Das Verhältnis zwischen zwei Völkern wird grundlegend von Interessen und nicht von Emotionen bestimmt. Da die Interessen der USA und der Bundesrepublik heute in allen entscheidenden außenpolitischen Fragen parallel laufen, ist das amerikanisch-deutsche Verhältnis das eines engen Bündnisses, wobei man direkt von einer gegenseitigen Abhängigkeit sprechen kann. Trotzdem lehrt aber die historische Erfahrung, daß emotionale Sympathien — oder wenigstens die Abwesenheit von Antipathien — zur Untermauerung eines Bündnisses wünschenswert, obwohl nicht absolut notwendig sind. Man denke z. B an die amerikanischen Beziehungen zu Großbritannien oder Kanada, wo in beiden Fällen Vernunftbündnisse sehr wirksam durch Herzensneigungen verstärkt werden und bei Reibungen — die in jedem Bündnis wie in jeder Ehe notwendigerweise vorkommen — eine besänftigende Rolle spielen. Es ist eine bedauerliche Tatsache, daß das heutige deutsch-amerikanische Bündnis, wenigstens von Seiten Amerikas, der gefühlsmäßigen Bekräftigung noch weitgehend entbehrt — ein Manko, dessen Erklärung vorwiegend in der Geschichte der letzten hundert Jahre gesucht werden muß. Es sei deswegen gestattet, der systematischen Analyse der pro-und antideutschen Kräfte in Amerika einen kurzen historischen Rückblick voranzustellen Hierbei ist zu bemerken, daß die Vorstellungen der öffentlichen Meinung über andere Völker notwendigerweise durch Klischees beherrscht werden, die den Nuancierungen des wirklichen Lebens keineswegs gerecht werden — trotzdem aber ein bedeutsames politisches Faktum darstellen. kapitalistisch eingestellten Amerikaner ein Greuel: das Zentrum war ihm als konfessionelle Partei zuwider und zugleich unverständlich, da seine Berechtigung bei der in Amerika traditionellen Trennung von Staat und Kirche nicht einleuchtete; der Liberalismus hatte sich durch seine weitgehende Kapitulation vor Bismarck Interesse und Wohlwollen verscherzt Die Feindseligkeit der „liberalen" Angelsachsen gegen das „autoritär-militaristische rückständige" Deutschland verschärfte sich in der W/ilhelminischen Ära allgemein, um im ersten Weltkrieg,
I. Historischer Rückblick
Die Vorstellungen über Deutschland in der amerikanischen Öffentlichkeit haben sich in den letzten hundert fahren oft gewandelt Bis etwa 1860 galt der Deutsche als ein etwas versponnene Träumer, bierliebend, wi-klichkeitsfremd, sich in die Romantik flüchtend, unpolitisch und ungefährlich Deutschlands Regierungen wurden im Zeitalter des unvermeidlich vordringenden Liberalismus als rückständig, aber glücklicherweise zugleich morsch angesehen. Die deutsche Wissenschaft genoß Weltruf, der deutsche Professor aber galt als eine etwas lächerliche, obwohl ehrwürdige Figur. Der politisierende Professorwie er in der Paulskirche hervorgetreten war —, ein Typ, den es in Amerika bis auf wenige Ausnahmen (Wilson) bis in die 80er Jahre unseres Jahrhunderts kaum gab, galt als symptomatisch für die liebenswürdige Weltfremdheit des deutschen Volkes.
Das Zeitalter Bismarcks führte zu ganz neuen Klischees Der säbelrasselnde Offizier mit dem Monokel, der herrschsüchtige lunker, der arrogante Bürokrat, der fleißige Kaufmann, der — weil er kein Weekend machte — seine englischen Konkurrenten schlug, waren nun die vorherrschenden Typen und wurden hierbei -mit Ausnahme des letzten — als unsympathisch empfunden Der Professor zählte jetzt zur Leibgarde des Hauses Hohenzollern und verscherzte sich damit die Sympathien Amerikas. Die Deutschfeindlichkeit einflußreicher amerikanischer Kreise geht auf diese Zeit zurück und läuft parallel mit ähnlichen Erscheinungen in England, (Der deutsche Leser muß sich bewußt sein, daß England eine wichtige Rolle in der Vermittlung des amerikanischen Deutschlandbildes spielte und spielt.) Ohnehin gab es in Amerika nur wenig Sympathien selbst für die „fortschrittlichen Kreise” des Kaiserreichs. Die Sozialdemokraten waren dem zum „Kreuzzug für die Demokratie" gemünzt, ihren Höhepunkt zu finden.
Der Weimarer Republik zollte die amerikanische Öffentlichkeit große Sympathie. Man begrüßte sie als Produkt des Wilsonschen Liberalismus und bereute die Haßorgien des Weltkriegs (Deutsche Hunnen) und ihren Niederschlag im Vertrag von Versailles ehrlich Man bewunderte den Sieg der Republik über die bolschewistische Gefahr von 1919 und den bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung der Jahre nach 1924, der — wie man sich bewußt war — weitgehend auf amerikanischen Investitionen beruhte und durch die amerikanische Dämpfung der französischen Gewaltpolitik (Dawes-Plan!) erst ermöglicht wurde. Um so größer war die Enttäuschung, als das deutsche Volk der Demokratie den Rükken kehrte und die Hitlerdiktatur ohne wesentlichen Widerstand akzeptierte. Die vorherrschenden Typen der Jahre 193 3 bis 1945, der heiser schreiende „Führer", der ungeschliffene SA-Mann, der karrieremachende Offizier, der Folterknecht der Gestapo und der anpassungswillige Mitläufer, sie alle geistern noch heute in dem Deutschlandbild vieler Amerikaner. Durch sie erklärt sich weitgehend, warum Amerika den zweiten Weltkrieg politisch so unklug bis zum „unconditional surrender“ führte, ohne Beachtung der kommunistischen Nachkriegs-gefahr. Diese Vorstellungen erklären auch, warum die amerikanische Öffentlichkeit den Wert und die Bedeutung des deutschen Widerstandes gegen Hitler noch nach dem 20. Juli 1944 verkannte, weil solch ein heroischer Widerstand in das klischierte Deutschlandbild einfach nicht paßte. Schließlich ist in diesen Begriffen auch die Antwort zu finden auf die Frage nach den Ursprüngen der oft sinnwidrigen Vorstellungen, mit denen die amerikanische Besatzungsarmee 1945 nach Deutschland kam.
Die Jahre nach 1945 führten zu einer langsamen Wandlung, obwohl -wie später eingehend dargelegt werden wird — die Antipathien aus der Nazizeit in einflußreichen Kreisen Amerikas noch keineswegs erloschen sind. Die Tüchtigkeit und der Mut des deutschen Volkes bei dem Wiederaufbau aus den Trümmern des zweiten Weltkrieges erwarb starke Sympathien. Das „politische Wunder“ der Schaffung einer funktionsfähigen Demokratie — im Grunde eine noch bedeutendere Leistung als das vielberufene Wirtschaftswunder — fanden Achtung, obwohl skeptische Stimmen in Amerika keineswegs verstummten, die einen Rückfall in eine nicht demokratische Staatsform noch heute befürchten. (Da die deutsche Bundesrepublik bisher noch keine wirkliche Belastungsprobe durchstanden hat, können solche Stimmen nicht mit absoluter Überzeugungskraft widerlegt werden.)
Der Wendepunkt im deutsch-amerikanischen Verhältnis war die Berliner Blockade von 1948. Die Zivilcourage der Bevölkerung der Stadt, ihr unbedingtes Vertrauen zu Amerika und die charismatische Persönlichkeit Ernst Reuters machten einen unauslöschlichen Eindruck auf die amerikanische Öffenlichkeit. Die eindeutige Westorientierung der bundesrepublikanischen Außenpolitik und die imponierende Figur Bundeskanzler Adenauers trugen dazu bei, die pro-deutsche Stimmung bedeutender amerikanischer Kreise zu verstärken. Bei der unerhörten Belastung, die das Ansehen Deutschlands durch die nationalsozialistische Vergangenheit erfährt, bedeutet dies schon sehr viel. Trotzdem darf nicht verschwiegen werden, daß noch heute einflußreiche Kreise Deutschland feindselig oder doch zum mindesten skeptisch gegenüberstehen.
II. Die heutige Lage
Bevor wir die eben angeführten Kreise — und ihre Antagonisten — analysieren, ist es wichtig, das Deutschlandbild der amerikanischen Öffentlichkeit in die Gesamtperspektive des amerikanischen Lebens zu rücken. Hier muß vermerkt werden, daß sich nur ein winziger Teil des amerikanischen Volkes irgendwie ernsthaft mit deutschen Dingen beschäftigt. Dies hängt in der Hauptsache damit zusammen, daß die auch in der Bundesrepublik bedauerte apolitische Haltung des modernen Menschen auch für das Amerika der 60er Jahre überaus charakteristisch ist. Der Massenmensch — drüben wie hier — konzentriert sich weitgehend auf seine Privatsphäre, in der der materielle Erwerb die Hauptrolle spielt. Er benutzt seine Freizeit, um an seinem Haus herumzubasteln oder im Garten zu arbeiten, da Handwerker drüben ebenso selten und teuer sind wie in der Bundesrepublik. In der »richtigen Freizeit“ möchte der Mensch sich vergnügen, und die moderne Weltpolitik ist nun einmal nicht amüsant. Außerdem fühlt sich der einzelne ihr gegenüber völlig hilflos. Als Beispiel möge die Frage der Atomversuche dienen. Es ist durchaus möglich, daß die Gesundheit zukünftiger Generationen durch die heutigen Atomexplosionen in Frage gestellt wird. Dennoch entscheiden Präsident Kennedy und Ministerpräsident Chruschtschow ziemlich allein, ob solche Explosionen stattfinden oder nicht. Der Mann auf der Straße fühlt, daß er selbst in einer ihn und seine Nachkommen so direkt betreffenden Frage überhaupt keinen Einfluß hat, ganz abgesehen davon, daß ihm die nötigen Informationen fehlen, da sich die angesehensten Experten ja völlig widersprechen. Dasselbe gilt ganz allgemein von außenpolitischen Problemen, ob es sich nun um Vietnam, Algerien oder um Berlin handelt.
