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Birger Forell und der Kirchenkampf in Deutschland | APuZ 29/1962 | bpb.de

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APuZ 29/1962 Birger Forell und der Kirchenkampf in Deutschland

Birger Forell und der Kirchenkampf in Deutschland

HARALD v. KOENIGSWALD

Auf einer Gedenktafel am Haus der schwedischen Viktoriagemeinde in Berlin ist Forells Wirken in kurzen Sätzen charakterisiert: . 1929— 42 schwedischer Pfarrer in Berlin, Schützer und Retter vieler Verfolgter 1933.. 45i Helfer und Freund der deutschen Kriegsgefangenen in England; er schuf die Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe, um vertriebenen Bauern neue Heimat zu geben; seiner Entschlossenheit ist die Gründung der Flüchtlingsstadt Espelkamp zu danken.“

Wir bringen im folgenden einen Ausschnitt mit bisher unveröffentlichtem Material aus dem Leben Forells wahrend der Zeit des Nationalsozialismus und seines Wirkens als Verbindungsmann der Ökumene zur Bekennenden Kirche im Kirchenkampf.

Es ist ein Vorabdruck aus der demnächst im Eckart-Verlag, Witten/Ruhr, erscheinenden Biographie: „Der fröhliche Bettler. Aus den Papieren Birger Forells" von Harald v. Koenigswald.

Ein offenes Ohr für Not

Während die Wochenschauen und Illustrierten nicht genug tun können, Bilder von begeisterten Massen zu bringen, die der neuen Regierung zujubeln, ist für Forell das erste, was ihm nach der nationalsozialistischen Machtübernahme begegnet, die Bedrängnis der Menschen, die wegen ihrer politischen Gesinnung oder ihrer Rasse-zugehörigkeit durch die Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung in ihrer Existenz getroffen sind. Durch seine ökumenischen Bemühungen um die Erhaltung des Weltfriedens und der Völkerverständigung reicht sein deutscher Bekanntenkreis bis weit in die politische Linke hinein, zu den religiösen Sozialisten um Professor Siegmund Schultze, über die nun die nationalsozialistische Verfolgungswelle hereinbricht, sie aus ihren Stellungen wirft, sie mit dem Konzentrationslager bedroht, wenn sie sich nicht durch Flucht ins Ausland retten können. Hier sieht Forell sofort die dringende Notwendigkeit zu helfen.

Es mag sich in den Kreisen der Verfolgten sehr rasch herumgesprochen haben, daß der schwedische Pastor in Berlin ein offenes Ohr für ihre Not hat und daß er bereit ist, seine ausländischen ökumenischen Beziehungen für sie einzusetzen. Eine Fülle von Bitten und Hilfsgesuchen wird an ihn herangebracht; es wird die immer schmerzender anschwellende Melodie der nächsten Jahre sein, solange Forell in Berlin ist. Schon im Juni 1933 gibt es einen Hinweis in Forells Briefen auf seine Bemühungen für diese Menschen — es sind offensichtlich nicht die ersten gewesen. Am 1. Juni 1933 schreibt er an Pastor Niels Carlström, der beim Erzbischof Eidern ist, nach Upsala: „Ich habe in den letzten Tagen mit interessierten Menschen über die Hilfsaktion gesprochen und werde vielleicht recht bald einen Entwurf von einem wissenschaftlich geschulten . wirtschaftlichen Berater'bekommen, der einen Vorschlag für eine Kolonisation in fremden Erdteilen macht, also ein Projekt in größerem Stil; aber ohne solche Projekte bleibt das Ganze Stückwerk . . .“

Es gibt zwei Notizen — die eine undatiert, wahrscheinlich aus dem Spätsommer 193 3, die andere vom 24 Januar 1934 -über Geldhilfen, die deutlich werden lassen, daß Forells Aktivität von Anfang an nicht auf Berlin begrenzt bleibt, sondern sich auch der Freunde bedient, wie Frau Martens-Edelmann in Leipzig um zu helfen, wo Hilfe nötig ist Zum Teil sind es geringe Beträge — Forell hatte offenbar sehr wenig Geld zur Verfügung —, aber es mag doch eine Hilfe gewesen sein, vor allem ein tröstender Zuspruch in einem Augenblick, als für die Betroffenen sich der frühere Bekanntenkreis, aufgehetzt durch nationalsozialistische Parolen, oft brutal verschloß oder vom gleichen Schicksal getroffen worden war. »Eine Familie mit vier Kindern hatte bei dem plötzlichen Verlust der Existenz-möglichkeit, um leben zu können, schließlich die Wäsche in einem Pfandleihhaus versetzt. Diese konnte mit 20, — RM eingelöst werden. Bei einer Familie kam gerade in der Zeit, wo der Mann das Brot verlor, eine notwendige Operation der Frau hinzu. Ihr wurde mit 10, — RM der gute Wille gezeigt. Der Frau eines Akademikers, Privatgelehrten, Mutter eines Kindes, wurde, da dem Mann die Unterrichtsmöglichkeit und damit seine einzige Existenzgrundlage verlorenging, 10, — RM gegeben. Eine Frau mit einem Kind mußte, als der Mann die Arbeit verlor, umziehen (ein Fall, der wie begreiflich, sehr häufig mit dieser Situation verbunden ist). Sie erhielt 10, — RM zu den Umzugskosten. Häufig stellen sich auch durch die Aufregungen schwere körperliche Schädigungen ein So hatte ich zwei Fälle, in denen bei der Frau Lähmungserscheinungen eintraten. Eine war nebenberuflich Zahnärztin und hatte versucht, damit den ausgefallenen Verdienst des Mannes zu ersetzen und konnte das mit dem lahmen Arm nun nicht. In beiden Fällen wurden Beihilfen gegeben Bei Dr. P„ früherer Mitarbeiter von Siegmund Schultze, trat bald nach dem Verlust der Stellung eine Nierenkrankheit auf. Er hat vier Kinder. Er begann einen Buchvertrieb, scheint ihn aber nicht fortsetzen zu können. 20, — RM Frau Studienrat S. ist Mutter von fünf Kindern und mußte sich nach Eintritt der Erwerbslosigkeit des Mannes einer Operation unterziehen. 20, — RM. Der Mann schrieb zuerst trostlos, dann unbeschreiblich dankbar. Ein anderer Betrag wurde auf rund zwanzig Familien verteilt, die alle den Religiösen Sozialisten angehören, einer Vereinigung, die aufgelöst wurde und deren Leiter Bernhard G(örin) g als Seelsorger und Armenpfleger zugleich eine heldenhafte Arbeit ausführt, um den Mut bei seinen Gesinnungsgenossen aufrechtzuerhalten, die zum größten Teil aus Arbeitern, Handwerkern und kleinen Leuten bestehen ... — an Bernhard G(örin) g selbst gegeben, der Gewerkschaftssekretär war, alles durch die Umwälzung verloren hat und sich mit einem kleinen Rauchwarengeschäft durchzuschlagen versucht. Nur seine Namensgleichheit mit einem bekannten Mann in Preußen hat ihn vor der Verbringung in ein KZ geschützt. Hat für seine Frau und alte Mutter zu sorgen. Das Geschäft bringt nicht im entferntesten das Notwendige ein. — Der Juden-missionar W. in Köln stand vor der Exmittierung aus seiner Wohnung, als ich bei meinem Besuch in Köln davon erfuhr. Die Judenmission hat seit 1932 zwei Drittel ihres Kollektenaufkommens verloren und mußte umfassende Einschränkungen vornehmen. W. wurde fristlos entlassen unter Fortzahlung nur eines Monatsgehaltes. -Dr. Zenker, ein religiöser Sozialist aus Hessen, 3 5 Jahre alt, mit Frau und drei Kleinkindern, wurde aus seiner Stellung als Studienrat ohne Pension entlassen, weil er vor einigen Jahren ein paar . gefährliche'Äußerungen im Unterricht und Vortrag gemacht hatte. Völlig mittellos. Wurde durch den Versöhnungsbund im Sommer nach England geschickt, um eine Anstellung zu finden. Noch nicht entschieden. In der Zwischenzeit hat sich die Familie durch diesen und andere Beiträge von Freunden durchgebracht. Ein sehr bemitleidenswerter Fall, deshalb habe ich es für richtig gehalten, mehr regelmäßige Unterstützungen zu geben. — Kommunist, jung, hingerichtet ohne eines politischen Verbrechens überführt zu sein. Die Witwe führt einen heldenhaften Kampf für ihre zwei kleinen Kinder ... — Professor K. Fuchs, bekannter religiöser Sozialist, zeitweise ohne Gehalt, jetzt bessergestellt . . .(Es ist der Vater des späteren „Atomspions“ Klaus Fuchs.)

Diese Aufzählung ist keineswegs erschöpfend, aber sie mag einen Einblick in die Vielfältigkeit der Schicksale geben, denen Forell zu helfen versucht. Noch ist diese Hilfe ganz unorganisiert — sie wird es unter der nationalsozialistischen Herrschaft nie anders sein können —, aber später stellten Forells ausländische Freunde ihm mehr Mittel für diesen Zweck zur Verfügung. Und zur gleichen Zeit beginnt eine lange, lange Liste von deutschen Pfarrern, die sich an Forell wenden mit der Bitte, ihnen zu helfen, irgendwo im Ausland eine Pfarrstelle zu bekommen, weil sie in Deutschland nach nationalsozialistischer Auffassung längst vor den Nürnberger Gesetzen „untragbar“ geworden waren. Gleichzeitig wächst die Sorge um die vielen anderen, die Verfolgung zu fürchten haben und doch bis zum letzten in ihrem ihnen aufgetragenen Amt standhalten wollen, weil sie in wichtiger, fruchtbarer Arbeit stehen, wie Forell von einem von ihnen schreibt: „Er ist ein junger, sehr feiner, tapferer Mensch. Doch bangen wir, ob er uns und gerade dieser Arbeit erhalten bleibt. Vorgestern war er zu dem Landeskirchenamt bestellt, um verhört zu werden. Die Schriftleitung seines Gemeindeblattes ist ihm aus der Hand genommen — was wird folgen? Und gerade jetzt hatte er endlich erreicht, daß er Sprechstunden abhalten konnte, wo er mit den Menschen allein reden und ihre Sorgen um die Fa-milie usw. hören konnte, die er dann weitergab, um zu helfen. Wenn man hier nur irgendeinen Weg fände, ihn seiner Stelle zu erhalten!

Eine Flutwelle von Sorgen und erschütternden Schicksalen, von Angst und Gefährdung stürzt auf Forell ein und fordert seine Menschlichkeit.

Beginn des Kirchenkampfes

Der Kampf der Nationalsozialisten gegen die Kirche bricht schon wenige Wochen nach der Machtergreifung offen aus. Hitler eröffnet den neugewählten Reichstag am 21. März 1933 mit einem Staatsakt in der Potsdamer Garnison-kirche. Große Festgottesdienste der evangelischen und der katholischen Abgeordneten gehen in anderen Potsdamer Kirchen dem Staatsakt voraus (Hitler nimmt an keinem der beiden teil). In den darauffolgenden Wochen werden mit pompösen Parteiaufmärschen Massentrauungen von SA-Leuten vollzogen, die ihre oft jahrelang schon zurückliegenden Eheschließungen nun kirchlich „nachholen“. Die neue Reichs-regierung proklamiert, daß sie „mit ihrem Sieg über den Bolschewismus zugleich den Feind überwunden habe, der auch das Christentum und die christlichen Kirchen bekämpfte und zu zerstören suchte". Es gibt schließlich den Satz im Parteiprogramm, daß die Partei „den Standpunkt eines positiven Christentums vertrete, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden“. Dies alles ist Tarnung, bewußte Irreführung der Massen, die an den „frommen" Führer glauben soll, „der täglich in seinem Neuen Testament liest“.

Im Grunde hatte Hitler schon früh sehr eindeutig den Totalitätsanspruch seiner Partei gegenüber den Kirchen gestellt: „Die Weltanschauung ist unduldsam und kann sich mit der Rolle einer Partei neben anderen nicht begnügen, sondern fordert gebieterisch ihre eigene, ausschließliche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen. Sie kann also das gleichzeitige Weiterbestehen einer Vertretung des früheren Zustandes nicht dulden.“ — Das Unglück war nur, daß so wenige Hitlers Buch „Mein Kampf" wirklich gelesen hatten und noch wenigere es ernst nahmen. Es bedurfte gar nicht mehr der Rosenbergsdien Begründung dessen, was unter „positivem Christentum“ im nationalsozialistischen Sinne zu verstehen sei: „Wir erkennen heute, daß die zentralen Höchstwerte der römischen und protestantischen Kirche als negatives Christentum unserer Seele nicht entsprechen, daß sie den organischen Kräften der nordisch-rassisch bestimmten Völker im Wege stehen, ihnen Platz zu machen haben, sich neu im Sinn eines germanischen Christentums umwerten lassen müssen. Das ist der Sinn des heutigen religiösen Suchens__" Aber auch das nahmen nur sehr wenige zur Kenntnis.

Innerkirchliche Probleme schwächen den Widerstand

Die evangelische Kirche befand sich im Augenblick als der Kirchenkampf begann, schon lange in einer inneren Krise, die den Widerstand gegen den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus wesentlich schwächte. Nach der Auflösung der engen Bindung der einzelnen Landes-kirchen an die deutschen Fürstenthrone nach der Revolution von 1918 — der Kaiser war bis dahin „summus episcopus" der evangelischen Kirchen in Preußen gewesen — hatten sich die Landes-kirchen sehr lose 1922 zu einem „Kirchenbund" zusammengeschlossen, in dem jede ihre Selbständigkeit zu wahren gewußt hatte. Eine einheitliche, straffe Führung war nicht möglich.

Je mehr aber in der Aufweichung der Weimarer Republik die Meinung um sich griff, daß ein Ausweg aus den innen-wie außenpolitischen Schwierigkeiten nur in einer Konzentration der politischen Kräfte gefunden werden könne (die Nationalsozialisten profitierten mit ihrem „Führerprinzip" bei den Massen am meisten davon), um so stärker machten sich auch in den evangelischen Kirchen Tendenzen bemerkbar, die im kirchlichen Bereich ihre Hoffnung, die Krise zu überwinden, in einer neuen, straffen Führung, in einer Zusammenfassung der Kräfte sahen. Viele im nationalgesinnten Bürgertum übertrugen ihre Faszination vom „Führerprinzip" durchaus gutgläubig von der politischen auf die kirchliche Ebene. „Christlich-nationaler Bekennerbund", „Vereinigung für positives Christentum und deutsches Volkstum" nannten sich Gruppen, mit denen die Nationalsozialisten zuerst bei den allgemeinen Kirchenwahlen Anfang 1932 Einfluß auf kirchliche Fragen gewannen. Im März 1932 trat die „Glaubensbewegung Deutscher Christen“ unter Führung des demagogischen Pfarrers Hossenfelder in Erscheinung, die in enger Anlehnung an die nationalsozialistische Partei eine Reichskirche forderte, in der das „Führerprinzip" gelten sollte. Dem neu zu wählenden Reichsbischof sollte eine Machtstellung gegeben werden, wie sie nicht einmal der Papst in der katholischen Kirche hatte. Die zu er neuernde Kirche sahen sie an „als die Kirche der deutschen Christen, das heißt der Christen arischer Rasse".

Schützenhilfe durch die „Deutschen Christen"

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gewann diese Gruppe starkes politisches Gewicht. Mit ihr gedachte die Partei die evangelischen Kirchen „gleichzuschalten“. Im Vordergrund stand die Frage der Reichskirche und des Reichsbischofs; und fern dem weltweiten Sinn der christlichen Botschaft, in enger völkischrassischer Einschnürung, die Forderung der „Deutschen Christen“, daß die Kirche auch für sich den „Arierparagraphen“ des Nationalsozialismus anerkenne und sich ihm unterwerfe.

Es war nur selbstverständlich, daß diejenigen in der Kirche, die eine „Gleichschaltung“ ablehnten und aus religiöser Überzeugung der Verfälschung des christlichen Glaubens und der Kirche durch rassische Gesichtspunkte nicht zustimmen konnten, sich entschieden gegen den nationalsozialistischen Anspruch der „Deutschen Christen“ zur Wehr setzten. Es ging nicht nur um organisatorische Fragen; hier waren grundsätzliche Dinge der Kirche und des Glaubens betroffen, der innerste Kern der Gehorsamspflicht im Glauben und der Zeugenbereitschaft für die Lehre Christi gegen den nationalsozialistischen Totalitätsanspruch. Noch lag es im Interesse der Partei wie der nationalsozialistischen Regierung, den ausgebrochenen Kampf nach außen hin als eine rein innerkirchliche Angelegenheit und als „Pfaffengezänk" darzustellen. Die „Deutschen Christen“ ließen sich bereitwillig als „fünfte Kolonne" der Partei gebrauchen, um das Ziel zu erreichen, das Alfred Rosenberg in seinem „Mythos des 20. Jahrhunderts" als „germanisches Christentum" fordert: „Ein Mann oder eine Bewegung, welche diesen Werten zum vollkommenen Sieg verhelfen wollen, haben das sittliche Recht, das Gegnerische nicht zu schonen. Sie haben die Pflicht, es geistig zu überwinden, es organisatorisch verkümmern zu lassen und politisch ohnmächtig zu erhalten ..."

Im April 1933 berief Hitler den Königsberger Wehrmachtspfarrer Ludwig Müller, einen eifrigen Nationalsozialisten, zu seinem „Vertrauensmann in Angelegenheiten der evangelischen Kirchen". Die „Deutschen Christen" stellten ihn freudig als Kandidaten zum Reichs-bischof auf, aber die Leitungen der Landes-kirchen wählten Friedrich von Bodelschwingh, den Leiter der großen christlichen Anstalten in Bethel, eine ehrwürdige Erscheinung, die nicht für die „deutsch-christlichen“ nationalsozialistischen Ideen zu gewinnen war.

Jetzt griff der Staat ein. Ein Mann, „der den Geist des nationalsozialistischen Staates geradezu in Reinkultur verkörperte", Dr. August Jäger, wurde zum Staatskommissar der größten evangelischen Landeskirche, der Kirche der Preußischen Union, ernannt; die bisherigen Landeskirchenvertretungen wurden aufgelöst und ihre Leiter, die Generalsuperintendenten, für abgesetzt erklärt. Nur einer von ihnen, Dibelius, Generalsuperintendent der Mark Branden-burg, widersprach mutig und entschieden; die anderen glaubten sich den Maßnahmen der „Obrigkeit“ fügen zu müssen. Auch Friedrich von Bodelschwingh fand bei den einzelnen Landeskirchen, die ihn hätten stützen sollen, keine Bereitschaft, gegen den Willen des totalen Staates zu handeln, so daß er auf sein Amt verzichtete, ohne es je angetreten zu haben.

