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Die Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren. Ein Beitrag zum Verständnis der kommunistischen Taktik | APuZ 43/1962 | bpb.de

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APuZ 43/1962 Die Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren. Ein Beitrag zum Verständnis der kommunistischen Taktik

Die Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren. Ein Beitrag zum Verständnis der kommunistischen Taktik

BABETTE L. GROSS

I. Ober den Begriff der Volksfront

Abbildung 1

Seitdem die Kommunistische Internationale 1933 ihren Parteien die Durchführung der Volksfront-taktik befahl, ist mehr als ein Vierteljahrhundert verstrichen. In Frankreich, wo sich diese Politik am stärksten auswirkte, rufen die französischen Kommunisten und mit ihnen verbündete Gruppen auch jetzt noch nach einer neuen Volksfront. Ihre damaligen Partner hingegen, die Radikalsozialisten und die Sozialisten, vermeiden es tunlichst, auf diese Periode zurüdezugreifen. In ihren historischen Darstellungen der Epoche wird die Volksfront nach Möglichkeit nicht erwähnt, oder, sofern es geschieht, distanziert man sich mit großer Entschiedenheit von den kommunistischen Partnern.

Die Anwendung der Volksfronttaktik durch die Kommunisten stellte eine radikale Abkehr von der Leninschen Ideologie dar. Zwar hatte Lenin in seinen Schriften mitunter für ein Bündnis aller demokratischen, liberalen und sozialistischen Kräfte in der Opposition plädiert. Aber in der Praxis griff er schon vor der Oktoberrevolution zu jedem Mittel, um Koalitionen oder eine parlamentarische Zusammenarbeit der russischen Sozialisten mit linken bürgerlichen Parteien zu hintertreiben

Nach der Oktoberrevolution wurde der Totalitätsanspruch der bolschewistischen Partei als der einzigen revolutionären Vorhut der Arbeiterklasse auch auf die III. Internationale übertragen. Dem Kapitalismus und seinen Vertretern, den bürgerlichen Parteien, sagte die Kommunistische Internationale einen unversöhnlichen Kampf an. Mit dem Klassenfeind, der sich im Besitz der Staatsmacht befand, konnte es keine Zusammenarbeit geben. Koalitionen aus taktischen Gründen wurden verboten.

Mit der gleichen Vehemenz wurde auch der reformistische Weg zur Übernahme der Staats-macht durch Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie abgelehnt. Da sich durch die Gründung der III. Internationale die europäische Arbeiterschaft in einen revolutionären und in einen reformistischen, weiterhin der II. Internationale angehörenden Flügel gespalten hatte, bekämpfte die Kommunistische Internationale die Führer der reformistischen Parteien und Gewerkschaften, weil sie dem Fortschreiten der proletarischen Revolution hindernd im Wege standen.

Nachdem sich der revolutionäre Weg zur Übernahme der Macht in den anderen europäischen Ländern als ungangbar erwiesen hatte, begann die Kommunistische Internationale, ihr Augenmerk auf die Gewinnung der „Mehrheit der Arbeiterklasse“, derjenigen Arbeiter zu konzentrieren, die sich in den sozialistischen reformistischen Parteien und Organisationen befanden. Es begann die Diskussion über die Taktik der Einheitsfront. Sie besagte, daß man als Kommunist versuchen müßte, mit dem anderen Klassengenossen zur Zusammenarbeit zu kommen, ihn wenn möglich zum kommunistischen Standpunkt zu bekehren, um dann gemeinsam den Klassengegner zu schlagen.

Die sterile Einschätzung der Bourgeoisie als des Klassengegners schlechthin wurde von den Kommunisten auch nicht korrigiert, als sich der italienische Faschismus schon gefestigt hatte und als eine totalitäre Bedrohung der Arbeiterklasse und ihrer Errungenschaften in anderen Ländern sichtbar wurde.

1928 hatte Otto Bauer im neuen Parteiprogramm der österreichischen Sozialisten formuliert, daß „eine Kooperation der Klassen notwendig werde in jenen Situationen, in denen die Demokratie, die Republik bedroht sei“. Er wurde von einem Kritiker der Zeitschrift „Kommunistische Internationale“ scharf angegriffen. Dort argumentierte man, daß „die Demokratie, die Republik, nur durch eine revolutionäre Krise bedroht werden kann, und daß dann die Frage der bürgerlichen oder proletarischen Diktatur zur Entscheidung steht, so daß sich jede Koalition von Arbeiterparteien mit kapitalistischen Parteien verbietet“.

Wie es dazu kam, daß die Sowjetunion und damit die Kommunistische Internationale, entgegen dem Leninschen Dogma, plötzlich bereit waren mit dem Klassengegner zusammenzuarbeiten, soll die vorliegende Untersuchung aufzeigen.

Die Anwendung der Volksfronttaktik setzte voraus, daß sich die Kommunisten zunächst mit den Führern anderer, meist sozialistischer Arbeiterparteien oder Organisationen zu einer Aktionsgemeinschaft zusammenfanden. Sodann konnte man dazu übergehen, an bürgerliche Parteien und Organisationen mit Vorschlägen für Wahl-abkommen oder andere Formen der Zusammen-arbeit heranzutreten, eine sogenannte „Volk s-front“ zu schaffen.

Der Ausdruck selbst wurde zuerst 1934 von dem damaligen Vertreter der französischen Kommu-nistischen Partei bei der III. Internationale in Moskau, Albert Vassart, vorgeschlagen -als Slogan für die neue Politik der französischen Kommunisten. Er hatte die Bezeichnung „Front Populaire" gewählt, um den französischen Sozialisten mit ihrer völkischen Propaganda den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Russen in der Kommunistischen Internationale erhoben zunächst Einspruch gegen die Bezeichnung, weil sie ins Russische übersetzt an die „narodnaja volja", die große Bauern-und Arbeiterpartei erinnerte, die von den Bolschewiki nach 1917 liquidiert worden war. Ein russischer Philologe wurde zu Rate gezogen. Er erklärte, daß zwischen der „Front Populaire“ und dem “ v narod“ ein grundlegender Unterschied bestünde. Es bedeutete nicht, „ins Volk gehen', sondern „eine Front, an der das Volk teilnimmt". Damit wurde die Bezeichnung Front Populaire — Volksfront sanktioniert.

Irrtümliche Verwendung des Begriffs Volksfront Nicht immer kann man von kommunistischen Volksfrontmanövern sprechen, wenn die Kommunisten versuchen, mit anderen Parteien gemeinsam zu operieren. Wenn etwa die Schweizer kommunistische „Partei der Arbeit" bei den Großratswahlen im Kanton Neuenburg mit der Sozialistischen Partei und anderen sozialistischen Splittergruppen ein Wahlbündnis eingeht, so handelt es sich um ein Abkommen mit „Klassengenossen" und nicht um die Bildung einer Volksfront. Als besonderer Testfall für ein erfolgreich durchgeführtes Volksfrontmanöver wird mitunter die kommunistische Machtübernahme im Februar 1948 in der Tschechoslowakei dargestellt. Zu derartigen subtilen Volksfrontmanövern hatte aber die Sowjetunion in Osteuropa nach 1945 keine Veranlassung mehr.

Unter dem Schutz russischer Bajonette bemächtigte sich die tschechische KP schon im Mai 1945 der ausschlaggebenden Machtpositionen im öffentlichen Staatsapparat. Das Innenministerium, die Polizei, das Propagandaministerium und das Landwirtschaftsministerium wurden unmittelbar von kommunistischen Ministern kontrolliert. Soweit einige Ministerien nichtkommunistischen Ministern unterstanden — die Armee, das Außenministerium, der Außenhandel, die Finanzen —, wurden sie von kommunistischen Staatssekretären blockiert. Darüber hinaus waren alle Massenorganisationen sowie der Rundfunk fest in kommunistischer Hand. Die nichtkommunistische Presse wurde durch „freiwillige“ Zusammenarbeit ihrer Schriftleiter mit der tschechischen KP in ihrer Freiheit eingeschränkt. Durch dieses Übergewicht sicherten sich die Kommunisten im Mai 1946 bei den ParlamentsWahlen 3 8 Prozent der Stimmen.

Das wesentliche Charakteristikum der Volksfront, die Notwendigkeit nämlich, mit bürgerlichen Gruppen zusammenarbeiten zu müssen, um einen beherrschenden politischen Einfluß auszuüben, fehlte. Die bürgerlichen wie auch die sozialistischen tschechischen und slowakischen Politiker, die sich dem kommunistischen Diktat entgegenstellten, wurden entweder als Nazi-kollaborateure diffamiert oder sonst als untragbar erklärt und durften zu den Wahlen nicht kandidieren. Die alten bürgerlichen Parteien wurden nach 1945 nicht mehr zugelassen. Ihre Mitglieder traten der früheren Benes-Partei, der Katholischen Volkspartei oder der Demokratischen Partei in der Slowakei bei.

Innerhalb aller nichtkommunistischen Parteien gab es zwei Flügel, einen linken, der mit den Kommunisten durch dick und dünn ging, und einen rechten, der sich der Zusammenarbeit widersetzte. Den rechten Sozialdemokraten gelang es, auf ihrem Parteitag in Brünn im November 1947 ihren linken Flügel zu schlagen und den prokommunistischen Parteivorsitzenden Fierlinger abzusetzen. Gleichzeitig erstarkte auch in den anderen Parteien der politische Wille, sich gegen die Kommunisten zu Wehr zu setzen. Um einer sicheren Wahlniederlage in den neuen Parlamentswahlen, die im Mai 1948 stattfinden sollten, zu entgehen, entschlossen sich die Kommunisten im Februar 1948 dazu, durch einen Staatsstreich die mehr oder weniger demokratische Koalitionsregierung abzusetzen und sie in eine Diktatur der Kommunistischen Partei umzuwandeln.

Bei der Gleichschaltung der Tschechoslowakei und der übrigen osteuropäischen Satelliten-staaten handölte es sich um die von Moskau propagierte Verwirklichung der „N ationalen Front“, „der Verbindung der Bourgeoisie des betreffenden Landes mit den Kommunisten zumZwecke der nationalen Befreiung".

Was Moskau darunter verstand, brachte Tito, der damals 1947 noch Mitarbeiter Schdanows im Kominform war, in einer Rede zum Ausdrude. Er erklärte, daß „die Nationale Front nichts anderes ist, als eine spezifische Form der Diktatur des Proletariats“. In diesem Sinne wurden in den Ländern des Ostblocks die sogenannten Regierungen der Nationalen Front zu kommunistischen Parteidiktaturen weiterentwickelt.

II. Einheitsfronttaktik der Deutschen Kommunistischen Partei

Die jungen revolutionären Parteien, die sich 1918/19 in vielen europäischen Ländern von den sozialistischen Parteien abspalteten und sich als kommunistische Parteien der III. Internationale anschlossen, waren durchaus nicht von vornherein bereit, sich um eine Einheitsfront mit den reformistischen Parteien zu bemühen. Auf dem II. Kongreß der Kommunistischen Internationale kam in allen Reden der ausländischen Delegierten zum Ausdruck, daß man die proletarische Revolution im Kampf gegen die Reformisten vorbereiten und führen wollte.

Die KPD versuchte in den ersten Jahren ebenfalls, die deutschen Arbeiter durch bewaffnete Aufstände zur Errichtung der Räterepublik mitzureißen. Als diese Versuche fehlschlugen und sich herausstellte, daß der überwiegende Teil der deutschen Arbeiterschaft den reformistischen Weg vorzog, begann in der KPD die Auseinandersetzung über die Einheitsfront. Zunächst spielte sich die Diskussion in den eigenen Reihen ab. Über den Weg, die Leninsche Forderung nach der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse in die Tat umzusetzen, herrschten zwischen dem rechten und dem linken Flügel der KPD gegensätzliche Auffassungen.

Die Linke war grundsätzlich gegen Einheitsfrontmanöver; die sozialdemokratische Führung war ihrer Meinung nach für den Zusammenbruch der deutschen Revolution verantwortlich; mi. ihnen zusammenzuarbeiten, schien sinnlos. Die Rechte setzte ihre Hoffnungen auf große Teile der sozialdemokratischen Parteimitglieder und meinte, daß deren Führer für revolutionäre Aktionen gewonnen werden könnten.

Die Diskussionen in der Kommunistischen Internationale über die Einheitsfronttaktik richteten sich seit dem Ende des Bürgerkrieges nach den wechiselnden Bedürfnissen und Einschätzungen der russischen Außenpolitik sowie den damit zusammenhängenden Machtkämpfen in der russischen Führung.

Einheitsfront „von oben" 1923, als die Sowjetunion mit aller Kraft danach strebte, aus der Isolierung heraus zu kommen und gleichzeitig auf eine revolutionäre Entwicklung in Deutschland setzte, schlug der Pendel weit nach rechts aus. Kommunisten und Sozialdemokraten arbeiteten zusammen in einer aus beiden Parteien gebildeten Regierung, der Zeignerregierung in Sachsen, die ein Musterbeispiel der „Einheitsfront von oben“ mit den sächsischen reformistischen Führern darstellte.

Das mißglückte Experiment und der Zusammenbruch der Hoffnungen auf eine revolutionäre Entwicklung in Deutschland führten zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen Rechten und Linken in der KPD. Die Linie der Rechten wurde schließlich vom V. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale verworfen. Man erklärte dort, „daß eine Arbeiter-und Bauern-regierung nichts anderes als die proletarische Diktatur sein dürfte. Es wäre eine opportunistische Anschauung, daß eine Übergangsform zwischen der Diktatur der Bourgeoisie und der Diktatur des Proletariats in Gestalt einer demokratischen Arbeiterregierung möglich sei“. Der Streit über die Anwendung der Einheitsfront zog sich jahrelang hin. 1925 und 1926 kam es zu weiteren erfolgreichen Einheitsfrontaktionen zwischen kommunistischen und reformistischen Partei-und Gewerkschaftsgremien. In Deutschland wurde auf Betreiben der Kommunisten eine große Volksbewegung gegen die Fürstenabfindung entfacht. Willi Münzen-berg gründete einen aus sympathisierenden Persönlichkeiten gebildeten Ausschuß, der nach seinem Vorsitzenden „Kuczinsk-Ausschuß" genannt wurde. Es handelte sich darum, die Vermögensforderungen der 1918 abgesetzten deutschen Fürsten an die Weimarer Republik abzulehnen. Das eingeleitete Volksbegehren, dem sich die KPD, die SPD und die Gewerkschaften anschlossen, erbrachte einen ungeahnten Erfolg: fünf Millionen Wähler trugen sich ein. Trotzdem alle bürgerlichen Parteien Stimmenthaltung propagierten, wurden bei dem nachfolgenden Volksentscheid 14, 4 Millionen Stimmen gegen die Fürstenabfindung abgegeben, wesentlich mehr, als die SPD und die KPD in den Reichstagswahlen 1924 erhalten hatten (ca. 10, 5 Millionen).

Zur gleichen Zeit hatten sich freundschaftliche Beziehungen zwischen den russischen Gewerk-schaften und einzelnen Verbänden der Amster-* damer Gewerkschaftsinternationale angebahnt. Die Sowjetunion betrachtete damals England als ihren Hauptfeind und versuchte daher, Einfluß auf die englische Arbeiterschaft zu gewinnen, um deren Druck auf ihre Regierung zu verstärken. Es entstand das Anglo-Russische Einheitskomitee. Seiner Gründung waren offizielle Besuchsreisen westlicher Gewerkschaftsdelegationen nach Sowjetrußland vorausgegangen. Ihre Berichte erschienen in Massenauflagen in deutscher und englischer Sprache und fanden größtes Interesse bei den reformistischen Gewerkschaftlern, trotzdem die sozialdemokratische Presse energisch gegen diese kommunistische Propaganda zu Felde zog.

Der Generalsekretär der Transportarbeiter-Internationale, Edo Fimmen, hoffte, ebenso wie die skandinavischen Gewerkschaften, eine engere Zusammenarbeit mit den russischen Gewerkschaften erreichen zu können. Mit Tomski, dem Vorsitzenden des Allrussischen Zentralen Gewerkschaftsrates, verband Fimmen eine persönliche Freundschaft. 1926 führte Sinowjew, der damalige Leiter der Kommunistischen Internationale, die Fürstenabfindungskampagne und das anglo-russisdte Einheitskomitee als gelungene Einheitsfrontaktionen an und verlangte, sich an die Linken wendend, daß diese Taktik bis zur Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse in den wichtigsten Industrieländern befolgt werden sollte.

Die Sozialdemokratie -der Hauptfeind der Kommunisten Mit der Konsolidierung der Stalinschen Apparatherrschaft verengte sich der Spielraum für Einheitsfrontaktionen zusehends. Zwar arbeiteten Sozialdemokraten und Kommunisten wie bisher in Betriebsräten, Gewerkschaften, Gemeinden und anderen Körperschaften zusammen. Aber mit der von Moskau befohlenen „Bolschewisierung" der kommunistischen Parteien bereitete sich eine radikale Wendung in ihrem Verhältnis zu den anderen Arbeiterparteien vor. Die Rechte in der KPD, die weiterhin für eine Zusammenarbeit zwischen allen Arbeiterparteien eintrat, wurde ausgeschlossen. Die Mittelgruppe, die „Versöhnler“', versuchten sic zu retten, aber sie wurden aus der Führung ausgeschaltet. Eine neue Leitung unter Ernst Thälmanns Führung sollte die neue Moskauer Linie durchführen.

Die Wendung entsprach dem neuen Kurs der russischen Innenpolitik. Die „Neue Ökonomische Politik“ wurde liquidiert, die Politik der Fünfjahrespläne, die Zwangskollektivierung und mit ihr die „Liquidation der Kulaken als Klasse“ hatte begonnen. Die Forderung nach der Weltrevolution trat zurück. Stalin proklamierte, daß der Sozialismus sehr wohl in einem Lande errichtet werden könnte. Lim diese neue Politik durchzuführen, benötigte Stalin eine ihm sklavisch ergebene Partei im eigenen Lande. Die Parteien der Kommunistischen Internationale wurden ebenfalls zu gehorsamen Instrumenten, bereit, in Zukunft allen Anforderungen der russischen Politik zu genügen.

Stalin hatte schon 1924 in einer Broschüre „Zur Internationalen Lage" die Sozialdemokratie »objektiv als gemäßigten Flügel des Faschismus“ bezeichnet. Nun mußte Manuilski auf dem 10. Plenum des EKKI 1929 die theoretische Begründung für den Kurswechsel der Kommunistischen Internationale liefern. Über die Einheitsfront sagte er: „Wir haben niemals geglaubt, daß die Einheitsfront ein Rezept ist, das für alle Zei-ten und Länder Gültigkeit hat. Es gab Zeiten, da verhandelten wir mit der II. und der II 1/2. Internationale, mit dem Generalrat und mit Purcell. Jetzt sind wir stärker und können aggressivere Methoden anwenden in unserem Kampf, um die Mehrheit der Arbeiterklasse zu gewinnen."

Die Sozialdemokratie wurde zum Hauptfeind erklärt.

Der „Weddinger“ Parteitag der KPD stand im Zeichen des verschärften Kampfes gegen die SPD. Thälmann nannte die Sozialdemokratie „den stärksten Hebel des Faschismus“ und verkündete, „die gefährlichste Form des Faschismus ist der Sozialfaschismus“. Damit waren faktisch alle Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten zerschnitten, die Einheitsfront war tot.

Es konnte keine Rede davon sein, daß die Parteimitglieder den neuen Kurs widerspruchslos hinnahmen. Soweit sie nicht mit den ausgeschlossenen rechten KPD-Führern in geschlossenen Gruppen aus der Partei austraten, machten sie den neuen Kurs nur widerwillig mit oder zogen sich in völlige Passivität zurück. Eine Gruppe von Versöhnlern, Ewert, Meyer, Süßkind und Eberlein, traten offen gegen den Beschluß der Kommunistischen Internationale auf, der die Sozialdemokratie des Sozialfaschismus bezichtigte. Die KPD-Führung mußte immer wieder von neuem trommeln, um ihren Mitgliedern die Kluft zwischen sozialdemokratischen Führern und Arbeitern begreiflich zu machen, und um sie anzuspornen, die Einheitsfront „von unten“ zu praktizieren und die sozialdemokratischen Arbeiter ihren Führern abspenstig zu machen.

Die Kommunisten kämpfen gegen SPD und NSDAP Als die Nationalsozialisten rasch an Einfluß gewannen und am 14. September 1930 einen unerwarteten Wahlsieg davontrugen, versuchte die KPD ihren Kampf gegen die SPD und die NSDAP zu führen. Anstatt alle demokratischen Kräfte gegen den drohenden Nationalsozialismus zu unterstützen, blieb man bei der selbstmörderischen Generallinie: „Die Sozialdemokratie ist der gefährlichste Feind im Lager der Arbeiterklasse“ (Resolution des ZK der KPD vom Januar 1931). Thälmann schrieb: „Ohne im Kampf gegen die Sozialdemokratie zu siegen, können wir den Faschismus nicht schlagen."

Diese von Moskau befohlene Linie stieß bei den Mitgliedern der kommunistischen Partei auf Unverständnis und Ablehnung Für sie waren die NS-Schlägerkolonnen der Hauptfeind, ihnen mußte man entgegentreten, vor ihnen mußte man sich schützen. Im Funktionärsapparat der KPD war jedoch schon eine so weitgehende Demoralisierung eingerissen, daß er den Zickzackkurs der „Zentrale" durchzuführen versuchte, ohne lange nach den Gründen zu forschen und ohne den Verrat an den Idealen der sozialistischen Bewegung beim Namen zu nennen. Selbst für die Führung der KPD bildete die wachsende totalitäre Bedrohung durch die Nationalsozialisten die größte Sorge, auch wenn Manuilski auf dem 11. Plenum des EKKI noch so nachdrücklich als Stalins Sprachrohr erklärte: „In der Absicht, die Massen zu betrügen, behaupten die Sozialdemokraten bewußt, der Hauptfeind der Arbeiterklasse sei der Faschismus. Es ist nicht wahr, daß der Faschismus Hitlerischer Prägung den Haupt-feind darstellt.“

Die Mitgliedschaft nahm von diesem Trommelfeuer von Reden, Beschlüssen und Broschüren wenig Notiz. Sie mußte sich gegen den wachsenden Terror der Nationalsozialisten zur Wehr setzen. In den letzten Monaten der Weimarer Republik verging kaum eine Woche, in der es nicht zu Mordtaten gegen Arbeiter kam. Stalin tritt für die Tolerierung der Nationalsozialisten ein In diesen kritischen Jahren griff Stalin mehrmals persönlich in die Politik der KPD ein. Die Sowjetunion befand sich infolge der Zwangs-kollektivierung in einer schweren Krise. In dieser Situation war Stalin daran gelegen, blutige Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und den deutschen Rechten zu vermeiden. Ihm war an einem stabilen Deutschland gelegen, selbst wenn es diktatorisch von der Rechten beherrscht würde. Die deutsche Rechte konnte aber nur an die Macht gelangen, wenn zuvor der Einfluß der Sozialdemokratie mit allen Mitteln zerschlagen war.

Als Heinz Neumann, der damals mit Thälmann und Remmele die KPD führte, im April 1931 nach Moskau kam und Stalin besuchte, warf ihm Stalin vor, daß die KPD eine „linkssektiererische Massenpolitik“ betreibe. Auf Neumanns erstaunte Frage, was damit gemeint sei, kritisierte der Diktator, daß die KPD in Thüringen eine falsche Politik betrieben habe, weil sie zusammen mit den Sozialdemokraten ein Mißtrauensvotum gegen den nationalsozialistischen Innenminister Frick eingebracht hatte, das zum Sturz Fricks führte

Neumann hätte eigentlich verstehen müssen, worauf Stalin hinauswollte. Er hatte schon 1930 mit Moskaus Unterstützung das „Programm zur Nationalen und Sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ verfaßt, worin die KPD versuchte, es den Nationalsozialisten, die gerade einen Volksentscheid gegen den Youngplan durchführten, an nationaler Phraseologie gleichzutun, und worin die KPD die Arbeiter aufforderte, „mit der verräterischen SPD zu brechen, dieser Partei der Koalitionspolitik, des Versailler Friedens, des Youngplans, der Knechtung der werktätigen Massen Deutschlands".

Sommer 1931 beschlossen NSDAP, Deutsch-nationale und Stahlhelm ein Volksbegehren für die Auflösung des Preußischen Landtages, um dadurch den Sturz der sozialdemokratischen Preußenregierung zu erzwingen. Die KPD wandte sich zunächst gegen dieses Volksbegehren. Sie hielt Versammlungen ab, worin gegen den „faschistischen Volksentscheid“ protestiert wurde.

Daraufhin erhielt das Politbüro der KPD von Moskau die Anweisung, sich an dem bevorstehenden Volksentscheid zu beteiligen. Es kam darüber zu einer hitzigen Auseinandersetzung im Politbüro. Ernst Thälmann weigerte sich kurzerhand, den Befehl auszuführen. Nun wurden Thälmann, Remmele und Neumann nach Moskau gerufen, um dort zu erfahren, daß diese Anweisung direkt von Stalin an die Kommunistische Internationale ergangen war.

Thälmann versuchte sich der Durchführung des Beschlusses zu entziehen, indem er nach Hamburg fuhr und an den Sitzungen in Berlin nicht mehr teilnahm. Schließlich mußte ihn Neumann zurückholen, und der „Rote Volksentscheid“ nahm seinen Lauf unter der Losung: „Alle Stimmen für den Roten Volksentscheid am 9. August!“

Hubertus Prinz zu Löwenstein, der damals im Reichsbanner tätig war, beschrieb diesen Tag in seinem Buch: „The Tragedy of a Nation“ 1934 wie folgt: „Da glaubten wir, daß das Schicksal der republikanischen Preußenregierung besiegelt war, und wir sahen dem Wahltag mit größter Besorgnis entgegen. Es gab groteske Szenen. In Potsdam gingen Damen des alten Adels und Witwen hoher Offiziere zur Urne zusammen mit kommunistischen Arbeitern: die ersteren, um für ein reaktionäres und feudales Deutschland, die letzteren, um für die Diktatur des Proletariats zu stimmen.

In Berlin herrschte am 9. August eine außerordentliche Spannung. Ich fuhr von morgens bis abends durch alle Arbeiter-bezirke, und überall sprach man voller Abscheu über die Kommunistische Partei, die sich zum Helfer der Rechtsradikalen gemacht hatte. Es war ein Tag, an dem die Weimarer Republik einen großen Teil des Kredits hätte wiedergewinnen können, den sie im Laufe so vieler Jahre verloren hatte. Als das Wahlresultat herauskam, das entgegen allen Erwartungen eine große Niederlage der kombinierten Stimmen von Kommunisten, Nazis und Deutschnationalen verkündete, wurde es klar, daß große Massen von Kommunisten sich geweigert hatten, dem irrealen Befehl ihrer Führer zu folgen und verstanden hatten, was ein Votum gegen die Preußische Regierung bedeutete."

Der Volksentscheid führte zu einer tiefen Vertrauenskrise in der KPD. Am Abend der Abstimmung kam Hermann Remmele, nachdem er sich Mut angetrunken hatte, in das kommunistische Parteibüro des Unterbezirks „Zentrum" in Berlin. Vergeblich bemühte er sich, den dort versammelten, eisig ablehnenden Funktionären die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit ihren Todfeinden zu erklären.

Einheitsfrontversuche in letzter Stunde Trotzdem die SPD nach Bildung der Regierung Papen-Schleicher in scharfe Opposition ging, bildete sie weiterhin das Hauptziel der kommunistischen Angriffe. Papens Staatsstreich gegen die sozialdemokratische Preußenregierung am 20. Juli 1932 schreckte zwar die Führer der KPD auf. Plötzlich faßten sie den Beschluß, zum Generalstreik aufzurufen, um eine Regierung zu schützen, gegen die sie ein Jahr vorher gemeinsam mit den Nationalsozialisten einen Volksentscheid durchgeführt hatten. Die SPD und die Gewerkschaften lehnten den Aufruf der KPD als Verwirrungsmanöver ab.

Zur gleichen Zeit fanden persönliche Besprechungen zwischen führenden Kommunisten und Sozialdemokraten statt. So verhandelte Münzen-berg mit dem damaligen Reichsbannerführer Höltermann wegen gemeinsamer Schutzmaßnahmen. Aber das Reichsbanner winkte ab; es hoffte auf die Reichswehr und wollte sich nicht durch kommunistische Waffenbrüderschaft kompromittieren.

Das 12. Plenum des EKKI, das im Herbst 1932 in Moskau stattfand, nahm in seinen Beschlüs-sen vom Papen-Staatsstreich kaum Notiz. Walter Ulbricht referierte dort getreu der vorgeschriebenen Linie: „Wir stellen die Zusammenarbeit der Papenregierung mit der national-sozialistischen Massenbewegung fest, wodurch die Rolle der Sozialdemokratie als soziale Hauptstütze der Bourgeoisie in keiner Weise vermindert wird." Gleichzeitig schlug er auf alle Zweifler innerhalb und außerhalb der Partei ein, die den Faschismus als Hauptfeind bezeichneten und für eine Zusammenarbeit mit den demokratischen Kräften eintraten.