Bei dem mangelnden Interesse für Politik — und dem Gefühl der Hilflosigkeit zumal in außen-politischen Fragen — ist es nicht zu verwundern, daß man Interesse an deutschen Problemen in Amerika nur in kleinen Kreisen findet. Die an sich sehr begrenzte Beschäftigung mit außen-politischen Dingen verteilt sich auf verschiedene Brennpunkte, wie u. a. Vietnam, wo Amerika gegen Ho Chi Minh einen unerklärten Krieg führt, und Südamerika, wo die Castro-Revolution in Kuba sehr pessimistische Zukunftsaussichten für den ganzen Kontinent heraufbeschwört. Im Gegensatz zu „neuen Problemen" ist außerdem die Reaktionsfähigkeit der amerikanischen öffentlichen Meinung gegenüber „alten Problemen“, wie z. B. Berlin, ein wenig abgestumpft. Man hat schon zu viele Berlin-Ultimaten glücklich überstanden, um sich über neu-auftauchende besonders aufzuregen. Diese Lage würde sich durch eine konkrete, dramatisch zugespitzte Krise natürlich schnell ändern; z. T. veränderte sie sich bereits im letzten Sommer durch den Bau der „Mauer“. Durch die „Normalisierung“ der neuen Situation hat sich jedoch das Interesse schnell wieder abgekühlt; die psychologische und wirtschaftliche Problematik der „Mauer“ für die Lebensfähigkeit West-Berlins ist noch heute kaum der breiteren Öffentlichkeit bewußt geworden.
Es muß hier auch auf die bedeutenden regionalen Unterschiede innerhalb Amerikas hingewiesen werden. Das Interesse an europäischen Problemen ist im Nordosten des Landes (also dem Küstenstrich von Washington bis Boston) am stärksten entwickelt, übrigens ist hier, wie noch erwähnt werden wird, die stärkste Deutsch-feindlichkeit anzutreffen; im Gegensatz z. B von den durch die Chicago Tribune erreichten Teilen des Mittleren Westens, wo man vorwiegend von einer betonten Deutschfreundlichkeit sprechen kann. Es ist schwer, den großen Differenzierungen des amerikanischen Lebens gerecht zu werden.
Es kann aber grob verallgemeinernd gesagt werden, daß das an sich begrüßenswerte Aufflackern des Interesses an gewissen innenpolitischen Fragen in den letzten Jahren zum mangelnden Interesse an der Außenpolitik bedeutend beigetragen hat. Die wirtschaftliche Lage — gibt es eine Depression? — steht zur Zeit im Mittelpunkt der politischen Gespräche. Auch viele andere Probleme stehen zur Diskussion. Die Südstaatler stehen zur Zeit in der entscheidenden Phase des Kampfes um die Gleichberechtigung der Neger; das Problem der Einschulung von James Meredith an der Staatsuniversität von Mississippi interessiert mehr als z. B. das Problem der Umrüstung innerhalb der NATO. Die akademische Jugend des Nordens ist gerade an der Negerfrage stark interessiert, denn diese Frage ist übersichtlich und erlaubt eine klare Antwort. Außerdem fühlt der Student, daß sich der Einsatz hier lohnt und zu greifbaren Resultaten führt, während er die Lösung z. B.der Berlin-Frage lieber „den Leuten oben“ überläßt. Ähnliches gilt für andere Gruppen. Die älteren Bevölkerungsschichten Ameri-kas kämpfen bereits seit Jahren für ein adäquates Krankenversicherungssystem. Dieses Problem berührt auch die erwachsenen Kinder nicht mehr arbeitsfähiger Eltern in finanzieller Hinsicht. Der Streit um ein verbessertes Agrarprogramm beherrscht das politische Interesse der Farmer und breiter städtischer Konsumenten-schichten. Dazu kommen die Wachstumsprobleme einer dynamischen industriellen Gesellschaft, die in der Bundesrepublik ja auch zur Genüge bekannt sind: es fehlt an Straßen, Wohnungen und Schulen, denn die amerikanische Bevölkerung ist in den letzten 30 Jahren um ungefähr 50 Millionen Menschen angewachsen (das entspricht etwa der gesamten Bevölkerung Westdeutschlands). In Kalifornien zum Beispiel, dessen Bewohnerzahl sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt hat, dominieren diese Probleme absolut. Zusammenfassend kann gesagt werden: Für außenpolitische Probleme — und seien es nur die deutsch-amerikanischen Beziehungen an sich — bleibt dabei wenig Interesse übrig.
Man darf diese Tatsache nicht voreilig bedauern, denn die Indifferenz der öffentlichen Meinung ist oft die Voraussetzung eines rationalen Handelns von Staatsmännern in einer modernen Massendemokratie. Dies gilt vornehmlich für die amerikanische Seite des deutsch-amerikanischen Verhältnisses, denn es bleibt eine bedauerliche Tatsache, daß die relativ kleinen Gruppen, die an Deutschland wirklich interessiert sind, diesem Verhältnis gegenüber eine vorwiegend negative Haltung einnehmen. Dabei sind vier Hauptgruppen zu betrachten: der jüdische Bevölkerungsteil, Amerikaner osteuropäischer Abstammung, Akademikerkreise — besonders an führenden Universitäten im Nordosten Amerikas —, und gewisse Kreise innerhalb der Regierung: vier Gruppen, die sich natürlich bis zu einem gewissen Grade überschneiden. In diesen Kreisen sind Zwangsvorstellungen wahrzunehmen von dem „ewig bösen Deutschen“, von der deutschen Geschichte als Einbahnstraße mit End-ziel Nationalsozialismus, von der nazi-dominierten Bundesrepublik, usw. Das Gewicht dieser Vorstellungen — obwohl aktiv verfochten nur von zahlenmäßig schwachen Kreisen — darf keineswegs unterschätzt werden, denn es fehlt weitgehend an Gegenkräften, die eine betont deutschfreundliche Haltung mit demselben persönlichen Einsatz verfechten. Eine kurze Charakterisierung dieser vier Gruppen soll ihre Bedeutung in der Meinungsbildung darlegen.
III. Deutschfeindliche Gruppen
1. Jüdische Kreise Die amerikanischen Juden zählen etwa 5 Millionen, also ungefähr 3 Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Ihr Einfluß muß aber weit höher eingeschätzt werden, wofür folgende Gründe maßgebend sind: Erstens lebt die jüdische Bevölkerung vorwiegend in den großen Metropolen wie New York, Philadelphia, Los Angeles, Boston u. a., die kulturell und wirtschaftlich für ganze Regionen bestimmend sind. Zweitens gehören Juden zu einem großen — obwohl statistisch nicht faßbarem — Prozentsatz gerade den Berufen an, die einen bedeutsamen Einfluß auf die öffentliche Meinung ausüben: Journalisten, Rechtsanwälte, Ärzte, Professoren usw. Drittens ist der Bildungs-und Aufstiegs-drang der jüdischen Bevölkerung besonders ausgeprägt. Es ist z. B. in New Yorker Verleger-kreisen allgemein bekannt, daß ein erstaunlicher Teil des amerikanischen Leserpublikums aus jüdischen Lesern besteht. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Faktor bei Bucherfolgen deutschfeindlicher Bücher wie Shirers Gesdiidtte des Dritten Reidres und Tetens Germany Plots with the Kremlin.
Es wäre vollständig verfehlt, von einem homogenen Standpunkt der amerikanischen Juden in irgendeiner Frage — selbst der Deutschland-frage — zu sprechen. Der Präsident des American Jewish Congress, Nahum Goldmann, hat sich z. B.sehr positiv über die Bundesrepublik Deutschland und ganz besonders über Bundeskanzler Adenauer ausgesprochen. Der bedeutende jüdische Senator des Staates New York, der Republikaner Jacob Javits, hat die Bundesrepublik oft gegen Verunglimpfungen in Schutz genommen Trotzdem ist es aber durchaus verständlich, daß der überwiegende Teil der amerikanischen Juden Deutschland scharf ablehnend gegenübersteht. Die ungeheuerlichen Exzesse in der Hitlerzeit erklären dies zur Genüge. Hunderttausende von amerikanischen Juden — und natürlich auch Millionen ihrer nichtjüdischen Mitbürger — stellen sich Deutschland hauptsächlich im Zusammenhang mit der Tatsache vor, daß dort vor erst zwanzig Jahren etwa 5 Millionen Juden ermordet worden sind. Sie können und wollen nicht vergessen, daß die Mehrzahl der heute lebenden Deutschen ein Regime gebilligt oder wenigstens toleriert hat, in dem solche Vorkommnisse geschehen konnten. Sie glauben es nicht, wenn sie hören, daß die große Mehrheit der Deutschen von Vernichtungslagern und anderen Grausamkeiten nichts gewußt hat und daß dem Mann auf der Straße, selbst wenn er es gewußt hätte, die Möglichkeit fehlte, gegen die braunen Machthaber etwas Wirksames zu unternehmen. Man begegnet oft Menschen dieser Geisteshaltung, die sich offensichtlich um eine gerechtere Würdigung des heutigen Deutschland bemühen, es aber einfach nicht fertigbringen, über ihren eigenen Schatten zu springen. Selbst ein längerer Deutschland-aufenthalt führt oft zu negativen Resultaten:
es ist ja zur Genüge bekannt, daß Auslands-reisende — ob in Rotchina, Kuba oder Deutschland — gewöhnlich das finden, was sie erwarten.
So kommt es z. B. zu der Annahme, daß die Bundesrepublik unter einer starken neo-nazistischen Welle stehe. Selbstbewußte jüdische Besucher heben oft hervor, daß sie von einem dauernden Gefühl des LInbehagens in Deutschland befallen sind. Sie litten darunter, nicht zu wissen, was der Nachbar in der Straßenbahn in den Jahren 1933 bis 1945 tatsächlich getan hat.