Gegen eine solche Behandlung kirchlicher Fragen protestierte der alte Reichspräsident von Hindenburg in einem Brief an Hitler. Der Präsident des Oberkirchenrates, Geheimrat Karnatz, reichte eine Klage gegen den preußischen Staat beim Staatsgerichtshof ein. Darauf lenkte Hitler ein. Es wurden vom Staat für ganz Deutschland unverzüglich allgemeine Kirchen-wahlen ausgeschrieben, obwohl nur die Kirche das Recht gehabt hätte, Wahlen anzuordnen. Sie sollten über die „Gleichschaltung" der Kirchen und das Reichsbischofsamt Ludwig Müllers entscheiden.

Die Härte des Angriffs ist offenbar.

In diesen kritischen Tagen ist Forell mit dem Rektor der Berliner Universität zusammen: „Ich sehe noch Adolf Deissmann vor mir, wie er sich ans Fenster stellte und auf die Linden und Friedrichs des Großen Reiterstandbild blickte. Er stand lange und trommelte auf die Fensterscheiben, und schließlich fragte er mit einer gewissen Hilflosigkeit: , Was sollen wir tun?'Ja, ich armer schwedischer Pfarrer, was sollte ich in dieser Situation antworten? Ich sagte schließlich: , Ich glaube, man kann damit rechnen, daß das, was jetzt mit der Kirche geschieht, nämlich die Gleichschaltung, in einigen Monaten auch auf die Universitäten angewandt werden wird. Können Sie nicht Ihre 23 Kollegen von den deutschen Hochschulen nach Berlin holen? Vorläufig kann man wohl noch frei mit seinen Kollegen sprechen und beschließen, was zu geschehen hat, wenn der Tag kommt.'Wieder sah Deissmann auf die Straße Unter den Linden hinunter, wandte sich dann um und sagte: „Ich glaube nicht, daß meine 23 Kollegen kommen werden, denn keiner von ihnen glaubt, daß die Lage ernst ist ..." Er hatte mit seiner Beurteilung der Lage recht. Es kam zu keiner Konferenz der Rektoren, und im übrigen kam es so, wie man es sich gedacht hatte. Es dauerte nicht lange, und die Gleichschaltung der Hochschulen begann ..."

Unterrichtung der ökumenischen Brüder

Forell hat gewiß nicht die Absicht gehabt, sich in den Streit um innerdeutsche Fragen hineinziehen zu lassen, aber es zwingt ihn, sehr eindeutig und entschlossen zugunsten der Angegriffenen und Verfolgten Partei zu nehmen. Er ist trotz allen starken, warmherzigen Gefühls enger Verbundenheit mit dem deutschen Volk bewußt und korrekt schwedischer Staatsangehöriger, dem es nicht ansteht, sich mit seiner Meinung in die Öffentlichkeit zu drängen. Aber geht es jetzt nicht um mehr als um innerdeutsche Fragen? Geht es nicht, wie er im März an Rudolf Otto geschrieben hatte, „um den Bestand dieses Volkes"? Richtet sich der nationalsozialistische Angriff gegen die Kirchen nicht gegen das Christentum überhaupt? Darf die Ökumene, wenn sie eine lebendige Gemeinschaft der christlichen Kirche ist, es stillschweigend hinnehmen, daß eines ihrer Glieder, das Vaterland Martin Luthers, in solche Bedrängnis gerät, daß die Verkündigung des Wortes Gottes dabei in Frage gestellt ist? Er, der überzeugte Verfechter des ökumenischen Gedankens, weiß seine Verantwortung. „So ein Glied leidet, leiden alle" setzt er gleich mit der Devise, unter der die Ökumene steht „ut omnes unum sint". Er sieht die Gefährdung aller Kirchen, er sieht unermeßliches Leid der einzelnen Glieder, den Angriff auf die Lehre Christi, er darf dazu nicht schweigen.

Auf den Straßen werden Flugblätter und Streitschriften gegen die christlichen Glaubensgrundsätze verteilt, die Presse ist voll mit entstellenden Nachrichten und Angriffen gegen die Kirche. Die Propaganda der „Deutschen Christen“ läuft auf hohen Touren. Forell sammelt diese Zeugnisse eines gehässigen Kampfes. Die ökumenischen Brüder müssen wissen, was mit Kirche und Christentum in Deutschland geschieht. Sie müssen die Tatsachen kennen.

Er schickt eine Auslese dieser Pamphlete ins Ausland. „Ich tue es aus eigener Verantwortung vor Gott und in dem Auftrag von keinem Menschen“, schreibt er an den holländischen Staatsminister Slotemaker de Bruine, den er bei einer Veranstaltung in Berlin kennengelernt hat, „es geht in diesen Tagen um so vieles, was uns evangelischen Christen teuer bleiben muß, daß ich nicht umhin kann, meine alten Beziehungen mit holländischen Glaubensbrüdern aufzunehmen ...“. Er fährt nach Upsala, um mit seinem Erzbischof, Erling Eidem, dem Nachfolger Nathan Söderbloms, über den Kirchenkampf zu sprechen, und er berichtet ihm am 17. Juli 193 3 von seinen weiteren Bemühungen auf der Rückreise von Upsala bei schwedischen und dänischen Bischöfen. „In Linköping hatte ich das Glück, außer dem Bischof auch Professor Westmann zu treffen, der dort an diesem Tag zu Gast war. Ich berichtete im großen und ganzen dasselbe wie in Upsala und tat das auch in Mölle bei Bischof Rodhe. In Haderslev war ich einen ganzen Tag, und als Resultat dieses Besuches schlug ich auf Anraten von Bischof Rodhe bei dem dortigen Bischof vor, daß der ökumenische Rat einen Berichterstatter aus Skandinavien und auch einen aus England nach Deutschland schicken sollte, um zu versuchen, sich .. • ein Bild von der Lage zu machen, die sich keineswegs durch eine ausgeprägte Friedens-stimmung auszeichnet. Bischof Amundsen schlug für Skandinavien Professor Westmann vor und würde an den Bischof von Chichester über die Sadie schreiben und ihn bitten, einen geeigneten Repräsentanten für England zu schicken. Der Bischof von Chichester ist selbst mit dem Gedanken umgegangen, hierher zu reisen, aber es wäre in der jetzigen Lage vielleicht besser, wenn ein anderer als er kommen würde, damit es nicht ein so großes Aufsehen erregt. Ich glaube, daß es sehr gut wäre, wenn dieser Vorschlag verwirklicht werden könnte."

Der Widerstand wächst

Er fügt seinem Brief gleich noch neue typische Einzelheiten über Lage und Stimmung des kirchlichen Widerstandes hinzu: „Am Sonntag, den 2. Juli, sind in unzähligen Gemeinden sowohl in wie außerhalb von Berlin die Kirchen überfüllt gewesen, und die Gottesdienste waren durch einen sehr großen Ernst gekennzeichnet. Hunderte von Pastoren haben sich geweigert, Hossenfelders Mahnungsworte zu verlesen und sind mit Repressalien bedroht worden, aber nur wenige sind angeklagt worden. In vielen Fällen hat man zuerst die Mitteilung des Staatskommissars und Hossenfelders verlesen und danach die der Bischöfe 1) und Bodelschwinghs. Aus Dahlem berichtet ein Besucher folgendes: Beim Gottesdienst amtierten alle drei Pastoren der Gemeinde am Altar, und jeder von ihnen predigte 10 bis 15 Minuten. Die Verlesung der Bekanntmachung ging so vor sich, daß alle drei Pfarrer in den Kirchengang vortraten und die Bekanntmachung des Staatskommissars und Hossenfelders verlasen. Dabei zeigte niemand in der Kirche Zeichen von Beifall oder Opposition. Danach sagte der älteste Pastor: . Dann hat uns unser Generalsuperintendent folgenden Aufruf zugestellt . Danach erhob sich die Gemeinde wie ein Mann und hörte stehend die Mahnungsworte der Bischöfe an. Derjenige, der es berichtete, sagte, daß man niemals einen so starken Eindrude davon gehabt habe, daß , die Kirche doch da ist, wie gerade da, und viele haben dasselbe bezeugt. Jetzt am Sonntag predigte Dibelius in der überfüllten Nikolaikirche in Potsdam, und mein Freund berichtete mit leuchtenden Augen, daß es ein Eindruck fürs ganze Leben gewesen wäre. Mit Würde und Ruhe sprach der Bischof über das wahre Wesen der Kirche und zitierte dabei unter anderem einige Äußerungen, die der Staatskommissar in einem Wahlaufruf zur Kirchenwahl gemacht hatte und in der folgende theologische Neuentdeckung veröffentlicht worden war: „Das Erscheinen Jesu in der Weltgeschichte ist in seinem letzten Gehalt ein Aufflammen nordischer Art inmitten einer von Zerzetzungserscheinungen gequälten Welt.. Wenn ein Reichsbeamter, der Staatssekretär im Kultusministerium ist, derartige Irrlehren öffentlich kundgibt, fühle sich er, der Bischof, genötigt, kraft seines Amtes eine warnende Stimme zu erheben ... Bei dem Gespräch am vorigen Dienstag zwischen dem Reichsinnenminister, Vertretern der preußischen Regierung und der Kirche erhielt die Kirche die Versicherung, daß ihre Selbständigkeit anerkannt werden solle. Man ist allgemein der Ansicht, daß die Mitglieder der Reichsregierung aufrichtig meinen, was sie sagen. Dagegen haben die Mit) Forell gebraucht hier und im folgenden den in der schwedischen Kirche üblichen Titel . Bischof“ für . Generalsuperintendent“. glieder der preußischen Regierung, Göring, Rust und Kerri, ziemlich deutlich bekundet, daß sie für ihren Teil nicht beabsichtigen, Ansprüche der Kirche auf Selbständigkeit zu dulden, sondern jeden solchen Anspruch durch Reden über „reaktionäre Dunkelmänner" usw. verdächtig machen werden. Die uns unbegreifliche Tatsache, daß ein Staatskommissar, der zugleich Staatssekretär im Kultusministerium ist, einen Wahl-aufruf zur Kirchenwahl erläßt und sich dabei zum Dolmetscher für so ungeheuerliche Gedanken macht, wie die oben zitierten, weist ja auch deutlich darauf hin, daß der preußische Staat trotz aller Versicherungen weiterhin nach seiner Meinung im offenen Kampf mit der Kirche steht, und daß er rücksichtslos alle seine Organe benutzt, um seinen Willen durchzusetzen. Da den sogenannten „reaktionären" Gruppen in der Kirche jede Möglichkeit, in der Presse oder im Rundfunk ihre Sache zu vertreten, fehlt und alles auf heimlichen Wegen geschehen muß, ist es klar, daß die jetzt ausgeschriebene Wahl ein reiner Humbug ist und ein Hohn auf die Freiheit, die man feierlich zugesichert hat. Das Ergebnis wird deshalb wohl katastrophal für die alte Kirche werden. Man muß die Allgemeinheit davor warnen zu glauben, daß die Wahlziffern in irgendeiner Weise die wirkliche Lage in den Gemeinden zeigen. Schon jetzt wird mit Absetzung gedroht und werden andere Repres-sahen als Druckmittel angewandt, um Stimmen für die Deutschen Christen zu werben. Es besteht also tatsächlich ein recht scharfer Gegensatz zwischen den führenden Männern der Preußischen Regierung und der Reichsregierung im Kirchenkampf, bei dem die Reichsregierung auf mehr als eine Art gezeigt hat, daß sie neutral zu sein wünscht, aber die Preußische Regierung setzt alle ihre Machtmittel ein, um die Wahl für die Deutschen Christen zu gewinnen.

Aus Pommern kommt die Mitteilung, daß von 5 50 Pfarrern rund 300 sich geweigert haben, den „Dankgottesdienst“ am 2. Juli anzuordnen. Auch in Westfalen, im Rheinland und Ostpreußen ist der Widerstand unter den Pfarrern sehr stark gewesen. Die „Tägliche Rundschau" wurde verboten, weil sie am 4. Juli einen Artikel mit der Überschrift veröffentlichte: „Pfarrer, die nach ihrem Gewissen gepredigt haben". Nadi Mitteilungen aus verschiedenen Teilen des Reiches, die gerade gekommen sind, wächst mit jedem Tag der Druck der staatlichen Organe auf die Gruppen, die nicht die „Deutschen Christen“ wählen wollen. Es wird von Befehlen für verschiedene SA-Bezirke berichtet, daß es ihnen mit der Drohung des Ausschlusses aus der Partei verboten wird, etwas anderes zu wählen als „Deutsche Christen". Von anderer Seite, daß die Wahl von anderen Listen als die der „Deutschen Christen" als „staatsfeindlicher Akt" angeschen wird. Einige Telegramme an Hitler und Frick sind zwar von der Post gegen Bezahlung angenommen worden, aber auf dem Weg an den Adressaten sind sie ganz einfach „verloren“ gegangen. Dies ist, was ich zuverlässig erfahren habe ... Forell reist selbst in dieser Zeit in Deutschland herum, um sich von der Schärfe des ausgebrochenen Kampfes auch in den anderen Teilen Deutschlands zu überzeugen.

Nationalsozialistischer Druck bei den Kirchenwahlen

Am 11. Juli 1933 wird die neue Kirchenverfassung durch die Vertreter der Landeskirchen angenommen und am 14. Juli verkündet. Am 23. Juli finden die Kirchenwahlen statt, aus denen im September schließlich die Nationalsynode in Wittenberg hervorgeht. Am Vorabend der Wahl greift Hitler persönlich in den Wahlkampf ein und fordert in einer Rundfunkansprache, alle Wählerstimmen den „Deutschen Christen" zu geben. ...

Und wieder schreibt Forell an einen seiner ökumenischen Freunde: „Für Dich will ich hinzufügen, daß die Lage außerordentlich ernst ist und daß der Terror, den die sogenannten Deutschen Christen bei der Wahl ausgeübt haben, ganz einfach ohnegleichen ist. Gewiß war die alte Kirchenleitung nicht so, wie man sie sich in dieser Zeit wünschen würde, aber Kapier persönlich (Präsident der altpreußischen Kirche), Dibelius und manche andere haben doch wie Männer in diesen Wochen aufrecht gestanden. Sie haben gekämpft für eine Kirche, die nicht einfach ein Organ oder eine Abteilung des Staates sein darf, sondern Anspruch auf Selbständigkeit erhebt von der Botschaft aus. die der Kirche aufgetragen wurde, in der Welt zu verkündigen, auch den Trägern des Staates und verantwortlichen Männern ... Überall im Lande (ich habe es selbst erfahren auf meinen weiten Reisen in diesen letzten Wochen) gibt es große Scharen von Menschen, die wirklich versucht haben, ihren e gelisehen Glauben zu bekennen trotz der Drohung mit Repressalien von Seiten des Staates. Für uns Schweden ist es völlig unmöglich, uns eine Vor Stellung davon zu machen, was es heißt, jeder Möglichkeit beraubt zu sein, sich frei zu äußern. Ich könnte ein Buch darüber schreiben, was es gekostet hat zu versuchen, für die Bedrückten Verbindung zu Hindenburg und dem Kanzler herzustellen, welche unglaublichen Wege gesucht wurden, um den Allerhöchsten sagen zu können, was wirklich geschah. Die byzantinischen Kaiser waren nicht so unerreichbar wie Hitler in derartigen Situationen ... Die „Deutschen Christen“ haben hier ein Spiel gespielt« von dem ich fürchte, daß es schwer sein wird, dafür am Jüngsten Tage Verantwortung zu trar gen. Gewiß gibt es unter ihnen viele biedere und ehrliche Menschen, die sich in der Begeisterung darüber, etwas Neues zu schaffen, von der Reichsleitung in Berlin zu jeder nur möglichen Torheit treiben lassen. Hossenfelder ist ein typischer Demagoge und Streber, Müller ist nicht ganz so gefährlich, aber eitel und mit einer Einstellung zu den christlichen Glaubenswahrheiten, die es schwer macht, ihn einen evangelischen Christen zu nennen. Um diese beiden sammelt sich eine Schar jüngerer Pfarrer und Theologen, die zum großen Teil einen Konflikt mit dem Konsistorium gehabt haben und von wirklichem Bilderstürmereifer beseelt sind, aber denen im übrigen in bedenklichem Maße der Sinn und Verstand zu fehlen scheinen, den man von normalen Menschen erwartet und um so mehr von denen, die sich Christen nennen. Diese Schar ist so unterschiedlich, daß es gewiß nicht leicht ist, eine Bezeichnung zu finden, die alles und alle deckt. Ich habe Ansprachen und Predigten von diesen verantwortlichen Männern gehört, denen im Hinblick auf nationale Bedenkenlosigkeit Entsprechendes selbst aus der Zeit um 1914 fehlt. Es ist eine solche Begriffsverwirrung bei vielen dieser Prediger, daß sie nicht immer zu wissen scheinen, wann sie von Hitler und wann sie vom Heiland sprechen.“