Angesichts der nahenden Katastrophe versuchte nun auch die von Otto Bauer vertretene II. Internationale, Spitzenverhandlungen zwischen der II. und der III. Internationale herbeizuführen. Dieser Versuch wurde in der Januarnummer 1933 der „Kommunistischen Internationale“ in einem Artikel von Sepp Schwab als „agitatorisches Manöver“ zurückgewiesen. Er schrieb dort: „Im Mittelpunkt der Arbeit der deutschen Kommunistischen Partei steht nach wie vor der verstärkte Kampf gegen den Sozial-faschismus und seine linken Manöver!“

Russische Einschätzung des Nationalsozialismus Führende Funktionäre der KPD trugen einen betonten Optimismus über die politische Bedeutung des Nationalsozialismus und dessen Chancen zur Schau. Als Ernst Thälmann am 31. Oktober 1932 in einer Massenversammlung der französischen KP im Saal Bullier in Paris auftrat und über die Kriegsgefahr gesprochen hatte, in der sich die Sowjetunion befände, wurde er von dem damaligen Organisationsleiter der französischen Bruderpartei, Vassart, zu seinem Fahrzeug begleitet. Vassart fragte Thälmann besorgt, wie er die weitere Entwicklung des Nationalsozialismus in Deutschland einschätze. Darauf erwiderte Thälmann, daß Hitler schon sehr weit zurückgedrängt sei, ständig an Einfluß verliere und der einzige Feind der KPD die Sozialdemokratie sei. — Wilhelm Pieck unterschätzte die drohende Gefahr nicht minder, als er Anfang 1933 zu einem langjährigen Freund und Mitarbeiter sagte: „Wenn die Nazis an die Macht kommen, so haben sie in zwei Monaten abgewirtschaftet, und dann kommen wir dran!“ Und Fritz Heckert, der deutsche Vertreter bei der III. Internationale, schrieb: „Die Nazis werden auch nur mit Wasser kochen und sich schnell genug abwirtschaften.“

Damit brachten die führenden deutschen Kommunisten nur die Meinung zum Ausdrude, die in russischen Parteikreisen vorherrschte. Stalin, der in vorgeschrittener Stimmung auf einer Abendgesellschaft im Beisein Neumanns Hitler als einen „Mordskerl“ bezeichnete, betrachtete es als wünschenswert, daß die Deutschen unter einer nationalsozialistischen Diktatur ihre demokratischen Illusionen verlieren würden, Illusionen, die jahrelang von der deutschen Sozialdemokratie genährt worden waren. Das würde später den Kommunisten helfen, die Macht zu übernehmen, sobald Hitler abgewirtschaftet habe. Schon Ende 1931 hatte das aufschluß-reiche Gespräch zwischen Neumann und Stalin stattgefunden, worin ihn der Diktator fragte: „Glauben Sie nicht auch, Neumann, daß, falls in Deutschland die Nationalisten zur Macht kommen sollten, sie so ausschließlich mit dem Westen beschäftigt sein würden, daß wir in Ruhe den Sozialismus aufbauen könnten?

Im Januar 1933 kündigten die Nationalsozialisten an, daß die Berliner SA am 23. Januar auf dem Bülowplatz vor dem kommunistischen Parteihaus, dem Karl-Liebknecht-Haus, unter dem Schutz der Polizei aufmarschieren würde. Die Kommunisten rüsteten sich zum Widerstand gegen diese Provokation. Am 20. Januar erhielt die Leitung der KPD ein Telegramm aus Moskau, worin das Politbüro dafür verantwortlich gemacht wurde, daß es bei dieser Nazikundgebung zu keinen Zusammenstößen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten kommen dürfe. Der kommunistische Ordnungsdienst mußte alle Gegendemonstrationen abblasen und sich darauf beschränken, sich im Parteigebäude zu verschanzen.

Breitscheid schlag Nichtangriffspakt zwischen SPD und KPD vor Nachdem Hitler am 30. Januar von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden war, überstürzten sich die Ereignisse. Verbote kommunistischer und sozialdemokratischer Zeitungen, die Auflösung politischer Versammlungen waren an der Tagesordnung. Die KPD rief erneut zum Generalstreik auf; SPD und ADGB reagierten ebenso ablehnend wie am 20. Juli 1932. Der „Vorwärts“ kommentierte den KPD-Aufruf mit der Bemerkung: „Heute Generalstreik machen, hieße, die Munition der Arbeiterklasse zwecklos in die leere Luft verschießen.“

Einzelne einsichtige Politiker aus verschiedenen Lagern versuchten in letzter Minute, die beiden Arbeiterparteien zu versöhnen. Am 12. Februar veröffentlichte Rudolf Breitscheid einen Artikel in der „Berliner Volkszeitung“, in dem er die Gefahr schilderte, die Hitlers Nationalsozialismus darstelle. Um ihr zu begegnen, müßte der Streit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten schweigen. Breitscheid schlug vor, daß beide Parteien einen „Nichtangriffspakt“ unterzeichnen sollten.

Dieses Angebot brachte sofort die Kommunistische Internationale auf den Plan; sie ließ in ihren Zeitungen in Frankreich und Schweden — alle deutschen KP-Zeitungen waren schon verboten — gegen Breitscheids Vorschlag polemisieren. Die kommunistische Göteborger „Arbetartidningen" schrieb am 17. Februar 1933: „Welche Art von Einheit die sozialistischen Funktionäre wollen, ist klar. Sie haben der Kommunistischen Partei einen Nichtangriffspakt angeboten, d. h. sie wollen die KP veranlassen, die SP in Ruhe zu lassen für ihre Propaganda der Passivität und der Niederlage im Proletariat, damit sie ihre Tätigkeit als Wegbereiter des Faschismus fortsetzen können. Sie sind Wegbereiter des Faschismus, mit denen niemals eine Einheitsfront möglich ist.“

Am 19. Februar 1933 versammelte sich noch einmal alles, was im linken demokratischen Berlin Rang und Namen hatte, zu einer Veranstaltung „Das Freie Wort“ in Krolls Festsälen. Schriftsteller und Intellektuelle hatten unter Vorsitz von Heinrich Mann und Rudolf Olden eine Gruppe „Das Freie Wort“ gegründet. Als ihre Veranstaltungen von Görings Polizei nicht zugelassen wurden, organisierten sie zusammen mit Kurt Grossmann von der „Liga für Menschenrechte“ und Willi Münzenberg, der seine Mitarbeit und finanzielle Hilfe zur Verfügung stellte, in wenigen Tagen einen Kongreß, zu dem einige hundert persönlich geladene Gäste erschienen.

Im Präsidium saßen die Professoren Tönnies und Heine, Georg Bernhard, Harry Graf Kessler. Trotz unaufhörlicher Schikanen des überwachenden Polizeiobersten konnte der Kongreß einige Stunden tagen. Im Laufe des Vormittags kam eine Gruppe von Sozialdemokraten mit Friedrich Stampfer und Toni Sender aus einer anderen aufgelösten Versammlung hinzu. Alle Redner sprachen sich mutig gegen die Nazi-diktatur aus. Während der abgesetzte preußische Kultusminister Grimme ein Manifest verlas, wurde die Veranstaltung endgültig wegen ständiger Angriffe auf die Regierung aufgelöst. Den Anwesenden war bewußt, daß solche Einheitskundgebungen die Todeskrise der Weimarer Republik nicht mehr aufhalten konnten. Alles war zu spät, das freie Wort war in Deutschland zum Schweigen gebracht worden.

Wenn man auf die letzten Jahre der Weimarer Republik und ihren Zusammenbruch zurückblickt, ist festzustellen, daß die Haltung der Sowjetunion und die daraus resultierende Politik der III. Internationale und der deutschen Kommunisten schwere Mitschuld an dem Zustande-kommen der Hitlerdiktatur trägt. Dadurch, daß die KPD einen unerbittlichen Kampf gegen die Sozialdemokratie führte, wobei sie bis zur offenen Unterstützung der Nationalsozialisten ging, daß sie 6 Millionen Wähler immobilisierte, die von ihr die Rettung vor einer totalitären Diktatur erwarteten, trug sie zur Passivität und Ohnmacht aller demokratischen Kräfte bei und verhinderte, daß man sich geschlossen dem totalitären Ansturm widersetzte.

Die ostdeutschen Kommunisten versuchen, diese historischen Tatsachen zu leugnen und verbreiten die Legende, daß die KPD vor 1933 konsequent gegen den Hitlerfaschismus gekämpft habe, und daß die SPD die Einigungsbestrebungen der KPD sabotiert habe. Ernst Thälmann wird als Herold des Kampfes für die Einheit dargestellt, „dessen heroischer Kampf nicht zum Erfolg führte, weil die schändliche Verratspolitik der SPD-Führung die Herstellung der Einheitsfront der Werktätigen in ganz Deutschland verhinderte, die Spaltung der Arbeiterklasse vertiefte und sie dadurch im entscheidenden Moment kampfunfähig machte “. „Strategischer Rückzug in die Illegalität"

und Einheitsfront von unten Nach Hitlers Machtergreifung lief der Apparat der Kommunistischen Internationale in den ausgefahrenen Geleisen der bisherigen Taktik weiter. Während Thälmann und hunderte anderer Funktionäre verhaftet wurden und ein bisher unvorstellbarer Terror über Deutschland dahinging, glaubte man in Moskau nicht, daß sich Hitler an der Macht halten könnte. In einer Resolution, die von der im März 1933 tagenden Sitzung des Präsidiums des EKKI angenommen wurde, hieß es, daß die Einheitsfronttaktik von unten mit den sozialdemokratischen Arbeitern fortgesetzt werden müßte, um die faschistische Diktatur durch den bewaffneten Aufstand niederzuschlagen.

An die deutschen Kommunisten wandte sich die Resolution mit folgenden Worten: „Die Errichtung der offenen faschistischen Diktatur, die alle demokratischen Illusionen der Massen zerstört und sie somit dem Einfluß der Sozialdemokratie entzieht,beschleunigt den Weg Deutschlands zur proletarisdien Revolution. Die Aufgabe der Kommunisten muß es sein, den Massen zu erklären, daß die Hitlerregierung das Land zur Katastrophe führt. Mit größerer Energie als je muß man den Massen klarmachen, daß für die Arbeiterschaft das einzige Mittel, noch größeres Elend und die Katastrophe zu vermeiden, die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats ist."

Unterdessen war auch die SPD verboten. Die Mitglieder beider Parteien wurden von der SA zu Paaren getrieben; doch die SPD blieb weiterhin der Hauptfeind, wenn auch die Bezeichnung „Sozialfaschisten" wegfiel.

In der Julinummer 1933 der „Kommunistischen Internationale" bewarf der frühere Menschewik A. Martynow die illegale SPD mit Schmutz. Er behauptete, daß die illegalen SPD-Zeitungen von den Nazis geduldet würden, um die Arbeiterschaft gegen den Kommunismus zu gewinnen, und daß die illegale Arbeit der SPD ein starkes Hindernis für die breite Entwicklung des Proletariats sei. Schließlich bot er sich indirekt den Nationalsozialisten an, indem er bemerkte: „Deshalb muß die KPD einen energischen und rücksichtslosen Kampf gegen diese Konterrevolutionäre (die SPD) entfalten, die sich eine neue antifaschistische Maske anlegen und sich auf ihre Illegalität etwas zugute tun ..

In den Reihen der ins Ausland geflüchteten Kommunisten hatte eine heftige Diskussion über die Ursachen der deutschen Katastrophe, über den politischen Kurs der KPD und dessen Fehleinschätzungen begonnen. Die offiziellen Parteiverlautbarungen nahmen davon keine Notiz. Nach der gültigen Lesart hatte die KPD keine Niederlage erlitten. Sie war auch nicht von den Nationalsozialisten hinweggefegt worden, sondern sie hatte einen strategischen Rückzug in die Illegalität angetreten und war im Begriff, ihre Kader in allen Betrieben aufzubauen. Kommunisten, die diesem Unsinn widersprachen und Selbstkritik und Kursänderung verlangten, wurden mit dem Ausschluß bedroht und mundtot gemacht.

Das 13. Plenum des EKKI trat im Dezember 193 3 in Moskau zusammen. Es bestätigte der Leitung der KPD ausdrücklich, daß „die politische Linie, die das ZK der KPD mit dem Genossen Thälmann an der Spitze bis zum und im Augenblick des faschistischen Umsturzes durchführte, restlos vom EKKI gebilligt wird". (Rundschau, Basel, Nr. 1, 2. 1. 1934.)

An alle übrigen kommunistischen Parteien gewandt, erklärte das Plenum unter der Über-schrift: Gegen die Sozialdemokratie, für die Einheitsfront von unten!, daß die Sozialdemokratie die Vorschläge der kommunistischen Parteien über einheitliche Klassenaktionen ablehne, daß sie die Einheitsbewegung gegen Krieg und Faschismus, die in Amsterdam und Paris geschaffen wurde, ablehne, und immer bestrebt sei, die Spaltung des Proletariats angesichts von Faschismus und Krieg zu vertiefen.

So waren die Beziehungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in den letzten Jahren der Weimarer Republik und nach Hitlers Machtübernahme auf dem Nullpunkt angelangt. Eine scheinbar unüberbrückbare Kluft trennte die beiden Parteien. Die jahrelange Hetze der KPD gegen SPD und Gewerkschaften hatte auch bei den Sozialdemokraten zum schärfsten Kampf gegen die KPD geführt. Sie charakterisierten „den Kommunismus als ein einziges Verbrechen an der deutschen Arbeiterklasse und ein furchtbares Verhängnis". Haß und Mißtrauen schien jede Zusammenarbeit auch für die Zukunft zu verbieten.

III. Die Einheitsfront in Frankreich 1933/34

Nach der Zerschlagung der deutschen kommunistischen Partei, der größten legalen Partei der Komintern, wandte sich die Aufmerksamkeit der Internationale den noch verbliebenen Parteien in Westeuropa zu. Die größte war nun die französische KP; alle anderen Sektionen waren entweder illegal oder zahlen-und einflußmäßig ohne große Bedeutung.

In Frankreich gab es ebenfalls zwei Arbeiterparteien, die sozialistische SFIO — Section Franaise de l’Internationale Ouvriere, die der II. Internationale angeschlossen war, und die KPF. Die Gewerkschaftsbewegung war ebenfalls gespalten in die CGT — Confederation Generale du Travail — und die CGTU — Confederation Generale du Travail Unitaire — „die für die Einheit eintritt". Die CGTU hatte sich von der CGT losgesagt und stand unter kommunistischem Einfluß, wobei die Bezeichnung „unitaire" niemanden zu täuschen vermochte.

Wie alle übrigen Sektionen der Komintern verfolgte auch die französische KP die Taktik «Klasse gegen Klasse“ und der „Einheitsfront von unten ; ebenso wie in Deutschland war die Partei auf Betriebszellen umgestellt worden, die die Aufgabe hatten, die sozialistischen Arbeiter heranzuziehen, während ihre Führer als „Handlanger der Bourgeoisie“ angeprangert wurden. Die sozialistische Partei sah diese Politik als einen Versuch an, ihre Partei zu zersetzen, was ja auch die Absicht der Kommunisten war. Die Sozialisten erklärten, die einzige Möglichkeit, zu einer Einheit zu gelangen, sei eine „Verständigung von oben“, zwischen den Führern beider Parteien. Ihr Standpunkt war verständlich. Nicht nur hatten sie die größere Zahl von Anhängern, sie waren auch nicht bereit, zugunsten der Kommunisten abzudanken und ihnen die sozialistischen Arbeiter in die Arme zu treiben.

In der französischen Arbeiterschaft jedoch, die unter der Spaltung und ihren Nachteilen litt, sehnte man sich nach der Einheit. Das Wort „Einheit" war eine magische Formel, der gegenüber kein Arbeiter unempfindlich blieb. Überparteiliche Massenorganisationen Nach dem ersten Weltkrieg hatten sich in Frankreich Massenorganisationen gebildet, in denen die Linke starken Einfluß besaß: die Organisationen der ehemaligen Frontkämpfer und der Kriegsopfer. Sozialisten und Kommunisten führten in diesen Organisationen einen entschiedenen Kampf gegen einen neuen Krieg. 1931 beschloß die Komintern, diese Organisationen für ihre Ziele einzuspannen. Der damaligen russischen Auffassung nach saßen die Hauptkriegstreiber gegen die Sowjetunion in Frankreich. Deshalb sollte die Komintern den Schwerpunkt ihrer Antikriegspropaganda nach Frankreich verlegen, um dadurch einen Druck auf die französische Regierung auszuüben.

Willi Münzenberg, der seit 1927 durch den Brüsseler Kongreß gegen koloniale Unterdrükkung sowie durch Jie Gründung der „Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit“ als Organisator weltweiter überparteilicher Organisationen hervorgetreten war, erhielt von der Komintern den Auftrag, einen Kongreß aller Antikriegsorganisationen vorzubereiten. Am 27. Mai 1932 lancierten Henri Barbusse und Romain Rolland einen Aufruf für die Sammlung aller Kriegsgegner, und Ende August 1932 fand in Amsterdam ein Kongreß statt, auf dem 2 200 Delegierte 29 Länder vertraten, und an dem sich führende Intellektuelle aus allen Ländern beteiligten. Die französische Delegation war am stärksten. Sie bestand aus Mitgliedern der Frontkämpferorganisationen, der kommunistischen Partei, der reformistischen Gewerkschaften, der Liga für Menschenrechte und aus zwanzig Sozialisten, unter ihnen waren die Abgeordneten Georges Monnet und Camille Planche.

Zwar verurteilte die sozialistische Parteileitung die Teilnahme ihrer Mitglieder an der Veranstaltung und bezeichnete den Kongreß als ein Manöver gegen die Sozialisten. Das hinderte die französischen sozialistischen Teilnehmer jedoch nicht, in der Organisation des „Rassemblement Mondial contre la Guerre“, das seinen Sitz in Paris bezog, mitzuarbeiten und sich auch an dem darauffolgenden großen Kongreß im Juni 193 3 im Saal Pleyel in Paris zu beteiligen. Unterdessen war Hitler zur Macht gelangt. Die Organisation nannte sich nun „Rassemblement Mondial contre la Guerre et le Fascisme“ oder kurzweg nach den beiden Kongressen „Mouvement Amsterdam-Pleyel“.

Obgleich diese Bewegung als erster Ausdruck einer Sammlung der französischen Linken anzusehen ist, gelang es ihr nicht, überall Massen-Organisationen zu schaffen. Die Komitees, die man bildete, lebten nur in wenigen Ländern Europas, besonders in Frankreich, weiter. Die Sozialisten verboten ihren Mitgliedern, sich für die Komitees zur Verfügung zu stellen, aber sie schlossen die Teilnehmer nicht aus. Einige Sozialisten stießen später zu den Kommunisten: nicht alle blieben dort. Ein Teil wandte sich wieder ab und geriet in die Isolierung. So großzügig diese Kongresse von der Komintern organisiert und finanziert waren, sie mußten doch Rücksicht auf die damals herrschende Linie nehmen, die es nicht gestattete, sich direkt an die Leitung der sozialistischen Parteien zu wenden.

Sozialistische Einheitsangebote Es fehlte nicht an Versuchen von sozialistischer Seite, angesichts der hitlerischen Bedrohung zu einer Annäherung an die Kommunisten zu gelangen. Am 20. Februar 1933 veröffentlichte der „Populaire", das Organ der französischen Sozialisten, einen „Aufruf an die Arbeiter der ganzen Welt“. Er war von den Führern der II. Internationale, Emile Vandervelde und Friedrich Adler, unterzeichnet und wandte sich an die III. Internationale, indem er sie zum gemeinsamen Kampf gegen den Hitler-Faschismus aufforderte.

Die Komintern behauptete, diesen Aufruf niemals erhalten zu haben, die II. Internationale behauptete das Gegenteil. Jedenfalls reagierte die Komintern offiziell nicht auf diesen Aufruf. Aber sie gab ihren Parteien Direktiven, sich an die sozialistischen Parteien zu wenden und ihnen gemeinsame Aktionen unter entsprechenden Bedingungen vorzuschlagen. Der Text dieser Vorschläge wurde in der „Humanite“ vom 6. März veröffentlicht und enthielt die üblichen Angriffe gegen die sozialistischen Führer. Immerhin befolgte die KPF die Direktiven; sie schlug der sozialistischen Partei vor, gemeinsam einen „Tag der Arbeiterforderungen“ zu organisieren. Auf dieses Angebot antwortete Leon Blum, der Leiter der sozialistischen Partei, in einer Reihe von Artikeln im „Populaire“ hinhaltend. Er bezog sich auf den Aufruf der II. Internationale, den die Komintern hatte unter den Tisch fallen lassen, er lehnte das kommunistische Angebot gemeinsamer Aktionen nicht ab, aber er versuchte Zeit zu gewinnen, um den etwaigen Beschlüssen des Exekutivkomitees der II. Internationale nicht vorzugreifen.

Das Exekutivkomitee tagte am 18. /19. Mai 193 3 in Zürich und beschloß, „daß die sozialistischen Parteien von Separatabkommen mit den Kommunisten Abstand nehmen sollten, solange kein Kontakt zwischen den beiden Internationalen ein positives Resultat ergeben hat“.

Das war der erste von den Sozialisten unternommene Versuch einer Annäherung auf höchster Ebene, ihm folgte während des Jahres 193 3 kein weiterer. Die Haltung der Komintern wurde durch die bereits zitierten Beschlüsse des XIII. Plenums des EKK 1 gekennzeichnet; sie ergaben keinen Spielraum für derartige Verhandlungen.

Die Ereignisse im Jahre 1934 in Frankreich Im Februar 1934 wurde einer breiten Öffentlichkeit in Frankreich zum ersten Mal die faschistische Gefahr im eigenen Lande bewußt. Anlaß zu den Februarunruhen war ein neuer Finanzskandal — der Skandal Stavitzky. Viele bekannte Politiker waren darin verwickelt. Sie hatten in Stavitzkys Haus verkehrt und Geschenke von ihm angenommen. Die äußerste Rechte, vertreten durch die faschistischen Ligen, benutzte die Beunruhigung der öffentlichen Meinung und drohte, die Regierung zu stürzen und anstelle des kompromittierten parlamentarischen Systems ein autoritäres Regime zu errichten. Die zahlenmäßig schwache äußerste Rechte rekrutierte sich aus verschiedenen paramilitärisch organisierten Verbänden: den „Camelots du roi", den „Jeunesses patriotiques", der „Solidarite franijaise“ und gewissen Gruppen der „Croix de Feu“. An der Spitze der äußersten Rechten stand der Polizeipräfekt von Paris, Chiappe. Im Gegensatz zur traditionellen Rechten hatten diese Gruppen ausgesprochen totalitäre Züge. Einige hatten den Hitlergruß eingeführt, andere trugen blaue Hemden, und alle griffen die Demokratie und das Parlament an.

Als die Regierung Chiappe seines Postens enthob, beschlossen die faschistischen Verbände, zum 6. Februar eine Demonstration im Herzen von Paris zu organisieren und zum Parlament zu ziehen. Kaum ein Jahr war seit dem Reichstagsbrand vergangen, und hier in Paris traten faschistische Verbände an, die das Parlament stürmen wollten; die Republik war in Gefahr!

Am 6. Februar hatte die Polizei einen starken Sicherheitskordon um das Palais Bourbon gezogen, so daß die zahlreich erschienenen Demon-stranten nicht über die Seine gelangten. In ihrer Wut rissen sie auf dem Place de la Concorde die Laternenpfähle aus, hielten die Autobusse an, warfen sie um, nachdem die Fahrgäste ausgestiegen waren, und zündeten sie mit den Benzin-vorräten an. Die Polizei machte von der Schußwaffe Gebrauch, um die Menge zu zerstreuen. Sie schoß in die Demonstranten, und es gab zwanzig Tote und über hundert Verletzte. Erst spät in der Nacht gelang es der Polizei, des Aufruhrs Herr zu werden.

Die Kommunisten hatten vor dem 6. Februar dazu aufgerufen, gegen die Faschisten zu demonstrieren. Ein von Marcel Cachin in der „Humanite“ veröffentlichter Aufruf forderte auf, in den Betrieben und Baustellen, auf den Bahnhöfen für die Auflösung der faschistischen Ligen, für andere soziale Lösungen und schließlich „für die Arbeiter-und Bauernregierung" zu demonstrieren. Die sozialistischen Führer wurden wie üblich beschimpft, die sozialistischen Arbeiter und die Mitglieder der CGT jedoch aufgefordert, sich an den Demonstrationen zu beteiligen.

Historiker haben Zweifel darüber geäußert, ob die Kommunisten an jenem Tage für oder gegen die Rechtsradikalen eingetreten sind. Der Text des kommunistischen Aufrufs ist klar. Er spiegelt die damalige Linie der Komintern wider: Einheitsfront mit den sozialistischen Arbeitern, Angriff auf ihre Führer, und die Arbeiter-und Bauernregierung als Ziel. Die Kommunisten haben gegen die Faschisten demonstriert. 1937 hat Maurice Thorez, der Führer der französischen Kommunisten, die damalige Haltung der Kommunisten so dargestellt, als ob die Kommunisten die ersten und besten Verteidiger der demokratischen Freiheiten und der demokratischen Republik gewesen seien. Davon konnte aber im Februar 1934 keine Rede sein. Die französische KP war damals nicht bereit, eine Bindung einzugehen, weder mit den Sozialisten und schon gar nicht mit den Radikalen. Andererseits ist es auch nicht richtig, daß sie mit den Rechtsradikalen marschierte. In Wirklichkeit demonstrierten die Kommunisten am 6. Februar 1934 gegen die Faschisten, aber nicht für die demokratische Republik, sondern für ein Sowjetfrankreich.

Der kommunistische 9. Februar und der Generalstreik vom 12. Februar Die Sozialisten hatten ihre Anhänger ebenfalls gegen die Demonstration vom 6. Februar mobilisiert. Sie riefen nicht zu Kundgebungen auf. Die Mitglieder sollten sich in ihren Parteilokalen versammeln, sich darauf vorbereiten, ihre Organisationen zu verteidigen und kaltes Blut bewahren. Die sozialistischen Exekutivkomitees der Pariser Bezirke tagten ununterbrochen und beschlossen, in der Nacht vom 6. zum 7. Februar einen Brief an die kommunistische Partei zu richten, worin sie um eine Unterredung baten, „damit eine Grundlage gefunden werden kann für ein aufrichtiges Übereinkommen der beiden Parteien, das die Aktionseinheit der Arbeiter verwirklicht". Sie ersuchten um schnelle Antwort und teilten mit, daß sie bis Mitternacht in ihren Parteilokalen anzutreffen wären. Als bis Mitternacht keine Antwort kam, entschlossen sich die Sozialisten, eine Delegation in die „Humanite" zu schicken, wo sie von Andre Marty, Paul Vaillant-Couturier und drei anderen gerade anwesenden Kommunisten empfangen wurden.

Die Delegation überbrachte den Vorschlag, am 8. Februar eine gemeinsame Demonstration am Place de la Bastille zu veranstalten. Die Kom-munisten erklärten, daß sie darüber keine Entscheidung treffen könnten und den Vorschlag an die Parteileitung weitergeben würden. Während nun die Sozialisten zu einer Demonstration für den 8. Februar aufriefen und im „Populaire" mitteilten, daß sie alles tun würden, damit sich auch die KPF und die kommunistischen Gewerkschaften beteiligten, veröffentlichte die „Humanite" einen Aufruf, worin sie sich erneut an die sozialistischen Arbeiter wendet und sie auffordert, nicht am 8. Februar zu demonstrieren, sondern zusammen mit der KPF an einem Massenaufmarsch am 9. Februar. Der Brief mit dem Text dieses Aufrufs kam am 7. Februar bei der sozialistischen Parteileitung an.

Nachdem die Initiative der Sozialisten gescheitert war, berieten sie gemeinsam mit einer Anzahl anderer Gruppen und mit den Gewerkschaften, die gleich zu Beginn der Sitzung bekanntgaben, daß sie für den 12. Februar den Generalstreik beschlossen hätten. Diese Maßnahme wurde mit Begeisterung begrüßt, und die Sozialistische Partei beschloß, ihre geplante Kundgebung ebenfalls auf den 12. zu verschieben, um eine einheitliche Demonstration zu gewährleisten.

Die Kommunisten hielten ihre Demonstration für den 9. Februar aufrecht. Später schrieb die „Humanite", daß viele sozialistische Arbeiter daran teilnahmen, und im Jahre 1937 wird Thorez schreiben, daß die Kommunisten an diesem Tage die Republik retten wollten. Beides ist unwahr. Die Demonstranten riefen „les soviets partout!“, was wohl beweist, daß da keine Sozialisten demonstrierten, noch daß es darum ging, die Republik zu verteidigen. Audi die von Thorez genannte Teilnahmerzahl von 500 000 Demonstranten stimmt mit den Tatsachen nicht überein.

Die Veranstaltung war von der Polizei verboten worden. Der Platz der Republik, wo sie stattfinden sollte, war in weitem Umkreis abgesperrt, so daß sich die Demonstranten, höchstens 50 000 an der Zahl, um den Ostbahnhof herum sammelten. Die Polizei ging mit großer Brutalität gegen die Demonstranten vor. Jaques Doriot, damals noch ein führendes Mitglied des französischen Politbüros, stand auf einer Bank und hielt eine flammende Ansprache, ohne sich um die Polizei zu kümmern, die begann, in die Menge zu schießen. Man versuchte, sich in die Schächte der Untergrundbahn zu retten. Erst als die Polizei riesige Überfallwagen einsetzte, konnte sie nach Mitternacht die Demonstran-ten zerstreuen; vier Tote und zahlreiche Verletzte blieben auf dem Platz. — Es wäre falsch, von einem kommunistischen Mißerfolg zu sprechen. Dadurch, daß die Sozialisten ihre Kundgebung auf einen späteren Termin verschoben hatten, waren die Kommunisten die ersten, die auf die rechtsradikalen Aktionen antworteten.

Rückzug der Kommunisten Der Aufruf zum Generalstreik brachte die Kommunisten, die alle Angebote der Sozialisten voller Arroganz abgelehnt hatten, in eine unangenehme Lage. Der Polizeipräfekt hatte die Demonstration vom 12. Februar gestattet, allerdings unter scharfen Bedingungen: Die Kundgebung mußte innerhalb des Pariser Stadtringes abgehalten werden; sie durfte nicht weiter nach Paris hineingehen als bis zum Place de la Nation, der sich etwa 1 500 Meter von der „Porte de Vincennes“, der Stadtgrenze, entfernt befindet. Sozialisten und Gewerkschaften beschlossen, sich an der Porte de Vincennes zu sammeln und die Demonstration auf der breiten Avenue „Cours de Vincennes“ bis zum Place de la Nation zu führen.