Sie wittern Antisemitismus in einer fast masochistischen Weise, z. B. wenn Deutsche in Gesprächen mit Juden ein gewisses Selbstbewußtsein zeigen. Sie wollen die Erklärung nicht gelten lassen, daß ein Stück Beklommenheit bei der Anwesenheit jüdischer Gäste wegen der Nazi-vergangenheit oft direkt als Positivum gewertet werden kann.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß jedes Hervortreten ehemaliger Nazis in der Bundesrepublik Wasser auf die Mühlen jüdischer und nichtjüdischer Deutschlandgegner in Amerika ist. Die Kölner Hakenkreuzschmierereien im Herbst 1959 haben großes Unheil angerichtet und der Legende vom „unverbesserlichen Deutschen" Auftrieb gegeben. Jeder Wahlerfolg rechtsradikaler Kreise, selbst in ganz unbedeutenden Gemeindewahlen, wird in Amerika sorgfältig registriert und auf das deutsche Schuldkonto gebucht. Jede Verharmlosung oder lückenhafte Behandlung der jüngsten deutschen Vergangenheit in Schulbüchern wird an die große Glocke gehängt. (Professor Mark Krug von der Chicago School of Education hat kürzlich ein sehr einseitiges — aber trotzdem allgemein sehr positiv besprochenes — Buch über dieses Thema publiziert.) Das Wiederaufleben der studentischen Korporationen wird von vielen Amerikanern mit Neonazismus identifiziert — von der gegenseitigen Verachtung von parvenühaften Nazis und standesbewußten „Alten Herren"
während der Nazizeit haben die meisten Amerikaner nie gehört. Es versteht sich von selbst, daß die politische Vergangenheit prominenter Deutscher andauernd von der amerikanischen Presse durchleuchtet wird. Der Fall Oberländer kam jahrelang nicht zur Ruhe, und man hört oft die Frage: „Wenn Adenauer ein anständiger Mensch ist, warum tolerierte er jahrelang einen Mann wie Oberländer in seinem Kabinett?" Die Tatsache, daß nie etwas Ehrenrühriges gegen Oberländer bewiesen wurde, und daß die Verleumdungen gegen ihn aus sehr fragwürdigen Ostquellen kamen, wurde ignoriert; die koalitionspolitische Situation, die 195 3 die Ernennung von BHE-Ministern zur Gewinnung der Zweidrittelmehrheit in der Aufrüstungsfrage verlangte, wurde von nur wenigen in Amerika gewürdigt. Der Fall Globke wird immer wieder in der amerikanischen Presse hochgespielt. Die Vergröberung der Pressedarstellungen bringt es dabei mit sich, daß viele den Staatssekretär im Bundeskanzleramt für den Autor der infamen antisemitischen Gesetze halten. Die Tatsache, daß Globkes Kommentar — laut Bestätigung amerikanischer jüdischer Kreise — den Juden relativ günstig war, und daß er 193 3 auf Wunsch der Kirche im Amt blieb, wird vergessen. Alle diese Fälle und ihre populäre Vergröberung haben in Amerika bei jüdischen wie bei nichtjüdischen Kreisen eine denkbar negative Wirkung. Der Wahrheitsgehalt des auf ihr basierenden feindlichen Deutschlandbildes steht hier nicht zur Debatte; als Politikum dürfen sie aber nicht ignoriert werden. 2 Amerikaner osteuropäischer Abstammun Ein zweiter Faktor der Deutschfeindlichkeit besteht in Amerikanern osteuropäischer Abstammung, wobei hauptsächlich an Polen und Tschechen zu denken ist Natürlich ist die Stimmung auch hier nicht eindeutig; z. B. zeigen kirchlich beeinflußte Kreise (s. IV. 2.) oft prodeutsche Sympathien. Trotzdem spielen auch hier Erinnerungen an die Nazizeit die vorwiegende Rolle; die Herrenrassenallüren der braunen Zeit und die Versklavung der Ostvölker sind keineswegs vergessen. Dazu kommt die ganze Frage der Oder-Neiße-Linie. Stalins Absicht bei der Schaffung dieser unglücklichen Grenze, Zwietracht zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn zu säen, hat sich auch in Amerika traurig bewährt. Hunderttausende von Amerikanern osteuropäischer Abstammung identifizieren sich in dieser Frage weitgehend mit den kommunistischen Regierungen ihrer Ursprungsländer (die sie in allen anderen Fragen energisch ablehnen)
Diese Kreise reagieren scharf auf alle Kundgebungen der deutschen Vertriebenenverbände und unterscheiden hierbei nicht zwischen der Bekundung eines Anspruches auf Heimat-recht und ihren Vorstellungen von damit verbundenen revanchistischen Zielen. Ihre Befürwortung der heutigen de facto Oder-Neiße-Grenzlinie hat Bedeutung, da es (von amtlichen Kreisen abgesehen) kaum energische Gegner dieser Grenze in der amerikanischen Öffentlichkeit gibt. Der pragmatisch eingestellte Amerikaner hat sich mit einer Wirklichkeit, die jetzt schon 17 Jahre besteht und in der überschau-baren Zukunft kaum revidiert werden kann, längst abgefunden.
Hierbei ist außerdem zu bemerken, daß die Amerikaner polnischer und tschechoslowakischer Herkunft sich in Städten wie Chicago, Cleveland und Buffalo konzentrieren, Städte, die oft über den Wahlausgang in wichtigen Staaten wie Illinois, Ohio und New York entscheiden und damit bei den Präsidentenwahlen weit umstrittener sind als vergleichbare Städte in weniger bedeutenden Staaten. (Der Leser wird sich erinnern, daß für die Wahl des Präsidenten eine Mehrheit im Wahlmännerkollegium, nicht in der Gesamtbevölkerung, entscheidet, und die Wahlmännerstimmen nach Mehrheiten in den einzelnen Staaten — ohne proportionale Berücksichtigung der Minderheit — abgegeben werden. Deswegen haben strategisch gelegene kleine Gruppen — dies gilt nicht nur z. B.
für die Polen Buffalos, sondern auch für die Juden New Yorks — einen überverhältnismäßig großen Einfluß auf die amerikanische Politik.)
Man tut dem geschlagenen republikanischen Kandidaten Richard Nixon wohl kaum Unrecht, seine in Deutschland viel beachtete Buffaloer Rede über die Oder-Neiße-Linie vorwiegend auf den Wunsch nach Stimmen aus dem Kreis der Amerikaner polnischer Herkunft zurückzuführen. Die Rede ist übrigens in der englischsprachigen amerikanischen Presse — im Gegensatz zur polnisch-sprachigen — kaum registriert worden; ich selbst wurde erst durch Presse-stimmen aus der Bundesrepublik darauf aufmerksam gemacht. 3. Kreise der Intelligenz Als dritte deutschfeindliche Gruppe müssen starke Kreise der Intelligenz — besonders Universitätsprofessoren im Nordosten des Landes — genannt werden. Ihre Haltung ist allerdings weit differenzierter und schwieriger zu erklären als die der jüdischen oder aus Osteuropa stammenden Bevölkerung. Man muß die Tatsache zugrunde legen, daß von einer engeren Beziehung zu Deutschland oder spezifisch zu deutschen Universitätskreisen nur in seltenen Fällen die Rede sein kann. Die hervorragende Befruchtung der amerikanischen durch die deutsche Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist heute nur noch eine historische Reminiszenz. Die Kenntnis der deutschen Sprache ist im Aussterben, von einem Interesse am heutigen deutschen Geistesleben ist kaum noch eine Spur zu finden. Die deutsche Nachkriegsliteratur erweckt wenig Interesse (liegt das vielleicht an ihrer Dürftigkeit?), und keine deutsche Zeitung oder Zeitschrift hat einen wirklichen internationalen Ruf. Dabei besteht eine geistige Abhängigkeit amerikanischer Universitätskreise gegenüber Europa nach wie vor. Das literarische Urteil wird z. B. stark durch die pointierten Rezensionen des Londoner Times Literary Supplement beherrscht: das amerikanische Universitätspublikum beherzigt eine Rezension dort mehr als selbst Rezensionen in den führenden amerikaschen Organen (New York Times Book Review, Herald Tribune Books, Saturday Review of Li-terature u. a.). Wer in Universitätskreisen verkehrt, merkt bald bei Gesprächen, daß man die englische Monatsschrift Encounter regelmäßig lesen muß, wenn man mitsprechen möchte. In politisch interessierten Kreisen gelten der Londoner Economist und (in einem geringeren Grade) der Manchester Guardian Weekly direkt als Orakel. Die Begeisterung für den Economist wird übrigens auch von Präsident Kennedy geteilt, von dem bekannt ist, daß er mit Ungeduld jede Woche auf die neueste Ausgabe wartet. Die frankophilen Kreise (und für den gebildeten Amerikaner ist Frankreich noch immer das „zweite Vaterland jedes zivilisierten Menschen“) lesen Le Monde und die Mendes-France nahe-stehende Zeitschrift Express. Einige der hier genannten publizistischen Organe sind nicht gerade deutschfreundlich, und ihre Haltung färbt natürlich auf den amerikanischen Leser ab. Das Entscheidende ist aber, daß es an Interesse für gute Information über die Bundesrepublik durchaus fehlt, und daß eine sentimentale und persönliche Hinneigung, wie sie zu England und Frankreich besteht und sich in politischen Streitpunkten dämpfend auswirkt, für die Bundesrepublik nicht existiert.
Die häufig anzutreffende Antipathie gegenüber Deutschland stammt jedoch noch aus anderen Quellen. Die einflußreichsten Professoren sind gewöhnlich zwischen 4 5 und 55; sie haben, aus rein altersmäßigen Gründen, ihre entscheidenden Eindrücke in den 30er Jahren empfangen, als Hitler und die meisten seiner Gegner sich in einem einig waren, nämlich der Identifikation von Deutschtum und Nazismus. Solche Eindrücke wirken weiter, selbst wenn sie durch die Geschichte längst überholt sind. Es fehlt in der Bundesrepublik an der werbenden Kraft, zu ihrer Überwindung entschieden beizutragen.