Forell ist bei der Erkundung der Fronten auch auf die „Deutsche Glaubensbewegung“ gestoßen, die sein alter Freund, Professor Wilhelm Hauer aus Tübingen, leitet. Er ist aus der Kirche ausgetreten. Er sieht in der „Glaubensbewegung“ „ein Symptom des deutschen Urwillens, das Ringen um eine neue Form deutscher religiöser Gemeinschaft“. Er glaubt, „daß es ein großes sein wird, ein deutsches Werk, das über die Jahrhunderte hinragt als Aufgabe und Wegweiser künftiger Geschlechter. . Trotz des Abgrundes grundsätzlicher Verschiedenheit, die ihn von Hauer trennt, sieht Forell in dessen Bemühungen eine neue, vielleicht wichtige Möglichkeit, wenn sie die Kirche taktisch zu nutzen versteht — sie ist allein auf die Lauterkeit Hauers gegründet. „Es gibt eine nicht zu verachtende Zahl von Menschen, die sich offen dazu bekennen, . germanisch-gläubig'zu sein, und die nicht auf . positiv-christlicher'Grundlage stehen wollen. Ich hatte das seltene Glück, vor vierzehn Tagen an einer Reichskonferenz teilnehmen zu können, die diese Letztgenannten in Eisenach abhielten und auf der beschlossen wurde, eine . Arbeitsgemeinschaft der art-gemäßen deutschen Glaubensbewegung'zu bilden aus einer großen Zahl von Gemeinschaften, die sich als . nordisch-germanisch-arisch-gläubig'bezeichnen. Hauer bekam den Auftrag, mit dem Reichskanzler über die Religionsfreiheit für diese Arbeitsgemeinschaft zu verhandeln, die erklärte, . mit Duldsamkeit gegen die christlichen Konfessionen'arbeiten zu wollen. Sie sind wenigstens konsequent. Wenn es ihnen gelingt, ihren Wunsch auf Religionsfreiheit durchzusetzen, so bedeutet das einen scharfen Kampf gegen die . Deutschen Christen', die sie wegen ihrer . geistigen Unredlichkeit” bekämpfen, wie sich einer von ihnen mir gegenüber äußerte. Es wird dann klarere Seiten für alle Seiten geben. ..“

Appell an die ökumenische Mitverantwortung

An den Bischof Erik Aurelius von Linköping berichtet Forell: „Ich bin durch Deutschland gereist und habe versucht, Material darüber zu sammeln, wie es bei der Wahl am 23. Juli zugegangen ist, die der größte Schwindel einer Wahl war, der sich seit langer Zeit in Europa ereignet hat. Idi habe ungefähr vierzig Seiten maschinengeschriebenes Material. . . Es ist ganz bestimmt absolut zuverlässig, aber natürlich von solcher Beschaffenheit, daß wenig davon für Veröffentlichungen verwandt werden kann, aber es ist wertvoll, wenn die verantwortlichen Führer unserer Kirche es kennen. .. Eigentlich hatte ich daran gedacht, den Rest meines Urlaubs in Deutschland zu verbringen, aber ich habe das nicht ausgehalten. Idi mußte heim, um vor der Bischofskonferenz so viele der Bischöfe wie möglich zu erreichen und das zu verbreiten, was mir zur Kenntnis gekommen ist. Ein Amtsbruder, der in den letzten Wochen hart im Feuer gestanden hat, sagte zu mir: Jetzt wissen wir, was es heißt, in Katakomben zu leben!'So ist die Stimmung unter Hunderten von Geistlichen und unter den Führern der Kirche, die aufrecht in diesen Prüfungen der letzten Zeit gestanden haben.“ Vom 23. -28. August soll eine Konferenz der nordischen Bischöfe in Finnland stattfinden. Auf diese Zusammenkunft setzt Forell seine Hoffnung für ein Zeichen ökumenischer Verbundenheit mit den bedrängten Christen in Deutschland — vergeblich, aber wenigstens will er alles tun, um sie von der wahren Lage in Deutschland zu unterrichten. „In dieser Situation ist es dringend wichtig, daß die verantwortlichen Führer der evangelischen Kirchen außerhalb Deutschlands und auch unser Kirchenvolk (in Schweden) eine Ahnung davon haben, daß die Front, die vor der Wahl gegen das Herabziehen der kirchlichen Angelegenheiten in einem Meer von Demagogie und menschlichem Versagen gekämpft hat, keineswegs aufgelöst und gebrochen wurde, sondern daß sie noch besteht, wenn es auch keine Möglichkeit für sie gibt, sich nach außen zu zeigen. Mit hübschen Worten und Artikeln versucht die Presse, einen Schleier über diesen gewaltigen inneren Kampf zu breiten, den das deutsche Volk allein kämpfen muß. Ich habe in diesen Tagen so ergreifende Worte von Mannesmut und Bekennerfreude gelesen — auch von Menschen, die zu den Stillen im Lande gehören und niemals auf vorgeschobenen Posten gestanden haben, aber jetzt plötzlich nach vorn getreten sind und sich exponiert haben. Ich kann nicht daran zweifeln, daß letzten Endes eine wirklich christliche Kirche auch für unsere äußere Wahrnehmung in diesem geplagten Land sichtbar werden wird. .."

Forell wendet sich an den finnischen Erzbischof Ingman direkt, um ihn dafür zu gewinnen, die Not der Kirche in Deutschland nicht zu vergessen. „Ungebeten nehme ich mir die Freiheit, Ihnen, Herr Erzbischof, die beiliegende Darstellung der kirchlichen Lage in Deutschland zu senden. Da Finnlands Kirche keinen eigenen Pfarrer in Berlin hat, nehme ich diese Tatsache als Entschuldigung dafür, daß ich zu glauben wage, daß meine Darstellung auch für die verantwortlichen Leiter in Finnlands evangelischer Kirche möglicherweise einiges Interesse hat. . .“ Es kommt nur ein kurzer Dank, in dem es heißt: „Es ist sehr schwer, sich von hier aus ein Urteil über die Geschehnisse zu bilden, besonders weil die Wahrheit genau dazwischen zu liegen scheint, wie es bei Revolutionen und Kriegen üblich ist. .

Der schwedische Erzbischof Eidern in Berlin

Wenigstens sein eigener Erzbischof, Erling Eidern, läßt ihn nicht im Stich. Forell hat ihm geschrieben „wie hungrig unsere Glaubensbrüder auf ein Wort von hier (Schweden) warten, das noch von einem lebendigen Evangelium zeugt“ — und Erzbischof Eidern erklärt sich bereit, im September nach Berlin zu kommen. Forell ist voller Freude. „Wenn der Besuch des Erzbischofs im September sich verwirklichen ließe, so würde es etwas Großes sein, wenn unsere nordischen Bischöfe sich auf eine Botschaft an die Evangelische Kirche in Deutschland einigen könnten und wenn der Erzbischof sie selbst in Berlin übergeben könnte. Die Form ist sicher nicht leicht zu finden, aber die evangelischen Christen in Deutschland wären dankbar zu wissen, was die Glaubensbrüder im Norden für evangelischen Christenglauben halten. Es ist nicht nötig, Bannflüche auszusprechen, sondern besser, nur das Positive unseres Glaubens und Bekenntnisses hervorzuheben. Am liebsten würde ich hören, daß eine solche Botschaft von der Kanzel des Berliner Domes von dem schwedischen Reichsbischof verlesen würde. . .“ Und er schmiedet sogleich Pläne: „Wenn es sich einrichten ließe, den Besuch so zu legen, daß Sie auch am Montag, dem 11., bleiben können, würde ich vorschlagen, daß vir für diesen Abend in aller Einfachheit einige der , Ökumener'zu uns einladen und dazu v. Bodelschwingh und Kapier. Unter Umständen können wir ein besonderes Gespräch mit Kapier und v. Bodelschwingh allein arrangieren... Es muß mit den Freunden in Berlin entschieden werden, was da für das Beste gehalten wird. .."

Eidern sagt zu: „Es ist nun bestimmt, daß ich nach Berlin reisen werde. Ich hoffe, daß ich am Freitag, dem 8. September, abends von Kopenhagen aus kommen kann. Nun ist es so, daß ich eine Einladung zum Luther-Tag in Wittenberg am 10. September erhalten habe. Sind Sie nicht der Meinung, daß ich diese Einladung annehmen sollte? Sie bedeutet einen nicht gesuchten Anlaß für meine gaze Reise, es würde vielleicht weniger wohlwollend betrachtet werden, wenn ich an diesem Tag in Berlin wäre, aber nicht nach Wittenberg reiste. Unmittelbar danach könnte ich nach Berlin zurückfahren. Ich überlege mir deshalb, ob es möglich wäre, den Gottesdienst in der Schwedischen Kirche am Sonntag nachmittag zu halten, nach meiner Rückkehr nach Berlin? Ich würde gern einige der führenden Männer der Kirche in Berlin auf die Weise treffen, die Sie für geeignet halten. Dagegen muß ich meines Erachtens sicher eine Predigt in einer Berliner Kirche ablehnen, da mir daran liegt, daß mein Besuch als Besuch bei der schwedischen Gemeinde verstanden wird. .."

Die Zeit ist nur kurz. Der Erzbischof vermeidet jedes offizielle Hervortreten außer in einem eng begrenzten Rahmen. Aber auch die persönlichen Gespräche mit einigen Führern des kirchlichen Widerstandes, die in Forells Wohnung stattfinden, haben ihren Sinn und sind wichtig für beide Seiten: ändern können sie allerdings nichts an der notvollen Situation, in der sich die angegriffene Kirche befindet, auch wenn der Erzbischof sich entschließt, von Upsala aus an Mül-ler gegen den „Arierparagraphen“ in der Kirche zu protestieren. Anfang Oktober dankt Forell noch einmal dem Erzbischof für sein Kommen: „Fast jeden Tag höre ich von Amtsbrüdern und anderen, daß Ihr Besuch und Brief sehr segensreich waren. Es liegt mir daran, das noch einmal zu sagen, und von mehreren Seiten bin ich darum gebeten worden. Die Aussichten für die nächste Zeit sind trotz allem nicht besonders gut. Es ist ja meist schwerer, einen Kampf im Verborgenen zu führen, als mit offenem Visier kämpfen zu können. Die . Deutschen Christen'tun alles, was in ihrer Macht steht, um zu verhindern, daß der geistige Kampf vor offenem Vorhang geführt wird. Die Versuchung ist deshalb für viele unserer Amtsbrüder ganz erschreckend groß, und die tapfersten unter ihnen kommen ab und zu, um über weitere Pfarrer zu berichten, die resigniert zu den . Deutschen Christen übergegangen sind.“

Einschaltung der schwedischen Presse

Forell läßt nicht ab von der einmal erkannten und übernommenen Aufgabe, Wissen und Gewissen der Ökumene in ihrer Mitverantwortung für die deutschen Dinge durch immer neue Berichte wachzuhalten und zu schärfen. Durch den politischen Drude und die Haussuchungen und Verhaftungen, die sich oft genug auf verbotenes Schrifttum gründen, sieht Forell eine Gefahr, daß es später vielleicht nur wenige Zeugnisse von dem Angriff geben wird, dem die Kirchen in Deutschland standhalten müssen, und noch weniger von dem Mut und der seelischen Bedrängnis der Männer, die in diesem Kampf die Reinheit der christlichen Lehre verteidigen. Ist das nicht auch eine Aufgabe, gewiß in ökumenischem Sinn, jetzt schon alles zu tun, um einer zukünftigen Geschichtsschreibung zu helfen, unter dem Wust verwirrender Entstellungen die Wahrheit aufzudecken? „Es ist für mich so", schreibt er einmal, „als wenn ich in einem Ozean schwämme, wenn ich versuchen wollte, alles Material und alle Nachrichten zu bearbeiten, die hier eingehen. Ich habe ja außerdem einen kleinen . Nebenberuf'und muß zu aller-erst versuchen, meine Gemeinde zu versorgen.

Die Lage ist so, daß das, was jetzt an Zeugnissen verloren geht, schwerlich später wiedergewonnen werden kann. Es gibt nur sehr wenige, die ihre Erlebnisse aufzeichnen, und da jeder neue Tag mit neuen Sensationen gefüllt ist, geht gewiß viel verloren, wenn sich niemand findet, der es versteht, auf die vielen Stimmen zu horchen. . Gewiß mag solcher Gedanke auch ein Anreiz für Forell in seiner Berichterstattung sein, aber vor allem geht es ihm doch um die Gegenwart und ihre Not, und um die Hoffnung, an die er sich in aller Erschütterung und mancher Depression immer wieder mit heißem Herzen klammert, daß mit Hilfe der Ökumene „einmal eine neue, wirklich christliche Kirche aus den Splittern des alten Kirchensystems erstehen wird. . Wissend, wie notwendig es ist, immer wieder die Weltöffentlichkeit über die Vorgänge in Deutschland genau zu orientieren, zögert Forell nicht, auch Verbindung mit dem „Svenska Dagbladet", der großen Stockholmer Zeitung, aufzunehmen und dorthin ebenfalls Informationen zu geben. „Ich be'dauere, daß der Tag nur 24 Stunden hat“, schreibt Forell an den Redakteur Stridsberg, „denn sonst brächte ich es wohl fertig, auch den Zeitungen interessantes Material zur Bearbeitung zu schicken. Es geschieht aber noch immer jeden Tag so viel auf dem kirchlichen Gebiet, daß es schwer ist, mitzukommen." „Ich kann nur wünschen, daß der Tag 48 Stunden hätte, damit Sie zum großen Vorteil der lebenswichtigen Interessen, die Sie so unermüdlich fördern, wenigstens 6 Stunden Ruhe bekämen. . antwortet Stridsberg liebenswürdig, aber hartnäkkig. Hier findet Forell Wachheit und Verständ-nis, worum es geht. Seine Berichte werden mit Freuden angenommen. Er findet auch Teilnahme an den Sorgen, die ihn in der Fürsorge der Verfolgten bewegen. Es scheint, daß „Svenska Dagbladet“ zu einer Hilfsaktion aufgerufen hat, jedenfalls schreibt Stridsberg im November 1933 an Forell: „Ich kann gar nicht ausdrücken, wie froh ich über das glückliche Ergebnis der Sammlung bin. Es ist die ganze Zeit damit sehr gut gegangen und der Erzbischof war auch eine außerordentlich gute Hilfe. Ich hoffe, daß wir damit wirklich Ihre Sorgen erleichtern können. . Stridsberg stellt sehr genaue Fragen, er ist gut orientiert und will Einzelheiten wissen, wo ein verbotener Aufsatz vielleicht noch zu bekommen sei. Er kennt die nationalsozialistische Publizistik, fragt nach Vorgängen und einzelnen Schicksalen auf der katholischen Seite des Kirchenkampfes.

Der katholischen Kirche ist es gelungen, mit der nationalsozialistischen Regierung ein Konkordat abzuschließen, das ihr nach ersten, sehr scharfen Angriffen zunächst eine Atempause gibt. „Es wäre wünschenswert, daß einer unserer bekannteren Theologen einen besonderen Artikel über das Konkordat schriebe. Es ist der Aufmerksamkeit wert und sollte nicht mit Schweigen übergangen werden. Aber ich kann von meinem Platz aus nicht so viel sagen, wie darüber gesagt werden müßte. Es ist ein neuer Triumph für die tausendjährige Diplomatie der Katholischen Kirche.. schreibt Forell an Eidern. Es ist ein schöner Beweis, mit welch großem Vertrauen er sich an seinen Erzbischof wenden kann: „Ich werde mir gestatten. Ihnen meinen Artikel mit der Bitte um Durchsicht zu übersenden und gebe Ihnen die Vollmacht, Streichungen oder Änderungen vorzunehmen, falls es nötig ist, bevor er an die Zeitung weiter-gesandt wird..

Mahnung zur Vorsicht

Auf der anderen Seite paßt Forell sehr genau auf, daß nichts Unrichtiges, nichts die Sache Gefährdendes im Ausland über die Lage in Deutschland veröffentlicht wird. Als der norwegische Bischof Eiwind Berggrav eine unvorsichtige Bemerkung macht, schreibt ihm Forell: „Mit großer Freude habe ich Ihren Artikel in . Kirche und Kultur'gelesen. Es ist wie frischer Wind von dem Gebirge, Ihren Ausführungen zu folgen. Indessen muß ich gleichzeitig mit dieser aufrichtigen Freude bekennen, daß ich etwas unglücklich über einige Worte bin, die in dem Artikel vorkommen. Sicher nimmt in Norwegen kein Mensch an, daß sie irgendeine Gefahr bedeuten. Aber hier können sie eine andere Übersetzung bekommen, als vorgesehen war. Ich denke besonders an die letzte Seite, in der über die unterdrückten evangelischen Geistlichen gesprochen wird, die Trost in ihrem Kummer dadurch suchen, daß sie Briefe in das Ausland schmuggeln. Kein vernünftiger Mensch im Norden könnte sich vorstellen, daß ein solcher Ausdrude mißverstanden werden könnte. aber ich weiß, daß solche Worte gern von der Geheimen Staatspolizei notiert werden und Personen verdächtigt werden, die in diesem Fall vielleicht nicht das Mindeste getan haben, um sich an diesem . Schmuggel'zu beteiligen, der hier leicht als Landesverrat ausgelegt wird. Idi bin sicher, daß Sie, Herr Bischof, mich nicht mißverstehen werden. Für mich selbst halte ich es natürlich für richtig, daß ein christlicher Mensch das Recht hat, Verbindungen mit seinen christlichen Glaubensbrüdern außerhalb des Landes in der Weise aufrecht zu erhalten, wie es hier (in Norwegen) und überall an jedem Tag geschieht, aber wir werden alle so sehr überwacht und jede Sache wird so genau kontrolliert, daß die allergrößte Vorsicht nötig ist...“ Berggrav antwortet sofort: „Ich war ganz verzweifelt über Ihren Brief. Denken Sie nur, daß ich so gedankenlos sein konnte. Ach ja, wenn das bloß keine Folgen haben möge. . Schon längst hat Forell immer wieder zur Vorsicht gemahnt, auch bei den so wichtigen Reisen nach Deutschland. „Es wäre im Hinblick auf die ernste Lage besonders wertvoll", hat er nach Schweden geschrieben, „wenn die Bischöfe in irgendeiner Weise auf die Wahl der Pfarrer, die nach Deutschland ge-schickt werden, Einfluß nehmen könnten. Wenn der richtige Mann kommt, so kann sicher auch etwas gesagt werden, was unsere Glaubensbrüder in ihrem Glauben stärkt, daß Jesu Christi Evangelium im Norden lebt. Dasselbe gilt natürlich auch für die Kirchen in den anderen skandinavischen Ländern. Je größer das persönliche Ansehen und die Autorität der Männer ist, die kommen, desto größer ist die Aussicht, daß sie einen Einfluß ausüben. . Aber die Ahnungslosigkeit ist groß. Im November 1933 schreibt Forell an seinen hochverehrten Freund Nathanael Beskow nach Schweden: „Ich erhalte ab und zu Briefe, über die sich mir die Haare sträuben, und doch kommen sie von klugen und erfahrenen Menschen. Meine gesamte Korrespondenz wird kontrolliert, alle meine Telefongespräche, sogar in gewissem Umfang meine Besucher. Ich möchte darauf hinweisen, daß sich in Stockholm ein deutscher Student aufhält, dessen Namen ich nicht habe feststellen können, er hat die ausschließlic : Aufgabe, alle deutschen Besucher zu überw: dien und herauszufinden, was sie unternehmen. Er ist von dem Akademischen Studenten-Ausschuß in Berlin dorthin geschickt worden, indirekt von der Regierung. Jeder Deutsche muß sich deshalb Vorsicht auferlegen. .. Ich muß mit allem Nachdruck um Vorsicht bitten. Mein Name darf nicht in einem größeren Kreis genannt werden. Es gibt immer einen unvorsichtigen Menschen, der mehr sagt als gut ist.. Und dann bittet er Beskow: „Du mußt bei Gelegenheit zum Außenminister gehen und mit ihm sprechen und ihm dabei auch sagen, daß ich sehr dankbar für die Mahnung zur Vorsicht bin, die ich von ihm durch unseren Gesandten bekam, und daß ich von mir aus alles tue, um zu vermeiden, daß ich mich exponiere. Aber ich kann ja nicht verhindern, daß sich verzweifelte Menschen mit der Bitte um Hilfe an mich wenden, und wenn ich helfen kann, muß ich auch Hilfe geben. Die Gefahr ist aber immer, daß man zu Hause (in Schweden) nicht versteht, wie empfindlich alles ist, und daß irgend jemand dort zu viel sagt. .