Noch am 11. Februar schrieb die „Humanite“: „Die Sozialistische Partei setzt sich für die Republik ein“, und „die Arbeiterklasse verurteilt das und spuckt vor den sozialistischen Führern aus, die zynisch und frech genug sind, die Arbeiter zum Kampf gegen den Faschismus zu führen mit dem Gesang der Marseillaise und der Internationale". — Damals ahnten die kommunistischen Führer noch nicht, daß sie einige Jahre später selbst die Marseillaise singen würden, die „revolutionäre Hymne von 1789", wie sie Thorez dann 1937 nannte.

Die Sozialisten hatten einen ausgezeichneten Schachzug gemacht und die Kommunisten in die Enge getrieben. Konnten es die Kommunisten wagen, an einem Generalstreik nicht teilzunehmen, der einem politischen Zweck, dem Kampf gegen den Faschismus diente? Man hätte sie mit Recht als Streikbrecher bezeichnet. Aber am Generalstreik teilnehmen und nicht an der Demonstration, bedeutete, daß man den Sozialisten allein das Feld überließ. Mit oder ohne Kommunisten würde die Kundgebung ein großer Erfolg werden; in dieser Lage hätten womöglich die Sozialisten „die Einheitsfront von unten“ praktizieren und die kommunistischen Arbeiter an ihren Demonstrationen teilnehmen lassen.

Das Sekretariat der Kommunistischen Partei faßte daher den einzig möglichen Beschluß, die Partei sollte sich am Generalstreik und an der Demonstration beteiligen. Ein Text wurde ausgearbeitet, in dem die Kommunisten und Mitglieder der kommunistischen Gewerkschaften zu beidem aufgerufen wurden; man sandte den Text zum Abdruck an die „Humanite". Aber der damalige Chefredakteur der „Humanite", Andre Marty, war mit diesem Beschluß durchaus nicht einverstanden und weigerte sich, den Text abzudrucken. Der Leiter der kommunistischen Organisationsabteilung Vassart mußte erst persönlich zur „Humanite“ eilen und damit drohen, den Drude gewaltsam anzuhalten, bis schließlich der Text in einer schnell zusammengestellten zweiten Auflage erschien.

Am nächsten Tag war der Generalstreik allgemein. Auf den Cours de Vincennes demonstrierten 150 000 Personen. Die Redner beider Parteien sprachen zur Menge. Die Kundgebung versinnbildlichte die Macht, die die vereinigte Linke darstellte, und die Kraft kam sowohl der Arbeiterschaft als ihren Gegnern zum Bewußtsein.

IV. Die Bildung der französischen Volksfront

Im Laufe des Jahres 1933 war Stalin zu der Erkenntnis gelangt, daß Hitler und der Nationalsozialismus festen Fuß in Deutschland gefaßt hatten. Hitler hatte die gleichen totalitären Mittel angewandt, mit denen die Bolschewiki ihre Alleinherrschaft begründeten. Eine einzige Partei, die NSDAP, war erlaubt; eine schlagkräftige politische Polizei war geschaffen worden; jegliche Opposition wurde physisch vernichtet — kurzum, Deutschland war gleichgeschaltet worden. Gleichzeitig mit der Konsolidierung im Innern entfaltete das Dritte Reich eine diplomatische Offensive. Ribbentrop hofierte England; Hitler versuchte sich den Polen zu nähern. Er präsentierte sich dem kapitalistischen Westen als großer Friedensfreund, dessen Kampf sich ausschließlich gegen den Kommunismus richtete.

Die sowjetische Außenpolitik richtete nunmehr ihr Augenmerk auf den Anschluß an die demokratischen Länder; sie versuchte ihre Beziehungen zu den westlichen Demokratien zu verbes-sern. Litwinow bereiste die Demokratien, um die bestehenden Nichtangriffspakte zu reaktivieren. Mit dem damaligen französischen Außenminister Barthou wurde das sogenannte „Ostlocarno“ abgeschlossen, und die Sowjetunion bereitete ihren Beitritt in den jahrzehntelang geschmähten Völkerbund vor.

Wendung in der Kommunistischen Internationale Die Komintern wurde auf die neue Linie der russischen Außenpolitik umgestellt. Sie sollte alle Anstrengungen machen, um die kommunistischen Parteien in den demokratischen Ländern zu verstärken und antifaschistisch eingestellte Schichten der Bevölkerung in diesen Ländern an sich heranzuziehen.

Die französische KP war aber 1933/34 wenig geeignet, der sowjetrussischen Außenpolitik zu dienen. Sie war völlig isoliert und durch die jahrelang verfolgte Politik der „Einheitsfront von unten" und der Taktik „Klasse gegen Klasse“ nicht stark genug, Einfluß auszuüben; aber sie war stark genug, die Sozialisten zu schwächen und die bestehende Spaltung der Arbeiterschaft fortzusetzen.

Innerhalb der KPF hatte sich schon vor den Februarereignissen eine Opposition gebildet, die von Doriot geführt wurde. Doriot war Mitglied des Politbüros, Abgeordneter und Bürgermeister eines der größten Pariser Arbeitervororte St. Denis. Zu seiner Gruppe gehörte Henri Barbe, ein ehemaliger Parteisekretär. Sie waren der Meinung, daß man endlich mit der Taktik der „Einheitsfront von unten" aufhören und Verhandlungen mit der Führung der Sozialistischen Partei aufnehmen sollte. Er wurde heftig angegriffen. Thorez klagte ihn als Opportunisten an und erklärte, daß die Kommunisten nichts mit den Sozialisten gemein haben könnten, da diese gegen den Faschismus weder kämpfen könnten noch wollten. Doriot geriet im französischen Politbüro in die Isolierung.

Als Thorez an der Spitze der französischen Delegation im Dezember 1933 zur Tagung des Exekutivkomitees der Komintern nach Moskau kam, wurde die französische Partei zu Thorez'

größtem Erstaunen aufs heftigste kritisiert und angegriffen. Die Führer der Komintern spielten ein sehr geschicktes Spiel. Sie wollten, daß ihnen die französischen Kommunisten die Trümpfe in die Hand geben würden, indem sie die Lage in Frankreich so analysierten, daß es der Komintern möglich wurde, die Taktik in Frankreich im gewünschten Sinne zu ändern. Es konnte keine Rede davon sein, die Außenpolitik der Sowjetunion in die Debatte einzubeziehen. Man erwartete also, daß die französische Delegation die „Einheitsfront von unten" als erfolglos ablehnen würde. Aber das konnte man von Thorez nicht erwarten. Er kannte seine Thesen und Direktiven, er hatte sie befolgt, und er würde nur dann eine neue Taktik einschlagen, wenn neue Beschlüsse vorlagen. Manuilski, der damals Sekretär der Kommunistischen Internationale war, wurde durch Thorez'Sturheit so aufgebracht, daß ei sich zu der Bemerkung hinreißen ließ: „Sie sind zu unterwürfig, Thorez, um ein wirklicher Parteiführer zu sein“ — ein Ausspruch, der dann von den anderen französischen Delegierten kolportiert wurde.

Die Haltung von Thorez ist aus der Mentalität der kommunistischen Führer der dreißiger Jahre zu erklären. Sie glaubten fest daran, daß die III.

Internationale von ihnen eine Linie und eine Haltung verlangte, die im Interesse der Arbeiterschaft ihres Landes lag, und die dazu diente, ihren Einfluß bei der arbeitenden Bevölkerung zu stärken. Daß die jeweiligen Direktiven an die kommunistischen Parteien von den Interessen der sowjetischen Außenpolitik bestimmt waren, war ihnen nicht bewußt; sie hätten diese Unterstellung empört von sich gewiesen.

Es gehörte zwar zum Dogma, daß jeder Kommunist die Sowjetunion zu verteidigen habe. Die leitenden Kommunisten meinten nicht zu unrecht, daß sie dazu ihre eigene Partei stärken müßten. Den meisten unter ihnen war nicht klar, daß seit Beginn der Stalin-Ära die kommunistischen Parteien nur noch Figuren auf dem Schachbrett der sowjetischen Außenpolitik darstellten.

Solange ihre Partei wuchs, solange man Erfolge in Wahlkämpfen, bei Streiks, bei der Eroberung kommunaler und anderer Posten aufzuweisen hatte, ließ man sich vom Strom tragen und verdrängte auftauchende Kritik und Zweifel.

Es mußte erst zu einer politischen Katastrophe, zu einem persönlichen moralischen Zusammen-bruch kommen — die Vernichtung der deutschen KP durch Hitler, die Niederlage im Spanischen Bürgerkrieg, die Moskauer Prozesse, der Abschluß des Stalin-Hitlerpaktes —, damit manche führenden Funktionäre endlich erkannten, daß sie und ihre Partei nur als Werkzeug benutzt und geopfert worden waren.

Kursänderung in der französischen Kommunistischen Partei Die Führer der Komintern verstanden, daß sie mit Thorez nicht zum Ziel kommen würden. Thorez würde niemals etwas Neues Vorschlägen aus Angst, als „Opportunist“ verurteilt zu werden. Sie beschlossen daher, daß Albert Vassart als französischer Parteivertreter nach Moskau geschickt werden sollte. Sie hofften, mit ihm die „Wendung" vornehmen zu können. Vassart hatte schon 1929/30 gegen die Politik „Klasse gegen Klasse" opponiert und war damals von seinem Posten als Parteisekretär entfernt worden. 1931 hatte man ihn wieder in die Parteileitung übernommen, nachdem er sich der Parteidisziplin unterworfen hatte. Er stand den Auffassungen Doriots nahe.

Kurz vor seiner Abreise nach Moskau wurde Vassart beauftragt, an einer Parteiversammlung in St. Denis als Vertreter der Parteileitung teilzunehmen und die Mitglieder von der Richtigkeit der Parteilinie und von den politischen Fehlem Doriots zu überzeugen. Jaques Doriot war der geborene Volksführer, ein hervorragender Redner. Er hatte den französischen kommunistischen Jugendverband mitbegründet; später war er der Vorkämpfer der antimilitaristischen Propaganda in der französischen Armee und der unerschrockene Agitator für die Befreiung der französischen Kolonien gewesen. Er kannte Moskau und die Komintern. Für sie hatte er in Deutschland und vielen anderen Ländern gearbeitet. In einem persönlichen Gespräch informierte Vassart Doriot, daß er nach Moskau fahren sollte und schlug ihm vor, ebenfalls dorthin zu reisen, um seinen Standpunkt zu vertreten. Doriot war skeptisch. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß man in Moskau selten gegen seine Partei recht bekam. Er würde auch nicht fahren, wenn er eingeladen würde, weil man Gefahr liefe, dort behalten zu werden, „um sich zu bessern.“

Als Vassart im April 1934, nach den Februar-ereignissen, nach Moskau kam, wurde er nicht als Sündenbock in die Wüste geschickt, sondern in Amt und Würden des französischen Partei-vertreters bei der Komintern eingesetzt. Er begriff schnell, was man von den französischen Kommunisten wollte. Er erwähnte Doriot, dessen Haltung er zwar als undiszipliniert nicht guthieß, aber dessen Auffassungen er doch als eine Basis für eine neue Linie ansah, insbesondere nach den Erfahrungen am 12. Februar 1934.

Die Komintern lud daraufhin Thorez und Doriot zu einer Aussprache nach Moskau ein. Während Thorez sofort erschien, kam Doriot nicht; er antwortete nicht einmal und reagierte auf alle Schritte, die man unternahm, überhaupt nicht. Thorez blieb 14 Tage in Moskau. Auf seine Anfragen wurde ihm bedeutet, daß die Komintern nur mit ihm und Doriot diskutieren wollte. Schließlich fuhr er ohne Unterredung und ohne neue Direktiven zurück. Man zögerte, Maßnahmen gegen Doriot zu ergreifen, und als man schließlich der französischen Partei die Aufforderung übersandte, Doriot auszuschließen, wickelte man diese Entscheidung in so viel „Wenn“ und „Aber" ein, daß Doriot immer noch die Möglichkeit gehabt hätte, durch eine Erklärung den Rückzug anzutreten. Diese Taktik war nur damit zu erklären, daß die Komintern noch nicht die Hoffnung aufgegeben hatte, die „Wendung“ mit Doriot, und nicht mit Thorez vorzunehmen.

Doriot nahm seinen Ausschluß gelassen hin, als etwas, was er vorausgesehen hatte. Er meinte, es wäre besser, in Paris ausgeschlossen zu werden als in Moskau

Aktionseinheit zwischen Sozialisten und Kommunisten Im März und April 1934 hatte die Sozialistische Partei verschiedene Vorschläge für gemeinsame Aktionen unterbreitet. Sie waren an den unannehmbaren Forderungen der Kommunisten gescheitert. Nachdem Thorez als Sieger über Doriot aus Moskau zurückgekehrt war, setzte er die Politik der „Einheitsfront von unten“ fort. Ende Mai tagte der Parteikongreß der Sozialisten. Dort schlug eine Minderheit vor, mit den Kommunisten eine Aktionseinheit auf revolutionärer Basis einzugehen. Schließlich wurde eine Resolution angenommen, die Ver-langte, daß man für die Übernahme der Macht kämpfen sollte, indem man für die proletarische Aktionseinheit arbeitete.

Die Komintern war der Ansicht, daß der Augenblick gekommen war, weiter vorzustoßen. Da aber die Obstruktion in der französischen Parteileitung jede Aktionseinheit unmöglich machte, wurde Vassart beauftragt, ein Dokument auszuarbeiten, das genaue Direktiven enthielt und das der für den 24. Juni angesetzten National-konferenz der französischen KP als Grundlage für ihre künftige Politik dienen sollte.

In diesem Dokument wurde zunächst erklärt, daß die französische KP die Bourgeoisie nicht als einen kompakten Block ansehen dürfte. Sie müßte lernen, von den Gegensätzen im anderen Lager zu profitieren. Sie müßte sich der Sozialistischen Partei nähern und als wichtigstes Ziel den Kampf gegen den Faschismus ansehen. Die Partei müßte in dieser Richtung arbeiten, sie müßte sich mit all denen verbinden, die gegen den Faschismus kämpften, und eine breite Einheitsfront herstellen.

Das war die Absage an die „Einheitsfront von unten“; das Prinzip der Volksfront war vorgezeichnet, wenn auch das Wort noch nicht vorkam.

Zur gleichen Zeit veröffentlichte die sozialistische Parteizeitung in Lille als erste den Entwurf eines „Nichtangriffspaktes" zwischen Kommunisten und Sozialisten; vermutlich hatte ihn Lebas, der damalige sozialistische Parteisekretär in Nordfrankreich, verfaßt. Am 23. Juni brachte der „Populaire" diesen Entwurf mit einem von Leon Blum geschriebenen Kommentar unter der Überschrift: „Ist es wirklich unHiöglidt, das ZM erreidteti?“

In diesem Entwurf schlugen die Bürger Paul Faure und Leon Blum den Bürgern Maurice Thorez und Marcel Cathin in fünf Artikeln einen Nichtangriffspakt vor: — Die Vertragsschließenden sollten sich verpflichten, mit Angriffen, Beleidigungen und Kritik gegen ihre Organisationen und deren verantwortliche Vertreter Schluß zu machen; — sie sollten sich gegenseitige Hilfe und Unterstützung leisten, wenn sie von faschistischen Gegnern bei Versammlungen oder Kundgebungen angegriffen werden; — jede Partei sollte das Recht behalten, ihre eigene Propaganda und Mitgliederwerbung durchzuführen; — die Auseinandersetzung über doktrinäre Gegensätze und über die Anwendung verschiedener taktischer Methoden sollte nicht nur nicht verboten, sondern erwünscht sein, sofern sie sich in korrekter und loyaler Weise abspielte; — keiner von den beiden sollte sich in die inneren organisatorischen Angelegenheiten des anderen einmischen und sich jedes Versuchs einer Spaltung enthalten.

Dieser erstaunliche Entwurf endete mit dem Stoßseufzer: „Das alles ist leider nur eine Hypothese, was wir bedauern!“

Einen Tag später lag die Nummer des „Populaire'in Moskau vor. Vassart und Manuilski erkannten, daß sich hier vielleicht die letzte Möglichkeit bot, zu einer Zusammenarbeit mit den Sozialisten zu gelangen. Manuilski meinte, man sollte es nicht der französischen KP überlassen, wieder einen Bock zu schießen und schlug Vassart vor, einen weitergehenden Gegenentwurf auszuarbeiten. Während es den Sozialisten darauf angekommen war, die Diffamierungskampagne zu beenden und gegen den drohenden Gegner von rechts gemeinsam aufzutreten, ging Vassarts Entwurf viel weiter; er machte aus dem sozialistischen Nichtangriffspakt einen „Pakt für Aktionseinheit" und zielte auf die Durchführung der Einheitsfront durch Verhandlungen in der Spitze.

Der Text wurde vom Sekretariat der Komintern nach Paris telegrafiert und der sozialistischen Parteileitung schon am 25. Juni vorgelegt. Die Sozialisten waren über die kommunistische Wendung außerordentlich überrascht. Leon Blum versuchte, die Gründe zu verstehen, als er am 13. Juli 1934 im „Populaire" schrieb: „... Die Machtergreifung Hitlers bedeutet für die russische Revolution die schlimmste Gefahr, der sie seit 13 oder 14 Jahren ausgesetzt war. Diese Gefahr verschärft sich dadurch, daß Hitler sich Pilsudski nähert und eine deutsch-polnische Koalition zustande bringen möchte, deren Ziel der Angriff auf Rußland sein kann. Man braucht nicht weiter zu suchen, um die Gründe der neuen diplomatischen NEP zu finden, die den Eintritt der Sowjetunion in den Völkerbund zum Ziel hat.“

Am 2. Juli 1934 druckte die „Humanite“ den kommunistischen Gegenentwurf ab. Im Mittelpunkt stand die „Aktionseinheit“.

Im 1. Artikel hieß es:

Jeder der beiden Vertragspartner verpflichtet sich, gemeinsam und mit allen Mitteln (Organisation, Presse, Mitglieder, Abge-ordnete etc.) im ganzen Lande eine Kampagne zu organisieren, die zum Ziel hat, a) Mobilisierung der gesamten arbeitenden Bevölkerung gegen die faschistischen Organisationen, für deren Entwaffnung und Auflösung, b) Kampf gegen die Ermächtigungsgesetze, c) Kampf gegen den Hitlerterror, für die Befreiung Thälmanns und aller Antifaschisten.

Der Entwurf hatte die sozialistischen Forderungen nach gegenseitiger Tolerierung übernommen, aber dadurch abgeschwächt, daß die Vereinbarungen „für den Verlauf der gemeinsamen Aktionen“ gelten sollten, und er schloß mit der ominösen Formulierung, daß sich jede Partei das Recht vorbehalten sollte, diejenigen zu denunzieren, die im Verlauf der Aktion eine Haltung einnehmen oder Handlungen begehen würden, die den Erfolg der eingeleiteten Aktion stören könnten.

Am 15. Juli 1934 trat der Nationalrat der Sozialistischen Partei zusammen und befaßte sich mit dem kommunistischen Angebot. Der Vorschlag der Aktionseinheit wurde mit 3471 gegen 366 Stimmen angenommen, und am 27. Juli wurde der „Pakt für Aktionseinheit" zwischen den Delegierten beider Parteien unterzeichnet.

Die erste gemeinsame Demonstration fand am 1. August 1934 statt, dem Jahrestag der Kriegserklärung von 1914 und gleiczeitig dem 20. Todestag des Sozialistenführers Jean Jaures. Die Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialisten war erreicht. In der Arbeiterschaft wurde die Perspektive einer tatsächlichen Einheitsbewegung mit Genugtuung begrüßt. Seit der Unterzeichnung des Paktes hatte sich das politische Klima in Frankreich verändert; die beiden Arbeiterorganisationen bildeten eine Kraft, die einen Wall gegen den drohenden Faschismus darstellte.

Die Wiederherstellung der Gewerkschaftseinheit Ein Hindernis bei der Durchführung der Aktionseinheit bildete die Existenz zweier Gewerkschaftszentralen, der reformistischen CGT und der kommunistischen CGTU. Die Kommunisten schlugen nun vor, die beiden Zentralen zu verschmelzen. Denoit Frachon, Leiter der CGTU, wandte sich an die CGT, „um die Gewerkschaftseinheit wiederherzustellen“.

Die CGT war nicht abgeneigt, aber da sie die CGTU als eine von ihr abgespaltene Organisation betrachtete — was zutraf —, verlangte sie, daß die Einheit nur wiederhergestellt werden könnte, indem die CGTU in die CGT zurückkehrte. Die CGT sollte ihren Namen behalten, die leitenden Posten sollten zwischen den beiderseitigen Führern verteilt werden. Nach einigem Zögern nahmen die Kommunisten diesen Vorschlag an. Am 5. Oktober 1934 beschlossen die beiden Nationalkomitees, in Verhandlungen einzutreten, um die Verschmelzung vorzubereiten.

Die Führer der CGT waren etwas beunruhigt. Die Kommunisten hatten die Bedingungen etwas zu schnell angenommen. Man fürchtete, daß sie das nur getan hatten, um dann durch ihre Fraktionen die CGT zu zersetzen und unter ihren Einfluß zu bringen. Die CGT stellte nunmehr eine neue Bedingung: In der neuen vereinigten Gewerkschaft dürften keinerlei Fraktionen mehr bestehen, und die Kommunisten müßten sich öffentlich dazu bereit erklären.

Die CGT wußte natürlich, daß die Taktik der Fraktionen zum ABC der Kommunisten gehörte.'Überall, wo sich Kommunisten mit Nicht-Kommunisten in einer Organisation befanden, bildeten die Kommunisten eine Fraktion, die geschlossen vorging. Die CGT meinte, daß es für die Kommunisten unannehmbar wäre, darauf zu verzichten; denn eine solche Haltung stand im Widerspruch zu den 21 Bedingungen, die die Komintern für jeden Kommunisten vorgeschrieben hatte.

Diese Bedingung der CGT hätte beinahe die Verwirklichung der Gewerkschaftseinheit vereitelt. Bis zum Frühjahr 193 5 kamen die Verhandlungen nicht weiter. Die Sozialisten hatten jedoch die Manövrierfähigkeit der Kommunisten unterschätzt. Sie wollten unter allen Umständen die Gewerkschaftseinheit; nur so konnten sie die Gewerkschaften erobern. Aber sie wollten sich auch den Anschein geben, daß sie es ehrlich meinten, daß die „Einheit“ bei ihnen ganz groß geschrieben wurde, auch wenn sie dafür Opfer bringen mußten.

Frachon fuhr im März 193 5 nach Moskau, und dort wurde der Ausweg gefunden, der die Kommunisten als ehrliche Makler hinstellte. In Moskau konstatierte man, daß man eigentlich keine Fraktionen in den Gewerkschaften brauchte. Die Organisation der französischen KP war auf Betriebszellen aufgebaut, in denen sich auch alle kommunistischen Gewerkschaftsmitglieder befanden. Zwar funktionierten diese Zellen sehr schlecht, aber es genügte, ihnen neues Leben einzuflößen, sie regelmäßig zusammenzufassen, damit die Kommunisten in den Gewerkschaften gemeinsam vorgehen konnten. Es war allgemein bekannt, daß die Kommunisten Betriebszellen hatten; niemand konnte ihnen einen Vorwurf deshalb machen, daß sie diese Zellen jetzt reaktivierten.

Nach Paris zurückgekehrt konnte Frachon mit gutem Gewissen proklamieren, daß die KPF auf ihre Fraktionen in den Gewerkschaften verzichtete und sie auflöste. Damit war die letzte Bedingung erfüllt. Im September 1935 — damals bestand die Volksfront bereits — wurde die Vereinigung beschlossen und am 2. -5. März 1936 auf dem Einheitskongreß in Toulouse besiegelt Vorverhandlungen mit den Radikalen In ihren Direktiven an die französische KP hatte die Komintern ihr die Aufgabe gestellt, nicht nur die Arbeiter und Angestellten, sondern auch den Mittelstand, die Handwerker, die Kaufleute, die Beamten in die Aktion einzubeziehen. In den Ländern, in denen der Faschismus zur Macht gekommen war, hatte er sich hauptsächlich auf den Mittelstand gestützt, dessen Kraft als sozialer Faktor von den Kommunisten unterschätzt worden war. In ihrer Sprache befand sich diese Schicht, „das Kleinbürgertum", zwischen den beiden Klassen, aber die kommunistischen Theoretiker zählten sie zur Bourgeoisie, weil sie deren Politik unterstütze.

Es galt nun, in Frankreich diese Schicht entweder zu gewinnen oder zumindest zu neutralisieren, damit sie nicht dem Faschismus anheim-fiel. Der Mittelstand wurde in Frankreich hauptsächlich durch die Radikal-Sozialistische Partei vertreten, deren Wählerschaft sie darstellte. Ihre Führer waren Herriot und Daladier. Sie waren trotz des Parteinamens keine Sozialisten, aber sie waren Demokraten und Antifaschisten.

In Ausführung der erhaltenen Direktiven versuchten die Kommunisten, die Radikalen in die Einheitsfront-Bewegung einzubeziehen. Am 9. Oktober 1934 hielt Thorez im Saal Bullier eine große Rede, in der er „die Volksfront für Arbeit, Freiheit und Frieden“ vorschlug. Mit verschiedenen radikalen Politikern nahmen die Kommunisten persönliche Kontakte auf, um mit ihnen über die Verwirklichung der Volksfront zu verhandeln. Bei ihren Bemühungen, die Radikalsozialisten in die Volksfront einzubeziehen, vermieden es die Kommunisten, irgend etwas zu sagen oder zu schreiben, was die Radikalen hätte abschrecken können. Thorez sprach in jener Zeit nur noch vom Kampf gegen den Faschismus, gegen alle Feinde der Freiheit, „um unserem Vaterland, das wir lieben, die Schande und das Unglück einer faschistischen Diktatur zu ersparen!“ (Rede in Nantes, 24. Okt. 1934.)

Gleichzeitig hatten die Kommunisten der Sozialistischen Partei einen Vorschlag übermittelt, worin sie die Einbeziehung der Radikalen in die gemeinsame Aktion begründeten. Unterdessen hatte die „Aktionseinheit“ solche Ausmaße angenommen, daß es den Sozialisten opportun erschien, ein Gegengewicht gegen die Kommunisten durch eine Erweiterung nach rechts zu suchen. Vincent Auriol legte den kommunistischen Vorschlag auf dem sozialistischen Parteitag im Juni 1935 in Mülhausen vor, und er wurde mit großer Mehrheit angenommen.

Was die verlockendsten Angebote von Thorez nicht bewerkstelligen konnten, das brachte die Wahltaktik zustande. Nach dem damals geltenden Wahlsystem mußte der Kandidat die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Wo das im ersten Wahlgang nicht möglich war, siegte in einer Stichwahl der Kandidat, der die meisten Stimmen auf sich vereinigte.

Am 15. Oktober 1934 fanden die Stichwahlen für die Gemeinderäte statt. Kommunisten und Sozialisten hatten beschlossen, die Wahl unter der Parole „Stimmt rot" durchzuführen. Beide Parteien verpflichteten sich, ihre Kandidaten bei der Stichwahl dort zurückzuziehen, wo der Kandidat der anderen Partei einen Vorsprung hatte und ihre Wähler aufzufordern, ihre Stimme dem erfolgreicheren Kandidaten zu geben. Ein entsprechendes Manifest wurde überall im Lande plakatiert, und die Wähler befolgten das Abkommen diszipliniert.

Der Erfolg war durchschlagend. Die Aktionseinheit war ins öffentliche Leben, in den Wahlkampf übertragen worden. Das war eine Sprache, die die Radikalen sehr gut verstanden. Ihre Partei war kein festes Gebilde. Sie bestand aus Ortskomitees, die im allgemeinen nur in Aktion traten, wenn eine Wahl bevorstand.

Der französisch sowjetische Beistandspakt Im Oktober 1934 wurde der französische Außenminister Barthou zusammen mit König Alexander von Jugoslawien in Marseille von Terroristen ermordet. Bei der darauffolgenden Umbildung der französischen Regierung wurde Laval Außenminister. In Moskau erregte der Wechsel großes Aufsehen. Barthou war der Mann gewesen, der den Russen bei ihrem Versuch, mit den Demokratien in Verbindung zu treten und in den Völkerbund ausgenommen zu werden, große Dienste geleistet hatte.

Laval war als Antikommunist bekannt. Als junger Anwalt war er kurze Zeit Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen und hatte sich dann nach rechts entwickelt. Er gehörte zu jenen Ministern, die man als „ministrable" bezeichnete, die zu jeder Zeit Minister in irgendeinem Kabinett werden konnten. Bei den französischen Kommunisten war er einer der bestgehaßten Politiker.

Im Frühjahr 1935 empfing Vassart, der französische Vertreter bei der Komintern, den Besuch Jacques Sadouls, der ihm im strengsten Vertrauen erzählte, daß er von Stalin und dem russischen Außenministerium nach Moskau gerufen worden war, weil er alte freundschaftliche Beziehungen zu Laval hatte. Sadoul war 1917 als französischer Militärattache in Moskau zu den Bolschewiki gestoßen und hatte an der Gründung der Kommunistischen Internationale mitgewirkt. Später war er Vertreter sowjetischer Zeitungen in Paris; er blieb persona grata in Moskau. Sadoul, der auch von Stalin empfangen wurde, war eingeladen worden, um eine Reise Lavals nach Moskau vorzubereiten.