Ein weiterer Grund einer anti-deutschen Einstellung in Universitätskreisen liegt in der nicht nur in Amerika zu bemerkenden Tatsache, daß „der Geist links steht". Die Bundesrepublik hat in diesen Kreisen den Ruf, ein klerikal-konservativer-restaurativer Staat zu sein, was ihr in amerikanischen Rechtskreisen Anerkennung bringt, in diesen Universitätskreisen aber erheblich schadet. Die vorwiegende politische Hal-tung der Professorenschaft — wenigstens in den meinungsbildenden Geisteswissenschaften — ist „liberal“ im Sinne der linksstehenden Ameri-Cansfor Dewocratic Action. Hier bejaht man den Wohlfahrtsstaat und hält die von Minister Erhard propagierte freie Marktwirtschaft für einen fragwürdigen Anachronismus. Man bewundert in diesen Kreisen die englische Labour Party und ist von der Deutschfeindlichkeit und der Appeasement-Mentalität ihres linken Flügels stark beeindruckt. Man ist oft scharf antikatholisch und entspricht demnach ganz dem treffenden Bonmot, daß „der Antikatholizismus der Antisemitismus der amerikanischen Liberalen ist“. Bei den übertriebenen Vorstellungen von einem bundesdeutschen Klerikalismus muß auch dies als ein Politikum gewertet werden.
In den ersten Nachkriegsjahren haben schließlich pro-kommunistische Kreise bei der Meinungsbildung eine Rolle gespielt, aber dies ist heute kaum noch der Fall; ein Rest ihres wilden Deutschenhasses ist aber trotzdem hängen geblieben. Es ist leider immer noch nicht genügend bekannt, daß der wirkliche Autor des sinnlosen Morgenthau-Planes der kommunistische Agent Harry Dexter White war, und daß die negativen Seiten der amerikanischen Besatzungspolitik nach 1945 oft durch die kommunistische Infiltration der Militärregierung beeinflußt waren. 4. Regierungskreise Die Wirkung der Deutschfeindlichkeit jüdischer, osteuropäischer und intellektueller Kreise auf die öffentliche Meinung ist ein offensichtliches Faktum, das keinem auch nur oberflächlichen Beobachter entgehen kann. Dagegen ist die Deutschfeindlichkeit in gewissen Kreisen der amerikanischen Regierung weit schwerer zu bestimmen und einzuschätzen. Sie sollte außerdem als ein Phänomen der jüngsten Zeit angesehen werden. Während der Amtszeit des Außenministers John Foster Dulles (1953-59) entwickelten sich bekanntlich ganz gegenteilige Tendenzen. Damals galt die Bundesrepublik als „Lieblingsalliierter“, ernsthafte deutsch-amerikanische Konflikte waren ausgeschlossen, und das persönliche Verhältnis zwischen Dulles und Adenauer war besonders eng. Unter Präsident Kennedy ist hier eine Wandlung zu bemerken, obwohl von einer Deutschfeindlichkeit des Präsidenten nicht die Rede sein kann. Sicherlich stehen aber manche seiner Berater unter dem Eindruck, daß die Bundesrepublik ein unbequemer Bundesgenosse ist. Dieser Eindruck beruht auf einer unterschiedlichen Beurteilung der internationalen Lage, die es der deutschen Bundesregierung unmöglich macht, wie zu den Zeiten von John Foster Dulles der amerikanischen Politik ziemlich automatisch Folge zu leisten. (Wer der Führer und wer der Geführte damals war, ist allerdings umstritten. Die innenpolitischen Gegner von Dulles benutzten gern das geflügelte Wort: „Adenauer ist der wirkliche Außenminister der Vereinigten Staaten.")
Es kann nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, die heutigen Streitpunkte im deutsch-amerikanischen Verhältnis zu analysieren. Für unser Thema ist entscheidend, daß in einflußreichen Kreisen der Regierung eine gewisse Verstimmung über Deutschland bemerkt werden muß, eine Verstimmung, die sich hauptsächlich an den zum Teil gegensätzlichen Auffassungen in der Berlin-Frage entzündet. Einige der Berater um Kennedy wünschen, was man ein „honorable Berlin Settlement" nennt, und die Gefahr besteht, daß darunter eine Vereinbarung auf der Basis des Status quo minus verstanden wird, etwa in der Form einer weitgehenden De-facto-Anerkennung der sogenannten DDR durch ihre Teilnahme (zusammen mit der Bundesrepublik) an einer internationalen Berliner Zufahrtsbehörde. Was die Kennedy Entourage aber hauptsächlich verstimmt, ist, daß jeder amerikanische Vorschlag in dieser Richtung auf ein instinktives bundesdeutsches „Nein“ trifft, und daß Kreise der Bundesregierung (nach Anschauungen, die in Washington geäußert werden) selbst Indiskretionen in der Öffentlichkeit nicht scheuen, um vertraulich diskutierte und mitgeteilte Erwägungen dieser Art zu Fall zu bringen. Schlimmer als der in diesen Kreisen erhobene Vorwurf der deutschen „Inflexibilität“ (den man vielfach hört, oft im Zusammenhang mit boshaften Bemerkungen über das Alter des Bundeskanzlers)
ist aber der Eindruck eines Mangels an Vertrauen gegenüber Amerika, den man aus jeder nervösen Bonner Reaktion auf die amerikanische Politik zu lesen meint. Es führt zu Verärgerung, wenn dieser oder jener in Washingtoner Kreisen beratene Plan für neue Berlin-Vereinbarungen von offiziösen Stimmen in Bonn als Anzeichen einer totalen Kapitulation in der Berlin-Frage angesehen wird. Es verstimmte, als die von den militärischen Beratern Präsident Kennedys (darunter vor allem von General Maxwell Taylor) befürwortete konventionelle Aufrüstung als Verzicht auf die atomare Verteidigung Europas ausgelegt wurde. Es berührte peinlich, wenn in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder eine Bestätigung der amerikanischen Berlin-Garantie verlangt wurde. Man sah sich in Washington in der Rolle des ehetreuen Mannes, von dem die etwas exaltierte Gattin dauernd neue Treue-schwüre verlangt.
Die Mißstimmung dieser Kreise Washingtons gegenüber Bonn beruht nicht nur auf dem Vorwurf der Inflexibilität und des Mangels an Vertrauen. Zwei weitere Vorwürfe spielen eine Rolle. Man wirft zum Teil der Bundesrepublik immer noch vor, daß sie in das Gebiet der Wirtschaftshilfe für die unterentwickelten Länder Asiens und Afrikas nur verspätet und mit ungenügenden Mitteln eingetreten sei. (Die Berechtigung dieses Vorwurfs steht hier nicht zur Diskussion). Manche Politiker und Beamte werfen der Bundesrepublik außerdem vor, daß sie politisch zu eng mit dem Frankreich de Gaulles liiert ist und sich nicht genügend um den Beitritt Englands zur europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bemüht. Bei der traditionellen Intimität zwischen London und Washington und dem heutigen Tiefpunkt im amerikanisch-französischen Verhältnis ist dies kein unwesentlicher Faktor in der Stimmung amerikanischer Regierungskreise gegenüber Deutschland.
Zusammengefaßt kann gesagt werden, daß die Deutschfeindlichkeit einflußreicher jüdischer Kreise, von Amerikanern osteuropäischer Abstammung, von Akademikerkreisen und bestimmten Politikern, Beratern und Beamten in Washington aus sehr verschiedenen Quellen gespeist wird. Sie sind sich aber einig im Ärgernis an den „bösen Deutschen", und die Intensität ihrer Abneigung gibt ihnen ein Gewicht, daß sie die weniger nachhaltig fühlbare Deutsch-freundlichkeit von quantitativ weit stärkeren Kreisen oft überflügeln.
IV. Deutschfreundliche Gruppen
1. Die Gründungsväter Drei amerikanische Gruppen von unterschiedlicher Bedeutung dürfen als betont deutsch-freundlich bezeichnet werden: der Kreis der „Founding Fathers" (Gründungsväter), der sich aktiv an der Gründung der Bundesrepublik beteiligt hat; gewisse katholische Kreise, obwohl die Kirche in Amerika nur selten offiziell zu deutschen Problemen Stellung nimmt; und wichtige Kreise in der amerikanischen Wirtschaft. Die „Mitbegründer der Bundesrepublik" übten noch vor ein paar Jahren großen Einfluß aus, sind aber heute bei den Heranwachsenden einer neuen Generation in den Hintergrund getreten.