Im Grunde aber ist Forell für sich ganz ohne Furcht und unbefangen schreibt er an Bischof Berggrav: „Die Geheime Staatspolizei hat ihre Kontrolle über die Geistlichen hier verschärft, und die eifrige Institution hat sogar die Abschrift von einem Brief bekommen, den ich nach Schweden geschickt habe, in dem ich meinen Freunden empfehle, die Junge Kirche'zu lesen, um sich über die Situation unterrichtet zu halten. Ich möchte auch den Freunden in Nor-

wegen denselben Rat geben..

In diese Wochen fällt ein merkwürdiger Besuch bei Forell. „Unsere schwedische Kirche hatte einen guten Freund, nämlich den Polizeichef der Wache uns gegenüber. Bei jeder Gelegenheit und besonders, wenn unser König Berlin besuchte, war er in seinem Element. Jetzt kam er an einem Septembertag 1933 spät abends zu uns. Ich fragte etwas erstaunt, was ihn zu so später Stunde zu uns führe. Ersetzte sich, sah etwas verlegen aus und wußte nicht so recht, wie er anfangen sollte. Ja, sehen Sie, Herr Pastor, wir haben jetzt ein paar Mann zu uns einquartiert bekommen. Sie wohnen im Stockwerk über uns, über die wir keine Macht haben, wenn sie auch sozusagen unter unserer Firmenmarke arbeiten, wenn ich so sagen darf. . — , Das will wohl heißen: Geheime Staatspolizei?'— Ja, genau das. Und nun ist es doch so, Herr Pastor, daß wir immer gute Freunde waren, und es wäre doch schlimm, wenn etwas passieren sollte. Seien Sie doch bitte vorsichtig, und sagen Sie das auch Ihren ausländischen Gästen, damit nur nichts geschieht...'— Man darf wohl sagen, daß dieser Polizeichef Zivilcourage besaß, einen Ausländer vor seinen eigenen — nennen wir es Brüdern zu warnen. .

Später, nach dem Zusammenbruch 1945, hat die Aussage Forells über diesen Besuch dem mutigen Warner von damals geholfen, wieder im Polizei-dienst eingestellt zu werden.

„Reichsbischof" Müller

Der Kirchenkampf geht in unverminderter Schärfe weiter. Die unter Terror stattgefundenen Wahlen haben den „Deutschen Christen“ im allgemeinen eine zweidrittel Mehrheit gebracht. Auf der Wittenberger Nationalsynode wird Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt. Am 13. November 193 3 findet im Berliner Sport-palast eine Massenkundgebung der „Deutschen Christen“ statt, auf der der Hauptredner, ein Studienrat Krause, der Gauobmann der Berliner „Deutschen Christen", über die „Viehhändlerund Zuhältergeschichten“ des Alten Testaments herzieht und eine „reine Jesu-Lehre" fordert, die sich „restlos deckt mit den Forderungen des Nationalsozialismus...“. „Wir können als Führer keinen in der Ferne thronenden Gott gebrauchen, sondern nur den furchtlosen Kämpfer. .. Heldenehrung muß Gottesehrung werden! .. Den Radikalen ist auch das noch nicht genug. Für sie gehört schließlich das Hitlerbild auf den Altar und in der neuen Nationalkirche wollen sie eine noch stärkere Gleichschaltung durchgesetzt wissen, indem Protestanten und Katholiken sich unter Hitler zu einer gehorsamen Herde zusammenfügen sollen, um die neue Kirche darzustellen.

Auf der anderen Seite haben sich schon vor der Nationalsynode diejenigen, die „ernstmachen wollen mit ihrem evangelischen Bekenntnis“, zum „Notbund der evangelischen Pfarrer" zusammengeschlossen. Sie protestieren auf der Wittenberger Nationalsynode gegen die „Verletzung des Bekenntnisses“, gegen die Gewalt und gegen die Anwendung des „Arierparagraphen“ in der Kirche. Aber schon früh brechen in ihrer Front Gegensätze auf, die während des ganzen Kirchenkampfes nicht überwunden werden. Sie zerreißen die Front nicht, es gibt immer wieder Gemeinsamkeiten im Protest gegen die nationalsozialistischen Übergriffe, aber sie lähmen oft die Aktivität in einem bedrückenden Maße. Während der radikale Flügel unter Führung des Dahiemer Pfarrers Martin Niemöller die aufgerissene Kluft zwischen christlichem Bekenntnis und Nationalsozialismus, wie ihn Alfred Rosenberg vertritt, der im Januar 1934 von Hitler mit der Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der Partei betraut wird, als unüberbrückbar ansieht, glauben die anderen, gebunden an die lutherische Auffassung von der Obrigkeit, eine Basis suchen zu sollen, ayb der ein Zusammengehen von Kirche und nationalsozialistischem Staat nach ihrer Meinung immer noch möglich ist. — „Aber man vergaß den Reformator, der allein vor Kaisr und allen Machtträgern dieser Welt in Worms sich weigerte, trotz aller Drohungen, seine Opposition zu widerrufen...“, hat Forell später dazu geschrieben. „Aus diesem mißverstandenen Luthertum und seiner Haltung gegen den nationalsozialistischen Staat hat die Nachkriegszeit die Legende von Martin Luther als Vorläufer von Adolf Hitler geschaffen. Man soll sich nicht allzu viel darüber wundern."

Es liegt den Nationalsozialisten zu diesem Zeitpunkt noch viel daran, den offen ausgebrochenen Kirchenkampf vor dem Ausland zu verschleiern. Immer wieder wird die Verhandlungsbereitschaft der Regierung beteuert, Absprachen werden getroffen, Zusicherungen gemacht (und meist nicht gehalten). Man widerruft auch, wo es deutlich wird, daß man allzu weit vorgeprescht ist: der Reichsbischof distanziert sich nachträglich von der skandalösen Sportpalastversammlung der „Deutschen Christen“. Das alles mäht die Lage undurchsichtig. Für manche scheint die Möglichkeit, durch Verhandlungen das Gröbste abwenden zu können, immer noch offen zu sein. In Wirklichkeit aber gehen die Nationalsozialisten unerschüttert den einmal eingeschlagenen Weg. Reichsbischof Müller versucht, diktatorisch zu regieren — die Opposition stellt sich ihm hemmend in den Weg. Am 19. Dezember 1933 meldet der Reichsbischof „seinem Führer“ die Eingliederung der evangelishen Jugendverbände in die „Hitler-Jugend"; es handelt sih um rund 800 000 junge Menschen. Am 25. Januar 1934 sind die Kirchenführer der „Deutschen Christen“ und die Vertreter der Bekenntnisfront zu einer Aussprahe bei Hitler.

Kampf gegen den „Arierparagraphen"

Forell hat in dieser Zeit viel zu berichten.

Den 22. September 1933.

„Gestern war Professor Lietzmann bei der Kirchenleitung, genauer bei Schumann und Müller, um ein Gutachten vorzutragen, das von den Professoren für das Neue Testament in Marburg und Berlin ausgearbeitet worden ist und das den Arierparagraphen behandelt. Ich hoffe, innerhalb der nächsten Tage ein Exemplar des Gutachtens zu bekommen, das darauf hinausgeht, daß eine Kirche, die diesen Paragraphen als Gesetz annimmt, sich außerhalb der , Kirche Jesu Christi'stellt. Es werden Unterschriften unter dieses Gutachten gesammelt, und, wie mir in Berlin mitgeteilt wurde, haben in Berlin nicht nur die Professoren, sondern auch die jungen Dozenten im Amt unterschrieben. Man rechnet mit einem Anschluß der übrigen Universitäten. Von Soden und Bultmann haben das angeregt. Müller war sehr besorgt und teilte Lietzmann mit, daß er auch von Upsala eine Ausführung in derselben Richtung bekommen habe and daß diese ihm . große Sorge'bereite. Von anderer Seite wurde mir mitgeteilt, daß Müller nach dem Empfang des Briefes bettlägerig wurde. Er hat also eine segensreiche Wirkung gehabt. Müllers Politik scheint zur Zeit darauf hinaus-zugehen, um jeden Preis zu verhindern, daß der Arierparagraph auf der Nationalsynode diskutiert wird, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß das Gutachten der Theologen der Versammlung vorgelegt wird. ..“

Der „Arierparagraph" erhitzt die Gemüter. Mit ihm ist die Grundfrage christlichen Verhaltens angerührt. Aber auch Forell muß es beschämt und empört erleben, daß in seiner eigenen Berliner Gemeinde der schwedischen Kirche sich im Gemeinderat eine Stimme erhebt, die den Ausschluß der nichtarischen oder mit Juden verheirateten Gemeindemitglieder fordert. . . „Der Mann ist Reserveoffizier der schwedischen Armee und hält es für vereinbar mit seiner Offiziersehre, unglückliche Menschen offen zu verhöhnen, die er bei einer früheren Sitzung . Kuckuckseier'genannt hat. .. Die Empörung bei der Sitzung war so groß, daß ich Handgreiflichkeiten von Seiten der männlichen Teilnehmer befürchtete. Es ist entsetzlich, daß man vollständig hilflos gegenüber einem solchen Friedensstörer ist. .

Hilfsaktion der nordischen Kirchen

Den 20. Oktober 1933.

Forell an den Bischof Eiwind Berggrav, Norwegen: „Gestern abend hatten wir in meinem Haus ein Gespräch über die Hilfsaktion, die von den nordischen Kirchen veranstaltet werden soll, um unseren evangelischen Brüdern hier beizustehen, die durch ihre kirchenpolitische und religiöse Einstellung in Not und Bedrückung geraten sind. Zugegen war Professor Rudolf Otto, der für ein paar Wochen bei mir wohnt, Professor Nygren aus Lund, Pfarrer Georg Schulz aus Barmen, der Leiter der Sydower Bruderschaft ist, Pfarrer Hans Schwarze, ein religiöser Sozialist, der fristlos entlassen wurde ohne Pension und der bald mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern auf der Straße stehen wird, und sein Freund Göring (nicht zu verwechseln mit Hermann Göring), der Gewerkschaftsführer war und Vorsitzender in dem jetzt aufgelösten , Bund religiöser Sozialisten'.

Heute war hier in Berlin eine Zusammenkunft von dreißig Vertretern aus dem ganzen Land für die 2500 evangelischen Pfarrer, die sich im . Pfarrer-Notbund'um Bodelschwingh und Schulz zusammengeschlossen haben. Eine Konsolidierung hat nun stattgefunden. Ein . Bruder-rat', bestehend aus acht Pfarrern, ist gebildet worden, der mit uneingeschränkter Vollmacht im Namen der Brüder handelt, und in diesem Rat sitzen neben Bodelschwingh und Schulz Pfarrer Ritter aus Marburg, der der Führer des Berneuchener Kreises ist, der bekannte frühere U-Boot-Kapitän Niemöller, der in der vordersten Reihe unter den Pfarrern in der Widerstandsfront steht.

Es ist beschlossen worden, daß Schulz und Niemöller als Vermittler bei der Hilfe für die bedrückten und notleidenden Brüder tätig werden, die von den Amtsbrüdern hier aufgebracht wird. Sie sollen mit mir Zusammenarbeiten und mit den Vermittlungsleuten für die . religiösen Sozialisten', die sich wegen der Geheimen Staatspolizei nicht direkt an den . Notbund'anschließen können. Außerdem haben wir jetzt eine Zentrale in Berlin, bei der Mitteilungen aus dem ganzen Reich über diejenigen Fälle eingehen, in denen unmittelbare Hilfe notwendig ist. Der erste Fall, in dem wir eingreifen mußten, betraf den oben genannten Schwarze. Ich habe an Erzbischof Eidern darüber geschrieben und vorgeschlagen, daß Frau Schwarze und die kleinen Kinder in diesem Winter nach Schweden fahren sollen. Außerdem habe ich vorgeschlagen, daß Schwarze selbst während eines Monats in Schweden herumreisen und einem Kreis von Pfarrern wichtige Aufklärungen geben sollte, die notwendig sind für eine effektive Hilfsaktion. Ich möchte ganz besonders stark unterstreichen, daß Eile notwendig ist. Wir hoffen, daß er ein Visum bekommt durch eine Verbindung in der Geheimen Staatspolizei, die wir noch auszunutzen versuchen.

Ein neuer Fall wurde mir heute mitgeteilt. Es handelt sich um einen Gefängnisgeistlichen Kürschner, der wahrscheinlich aus demselben Grund wie Schwarze ausscheiden muß und dem es bisher nicht gelungen ist, Klarheit darüber zu bekommen, ob er eine Pension erhält oder nicht. Die Kirchenbehörden erklären, daß er durch seine Arbeit im Gefängnis aus dem Kirchendienst ausgeschieden ist, und der Staat erklärt, daß er zur Kirche gehört und • on dort seine Pension bekommen muß. Wie dieses scheußliche Hin und Her enden wird, ist ungewiß. Wir müssen auf weitere derartige Fälle vorbereitet sein. Ich bin deshalb außerordentlich dankbar, wenn Sie, Herr Bischof, mit Ihren Amtsbrüdern über Maßnahmen von norwegischer Seite beraten, um zu helfen und unsere Versuche zu unterstützen. Aber eins ist wichtig: nichts davon darf an die Öffentlichkeit kommen. . ."

Als Berggrav darauf eine nicht erhalten gebliebene Antwort gibt, schreibt ihm Forell ein paar Tage später: „Ich kann nicht leugnen, daß ich etwas ängstlich war, wie die Antwort aussehen würde, und als ich Ihren Brief bekam, habe ich zuerst daran gedacht, einen Dank zu telegaphieren, aber dann habe ich ausgerechnet, daß das Telegrammporto für viele Briefe reichen würde, und so ließ ich den kühlen Verstand reagieren. Das ist übrigens noch notwendiger als früher...“

Von nun an wird sich die Schar derer, die sich hilfesuchend an Forell wenden, erheblich vermehren und er wird dabei viel Standhaftigkeit und sehr viel Verzweiflung sehen. „Ich traf gestern zufällig einen jungen Pfarrer, der den religiösen Sozialisten angehört und freiwillig ausgeschieden ist, nachdem er vier Wochen in Haft war, weil er einmal über den Brand Roms gesprochen hatte. Er tritt jetzt als Conferencier in einem Variete auf und bearbeitet die Finanzen des Unternehmens. Das ist seine vorläufige Stellung. Er hofft, später etwas anderes zu finden. Als ich mit ihm sprach, sagte er: , Ich betrachte meine jetzige Arbeit als eine ehrlichere Aufgabe, als meine Seele der neuen Kirchen-leitung zu verkaufen und weiter im Pfarramt zu bleiben. . .'. Er muß für seine Frau und zwei kleine Kinder sorgen. In dieser Zeit lernt man sonderbare Menschenschicksale kennen...“

Die Opposition wird aktiv

Den 15. November 1933. Nach der Kundgebung der „Deutschen Christen" im Berliner Sport-palast. An Bischof Erling Eidern, Upsala.

„Verehrter Erzbischof und Bruder! Der gestrige Tag war von dramatischer Spannung erfüllt. Die Massenversammlung im Sportpalast mit ihrer Resolution hat Konsequenzen gehabt, die weder für die Reichsleitung der . Deutschen Christen'noch für Müller angenehm sind. Dieser wurde gestern von den beiden Brüdern Niemöller ausgesucht als Vertreter für . Evangelium und Kirche*. Niemöller-Dahlem erklärte dem Reichs-bischof, daß er nach seinem Gewissen gezwungen sei, ihm den Gehorsam zu verweigern. Nur zweimal in seinem Leben sei er als Mensch, Pfarrer und Offizier dazu gezwungen gewesen, das erste Mal, als von ihm verlangt worden sei, daß er sein Schiff den Engländern ausliefern solle (er habe vorgezogen, es zu versenken) und das zweite Mal jetzt, durch diesen Beschluß der Kirchenleitung. Müller als früherer Offizier würde verstehen, was das für ihn bedeute.

Die beiden Brüder verlangten von Müller, daß er unverzüglich in der ganzen Presse bekannt-mache, daß er sich von dem unerhörten Ausfall gegen das Bekenntnis der Kirche distanziere, der in der Massenversammlung durch deren Leiter Krause gemacht wurde; daß alle Mitglieder des Oberkirchenrates, die dort zugegen waren und nicht protestiert haben, abgesetzt werden sollten, und daß Hossenfelder als Mitwirkender bei der Versammlung aus seinem Bischofsamt und seiner Stellung als Reichsleiter (der . Deutschen Christen') abgesetzt werde. Es wurde Müller mitgeteilt, daß Mahrarens heute im Namen der Lutheraner und Bodelschwingh im Auftrag des . Notbundes'ebenfalls diese Forderungen stellen würden.

Die Gemeinde Dahlem, in der der ältere Niemöller, der frühere U-Boot-Kommandant, Pfarrer ist, hatte gestern eine Gemeindeversammlung, bei der alle Räume überfüllt waren. Die Gemeinde verlangte einstimmig von Niemöller, daß er sich weigern solle, dem Absetzungsbescheid nachzukommen. Niemöller teilte der Gemeinde mit, daß dies schon geschehen sei. Die Gemeindeversammlung sandte ein Telegramm im selben Geist an Müller. Einige Professoren der Fakultät haben ebenfalls Telegramme in der Sache geschickt, unter anderen Deißmann und Lietzmann. Georg Schulz kam heute nacht aus Westfalen hierher. Ich hoffe, während des Tages weiter davon zu hören, was heute geschieht ... Wir dürfen wohl hoffen, daß die Reaktion auf die Versammlung der Beginn einer Aufklärung in der geistigen Atmosphäre ist ...“

Evangelische Kirchenführer bei Hitler

Den 25. Januar 1934.