Die Sowjetunion hatte die Volksabstimmung an der Saar im lanuar 1935 als neuen großen Prestigegewinn Hitlers zur Kenntnis genommen, und es lag ihr mehr denn je daran, mit Frankreich zu einer engeren Bindung zu gelangen. Frankreich wiederum hatte alle Ursache, Hitler-deutschland zu fürchten und sich durch Bündnisse zu stärken. So kam es am 2. Mai 1935 zur Unterzeichnung eines Paktes zur gegenseitigen Unterstützung zwischen Frankreich und der Sowjetunion; der Pakt wurde vom damaligen sowjetischen Botschafter Potemkin und von Laval unterzeichnet.

Anfang Mai reiste Laval mit großem Gefolge, in dem sich auch einige französische Abgeordnete befanden, nach Moskau, wo er von Stalin empfangen wurde. In dem gemeinsamen Kommunique, das am 15. Mai veröffentlicht wurde, hieß es: „Herr Stalin hat volles Verständnis für die Politik der Landesverteidigung Frankreichs, das seine Streitkräfte so stark halten muß, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Er ist vollkommen damit einverstanden.“

Damit hatte Stalin der traditionellen antimilitaristischen Propaganda der französischen Kommunisten den Garaus gemacht. Ihm war es natürlich wichtiger, in Frankreich einen waffen-starken als einen entwaffneten Verbündeten zu besitzen. Die französische KP schwenkte sofort gehorsam um. Überall im Lande ließ sie Plakate anschlagen, die die Wendung mit Riesenbuchstaben ankündigten: „Staline a raison!“ Die Sozialisten hingegen nahmen diese Wendung mit sehr gemischten Gefühlen auf. Kurz vorher war es den Kommunisten gerade nach langen Bemühungen gelungen, die Sozialisten in ihren antimilitaristischen Kampf einzubeziehen und sie zur Verweigerung der Militärkredite in der Kammer zu veranlassen. Die Einheitsfront wäre beinahe zerbrochen, wenn nicht glücklicherweise zur gleichen Zeit, am 5. und 12. Mai, die Gemeindewahlen stattgefunden hätten, in denen sich die Einheitsfront glänzend bewährte. Die Volksfront wird Wirklichkeit Die kommunistischen Wähler hatten Disziplin geübt; wo immer ein kommunistischer Kandidat im zweiten Wahlgang zurückgezogen wurde, gaben sie ihre Stimme den Sozialisten, die es genau so machten. Die Kommunisten waren die größeren Nutznießerr dieser Taktik. Vorher waren sie mit einem Stadtrat in Paris vertreten, Andre Marty, jetzt zogen acht kommunistische Stadträte ins Pariser Rathaus ein. In der Provinz stiegen die von den Kommunisten verwalteten Städte von 38 auf 90. Die Sozialisten hatten auch Erfolge zu verbuchen. In vielen großen Pariser Vororten konnten sie ihre Posten behalten oder neue erwerben. In Großstädten wie Marseille und St. Etienne siegten sie mit Hilfe der kommunistischen Stimmen über sehr starke Gegner.

An verschiedenen Stellen, wo die Radikalen sich gegen ausgesprochene Reaktionäre schlugen, hatten die Kommunisten die Losung ausgegeben, für die Radikalen zu stimmen. So verdankten die Radikalen den Kommunisten mehrere Siege. Die neue Militärtaktik der Kommunisten stellte für die Radikalen auch die Beseitigung eines Hindernisses für die Zusammenarbeit dar. Die Radikalen verstanden, daß es besser wäre mitzumachen, als draußen zu stehen.

Am 17. Juni 1935 wurde ein Komitee zur Vorbereitung der Feiern des 14. Juli gebildet, an dem sich die Radikalsozialisten beteiligten. Am 25. Juni erschien Edouard Daladier persönlich in einer Funktionärsversammlung der Kommunisten in der „Mutualite", um den Beitritt seiner Partei zur Volksfront zu überbringen.

Die Riesendemonstration des 14. Juli übertraf jede Vorstellung. An der Spitze marschierten Maurice Thorez, Leon Blum und Edouard Daladier, gefolgt von den Mitgliedern der drei Parteileitungen. Bevor sich die Demonstranten versammelten, hatte am Vormittag eine Tagung „Für Frieden und Freiheit“ im Buffalo-Stadion stattgefunden, an der 10 000 Delegierte von 69 Parteien und Gruppen teilnahmen. Dort verlas Professor Jean Perrin einen von Paul Vaillant-Couturier, dem Chefredakteur der „Humanite" verfaßten Aufruf, der mit einem feierlichen Eid endete. Höhepunkt der Veranstaltung war die Verlesung des Eides, „einig zu bleiben, um dem französischen Volk Arbeit, Freiheit und Frieden zu geben, gegen die Faschisten zu kämpfen und die demokratischen Freiheiten zu schützen“. Alle Delegierten schworen; es war eine Art Rütlischwur. Der Eid war überall in den Pariser Straßen angeschlagen, und die Massen riefen: „Wir schwören!" Man schätzte die Zahl der Demonstranten auf eine halbe Million.

Die französische Volksfront war Wirklichkeit geworden.

V. Krisen in der französischen Volksfront

Der 14. Juli 193 5 war der größte Sieg, den die Kommunisten seit dem Bestehen ihrer Partei davongetragen hatten. Wenige Tage später fuhren die Führer der französischen KP nach Moskau, um am VII. Kongreß der Komintern teilzunehmen. Sie wurden dort mit Lob und Ehren überschüttet und allen anderen Länderparteien als Beispiel hingestellt.

Aber die Volksfront war durchaus kein einheitliches Gebilde. Die Männer und Parteien, die ihr angehörten, hatten ein Ziel gemeinsam; sie wollten Frankreich das Grauen des Faschismus ersparen. Das war zweifellos ein erstrebenswertes Ziel. Aber sie hatten sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie dieses Ziel erreicht werden könnte.

Für die Radikalen handelte es sich vor allem darum, die Demokratie und die Freiheit in Frankreich zu erhalten. Die Sozialisten hatten dasselbe Ziel, aber sie verbanden es mit der Durchsetzung innerpolitischer sozialer Forderungen und hofften dabei, den Kommunisten den Rang abzulaufen. Die Kommunisten schließlich betrachteten die Volksfront als ein Mittel, auf die Geschicke Frankreichs Einfluß zu nehmen, solange es der Komintern nützlich erschien, und solange es die sowjetische Außenpolitik erforderlich machte. Auf Moskaus Wunsch sollte Frankreich stark erhalten werden. Diese Stalinsche Linie beherrschte die Volksfront von ihrer Gründung an, und sie erklärt auch den weiteren Ablauf des Geschehens.

Die Volksfront war demnach ein Gebilde, das bereits alle Kräfte in sich barg, die es zersetzen mußten.

Zunächst aber war die Einheit vollkommen. Die internationale Lage trug dazu bei. Am 3. September 1935 fiel die italienische Armee in Abessinien ein, um für Italien ein Imperium zu erobern. Der Negus brachte den Überfall vor den Völkerbund, wo jedoch nur wirtschaftliche Sanktionen beschlossen wurden. Alle antifaschistischen Kreise in Frankreich sind empört. Der Faschismus darf straflos gegen ein unbeschütztes Land vorgehen! Die Volksfront ist notwendiger denn je!

Am 11. Januar 1936 wurde das Programm der Volksfront veröffentlicht, das sich gegen den Faschismus, gegen den Krieg und den Hunger wendet: „Für Freiheit, Frieden und Brot!“ Zehn Organisationen unterzeichneten es: außer den Parteien der Radikalen, Sozialisten und Kommunisten unterschrieben es die beiden Gewerkschaften. die Liga für Menschenrechte, die Liga gegen Antisemitismus und Rassenhaß, das Welt-komitee gegen Krieg und Faschismus und eine Reihe andere Organisationen.

Vom 22. bis zum 25. Januar fand in Villeurbanne bei Lyon der VIII. Parteitag der französichen Kommunisten statt. Thorez referierte über die Erfolge seiner Partei, die durch die Bildung der Einheitsfront und der Volksfront ihren Gipfel erreicht hatten. Er gab die Losung aus, die nicht von ihm stammte, sondern zuerst von Edouard Daladier in einer Rede im Parlament geprägt worden war: „Kampf gegen die zweihundert Familien, die das französische Wirtschaftsleben beherrschen“, und er proklamierte als Ziel der Volksfront und seiner Partei den Kampf für ein „starkes, freies und glückliches Frankreich“.

Als am 23. Januar 1936 die bürgerliche Regierung Sarraut mit Flandin als Außenminister gebildet wurde, enthielten sich die Kommunisten beim Vertrauensvotum der Stimme. Zum ersten-mal stimmten die französischen Kommunisten nicht gegen eine Regierung. Diese Regierung blieb bis zu den Neuwahlen, Ende April 1936, im Amt.

Es ist schwer, sich heute, 27 Jahre später, ein Bild zu machen von der Begeisterung, die damals in Arbeiterkreisen und auf der ganzen Linken herrschte. Die Bevölkerung war davon überzeugt, daß alles möglich wäre, weil die Linke einig war. Der Faschismus würde nicht nach Frankreich kommen, die Löhne würden erhöht, die Gesetze geändert werden, soziale Gerechtigkeit würde herrschen, und die zweihundert Familien würden dem Land nicht mehr ihr Gesetz aufzwingen. Jede öffentliche Versammlung oder Veranstaltung wurde im Zeichen der Volksfront mit Rednern der verschiedenen Parteien abgehalten; ein äußeres Zeichen der Zusammenarbeit, auf das die Zuhörer mit Begeisterungsstürmen reagierten.

Die Kammerwahlen -Erste Krise der Volksfront Für diese Wahlen wurden zwischen allen Volksfrontparteien-und Gruppen Abmachungen über gegenseitige Unterstützung getroffen. Das Ergebnis war außerordentlich günstig für die Kommunisten. Der Stimmenzahl nach waren sie die einzigen Gewinner. Von 796 000 Stimmen bei den Kammerwahlen im Jahre 1932 stiegen sie auf 1 502 000 Stimmen an. Die Sozialisten erhielten 1 900 000 Stimmen; sie verloren 9000 Stimmen. Die Radikalen verloren sogar 414 000 Stimmen.

Aber die Wahl in zwei Wahlgängen wurde nicht ausschließlich nach der Stimmenzahl beurteilt. Es wurde nach Wahlbezirken abgestimmt, und die örtlichen Verhältnisse entschieden häufig über die Wahl des Kandidaten. In der neuen Kammer erhielten:

Die Sozialisten 146 Abgeordnete Die Radikalen 116 Abgeordnete Die Kommunisten 72 Abgeordnete 3 34 Abgeordnete für die Volksfront.

Bei insgesamt 618 Abgeordneten hatte somit die Volksfront die absolute Mehrheit erobert. Drei Tage nach den Wahlen hielten Thorez und Duclos, die beiden kommunistischen Parteiführer, eine Pressekonferenz ab. Dort legten sie das innen-und außenpolitische Programm der Kommunistischen Partei dar. Unter der Parole „Die Reichen sollen zahlen!“ wurde die Regierung aufgefordert, Mittel für öffentliche Arbeiten bereitzustellen; man verlangte ferner höhere Löhne sowie die 40-Stunden-Woche. Die faschistischen Verbände sollten entwaffnet werden. Für die künftige Außenpolitik Frankreichs forderte Thorez „eine Friedenspolitik durch Organisierung der kollektiven Sicherheit im Rahmen des Völkerbundes und durch gegenseitige Nichtangriffspakte und gegenseitige Beistandspakte, die allen Ländern offenstehen sollten".

Was die neu zu bildende Regierung anbetraf, so erklärte Thorez, das wäre Sache der stärksten Partei, der Sozialisten. Die Kommunisten würden nicht in die Regierung ein-treten, aber sie wollten die Regierung voll und ganz unterstützen, sowohl im Parlament wie im Lande, um die Politik durchzuführen, die dem Willen der Wähler entsprach.

Diese Haltung konnte nur so ausgelegt werden, daß die Kommunisten die Verantwortung in der Regierung nicht teilen wollten, und daß sie diese nur insoweit unterstützen würden, wie die Regierung die Volksfrontpolitik gemäß dem kommunistischen Programm durchführte.

Historisch gesehen war das die erste Krise der französischen Volksfront. Die Haltung der Kommunisten, wenn auch mit wohlklingenden Redensarten verschleiert, ließ bei den anderen Partnern ein Mißbehagen aufkommen; die ersten Zweifel an der Aufrichtigkeit der Kommunisten wurden laut.

Die Streiks im Juni 1936

Leon Blum als Vorsitzender der Sozialistischen Partei wurde beauftragt, die neue Regierung, die erste Volksfrontregierung zu bilden. Er traf die üblichen Vorbereitungen und bot den Kommunisten die Teilnahme an der Regierung an, — sie lehnten ab. Die vorhergehende Regierung Sarraut hatte gleich nach den Wahlen demissioniert und erledigte die laufenden Geschäfte bis zum Zusammentritt der neuen Kammer.

Dieses Interregnum nutzten die Kommunisten aus, um eine große Streikbewegung vorzubereiten.

Seit dem Vereinigungskongreß der Gewerkschaften in Toulouse gab es nur noch eine Gewerkschaftszentrale, die CGT. Die Kommunisten konnten nun demonstrieren, welchen Einfluß sie in den Gewerkschaften ausübten, auch wenn sie zahlenmäßig nur eine — allerdings sehr aktive — Minderheit darstellten. Die kommunistischen Betriebszellen unternahmen die Organisierung der Streikbewegung.

Die Streiks begannen am 11. Mai 1936 und nahmen eine bis dahin in Frankreich unbekannte Form an. Die Arbeiter blieben in den Betrieben und erklärten, daß sie die Betriebe nicht verlassen würden, bis die Unternehmer ihre Forderungen nach höheren Löhnen und veränderten Arbeitsbedingungen angenommen hätten.

Von außen kam man ihnen zur Hilfe. Die Gemeinden mit kommunistischen Gemeindeverwaltungen sorgten dafür, daß die Streikenden Verpflegung und Unterhaltung bekamen. Zeitungen, Bücher, Musikinstrumente wurden in die Betriebe geschafft. Symphatisierende Schauspieler und Theatergruppen gaben in den Betrieben Vorstellungen; Tanzvergnügen fanden statt. Die Streikenden aßen, tranken und vertrieben sich die Zeit mit Spiel, Lektüre und Tanz. Bald breitete sich die Bewegung über ganz Frankreich aus.

Man hat behauptet, daß die Streikbewegung spontan ausgebrochen wäre. Von kommunistischer Seite war sie jedenfalls sorgfältig vorbereitet worden, sie war gewollt und organisiert. Gleich nach den Wahlen vom 6. Mai hatte die kommunistische Presse betont, daß sich die Arbeiterschaft nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen dürfte, und daß der Stimmzettel nicht ausreichte, um ihre Forderungen durchzusetzen.

Diese Artikel erschienen sowohl in den kommunistischen Zeitungen wie in den Gewerkschaftsblättern, wo kommunistische Funktionäre ausschlaggebenden Einfluß hatten. In der Zeitung der Gewerkschaftsunion des Departement Bouches du Rhone in Marseille rief der Sekretär Nedelec zur Aktion auf, in der Eisenbahnerrevue schrieb Pierre Semard, und in dem Organ der Post-und Telegraphen-Gewerkschaft war es Racamond, der die kommunistische Linie verfolgte.

Zu Beginn wurde diese friedliche Streikaktion nicht sehr ernst genommen; aber die Tatsache blieb bestehen, daß annähernd 500 000 Arbeiter in ganz Frankreich streikten und die Betriebe besetzt hielten.

Die Kommunisten gingen noch weiter. Am 28. Mai 1936 begab sich eine Delegation von Führern der Metallarbeiter-Gewerkschaft und der Gewerkschaftsunion, der sich drei Kommunisten, Jacques Duclos, Etienne Fajon und Florimond Bonte angeschlossen hatten, zum Arbeitsminister Frossard. Die Delegation verlangte von Frossard, daß die Regierung, die nun bald der neuen Volksfrontregierung das Feld überlassen würde, die Lage nicht verschärfen dürfe, indem sie die Betriebe durch Polizei oder Militär räumen ließ. Frossard gab diese Zusage, und die Streiks gingen weiter.

Die Kommunisten hatten es auf eine Kraftprobe ankommen lassen, und sie war ihnen gelungen. Gleichzeitig aber hatten sie bei ihren Partnern von der Volksfront die größte Beunruhigung ausgelöst.

Leon Blum hatte unterdessen seine Regierung gebildet. Er übernahm den Posten des Ministerpräsidenten, Yvon Delbos, ein Radikaler, wurde Außenminister, Daladier Verteidigungsminister; der Sozialist Roger Salengro übernahm das Innenministerium. Bevor sich die neue Regierung der Kammer vorstellte, fand am 3. Juni 1936 eine Sitzung statt, an der alle Abgeordneten der Volksfront teilnahmen. Salengro, der neue Innenminister, stellte den Kommunisten die Frage, wie man die Streiks beenden könnte. Sie zuckten nur mit den Achseln und sprachen über die berechtigten Forderungen der Streikenden.

Die erste Aufgabe der Volksfrontregierung, die am 4. Juni ihr Amt antrat, war daher die Beendigung der Streiks. Diese Aufgabe war außerordentlich schwierig, weil die Arbeitgeber nicht bereit waren, die Forderungen der Streikenden anzuerkennen. Sie hatten große Teile des Klein-bürgertums auf ihrer Seite. Der Handel, insbesondere der Einzelhandel, litt schwer unter dem Streik; das Transportwesen war zum Stillstand gekommen; bei den Bauern verfaulte die versandbereite Ware auf dem Felde. Diese Gruppen nahmen für die Arbeitgeber und für die Rechte Partei.

Auf der anderen Seite waren die Unternehmer über den Umfang der Streikbewegung alarmiert. Wenn die Kommunisten es nun bis zum bewaffneten Aufstand trieben? Der Überschwang der Streikenden hätte es den Kommunisten ermöglicht, bis zum Kampf um die Macht zu gehen. Sie taten es nicht, und sie wußten, warum. Stalin legte keinen Wert darauf, daß sich in Frankreich eine Sowjetregierung etablierte, was sofort den Bürgerkrieg mit allen seinen Konsequenzen ausgelöst hätte.

In diesen Wochen befand sich die spanische Volksfront bereits in großen Schwierigkeiten, aus denen sich im Juli 1936 der offene Bürgerkrieg entwickelte. Stalin wünschte vielmehr eine Regierung in Frankreich, auf die die Kommunisten zwar Einfluß nehmen konnten, die aber vor allem die Klauseln des Stalin-Laval-Paktes einhielt.

Leon Blum und der Generalsekretär der Gewerkschaften, Leon Jouhaux, unternahmen energische Demarchen, um die Arbeitgeber zu einem Abkommen mit den Arbeitnehmern zu bewegen. Den Unternehmern wurde bedeutet, daß sie erhebliche Konzessionen machen müßten. Den Kommunisten erklärte die Regierung, daß bei Fortdauer der Streiks die Volksfront in Frage gestellt wäre und sich wahrscheinlich auflösen würde. So wurden beide Parteien, die Arbeitgeber, um das Schlimmste zu verhüten, und die Kommunisten, um die Volksfront zu retten, an den Verhandlungstisch gebracht.

In der Nacht vom 7. zum 8. Juni 1936 fanden die Verhandlungen statt. Die Vertreter der Sozialpartner trafen sich unter Vorsitz von Leon Blum im Hotel Matignon. Das Dokument, da; in dieser Nacht unterzeichnet wurde, ging unter dem Namen „Accords Matignon" in die Geschichte ein. Es brachte der französischen Arbeiterschaft das Recht auf Kollektivverträge, auf gewerkschaftliche Organisation im Betrieb, auf Lohnerhöhungen; gegen die Streikenden durften keine Maßregelungen erfolgen.

Die streikenden Arbeiter waren mit dem Resultat nicht zufrieden. Insbesondere die kommunistischen Arbeiter meinten, daß es falsch war, die Streiks in einem Augenblick abzubrechen, wo man auf dem besten Wege war, den bewaff-neten Aufstand vorzubereiten und die Macht zu ergreifen. Das geht aus den Resolutionen zahlreicher Delegationen hervor, die von morgens bis abends bei ihren Gewerkschaftsbüros aufmarschierten und vorstellig wurden.

Die Kommunistische Partei war gezwungen, Farbe zu bekennen. Sie berief eine Funktionärs-versammlungein, die am 11. Juni stattfand, und auf der Thorez für den Abbruch der Streiks plädierte und die Parole ausgab: „II saut savoir terminer une greve!“ — Die Streiks hörten langsam auf.

Vom 20. bis zum 24. Juni beschäftigte sich das Parlament mit der neuen Arbeits-Gesetzgebung.

Die Gesetze über die Kollektivverträge, über den bezahlten Urlaub und die 40-Stunden-Woche wurden ebenso angenommen wie die in den Matignon-Verträgen festgelegten Vereinbarungen über die Betriebsräte und anderes mehr. Die Volksfront hatte ihre zweite Krise überstanden.

VI. Volksfrontversuche in der deutschen Emigration und im Dritten Reich

Zahlreiche führende Persönlichkeiten der Linken waren in den ersten Tagen der Hitlerdiktatur verhaftet worden. Hunderte leitender Funktionäre fielen der Rache der SA zum Opfer und wurden in die Gefängnisse und Konzentrationslager eingeliefert. Viele versuchten, sich zu verbergen. Wer sich unmittelbar bedroht fühlte, wagte die Flucht ins Ausland. Die übergroße Mehrheit der Parteimitglieder hielt jedoch dem Terror stand und ließ die Verfolgungen über sich ergehen. In Prag hatten sich Auslands-leitungen der SPD und der KPD gebildet, die von der tschechischen Grenze aus die Verbindungen zu den illegalen Gruppen in Deutschland aufrechterhielten.

Starke Gruppen von Emigranten sammelten sich im westlichen Ausland: im Saargebiet, das noch unter Völkerbundskontrolle stand, in Frank-reich, Belgien und anderen westlichen Ländern. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich im Laufe der Zeit Kontakte zwischen den Emigranten bildeten, ganz gleich, welcher Partei oder Gruppe sie in Deutschland angehört hatten. Es entstanden Hilfskomitees für die Flüchtlinge, Unterstützungsvereine für die Inhaftierten und deren Familien. Zeitungen und Zeitschriften wurden in deutscher Sprache herausgebracht; man fing an, Bücher über die Ereignisse in Hitlerdeutschland zu publizieren und Material für die Hitler-gegner im Reich herauszubringen.

Unter dem Eindruck der Ereignisse in Frankreich änderte sich 1934 auch die Taktik der deutschen Kommunisten gegenüber der Sozialdemokratie. Die Kampagne anläßlich der Volksabstimmung im Saargebiet bietet hierfür ein aufschlußreiches Beispiel.

Die Einheitsfront an der Saar Die für den 13. Januar 1935 festgesetzte Volksabstimmung sollte darüber entscheiden, ob das Saargebiet zum Deutschen Reich zurückkehren wollte, was ihm nach dem Versailler Vertrag zustand, oder ob es weiterhin unter Völkerbundsverwaltung, und ob der Saarbergbau unter französischer Verwaltung bleiben wollte.

Die Hitlerregierung führte den Abstimmungskampf mit der zugkräftigen Losung „Heim Ins ReidtI“; die Sozialdemokraten sprachen sich gegen den Anschluß an Nazideutschland aus. Die Kommunisten hatten zu Beginn auch für den Anschluß an Deutschland geworben, indem eine Rote Saar in Sowjet-Deutsdtland" sie „Für eintraten.

Unter dem Einfluß der Einheitsfrontverhandlungen der beiden französischen Arbeiterparteien änderte die Kommunistische Internationale und die Auslandsleitung der KPD die ursprüngliche Linie und beschloß, die „Rote-Saar" -Parole fallenzulassen und sich auch für den Status quo einzusetzen.

Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, die sich 1934 wiederholt in Moskau aufhielten, waren über die Ereignisse in der französischen KP genau unterrichtet. Hinzu kam, daß Dimitroff Ende Februar 1934 aus dem deutschen Gefängnis nach Moskau ausgetauscht worden war und als »Sieger von Leipzig'an Prestige in der Kommunistischen Internationale gewonnen hatte. Er galt als einer der kommenden Leute, und er hatte seine eigenen Ansichten über die Einheitsfronttaktik. Niemand wagte mehr, ihn als Opportunisten zu bezeichnen, als der er jahrelang gegolten hatte. Wegen seiner „opportunistischen Haltung“ war er vor Jahren in seiner bulgarischen Partei kaltgestellt und ins Ausland geschickt worden. Dort hatte er, nicht einmal an leitender Stelle, jahrelang für den Apparat der III. Internationale gearbeitet. Er war zweifellos für die Einheitsfront mit den sozialistischen Führern.

Im Saargebiet hatten Hunderte deutscher politischer Emigranten und viele andere Flüchtlinge ihre erste Zuflucht gefunden. Sie halfen nun der schwachen und durch die Anschlußpropaganda demoralisierten Kommunistischen Partei dabei, zu einer Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Führern zu gelangen. Die kommunistischen Emigranten Percy Bertram und Alexander Abusch übernahmen die Saarbrücker kommuni-stische Parteizeitung, Paul Dietrich und Lex Ende brachten eine kommunistische Wochenzeitung heraus. Gemeinsame Verhandlungen und Kundgebungen beider Arbeiterparteien fanden statt, die Einheitsfront von oben wurde in allen Organisationen durchgeführt.

Es gelang den vereinten Anstrengungen der Sozialdemokraten und Kommunisten nicht, den Ausgang der Volksabstimmung zu ihren Gunsten zu entscheiden. Nur 48 000 stimmten für den Verbleib unter Völkerbundsverwaltung. 477 000 Stimmen wurden für den Anschluß an Hitlerdeutschland abgegeben. Wenn auch die Rückgliederung von Deutschen an Deutschland als die natürliche Lösung erschien, so mußte man als Augenzeuge doch feststellen, daß die Majorität der Saarbevölkerung den Nationalsozialisten voller Begeisterung zujubelte, weil sie von Hitler den Anbruch des goldenen Zeitalters erwartete.

Nach der Abstimmung verließen einige Tausend Saarländer und alle deutschen Emigranten das Saargebiet und strömten nach Frankreich. Durch diesen Zuzug erhielt die deutsche Emigration einen starken Aufschwung. Die sozialistischen Führer von der Saar, Max Braun, Kirschmann und andere, gingen nach Paris und blieben dort in enger Verbindung mit den in Paris arbeitenden kommunistischen Organisationen.

Kommunistische Versuche, Einheitsfrontabkommen mit den Führern sozialistischer Parteien abzuschließen, blieben 1934 nicht auf das Saargebiet begrenzt. Nach der blutigen Niederschlagung des Schutzbundes und des Verbots aller Parteien in Österreich waren die österreichischen Sozialisten bereit, mit den österreichischen Kommunisten zusammenzuarbeiten; auch in den illegalen Arbeiterparteien Italiens und Polens kam es zu ähnlichen Aktionsgemeinschaften.

Dimitroff proklamiert die Einheitsfront von oben Für die Auslandsleitung der deutschen KP bestand das Kernproblem darin, mit dem Prager Parteivorstand der SPD ins Gespräch und zu Verhandlungen zu kommen. Zunächst mußte aber in aller Form die seit Jahren verfolgte Taktik liquidiert werden. Das vollzog sich auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, der von Ende Juli bis Mitte August 193 5 in Moskau stattfand sowie auf der sogenannten „Brüsseler Konferenz“ der deutschen KP, die im Laufe des Oktober 1935 bei Moskau zusammentrat.

Auf dem Weltkongreß hatte der neuernannte „Generalsekretär“ der Internationale, Georgi Dimitroff, die radikale Wendung proklamiert. Sie lautete: „Einheitsfront von oben, Aktionseinheit mit den sozialistischen Parteien, Beteiligung und Unterstützung bei der Schaffung einer Regierung der Einheitsfront oder der antifaschistischen Volksfront, grundsätzliche Zustimmung zur Schaffung von Einheitsparteien.“

Manuilski entdeckte plötzlich, was Otto Bauer schon 1928 im Programmentwurf der SPÖ geschrieben hatte, daß nämlich „das Proletariat in den meisten kapitalistischen Ländern nicht vor der Frage . bürgerliche Demokratie oder proletarische Diktatur', sondern vor der Frage , bürgerliche Demokratie oder Faschismus'steht“. An die Adresse der deutschen Sozialdemokraten gerichtet, die diese Erkenntnis Manuilskis als späte Zustimmung der III. Internationale zu ihrer Politik des „kleineren Übels" bezeichnet hatten, behauptete Manuilski unverfroren, daß die deutsche Sozialdemokratie Verrat an der bürgerlichen Demokratie geübt habe, während die französischen Kommunisten zusammen mit den Sozialisten durch ihren Einheitsfrontkampf die französische Bourgeoisie an der Faschisierung gehindert haben Er vergaß hinzuzufügen, daß die deutschen Kommunisten von 1928 bis 1933 zu dieser selbstmörderischen Taktik des Kampfes gegen die SPD von Moskau gezwungen worden waren, weil sie der damaligen russischen Politik entsprach.

In der illegalen Zeitschrift der SAP (Sozialistische Arbeiter Partei) „Das Banner“ wurde die Wendung der Kommunistischen Internationale sehr treffend charakterisiert:

„Jeder Redner, der auf dem VII. Kongreß auftrat, wäre vor sieben Jahren wegen seiner Rede als Opportunist, Renegat, Feind des Kommunismus, gekauftes Subjekt der Bourgeoisie, Konterrevolutionär ausgestoßen worden ... Es waren fast ausnahmslos dieselben Redner, die damals ihre Verdammungssprüche herunterredeten . . .

Keiner der Anwesenden hatte den Mut auszusprechen, daß die Beschlüsse des VI.