General Lucius Clay, der frühere Außenminister Dean Acheson, der frühere Hohe Kommissar John McCloy und der frühere Botschafter James Conant gehören zu dieser Kategorie. Leser der wichtigen Memoiren Clays werden sich erinnern, daß er 1945 mit einer keineswegs deutsch-freundlichen Gesinnung nach Deutschland kam und daß er in den ersten Nachkriegsjahren für viele heute unverständlich erscheinende Besatzungsmaßnahmen mitverantwortlich war. Die heroische Haltung der Berliner Bevölkerung im Blockadewinter 1948/49 führte zu einer grundlegenden Revision seines Deutschlandbildes; dazu kam sein Stolz auf den eigenen Beitrag bei der Gründung der Bundesrepublik 1949. Clay wurde 1948 — in Amerika ebenso wie in Deutschland — zu einem Symbol für die Festigkeit gegenüber kommunistischen Expansionsgelüsten;
leider aber hat er nach seinem Austritt aus der Armee 1949 (im Alter von etwa 50 Jahren, so verschwenderisch ist man in Amerika mit Talenten!) bis zur Berlinkrise 1959 unmittelbar keine politische Rolle mehr gespielt, sondern sich auf die Betätigung in seinem neuen Arbeitsbereich, der Leitung einer großen Konservenfirma, beschränkt. Als enger persönlicher Freund Eisenhowers aus der Kriegszeit blieb er aber weiter ein einflußreicher Mann. 1953 wäre er beinahe Verteidigungsminister geworden; die Kandidatur scheiterte aber an Bedenken, gerade diesen Posten einem ehemaligen General anzuvertrauen, da auch der Präsident ja selber ein ehemaliger General war. Zu Kennedy fehlt Clay die persönliche Beziehung, obwohl der Präsident die oben genannte „symbolische Rolle* Clays durchaus schätzt. Bei der Vertrauenskrise nach der Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 griff Kennedy sofort auf General Clay zurück. Die Berliner Mission des Generals hat sicher dazu beigetragen, das Vertrauen der Bevölkerung in die amerikanische Sicherheitsgarantie zu erneuern. Leider kam Clay mit unklar abgegrenzten Vollmachten nach Berlin, so daß die Einheitlichkeit der amerikanischen Politik durch Kompetenzkonflikte zwischen Clay und den regulären amerikanischen Dienststellen — diplomatischen wie militärischen — in Frage gestellt wurde. Wie man in Washington hört, sollen gewisse Eigenmächtigkeiten des Generals auch zu seiner (diplomatisch verschleierten) Abberufung im Frühjahr 1962 geführt haben. Es scheint zu Präsident Kennedys Regierungsmethoden zu gehören, daß er engen persönlichen Rapport — „to talk the same wave length", wie man sich in Washington ausdrückt — von seinen Mitarbeitern verlangt. Die intimeren Kenner beider Persönlichkeiten zweifelten immer, ob zwischen Clay — dem homo tedtnicus — und Kennedy — dem homo politi-cus — ein solcher Rapport möglich sei.
Der frühere Außenminister Dean Acheson gehört zweifellos zu der kleinen Gruppe von Beratern, auf die Kennedy in allen europäischen Fragen hört. Die Laufbahn dieses bedeutenden Mannes steht unter einem tragischen Stern. Er hat Hervorragendes geleistet als Assistant Secretary of State (stellvertretender Außenminister) 1947 (Beginn des Marshall-Planes) und als Secretary of State (Außenminister) von 1949 bis 1953 (NATO-Allianz, Rettung Koreas, Beginn der Wirtschaftshilfe für Entwicklungsländer). Trotzdem war er am Ende seiner Amtszeit zu einem der am meisten angefeindeten Männer Amerikas geworden. Der rechte Flügel der Republikanischen Partei warf ihm Schwäche gegenüber dem Kommunismus vor (hauptsächlich wegen des noch heute stark umstrittenen Verlustes von China an Mao Tse-tung). Sicher haben auch manche seiner persönlichen Eigenschaften seiner Beliebtheit geschadet, wie etwa seine geistige Überlegenheit, die er nie vor Provinzpolitikern im Kongreß verbarg, und schließlich vom Äußeren her auch sein Schnurrbartgesicht, das an legendäre Klischees der unpopulären englischen Diplomatie des 19. Jahrhunderts erinnerte. Aus diesen Gründen dürfte es sich für Kennedy ausgeschlossen haben, Dean Acheson 1961 in ein hohes Amt zu berufen, obwohl der Präsident seinen Rat nach wie vor hoch zu schätzen scheint.
Dies zeigte sich zum Beispiel darin, daß Achesons Befürwortung offensichtlich den Ausschlag bei der Ernennung seines früheren Untergebenen Dean Rusk zum Außenminister gegeben hat.
Acheson selber wurde inoffizieller ad hoc-Berater für europäische Fragen, eine unklar umschriebene Position, in der er in die angenehme Lage versetzt wurde, Macht ohne direkte Verantwortung auszuüben. Er gilt als einer der stärksten Freunde der Bundesrepublik, an deren Gründung er als Trumans Außenminister entscheidend beteiligt war. Er ist ein scharfer Gegner aller Disengagement-Pläne für Mitteleuropa und hat zum Beispiel nicht gezögert, die ent-gegengesetzten Thesen George Kennans öffentlich in schroffer Weise abzufertigen. Während der Berlin-Krise 1961 hat er sich gegen die deutsch-feindlichen Appeasement-Befürworter energisch zu Wehr gesetzt. Trotz allen Einflusses darf man seine Stellung aber nicht überschätzen, denn ihm fehlt eine offizielle Position und die Anfeindungen aus seiner Vergangenheit machen ihn für eine solche Position untragbar.
Unter den „Gründungsvätern" nimmt John McCloy eine besondere Position ein. Er hat jahrelang die gesamte amerikanische Deutschlandpolitik an entscheidender Stelle beeinflußt. Schon 1945 hat er als Assistant Secretary-of War dem Morgenthau-Plan viele Giftzähne ausgebrochen, von 1949 bis 1952 war er zunächst Hoher Kommissar und später Botschafter in Bonn. Seine enge Zusammenarbeit mit Bundeskanzler Dr. Adenauer führte zu dem außerordentlich freundschaftlichen Verhältnis zwischen Bonn und Washington in den 50er Jahren. 1953 wäre er beinahe Außenminister geworden — er hat sich zeitlebens zur Republikanischen Partei bekannt — nur verübelten ihm viele eingefleischte Republikaner seine langjährige Tätigkeit unter den demokratischen Präsidenten Roosevelt und Truman. (Dulles verstand es weit besser, allen Flügeln der Republikanischen Partei persona grata zu sein). McCloy wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschland Präsident der wichtigen Chase National Bank. Kennedy, bemüht um die Mitarbeit'bedeutender Republikaner, hat ihn nach seiner Pensionierung 1961 für Abrüstungsgespräche mit Chruschtschow verwendet; er blieb aber eine Randfigur in den Kreisen der neuen Regierung. Von einem wirklichen Einfluß auf die jetzige Deutschlandpolitik kann bei McCloy keine Rede sein, er wirkt aber weiter in „repräsentativen Positionen" in allen Organisationen, die sich um die Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen bemühen.
James Conant, Präsident der Harvard-Universität von 1933 bis 1953, hat sich als amerikanischer Botschafter von 1953 bis 1957 bewährt. Sein Rücktritt vom Amt des Universitäts-Präsidenten in Harvard, um den Bonner Botschafterposten anzunehmen, war symptomatisch für die Bedeutung, die Conant und die ganze Eisenhower-Dulles Regierung dem deutsch-amerikanischen Verhältnis beimaßen. (Man hörte damals an der selbstbewußten Harvard-Universität die scherzhafte Feststellung, nur der Rücktritt eines Papstes wäre ein vergleichbarer Entschluß.) Conant trat 1957 zum Ende der ersten Amtsperiode Eisenhowers zurück, da er seine Aufgabe als erfüllt ansah; Die Bundesrepublik war mittSeite sehen Dulles und Adenauer machte die Mittlerstellung eines starken Botschafters fast überflüssig. Conant hat sich nach 1957 von der Politik zurückgezogen; sein jetziges Interesse gilt dem Studium des amerikanischen Erziehungssystems, dessen Reform er seine letzten aktiven Lebensjahre widmen möchte. Verschiedene viel besprochene Berichte (z. B. Änderungs-vorschläge für die High Schools) zeigen seine Aktivität auf dem neuen Arbeitsgebiet. Für die konkrete Mitarbeit an der Lösung deutsch-amerikanischer Probleme bleibt ihm wenig Zeit. Conant gilt weiter als eine deutschfreundliche Stimme, jedoch ohne wirklichen Einfluß im Regierungsapparat oder in der öffentlichen Meinung. 2. Katholische Kreise Bedeutende katholische Kreise haben seit 1945 eine betont deutschfreundliche Haltung eingenommen. Diese Tatsache läßt sich durch verschiedene Faktoren erklären, deren Wurzeln zum Teil weit zurückliegen. Im Mittleren Westen leben Hunderttausende von katholischen Deutsch-Amerikanern, bei denen eine sentimentale Anhänglichkeit an die „alte Heimat" — trotz Anfechtung durch zwei Weltkriege — weiterhin eine Rolle spielt. Dann ist ein großer Teil der Katholiken irischer Abkunft, so daß ihre historisch bedingte Abneigung gegenüber England jahrzehntelang den Boden für eine gewisse Deutschfreundlichkeit bereitete. (Das gemeinsame Gewicht der Katholiken deutscher und irischer Abstammung überwiegt das der oft deutschfeindlichen Gläubigen polnischer Herkunft).
Heute spielt jedoch dieser Faktor der nationalen Abstammung nur noch bei den älteren Menschen, und auch da nur als einer von verschiedenen Faktoren, eine Rolle.
Weit wichtiger ist die große Bewunderung für die absolut zuverlässige antikommunistische Haltung der Bundesrepublik, die sich für die amerikanische Öffentlichkeit besonders in Bun-deskanzler Dr. Adenauer verkörpert. Man schätzt Deutschland als ein Land ohne kommunistische Partei und ohne einflußreiche Befürworter einer Appeasement-Politik gegenüber Rußland. Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß die früheren Anhänger von Senator McCarthy — der im katholischen Volksteil Amerikas besonders große Sympathien besaß — glauben, daß es in der Bundesrepublik parallele Erscheinungen gebe. McCarthy selber galt als betont pro-deutsch, wobei die große Anzahl von Deutsch-Amerikanern in seinem Heimatstaat Wisconsin unzweifelhaft eine Rolle spielte. Katholische Kreise sind stolz auf die große Hilfsaktion, die ihre Kirche nach 1945 für Bayern geleistet hat. Sie glauben, daß die Bundesrepublik ein weit „klerikalerer“ Staat ist, als das tatsächlich der Fall ist. Sie meinen (und begrüßen es), daß in Deutschland viele führende Staatsstellen von gläubigen Katholiken besetzt sind, ohne daß diese Tatsache ein stark umstrittenes Politikum wird; denn die Katholiken Amerikas haben die Angriffe auf Kennedy wegen seines katholischen Bekenntnisses im letzten Wahlkampf 1960 noch keineswegs vergessen. 3. Wirtschaftskreise Starke Sympathien für Deutschland sind vor allem in der Wirtschaft anzutreffen. Die Auf-bauleistungen des deutschen Volkes seit 1945 sind mit aufrichtiger Bewunderung verfolgt worden, und man begrüßt es, daß diese Leistungen die Lebensfähigkeit des „kapitalistischen Systems" vor aller Welt erneut unter Beweis gestellt haben. Die Vitalität des wirtschaftlichen Neoliberalismus in der Bundesrepublik hat der „Business Community" — deren Selbstvertrauen durch die Wirtschaftskatastrophe von 1929 und die Roosevelt-Regierung stark angeschlagen war — wiederhergestellt. Das Abflauen betont sozialistischer Strömungen in allen europäischen Ländern wird zu einem großen Teil auf das Verdienstkonto der Bundesrepublik gesetzt.