„Verehrter Erzbischof und Bruder! Heute um 1 Uhr sind sieben Vertreter der . Deutschen Christen'und sieben Vertreter der Opposition mit Müller beim Reichskanzler, um eine Lösung im Kirchenstreit zu suchen. Schon die Zahl der Besucher reicht aus, um mit Schrecken an das zu denken, was das Ergebnis dieser Audienz sein kann. Bruder Schulz ist hier und war gestern verzweifelt über den Kompromißgeist, der seit Montag abend herrscht, als alle . Kirchenführer'und eine große Zahl von Theologen und anderen Männern der Kirche hierherkamen, um die heutige Audienz vorzubereiten.

Als Vertreter der . Deutschen Christen'nehmen an der Audienz teil: Oberheid, Kinder (Hossenfelders Nachfolger als Reichsführer), Bischof Beye (gerade 30 Jahre alt), Professor Beyer, Professor Fezer, Landesbischof Coch (Sachsen) und ein Unbekannter.

Von der Opposition: Die Bischöfe Mahrarens, Meiser, Wurm, Schöffel, Präses Koch (Westfalen), Niemöller und Lauerer. Außerdem befinden sich Karl Barth, Gegarten, Bodelschwingh, Dr. Hesse, Udo Smidt, Gerhard Kittel, Professor Rückert und andere in Berlin. Sie alle sind seit Montag abend ständig zusammengewesen, um eine Lösung zu finden.

Schon Dienstag hatten Fezer und Lauerer gemeinsam eine Erklärung verfaßt, die nicht mit einem gemeinsamen Bekenntnis des christlichen Glaubens begann, sondern mit einem Sünden-bekenntnis gegenüber Adolf Hitler: die evangelische Kirche hätte in den letzten Monaten , dem Reichskanzler schwere Enttäuschungen bereitet', und deshalb wolle man jetzt ihm gegenüber seine Schuld bekennen ... Das war allerdings selbst für die Nazi-Treuesten zu stark, und die Erklärung wurde in den Papierkorb geworfen. Wie viele weitere Schreiben bisher verfaßt worden sind, weiß ich nicht. Heute morgen sollen sich wieder alle zu einer letzten Beratung versammeln. Man kann nur beten, daß Gott unsere Brüder nicht ganz ohne Erleuchtung über den wahren evangelischen Glauben läßt. Ein kleiner Lichtblick besteht darin, daß Hitler um 12 Uhr, das heißt eine Stunde vor dieser Audienz, zum Reichspräsidenten bestellt worden ist, und daß dieser ihm einige väterliche Ermahnungen geben wird. Da es gelungen ist, dieses Gespräch unmittelbar vor die Audienz zu legen, hofft man, daß kein verantwortungsloser Berater seinen Einfluß auf den Reichskanzler ausüben kann, bevor das Gespräch mit den Vertretern der Kirche stattfindet ...“

Bestand bei der inneren Einstellung Hitlers wirklich eine Hoffnung, daß aus diesem Gespräch ein positives Ergebnis hervorgehen könnte?

Forell hat später über den beschämenden Ausgang der Audienz und ihre Folgen berichtet:

. Hermann Göring war als Ministerpräsident für Preußen anwesend. Er gab Berichte über abgelauschte Telephongespräche von Martin Niemöller, der in etwas burschikosem Ton sich über den Reichspräsidenten und Hitler geäußert haben sollte. Unter dem Eindruck von dem in solchen Fällen oft vorkommenden Wutanfall des Führers ließen sich die lutherischen Bischöfe, die in der Opposition gestanden hatten, überrumpeln und erklärten sich bereit, sich dem Regiment des Reichsbischofs zu fügen und . Frieden zu halten'. Dies wurde von der radikalen Richtung, die unter Martin Niemöller stand, als , Verrat'bezeichnet. Es gelang Ludwig Müller wenigstens, die schon vorhandene Mißstimmung zwischen der Niemöller-Gruppe und den mehr moderaten Elementen in der , Bekennenden Kirche'unter Leitung der lutherischen Landesbischöfe von Bayern und Hannover und Bischof Wurm in Württemberg noch zu verschärfen. Der nationalsozialistische Staat und sein Werkzeug Ludwig Müller verstanden es gut, diese Spannung für eigene Zwecke auszunutzen ..."

Bespitzelung durch die Gestapo

Für die nationalsozialistische Bespitzelung durch abgehörte Gespräche, die im Fall Niemöller für den Ausgang der Audienz bei Hitler eine so verhängnisvolle Rolle gespielt hat, erzählt Forell eine bezeichnende Episode: „Eines Tages kam ein höchst aufgeregter Amtsbruder zu mir. Er erzählte, er sei eben bei der Staatspolizei gewesen. Am Tage vorher waren einige Pfarrer bei ihm zu Gast. Sie hatten vor dem Kamin gesessen und hatten über das neue Reich und den neuen Führer gesprochen. Im Verlauf des Gesprächs sagte der Propst, daß der Führer sicher kein großer Staatsmann, aber ein großer Volksredner sei. Am nächsten Morgen kommt ein telefonischer Anruf und eine Stimme sagt: . Wollen Sie bitte zur Staatspolizei kommen?!'Der Propst wurde von einem barschen Herrn empfangen, der sofort fragte: . Ist es wahr, daß Sie gesagt haben, unser Führer sei kein großer Staatsmann?'Der Propst schnappte nach Luft und gab dann zu, daß er im Lauf des Gesprächs etwas Ähnliches gesagt haben könne, aber daß ein aus dem Zusammenhang gerissener Satz einen ganz anderen Sinn bekomme. . Wollen Sie den Zusammenhang hören?'fragte der Komissar, drückte auf einen Knopf und schon bringt ein Fräulein einen Apparat herein. Und der Propst hört die Unterhaltung und seinen eigenen Satz: . Man kann von unserem Führer sagen was man will, aber ein großer Staatsmann ist er nicht ...'— , Da haben Sie den Zusammenhang! Und ich will Ihnen jetzt nur sagen, daß Sie diesmal nach Hause gehen dürfen; aber sollte sich so etwas wiederholen, kann ich nicht garantieren, was passiert ...'

Das war an und für sich sehr interessant, dieser Fall mit dem Propst und der Gestapo. Sie hatten wohl ein Mikrofon im Kamin gehabt und wußten genau, was sie taten, nämlich daß diese Geschichte sich wie ein Lauffeuer in allen Pfarrhäusern verbreiten würde. Auch ich hörte einmal in Düsseldorf und einmal in München davon, daß erschrockene Pfarrer und Laien davon berichteten. Es war ja die Absicht, die Leute glauben zu machen, daß hinter jedem Heizkörper oder in jedem Kamin ein Mikrofon angebracht wäre. Eine Bestätigung dafür bekam ich nach einigen Jahren während der Judenverfolgung. Ich war auf der Gestapozentrale, um einen mit einer Schwedin verheirateten Nicht-arier freizubekommen und hatte mit dem Kommissar ein langes Gespräch, das positiv endete. Als ich aufbrechen wollte, begann mich der Kommissar über meine Landsleute auszufragen, und nachdem ich die ganz unschuldigen Fragen beantwortet hatte, stellte ich zum Schluß meinerseits eine Frage. , Da Sie doch nach meiner Arbeit gefragt haben, möchte ich auch von Ihnen etwas wissen: Woher bekommen Sie so viele Leute, daß Sie alle und alles überwachen kön-nen? ‘ — , Oh‘, sagte er, . Sie sind doch schon neun Jahre hier? -— Ja', sagte ich. — , Und Sie glauben, daß wir so viele Leute haben? Die brauchen wir gar nicht. Wenn man glaubt, daß dort hinter der Tür ein Mensch steht und unser Gespräch abhorcht, und wenn man das 365 Tage im Jahr glaubt, so braucht man nicht 365 Tage, sondern vielleicht nur an 2 Tagen diesen Menschen und nach einer Pause: , die Angst genügt, Herr Pastor .. .

Ich habe nie eine präzisere Beschreibung gehört. Diese Formel beschrieb die Diktatur ...“

Hauers „Deutsche Glaubensbewegung"

Inzwischen hat Forell selbst -im Einverständnis und mit Wissen seines Erzbischofs -einige Versuche gemacht, auch die Front auf der nationalsozialistischen Seite zu erforschen, um dort vielleicht Ansätze zu finden, die eine Vermittlung möglich machen können.

So entgegengesetzt das Ziel der „Deutschen Friedensbewegung“ jedem bewußt evangelischen Denken sein muß, da sich die „Glaubensbewegung“ ganz vom Christentum abkehrt und, wie Forell geschrieben hat, nordisch-germanischarisch-gläubig“ ist, also die Idee des Nationalsozialismus von einer „artgemäßen" Religion aus „Blut und Boden" vielleicht am reinsten verkörpert, so scheint Forell zunächst doch in der Persönlichkeit ihres Gründers, Professor Wilhelm Hauer (ihm aus vielen gemeinsamen Bemühungen um eine Verständigung zwischen den Religionen vertraut) eine Gewähr gegeben zu sein, daß neben Hauers „dritter Konfession den beiden anderen, den christlichen Konfessionen unter dem Nationalsozialismus durchaus eine Lebensmöglichkeit gelassen sein könne. Vielleicht würde außerdem die neuheidnische Entschlossenheit der „Glaubensbewegung“ die Wirrköpfe unter den „Deutschen Christen", die ja den Boden christlichen Denkens längst verlassen haben, endlich aus der Kirche herausführen und so eine notwendige Reinigung bedeuten. Wie die Dinge nun einmal liegen, sind nicht nur Forell, sondern auch andere Theologen bereit, Hauers Bestrebungen ernst zu nehmen.

Auch wenn Forell noch im Januar 193 3 Rudolf Otto anvertraut hatte: „Hauer macht mir große Sorgen. Er wird allmählich rabiat. . . so findet er es doch wichtig, die alten Beziehungen nicht abreißen zu lassen. „Ich habe ein dreistündiges Gespräch mit Professor Hauer gehabt,“ schreibt er am 2. Oktober 1933 an den Erzbischof. „Er ist entschlossen, bis zum Äußersten in seinem Kampf für die Anerkennung der vollen Gewissensfreiheit fest zu stehen, und ist bereit, die Konsequenzen auf sich zu nehmen. Wegen Krankheit wurde sein Gespräch mit dem Kanzler aufgeschoben, aber er rechnet damit, in den nächsten Tagen zur Audienz gerufen zu werden. Professor Otto wird wahrscheinlich gleichzeitig herkommen, denn er will mit Hauer über dessen Aktion beraten und darüber, wieweit sie gewisse, für die evangelische Minorität in der Kirche („es handelt sich eigentlich nicht um eine Minorität, aber sie wird so genannt“, schreibt Forell an anderer Stelle) vorteilhafte Rüdewirkungen haben könnte. Ich will gern mit ihm sprechen, bevor ich mich für die Möglichkeit, mit dem Staatssekretär im Reichsinnenministerium zu verhandeln, verwende... » Diese Möglichkeit, mit dem Innenministerium zu verhandeln, die Forell andeutet, bezieht sich auf die Frage, wie sich die Reichsregierung die Stellung der bewußt am Bekenntnis festhaltenden Christen in der neuen Reichskirche denke, „ob sie dieselbe Möglichkeit zu . geistiger Auswirkung'wie die anderen haben sollten und ob die politischen Machtmethoden, die seit der Wahl des Reichs-bischofs Anwendung finden, jetzt zurückgestellt würden“. Dieses Gespräch findet am 9. Oktober im Innenministerium mit dem Staatssekretär Buttmann statt. Forell trifft auf die üblichen Phrasen der Nationalsozialisten über die „bekenntnismäßige Zersplitterung innerhalb der evangelischen Kirche", die „Verbeamtung“ der Kirchenführung, „. . . mit anderen Worten, die sozialen Aufgaben unseres Zeitalters wurden nach dem Empfinden weitester Kreise des evangelischen Kirchenvolkes nicht mit dem Ernst und der Entschiedenheit durchgeführt, wie man es erwarten mußte. . .“ Damit sieht Staatssekretär Buttmann die Bestrebungen der „Deutschen Christen" gerechtfertigt. „. . . dadurch ist die Bewegung der „Deutschen Christen“ mächtig gefördert worden, weit über die Kreise der NSDAP hinaus. Der Ansturm gegen die führenden Kreise der evangelischen Landeskirche ist also nicht nur aus politischen Gründen (wegen der Zusammenballung reaktionärer Kräfte in den alten Kirchenverwaltungen und ähnlichen Gründen), sondern auch aus echt religösem Empfinden heraus erfolgt. .

Salbungsvoll fügt er hinzu: „Der Herr Reichs-bischof erklärt fast wörtlich: , Mit dem heutigen Tag haben die kirchenpolitischen Kämpfe ihren Abschluß gefunden. Es beginnt nunmehr die seelsorgerische Aufgabe, das Ringen um die Seele jedes einzelnen Protestanten'. Ich als Vertreter der Kirchenpolitik, soweit das Deutsche Reich Kirchenpolitik zu betreiben hat, habe diese Erklärung des Herrn Reichsbischofs aus tiefstem Herzen begrüßt. Es muß die Zersplitterung des deutschen Protestantismus, die nunmehr durch die Wahl eines einheitlichen geistlichen Ministeriums und durch die Bestellung eines Reichsbischofs ihr Ende gefunden hat, unter allen Umständen auch beendet sein hinsichtlich des Parteienstreits. Wenn Sie also, sehr verehrter Herr Legationspfarrer, mir die Frage vorlegen, ob die Rechte der kirchenpolitischen Minderheit in Zukunft geschützt werden, so kann ich darauf nur erwidern, ich sehe eine kirchen-politische Minderheit nicht mehr als gegeben, sondern ich sehe nur eine Führung der deutschen evangelischen Kirche und das Kirchenvolk, das zu den Worten des Herm Reichs-bischofs Vertrauen haben muß und haben wird . . . Ich hoffe und halte es für notwendig, daß das Vertrauen zu der Führung der evangelischen Kirche Deutschlands in kurzer Zeit hergestellt sein wird. . .“

Mag sein, daß der Staatssekretär es wirklich glaubt. Forell ist immerhin bereit, aus dem Gespräch zu folgern, daß man im Ministerium „tunlichst die Gegensätze nicht durch Macht-spruch dämpfen will, sondern daß man auf einen inneren Ausgleich durch Zurückdrängung der radikalen Elemente hofft“. Aber er setzt skeptisch die Bemerkung hinzu: „Ob die Reichsführung irgendwelche Macht zur Durchsetzung ihrer Wünsche in diesem Fall hat, bleibt abzuwarten. . .“

Irgendwelchen Erfolg hat das Gespräch nicht gehabt. Ende Januar 1934 ist Professor Hauer wieder bei Forell und Forell berichtet darüber an Rudolf Otto: „. . . was das Nordische betrifft, hat man uns armen Schweden, die wir ja von unserem eigenen Kram nichts wissen, die interessantesten Neuentdeckungen ans Tageslicht gebracht. Calise (Forells Frau) ist aber etwas kritisch und hat dem lieben Hauer vorgeworfen, er hätte die Edda falsch übersetzt, und als Hauer sich gegen diese und andere Beschuldigungen nicht wehren konnte, hat er verzweifelt gesagt: „Sie sind so boshaft, gnädige Frau!“ Unsere heidnisch-nordisch-germanischen Tischgespräche sind sehr lebhaft und lehrreich und Calise hat Hauer so weit getrieben, daß er halb versprochen hat, Schwedisch zu le-nen."

Hauer geht nun einen dornigen Weg. Er hat sich in ein Bündnis mit dem Neuheidentum Alfred Rosenberg eingelassen. „Die Bekennende Kirche“, schreibt Forell später, „nahm den Kampf auch mit dieser Gruppe auf und richtete gleichzeitig den Angriff auf Rosen-bergs „Mythos“. In einer Kanzelabkündigung von 193 5 heißt es: „Wir sehen unser Volk von einer tödlichen Gefahr bedroht in einer neuen Religion. Die neue Religion ist Auflehnung gegen das erste Gebot. In ihr wird die rassischvölkische Weltanschauung zum Mythos. In ihr werden Blut, Rasse, Volkstum, Ehre und Freiheit zum Abgott. Solche Abgötterei hat mit positivem Christentum nichts zu tun. Sie ist Antichristentum. . ."

Die Idee, die Hauer zu vertreten gedachte, entgleitet ihm immer mehr. Die unguten Kräfte, die er glaubte zügeln zu können, gewinnen die Oberhand. Nach etwas mehr als zwei Jahren muß er eingestehen, daß er gescheitert ist. Er tritt aus der von ihm gegründeten Glaubensbewegung aus. Forell schreibt an Erzbischof Eidern: „Soweit man die Sache auf Abstand beurteilen kann, beruht sein Austritt darauf, daß er sich nicht mächtig genug fühlte, die immer stärkere antichristliche Einstellung zu verhindern, die seine Unterführer eingenommen hatten. Er hat die ganze Zeit über in der Bewegung seinen Standpunkt verfochten, daß erstens religiöse Freiheit eine Lebensbedingung für wirkliche Volksgemeinschaft ist und daß zweitens deshalb echtes Christentum im Deutschen Volk dieselbe Existenzberechtigung hat wie der „Deutsche Glaube" und daß drittens alle gehässigen Ausfälle gegen die Kirche und das Christentum verschwinden müßten, und daß eine religiöse Bewegung nicht die billigen Propagandamethoden einer politischen Bewegung anwenden dürfe und last not least, daß viertens jeder persönliche Ausfall gegen die Person Jesus von der Bewegung ferngehalten werden müsse. Es ist ihm offensichtlich nicht gelungen, seine Bewe-gung mit diesen Voraussetzungen zu durchdringen, und deshalb tritt er zurück. In den nächsten zwei Wochen kommt sicher eine offizielle Erklärung von ihm in die Presse, wenn das zugelassen wird, oder sonst ein Flugblatt, in dem er seine Stellung klarlegt. Für ihn persönlich ist dieser Schritt sicher eine Befreiung, aber für den Kirchenkampf bedeutet es wohl eher, daß man mit einer Verschärfung der radikalen anti-und a-christlichen Einstellung rechnen muß . .