Kongresses falsch waren, daß man in der Internationale jede Kritik erstickt hatte.

Für die große Wendung sind nicht die tatsächlichen dringenden Gebote des Klassenkampfes entscheidend, sondern die Augenblicksinteressen der Sowjetregierung."

Die Brüsseler Konferenz der KPD Etwa fünfzig deutsche Kommunisten waren auf der sogenannten „Brüsseler Konferenz" versammelt. Die Auslandsleitung der KPD, die illegal in Deutschland arbeitenden Bezirkssekretäre und einige leitende Funktionäre, die in Moskau als Emigranten lebten, versuchten, die gewünschte „Selbstkritik“ zu üben und die Niederlage der KPD von 193 3 zu erklären. Keinem der Versammelten wäre es eingefallen, die Taktik der Kommunistischen Internationale zu jener Zeit zur Verantwortung zu ziehen. Sündenböcke waren vorhanden; die „Neumannfraktion" wurde für die falsche Politik gegenüber den Nationalsozialisten verantwortlich gemacht. Zur Neumannfraktion zählte auch Hermann Remmele, der sich mit Neumann solidarisch erklärt hatte.

Zwar war Heinz Neumann schon im Februar 1932 aus der Leitung der KPD entfernt worden, so daß das Politbüro mit Ernst Thälmann an der Spitze Zeit genug gehabt hätte, im Krisenjahr 1932 seine Taktik zu ändern, anstatt die Deutschlandpolitik Stalins sklavisch durchzuführen. Trotz Abgabe „zufriedenstellender Erklärungen“ über ihre politischen Fehler wurden Neumann und Remmele zu der Parteikonferenz nicht zugelassen und aus der Tätigkeit für die deutsche KP entfernt.

Die versammelten Funktionäre repräsentierten bis auf einige jüngere, von der Leninschule nach Deutschland geschickte Mitarbeiter, die alte Thälmannsche Leitung. Aber Thälmann saß im Zuchthaus, und sein Vertrauter, den er zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, John Scheer, war von den Nationalsozialisten verhaftet und „auf der Flucht erschossen“ worden. Nun ging es um die Nachfolge Thälmanns.

Der Konferenz waren wochenlange Gruppen-kämpfe vorangegangen, aus denen Ulbricht und Pieck als Sieger hervorgingen. Ihnen schlossen sich Dahlem, Ackermann, Merker, Funk, Mewis, Dengel und andere an, während die engeren Freunde Thälmanns wie Florin, Schubert, Schulte, Kippenberger, Kreutzburg, ausgeschaltet wurden. Bis auf Florin fielen sie später zusammen mit Neumann und Remmele der großen Reinigung zum Opfer, in deren Verlauf sie liquidiert wurden.

In seinem Referat verdammte Wilhelm Pieck die Politik der KPD im Jahre 1932. Es war falsch gewesen, „daß die KPD gegen die Preußenregierung Braun-Severing gekämpft hatte, daß sie nicht die drohende Nähe der faschistischen Terrorherrschaft sah und dadurch gehinhindert wurde, eine wirklich großzügige Einheitsfrontpolitik zu betreiben, in deren Mittelpunkt zuerst die Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten hätte stehen müssen", eine Erkenntnis, die den meisten deutschen Kommunisten schon 1930 gekommen war, die damals aber niemand hätte äußern dürfen.

Als wichtigste Aufgabe der KPD nannte Pieck die Schaffung der Volksfront. Im „Manifest von Brüssel“ hieß es darüber:

„Die deutsche Volksfront kämpft für eine demokratische Republik, sie ist kein Manöver, mit dem die Partner getäuscht werden sollen".

Bei der illegalen Arbeit in Deutschland sollte trotz der mehrfachen bedauerlichen Ablehnungen der Angebote für die Einheitsfront durch den Prager Parteivorstand die KPD versuchen, der gemeinsamen Aktion einen breiten Weg zu bahnen.

Kontaktaufnahme zwischen KPD und sozialdemokratischen Gruppen Die Auslandsleitung der KPD hatte schon seit Anfang 1935 versucht, solche Kontakte aufzunehmen. Verschiedentlich hatte man öffentliche Angebote an die SPD zur Zusammenarbeit der illegalen Gruppen im Lande bei Betriebsratswahlen oder anderen lokalen Anlässen gemacht. Sie waren vom Parteivorstand der SPD mit dem Hinweis abgelehnt worden, daß ihre Gruppen im Lande eine Zusammenarbeit mit der KPD nicht wünschten.

Die Kommunisten hatten sich auch in die Fraktionskämpfe eingeschaltet, die seit 1933 in der SPD ausgetragen wurden. Enge Beziehungen des Prager kommunistischen Vertreters Wilhelm Koenen und Walter Ulbrichts bestanden zu den oppositionellen „Revolutionären Sozialisten", einer sozialdemokratischen Gruppe mit Aufhäuser, Böchel, Bieligk sowie mit einer anderen sozialistischen Gruppe, dem Auslandsbüro von „Neu Beginnen“ Die kommunistische Presse stellte diesen Gruppen breiten Raum für den Abdruck ihrer Resolutionen und Forderungen an den Parteivorstand der SPD zur Verfügung.

Nach Abschluß der Moskauer Konferenz und nach erfolgter Wahl des neuen Zentralkomitees und Politbüros der KPD reisten Ulbricht und Koenen nach Prag und trafen dort am 23. November 193 5 mit Hans Vogel und Friedrich Stampfer von Parteivorstand der SPD zusammen. Die Unterredung, die auf Anregung der Kommunisten zustandegekommen war, verlief ergeb-nislos. Man kam überein, von einer gemeinsamen Erklärung Abstand zu nehmen. Enttäuscht von dem negativen Ausgang der Besprechung veröffentlichten die Kommunisten ein „Protokoll", worauf auch die Sozialdemokraten die Gründe für ihre ablehnende Haltung bekannt gaben. Der Parteivorstand der SPD lehnte die Einheitsfront von oben mit den Kommunisten aus grundsätzlichen und aus taktischen Erwägungen ab. Die SPD mißtraute der neuen Wendung, die sie nur für ein taktisches Manöver hielt. Sie erinnerte die Kommunisten daran, daß sie jahrelang die Einheitsfrontparole als Kampf-mittel gegen die SPD mißbraucht hatten. Sie wollte bei ihren Parteimitgliedern im Dritten Reich nicht den Eindruck erwecken, als ob sie zu den Bolschewik! übergangen wäre. Und schließlich das Hauptargument: Für die SPD war die Demokratie kein taktisches Mittel, sondern das Endziel; sie wollte das ganze deutsche Volk von der Hitlerdiktatur befreien, während das Endziel der Kommunisten nach wie vor die Diktatur des Proletariats blieb.

Der deutsche Volksfrontausschuß in Paris Das EKKI hatte beschlossen, daß auch Willi Münzenberg im Rahmen seiner Pariser Tätigkeit versuchen sollte, eine Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und bürgerlichen Vertretern der deutschen Emigration zustande zu bringen. Das lag in der Linie seiner sonstigen Tätigkeit. Er knüpfte im Herbst 1935 da wieder an, wo im Februar 1933 in Berlin der letzte gescheiterte Versuch gemacht worden war, die Hitlergegner der verschiedenen Parteien und Gruppen zur gemeinsamen politischen Aktion zu sammeln.

Im Gegensatz zur französischen Volksfrontbewegung war in der deutschen antihitlerischen Emigration keine Massenbasis vorhanden. Es konnte sich lediglich um Kontaktaufnahmen zwischen Vertretern verschiedener Parteien und Gruppen und einzelnen Persönlichkeiten handeln, die mit Gruppen im Reich in Verbindung standen, oder Zeitungen und Zeitschriften herausgaben, um die sich ihre Gesinnungsfreunde sammelten.

Ebenso wie den anderen Mitgliedern des kommunistischen Zentralkomitees war es Münzen-berg klar, daß es galt, den Widerstand des sozialdemokratischen Parteivorstandes zu brechen. In einem Artikel Münzenbergs in der „Rundschau" vom 1. Januar 1936, betitelt . 1936 — Das Jahr der Schaffung der Deutschen Volksfront“, war von der Volksfront noch keine Rede; dagegen beschwor der Verfasser den Parteivorstand, auf das Kuhhandeln mit reaktionären großkapitalistischen Gruppen und Generalen zu verzichten und sich mit gemeinsamen Kampfzielen zu einer Einheitsfront gegen Hitler zusammenzufinden.

Unterdessen hatte Münzenberg eine Gruppe von Emigranten um sich versammelt, die bereit waren, ein „Komitee zur Sdtaffung der Deutschen Volksfront" zu gründen. Die Gründungsversammlung fand am 2. Februar 1936 im Hotel Lutetia in Paris statt. 118 Persönlichkeiten nahmen daran teil, unter ihnen zahlreiche emigrierte Schriftsteller wie Heinrich Mann, Emil Ludwig, Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Klaus Mann, Ludwig Marcuse; die Journalisten Leopold Schwarzschild, Victor Schiff, Georg Bernhard; von den Sozialdemokraten u. a. Rudolf Breitscheid, Albert Grzesinski, Erich Kuttner, Alexander Schiffrin, Dr. Paul Hertz sowie die Vertreter der saarländischen Sozialisten; außerdem beteiligten sich andere politischen Gruppen wie die SAP sowie viele Intellektuelle und Professoren. Von den Kommunisten waren außer Münzenberg u. a. Dahlem, Matern, Maslowski und Abusch anwesend.

Man konstituierte sich als Komitee und verfaßte ein gemeinsames Manifest, das von allen Versammelten angenommen und unterschrieben wurde. Heinrich Mann war maßgeblich an der Redaktion des Manifests beteiligt. Es lautete: „Über hundert Vertreter des freiheitlichen Bürgertums und der deutschen Arbeiterschaft aller Richtungen, die Anfang Februar 1936, drei Jahre nach Beginn des gegenwärtigen Regimes zu einer Tagung im Ausland versammelt waren, beschließen ihre Aussprache wie folgt:

Sie stellen fest: 1. Die gegenwärtige deutsche Regierung hat die wirtschaftlichen und sozialen Zustände durch Vergeudung, Rüstung, Zerstörung des Außenhandels und Zertrümmerung der Kaufkraft zerrüttet. Unter diesem Regime ist fortschreitende Verschlimmerung unausweichlich. 2. Die gegenwärtige deutsche Regierung hat durch das undeutsche System der Willkür, der Gewalt, des Gewissenszwanges und der persönlichen Bereicherung der Machthaber eine tiefe und einheitliche Sehnsucht nahezu aller Deutschen, ausgenommen der direkten Nutznießer des Systems, nach dem Ende dieses Terrors und nach der Wiederherstellung der elementarsten Menschenrechte ausgelöst.

Sie erklären und fordern: 1. Die Wiederherstellung dieser elementaren Rechte geht in der Gegenwart allem anderen voran. Die einzelnen Parteien und Gruppen werden aufgerufen, sich zusammenzufinden und ohne Aufgabe ihrer programmatischen Ziele ihre ganze Kraft auf die Verwirklichung folgender allgemein gültiger und fundamentaler Postulate zu richten:

Freiheit der Gesinnung, der Meinungsäußerung, der Forschung und der Lehre, Freiheit des Glaubens, der Religionsausübung, Freiheit der Person,

Achtung der Heiligkeit des menschlichen Lebens, Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz, Verantwortlichkeit und Absetzbarkeit der oberen Staatsorgane,

Kontrolle über die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben, Ausrottung der Korruption und der parasitären Parteiherrschaft. 2. Jede Gruppe und alle einzelnen, die diese elementaren Forderungen als die eigenen empfinden, werden feierlich aufgerufen, sich als Kampfgefährten und als Verbündete jeder anderen Gruppe und aller anderen einzelnen zu fühlen und zu bestätigen, von denen feststeht, daß sie die gleichen Forderungen als ihre eigenen empfinden. Es ist ihre Pflicht, über alle Klassen-, Gruppen-und Parteischranken hinweg überall in jeder Lage Freundschaft miteinander zu suchen, zu pflegen, Beistand und Schutz einander zu bieten und zu leisten. 3. Zur heiligen Pflicht wird diese Haltung in einem Zeitpunkt, in dem durch die höchstgesteigerten militärischen, wirtschaftlichen, moralischen und politischen Kriegsvorbereitungen der gegenwärtigen deutschen Regierung die Gefahr näher-rückt, daß das in dem — heute wie je maßgeblichen — Buch . Mein Kampf klar und ausführlich entwickelte Programm des Vernichtungs-und Eroberungskrieges durchgeführt wird. Angesichts dieses Schrecknisses, das Deutschland selbst und die übrige Welt mit Zerstörung bedroht, wird eindringlich festgestellt, daß der Ausbruch oder Nichtausbruch des Verderbens vielleicht davon abhängt, ob und in welchem Grade die Widerstände sich im deutschen Volke verbreitern und zusammenschließen. Alle Gruppen und alle einzelnen, die diesem Aufruf zur Bundesgenossenschaft entsprechen, helfen zu ihrem Teil mit, das deutsche Vaterland und Volk, und mit ihm die übrigen Länder und Völker vor Aus-tilgung durch einen neuen Weltkrieg zu bewahren.

Sie beschließen:

Der engere Ausschuß wird beauftragt, durch geeignete Sachbearbeiter eine Plattform zur Sammlung aller Oppositionsgruppen aufstellen zu lassen. Diese Gemeinschaft hat die Aufgabe, ein Programm auszuarbeiten, das die Grundlage für ein Deutschland der Freiheit und des Friedens, der Gesittung, der Reinlichkeit und des Rechts und einer starken, selbstbewußten, gegen den Mißbrauch durch übermächtige wirtschaftliche Kräfte gesicherten und energischen Demokratie der Arbeitenden in Stadt und Land sein wird."

(Pariser Tageblatt, 13. Februar 1936.)

In diesem deutschen Volksfrontausschuß sieht Kurt Kersten „den einzigen großen politischen Ausschuß, der in den Emigrationsjahren die meisten politischen Gruppen und Persönlichkeiten vereinigt hat. In gewissem Sinne konnte er sich eine Weile lang als repräsentative Vertretung der politischen deutschen Emigration bezeichnen, auch wenn der sozialdemokratische Parteivorstand seinen Beitritt offiziell versagte.“ Kommunisten und deren Sympathisierende, Sozialdemokraten, Mitglieder der SAP, Schrift-steiler, Künstler, bürgerliche Publizisten, Beobachter der katholischen Gewerkschaften, Intellektuelle mit und ohne Parteibindungen hatten sich zusammengetan. Es waren heterogene Kräfte, die unter dem Eindruck der Verhältnisse in Frankreich standen und glaubten, die zwischen ihnen bestehenden Gegensätze zurück-stellen zu können, um als geschlossene Opposition für das zum Schweigen verurteilte Deutschland zu sprechen. Die französische Volksfront war Wirklichkeit geworden, in Spanien schickten sich die in einer Volksfront vereinigten linken Parteien gerade an, in den Corteswahlen die Mehrheit zu erobern. Alles das trug zur optimistischen Überschätzung der deutschen Möglichkeiten bei.

Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten Münzenberg hatte die neue Linie der russischen Außenpolitik begrüßt, weil sie den Interessen der antifaschistischen Kräfte entgegenkam. Durch den Zusammenbruch der Weimarer Republik und die Vernichtung der deutschen Kommunistischen Partei hatte er die große persönliche Erschütterung erlebt, die schließlich zu seinem Bruch mit dem Kommunismus führte. Er hatte miterlebt, wie die Russen durch ihre Politik dazu beitrugen, nicht nur die deutsche KP, sondern die deutsche Arbeiterbewegung dem Faschismus zu überlassen. Noch war er nicht dazu entschlossen, mit Moskau zu brechen. Er hielt den Krieg für nahe und unvermeidlich und meinte, daß die politische Emigration nur eine Daseinsberechtigung hatte, wenn sie alle Kräfte gegen diese drohende Katastrophe zusammenfaßte.

Daß Rudolf Breitscheid und andere mit dem Prager Parteivorstand verbundene Sozialdemokraten an dem Volksfrontausschuß und anderen Pariser Einheitsaktionen mitarbeiteten, geschah unter dem Eindruck der französischen Bewegung. Breitscheid war mit Leon Blum und seiner Gruppe eng befreundet. Der Versuch, ein Stück Weges gemeinsam mit den Kommunisten zu gehen, schien ihm nützlich zu sein. Er billigte die neue russische Linie der kollektiven Sicherheit. Jahrelang hatte er seine Hoffnungen in den Völkerbund gesetzt. Um so größer war seine Enttäuschung über dessen Versagen, als Mussolini Abessinien überfiel und ohne Interventionen des Völkerbundes seinen Raubzug beenden konnte.

Für Breitscheid präsentierten sich die antifaschistischen Kräfte in allen Ländern als Träger der Friedensidee. Er glaubte, daß man sich mit den Kommunisten über eine einheitliche Aktion zur Verhinderung kriegerischer Abenteuer verständigen könnte. Mit Münzenberg verband ihn bald eine persönliche Freundschaft, was aber keineswegs zur Folge hatte, daß er sich ins kommunistische Schlepptau nehmen ließ. Er blieb während der Volksfrontversuche immer kritischer Beobachter und stand weiterhin mit dem Prager Parteivorstand in Verbindung.

Auf kommunistischen Vorschlag wurde ein gemeinsamer Pressedienst „Deutsche Informationen" geschaffen. Diesem in zwei Sprachen er-scheinenden Dienst gehörten als Herausgeber und Redakteure Heinrich Mann, Rudolf Breit-scheid, Max Braun und Bruno Frei (Freistadt) an.

Von der „Deutschen Freiheitsbibliothek“, einer Gründung der deutschen antifaschistischen Schriftsteller nach den Bücherverbrennungen im Mai 1933, wurde ein Mitteilungsblatt herausgebracht, an dem Vertreter aller Richtungen der Volksfront und deren Gegner zu Worte kamen. Ein gemeinsames Flüchtlingskomitee wurde geschaffen, dessen Leiter Albert Grzesinski wurde. Es diente allen deutschen Emigranten als Beratungsstelle und gewährte Hilfe gegenüber den französischen Behörden. Am 20. Juni 1936 veranstaltete dieses Komitee eine internationale Konferenz deutscher Emigranten unter dem Vorsitz Breitscheids. Die Tagung fand unter der Losung statt: „Eine Volksfront gemeinsamer Not und gemeinsamen Kampfes!“ Sie befaßte sich mit dem Status der Emigranten in den westlichen Zufluchtsländern. Zur Begrüßung sprachen als französische Volksfrontvertreter S. Grumbach, M. Cachin und Professor Perrin. Kurt Grossmann von der . Liga für Menschenrechte" hielt das Hauptreferat.

Das Manifest der 118 war allen Emigranten aus der Seele gesprochen. Jeder hoffte, daß sich sein trauriges Los durch den Zusammenschluß bessern könnte, daß eine geeinte Opposition im Ausland mehr Beachtung finden und auch in Deutschland den Hitlergegnern neuen Mut einflößen würde. Überall in der deutschen Emigration bildeten sich Volksfrontkomitees, die ihre eigenen Programme veröffentlichten. In Buenos Aires konstituierten sich die Emigranten am 29. Juni 1936 zu einem Volksfrontkomitee. Ein anderes Komitee in Uruguay bezeichnete die Volksfront kurzerhand als einen Zusammenschluß aller in Uruguay lebenden Deutschen, „die zu Hitler in Opposition stehen“.

Wenn demnach Einmütigkeit über die Vorteile einer Zusammenarbeit aller Emigranten in der Volksfront herrschte, so traf das nicht für ihre politische Zielsetzung zu. Außer Sozialdemokraten, Kommunisten und SAP gab es in der politischen Emigration keine Parteien, sondern nur einzelne Vertreter früherer deutscher Parteien aus der Weimarer Republik.

Die bürgerlichen Mitglieder im Volksfrontausschuß Eine Gruppe fortschrittlicher Liberaler gruppierte sich um Leopold Schwarzschild, dem Herausgeber des „Neuen Tagebuch“ in Paris. Trotz seiner kritischen Einstellung zur SPD und seiner offenen Ablehnung der Kommunisten hatte er sich dem Volksfrontausschuß angeschlossen. Zu seinen Mitarbeitern gehörten Joachim Haniel, der den Wirtschaftsteil schrieb, Joseph Bornstein, der mit Paul Levi in der KPD gewesen war, und Joseph Buttinger. Valeriu Marcu, der ebenso wie Bornstein in den „heroischen“ Zeiten des russischen Bürgerkrieges Kommunist und persönlicher Kurier Lenins gewesen war, stand Schwarzschilds Kreis nahe. Man war dort der Meinung, daß Münzenberg auch ohne enge Bindung an die Kommunisten bereit wäre, den deutschen antifaschistischen Interessen zu dienen. Man hielt seine Initiative für nützlich; man glaubte, daß Hitlers Krieg kurz bevorstehe und daß es notwendig sei, für die Zeit nach dem Sturz Hitlers, für das „Vierte Reich“ eine Plattform der Hitlergegner auszuarbeiten.

In diesem Sinne kommentierte das „Neue Tagebuch“ den Volksfrontausschuß als eine Kraft, die dazu diente, eines Tages „ohne Chaos oder Vakuum anstelle des jetzigen Regimes ein neues zu setzen“. Man sprach die Hoffnung aus, daß dieses neue Regime nicht einen neuen, anderen Terror bringen wird; das sei nur möglich, „wenn alle Klassen, Liberale, Stahlhelm, Kommunisten, Katholiken, Gewerbetreibende, Arbeiter und Bauern sich praktisch verbinden". Mit Genugtuung druckte das „Neue Tagebuch“ Teile aus einem Flugblatt ab, das das Politbüro der KPD am 26. März 1936 veröffentlichte, nachdem es vorher in Deutschland verbreitet worden war. Dort hieß es: „Wir sind bereit, mit allen antifaschistischen Kräften für ein demokratisches Deutschland zu kämpfen, in dem das deutsche Volk selbst über das Regime entscheiden wird.“ Das „Neue Tagebuch“ versah diese Meldung mit der vielsagenden Überschrift: „Die KPD bringt ihren weniger unterrichteten Anhängern im Lande die demokratische Botschaft.“

Ein anderer Vertreter bürgerlicher Kreise, besonders der starken jüdischen Emigration, war Georg Bernhard, der Herausgeber des „Pariser Tageblatt". Früher stand er der Sozialdemokratie nahe. Mit den Kommunisten war er erst in der Emigration in näheren Kontakt gekommen. Ebenso wie Schwarzschild verstand er nichts von der bolschewistischen Ideologie. Er hielt die Kommunisten für ungebärdige linke Abweichler der Sozialdemokraten und gab sich der Illusion hin, daß durch die Volksfront-bestrebungen die Einheit in der deutschen Arbeiterschaft wiederhergestellt werden könnte. Er sah schon „alle Arbeiterparteien nach dem Sturz des Hitlerregimes Schulter an Schulter mit allen anderen Werktätigen die bürgerlichen Freiheiten garantieren, die die Grundlage für jede Zivilisation bilden Es konnte daher nicht ausbleiben, daß Georg Bernhard im Laufe der Emigrationsjahre immer mehr ins Schlepptau der Kommunisten geriet.

Ähnliche Illusionen hegten auch viele Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle. Sie schoben die unüberbrückbaren ideologischen Gegensätze zwischen KPD und SPD als belanglos beiseite. Sie fühlten sich angezogen von der geheimnisumwitterten Atmosphäre der kommunistischen Partei, ihrer Opferbereitschaft und ihren Bindungen an ein fernes, mächtiges Staatswesen.

Vorbehalte der SAP gegenüber der Volksfront und der KPD

Die SAP arbeitete zwar an den Einheits-und Volksfrontausschüssen mit, sie hatte jedoch von Anfang an politische Vorbehalte angemeldet und die Volksfronttaktik der Kommunistischen Internationale vom marxistischen Standpunkt aus kritisiert.

Ihr profiliertester Sprecher, Paul Frölich, äußerte sich in einer Schrift „Was kommt nach Hitler?“ zur Volksfront. Zunächst polemisierte er gegen die KPO und gegen die Trotzkisten. Sie hatten die Schwenkung der III. Internationale von Anfang an heftig bekämpft. Sie bezeichneten die Volksfrontpolitik als prinzipienlosen Opportunismus, sie warfen den Kommunisten vor, alle revolutionären und bolschewistischen Grundsätze über Bord geworfen zu haben, schalten sie Sozialpatrioten, die ihre politische Selbständigkeit aufgegeben und Verrat an der leninistischen Lehre von der Rolle der Partei geübt hatten. Frölich lehnte die Volksfront nicht grundsätzlich ab. Zwar wäre das Komitee nicht „der Generalstab der künftigen antifaschistischen Revolution", es sollte sich vielmehr auf eng-begrenzte Aufgaben beschränken, die Verbindung zwischen den illegalen Kadern im Reich herstellen, illegale Kampfmethoden austauschen und verwerten, Nachrichten sammeln und in einer gioßzügigen Propaganda in der ganzen Welt verwerten sowie juristische, materielle und moralische Hilfe für die Verfolgten organisieren. Die SAP sollte an den von der KPD eingeleiteten Volksfrontverhandlungen teilnehmen „bis zu dem Punkt, wo eine Anteilnahme zu solchen Kompromissen zwingt, bei denen die voraussichtlichen Erfolge einer Mitarbeit dem Nachteil des preisgegebenen revolutionären Standpunktes nicht mehr entsprechen“.

Demzufolge beteiligte sich die SAP an gemeinsamen Aktionen. Für das Flüchtlingskomitee verfaßte Paul Frölich einen ausgezeichneten Aufruf für Amnestie, der in Deutschland als Flugblatt verbreitet wurde. An einer Sitzung, die das von Prag nach Paris übersiedelte Politbüro der KPD mit Sozialdemokraten abhielt, nahmen auch Vertreter der SAP teil. Diese Konferenz diente der KPD-Leitung unter anderem dazu, einen Druck auf den Prager Parteivorstand auszuüben und zu versuchen, einige Mitglieder der SAP zur KPD hinüberzuziehen.

Im Dezember 1936 veröffentlichte das deutsche Volksfrontkomitee einen Aufruf „für Frieden, Freiheit und Brot", der schon deutlich die Diktion der Kommunisten verriet. Er wurde jedoch noch einmal von den drei politischen Parteien namentlich unterzeichnet

Die Beziehungen zwischen SAP und Kommunisten verschlechterten sich, als die SAP ihrer Empörung über die Moskauer Prozesse und die Erschießung der alten Bolschewiki öffentlich Ausdruck verlieh. Unterdessen hatte die russische Geheimpolizei ihre unheilvolle Tätigkeit nach Spanien ausgedehnt. Auf der zweiten großen Volksfronttagung am 10. /11. April 1937 in Paris machte die SAP einen Vorstoß gegen den kommunistischen Terror in Spanien.

Gerade war Mark Rein, der Sohn des bekannten russischen Menschewiken Abramowitsch, der als politischer Verbindungsmann der Gruppe „Neu Beginnen" nach Spanien gegangen war, dort spurlos verschwunden. Er wurde wie zahlreiche andere Oppositionelle von der GPU verschleppt und verschwand für immer.

Der endgültige Bruch zwischen den beiden Volksfrontpartnern ließ nicht lange auf sich warten. Im Juli 1937 brachte die kommunistische „Deutsche Volkszeitung“ in Prag im Rahmen eines Beitrages über die siegreiche spanische Volksfront einen massiven Angriff gegen die SAP. „SAP-Führer weinen um Schurken“, hieß es da, und „die trotzkistischen SAP-Führer haben versucht, die POUM darüber zu beraten, wie man wirkungsvoller den Sieg Francos und Hitlers und Mussolinis herbeiführen kann.“ Der Artikel forderte die Vernichtung jener Schurken, weil sich die SAP gegen die Verfolgungen der Führer der POUM in Spanien ausgesprochen hatte. Schließlich wurde die SAP in der üblichen Weise als „Fünfte Kolonne" und „Agenten Francos" denunziert.

Gruppe um Schwarzschild verläßt das Volksfrontkomitee

Wenn es überhaupt zu einer gemeinsamen Plattform im Volksfrontausschuß kommen sollte, war es notwendig, mit der Gruppe um Schwarz-schild, von der sich die Kommunisten weiterreichende Verbindungen zu bürgerlichen Kreisen in Deutschland versprachen, zu einer Verständigung zu gelangen.

Im Laufe der Sommermonate von 1936 fanden mehrere Arbeitskonferenzen zwischen Münzen-berg und Schwarzschild statt, in denen versucht wurde, ein gemeinsames Programm für das „Vierte Reich" auszuarbeiten. Dabei stellte sich sehr schnell heraus, daß die Entwürfe, die Schwarzschild und seine Mitarbeiter präsentierten, für die Kommunisten unannehmbar waren. Schwarzschild wiederum lehnte die verschwommenen kommunistischen Vorschläge für das künftige Wirtschaftsprogramm ab. Es wurde ihm auch klar, daß der Druck des kommunistischen Parteiapparats auf das Volksfrontkomitee ständig zunahm und daß Münzenberg nicht in der Lage war, sich diesem Druck zu entziehen. Die Verhandlungen wurden bald ohne Ergebnis abgebrochen.

Im Oktober 1936 definierte Schwarzschild die Volksfrontpolitik als Politik des Burgfriedens der Kommunisten mit den Bürgerlichen. Er sagte eine neue große antikommunistische Welle in den bürgerlichen Parteien des Westens voraus und meinte, daß dieser kommunistische Burg-frieden keine Früchte getragen habe, trotzdem die Sowjetunion mit dem französisch-sowjetisehen Bündnis in der gleichen Richtung gearbeitet hatte.