Der amerikanische Geschäftsmann fühlt in Deutschland, daß er in einem ihm vertrauten politisch-sozialen Milieu verkehrt; kein Wunder, daß er trotz Regierungsappellen lieber in Deutschland als in Asien oder Afrika investiert.
Die schlechten Erfahrungen mit Investitionen in den 20er Jahren sind längst vergessen; ältere amerikanische Geschäftsleute sind befriedigt über die Tatsache, daß es im Gegensatz zur Weimarer Zeit keine populäre Strömung gegen eine „Überfremdung der deutschen Industrie durch Auslandskapital" gibt. Der amerikanische Geschäftsmann betrachtet die allgemeine Lage deutscher Wirtschaftsführer sogar mit einem gewissen Neid, da diese weniger unter dem Druck von Regierung und Gewerkschaften zu leiden haben als er selbst. In Amerika gibt es eine nicht unwirksame Anti-Trust-Gesetzgebung, deren Verletzung (z. B. in dem berühmten Fall der Elektroindustrie 1961) nicht nur zu Geld-, sondern auch Gefängnisstrafen führt. In der Bundesrepublik hat sich dagegen das Anti-Kartellgesetz bis jetzt kaum bemerkbar gemacht. In Amerika entscheidet letzten Endes Präsident Kennedy, welchen Preis die Stahlindustrie für ihre Produkte verlangen darf. In der Bundesrepublik setzt sich — wie der amerikanische Geschäftsmann es sieht — sogar das Volkswagen-werk über die Wünsche von Bundeswirtschaftsminister Erhard hinweg. In Amerika ist es nicht nur möglich, es kommt sogar öfters vor, daß große Gewerkschaften (z. B. die Gewerkschaften der Bergleute, Stahlarbeiter, Hafenarbeiter) zur gleichen Zeit im ganzen Lande streiken und das Wirtschaftsleben weitgehend lahm legen, was häufig zu einer arbeiterfreundlichen Intervention der amerikanischen Regierung führt. In Deutschland sind solche Dinge (bisher wenigstens) nicht geschehen, und die Gewerkschaften treiben im Vertrauen auf die Arbeiterfreundlichkeit der Bonner Regierung kaum eine aggressive Politik. Selbst die sogenannten „radikalen" deutschen Gewerkschaften — z. B. die IG Metall — erscheinen aus amerikanischer Sicht geradezu zahm. Aus diesen Gründen ist es verständlich, daß die Bundesrepublik vielen amerikanischen Geschäftsleuten vielfach wie ein verlorenes Paradies erscheint. Die positive Haltung gegenüber Deutschland wird durch gute Geschäftserfahrungen (Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit) mit deutschen Firmen gewöhnlich bestätigt.
Die „business Community“ steht in Amerika vorwiegend hinter der Republikanischen Partei. Dies ist wohl einer der Gründe, warum die deutsch-amerikanischen Beziehungen unter einer republikanischen Regierung besser florieren als unter den Demokraten. Die Bedeutung des Einflusses von Wirtschaftskreisen darf jedoch in dieser Hinsicht nicht überschätzt werden. Die Tatsache zum Beispiel, daß die oben analysierten jüdischen, polnischen und akademischen Gruppen vorwiegend demokratisch stimmen, ist sicher von größerer Tragweite für das deutsch-amerikanische Verhältnis als die Spannung zwischen der demokratischen Kennedy-Regierung und den deutschfreundlichen Kreisen der Großindustrie. Die der Kennedy-Regierung nahestehenden Gewerkschaftsführer (z. B. George Meany und Walter Reuther) haben sich bei verschiedenen Anlässen betont deutschfreundlich gezeigt und zum Beispiel die Initiative bei Protesten gegen die Berliner Mauer übernommen. Die Freundschaft der Industrie bedeutet keineswegs eine Deutschfeindlichkeit der Gewerkschaften oder des gewöhnlichen Arbeiters.
Bei ihm kann man übrigens nur — wie schon zuvor dargelegt — von einer so gut wie vollständigen Indifferenz gegenüber Deutschland sprechen.
V. Die Meinung des „Mannes auf der Straße"
Die Analyse hat sich bis jetzt vorwiegend mit kleinen Gruppen befaßt, die an Deutschland interessiert sind oder sich doch wenigstens ein ausgeprägtes Urteil über Deutschland bildeten. An deutschfeindlichen Elementen wurde von gewissen jüdischen, polnischen, akademischen Gruppen und von Kreisen der Regierung gesprochen; bei deutsch-freundlichen von den „Mitbegründern der Bundesrepublik", Katholiken und Wirtschaftsführern. Die Frage, wieviel von den unterschiedlichen Auffassungen dieser Gruppen tatsächlich ins „Volk" dringt, ist außerordentlich schwer zu beantworten, da das „Volk" im allgemeinen — ganz abgesehen davon, daß es soziologisch eine nicht differenzierbare Kategorie darstellt — nur wenig an Politik und so gut wie gar nicht an deutschen Fragen interessiert ist. Eine direkte Berührung mit Deutschland, wenn sie überhaupt besteht, erfährt der gewöhnliche Amerikaner meist entweder nur als Soldat oder als Tourist.
Es ist an sich erstaunlich, daß der vielfach doch länger dauernde Aufenthalt von Hunderttausenden von amerikanischen Soldaten in Deutschland seit 1945 nur minimalen Einfluß auf die „öffentliche Meinung“ jenseits des Atlantiks ausgeübt hat. Diese Tatsache ist dadurch zu erklären, daß die amerikanische Militärverwaltung von Anfang an dem Wunsch der Soldaten nach Schaffung von geschlossenen amerikanischen Siedlungen („Kleinamerikas") nachgekommen ist. Die meisten Soldaten — und ihre Familienangehörigen — haben kaum Kontakt mit der deutschen Bevölkerung (ausgenommen mit den früher selbstverständlichen, heute nur schwer zu bekommenden Hausangestellten). Die Kinder gehen meist auf amerikanische Schulen, die Frauen in amerikanische Klubs. Ablenkung verschafft das amerikanische Kino. Unverheiratete amerikanische Soldaten suchen und finden wie alle Soldaten überall in der Welt ihren Kontakt zur weiblichen Bevölkerung, aber solche Begegnungen haben kaum eine Wirkung über die Beziehung von Mensch zu Mensch hinaus. Selbst die häufig stattfindenden Heiraten führen auch im privaten Bereich nur selten zu einer Intensivierung der amerikanisch-deutschen Beziehungen. Die Frauen sind nach der Übersiedlung in die Vereinigten Staaten oft stolz auf ihre vollständige Amerikanisierung; die Kinder lernen kaum noch Deutsch. Daß es von diesem allgemeinen Bild Ausnahmen gibt ist selbstverständlich; an der bedauerlichen Tatsache, daß die Stationierung amerikanischer Truppen in Deutschland das Deutschlandbild der öffentlichen Meinung nur wenig beeinflußt, ist aber nicht zu zweifeln.
Zehntausende amerikanische Touristen fahren alljährlich in die Bundesrepublik, und zwar gewöhnlich als Mitglieder einer von einem Reisebüro betreuten Gruppe. Die bevorzugte Europa-tour von etwa vier Wochen führt zumeist in sechs oder sieben Länder, wobei dann in der Regel nur vier bis fünf Tage für die Bundesrepublik verwandt werden. Die übliche Route geht über Köln (Dom), Rheinfahrt (romantische Burgen), Heidelberg -(Schloß) nach München (Oper sowie Stätten des Hitlerputsches von 1923). Ein solches Reiseprogramm führt natürlich nicht zu tieferen Eindrücken, aber das oberflächliche Bild ist meistens durchaus günstig. Die deutschen Hotels sind sauberer als die in Frankreich oder Italien, mehr Kellner sprechen englisch, und die Verkäufer in den Touristenläden sind vielleicht etwas weniger ausschließlich auf den Profit bedacht als in anderen Ländern. Solche Eindrücke sind als Nährboden für eine deutschfreundliche Stimmung breiter Schichten keineswegs zu verachten.