Ausländische Bischöfe sollen bei Hitler intervenieren

Im Januar 1934 hat der schwedische Gesandte in Berlin Forell gegenüber den „Wunsch ausgesprochen", daß er „keine direkten Verbindungen zu Vertretern anderer Kirchen außerhalb Deutschlands unterhalten soll" — ein für Forell schwer überhörbares Votum. Es ist zweifellos zu seinem persönlichen Schutz gemeint. Seine eigenen Briefe gehen ja schon längst entweder mit besonderen Kurieren ins Ausland oder er benutzt die diplomatische Post der Gesandtschaft. Aber niemand kann verhindern, daß die ausländischen Empfänger mit der gewöhnlichen Post antworten, die der Kontrolle durch nationalsozialistische Zensoren greifbar ist. In ihrer Naivität und großen Ahnungslosigkeit über die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland können die Briefe ihm Gefahr bringen. Forell läßt sich nicht einschüchtern. Dem Brief, in dem er seinem Erzbischof von dem Verlangen des Gesandten berichtet, fügt er gleich drei Briefe nach Norwegen, Dänemark und Schweden mit der Bitte um Weiterleitung bei. Gerade jetzt bewegt ihn wieder besonders der Gedanke, wie die Ökumene zu mobilisieren sei, um den bedrängten Brüdern in Deutschland zu helfen.

So unbedeutend der Reichsbischof Müller als Persönlichkeit ist, so sehr ist er mit seinem Anspruch und den Maßnahmen, die er im Schutz der nationalsozialistischen Macht bewirkt, der Stein des Anstoßes für die Opposition. Gerade weil es ihm trotz allem nicht gelingen will, sich gegen die Bekennende Kirche durchzusetzen, wird sein Handeln immer verbissener. Würde es gelingen, ihn zu beseitigen, so wäre der Weg zu einer Befriedung des Kirchenkampfes vielleicht offen, jedenfalls gangbarer für die Opposition.

Im März bespricht Forell in Berlin mit Dr. Hans Schönfeld, dem deutschen Sekretär im Weltkirchenrat in Genf, die Frage, die ihn immer wieder bewegt hat: was kann und was soll von Seiten der ausländischen Kirchen getan werden? Dabei entwickelt er den Gedanken, daß zwei angesehene Vertreter der Ökumene „direkt Hitler aufsuchen und vor ihm das vom christlichen Standpunkt Unerträgliche und für Deutschlands außenpolitisches Ansehen Schädliche in der Politik der gegenwärtigen Kirchenleitung darlegen“ sollten. Forell nennt gleich die Namen, die einem solchen Schritt das nötige Gewicht geben könnten: Erzbischof Eidern (der im Augenblick auf Urlaub in Meran ist), von dessen Bereitschaft zu solchem Schritt Forell überzeugt ist, und der Bischof Bell von Chichester als Repräsentant der englischen Kirche. Schönfeld scheint nicht sofort zugestimmt zu haben. „Auf seiner Rückreise von Berlin nach Genf quer durch West-und Süddeutschland wird ihm aber . immer klarer', daß . bald etwas getan werden muß. . . als ich alle Situationsschilderungen hörte. . .'“

Er schreibt am 21. März an Forell aus Genf: „Jetzt nach meiner Herkunft habe ich die Lage eingehend mit meinen nächsten Kollegen diskutiert, und der Vorschlag wurde von ihnen gutgeheißen als vermutlich wirksamste Maßnahme im gegenwärtigen Augenblick". Nun ist er entschlossen, schnell zu handeln: „Wir haben uns geeinigt, folgenden konkreten Vorschlag per Flugpost dem Erzbischof Eidern und dem Bischof von Chichester vorzulegen: Der Erzbischof und der Bischof von Chichester treffen sich in Berlin zu einer Audienz bei Hitler an einem der Tage vom 12. bis 14. April. Da es ja von außerordentlichem Gewicht ist, daß deren Darlegungen in jedem Punkt , den Nagel auf den Kopf treffen'und die größtmögliche psychologische Wirksamkeit besitzen, ist es recht notwendig, daß der Inhalt dieser Darlegungen im voraus erwogen wird in Beratung mit einigen, die eingehend und von innen die augenblickliche kirchliche Lage in Deutschland kennen. Die allerbeste Lösung scheint uns die zu sein, daß Du in Beratung mit Lilje, Menn u. a. einen Entwurf für eine solche Darlegung machst und Du danach nach England fährst und die Frage im Detail mit Bell (Chichester) diskutierst (eventuell zusammen mit dem Erzbischof von Canterbury). Der beste Zeitpunkt dafür wäre 3 bis 4 Tage vor der in Aussicht genommenen Audienz, dadurch könnte das Gespräch mit Chichester auf Deinen mitgeführten Informationen über die allerletzten Ereignisse basiert werden und Du könntest es gleichzeitig schaffen, einen Flug-postbrief von London an den Erzbischof nach Meran zu schicken, so daß er während der Reise herauf (von Meran nach Berlin) Zeit hätte, den Vorschlag zu erwägen, auf den Ihr Euch geeinigt habt. Im Fall, daß Erzbischof Eidern wünschen sollte, schon im Voraus seine Gesichtspunkte darzulegen über die geeignetste Form des „approach“ und den Inhalt der Darlegung, habe ich ihn gebeten, darüber so schnell wie möglich an Chichester zu schreiben. . .“

Jetzt drängt Schönfeld zur Eile: „Zögert man wieder lange oder begnüngt sich mit , wait and see’, wird die Stellung der Evangelischen noch unerträglicher, und unheilbarer Schaden kann entstehen. Nach einigen, gerade jetzt hergekommenen Mitteilungen aus Deutschland wünscht man eifrig, daß diese von den nordischen Freunden geplante Aktion bald kommen möge, da die Opposition vielleicht sonst bald einen mörderischen Schlag bekommt ..

Aber wie soll man an Hitler herankommen? „Die entscheidende Schwierigkeit besteht darin, diese Audienz zu vermitteln ... Die Hauptbedingung für die Durchführbarkeit und Wirkungskraft einer solchen Audienz besteht selbstverständlich darin, daß sie nicht im voraus zur Kenntnis der gegenwärtigen Kirchenregierung kommt, sowie weiterhin, daß sie auch nicht hinterher zur Kenntnis der Presse oder der Allgemeinheit kommt und Hitler vielleicht dann aus innenpolitischen Gründen sich genötigt fühlen könnte, Müller und Konsorten weiter zu stützen. Deshalb müssen die wenigen, die mit der Sache zu schaffen haben, vorher und nachher absolute Verschwiegenheit beachten. Wir haben uns infolgedessen gefragt, ob es möglich wäre, daß Du die Audienz direkt in Berlin vermittelst, zum Beispiel über Neurath? Oder geht das nicht? — Wir legen nun diesen Plan in Deine Hände, der Vorschlag dafür kommt ja von Dir selbst und wir wissen, daß keiner besser als Du den Nutzen und die Ausführbarkeit beurteilen kannst. Nach meinen Eindrücken während der Reise herunter durch Deutschland ist der Augenblick für eine solche Maßnahme bald da. Es ist zu hoffen, daß sie durchgeführt werden kann und zu etwas Gutem dient; sie ist zum mindesten unternommen in der besten Absicht, den Brüdern in dieser unglückseligen Kirchen-fehde zu helfen ..." Schönfeld schließt seinen Brief mit den Worten: „Wir wissen hier, welchen unschätzbaren Dienst Du der ökumenischen Sache durch Deine Wirksamkeit in diesen Zeiten leistest.“

Bischof Bell von Chichester hat Bedenken

Der Bischof von Chichester hat Bedenken. „Ich möchte so gern alles und mehr noch tun, was in dieser ernsten Krise von Nutzen sein könnte", schreibt er, aber „werden nicht Erzbischof Eidern und ich tasächlich um einen Eingriff des Staates bitten, wenn wir zum Reichskanzler gehen? Angenommen, Hitler würde am Schluß unseres Vortrages fragen: „Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?“ Sollen wir dann sagen: „Setzen Sie bitte Bischof Müller und Bischof Oberheid ab“?

Können wir andererseits für uns beanspruchen, daß unsere Aufgabe erledigt ist, wenn wir unsere Feststellungen übermittelt haben? Können wir weiter beanspruchen, daß unsere Behauptungen tatsächlich nicht doch als ein Ersuchen um Hitlers Eingriff aufgefaßt werden, obwohl sie es der Form nach nicht sind? Ich möchte unter allen Umständen vermeiden, Hitler in die Lage zu setzen, als letzte Autorität in geistlichen Fragen dieser Art aufzutreten ... In anderen Wor-ten: es wäre sehr unglücklich, wenn wir etwas täten, was den Glauben an den totalen Staat und seine Macht über die Kirche stärken könnte. Wenn Hitler aber andererseits Nein" sagte und an Müller festhielte, oder wenn — was auf dasselbe hinausläuft — Göring und andere Kräfte in der Regierung ihn bestimmten, daß es im Interesse der Nationalsozialisten und damit des Reiches läge, . nein'zu sagen, wäre dann nicht unsere Stellung als Vertreter der Kirche außerhalb Deutschlands sehr geschwächt? . . . Und könnten nicht gewissenlose Leute unsere Intervention als Waffe mißbrauchen, um den Pfarrernotbund noch weiter zu schädigen? ... Können wir Hitler den Fall so darbieten und ihn ganz offen nicht um Bischof Müllers Absetzung, sondern nur um Gewissensfreiheit bitten und doch an all die Kräfte denken, mit denen wir kämpfen müssen, und an all die Einflüsse, die bloß aufpassen, um Vorteil aus einem falsche.. Vorgehen derer zu ziehen, die die Kirche außerhalb Deutschlands vertreten? Ich denke, man sollte dies alles sehr sorgfältig erwägen ..

Es ist keineswegs so, daß Bell sich dem Gedanken einer Intervention entziehen will, im Gegenteil, am Schluß seines Briefes versichert er: „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß ich schon fest entschlossen bin. Ich möchte recht handeln, und deshalb habe ich die Schwierigkeiten und meine Bedenken so klar formuliert. Trotzdem ist mein Geist offen und allen Vorschlägen zugänglich .. Seine Bedenken sind ja wirklich nicht von der Hand zu weisen bei der Unberechenbarkeit Hitlers und der Undurchschaubarkeit der Lage in Deutschland. Zum Schluß entwickelt Bell-Chichester noch einen anderen Gedanken: „Ich hatte möglicherweise an einen anderen Weg angesichts der Situation gedacht, aber ich weiß ganz und gar nicht, ob er gangbar ist. Eine gewisse Anzahl angesehener Persönlichkeiten in den Kirchen außerhalb Deutschlands müßten gemeinsam erklären, daß sie gehört hätten, Bischof Müller sei gebeten worden, bis zum 1. Mai freundschaftliche Beziehungen zu den auswärtigen Kirchen herzustellen, und daß sie dazu als Vertreter der ausländischen Kirchen sehr nachdrücklich zu sagen wünschten: solche Freundschaft ist unmöglich, solange die Unterdrückung durch Bischof Müller andauert. Diese Erklärung würde in der Presse außerhalb Deutschland (und innerhalb natürlich auch, wenn wir sie hereinbekommen) veröffentlicht werden und könnte unterschrieben sein vom Erzbischof von Upsala, Bischof Osten-feld, dem Primus von Norwegen, und dem Präsidenten von „Life and Work“ (das ist der Bischof von Chichester selbst) einschließlich des amerikanischen ..."

Eine solche Form des Protestes wäre viel schärfer als das von Forell vorgeschlagene persönliche Gespräch mit Hitler, sie würde in ihrer Wirkung aber wahrscheinlich vollkommen ins Unkontrollierbare abgleiten.

Privatbesuch des schwedischen Erzbischofs bei Hitler geplant

Bei den Bedenken, die der Bischof von Chichester in seinem Brief äußert, scheint es Forell nicht mehr gegeben, ihn von der Notwendigkeit eines Gespräches mit Hitlers zu überzeugen, oder vielleicht erst zu einem späteren Zeitpunkt. Doch die Zeit drängt. Nun setzt Forell seine Hoffnung auf den Erzbischof Eidern allein. Er streckt in Berlin die ersten Fühler aus, um die Möglichkeit einer Audienz bei Hitler zu erkunden, dann schreibt er am 29. März an Eidern: „Verehrter Erzbischof und Bruder! Es tut mir leid, daß ich den Ferienfrieden dort unten im Süden stören muß, aber es wäre ein noch größeres Unrecht, es jetzt nicht zu tun. Ein guter Freund reist heute abend nach Rom und nimmt dies mit über die Grenze. Ehrenström hat sicher schon Näheres über den Vorschlag berichtet, der für Ihre Durchreise hier gemacht wurde: ein Gespräch unter vier Augen mit Hitler. Ich komme jetzt Vermittlungsstelle, gerade von der bei der ich Rat und Aufklärungen in solchen Fällen zu holen pflege, und kann folgendes mitteilen: Bevor ich selbst irgendeinem Deutschen gegenüber einen Gedanken über einen Besuch von Ihnen bei Hitler geäußert habe, rief mich diese Vermittlungsstelle an und bat um meinen Besuch. Dabei sprach mein Freund selbst den Gedanken an einen derartigen Besuch bei einem in der Partei hochgestellten Deutschen aus. Er schlug Rust vor. Ich antwortete, daß ich nicht glaubte, daß es möglich oder richtig wäre, daß der Erzbischof von Schweden mit dem Kultusminister von Preußen über die deutsche Kirchen-frage spräche. Wenn ein Gespräch zustande kommen sollte, käme kaum etwas anderes in Frage als mit dem, der an letzter Stelle für die deutsche Reichspolitik verantwortlich sei, nämlich mit dem Kanzler selbst. Mein Freund erkannte das als vollkommen richtig und entschuldigte sich damit, daß Rusts Name von anderer Seite genannt worden sei. Heute haben wir das Gespräch wieder ausgenommen, und es wurde mir gesagt, daß der Reichskanzlei daran gelegen sei, ein ganz privates Gespräch zwischen Hitler und dem Erzbischof über die Kirchenfrage zu vermitteln, aber man bezweifelt, daß bei dieser Gelegenheit auch der Bischof von Chichester dabei sein könnte. Der Besuch würde dann mehr den Charakter von Intervention bekommen, und dann würde Hitler wahrscheinlich sagen, daß er seinen Vertrauensmann Müller dabei haben müsse, und dann wäre das Ganze umsonst. Es wäre sehr viel einfacher, den Charakter eines Privatbesuches aufrecht zu erhalten, wenn der Besuch bei Ihrer Durchreise in Berlin stattfände. Die Bedenken, die der Bischof von Chichester geäußert hat, würden damit entfallen. Das hindert aber nicht, daß Sie, Herr Erzbischof, dem Kanzler mit aller Schärfe und Klarheit mitteilen, daß das, was Sie sagen, inhaltlich auch mit der allgemeinen Meinung in der englischen Kirche und den anderen uns nahestehenden Kirchen übereinstimmt. Praktisch sollte durch einen solchen Besuch von Ihnen allein dasselbe erreicht werden, wie wenn der Bischof von Chichester dabei wäre, denn das, was gesagt werden soll, kann vollkommen frei diskutiert werden.

Ich habe schon bei meinem ersten Besuch in dieser Angelegenheit ausdrücklich erklärt, daß unbedingt vermieden werden muß, daß der Besuch vorher bekannt wird, und mein Freund bestätigte mir heute, daß er sich in der Reichskanzlei dafür verwandt habe, daß die Angelegenheit streng vertraulich behandelt werde.

Hinsichtlich des Zeitpunktes besteht eine kleine Schwierigkeit darin, daß der Kanzler nach Ostern auf Reisen ist und erst am 15. April nach Berlin zurückkommt. In der Reichskanzlei hielt man es indessen nicht für ausgeschlossen, daß der Reichskanzler eventuell etwas früher zurückkommt oder daß die Begegnung an einen anderen Ort verlegt wird, so daß Sie Ihre Reisepläne nicht zu ändern brauchten. Man will sich darüber in den allernächsten Tagen unterrichten und unverzüglich Bescheid geben.

Aus meinen bisher geführten Gesprächen habe ich jedenfalls den sicheren Eindrude, daß man in der nächsten Umgebung des Kanzlers geradezu wünscht, daß er ein Wort aus dem Ausland in der Kirchenfrage hört, und meine deutschen Freunde in der Kirche haben mir als ihre einstimmige Meinung bestätigt, daß der Erzbischof von Upsala die größten Möglichkeiten hat, dem Kanzler ein ernstes Wort zu sagen. Nun hoffe ich nur, daß Sie sich in der Lage sehen, diesen Schritt zu tun. Chichesters Gedanke, sich auf eine gemeinsame Feststellung für die nordischen und die englischen Kirchen zu beschränken, muß sicher auch geprüft werden. Nach meiner persönlichen Meinung sollte eine solche Äußerung erst getan werden nach dem letzten, verzweifelten Versuch, den Kanzler persönlich zu beeinflussen — nicht etwas zu tun, was Chichester „Staatsintervention" nennt — sondern die Gefahr zu sehen, die darin liegt, daß der Staat ein solches Regiment wie das von Herrn Müller unterstützt. Ein Eingriff des Staates ist ja bereits bei der Kirchenwahl geschehen und bei deren Folgen. Durch eine Darstellung der Lage, wie sie von außen gesehen wird, soll ja gerade erreicht werden, weitere Eingriffe des Staates zu verhindern und den geistigen Kampf allein mit geistigen Waffen zu führen.

Unsere Freunde hier und in Westfalen stimmen darin überein, daß der Zeitpunkt für ein solches privates Gespräch nicht verschoben werden darf; ein guter Freund sagte mir, man stehe in der Opposition . gleichsam auf Zehenspitzen'und warte auf das, was von den christlichen Brüdern außerhalb der Grenzen des Reiches möglicherweise kommen könne. Mit Dr. Lilje habe ich die Frage eingehend diskutiert. Er ist grundsätzlich dafür, daß jetzt etwas geschehen müsse, ist aber ebenso wie Chichester über alles besorgt, was wie eine Intervention aussehen könnte, die den Kanzler aus Prestigegründen nötigen würde, Müller zu schützen. Wenn man eine Form finden könnte, in der das Gespräch mit Hitler seinen privaten Charakter behielte, würden weniger Bedenken gegen eine Zusammenkunft von Ihnen mit Hitler bestehen. Dr. Menn meint, daß die nordischen Kirchen — und besonders die schwedische Kirche — das Recht haben, die übrigen zu vertreten, .denn sie sind die einzigen draußen, die wirklich unsere Situation verstehen'.