Am Jahresende schließlich zog er ein Fazit der Tätigkeit des Volksfrontausschusses, von dem er sich endgültig zurückgezogen hatte. Er schrieb: „In der Tat war das belehrendste Ergebnis des Volksfrontexperiments in deutscher Ausgabe, daß die Idee, alte vorhandene Gruppen zu addieren und dadurch zu mehr zu gelangen als jeder für sich allein darstellt, sich als illusorisch erwiesen hat. Die Addition ergab nicht mehr, sondern noch weniger als die einzelnen Teile. ... Man wollte nicht ernstlich zu einer programmatischen Erneuerung und Vereinheitlichung kommen. Bei jedem wichtigen Punkt bestand die Tendenz, ihn entweder zu übergehen oder in vage, vieldeutige nichts-sagende und zwecklose Schablonen-Formulierungen auszuweichen ... Es ist nichts zustande gekommen, was für ein Land mit völlig unterbrochener Kontinuität erforderlich gewesen wäre. Man brachte weder ein neues zündendes Programm, noch fachlich-sachliche Durchplanung, was im IV. Reich vom ersten Tage an zu tun wäre.“

Die Deutsche Freiheitspartei

Von Anfang an hatten andere bürgerliche emigrierte Politiker die Teilnahme an der Volksfront überhaupt abgelehnt. Der letzte Finanzminister der Preußenregierung, Otto Klepper, der 1936 aus China nach Europa zurückgekehrt war, lehnte in einem Artikel „Europäische Freiheit“ im „Neuen Tagebuch“ vom 26. 12. 1936 die Volksfront für die deutsche Emigration ab und verlangte eine neue politische Initiative. Er schrieb: „Die Sozialdemokratie ist eine geschlagene Armee. Der Kommunismus leidet darunter, daß man in Deutschland jetzt gegen den Gedanken einer Diktatur, ganz gleich welcher Art, überempfindlich ist. Die sogenannten freiheitlich-bürgerlichen Kräfte sind repräsentativ nicht mehr vorhanden. Man muß eine neue Bewegung schaffen, in deren Mittelpunkt der Freiheitsgedanke steht."

Klepper stand in Verbindung mit Dr. Karl Spiecker, dem ehemaligen Pressechef im Kabinett Brüning, der in Paris einen katholischen Pressedienst veröffentlichte. Zu Spieckers politischen Freunden gehörten Pater Mudcermann, der in Holland die Zeitschrift „Der Deutsche Weg“ herausgab, und Prälat Poels. Alle hielten Verbindungen zu ihren politischen Freunden in Deutschland.

Aus diesen Widerstandskreisen kam Anfang 1937 die Anregung, eine bürgerliche Gruppe in der Emigration zu gründen und die Freunde im Lande mit Material zu unterstützen. Auf streng konspirativer Basis bildete sich eine Gruppe, die sich „Deutsche Freiheitspartei" nannte und mit der Veröffentlichung der sogenannten „Freiheitsbriefe“ begann. Der erste Freiheitsbrief erschien im März 1937. Otto Klepper war der Verfasser. Er begann: „Was ist und will die Deutsche Freiheitspartei? Sie ist ein Bund entschlossener Frauen und Männer, die nur die Aufgabe haben, Deutschland zu dienen, die nur ein Glück im Leben kennen, dem deutschen Volke zu helfen, und die nur ein Ziel erstreben, die Freiheit zu erkämpfen!“

Als Münzenberg im Laufe des Jahres 193 7 mit den Kommunisten gebrochen hatte, wurde er von Klepper und Spiecker zur Mitarbeit an den Bestrebungen der Freiheitspartei ausgefordert. Die Initiatoren hatten sich die Aufgabe gestellt, die demokratischen Kräfte in Deutschland unter Ausschluß der Kommunisten anzusprechen. Sie Warnten vor organisatorischem Zusammenschluß wegen der damit verbundenen Spitzelgefahr. Sie hielten sich auch von den bekannten politischen Persönlichkeiten aus der Weimarer Zeit fern.

Das Echo aus dem Dritten Reich war größer als die Gruppe erwartet hatte. Auf den Universitäten, im Heer, in den Jugendorganisationen wurde über die Freiheitsbriefe gesprochen, so daß die Nationalsozialisten gezwungen waren, öffentlich dagegen Stellung zu nehmen. Die Briefe wurden mit Kurieren und mit der Post ins Land befördert, zeitweilig auch mit Ballons. Die Gestapo vermutete, daß Verkehrsflieger den Abwurf der Briefe bewerkstelligt hatten. Während des Jahres 193 8 stand der Gruppe zeit--Weilig ein Kurzwellensender zur Verfügung, der von einem Fischerboot außerhalb der Dreimeilenzone im Kanal sendete, bis er infolge der politischen Schwierigkeiten mit den Gastländern seine Tätigkeit einstellen mußte.

Die Gestapo suchte fieberhaft nach den anonymen geistigen Führern der Freiheitspartei. Im Laufe von zwei Jahren beschlagnahmte sie 45 verschiedene Freiheitsbriefe in etwa lOOOO Exemplaren. Darunter befanden sich folgende Nummern:

Nr. 2 mit dem Titel: Deutsche Männer, deutsche Frauen:

Nr. 12 im Juni 1937: Dieser Brief berichtete über die Terrorangriffe deutscher Flieger im Spanischen Bürgerkrieg und war überschrieben: „Warum, warum?“;

Nr. 17: Dieser Brief beschäftigte sich mit den Glaubensverfolgungen gegen Niemöller und Pater Maier;

Nr. 20 im August 1937: Der Titel lautete: „Wollen wir den Krieg? Der Nationalsozialismus reißt uns in den Krieg!";

Nr. 21: Über den Nürnberger Parteitag der NSDAP:

Nr. 24 vom November 1937, als Nibelungenlied getarnt.

Im Januar 1938 gab die Gruppe „Freiheitspartei ein „Manifest der deutschen Freiheit" heraus, dessen wichtigstes Anliegen es war, das Recht zur Auflehnung gegen die Hitlerregierung religiös, philosophisch und staatsrechtlich zu begründen und dieses Recht als sittliche Pflicht zu verherrlichen.

Aus dem veröffentlichten Material ging hervor, daß die Gruppe über Mitarbeiter in Vertrauensstellen in deutschen Behörden, auf Universitäten und in der Wirtschaft verfügte.

Ab Januar 193 8 erschien in London eine Monatsschrift, die sich „Das Wahre Deutschland“, Auslandsblätter der Deutschen Freiheitspartei, nannte und in deren Nummern spätere Texte der in Deutschland verteilten Freiheitsbriefe zum Abdruck gelangten. In der Zeitschrift des Parteivorstandes der SPD „Sozialistische Warte“ vom 21. Dezember 1937 wurde die Deutsche Freiheitspartei als eine bürgerliche Gruppe charakterisiert, die sich einer bürgerlich-liberalistischen Schreibweise bedient, die für humanistische Ideale eintritt und antihitlerische Informationen über einen illegalen Sender ausstrahlt.

Die Kommunisten greifen die Deutsche Freiheitspartei an

Im Oktober 1937 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischen Mitgliedern des Volksfrontausschusses und den Kommunisten wegen der Deutschen Freiheitspartei. Die Kommunisten, denen die Tätigkeit der Freiheitspartei in Deutschland nicht verborgen geblieben war, hatten eine öffentliche Kampagne gegen Karl Emonts begonnen, der eine der Grenzstellen der Freiheitspartei betreute. Sie diffamierten ihn in ihrer Presse als Trotzkisten und Verbindungsmann zu Francospitzeln.

Emonts, der dem Volksfrontausschuß angehörte, forderte ein Schiedsgericht. Dieses tagte unter Vorsitz von Heinrich Mann und bestand aus Max Braun, Jakob Walcher und Georg Bernhard, es kam zu folgendem Resultat: „Die Deutsche Freiheitspartei stellt sich bewußt außerhalb der Volksfront, aber sie hat den Sturz des Hitlerregimes zum Ziel. Deshalb liegt für die Volksfront kein Interesse vor, diese Partei zu bekämpfen. Es kann den Zielen der Volksfront nur förderlich sein, wenn von möglichst vielen Seiten innerhalb Deutschlands die Opposition gegen Hitler geschürt wird. Es mag bedauerlich sein, daß es oppositionelle Richtungen im Kampf für ein freies Deutschland gibt, die sich mit der Volksfront nicht zu identifizieren wünschen. Aber es ist eine Tatsache. Deshalb erheischt das Interesse des gemeinsamen Freiheitskampfes, daß diese Richtungen von der deutschen Volksfront so lange nicht bekämpft werden, wie diese Richtungen nicht ihrerseits die deutsche Volksfront angreifen.“ Das ZK der KPD setzte sich über diese Feststellungen des Volksfrontausschusses hinweg. In einem Rundschreiben an die Parteimitglieder dieses Ausschusses vom 8. Oktober 1937 teilte es mit, daß ein Untersuchungsverfahren gegen Münzenberg eingeleitet worden sei, weil er ohne Wissen der KPD und des Volksfrontausschusses Besprechungen mit rechtsbürgerlichen Kreisen gepflogen habe, die nicht der Einigung im Kampfe gegen Hitler dienten. Am 26. Oktober folgte ein Rundschreiben an die nichtkommunistischen Mitglieder des Ausschusses, worin es hieß, daß „gewisse Kreise um Spiecker und Strasser mit großkapitalistischen Kreisen, rechts-stehenden katholischen Führern und Reichswehrgeneralen zu einer Zusammenarbeit kommen und die KPD aus der Volksfront entfernen wollen“. Schließlich erfolgte am 27. Oktober eine Information an alle Parteimitglieder der KPD, daß ein Ausschlußverfahren gegen Münzenberg stattgesunden habe, und daß er ausgeschlossen sei.

Im Laufe des Jahres 1939 gelang es der Gestapo, einen Kurier der Deutschen Freiheitspartei zu verhaften. Am 15. August 1939 erhob die Staatsanwaltschaft Berlin Anklage wegen Vorbereitung zum Hochverrat gegen 3 3 Personen, die angeblich mit der Deutschen Freiheitspartei in Verbindung standen, und unter denen sich eine Anzahl von im Ausland befindlichen Emigranten befanden. Das Werben der Kommunisten um den Parteivorstand der SPD bleibt ergebnislos Gegenüber allen Angeboten der Kommunisten, mochten sie von Ulbricht und den „Linken in der SPD“ oder von Münzenberg über die Pariser Sozialdemokraten kommen, waren die Mitarbeiter des Parteivorstandes abweisend geblieben. Zweifellos mißbilligte man in Prag die Mitarbeit Breitscheids, Hilferdings oder Kuttners im Volksfrontkomitee, aber man polemisierte nicht öffentlich gegen sie.

Ein wesentliches Argument des Parteivorstandes war, daß die Funktionäre im Reich keine Einheitsaktion mit den Kommunisten wünschten. Die Kommunisten verfügten über mehr Bewegungsfreiheit im Lande. Sie setzten die von der Leninschule ins Land geschickten Instrukteure rücksichtslos ein, und sie verfügten auch über größere Mittel. Die Sozialdemokraten meinten, daß die Kommunisten die illegalen Stützpunkte der SPD schnell unterwandern würden, wenn man in Prag nur den kleinen Finger bot. In einem Brief aus dem Lande zur Frage der Einheitsfront schrieb ein Funktionär im September 1936: " Wir werden ein sozialistisches Deutschland selbst schaffen, wir brauchen dazu keine russischen Agenten. Wir wollen nicht, daß Deutschland einmal von der Komintern kolonisiert wird."

Curt Geyer, der die kommunistische Taktik aus eigener Erfahrung kannte, war scharf gegen jeden Versuch der Zusammenarbeit mit der III. Internationale. Im Laufe der Emigrationsjahre rückte er immer mehr von den Vorstellungen des orthodoxen Marxismus ab. Er stellte das Freiheitsmotiv in den Vordergrund. Unter dem Eindrude der Ereignisse in Sowjetrußland und in Spanien rechnete er mit den Totalitären von links und rechts ab und bekannte sich zum demokratischen Sozialismus. Seine 1939 erschienene Schrift „Die Partei der Freiheit“ war eine einzige Kampfansage an die Kommunisten und ihre Mitläufer.

Friedrich Stampfer sprach sich gegen die Einheitsfront aus, weil sie der SPD eine enge Verbindung mit bürgerlichen und anderen nichtkommunistischen Gruppen erschwerte und dadurch den Sturz Hitlers verzögerte. In einer Polemik mit Sollmann über den Charakter der Volksfront meinte er, daß das Bündnis von Liberalismus und Sozialismus den Kern der neuen Kampffront in Frankreich bildete, daß die Volksfrontkonstellation mit einer Arbeiterschaft operierte, die jede Spaltung verabscheute und daß die Kommunisten, die jetzt die Marseillaise singen, eine Wendung zum Liberalismus vollzogen hätten.

Am deutlichsten brachte der 8 3jährige Karl Kautsky die Meinung der sozialdemokratischen Leitung zum Ausdtuck, als er in seinem Vorwort zur Neuauflage des Kommunistischen Manifests im Dezember 1937 schrieb: „Der Appell der Sowjetunion an die Hilfe von Demokratien außerhalb Rußlands, das Eintreten der Kommunistischen Partei für Demokratie und Einheitsfront mit der bisher so wütend bekämpften Sozialdemokratie ist nur eine taktische Wendung der Kommunisten. Nur dort, wo sie in Opposition sind, verteidigen die Kommunisten die Demokratie, sie vernichten jede Volksfront, wo sie an der Macht sind . . . Sollte es dazu kommen, daß diese Machthaber (die Russen) sich mit Deutschland und Japan verständigen, dann würden die Kommunisten überall zu einer Hilfstruppe des Faschismus werden."

Die ablehnende Haltung wichtiger Parteien der II. Internationale, besonders der englischen und der skandinavischen Sozialisten, bestärkte den Parteivorstand in seiner Linie. Auch Rudolf Breitscheid gab seinem Zweifel in einem Artikel „Bilanz eines Jahres der deutschen Volksfront“ Ausdruck. Er blieb mißtrauisch gegenüber dem von Moskau vorgenommenen Frontwechsel. Er bedauerte, daß in der deutschen Emigration die bürgerlichen Vertreter eine Stellungnahme gegen Hitler ablehnten oder nicht mit den Sozialdemokraten Zusammenarbeiten wollten. Schließlich wies er darauf hin, daß aus Deutschland ein positives Echo auf die Arbeit des Volksfrontausschusses gekommen sei, und daß der Parteivorstand aus seiner Reserve heraustreten sollte.

Die Gruppe „Deutsche Volksfront” in Berlin Mit einem Hinweis auf das positive Echo aus dem Lande spielte Breitscheid auf eine illegale sozialdemokratische Gruppe an, die sich 193 5/1936 in Berlin gebildet hatte. Angeregt durch die Entwicklung in Frankreich hatten sich einige Sozialdemokraten, Dr. Hermann Brill, Otto Brass, Oskar Debus und Franz Petrich, zu einem Komitee zusammengeschlossen.

Am 21. Dezember 1936 verfaßten sie ein Zehn-punkte-Programm für eine Volksfront in Deutschland, das folgenden Wortlaut hatte:

„Zehn Punkte.

Geeint in dem Willen, die hitlerische Diktatur zu stürzen, Deutschland vor dem Untergang in einen zweiten Weltkrieg zu retten und Freiheit und Gleichheit wieder zu den Grundsätzen des politischen Lebens aller Deutschen zu machen, haben sich die liberalen, demokratischen, sozialistischen und kommunistischen Gruppen Deutschlands zu einer Deutschen Volksfront zusammengeschlossen und verkünden dem deutschen Volke folgende Forderungen als Programm: 1. Sturz und Vernichtung der Diktatur. 2. Recht und Gerechtigkeit für alle: Befreiung der politischen Gefangenen, Abschaffung der Blutjustiz, Sühne für die begangenen Verbrechen, Wiedergutmachung des verübten Unrechts. 3. Freiheit des Glaubens und der Weltanschauung: staatlicher Schutz jeder Religionsausübung, Organisations-, Versammlungs-und Pressefreiheit.

4. Volle Selbstregierung und Selbstverwaltung des deutschen Volkes in einem erneuerten Reich der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Demokratie. 5. Einstellung des Wettrüstens und der Kriegswirtschaft. Sicherheit durch Abrüstung. Verkürzung der Dienstzeit.

6. Volle Aussöhnung und restlose Verständigung mit Frankreich. Mitarbeit an der europäischen Staatengemeinschaft im Rahmen eines reorganisierten Völkerbundes. Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.

7. Beseitigung der Not und der Arbeitslosigkeit durch Wiedereintritt Deutschlands in die Weltwirtschaft.

8. Rettung der Spareinlagen und der Versicherungen vor der Inflation. Freier Arbeitsvertrag. 40-Stunden-Woche. 9. Aufhebung der Zwangswirtschaft am landwirtschaftlichen Boden (Erbhofgesetz) und an den landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Marktordnung). Ein-ziehung des Großgrundbesitzes zur Bauernsiedlung. Förderung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens. 10. VerstaatlichungderSchwer-Industrie, der Chemie-, der Energieerzeugung und der Banken. Führung einer Wirtschaftspolitik, die allein der Sicherung des deutschen Lebens dient.

Deutsche! Die Deutsche Volksfront wird sich nicht eher trennen, als bis ihre Forderungen verwirklicht sind. Schließt Euch unter unserer Leitung zusammen.

Nieder mit der Diktatur!

Für ein freies, friedliches und glückliches Vaterland!“

Bei der Gruppe handelte es sich in der Spitze um reih'sozialdemokratische Widerstandskreise, die zum Teil aus der Arbeiterjugend und aus ehemaligen Schülern der Volkshochschule Schloß Tinz hervorgegangen waren. Hermann Brill, der Führer der Gruppe, war von Beruf Lehrer. Unter schweren materiellen Opfern hatte er das Jurastudium nachgeholt und war bis 1933 Ministerialdirektor im Thüringischen Ministerium des Innern. Nach Hitlers Machtergreifung versuchte er, sich durch journalistische Tätigkeit über Wasser zu halten.

Otto Brass, ein alter Sozialdemokrat, der bei der Spaltung der USPD sich bis 1924 den Kommunisten angeschlossen hatte und dann wieder zur SPD zurückging, war von Beruf Verleger und leitete bis 1933 die Laub'sche Buchhandlung in Berlin. Franz Petrich war bis 1933 politischer Redakteur der Geraer Volkszeitung, und Oskar Debus kam aus der thüringischen Genossenschaftsbewegung.

Debus gelang es, von einem stillgelegten Bankkonto der thüringischen Konsumgenossenschaften einen größeren Betrag nach Berlin an Willy Urban zu überweisen, der sich zu diesem Zweck als Kaufmann mit falschen Papieren in einem obskuren Hotel angemeldet hatte. Von diesen Mitteln erwarb die Gruppe Schreibmaschine und Abziehapparat. Brill diktierte Urban wöchentlich einen Rundbrief mit politischen Informationen aus der Auslandspresse, die einem größeren Kreis zugeleitet wurden. Auf diese Weise gelangte auch das Zehn-Punkte-Programm und spätere Schriften der Gruppe an die Kreise, die sich der Gruppe angeschlossen hatten.

Das Zehn-Punkte-Programm rief eine lebhafte Diskussion in den Widerstandsgruppen hervor. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß die Gruppe von der politischen Emigration angesprochen wurde, und daß sie andererseits versuchte, ihren Standpunkt der sozialdemokratischen Führung im Ausland darzulegen.

Zu Otto Brass, dessen Sohn als Ingenieur nach Moskau emigriert war, kam als kommunistischer Kurier die Frau Anton Ackermann und versuchte, Brass für den Aufbau einer Einheitsfrontorganisation zu gewinnen. Sie lud ihn zu einer Aussprache nach Prag ein. Im Januar 1937 reiste Brass nach Prag. Dort traf er mit Paul Hertz und Karl Frank zusammen, die der Volksfront-gruppe vorschlugen, mit ihren Berliner Vertretern zusammenzuarbeiten. Auch Ackermann von der KPD traf mehrmals mit Brass zusammen.

Den Vertretern des Parteivorstandes, Hans Vogel, Friedrich Stampfer und Arthur Müller, versuchte Brass, die Vorstellungen der Berliner Gruppe über die „Volksfront gegen den alten Parteienzank“ zu entwickeln. Brass beklagte sich auch über die falschen Nachrichten, die von der Emigration über die Zustände im Lande verbreitet wurden, und vertrat die Auffassung, daß die Stimmung im Lande für die Einheitsfront sei.

Die Vertreter des Parteivorstandes sprachen sich kategorisch gegen die Einheitsfront mit den Kommunisten aus. Es wäre ihnen nicht einmal möglich, zu einer Einigung mit den sozialistischen Splittergruppen zu gelangen. Ein Zusammengehen mit den Kommunisten wäre wegen der tiefen weltanschaulichen Gegensätze nicht möglich, wie viele Versuche gezeigt hätten. Diese Tatsachen entzögen der Bildung einer einheitlichen Front im Reich den Boden. Gleichzeitig warnte der Parteivorstand die Gruppe vor Kontakten mit den Kommunisten.

Nach seiner Rückkehr erhielt Brass einen sechs Seiten langen Brief, unterschrieben von Wilhelm Pieck, worin die KPD ihre Stellungnahme zum „Zehn-Punkte-Programm" formulierte und gleichzeitig vorschlug, ein Komitee aus drei Sozialdemokraten, zwei Kommunisten und einem Demokraten zu bilden. Hermann Brill und die übrige Leitung lehnten diese Initiative ab. Brill hatte überhaupt große Bedenken, die Gruppe mit Organisationen in der Emigration zu verbinden. Er war der Meinung, daß jede Gruppe, die mit dem Ausland arbeitete, eine Lebensdauer von höchstens sechs Monaten hatte.

Schließlich schickte auch der Parteivorstand der SPD durch einen Kurier seine ablehnende Stellungnahme zum „Zehn-Punkte-Programm". Noch einmal nahm die Gruppe einen Kontakt mit dem Ausland auf. Hermann Brill fuhr im Dezember 1937 nach Brüssel, um dort mit Friedrich Adler, dem Sekretär der II. Internationale, und mit deren Präsidenten Louis de Brouckere über die Anerkennung des Volksfrontprogramms zu verhandeln. Paul Hertz, den er auch traf, unterrichtete ihn über die Fraktionskämpfe innerhalb des Pariser Volksfrontkomitees. Man kam überein, daß die Berliner Gruppe zunächst versuchen sollte, ihr Programm zu erläutern und zu begründen.

Das geschah nach Brills Rückkehr. Nach langen Diskussionen wurde ein vielfach verbesserter Entwurf am 9. Februar 1938 vom Berliner Volksfrontkomitee gebilligt. Brill schrieb daraufhin die Programmschrift „Freiheit", herausgegeben von der Deutschen Volksfront 1938. Die 27 Seiten umfassende Schrift, in leidenschaftlicher Sprache abgefaßt, wurde in einhundert Exemplaren an die Vertrauensleute im Reich verteilt.

Die Gruppe arbeitete weiter, bis es der Gestapo im Spätsommer und Herbst 1938 im Zusammen-hang mit anderen Verhaftungen gelang, die Initiatoren der „Deutschen Volksfront“ zu verhaften. Den ersten Hinweis erhielt die Gestapo aus Reichswehrkreisen. Der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident von Mecklenburg, Foth, hatte ständig an Gesinnungsfreunde in der Armee 3 5 Exemplare aller Schriften verteilt. AL Foth verhaftet wurde, nahm er sich in der Untersuchungshaft das Leben, um seinen Kreis nicht preisgeben zu müssen.

Nach und nach wurden Brill, Brass, Debus und Petrich, später weitere Mitglieder der Gruppe, unter ihnen Urban, verhaftet. Nach einjähriger Voruntersuchung fand der sogenannte „Volksfrontprozeß“ gegen die Hauptangeklagten vor dem Volksgerichtshof in Berlin am 14. Juli 1939 statt. Brill und Brass wurden zu je 12 Jahren Zuchthaus wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, wegen versuchter Schaffung einer neuen politischen Partei und zahlreicher anderer Anklagepunkte verurteilt Debus und Petrich erhielten je acht Jahre Zuchthaus. Urban erhielt eine Gefängnisstrafe, andere Mitglieder der Gruppe wie Karl Schmidt und Johannes Kleinspehn erhielten zwölf, resp, drei Jahre Zuchthaus

Das Ende des Pariser Volksfrontkomitees Im Laufe des Jahres 1936 hatten sich Ulbricht und die Auslandsleitung der KPD in die Verbindungen des Volksfrontausschusses zu den anderen Partnern eingeschaltet. Zunächst blieb Münzenberg noch Mitglied des Volksfront-komitees. In mehreren Artikeln der „Rundschau“ setzte er sich mit den Argumenten der bürgerlichen Vertreter auseinander, die unterdessen der Volksfront den Rücken gekehrt hatten. Er nahm auch an einer zweiten Volksfront-konferenz teil, die am 1O. /11. April 1937 in einem Saal der nie Cadet in Paris stattfand und schon völlig unter kommunistischer Leitung stand.

An der Konferenz nahmen einige hundert Delegierte teil. Heinrich Mann referierte über die Widerstandsbewegung „Zur Rettung des Friedens", Breitscheid sprach über die Außenpolitik und Münzenberg über die Aufgaben der Volksfront, die zu einer politisch handelnden Körperschaft ausgebaut werden sollte. Kurt Kersten berichtet darüber in der „Neuen Rundschau": „In einer großen Rede, die zu Ulbrichts Verbitterung stärksten Beifall fand, sprach Münzenberg der Vereinigung aller anti-

hitlerischen Kräfte das Wort. Er verlangte besonders von kommunistischer Seite eine offene Sprache und wandte sich gegen eine kleinliche Politik von Winkelzügen, die nur das Vertrauen zerstören müßte. Heinrich Mann dankte Münzenberg besonders auffällig für die offenen Worte."

Bei seinem letzten Aufenthalt in Moskau im Herbst 1936 hatte Münzenberg vergeblich versucht, vor einer Politik zu warnen, die die Volksfrontpartner nur abstieß und jede Einheitsaktion in.den deutschen antihitlerischen Kreisen unmöglich machte. Er hatte gemeinsam mit anderen kommunistischen Funktionären in Paris einen Plan überreicht. Aber bei der III. Internationale bestand kein Interesse mehr für Einheitsfront-oder Volksfrontmanöver in der deutschen Emigration.

Die Tätigkeit des Volksfrontkomitees schrumpfte weiter ein. Im Herbst 193 8 versuchten die Kommunisten noch einmal, das Komitee neu zu beleben. Die Sozialdemokraten und zahlreiche andere Persönlichkeiten hatten sich bereits zurückgezogen. Heinrich Mann, nun schon sehr stark im kommunistischen Fahrwasser, stellte sich auch weiterhin zur Verfügung und lud zu sogenannten „Volksfrontgesprächen" in das Hotel Lutetia in Paris ein. Einige bürgerliche Vertreter von Emigrantenorganisationen, dar-unter Kurt Grossmann von der Liga für Menschenrechte, waren als Beobachter erschienen.

Heinrich Mann präsidierte und schlug für die Leitung des Ausschusses Felix Boenheim, Alfred Kantorowicz und Budszislawski vor. Als er die anwesenden Nichtkommunisten aufforderte, dem Ausschuß beizutreten, lehnten diese mit dem Hinweis ab, daß es sich um eine von Kommunisten beherrschte Organisation handele. Mit dieser Veranstaltung endete der von den deutschen Kommunisten unternommene Versuch einer Volksfrontbewegung in der deutschen Emigration.

VII. Die Volksfront und der Spanische Bürgerkrieg

Zu Beginn der dreißiger Jahre war die spanische Arbeiterbewegung in zwei große Strömungen gespalten: in Sozialisten und Anarcho-Syndikalisten. Die Sozialisten, die auch die große Gewerkschaft UGT beherrschten, hatten 1931 nach Ausrufung der Republik die bürgerlich-liberalen Kräfte im Lande unterstützt, während die Anarcho-Syndikalisten und ihre Gewerkschaft, die CNT sowie die anarchistische Organisation FAI gegen die parlamentarische Demokratie, für die Errichtung des „freiheitlichen Kommunismus" kämpften.

Der politische Einfluß der spanischen Kommunistischen Partei war in diesen Jahren bedeutungslos. Bei Ausrufung der Republik war Jose Bullejos Generalsekretär der spanischen KP. Er und seine Gruppe riefen ebenso wie die Sozialisten zur Verteidigung der Republik gegen die starken monarchistischen Kräfte auf.

Diese Linie wurde aber von Moskau verworfen. Entsprechend dem 1931 bei allen Sektionen der Komintern vorgeschriebenen ultralinken Kurs lautete die Direktive für Spanien: Sturz der republikanischen Azana-Regierung, Errichtung der Arbeiter-und Bauernmacht, Einführung der Sowjets. Die Sozialisten und Anarchisten wurden als Sozialfaschisten und Anarchofaschisten beschimpft. Als sich der populäre Bullejos gegen diese Politik wandte, die von den politischen Abgesandten der Komintern, Codovilla und Stepanow, befohlen wurde, schloß man ihn und seine Gruppe als Opportunisten aus der Partei aus.

Außerhalb der an die Komintern angeschlossenen kommunistischen Partei gab es in Spanien unabhängige linke und rechte kommunistische Gruppen. Sie schlossen sich Anfang 1936 zu einer Einheitspartei der Marxisten zusammen und nannten sich „Partido Obrere de Unificacion Marxista", POUM. Ihr rechter Flügel hatte schon 1934'damit begonnen, Einheitsfrontorgane, die sogenannte „Allianza Obrera", zu gründen, denen sich in Katalonien und Asturien die meisten Arbeiterorganisationen anschlossen. Sogar die Kommunisten, die die AO zuerst erbittert bekämpft hatten, traten ihr unmittelbar vor dem asturischen Aufstand ebenfalls bei.