Der Gesamteindruck von Amerikanern, die längere Zeit in der Bundesrepublik privat verbringen (also nicht in offizieller Eigenschaft), ist dagegen häufig weniger positiv. Dies gilt zwar nicht für Fullbright-Austauschstudenten, die gewöhnlich auf ein glückliches und bereicherndes Jahr zurückblicken. Im Gegensatz dazu zeigen zum Beispiel aber Gespräche mit amerikanischen Austausch-Professoren in Deutschland oft große Verärgerung wegen des nervenzerreibenden Kampfes mit dem deutschen Alltag. Der Professor kommt mit seiner Familie (es gilt als selbstverständlich, daß er seine Familie mitbringen kann) und zieht zunächst in ein Hotel oder eine Pension. Dann verbringt er Wochen auf der Suche nach einer Wohnung, wo er oft deprimierende Erfahrungen machen muß. Deutsche Wohnungsbesitzer und Makler halten alle Amerikaner für steinreich, und erhöhen manchmal den Mietpreis, sobald sie die Nationalität der Wohnungssuchenden erfahren. Nachdem eine teure Wohnung gefunden worden ist, bleibt das Einleben weiter problematisch. Nachbarn sind gewöhnlich weniger hilfsbereit als in Amerika, ihr Beitrag zum Heimischwerden beschränkt sich oft auf pharisäische Bemerkungen über die angeblich „schlecht erzogenen amerikanischen Kinder“. Das Einkäufen in einem Land mit wenigen Supermarkets erfordert von der Hausfrau weit mehr Kraft und Zeit als in Amerika. Es wäre müßig, diese Ansammlung von ärgerlichen Erfahrungen zu erweitern; fest steht jedenfalls, daß der vielgepriesene internationale Professoren-Austausch in vielen Fällen keineswegs zur Völkerverbrüderung beiträgt. Viele Professoren — und mehr noch ihre Frauen — kehren desillusioniert und wenig deutsch-freundlich nach Amerika zurück, und als „Deutschland-Spezialisten“ leisten sie dann zu der oben besprochenen Deutschlandfeindlichkeit akademischer Kreise ihren Beitrag.
Diese Eindrücke sind kein Deutschland allein betreffendes Problem: Fullbright-Professoren in Italien oder Frankreich machen oft genau die gleichen Erfahrungen. Die bedauerliche Tatsache muß aber festgehalten werden, daß Deutschland und andere Länder — nicht nur in dieser Frage — mit zweierlei Maß gemessen werden. Der frankophile Amerikaner ist verärgert über einzelne Franzosen, ohne deswegen die ganze Nation anzuklagen; der wenig germanophile Amerikaner vergröbert und verallgemeinert manchmal unangenehme Einzelerlebnisse. Es darf noch hinzugefügt werden, daß zwei Urteile bei vielen aus Deutschland zurückgekehrten amerikanischen Professoren immer wieder im Gespräch auftauchen. Da besteht erstens der negative Eindruck über die streng hierarchisch gegliederten deutschen Universitäten. Es gibt in Amerika nichts Vergleichsbares zu der Machtstellung eines deutschen Ordinarius und der daraus häufig resultierenden übertriebenen Beflissenheit des deutschen Assistenten. Der amerikanische Professor — zu Hause an größere Freiheit und Gleichheit in der persönlichen Begegnung gewöhnt — glaubt, hier einen Über-rest des verhaßten deutschen Obrigkeitsstaates anzutreffen. Hinzu kommt, daß er nur wenig Verständnis für die weitgehende persönliche Überlastung des deutschen Ordinarius hat, und sich häufig nur schwer damit abfindet, daß es dadurch zu einem regen gesellschaftlichen Verkehr mit ausländischen Gelehrten nur selten kommt. Das Wiederaufleben studentischer Korporationen, über deren Einfluß auf den Lauf der deutschen Geschichte in Amerika legendäre Vorstellungen herrschen, vollendet das oft negative Gesamturteil über den deutschen Universitätsbetrieb.
Ein weiterer unangenehmer Eindruck der meisten Amerikaner, vor allem in der ersten Nachkriegszeit, kam von der Berührung mit einem oft bemerkten Laster der Zeit nach 1945, dem Beschweren über das eigene Schicksal und dem Bestreben, andere dafür verantwortlich zu machen. Der Amerikaner erwartete — mit einer gewissen Naivität in Fragen der Völkerpsychologie — ein Volk von reuigen Sündern anzutreffen, betroffen von den Schandtaten, die im Namen Deutschlands an Juden, Polen und anderen Gruppen verübt worden sind. Er erfuhr aber fast in jedem Gespräch, daß sich der Durchschnittsdeutsche — hier den Abkömmlingen anderer Völker durchaus gleich — mehr mit seinen eigenen Leiden als mit dem den anderen zugefügten Unrecht beschäftigte. Er hörte Klagen und Verurteilungen über den Bombenterror auf die deutschen Städte während des Krieges, die Erlebnisse der Vertriebenen von 1945, über die Hungerjahre nach dem Kriege und über die Fehler der alliierten Besatzungspolitik — nur selten aber über die Vergasung der Juden, über die Greueltaten in den besetzten Gebieten und andere Untaten der Nazizeit. In Einzelfällen führten solche Gespräche mitunter zu menschlicher Anteilnahme; sich immer wiederholende Diskussionen dieser Art hinterließen aber einen unangenehmen Eindruck.
Nach wie vor kommt hierzu das Erstaunen über manche, selbst in gebildeten Kreisen Deutschlands anzutreffende, höchst seltsamen Meinungen über die verantwortlichen Männer im zweiten Weltkrieg. Hier muß vor allem die Verzerrung des Bildes des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt genannt werden. Dieser Staatsmann hat sicherlich in seiner Politik gegenüber Deutschland („unconditional surrender“) und Rußland (Vertrauen in Stalins guten Willen) große Fehler gemacht; es ist aber grundfalsch, sein historisches Profil nur — wie dies in Deutschland vielfach üblich ist — nach diesen Fehlern zu beurteilen. Er hat immerhin zwei welthistorische Verdienste. Sein „New Deal“ hat in den 30er Jahren der Welt gezeigt, daß ein demokratischer Verfassungsstaat die wirtschaftlichen Probleme des hochkapitalistischen Zeitalters energisch in Angriff nehmen kann — eine in Deutschland von vielen Kreisen nicht gern anerkannte Tatsache, da sie die Apologie vieler Mitläufer von 1933 untergräbt.
Roosevelt hat außerdem im Jahre 1940 die Weltgefahr des Nationalsozialismus klar erkannt und sich für Amerika bei der Mobilisierung der Gegenkräfte genial an die Spitze gesetzt. Anstatt diese Tatsache zu würdigen, geschieht es leider in Deutschland allzu häufig, daß an Roosevelts mangelnder Verfassungstreue genörgelt wird und man ihm vorwirft, er hätte Amerika hinterhältig in den Krieg manövriert.
Die vielfach gehörte These einer kleinen Clique von amerikanischen Roosevelthassern, der Präsident hätte den Angriff auf Pearl Harbor bewußt und kaltblütig provoziert, ist in Deutschland begierig aufgegriffen und in manchen Darstellungen fast ein Gemeinplatz geworden. (Übrigens zeigt es eine bedenkliche Seite des deutschen Büchermarktes, daß alle amerikanischen Anti-Roosevelt-Bücher sofort ins Deutsche übersetzt werden; die nicht übersetzten, wissenschaftlich weit bedeutenderen, z. B'. das große Werk von William Langer und Everett Gleason über Roosevelts Außenpolitik 1937— 41, sind nur einem kleinen Kreis von Gelehrten bekannt.) Die weitverbreitete Rooseveltfeindschaft (deren objektive Berechtigung bis zu einem gewissen Grade wegen der schweren Fehler seiner Rußlandpolitik von 1942 bis 1945 nicht bestritten werden soll) kann ohne Zweifel auch als eine Suche nach einem nichtdeutschen Sündenbock für die heutige schwierige Weltlage verstanden werden. In vielen Gesprächen wurde mir gegenüber Roosevelt als einer der Hauptschuldigen an der Teilung Deutschlands angeprangert. Von dem tatsächlichen Hauptschuldigen, dem einst von dem deutschen Volke umjubelten Führer und Reichskanzler Adolf Hitler wurde dabei kaum gesprochen — ein weiteres Beispiel für die Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses durch die jüngste deutsche Vergangenheit.
Glücklicherweise hat der „Mann auf der Straße“ in Amerika — genau wie in Deutschland — ein kurzes Gedächtnis, so daß die unselige Vergangenheit trotz des Wiederaufrührens durch Geschehnisse wie den Eihmann-Prozeß, Shirers Bestseller und Filme wie „Das Urteil vom Nürnberg" einen langsam schwindenden Faktor darstellt. Der „Mann auf der Straße“ — wohlgemerkt, nur bei den seltenen Anlässen, an denen er sich vorübergehend mit deutschen Dingen befaßt — besitzt heute gewisse positive Reflexe gegenüber der Bundesrepublik. Er bewundert Konrad Adenauer als einen großen Europäer, zuverlässigen Bündnispartner und hartnäckigen Gegner des Kommunismus. (Die offensichtliche Skepsis gewisser amerikanischer Regierungskreise gegenüber der angeblich zu starren bundesdeutschen Außenpolitik ist noch kaum in die breite Öffentlichkeit gedrungen.) Der „Mann auf der Straße“ bewundert das ihm durch Publicity wohlbekannte deutsche Wirtschaftswunder, dessen Kehrseiten in den letzten Jahren, schleichende Inflation und drohender Währungsverfall, in Amerika noch weitgehend unbekannt geblieben sind. Er ist außerdem beeindruckt von der politis hen Stabilität und parlamentarischen Funktionsfähigkeit der deutschen Demokratie; die Befürchtung, dies würde mit dem Abgang Adenauers zusammenbrechen, ist seit der in der Presse gespiegelten Kursänderung der SPD auf dem Godesberger Parteitag im Jahre 1959 im Schwinden. Die SPD, und besonders der Berliner Regierende Bürgermeister Willy Brandt, hat seit ihrem Verzicht auf ein betont sozialistisches Vokabular in Amerika eine weit bessere Presse als früher. Der Amerikaner fühlt bei allen deutschen Erfolgen seit 194 5 den Stolz der eigenen Mitwirkung, denn schließlich ist in seinen Augen die jetzige Bundesrepublik in der Chrysalis der vorwiegend von Amerika beherrschten Besatzungspolitik gewachsen. Der amerikanische Stolz auf die Erfolge des eigenen Kindes ist ein nicht zu unterschätzendes Positivum im deutsch-amerikanishen Verhältnis.