Mein Freund aus Barmen (Georg Schulz) wird Dienstag nach Berlin kommen, und wir werden dann alles besprechen, was von dieser Seite wünschenswert erscheint, bei dem Kanzler vorzubringen. Ein Bote von ihm war gerade ’ eben hier und legte mir ans Herz, mich dafür einzusetzen, daß der vorgeschlagene Schritt getan wird, denn die Belastung für die, die nun die schwersten Lasten tragen, ist unerhört groß.

Wenn das Gespräch zustande kommt — persönlich hoffe ich darauf —, sind die christlichen Kirchen außerhalb Deutschlands nicht daran gehindert, die von Chichester vorgeschlagene Form der Erklärung zu geben, und es schadet nichts, wenn hier allmählich klar wird, daß das kommen könnte.“

Es wird aus den Akten nicht ersichtlich, ob dieser geplante Besuch bei Hitler tatsächlich erfolgt ist; von einer von Forell erhofften Wirkung ist jedenfalls im weiteren Verlauf des Kirchenkampfes nichts zu spüren. Abgesehen davon, daß Forells Brief an Erzbischof Eidem ein Meisterstück von Forells Takt und Taktik ist, dem Erzbischof eine gewiß nicht angenehme, ja, durch die Bedenken des Bischofs von Chichester belastete und zum wahrscheinlichen Scheitern verurteilte Aufgabe schmackhaft zu machen, macht der ganze Plan deutlich, in welcher Richtung Forell immer wieder bereit ist, sich einzusetzen, und welche Schwierigkeiten sich dem entgegenstellen.

Rücktritt Müllers — Kerri „Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten”

Als anderthalb Jahre später, Ende 193 5, Reichs-bischof Müller ohne ausländische Einwirkung zurücktritt, wird klar, daß sein Verschwinden weder Besserung noch den Anfang einer Entspannung im Kirchenkampf bedeutet. Der W'ille, der danach trachtet, die vom Christentum geprägten Formen im Leben und in der Kultur Deutschlands, seine Religion und uralte Bindung an die christliche Welt auszulöschen, verliert nichts von seinem Fanatismus. Er wird von anderen Kräften vorwärts getrieben, nicht nur vom Reichsbischof. Er kommt aus der Mitte der nationalsozialistischen Idee, die ihren Totalitätsanspruch mit keiner Macht unter dem Himmel zu teilen bereit ist. So bedeutet Müllers Abberufung nichts. Er ist gescheitert im Kampf gegen den Widerstand, den er nicht überwinden kann, trotz aller Machtmittel, die er nicht gescheut hat, anzuwenden; seine Unfähigkeit ist offenbar geworden — darum muß er weichen. Seine Auftraggeber lassen ihn fallen, denn sie setzen ihre Hoffnung auf einen anderen, noch rücksichtsloseren, ehrgeizigeren Mann; Hanns Kerri. Er ist mittlerer Justizbeamter gewesen. Die nationalsozialistische Welle hatte ihn emporgespült. Man hatte ihn zum Justizminster gemacht; er hatte versagt. Sein Freund Göring hielt schützend die Hand über ihn. Im Mai 193 5 wird er zum „Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten" ernannt.

Im Grunde ist auch er nur eine Marionettenfigur in dem großen Spiel. Das sind sie alle, keine Persönlichkeiten, die fähig wären, Geschichte und Schicksal zu gestalten. Mit der Macht, die der nationalsozialistische Staat ihnen leiht, richten sie unendliche Unordnung, unendliches Unrecht und Leid an. Sie zerstören, aber sie bauen nicht auf, sie maßregeln, verbieten, hetzen, verfolgen, aber es gelingt ihnen nicht, etwas Neues zu formen, das nicht sogleich wieder brüchig würde, es gelingt ihnen nicht, soviel Gewalt sie auch daran setzen, den Widerstand zu brechen, der sich ihnen entgegenstellt.

Der Widerstand — es wäre falsch, ihn zu heroisieren. Viele einzelne haben mutig für das Bekenntnis der Kirche gekämpft, haben Verfolgung ertragen, Gefängnis und Folterung erlitten und ’n den nationalsozialistischen Konzentrationslagern Leben und Gesundheit verloren. Die letztenJahrhunderte der deutschen Kirchengeschichte haben nicht so viele Märtyrer des Glaubens in Deutschland gesehen, wie dieses Jahr des Kirchenkampfes. Aber die Kirche selbst, die „Bekennende Kirche", ist ein sehr notvolles Gebilde, weit entfernt von einer „eclesia triumphans“. Von außen bedrängt, eingeschnürt und durch den nationalsozialistischen Machtanspruch in ihrer Existenz bedroht, ist sie auch innerlich zerspalten, durchsetzt von Unduldsamkeiten ge-geneinander, bestimmt von Temperamenten, die sich bekämpfen. Sie scheint bis auf wenige Augenblicke der großen, aller Glieder zusammenfassenden Linie entbehren zu müssen, armselig in ihrer Unvollkommenheit, oft beschämend und betrübend. Und doch ist sie der Ort des Widerstandes und des Gewissens, den die antichristlichen Mächte des „Dritten Reiches“ nicht überwinden können.

Pfarrer-Notbund und Bekennende Kirche

Ende 1933 beginnt dieser Widerstand sich im „Pfarrer-Notbund" zu kristallisieren. Es werden Synoden abgehalten. In Barmen einigen sich im April 1934 Vertreter der lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen, die Synode als die Vertretung der „rechtmäßigen“ evangelischen Kirche in Deutschland anzuerkennen. Dr. August Jäger, den die nationalsozialistische Regierung 1933 als Staatskommissar für die evangelische Kirche der altpreußischen Union eingesetzt hatte, erhält als „Rechtsverwalter der Deutschen Evangelischen Kirche“ den Auftrag, alle bisher selbständig gewesenen Landeskirchen in die eine Reichskirche einzugliedern. Besonders in Bayern und Württemberg ist der Widerstand dagegen so groß, daß er trotz harter Gewalt-maßnahmen, Absetzung der Bischöfe und Gestapohaft, die Aktion nicht durchgeführt werden kann. Nur einige kleinere Landeskirchen beugen sich unter die Diktatur des Bischofs Müller. Dr. Jäger muß zurücktreten. Im November bildet die „Bekennende Kirche'eine „Vorläufige Kirchen-leitung" als eine Art Gegenregierung gegen den Reichsbischof. Der Reichsbischof muß schließlich weichen. Aber Kerri übernimmt im Juli 193 5 als Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten den Auftrag, an dem Jäger und Müller versagt haben, und ihm gelingt es, mit Brutalität und List die latenten Gegensätze innerhalb der Be-kennenden Kirche zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten für seine Zwecke auszunützen. Damit beginnt ein neuer Abschnitt des Kirchenkampfes.

Forell ist im Mai 1935 von der Schottischen Kirche aufgefordert worden, auf ihrer General-versammlung in Edingburgh über die gegenwärtige Lage der Kirche in Deutschland einen Vortrag zu halten. „Eine große Versuchung" für ihn, wie er schreibt, denn er kann dabei hoffen, in dem Sinn zu wirken, wie er die Ökumene verstanden wissen will, und um Verständnis für die bedrängten Freunde in Deutschland zu werben. Allerdings sieht er auch die Schwierigkeiten, die ihm und der Sache daraus erwachsen können. „Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Situation in der deutschen Kirche gerade jetzt ziemlich beunruhigend und meine Stellung als schwedischer Pfarrer in Berlin heikler als jemals zuvor ist, würde ich es vorziehen, nach Edingburgh nur privat zu kommen und nicht als Vertreter der schwedischen Kirche. . Als ihm von Edingburgh versichert wird, daß man durchaus dafür Verständnis habe, seinen Vortrag „vertraulich“ behandeln und auch von seiner Anwesenheit bei der Kirchen-Versammlung nichts in die Presse bringen werde, sagt Forell zu.

Begegnung mit Dorothy Buxton

Das wesentlichste Ergebnis dieser kurzen englischen Reise ist für Forell die Begegnung mit Dorothy Buxton, einer englischen Quäkerin, aus großer Familie mit weitreichenden Beziehungen. Ihr Mann ist Mitglied des Parlaments, ihr Schwager Lord Noel Buxton, sie selbst publizistisch tätig, unerschrocken, temperamentvoll« unermüdlich in ihrem Eifer für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. „Sie steht den Engeln im Himmel näher als jeder andere, den ich kennen gelernt habe", schreibt Forell über sie, und später nennt er sie „eine moderne Heilige — aber man darf es nicht laut sagen, sonst wird sie wütend. .

Aus dieser ersten kurzen Begegnung entwickelt sich ein Briefwechsel, entsteht eine Freundschaft, die durch viele Jahre, besonders während des Nationalsozialismus und in der Zeit, als Forell für die deutschen Kriegsgefangenen in England tätig ist, für ihn unendliche Hilfe bedeutet, nicht nur dadurch, daß Dorothy Buxton immer wieder erhebliche Geldmittel aufbringt und an Forell schickt, damit er sie für seine Schützlinge verwenden kann, sondern vor allem durch die Gemeinsamkeit der Gesinnung und die Bereitschaft, sich stets einzusetzen, um das als notwendig Erkannte ganz zu tun. „Ich fühle immer, daß Sie und ich Freunde und Verbündete sind“, schreibt sie einmal. „Alles was jetzt in Deutschland geschieht, hat eine große Wirkung in der Welt im Hinblick auf die Wachheit von Gedanken und die Schärfung der Gewissen. Nichts ist vergeblich, nichts ist sinnlos. In meinem eigenen Land kann ich die Wirkung weit und breit sehen. Aber ganz gleich, ob man es überall sehen kann oder nicht, man kann gewiß sein, daß alles darauf hinarbeitet, die Wahreit aufzudecken. .

Auch sie ist betroffen von der Gleichgültigkeit ihrer Mitmenschen: „Die Lage hier ist, fürchte ich, ähnlich, wie Sie sie von Schweden beschreiben. Die Menschen finden es leicht, ihre Augen von den schrecklich unerfreulichen Tatsachen der Gegenwart wegzuwenden. Alles in Deutschland scheint zu schrecklich, um wirklich wahr zu sein, und die Menschen wollen sich nicht die Mühe machen, die Dinge selbst zu studieren .. Und später: „Die Trägheit der englischen Kirchenleute, die Wahrheit über die Vorgänge in Deutschland zu sehen, ist verblüffend, obgleich die Wahrheit einem ins Gesicht springt.“

Sie ist viel krank. „Ich muß noch immer ein sehr ruhiges Leben zu Hause führen, dennoch bin ich überzeugt, daß mein Leben nicht so sinnlos ist, wie es nach außen erscheint. Mein Glaube wächst, daß Gott uns für seine Zwecke braucht und daß es das Wichtigste im Leben ist, das Gefühl für seine Gegenwart und Macht immer in sich zu spüren und sich über die eigenen offensichtlichen Schwächen nicht zu beruhigen. Ein Glaube ohne Vorbehalte erscheint die einzige Alternative zu völliger Verzweiflung. Zwischen beiden zu schwanken bedeutet schrecklichen Verlust geistiger Kraft. Ich denke an Sie und unsere anderen tapferen Freunde, die in diesem aussichtslos erscheinenden Kampf erdrückt werden, und bin gewiß, daß kein Jota Ihrer Tätigkeit und Ihres Opfers umsonst ist, obgleich Sie vielleicht auf dieser Erde niemals sehen werden, was daraus wird, oder jedenfalls die Ergebnisse nicht zu der Zeit und in der Art kommen werden, wie Sie hoffen. Aber wenn die Ergebnisse uns auch nicht sichtbar sind, so sind sie doch schon da: das Reich Gottes wird aufgebaut. Sie arbeiten nach den unerbittlichen Gesetzen des Geistigen und Ewigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Despoten und ihre Werkzeuge weggefegt werden. Es wird sich zeigen, daß ihre Methoden ebenso dumm wie grausam sind. . Und in einem späteren Brief findet sich der ahnungsvolle Satz: „Wir dürfen nicht alle unsere Kraft jetzt verbrauchen; wer weiß, welche Sintflut uns noch erwartet! ..."

Schon bald nach seiner ersten Begegnung mit Dorothy Buxton hat Forell ihr aus einem Urlaub, den er in Schweden verbringt, aus Deutschland zu berichten: „Ich bekam gestern einen Bericht über das Gespräch zwischen Kerri und den Vertretern der Bekennenden Kirche. Es scheint, daß der Kirchenminister völlig seine Nerven verloren hat. Er hat über die gegenwärtige Lage solch sinnlose Äußerungen gemacht, daß es beinahe unmöglich ist, zu glauben, daß ein Staatsmann solche Dinge sagen kann. Er hat keinen Schimmer einer Vorstellung von dem, was Religion ist. Und dieser Mann trägt die Verantwortung für die Evangelische Kirche in Deutschland! Es wird eine sehr harte Zeit für unsere Freunde in der Bekennenden Kirche werden ..."

Scheinbare Entspannung — Bekennende Kirche vor der Gefahr der Spaltung

Zwei Ereignisse des Jahres 1936 sind es, die die nationalsozialistische Regierung veranlassen zu wünschen, wenigstens nach außen hin eine Befriedung des Kirchenkampfes demonstrieren zu können: die Wiederbesetzung des Rheinlandes — ein Schritt, der bei dem damaligen Mißtrauen des Auslandes Deutschland gegenüber das Risiko eines Krieges in sich trägt, und, friedlicher: die Olympiade, die im Sommer in Berlin stattfinden soll. Mit einer phantastischen Prunkentfaltung gedenkt der Nationalsozialismus in kühler Berechnung die zur Olympiade strömenden Ausländer so zu blenden, daß die Schatten, die über Deutschland und dem Kirchenvolk liegen, in der Weltöffentlichkeit vor begeisterten Artikeln nicht mehr sichtbar wären und die Friedenswilligkeit Deutschlands geglaubt würde.

Reichsminister Kerri gab die Parole der nationalsozialistischen Friedensbereitschaft im Kirchenkampf aus. Ein „Reichskirchenausschuß" sollte mit ihm für die „Befriedung" arbeiten. In der Bekennenden Kirche lehnte der radikale Flügel unter Niemöller eine solche Mitarbeit ab. Aber Kerri gelang es, unter den „neutralen Lutheranern" den siebzigjährigen westfälischen Generalsuperintendenten Dr. Zöllner, der im Ruhestand war, dafür zu gewinnen, den Vorsitz in diesem „Reichskirchenausschuß“ zu übernehmen. Da sich die lutherischen Bischöfe Mahrarens (Hannover), Meiser (Bayern) und Wurm (Württemberg) hinter Zöllner stellten, schien die Front der Bekennenden Kirche zunächst auseinandergebrochen. Forell schildert den Gegensatz zwischen Niemöller und Zöllner in einem Brief an den Bischof von Chichester: „Dr. Niemöller, Dibelius, Koch usw. glauben, daß es keinen Sinn hat, in dieser Lage einen Kompromiß zu suchen, und zögern deshalb, mit Zöllner zusammenzuarbeiten als einem Vertreter eher des Staates als der Kirche. Meine eigene Meinung ist, daß die alte Linie der Bekennenden Kirche, die von Niemöller repräsentiert wird, die einzige wahrhaft christliche in dieser Lage ist... Der wirkliche Unterschied zwischen Zöllner und Niemöller ist weniger eine Frage der verschiedenen dogmatischen Auffassung als ein Unterschied des —um mit dem Neuen Testament zu sprechen — , diacrisis pneumaton’ (Entscheidung des Geistes). Zöllner behauptet, an die Erklärung des neuen Staates als . positiver Christ’ zu glauben. Niemöller hat gesehen und ist bereit, jede Konsequenz aus einer Erfahrung zu ziehen, daß dieses . positive Christentum’ nicht das Christentum von Jesus Christus und der Kirche ist. Er hält es für seine Pflicht, dieses wahre Christentum Jesu Christi in jeder Situation zu proklamieren und zu . bekennen’ ... Die . bekennenden Lutheraner’ mit den Bischöfen Mahrarens. Meiser, Wurm haben eine sehr schwierige Stellung. Sie haben Zöllner unterstützt und haben sich dadurch zwischen zwei Stühle, wenn nicht drei gesetzt. Sie lesen zuviel von Paulus und Römer 13 und haben bis jetzt nicht erkannt, daß ein wirklich totalitärer Staat etwas Neues in der Geschichte ist und nicht mit Friedrich II., Napoleon oder sonst einem der Autokraten der Vergangenheit verglichen werden kann ... Es besteht für die christliche Kirche heute wirklich die Gefahr, zu diplomatisch zu sein. Das einzige, was einen totalitären Staat und seine Vertreter beeindruckt, ist, Stärke zu zeigen, was nicht gleichbedeutend sein muß mit Wiederaufrüstung und Mut, und die Christen im Ausland müssen den tapferen Pastoren und Laien der Bekennenden Kirche dafür danken, daß sie beides in dieser schrecklichen Zeit bewiesen haben ..."

In einem später, 1946 geschriebenen Aufsatz, versucht Forell, die Situation der Lutheraner in der Bekennenden Kirche zu erklären: „Die Spannung zwischen der Vorläufigen Leitung der Bekenntniskirche und dem lutherischen Block innerhalb der Evangelischen Kirche, die sich schon in einem frühen Stadium bemerkbar machte, führte 193 5 zur Bildung des . Lutherischen Rates’, der unter Führung von Bischof Mahrarens der Sprecher besonders der sogenannten intakten lutherischen Kirchen in Hannover, Bayern und Württemberg wurde. Persönliche Meinungsverschiedenheiten spielten wohl bis zu einem gewissen Grade mit, aber im wesentlichen waren es Fragen der Kampfmethoden und der Ausdrudesform, wenn es darum ging, den christlichen Standpunkt gegenüber dem Staat und der Partei zu erklären, die diese Lutheraner von den Führern der Bekennenden Kirche trennten, von denen die meisten, wie Martin Niemöller, der Linierten Kirche in Preußen angehörten.

