichen Kirchen gegen das Euthanasie-Programm (1939— 1941) leisteten und der ein schließlicher Erfolg, nämlich die Einstellung dieser Maßnahmen, beschieden war, wird überhaupt nicht erwähnt. Bei der Schilderung des Kirchenkampfs hätte der Verfasser manchen Nutzen aus der Arbeit von Hans Buchheim: . Glaubenskrise im Dritten Reich: drei Kapitel nationalsozialistischer Religionspolitik* (Stuttgart 1953) ziehen können.

  10. Für den Rezensenten führen diese Überlegungen zu dem tragischen Schluß, daß für die zukünftige politische Entwicklung Deutschlands in abwägender Betrachtung dem Scheitern der Verschwörung der Vorzug zu geben war, obwohl dies neun weitere Monate Krieg und die Abschlachtung der anti-nationalsozialistischen Elite durch Hitlers Henkersleute bedeutete. Und doch mußte die Verschwörung gewagt werden aus dem Grunde, welchen Tresckow, eine der positivsten Gestalten der Verschwörung, angedeutet hat, indem er davon sprach, daß der Herr Sodom und Gomorrah verschont haben würde, hätten nur einige wenige Gerechte darin gelebt. Aber solche Erwägungen gehen weit über den Rahmen der vorliegenden Rezension hinaus.

Weitere Inhalte

Anmerkung: Klaus Epstein, Dr. phil., geb. 6. 4. 1927 in Hamburg, 1938 mit den Eltern nach den USA emigriert, Associate Professor of History, Brown University, Providence, Rhode Island. Veröffentlichung u. a. „Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie”, Berlin 1962.