VL Das Fazit und die Aufgabe
Unsere Analyse hat versucht, darzustellen, daß das deutsch-amerikanische Verhältnis im Grunde gut, dennoch aber mit einem historisch bedingten negativen Deutschlandbild einflußreicher Kreise Amerikas belastet ist. Bei aller Zufriedenheit über das Erreichte in der Aussöhnung der Gegner des zweiten Weltkrieges muß die Über-windung dieses negativen Deutschlandbildes ein Hauptanliegen beider Länder sein. Die Prognosen für die Zukunftsentwicklung sind an sich günstig. Das Verlorengehen der Ressentiments aus den 30er Jahren ist eine Generationenfrage, obwohl dabei nicht übersehen werden darf, daß die jetzt in die Führung tretende Altersgruppe der Männer zwischen 40 und 50 — die Generation Kennedys — gerade die entscheidenden Eindrücke fürs Leben während der Hitlerzeit empfangen hat, und daher häufig weniger deutschfreundlich als ihre Vorgänger — die Generation von Eisenhower, Dulles, Herter usw. — ist. Die rasch sich entwikkelnde Homogenität zwischen dem Leben in Amerika und in Deutschland — von vielen Deutschen mit dem vergröbernden Schlagwort der „Amerikanisierung“ gebrandmarkt, obwohl es sich hauptsächlich um eine unabwendbare „Modernisierung" handelt — führt zu vergleichbaren Lebensauffassungen und erleichtert die gegenseitige Verständigung. Noch wichtiger ist die Tatsache der deutsch-amerikanischen Schicksalsgemeinschaft in der heutigen historischen Situation. Beide Länder stehen in der gemeinsamen Verteidigung abendländischer Werte gegen die kommunistische Weltgefahr. Beide sind an dem Schutz Europas durch die NATO entscheidend beteiligt. Die Zukunft beider Länder verlangt die unbedingte Verteidigung der gemeinsamen Berlin-Position. Beide Länder leben in der hoffentlich nicht unberechtigten Hoffnung, daß die jetzige kommunistische Tyrannei in Osteuropa kein Dauerzustand werden wird, obwohl niemand heute voraussehen kann, wann und wie diese Erbschaft des Krieges revidiert werden kann. An der Gemeinsamkeit des deutsch-amerikanischen Zieles, einer deutschen Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit im Rahmen der Wiederauferstehung eines freien Osteuropas, ist trotzdem entschieden festzuhalten.
Was kann von Seiten Deutschlands zu einer Verbesserung des amerikanisch-deutschen Verhältnisses getan werden? Folgende Vorschläge sind natürlich nicht erschöpfend und bilden keine Patentlösung, treffen aber wohl das Wesentliche: 1. Klare Erkenntnis der Tatsache, daß die nationalsozialistische Vergangenheit noch für Jahrzehnte eine furchtbare Belastung der auswärtigen Beziehungen Deutschlands darstellt. Verwunderung darüber kann nur schädlich wirken, Verärgerung vervielfacht die Belastung. Man muß deswegen auch ruhig in Kauf nehmen, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Staaten mit zweierlei Maß gemessen wird, und deswegen auf einiges verzichtet werden muß, was an sich vernünftig wäre. Man erinnere sich z. B.der Fühler von 1960. bei denen es um die Benutzung spanischer Truppenübungsplätze durch deutsche Einheiten ging, die Reminiszenzen an die Legion Condor heraufbeschworen und die deshalb durch eine gezielte Indiskretion in der New York Times zu Fall gebracht wurden. 2. Es liegt auf derselben Linie, daß nicht nur die Realität, sondern auch jeder Schein von Neonazismus und Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik vermieden werden muß. Eine echte, von verantwortungsbewußtem Bürgersinn getragene freiheitlich-demokratische Staatsform in Deutschland gibt die beste Garantie für ein freundschaftliches deutsch-amerikanisches Verhältnis. Es gilt als selbstverständlich, daß eine solche Staatsform als innerer Imperativ gewünscht und nicht nur „aus Rücksicht gegenüber dem Ausland" geduldet werden muß. 3. Ein intimes Verhältnis zwischen zwei Staaten — auf der Ebene der Regierung und der öffentlichen Meinung — beruht auf gemeinsamen Interessen und gemeinsamen Aufgaben. Beide sind in der Beziehung Deutschlands zu Amerika unbedingt gegeben. Beide Staaten haben einen gemeinsamen Gegner, den Weltkommunismus, und erwarten gegenseitige Unterstützung bei allen Konfliktherden zwischen dem Kommunismus und der freien Welt. Die Atomwaffen Amerikas schützen Berlin vor Überflutung durch die Rote Welle, selbst auf das Risiko eines Weltkrieges hin, und dies wird von der deutschen Öffentlichkeit als „selbstverständlich" angesehen. Die amerikanische Öffentlichkeit erwartet ebenso selbstverständlich, daß die Bundesrepublik sie in einer Amerika direkt betreffenden Frage, wie z. B.dem Aufbau Kubas als Zentrum für die Revolutionierung Südamerikas, selbst auf Kosten von Unannehmlichkeiten aus dem Osten, unterstützt. Was würde man in Deutschland sagen, wenn amerikanische Schiffe russisches Kriegsmaterial nach Rostock transportieren würden? Kein Wunder, daß die amerikanische Öffentlichkeit die Fahrt deutscher Frachter nach Havanna scharf kritisierte. Daß andere NATO-Verbündete sich ebenso „illoyal" verhielten ist irrelevant, ganz abgesehen davon, daß Amerika von der Bundesrepublik wegen der früheren amerikanischen Hilfeleistungen und dem heutigen amerikanischen Einsatz eine besonders entgegenkommende Haltung erwartet. 4. Die gemeinsame Aufgabe Amerikas und Deutschlands erschöpft sich nicht in der „negativen" Zielsetzung der Bekämpfung des Kommunismus; sie verlangt außerdem den „positiven“ Aufbau dessen, was man in Amerika die „Atlantic Community“ nennt. Dies verlangt Intensivierung der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen. Einzelvorschläge würden den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, eine kurze Bemerkung mag aber erlaubt sein. Es wurde oben schon angedeutet, daß die amerikanisch-französischen Beziehungen heute auf einem Tiefpunkt stehen, und zwar hauptsächlich wegen der wenig NATO-freundlichen Politik de Gaulles. Eine exklusive Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich, wie sie in einigen Kreisen der Bundesrepublik offensichtlich gewünscht wird, wäre eine schwere Belastung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Dasselbe gilt von allen rein kontinental-europäischen Verbindungen, die die natürliche Befähigung Englands zur Mittlerschaft zwischen Europa und Amerika ausschalten. Amerika hat die Vereinigung Europas von Anfang an energisch unterstützt, selbst wo sie zur Schädigung amerikanischer Wirtschaftsinteressen, z. B. bei dem Schumanplan und jetzt bei der EWG, führte. Es hofft aber, daß die europäische Vereinigung im Geiste der NATO und der Atlantic Community, nicht als Alternative zu ihr, betrieben wird. Es erwartet die Unterordnung rein europäischer Gesichtspunkte unter die gemeinsamen Interessen und Aufgaben der ganzen freien Welt. 5. Gemeinsame Interessen und Aufgaben verlangen ein gegenseitiges Vertrauen. Man ist in Amerika außerordentlich enttäuscht, daß dieses Vertrauen in Deutschland (sicher nicht ohne amerikanische Schuld!) in vielen Kreisen nicht immer als selbstverständlich gilt. Die neue Lage, die — in Einzelfragen, nicht in der Grundhaltung — durch die Ablösung der Eisenhowerdurch die Kennedy-Regierung geschaffen worden ist, verlangt viel Anpassungsfähigkeit von beiden Seiten. Sie verlangt außerdem ruhige und sachliche Erörterungen über strittige Fragen unter Ausschluß jeder Panikmache oder Verdächtigung. Dieser Dialog stecht noch im Anfangsstadium und kann durch Indiskretionen, wie die sensationelle, in ihrem Ursprung bisher nicht aufgeklärte Veröffentlichung der Protokoll-auszüge der Washingtoner Botschafterkonferenz durch Julius Epstein im Rheinisdhen Merkur Ende August 1962, nur geschädigt werden.
Freundschaft und Verständigung verlangen gegenseitige Konzessionen. In einem Aufsatz, der vorzugsweise im Hinblich auf deutsche Leser geschrieben worden ist, sind die Akzente aus verständlichen Gründen auf den deutschen Beitrag zur Verständigung gelegt worden. Dabei soll keineswegs bestritten werden, daß auch Amerika in der Vergangenheit viele Fehler gemacht hat und daß Änderungen in der amerikanischen Haltung gegenüber der Bundesrepublik angebracht sind. Die amerikanische Regierung hat oft Ungeduld gegenüber gut fundierten Vorstellungen der deutschen Diplomatie, z. B. bei Berlinverhandlungen, gezeigt. Daß gewisse amerikanische Stellen die „Besatzungsmentalität“ nur langsam abstreifen konnten ist allgemein bekannt.
Es ist eine schwer zu beantwortende Frage, was gegen die weitverbreiteten antideutschen Legenden der amerikanischen öffentlichen Meinung von Amerikanern unternommen werden kann. Hier haben Politiker, Historiker und Publizisten gleichmäßig versagt, und an eine baldige Änderung der Lage ist kaum zu denken. Die Millionen Leser von Shirers Buch über das Dritte Reich werden die eigentümliche Verstrikkung von Schicksal und Schuld in der neueren Geschichte Deutschlands nie verstehen; die massive und undifferenzierte Anklage Shirers gegen das ganze deutsche Volk bereitet erneut den Boden für Verdächtigungen des heutigen Deutschlands. Man kann nur hoffen, daß das Gewicht der Tatsachen — und das besonders rücksichtsvolle Handeln Deutscher, die die Last der noch starken antideutschen Strömungen illusionslos erkennen — wenigstens langsam eine legendenzerstörende Wirkung ausüben wird. Es ist der Wunsch des Autors, daß er durch sein Bemühen, selbst unangenehme Tatsachen, die Berücksichtigung verlangen, offen darzulegen, einen kleinen Beitrag zu der Lösung des deutsch-amerikanischen Problems leisten mag.