Die Weltwirtschaftskrise hatte das Agrarland Spanien besonders hart getroffen. 80 Prozent der damals 23 Millionen zählenden Bevölkerung lebten auf dem Lande. Die unterbezahlten Landarbeiter waren den größeren Teil des Jahres über arbeitslos und lebten in unvorstellbarem Elend. Die registrierte Arbeitslosenzahl betrug 700 000.

Unter dem Eindruck dieser Verhältnisse, die in Deutschland zur Machtergreifung Hitlers geführt hatten, kam es zu einer Radikalisierung der spanischen Sozialistischen Partei. Ihr populärster Führer, Largo Caballero, bis dahin als rechter Reformist bekannt, machte sich zum Interpreten der neuen Politik. Er verlangte, daß sich die Sozialistische Partei auf die Verwirklichung der Revolution in Spanien vorbereiten müsse und ging so weit zu erklären: „Lieber eine proletarische als eine faschistische Diktatur!“ In den Volksmassen wurde er als der „spanische Lenin“ verehrt.

Bildung eines Volksfrontblocks Nach der Moskauer Wendung zur Volksfront durften auch die spanischen Kommunisten mit der sozialistischen Führung Zusammenarbeiten. Es kam zur Aufnahme vielfacher Beziehungen: spanische Sozialisten reisten in die Sowjetunion, international tätige Kommunisten hielten sich in Spanien auf. Verschiedene antifaschistische Organisationen dehnten ihre Tätigkeit nach Spanien aus.

Anfang 1936 wurden die Cortes aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben. Sozialisten und Kommunisten zusammen mit den anderen spanischen Arbeiterorganisationen versuchten, dem französischen Beispiel folgend, zu einem Wahl-abkommen mit den linken bürgerlichen Parteien zu gelangen. Schließlich kam ein Wahlblock, der sogenannte Volksfrontblock, zustande. Ihm gehörten an: die Republikanische Union unter Martinez Barrio, die Republikanische Linke unter Azana, die Katalonische Linke mit Luis Companys, die Sozialistische und die Kommunistische Partei sowie die POUM unter Leitung von Andres Nin und Joaquin Maurin. Die Gewerkschaften UGT und CNT sowie die anarchistische FAI verhielten sich gegenüber der Volksfront zustimmend und forderten ihre Mitglieder auf, zur Wahlurne zu gehen.

Die Wahlparolen entsprachen den Forderungen, die die Linke seit Jahren vorgebracht hatte. Man verlangte die Verwirklichung der Land-reform durch Besteuerung und Aufteilung der riesigen Latifundien, die Reinigung der Verwaltung und der Armee von monarchistischen und faschistischen Elementen, die Einschränkung der kirchlichen Privilegien. Die Arbeiterparteien forderten darüber hinaus die Freilassung der politischen Gefangenen, die bei den gescheiterten Aufstandsversuchen von der Regierung Lerroux-Robles eingesperrt worden waren, Rechtssicherheit, Steuerermäßigungen für die Bauern, staatlichen Schutz für die Kleinbetriebe, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit. Den Sonderwünschen der Basken und Katalanen kam das Wahlprogramm nach, indem es nationale Selbstverwaltung für diejenigen Teile Spaniens forderte, die sich dafür aussprechen würden.

Am 16. Februar 1936 fanden die Wahlen statt. Sie brachten den in der Volksfront zusammengeschlossenen Parteien einen sehr hohen Gewinn an Mandaten, was mit dem spanischen Wahlgesetz zusammenhing. Die linken bürgerlichen Parteien stiegen von 32 auf 148 Mandate, die Sozialisten und Kommunisten von 60 auf 110, wobei die Kommunisten, die bis dahin einen Abgeordneten hatten, auf 16 Sitze anstiegen.

Die bürgerliche Rechte fiel von 369 auf 214 Mandate zurück. Stimmenmäßig war der Volksfrontsieg nicht so überwältigend, wie es sich in den Mandaten ausdrückte. Für die Volksfront-parteien hatten 4 838 449 Wahlberechtigte gestimmt, für die Rechte 4 446 251. Das bedeutete, daß die Rechte fast die Hälfte aller abgegebenen Stimmen hinter sich hatte. Sie verlor daher keine Zeit, um den schärfsten politischen und wirtschaftlichen Drude auf die Volksfront-mehrheit auszuüben. Gleich nach der Wahl liefen Gerüchte über einen Aufstandsversuch der Generale um. Darauf erschien General Franco im Innenministerium und gab eine Erklärung des Inhalts ab, daß es sich um völlig haltlose Gerüchte handle und daß er sich lediglich mit militärischen Fragen und nicht mit Politik beschäftige.

Die neue Volksfrontregierung wurde lediglich von den linken bürgerlichen Parteien gebildet. Sozialisten und Kommunisten blieben außerhalb der Regierung, aber sie hatten jetzt die Möglichkeit, einen Teil ihrer Forderungen zu verwirklichen. Die Volksmassen warteten irgendwelche gesetzgeberischen Maßnahmen nicht ab. Man öffnete die Gefängnistore mit Gewalt; man zwang die Betriebe, entlassene Arbeiter wieder einzustellen; die Bauern begannen, Ländereien ohne behördliche Erlaubnis unter sich zu verteilen. Beginn des Bürgerkrieges Die russischen Ratgeber der spanischen KP verglichen in ihren vertraulichen Besprechungen mit den spanischen Führern den Volksfrontsieg in Spanien mit der Februarrevolution im Ruß-land von 1917. Sie betrachteten ihn als kurze parlamentarische Zwischenetappe, der die Machtergreifung folgen würde.

Bei einer derartigen Verkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse auf der Linken nimmt es nicht wunder, daß die Rechte, die Schwäche der Regierung ausnutzend, schon am 14. April einen neuen Aufstandsversuch unternahm. Die paramilitärischen Verbände, die nicht entwaffnet worden waren, provozierten überall Zusammenstöße mit der Arbeiterschaft, die ihrerseits Gegenschläge organisierte. Attentate auf beiden Seiten waren an der Tagesordnung. Als die Linke den rechten Politiker Calvo Sotelo erschoß, war das das Signal zu einem neuen Aufstand der Rechten. Am 17. Juli 1936 meuterte die Garnison von Melilla in Spanisch-Marokko. General Franco, der nach den Kanarischen Inseln strafversetzt worden war, eilte im Flugzeug nach Marokko und übernahm die Führung des Aufstandes. Alle rechten Organisationen und erhebliche Abteilungen der Armee schlossen sich dem Aufstand an. Der Bürgerkrieg hatte begonnen und sollte 32 Monate dauern.

Die bürgerliche Volksfrontregierung wählte den linken Republikaner Jose Giral zum neuen Regierungschef. Seine Regierung entschloß sich, das Volk zu bewaffnen und den Aufstand niederzuschlagen. Es kam zu einer spontanen Volkserhebung zum Schutze der Republik. Mit Unterstützung der Anarchisten wurden Milizen gebildet. Sie bewaffneten sich mit den Waffen, die vorhanden waren.

Die spanische Rechte wurde unverzüglich von Italien und Deutschland mit Waffen und später mit Truppenverbänden unterstützt. Hitler schickte Flugzeuge und die Legion Condor zur Hilfe. Dagegen schreckten England und Frankreich vor offenen Waffenlieferungen an die republikanische Regierung zurück. An anderer Stelle wird über die Haltung der französischen Volksfrontregierung während des spanischen Konflikts berichtet. Schließlich kam Ende 1936 das Nichteinmischungsabkommen zustande, dem sich alle Regierungen, einschließlich der deutschen, italienischen und sowjetischen, anschlossen.

Die sowjetische Einmischung in Spanien Die Sowjetunion hielt sich zunächst ebenfalls an das Nichteinmischungsabkommen. Der Schrei nach Waffen verhallte in Moskau ungehört. Vermutlich wäre der Ausgang des Bürgerkrieges in den ersten Monaten zugunsten der Volksfront entschieden worden, wenn sie überlegene Waffen zur Verfügung gehabt hätte. Zunächst schickte Moskau nur militärische und technische Berater nach Spanien. Darunter waren renommierte Bürgerkriegsgenerale wie Goriew, Stern, Grissen, Schapanow und andere, die der republikanischen Sache ergeben waren und versuchten, mit den vorhandenen Kräften die Verteidigung aufzubauen.

Stalins Interesse an der spanischen Volksfront entsprang denselben Motiven, die ihn zur Unterstützung der französischen Volksfront bewogen hatten. Nachdem es nun zum bewaffneten Konflikt gekommen war und Hitler sich militärisch engagierte, hoffte Stalin, daß Hitlers Druck auf Osteuropa nachlassen würde. Auch Stalin schreckte ebenso wie England und Frankreich vor einer Ausweitung des Konflikts zurüde. Aber zunächst spielte sich der Kampf fern von seinen Grenzen ab. Es mußte ihm daran liegen, daß sich der Bürgerkrieg eine Weile hin-schleppte, ohne daß eine der beiden Seiten einen raschen und entscheidenden Sieg davontrug.

Von diesen politischen Erwägungen war in den Parteikreisen Moskaus im Herbst 1936 nichts zu hören. Man verfolgte die Ereignisse mit fieberhafter Aufmerksamkeit. Im September 1936 trat der republikanische Ministerpräsident Jose Giral zurück. Ein Kabinett auf breiter Basis mit Largo Caballero an des Spitze wurde gebildet, um alle Kräfte der Volksfront für den Bürgerkrieg zu mobilisieren. Caballero hatte als Bedingung für seine Übernahme der Regierung gefordert, daß die Kommunisten auch in die Regierung eintreten müßten. Das spanische Politbüro wollte sich nicht beteiligen, weil man meinte, daß die demokratischen und kleinbürgerlichen Kräfte sich rasch verbrauchen und die Kommunisten die Erben sein würden. Aber in Moskau wurde anders entschieden. Die Kommunisten mußten in die Regierung Caballero eintreten. Zum erstenmal in der Geschichte der Komintern nahmen Kommunisten an einer nichtproletarischen Regierung teil.

In diesen Wochen häuften sich in Moskau die Appelle der Linken aus der ganzen Welt für eine Waffenhilfe an Spanien. Die spanische Sache fand bei der russischen Bevölkerung leidenschaftliche Anteilnahme, so daß der Beschluß des russischen Politbüros, die Spanische Republik mit Waffen zu unterstützen, überall mit größter Genugtuung ausgenommen wurde.

Dieser Beschluß fand seinen Ausdruck in einem persönlichen Telegramm, das Stalin an den Sekretär der spanischen Kommunistischen Partei, Jose Diaz, schickte. Es lautete:

„Die Arbeiter der Sowjetunion erfüllen nur ihre Pflicht, wenn sie den revolutionären Massen Spaniens die größte Unterstützung angedeihen lassen. Sie sind sich darüber im klaren, daß die Befreiung Spaniens von der Unterdrückung der faschistischen Reaktionäre nicht die Privatsache der Spanier, sondern die gemeinsame Sache der gesamten fortschrittlichen Menschheit ist.

Brüderliche Grüße, Stalin.“

Hunderte von kommunistischen Emigranten, die in der Sowjetunion lebten, meldeten sich freiwillig an die spanische Front. Manche wurden schleunigst ausgebildet und mit Waffen und Maschinen über Odessa nach Spanien auf den Weg gebracht.

In ihrer ersten Phase haben die spanischen Bürgerkriegsereignisse viel dazu beigetragen, die Losungen der Einheitsfront und der Volksfront in der ganzen Welt zu popularisieren. Aus allen Ländern und Erdteilen eilten Freiwillige dem republikanischen Spanien zur Hilfe. Hugh Thomas beziffert in seinem Werk: „The Spanish Civil War" die Gesamtzahl der ausländischen Freiwilligen in den internationalen Brigaden auf etwa 40 000. Ein erheblicher Teil von ihnen hatte nichts mit den Kommunisten zu tun.

Für Stalin war die weltweite Sympathie für die spanische Volksfront und ihre eifrigsten Befürworter, die kommunistischen Parteien, sehr willkommen. Verdeckte sie doch den in der Sowjetunion wütenden Terror der „Großen Reinigung“. Während sich die mangelhaft ausgerüsteten spanischen Arbeiter zusammen mit den Freiwilligen aller Länder für die Rettung der demokratischen Freiheiten schlugen, liquidierte Stalin die bolschewistische Parteiintelligenz und Millionen unschuldiger russischer Menschen.

Caballero und die spanischen Kommunisten Mit der Regierung Caballero hatte die spanische Volksfront ihre breiteste Basis gefunden. Sogar die Anarchisten und die POUM beteiligten sich Ende 1936 vorübergehend an einer Arbeiter-regierung in Katalonien. Bei Ausbruch des Bürgerkrieges war die revolutionäre Stimmung in Katalonien am stärksten ausgeprägt. Sie führte dazu, daß der alte Staatsapparat durch Arbeiter-organe in der Polizei, im Gerichtswesen und überall im öffentlichen Leben abgelöst wurde. In den Betrieben ging die Verwaltung an Fabrik-komitees über. Wegen dieser Maßnahmen, die in den übrigen Landesteilen der Republik nicht durchgeführt wurden, kam es dauernd zu erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb der antifaschistischen Front.

Die Sozialisten und die linken bürgerlichen Parteien befanden sich in einer Zwangslage. Nach dem Wahlsieg in Frankreich waren sie mitgerissen von den Resultaten der französischen Volksfrontregierung, der es gelungen war, die sozialen Reformen für die französischen Arbeitnehmer über Erwarten rasch durchzuführen. Sie übersahen die grundsätzlich anderen und viel komplizierteren Verhältnisse in Spanien.

Schon seit 1931 war es offensichtlich, daß die Mehrheit des spanischen Bürgertums nicht bereit war, an den Privilegien des Großgrundbesitzes und der Kirche rütteln zu lassen. Ein verzweifeltes Landproletariat lastete auf der Sozialstruktur des Landes. Die Armee war antidemokratisch. Sie versuchte, wiederum zu einer Militärdiktatur zu gelangen, bevor es zu einem revolutionären Ausbruch kam.

Die spanische Volksfront hatte ausgereicht, um durch einen Wahlblock Mandate zu gewinnen — sie versagte aber schon vor dem Bürgerkrieg bei der Durchsetzung der notwendigen sozialen Reformen. Durch den Bürgerkrieg wurde nun die Hoffnung auf die Lösung der sozialen Probleme endgültig zunichte gemacht. Mit ihrem Eintritt in die Regierung Caballero — Jesus Hernandez übernahm das Unterrichtsministerium, Vicente Uribe das Landwirtschaftsministerium — bot sich den Kommunisten die Möglichkeit, ihre Vertrauensleute in alle Kommandostellen einzuschleusen. Zunächst versuchten sie, ihren Einfluß auf die anderen Arbeiter-organisationen auszudehnen. Trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit gelang es ihnen, sich mit der sozialistischen Gewerkschaft UGT zu fusionieren. Caballero als Chef der Sozialistischen Partei blieb allerdings allen Beschwörungen der Russen und der spanischen Kommunisten gegenüber, eine Einheitspartei zu gründen, ablehnend. Dagegen konnten die Kommunisten den großen Sozialistischen Jugendverband zur Fusion bewegen, mit dem Resultat, daß sie ihn in kurzer Zeit beherrschten. Willy Brandt, der damals Spanien als Korrespondent norwegischer Blätter aufsuchte, berichtete darüber in einer Sitzung im Juli 1937 in Paris: „Vor einigen Jahren ging die Mitgliedschaft der Kommunistischen Partei Spaniens in einen mittelgroßen Saal hinein. Heute haben sie 250 000 Mitglieder. Die Vereinigte Sozialistische Jugend, in die die Kommunisten mit einigen tausend Mann hinein-gingen, zählt heute 200 000 Mitglieder.“

Mit anderen Worten, die spanischen Kommunisten waren zum ausschlaggebenden Element im spanischen Bürgerkrieg geworden.

Die Kommunisten bereiten ihre Parteidiktatur vor Mit größter Rücksichtslosigkeit gingen die Kommunisten daran, die russischen Interessen durchzusetzen. Sie bekämpften alle Parteien und Gruppen, die das Volksfrontprogramm in die Ta'umsetzen wollten. Unter dem Vorwand der militärischen Notwendigkeiten versuchten sie, jede gegen sie gerichtete Opposition auszumerzen. Sie gaben die Parole der demokratischen Republik aus und verleumdeten ihre proletarischen Widersacher, mit denen sie in der Volksfront vereint waren.

Gleichzeitig begann die russische Geheimpolizei, eine . Staat im Staate aufzubauen. Ohne Wissen und Billigung der Regierung Caballero verhaftete: sie angebliche Francospione in den internationalen Brigaden und in den anderen spanischen Arbeiterparteien. In der Sowjetunion hatte die Verfolgung der alten Bolschewiki ihren Höhepunkt erreicht. Ihr fielen auch sämtliche russischen militärischen und politischen Ratgeber aus der ersten Zeit des spanischen Bürger-krieges zum Opfer. Sie wurden nach Moskau zurückgerufen und verschwanden spurlos. Über die Führung der Regierungsgeschäfte und insbesondere über die Führung des Krieges kam es zu unaufhörlichen Konflikten zwischen Caballero und den russischen diplomatischen Vertretern. Caballero versuchte, durch seine Partei-freunde in den westlichen Ländern vertrauliche Verhandlungen zwischen Italien, Deutschland, England und Frankreich ohne Wissen der Russen einzuleiten, um den Bürgerkrieg zu einem Ende zu bringen. Gleichzeitig wollte Caballeros militärischer Vertrauensmann, der General Asensio, eine Offensive gegen die südlichen Nachschublinien der Aufständischen durchführen, um sie von Portugal und Marokko abzuschneiden. Hierüber kam es zu einem Konflikt zwischen Asensio und den russischen militärischen Ratgebern, die sich kurzerhand weigerten, „ihre Flugzeuge" zu dieser Offensive zur Verfügung zu stellen, so daß diese Aktion nicht zustande kam.

Der Sturz der Regierung Caballero Die Russen hatten kein Interesse daran, daß sich die europäischen Mächte ohne ihre Beteiligung zu einer Beilegung des Bürgerkrieges zusammenfanden, und noch viel weniger lag ihnen daran, durch eine gelungene Offensive das Renommee Caballeros zu stärken. Sie verlangten vielmehr von der spanischen KP die Entfesselung einer Verleumdungskampagne gegen Caballero, mit dem Ziel, sich seiner zu entledigen.

Den letzten Anstoß hierzu boten die Maiereignisse in Barcelona. Die Kommunisten hatten durch ihre Vertrauensleute in der Armee seit langem die Auflösung der Milizen und ihre Übernahme in die reguläre Armee verlangt. Dem widersetzten sich vor allem die Truppen der CNT in Barcelona. In den ersten Maitagen rückten Polizeitruppen unter Führung des unga-rischen Kommissars und Vertreters des russischen Geheimdienstes, Erno Gero, gegen das Hauptpostamt und andere öffentliche Gebäude vor und besetzten sie mit Gewalt. Es kam zu tagelangen Straßenkämpfen gegen die CNT und die POUM, die schließlich niedergeschlagen wurden.

Die größte Wut der Kommunisten richtete sich gegen die POUM. Sie verlangte ihre Auflösung und die Verhaftung ihrer Führer. Als sich Caballero energisch weigerte, traten die Kommunisten aus der Regierung aus, und Caballero demissionierte. Der populärste Führer Spaniens, der die Unterstützung aller politischen und militärischen Kräfte genossen hatte, war von den Russen gestürzt worden.

Das Ende der spanischen Volksfront Die nachfolgenden beiden Regierungen Negrin trugen zwar noch das Volksfrontetikett; aber die entscheidenden Kräfte, die sich einst zur Volksfront zusammengeschlossen hatten, standen nun der Regierung in Feindschaft gegenüber. Die Regierung Negrin war zum willfährigen Werkzeug der russischen Ratgeber geworden. In der ersten Regierung Negrin war Prieto, ein rechter Sozialist und fähiger Organisator, zum Kriegsminister ernannt worden. Er war entschlossen, sich dem kommunistischen Führungsanspruch zu widersetzen. Dabei stützte er sich auf die bürgerlichen Kräfte in der Armee und in der Verwaltung. Aber es fehlte ihm an der Unterstützung der Volksmassen. Mit dem Kampf der Volksfrontpartner untereinander, mit der Liquidation der großen Volksfrontkoalition unter Caballero war die Kampfmoral und der große Elan der ersten Monate verschwunden. Nach zehn Monaten unaufhörlicher Kämpfe und Intrigen mit den Kommunisten und ihren russischen Ratgebern schied Prieto aus der Regierung aus.

Es verblieb die zweite Regierung Negrin, die sich nun völlig im kommunistischen Schlepptau befand. Als sich im Frühjahr 193 8 die Niederlage der spanischen Republikaner abzeichnete, versuchte Moskau, die spanischen Kommunisten zum Austritt aus der Regierung Negrin zu veranlassen. Die spanischen kommunistischen Führer weigerten sich, dem Befehl nachzukommen, weil dann der Bürgerkrieg sofort zusammengebrochen wäre.

So schleppte er sich noch ein weiteres Jahr hin. Im Herbst 1938 beschloß die Komintern, die Internationalen Brigaden aus Spanien zurüdezuziehen. Am 5. und 6. März 1939 endete der Bürgerkrieg mit Aufständen republikanischer Truppenverbände gegen die Kommunisten und ihrer nachfolgenden Kapitulation vor Franco.

Im Gegensatz zum französischen Experiment endete die spanische Volksfront mit der völligen Niederlage. Es war ihr nicht gelungen, ihr Programm zu verwirklichen. Alle fortschrittlichen Kräfte waren diskreditiert. Das spanische Volk hatte einen furchtbaren Substanzverlust erlitten. Für die Kommunistische Internationale und für die Sowjetunion stellte der spanische Bürgerkrieg ein Versuchsfeld dar, auf dem kommunistische Funktionäre geschult und die Methoden ausprobiert wurden, mit denen es den Russen 1945 gelang, die von ihnen besetzten Länder in ihre Satelliten, in „Volksdemokratien" umzuwandeln. Zahlreiche kommunistische Führer, die sich im spanischen Bürgerkrieg ihre Sporen verdient hatten, errichteten nach 1945 in Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und anderen Ostblockländern totalitäre Parteidiktaturen. Die Kommunistische Partei Spaniens, die während der Volksfrontperiode und im Bürgerkrieg zu einer Massenpartei anwuchs, ist seit mehr ab zwei Jahrzehnten verboten. Trotzdem hat sie viele geheime Anhänger, und es ist heute noch nicht abzusehen, welche Rolle sie bei einer künftigen Demokratisierung Spaniens spielen wird.

VIII. Zerfall der ftanzösischen Volksfront

Der Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges und seine Auswirkungen auf Frankreich führten zur schwersten Krise innerhalb der französischen Volksfront, einer Krise, die nicht überwunden wurde und schließlich zum Bruch mit den Kommunisten führte.

Die Politik der „Nichteinmischung” Leon Blum, als Ministerpräsident der französischen Regierung, hatte einige Tage nach Beginn des spanischen Bürgerkrieges, am 25. Juli 1936, erklärt, „daß die französische Regierung sich im spanischen Bürgerkrieg neutral verhalten und sich keinesfalls einmischen wolle".

Am 1. August schickte er an die wichtigsten Regierungen ein Ersuchen, die internationalen Regeln der Nichteinmischung zu beachten. Am 8. August verbot die französische Regierung die Ausfuhr von Kriegsmaterial nach Spanien und kündigte den Handelsvertrag mit Spanien vom Dezember 193 5.

Am 24. August unterzeichneten auch Mussolini und Hitler die Nichteinmischungs-Konvention, nachdem sie schon vorher die spanischen Aufständischen reichlich mit Kriegsmaterial aller Art versorgt hatten.

Der französische Sozialist Jules Moch, der damals Staatssekretär bei Leon Blum war, hat viele Jahre später die Gründe mitgeteilt, die Leon Blum bewogen, die Nichteinmischung zu proklamieren. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges und angesichts der massiven Waffenlieferungen Deutschlands und Italiens hatte sich Leon Blum an die Sowjetunion gewandt und angefragt, wie sich die Russen verhalten würden, wenn Frankreich der legalen spanischen Regierung Waffen liefern und deshalb von Hitler angegriffen würde.

Die Antwort der Sowjetunion lautete:

„Der Pakt zwischen Frankreich und der Sowjetunion verpflichtet uns zu gegenseitiger Hilfe, falls der eine oder andere von uns von einer dritten Macht angegriffen wird, aber nicht im Falle eines Krieges, der durch die Einmischung von einem von uns beiden in die Angelegenheiten eines anderen Staates ausgelöst wird.“

Diese Antwort war eindeutig. Wenn Frankreich durch offene Unterstützung der spanischen Volksfrontregierung einem Angriff Hitlers ausgesetzt würde, blieb es allein. Die Vereinigten Staaten hatten unterdessen ein Embargo für Waffenlieferungen nach Spanien beschlossen. England war sehr zurückhaltend.

Die Sowjetunion verweigerte zwar ihre Hilfe an Frankreich im Falle eines. Konflikts, sie verlangte aber zur gleichen Zeit von den französischen Kommunisten, daß sie von ihrer Regierung mit allen Mitteln Waffenhilfe für Spanien forderten.

Die Kommunistische Partei Frankreichs startete eine große Kampagne gegen die Politik der Nichteinmischung. In Meetings, Demonstrationen und Kundgebungen riefen die Teilneh-mer: „Waffen für die spanische republikanische Regierung! Flugzeuge für Spanien!“

Trotz der offiziell verkündeten Nichteinmischung war es durchaus nicht so, daß die französisch-spanische Grenze etwa hermetisch geschlossen worden wäre. Es war den spanischen Republikanern und insbesondere der französischen KP möglich, sehr viel Material über die Grenzen zu schaffen. Bevor sich Stalin zur Unterstützung der spanischen Regierung entschloß, hatte er die Überlassung eines erheblichen Teiles der spanischen Goldreserven als Sicherheit verlangt. Die Regierung Largo Caballero hatte daraufhin etwa 1, 6 Milliarden Goldpesos — mehr als die Hälfte der spanischen Goldreserven — nach Odessa auf den Weg gebracht.

Von diesen Mitteln wurden überall in den europäischen Großstädten Unternehmen gegründet, die von Kommunisten kontrolliert waren und Waffen für die spanische Republik einkaufen sollten. Die französische Kommunistische Partei gründete die Schiffahrtsgesellschaft „FranceNavigation“, die mehrere Handelsschiffe erwarb. Ein großer Teil der Gelder wanderte auch in die Parteikasse. Am Carrefour Chateaudun in Paris erwarb man ein pompöses Gebäude, das als Sitz der französischen KP diente, wo sich die Parteiführer Büros einrichteten, die denen von Petroleummagnaten glichen. Die Kommunisten gründeten außerdem eine neue Boulevardzeitung „Ce Soir“ und eine Nachrichtenagentur „Agence Espagne", deren Leiter der damalige Mitarbeiter Münzenbergs, Otto Katz, wurde.

Daneben lief die Kampagne gegen die Regierung Leon Blum weiter. Die Kommunisten wandten sich an die Sozialistische Partei mit dem Ersuchen, gemeinsame Schritte bei Leon Blum zu unternehmen, um der spanischen Regierung größere Hilfe zu gewähren. Darauf erhielten sie zur Antwort, daß die spanische Frage nicht allein von der französischen Regierung, sondern nur durch internationale Beratungen zu lösen sei. Das hielt die Kommunisten nicht davon ab, gegen die Regierung zu hetzen.

Die spanische kommunistische Parteiführerin Passionaria trat in zahllosen Versammlungen auf. Das Leitmotiv ihrer überschwänglichen Rhetorik lautete: „Nur die Sowjetunion hilft der spanischen Regierung!“ Der Mann von der Straße, der die Zusammenhänge nicht kannte, glaubte ihr und verurteilte die französische Regierung. Er verstand nicht, warum Frankreich der spanischen Volksfront nicht zu Hilfe kam.

Die Krise in der französischen Volksfront verschärfte sich. Ein paar Monate Volksfrontregierung hatten genügt, um den Partnern die Augen zu öffnen. Für die Kommunisten war nur der Wille Moskaus verbindlich; sie waren unzuverlässige Bundesgenossen. Zweifellos trugen auch die Angriffe der französischen Rechten dazu bei, die Volksfront zu zersetzen. Die Rechte hatte nie aufgehört, mit allen Mitteln der Verleumdung und Infamie in ihrer mächtigen Presse gegen die Volksfront-Regierung zu hetzen. Ihr Erfolg wäre geringer gewesen, wenn nicht die Kommunisten durch ihre Haltung zur Schwächung der Volksfront beigetragen hätten.

Die kommunistische Haltung wiederum war nur ein Spiegelbild der sowjetischen Schachzüge. Seit 1934 fürchtete die Sowjetregierung den Krieg, den Hitler entfachen würde. Sie hatte nur ein Ziel, diesen Krieg, wenn er ausbrechen sollte, von ihren Grenzen fernzuhalten. Um Hitler von der Sowjetunion femzuhalten, gab es nur ein Mittel: ihn in den Krieg gegen die Westmächte zu stoßen. Zwar bestand der Nichtangriffspakt mit Frankreich; aber jetzt, während des spanischen Bürgerkrieges, gab es einen Weg, das durch Abrüstung geschwächte Frankreich voranzutreiben und ihm, falls es angegriffen würde, jede Hilfe zu verweigern.

Die Sozialisten lehnen die Einheitspartei ab Der Riß zwischen Kommunisten und Sozialisten sollte sich bald erweitern. Als am 5. Dezember 1936 die Kammer eine Debatte über die Nicht-einmischung in Spanien eröffnete, enthielten sich die Kommunisten bei der Abstimmung der Stimme. Die Beziehungen kühlten sich immer mehr ab.

Anfang März 1937 kam es noch einmal zu einer gemeinsamen Kundgebung zwischen Kommunisten und Sozialisten. Bei einem Zusammenstoß zwischen Kommunisten und rechtsradikalen „Croix de Feu" in Clichy bei Paris waren fünf Kommunisten getötet worden.

Die Beisetzung fand am 17. März statt. Noch einmal marschierten Kommunisten, Sozialisten und andere Gruppen der Volksfront hinter den Särgen einher; aber die Kommunisten fühlten, daß die Stimmung umgeschlagen war. Die große Begeisterung hatte kühler Reserve Platz gemacht.

Zu dieser Zeit veröffentlichte Maurice Thorez seine Autobiographie „Fils du Peuple". Er setzte darin die Bemühungen seiner Partei ins rechte Licht, wobei es ihm auf ein paar Fälschungen mehr oder weniger nicht ankam. Für alle französischen Kommunisten wurde dieses Buch zur Bibel; die anderen sahen darin nur einen Beweis mehr für die Doppelzüngigkeit der Kommunisten. Die Veröffentlichung war nicht dazu angetan, der Volksfront einen neuen Elan zu geben.

Zur gleichen Zeit schlugen die Kommunisten der Sozialistischen Partei vor, sich zu einer Partei zu verschmelzen und dem Beispiel der Gewerkschaften zu folgen. Die Sozialisten wußten, was sie von solchen Vorschlägen zu halten hatten. Sie lehnten nicht rundweg ab. Man bildete eine „Einigungskommission“, die am 13. April 19 37 zum ersten Male zusammentrat. Sie tagte noch einige Male und wurde im No-vember 1937 „bis auf weiteres vertagt" 'm Wirklichkeit wurde sie aufgelöst. Die sozialistische Leitung des Bezirks von Nordfrankreich in Lille gab 1938 eine Broschüre heraus, in der sie auseinandersetzte, warum die Sozialisten die Verbindung mit der „Einigungskommission abgebrochen hatten.

Am 12. November 1937 hatte nämlich die „Humanite" einen Artikel Dimitroffs, des Generalsekretärs der Komintern, veröffentlicht, in dem die Sozialisten aufs schwerste angegriffen wurden. Es hieß dort:

„Die Sozialdemokratie, die einen friedlichen und schmerzlosen Übergang zum Sozialismus versprochen hatte, bereitete in Wirklichkeit durch ihre Kapitulations-und Spaltungspolitik dem Faschismus den Weg.

... Genosse Stalin hat tausendmal recht, wenn er bereits vor zehn Jahren schrieb, man könnte den Kapitalismus nicht überwinden, wenn man nicht mit der Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung Schluß macht. ... In der gegenwärtigen Lage gibt es kein besseres Mittel, die Freunde und Feinde der Arbeiterklasse und des Sozialismus zu unterscheiden, als ihre Haltung gegenüber der Sowjetunion. Man kann kein wahrer Freund der Sowjetunion sein, wenn man nicht ihre Feinde, die trotzkistisch-bucharinistischen Agenten des Faschismus verdammt."

Auf dem Kongreß der französischen KP, der zu Weihnachten in Arles stattfand, proklamierte Thorez diese von Dimitroff gegebene Linie als die der Kommunistischen Partei Frankreichs. Das war das Ende der Einheitsverhandlungen.

Selbstverständlich hatte die Kommunistische Partei von allem Anfang an nicht die Absicht gehabt, eine Einheitspartei zu schaffen. Sie wußte im voraus, daß ihre Verwirklichung unmöglich war. Alle Vorschläge, Gegenvorschläge und die Ausarbeitung großartiger Pläne dienten nur dazu, bei den Arbeitern die Illusion wach-zuhalten, daß die Kommunisten die Einheitspartei wünschten, und daß die Sozialisten an ihrom Nichtzustandekommen die Schuld trugen.

Das Ende der Volksfront Die Stellungnahme Dimitroffs im November 1937 zeigte, daß die Kommunistische Internationale das Experiment als gescheitert ansah. Die französische KP hatte einen großen Teil ihres Ansehens innerhalb der Volksfront verloren. Der spanische Bürgerkrieg hatte gezeigt, daß die französischen Kommunisten trotz ihrer Stärke nicht imstande waren, die Politik wesentlich zu beeinflussen. Leon Blum und seine Nachfolger hatten keine Schritte unternommen, die Frankreich in einen Krieg hineinziehen konnten.

Die Monsterprozesse in der Sowjetunion und die „Große Reinigung" hatten das Ansehen der Sowjetunion in Frankreich schwer beeinträchtigt. Die französischen Kommunisten mußten die Terrormaßnahmen als einzige öffentlich gut-heißen und verteidigen. Die anderen Volksfront-partner waren entsetzt und brachten das öffentlich zum Ausdruck. Sie fanden es immer schwieriger, mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten, die die schlimmsten Greuel der Sowjetregierung, die Schauprozesse und die physische Vernichtung der alten bolschewistischen Kader guthieß.

Anläßlich eines Zwischenfalls im französischen Parlament rief der damalige Ministerpräsident, der Radikale Camille Chautemps, den Kommunisten zu, sie sollten doch aus der Volksfront austreten, wenn ihnen deren Politik nicht paßte. Das geschah am 13. Januar 1938. Noch einmal übten die Sozialisten Solidarität. Ihre Minister traten aus der Regierung aus und stürzten sie.

Am 18. Januar wurde eine neue Regierung Chautemps gebildet, die nur noch aus Radikalen bestand. Sie hielt sich nur zwei Monate und mußte am 10. März zurücktreten.

Am 11. März zog Hitler in Wien ein und proklamierte den Anschluß. Ganz Frankreich verstand, daß die Kriegsgefahr wuchs. Auch ein Teil der französischen Rechten gibt seiner Besorgnis Ausdruck. Leon Blum versucht, eine Regierung zu bilden, die von den Kommunisten bis zur antifaschistischen Rechten gehen soll: „Von Thorez bis Louis Marin“. Aber die Kommunisten lehnen erneut ihre Teilnahme ab, und Leon Blum bildet eine Regierung, die in ihrer Zusammensetzung der ersten Volksfrontregierung gleicht (am 12. März 1938).

Unverzüglich nach Einsetzung der neuen Regierung Blum nahmen die Kommunisten ihre Propaganda für die spanischen Republikaner wieder auf. In der Parlamentsproklamation für die Landesverteidigung brachten sie einen Antrag ein, daß die Regierung der spanischen Regierung Waffen liefern sollte. Der Antrag wurde abgelehnt.

Aber die Grenze zwischen Frankreich und Spanien wurde faktisch dadurch geöffnet, daß die Grenzüberwachung auf französischer Seite erheblich gelockert wurde. Die Kommunisten hätten ohne Schwierigkeiten so viel Waffen nach Spanien liefern können, wie ihnen die spanischen Republikaner in reinem Gold und Kunstschätzen bezahlt hatten.

Aber zu diesem Zeitpunkt war der Sieg der spanischen Republikaner für die Sowjetunion nicht mehr so bedeutungsvoll. Es fragt sich, ob er jemals wichtig warf

Am 8. April 1938 wurde die Regierung Blum wiederum gestürzt. Bei der Neubildung lehnten die Sozialisten eine Beteiligung ab, so daß Edouard Daladier am 10. April eine Regierung bildete, der nicht nur Mitglieder der Volksfront angehörten. Georges Bonnet wurde Außenminister, Paul Reynaud Finanzminister, Georges Mandel Kolonialminister.

Das Münchner Abkommen Nachdem der Anschluß Österreichs gelungen war, forderte Hitler das Sudetenland von der Tschechoslowakei. Seine Drohungen wurden immer schärfer, die Kriegsgefahr rückte immer näher. Die Tschechoslowakei war ein treuer Verbündeter Frankreichs. Nach den bestehenden Bündnissen mußten Frankreich und England eingreifen, wenn die Tschechoslowakei angegriffen wurde. Aber weder Frankreich noch England waren auf einen Krieg vorbereitet; sie hatten ihre Landesverteidigung eingeschränkt. Frankreich besaß nicht genug Flugzeuge; England hatte die Dienstpflicht noch nicht eingeführt.

Die Sowjetunion hatte nur eine Sorge: die Armeen Hitlers von ihren Grenzen fernzuhalten. Mochte er seine Expansionsgelüste befriedigen, indem er nach dem Westen zog. Damit hatte die Volksfrontpolitik für Stalin nicht nur an Bedeutung verloren, sie war vielmehr zu einem Hindernis geworden. Während der Zeit der Volksfrontpolitik hätte Hitler einen Zweifrontenkrieg kaum gewagt. Wenn Stalin wollte, daß sich Hitler nach Westen wandte, durfte er ihn nicht von Osten her bedrohen.

Die Regierung Daladier entschloß sich nunmehr, Frankreichs Verteidigung zu reorganisieren. Alle Rüstungsbetriebe arbeiteten mit Hochdruck, Überstunden wurden genehmigt, die Armee wurde mobilisiert. Es schien unvermeidlich, daß der Krieg wegen der Tschechoslowakei beginnen würde.

Das Münchner Abkommen wandte die Kriegs-gefahr noch einmal ab. Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland schlossen einen Vertrag, wonach sich Hitler das Sudetenland einverleibte. Die Tschechoslowakei verlor ihren Verteidigungsgürtel; sie wurde geopfert. Die Sowjetunion hatte ihre Teilnahme an den Münchner Verhandlungen abgelehnt.

Die französischen Kommunisten entfesselten eine wütende Kampagne gegen das Münchner Abkommen. Ihr Hauptargument, daß die fortgesetzten Konzessionen an Hitler den Krieg hinausschoben und den Diktator stärkten, war richtig. Aber die große Mehrheit der französischen Bevölkerung begrüßte das Münchner Abkommen. Mehrere Jahrgänge der Armee, die bereits eingezogen waren, konnten nach Hause zurückkehren.

Die Kommunistische Internationale nahm ebenfalls gegen die Münchner Verträge in einem Manifest zum 21. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution Stellung. Sie griff die Kapitulanten an, und die französischen Kommunisten nannten sie beim Namen und riefen: „Fort mit Daladier — Bonnet!“ Das Manifest wetterte gegen den faschistischen Angreifer und erklärte, daß es nur ein Mittel gebe, mit aller Kraft gegen den faschistischen Angreifer zu kämpfen. Mit anderen Worten: „Wenn Ihr den Frieden wollt, müßt Ihr in den Krieg ziehen.“

Viele rechtsgerichtete Politiker, deren Wortführer Henri de Kerillis war, nahmen auch ener-gisch gegen München Stellung und warfen der Regierung vor, daß sie die Tschechoslowakei schmählich verlassen hatte. Die Radikalsozialisten dagegen sowie ein großer Teil der Sozialisten, unter ihnen Leon Blum, gehörten zu den Befürwortern des Münchner Abkommens. Andere Sozialisten bekämpften die Verträge. Die Fronten in Frankreich hatten sich vollkommen verschoben. Sie gingen nicht mehr von den Kommunisten zu den Radikalen, sondern es standen sich Befürworter und Gegner des Münchner Abkommens, Munidtois und Anti-Munidiois. in allen Lagern gegenüber.

Am 30. November 1938 riefen die Kommunisten zum Generalstreik auf. Angeblich richtete er sich gegen die Notgesetze des Finanzministers Paul Reynaud, die er zum Schutze der französischen Währung in zukünftigen Krisensituationen erlassen hatte. In Wirklichkeit richtete sich der Generalstreik gegen die Münchner Verträge.

Die Kommunisten versuchten, Fabrikbesetzungen bei Renault und in den Bergwerken des Nordens zustandezubringen. Die Sozialisten lehnten die Teilnahme am Streik ab. Die Regierung Daladier traf Maßnahmen gegen eine Ausweitung des Streiks und setzte Militär und Polizei zum Schutz der Betriebe ein. Die Beämten wurden zwangsverpflichtet. Der Generalstreik wurde zu einer schmählichen Niederlage der Kommunisten. An diesem 30. November wurde die französische Volksfront zu Grabe getragen. Die große Volksbewegung hatte etwas mehr als drei Jahre gedauert.

Auswirkungen für die französischen Kommunisten Die französischen Kommunisten gingen aus der Volksfrontperiode gestärkt hervor. Diese von Moskau befohlene Taktik hatte es ihnen ermöglicht, aus ihrer früheren Isolierung herauszutreten und sich bei den Nachbarparteien, den

Sozialisten und Radikalen, zu rehabilitieren. Mit Hilfe der Wahltaktik hatten sie die größten Erfolge eingeheimst, zahlreiche Posten in Gemeinden und in der Verwaltung wurden von ihnen besetzt.

Es gelang ihnen, in große Massenorganisationen einzudringen, ja sie völlig zu erobern. Die französischen Gewerkschaften gerieten unter kommunistischen Einfluß. Die überwältigende Mehrheit der französischen Arbeitnehmer ist noch heute in der CGT organisiert, und die CGT wird von den französischen Kommunisten geleitet. Die abgespaltene, unter Führung der Sozialisten stehende Gewerkschaft „Force Ouvrire" ist schwach geblieben.

Es gelang den Kommunisten, während der Volksfrontperiode in die Kreise der Intellektuellen, der Künstler und der Wissenschaftler Eingang zu finden. In dem „Komitee der antifaschistischen Intellektuellen“ spielten sie eine führende Rolle. Noch heute bekennen sich führende französische Künstler, von Picasso bis Yves Montant, zur Kommunistischen Partei.

Bei ihrem Versuch, in die Nachbarparteien einzudringen, war den Kommunisten kein Erfolg beschieden. Die Sozialisten wehrten das geschickt ab. Trotzdem entwicklte sich die KPF in jenen Jahren zu einer Massenpartei, und sie hat diese Position als stärkste politische Partei auch im Frankreich der V. Republik bis heute behalten.

IX. Schlußbemerkung

In den vorstehenden Kapiteln wurde im wesentlichen über die Einheits-und Volksfronttaktik der französischen, deutschen und spanischen Kommunisten aus eigenem Erleben berichtet. Es entsprach dem Wesen der Kommunistischen Internationale, diese Taktik in allen Sektionen zur Anwendung zu bringen, wobei in manchen Ländern bemerkenswerte Resultate erzielt wurden.

In Jugoslawien, wo die Kommunistische Partei 1935 in halber Illegalität von inneren Parteidiskussionen geschwächt dahinlebte, gelang es ihr mit der neuen Taktik zum erstenmal in zahlreiche nichtkommunistische Organisationen einzudringen. Ihr Programm war populär. Sie forderte den Kampf gegen den Faschismus, sie trat für die kollektive Sicherheit, für die Einhaltung der Verträge zwischen Frankreich und der Kleinen Entente ein. Sie propagierte die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion. — Es gelang den jugoslawischen Kommunisten, die Leitung der Universität Belgrad an sich zu reißen. Im Verlauf einiger Jahre wurde diese Universität zum Bollwerk des Kommunismus und zu einem der wichtigsten Zentren für die Ausbildung der Kader, die von 1941 ab eine entscheidende Rolle in Jugoslawien spielen sollten

In Brasilien gründeten die Kommunisten 1935 eine „Nationale Freiheitsallianz“. In ihr vereinigten sie demokratische, antiimperialistische und antifaschistische Organisationen. Alle Arbeiterparteien und Gewerkschaften waren ihr angeschlossen. Die Freiheitsallianz, von der die Regierung Vargas erklärte, sie sei das Werk Moskauer Agenten, hatte bald eine Million Mitglieder. Sie bezeichnete sich als die „käwp—----------- -sende Volksfront“. Im November 1935 versuchte die „Freiheitsallianz“ unter Führung des brasilianischen Kommunisten Luis Carlos Prestes durch einen militärischen Aufstand die Macht in Brasilien an sich zu reißen. Der Aufstand scheiterte, weil sich der größte Teil der Armee den Aufständischen nicht anschloß. Die „Freiheitsallianz" wurde verboten und die Führer des Aufstandes verhaftet. Unter ihnen befanden sich zwei Abgesandte der Komintern, der Amerikaner Victor Allan Barron, der im Gefängnis ermordet wurde, und der deutsche Kommunist Arthur Ewert, der jahrzehntelang in brasilianischen Zuchthäusern saß, bis er vor einigen Jahren nach Ostdeutschland ausgeliefert wurde

In Chile schlossen sich die Kommunisten 1938 mit den Sozialisten und linksbürgerlichen Radikalen zu einem Wahlblock auf Volksfront-basis zusammen. Zur Volksfront gehörte dort auch ein sogenannter Befreiungsbund mit nationalsozialistischen Tendenzen, die „Allianza Libertadora“. Mit Hilfe dieses Befreiungsbundes siegte die Volksfront gegen einen Einheitskandidaten der reaktionären Parteien. — Der Radikale Aguiire Cerda, der als neuer Präsident der Volksfront-Koalition sein Amt antrat, erklärte in seiner Antrittsrede, die französische Volksfront wäre daran gescheitert, daß die ungeduldigen Massen übermäßige Forderungen an ihre Regierung gestellt hätten.

Am erfolgreichsten wirkte sich schließlich die Anwendung der Volksfronttaktik in China aus. Nah jahrelangen Kämpfen der Zentralregierung gegen die kommunistishen Guerillatruppen, die dezimiert und in den Norden Chinas abgedrängt worden waren, shloß Tschiangkaishek auf Anraten Moskaus und Washingtons am 7. Juli 1937 ein Einheitsfrontabkommen mit den Kommunisten. Sie sollten der Zentralregierung bei ihrem Kampf gegen die japanishen Armeen zur Hilfe kommen. Man kann ohne Übertreibung feststellen, daß dieses Abkommen den hinesishen Kommunisten den Weg zur Eroberung der Mäht in ganz China öffnete „Kommunismus und Krieg"

Als sich Hitlers Expansionsdrang endgültig nach Osten richtete, als die Tschechoslowakei verloren ging und Hitler seine Hand nah Polen ausstreckte, hatte die Volksfronttaktik für die russishe Außenpolitik jegliches Interesse eingebüßt.

Die sowjetische Führung bereitete die neue große Wendung vor. In seiner Rede auf dem 18. Parteitag der sowjetischen KP ließ Stalin am 10. März 1939 schon erkennen, wohin der Weg führte. Er sagte:

„Wir sind für den Frieden und wollen unsere Beziehungen zu allen Ländern festigen. Wir halten an dieser Linie fest und werden sie so lange befolgen, wie diese Länder uns gegenüber dieselben Beziehungen zu unterhalten wünshen und sie die Interessen unseres Lande? niht verletzen.

Wir unterstützen alle Völker, die an-gegriffen werden, oder die für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes kämpfen.“

Kein Wort mehr gegen den Faschismus — eine Erklärung völliger Neutralität. Wenn Chamberlain und Daladier den letzten Satz so auffaßten, daß Stalin mit ihnen zusammen Polen helfen würde, und wenn sie zu diesem Zweck ihre Militärkommissionen nach Moskau schickten, so sahen sie sich bitter enttäuscht. Am 23. August 1939 verbündete sich Stalin mit Hitler; der deutsch-russische Vertrag, der die Teilung Polens enthielt, wurde abgeschlossen. Hitler hatte nun den Rücken frei, um sich gegen die westlichen Demokratien zu wenden, nachdem er Polen mit seinem neuen Verbündeten vernichtet hatte.

Die Kommunistische Internationale trug der »veränderten Situation mit einer veränderten Taktik" Rechnung, wie sich Dimitroff in seiner Rede „Kommunismus und Krieg“ am 6. November 1939 auf der Tagung des EKKI der Komintern ausdrückte. Seit dem 23. August 1939 waren die Kommunisten aller Länder zu Hilfstruppen für den Stalin-Hitlerpakt geworden.

Dimitroff erklärte auf dieser Tagung die Volksfrontpolitik für beendet. Zwar habe sie den Ausbruch des Krieges in Europa hinausgeschoben und sei als Taktik auch weiterhin in China und auch in kolonialen und abhängigen Ländern anwendbar, deren Völker einen Kampf für ihre nationale Befreiung führen.

Die Kommunisten in den westlichen Ländern, die gegen Hitler Krieg führten, forderte Dimitroff jedoch auf, alle Beziehungen zu den Sozialisten abzubrechen, weil diese den Krieg gegegen Hitler unterstützten. Wörtlich sagte er zu diesem Punkt: „Die Kommunisten können keine wie auch immer geartete Einheitsfront mit solchen Leuten eingehen, die in gemeinsamer Front mit den Imperialisten kämpfen und den verbrecherischen volksfeindlichen Krieg (gegen Hitler!) unterstützen."

Damit hatte die Kommunistische Internationale den Schlußstrich unter die Volksfront-periode der dreißiger Jahre gezogen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Lenin, Ges. Werke, Bd. XI. S. 220.

  2. EKKI = Exekutiv-Komitee der Kommunistischen Internationale.

  3. Frick war von Januar 1930 bis zum 1. April 1931 von einer bürgerlichen Mehrheit zum thüringischen Innenminister gewählt worden. Während seiner Amtszeit versuchte er mit einem Ermächtigungsgesetz die Gesetzgebung des Landtags auszuschalten und betätigte sich in allen Behörden als Nationalsozialist. Nach seinem Sturz wurde bekannt, daß er versucht hatte, Hitler durch Ernennung zum Gendarmerie-Kommissar in Hildburghausen die deutsche Staatsangehörigkeit zu verschaffen. Hitler nahm die Ernennung nicht an, er wurde kurz darauf in Braunschweig zum Regierungsrat ernannt und dadurch deutscher Staatsbürger.

  4. Buber-Neumann: , Von Potsdam nach Moskau" S. 284.

  5. Albert Schreiner: . Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft“ 1954.

  6. Nadi seinem Ausschluß begann Doriot, „Enthüllungen" über seine Erfahrungen mit Moskau zu veröffentlichen, über die Finanzierung der kommunistischen Parteien und hundert andere interne Dinge, die er aus eigener Erfahrung kannte Langsam glitt er in das Fahrwasser der Rechten. Er gründete eine neue Partei, die PPF (Parti Populaire Francaise), die starke faschistische Züge aufwies und bald in Berlin Anschluß fand. Im Gegen-satz zur Volksfront, die er heftig bekämpfte, propagierte Doriot einen modus vivendi Frankreichs mit Deutschland. Es kam zu Besuchen in Berlin. Während der deutschen Besatzung in Frankreich stützten sich die Nationalsozialisten auf ihn und seine Partei. In Deutschland, wohin er 1944 mit der französischen Vichy-Regierung geflüchtet war, fand er bei einem Bombenangriff den Tod.

  7. Rede Manuilskis vor Leningrader Arbeitern über den VII. Weltkongreß.

  8. Neumann wurde 1928 von Stalin zur Arbeit in der deutschen KP nach Berlin geschickt. Er war zuvor als Abgesandter der Kommunistischen Internationale in Kanton gewesen, wo er zur Rechtfertigung der Stalinschen Politik einen Aufstand entfesselt hatte, der von Tschiangkaischek blutig niedergeschlagen wurde. Neumann ging der Ruf voraus, ein Draufgänger und ein Linker zu sein, ein Mann, der bereit war, gegen alle sozialdemokratischen Abweichungen den Stalinschen Kurs durchzusetzen.

  9. Die Gruppe „Neu Beginnen" hatte in einer im Mai 1933 in Prag-Karlsbad erschienenen Programm-schrift gleichen Namens jede Zusammenarbeit mit der KPD und der III. Internationale grundsätzlich abgelehnt. Der Leiter ihres Auslandsbüros, Karl Frank, hielt jedoch Beziehungen zur KPD aufrecht

  10. Kurt Kersten in „Neue Rundschau“, Mai 1957.

  11. Mitteilungsblätter der Freiheitsbibliothek, Mai 1936.

  12. Die SAP (Sozialistische Arbeiter-Partei), im Herbst 1931 von den linken Sozialdemokraten Kurt Rosenfeld und Max Seydewitz gegründet, rekrutierte sich aus oppositionellen Sozialdemokraten, die mit der Politik des Parteivorstandes nicht einverstanden waren und eine Politik des Klassenkampfes forderten. Ihre Massenbasis befand sich in Sachsen. Ihre führenden Funktionäre standen in engen Beziehungen zur KPD. Die SAP bemühte sich vergeblich, eine Brücke zwischen SPD und KPD gegen die vorrückende braune Gefahr zustande zu bringen. Um ihre Basis zu verbreitern, traten die SAP-Mitglieder Seigewasser und Klaus Zweiling an die KPO — eine 1928 aus der KPD ausgeschlossene rechte Oppositionsgruppe — mit der Aufforderung zur Mitarbeit in der SAP heran. Die Majorität der KPO mit Heinrich Brandler, Leo Borochowitsch, August Thalheimer und Albert Schreiner sprach sich gegen eine Mitarbeit aus. Die Minderheit mit Paul Frölich, Jakob Walcher, Max Koehler, Rosi Wolfstein und anderen trat in die SAP ein; einige von ihnen wurden in die Leitung übernommen Im Februar 1933 lösten Seydewitz und Rosenfeld die SAP auf, ohne die Mitglieder vorher zu informieren. Seigewasser, Gertrud Dueby, Seydewitz und andere Funktionäre traten zur KPD über. Auf einer illegalen Rumpf-konferenz am 18. März 1933 bei Dresden wählten die verbleibenden Mitglieder, die gegen die Auflösung protestiert hatten, eine neue Leitung In der Emigration bildeten sich SAP-Gruppen in mehreren Ländern Sie umfaßten junge linkssozialistische Kader und erfahrene oppositionelle Kommunisten.

  13. Für die Sozialdemokraten unterschrieben: R. Breitscheid, A. Grzesinski, M. Braun, Dr. Denicke, Toni Sender, S. Marck, E. Drucker, A. Meusel, A. Braunthal, J. Lips, Kirschmann, H. Hirschfeld, M. Hoffmann, Br. Süß, S. Aufhäuser, K. Böchel, A. Schifrin, R Kirn (Hilferding), B. Menne, O. Friedländer; für die SAP: W. Brandt, H. Diesel, K. Franz, R. Frey, Dr. Fried, J. Ewas, M. Koch, K. Sachs, J. Schwab, Tb. Vogt; für die KPD: W. Pieck, W. Florin, W. Ulbricht, F. Dahlem, K. Funk, P. Merker, W. Münzenberg, Ackermann, Weber, Bertz, W. Koenen, Ph Daub, H. Gräf, Ph. Dengel. Außerdem unterzeichneten dreißig Schriftsteller, Künstler und Publizisten, von denen mehr als die Hälfte der KPD angehörte.

  14. Willy Urban, Mitglied des Bundestages, SPD, gab wertvolle Aufschlüsse über die Tätigkeit der Gruppe „Deutsche Volksfront“, der er von 1936 bis zu seiner Verhaftung 1938 angehörte.

  15. Brill verbrachte 5 Jahre im Zuchthaus Brandenburg und kam anschließend in das KZ Buchenwald. Dort stand er bald an der Spitze eines heimlich von Häftlingen aus 16 Nationen gebildeten Volksfrontkomitees. Er stellte nach kurzem Lager-aufenthalt fest, daß das Lager Buchenwald politisch von den Kommunisten beherrscht war, und daß die Kommunisten die Volksfront nur als Brücke zu nichtkommunistischen Kreisen benutzen wollten. — Nadi der Befreiung veröffentlichten die sozialistischen Insassen des Lagers das sogenannte Buchen-wälder Manifest, in dem sie sich von den Kommunisten abgrenzten und sich zum demokratischen Sozialismus bekannten. Nach kurzer Tätigkeit in dem zuerst von Amerikanern besetzten Thüringen ging Dr. Brill nach Hessen, wo er bis zu seinem Tode publizistisch und politisch in der SPD wirkte. O. Brass, damals schon 65jährig, verblieb im Zuchthaus Brandenburg und wurde auf dem Todes-marsch der Gefangenen im April 1945 von der Roten Armee befreit. Die russischen Behörden hatten ihn bereits überall gesucht, um ihn zur politischen Arbeit heranzuziehen. Er wohnte bei Wilhelm Piecks Sohn Arthur in Berlin-Lichtenberg und wurde von den Russen als sozialdemokratischer Vertreter zusammen mit zwei anderen Sozialdemokraten, drei Kommunisten und einem christlichen Gewerkschaftsvertreter (Jakob Kaiser) für die Neugründung der Gewerkschaften vorgeschlagen Im Laufe der Verhandlungen ging Brass offen zu den Kommunisten über und leitete die neugegründeten Gewerkschaften bis 1946 im kommunistischen Sinne. Er starb vor einigen Jahren in Ost-Berlin. Oskar Debus verstarb im Zuchthaus Brandenburg. Franz Petrich befand sich im Zuchthaus Sonnenberg und wurde beim Herannahen der russischen Armee mit sämtlichen politischen Gefangenen von der SS erschossen.

  16. Siehe: Branko Lazitch, Tito et la Revolution Yougoslave, Paris Fasquelle, 1957.

  17. Siehe: Octavio (Heinz Neumann), Carlos Prestes, ein Freiheitsheld, Moskau, 1936.

  18. Siehe: Suzanne Labin: »La Condition Humaine en Chine Communiste“, Paris, 1960.

Weitere Inhalte

Anmerkung: Babette L. Gross, 1898 in Potsdam geboren, Verlegerin von Beruf. Mitglied der KPD von 1921 bis 1937. Lebensgefährtin und politische Mitarbeiterin des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Willi Münzenberg. Von 1923 bis 1933 Leiterin des Neuen Deutschen Verlages, Berlin. Emigration nach Frankreich, dort Herausgeberin antihitlerischer Bücher und Zeitschriften in den Editions du Carrefour, Paris. 1937 Bruch mit den Kommunisten. 1938 Verlagsleiterin der Wochenschrift . Die Zukunft*, Paris. 1941 Emigration nach Mexico. Seit 1947 in Frankfurt und Berlin freiberuflich tätig.