Der Lutherische Rat vertrat eine konziliantere Politik gegenüber dem totalen Staat und der Partei als die Leitung der Bekennenden Kirche für sich möglich hielt. Die Kompromißvorschläge, die von Seiten des Staates und der Partei hin und wieder entworfen wurden, um Gegensätze innerhalb der evangelischen Kirche und zwischen ihr und der neuen Bewegung zu überbrücken, fanden ein offeneres Ohr bei dem Lutherischen Rat als bei der Leitung der Bekennenden Kirche. Der erstere sei bisweilen zu sehr bereit, seine Loyalität gegenüber dem totalen Staat zu betonen, meinte die letztere. Den lutherischen Bischöfen Mahrarens, Meiser und Wurm, denen es gelungen war, ihre Landeskirchen von einer aufgezwungenen deutsch-christlichen Leitung freizuhalten, trotz mancherlei Versuchen in dieser Richtung, lag daran, nicht durch verschärfte Methoden und Formulierungen zu riskieren, die Bindung zu ihren Gemeinden zu verlieren. Selbst wenn der Lutherische Rat in mehrfacher Hinsicht andere Wege ging als die Leitung der Bekennenden Kirche, und vorsichtigere Worte und Methoden anwandte, so fühlte sich doch die große Mehrheit dieser Lutheraner in den . intakten'Landeskirchen der Bekenntnisfront zugehörig und zeigte sich in ihren Schriften auch so. Es gab auch viele persönliche Verbindungen zwischen den beiden Lagern, und es ist deshalb nicht begründet, die Spannung zwischen ihnen allzusehr zu betonen.

Dagegen muß hervorgehoben werden, daß es unter den Lutheranern auch mindestens zwei verschiedene Richtungen gab, und die Unterscheidung zwischen ihnen lag vor allem bei der Frage, wie weit ein Lutheraner in seiner Loyalität gegenüber einem totalitären Staat wirklich gehen kann. Mahrarens in Hannover vertrat dabei die Gruppe mit der Meinung, daß man von Seiten der Kirche der Forderung des neuen Staates nach Loyalität sehr weit entgegenkommen müsse. Es gibt billigerweise keinen Anlaß zu glauben, daß Bischof Mahrarens selbst eine wirklich nationalsozialistische Überzeugung in seinem Innern hegte. Er gehörte nur zu dem Typ von Kirchenführern, die als Taktiker geboren sind und dazu eine ungewöhnliche Fähigkeit besitzen, die Sprache dazu zu verwenden, ihre eigenen Gedanken zu verbergen. Er hatte indes wie so viele andere mit derselben Veranlagung das große Unglück, die Lage vollkommen falsch zu beurteilen. Nachdem das nun, nach dem Zusammenbruch, für jeden klar ist, hat der Unwille gegen ihn unter den Christen in Deutschland recht kräftige Ausdrücke gefunden, obwohl sich unter ihnen mehr als einer befindet, für den Mahrarens vor Kriegsausbruch gleichsam der beste Exponent der Mäßigung und Versöhnungsbereitschaft erschien. Auf Grund dieser seiner Eigenart wurde er von dem nationalsozialistischen Kirchenführer Kerri zu dem Versuch benutzt, eine . Einheitsfront'in der evangelischen Kirche aus den gemäßigten Elementen sowohl innerhalb der Bekenntnisfront wie unter den . Deutschen Christen'zustande zu bringen.

Es ist ganz klar, daß bei all diesen sogenannten Friedensversuchen die Absicht bestand, die Lei-tung der Bekennenden Kirche auch vor dem eienen Kirchenvolk als besonders unversöhnlich und grundsätzlich staatsfeindlich hinzustel-len. Ausländische Besucher ließen sich in dieser Richtung von der Seite beeinflussen, die Mahrarens vertrat, wenn es sich darum handelte, die Bekennende Kirche zu beurteilen, die man wegen , des Politisierens in den Kirchen’ anklagte ..." Im Augenblick des Geschehens war Forell, der ja selbst einer lutherischen Kirche angehört, noch sehr viel mehr von diesem Vorgehen der Lutheraner betroffen. In einem Brief an seinen Erzbischof Eidern machte er sich darüber Luft: „Die Lutheraner haben den Augenblick für günstig gehalten, einen besonderen . Lutherischen Block’ zu bilden mit Mahrarens, Meiser und Wurm an der Spitze. Das ist ein alter Lieblingsgedanke, der jetzt verwirklicht werden soll. Leider steht dahinter die Nebenabsicht, eine Art von Sprengung der Union in Preußen zu erzwingen, um die konfessionellen Linien zu klären — ein schöner Gedanke vielleicht, aber etwas wirklichkeitsfremd. Die Union läßt sich nicht durch irgendeinen Streich vom Süden oder Westen auflösen. Die erste Wirkung dieses Schrittes ist natürlich, daß die Propheten in der Schwedischen Kirche mit einem großen Schein des Rechts von einem Zusammenbruch der Bekenntnisfront sprechen. Wenn man die Lutheraner darauf hinweist, antworten sie ganz verzweifelt: , Das ist sicher nicht unsere Absicht, wir stehen weiter auf der Seite der Bekenntnis-front’. Es ist teilweise das gleiche Phänomen, wie bei dem Streit um Bodelschwingh im Juni 193 3. Die Lutheraner entdecken ihre größere Staatstreue, und da der Staat gerade jetzt Veranlassung hat, freundlich zu sein, bekommen sie geradezu Gewissensqualen und wenden sich von den . unmöglichen Extremisten’ ab. Die Gegenseite nimmt natürlich gern diese Möglichkeit wahr, die Gegensätze in der Kirche gegeneinander auszuspielen, und die . Deutschen Christen’ bekommen von ihren Führern den Rat, die Zeit abzuwarten und nicht die Hoffnung zu verlieren, daß es auch für sie einmal aufwärts gehen werde.“

Grollend schließt er den Brief: „Wenn ich aufrichtigen Herzens etwas wünschen dürfte, dann wäre es, daß man sowohl Mahrarens wie Meiser wieder in Hausarrest sperrte (wie es schon einmal geschah, als ihre Kirchen gleichgeschaltet werden sollten). Das ist bestimmt ein christlicher Wunsch! Daß es so schwer sein soll zu unterscheiden zwischen Jakobs und Esaus Hand! ... Nun wünsche ich unserem lieben Erzbischof Kraft und Weisheit, die tägliche Bürde zu tragen, die ich mit schlechtem Gewissen durch diesen Brief vermehrt habe..

An Dorothy Buxton schreibt Forell in den gleichen Tagen: „Das, was sich ereignet, geschieht . hinter den Kulissen', und es ist nicht so einfach, es herauszufinden. Sie können sich vielleicht eine Vorstellung von der Atmosphäre hier machen, wenn ich Ihnen sage, daß ich selbst, nachdem ich nur zwei Monate wieder hier bin, so müde bin, daß mein Urlaub in Schweden wie ein Phantom verschwunden zu sein scheint — ohne jede Wirkung. Gewiß, ich kann jetzt besser arbeiten, aber ich fühle, daß meine Zeit hier bald zu Ende gehen könnte, weil ich diese ständig drückende Atmosphäre nicht ertragen kann... Im Kirchenkampf ist es der Propaganda gelungen, den Menschen im Ausland viele sonderbare Gedanken über . Frieden schließen'und anderes beizubringen. Die Ausschüsse, die vom Staat gebildet worden sind, haben einige gute Wirkung gehabt, die auseinanderfallenden Teile der Kirche in Ordnung zu bringen und soweit ist es gut. Aber zur selben Zeit haben sie versucht, die , Neue Kirche'in einer Weise zu errichten, die sehr stark nach einer Reichskirche aussieht. Die Männer der Kirche, die Mitglieder dieser Ausschüsse sind, legen natürlich keinen Wert darauf, eine Staatskirche zu haben, und viele dieser Mitglieder sind ehrliche Menschen guten Willens. Aber sie werden von der Partei und vom Staat mißbraucht für Zwecke, die dem wahren Glauben und christlichen Grundsätzen nicht entsprechen. Der Staat hat in kluger Weise die Menschen in der Kirche mobilisiert, die bis jetzt versucht haben, neutral zu sein, und unter ihnen sind viele gute Menschen, die so gutwillig sind und solches Vertrauen zu den Erklärungen über . positives Christentum'haben, daß sie zu spät erkennen werden, wie sie für die Propaganda mißbraucht werden. Nur ein Beispiel: Ein sehr bekannter Theologieprofessor wird nach Berlin gerufen, die Regierung möchte seine Meinung über Kirchenfragen hören. Er ist kein . Deutscher Christ', aber er gehört auch nicht der Bekennenden Kirche an, er ist neutral, aber er ist ein berühmter Mann. Natürlich fuhr er nach Berlin, um Besprechungen n it einigen Regierungsvertretern zu haben. Er war entsetzt über viele Dinge, die er in diesen Regierungskreisen hörte, aber er kann den Menschen in der Provinz nichts über seine Eindrücke sagen. Sie wissen nur, daß der berühmte Professor eingeladen wurde und werden sagen: das ist ein gutes Zeichen, nun wird etwas Besseres kommen. Er wußte nicht, daß einige andere Professoren auch nach Berlin gerufen wurden. Jeder denkt, er ist der Mann, der seine persönliche Meinung gegeben hat, und er glaubt vielleicht, daß es besser wird — aber nichts geschieht. In der Zwischenzeit haben die Menschen in der Provinz die Hoffnung, daß eine Lösung sich anbahnt — weil die Professoren in Berlin waren! — Die letzten Schritte der lutherischen Bischöfe, einen . Lutherischen Blöde'zu bilden, sind auch eine Sache, die an sich gut ist, aber warum muß es gerade jetzt geschehen? Sie erklären ihre Bereitschaft, mit den Brüdern der Bekennenden Kirche genau wie vorher zusammenzuarbeiten, aber das einfache Volk wird nur den Bruch in der Bekenntnisfront und sonst nichts sehen. .."

Und er fügte die Nachricht hinzu: „Vom Propagandaministerium wurde die geheime Anordnung gegeben, daß in neuen Häusern verhindert werden muß, daß katholische Familien mit Familien aus der Bekennenden Kirche zusammenkommen, und es ist auch verboten, auf Kunst-ausstellungen christliche Symbole, z. B. Kruzifixe usw. zu zeigen. Das ist eine deutliche Erklärung des . positiven Christentums', aber die lutherischen Bischöfe werden fortfahren zu glauben, daß solche Dinge nicht der wahren Meinung des Führers entsprechen..

Memorandum der Bekennenden Kirche für Hitler

In dieser Situation der großen Spannungen ist es fraglich, ob sich eine weitere Zusammenarbeit oder eine endgültige Trennung von den Lutheranern im Reichsbruderrat der Bekennenden Kirche ergeben wird. Bei dem propagandistisch so laut ausgenützten Angebot Kerris, die „Befriedung des Kirchenkampfes* herbeizuführen, liegt der Gedanke nahe, daß nun die Bekennende Kirche mit einer Zusammenfassung ihrer Beschwerden und einer Darstellung ihres eigenen Standpunktes hervortritt.

Im Mai 1936 beschließt die zweite „Vorläufige Kirchenleitung“ Ausschüsse zu bilden, die mit der Abfassung einer solchen Denkschrift und der Zusammenstellung von Tatsachenmaterial beauftragt werden. Sie soll nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sein, sondern sich direkt und allein an Hitler richten. Am 13. Mai soll der Bericht mit dem Reichsbruderrat auf einer Sitzung in Frankfurt/Main besprochen werden: am folgenden Tag versammelt sich der „Rat der Evangelischen Kirchen" und die „Vorläufige Kirchenleitung“ in Dahlem, um weiter darüber zu beraten. Am 28. Mai tagt wieder der Reichsbruderrat, diesmal in Berlin. Hier wird ihm nach dem Protokoll „Mitteilung von einer Eingabe"

gemacht, „die ein geistliches Wort der Vorläufigen Leitung zu Sorgen und Nöten darstellt, die weithin in der Bekennenden Kirche empfunden werden“. Auch drei Vertreter der lutherischen Kirchen sind anwesend und das Protokoll vermerkt, daß das Wort „gut ausgenommen“

wurde. Am 4. Juni ist dann die Denkschrift in der Reichskanzlei übergeben worden, doch ist es unwahrscheinlich, daß sie in die Hände Hitlers gekommen ist. Die Denkschrift ist schonungslos offen. „Es liegt uns daran, daß die Reichsregierung aus ihren Ausführungen die aus der Sorge um die der Kirche anvertrauten Seelen sprechende Stimme klar und deutlich vernehme.“

Sie führt sieben Punkte an: „Die Vorläufige Leitung weiß es zu würdigen, was es im Jahre 1933 und späterhin bedeutet hat, daß die Träger der nationalsozialistischen Revolution nachdrücklich erklären konnten: . Wir haben mit unserem Sieg über den Bolschewismus zugleich den Feind überwunden, der auch das Christentum und die christlichen Kirchen bekämpfte und zu zerstören drohte!'Wir erleben aber, daß der Kampf gegen die christliche Kirche wie nie seit 1918 im Deutschen Volk wirksam und lebendig ist... Zu solcher Abwehr gehört die klare Frage an den Führer und Reichskanzler, ob der Versuch, das deutsche Volk zu entchristlichen, durch veiteres Mitwirken verantwortlicher Staatsmänner oder auch nur durch Zusehen und Gewähren-lassen zum offiziellen Kurs der Regierung werden soll. ..

Als die NSDAP in ihrem Programm erklärte, daß s uf dem Boden eines . positiven Christentums'stehe, hat die gesamte kirchliche Bevölkerung das dahin verstehen müssen und auch verstehen sollen, daß im Dritten Reich der christliche Glaube gemäß den Bekenntnissen und der Predigt der Kirche Freiheit und Schutz, ja, Hilfe und Förderung erfahren sollte. Später aber ist es dahin gekommen, daß maßgebende Persönlichkeiten des Staates und der Partei das Wort . Positives Christentum'willkürlich ausgelegt haben. .. Der Schaden solcher Äußerungen ist um so größer, als der Kirche niemals die Möglichkeit gegeben wurde, die von hohen Stellen her erfolgten Mißdeutungen des christlichen Glaubens unter gleicher Reichweite zu widerrufen. ..

Es wird zwar amtlich jeder Eingriff in das innere Gefüge und Glaubensleben der evangelischen Kirche abgeleugnet, tatsächlich aber ist seit den der Kirche aufgezwungenen Wahlen vom Juli 1933 bis heute ein Eingriff an den anderen gereiht worden. .. Das sogenannte . Befriedungswerk', das mit der Einrichtung des Reichskirchenministeriums und der Einsetzung der Kirchenausschüsse begonnen hatte, hat zwar einige, zuvor unter Duldung des Staates von Staatsbeamten und Parteimitgliedern herbeigeführte Mißstände beseitigt, der evangelische Christ, der genauer zusieht, erkennt aber, daß durch dieses Befriedungswerk die Kirche verwaltungsmäßig und finanziell in Abhängigkeit vom Staate erhalten, der Freiheit ihrer Verkündigung beraubt und zur Duldung der Irrlehre gezwungen wird...

Unter den Parolen der . Entkonfessionalisierung'oder . Überwindung der konfessionellen Spaltung'hat eine Bewegung eingesetzt, die der Kirche ihre Öffentlichkeitsarbeit unmöglich machen soll. Wenn dem Christen im Rahmen der nationalsozialistischen Weltanschauung ein Antisemitismus aufgedrängt wird, der zum Judenhaß verpflichtet, so steht für ihn dagegen das christliche Gebot der Nächstenliebe.

Wir sehen mit tiefer Besorgnis, daß eine dem Christentum wesensfremde Sittlichkeit in unser Volk eindringt und es zu zersetzen droht... Weithin wird heute als gut angesehen, was dem Volke nützt. Ein solches Verhalten stellt Zweckmäßigkeiten über die in Gottes Gebot geforderte Wahrhaftigkeit. An der Art, wie offiziell der Kirchenstreit dargestellt wird, an der Behandlung der evangelischen Presse und des evangelischen Versammlungswesens, an der Verkehrung des Begriffes der Freiwilligkeit in sein Gegenteil ... wird dem evangelischen Christen diese aus dem Geiste einer völkischen Nützlichkeitsmoral stammende Mißachtung des Wahrhaftigkeitsgebotes besonders deutlich... Um so mehr muß sie es als einen Sieg widerchristlichen Geistes beklagen, daß der Eid als Treueschwur und Verpflichtung eine erschreckende Häufung und damit zugleich eine erschreckende Entwertung erfahren hat... Das evangelische Gewissen, das sich für Volk und Regierung mitverantwortlich weiß, wird auf das härteste belastet durch die Tatsache, daß es in Deutschland, das sich selbst als Rechtsstaat bezeichnet, immer noch Konzentrationslager gibt und daß die Maßnahmen der Geheimen Staatspolizei jeder richterlichen Nachprüfung entzogen sind. ..

Die Reichsregierung wolle sich, darum bitten wir sie, die Frage vorlegen, ob es unserem Volke auf die Dauer zuträglich sein kann, wenn der bisherige Weg weiter beschritten wird. Schon jetzt übt der Zwang auf die Gewissen, die Verfolgung evangelischer Überzeugung, das gegenseitige Sichbespitzeln und Aushorchen unheilvollen Einfluß aus. .. Noch vor wenigen Jahren hat der Führer es selbst mißbilligt, daß man sein Bild auf evangelische Altäre stellte. Heute wird immer ungehemmter seine Erkenntnis zur Norm nicht nur politischer Entscheidungen, sondern auch der Sittlichkeit und des Rechtes in unserem Volk gemacht und er selber mit der religiösen Würde des Volkspriesters, ja des Mittlers zwischen Gott und dem Volk umkleidet. .. Wir aber bitten um die Freiheit für unser Volk, seinen Weg in die Zukunft unter dem Zeichen des Kreuzes Christi gehen zu dürfen, daß nicht einst die Enkel den Vätern fluchen, weil sie ihnen zwar einen Staat auf Erden bauten und hinterließen, das Reich Gottes aber ihnen verschlossen. .." Ein mutiges Wort, aber es hat wenig Aussicht, wirklich gehört und von der nationalsozialistischen Regierung befolgt zu werden.

Memorandum gelangt durch Indiskretion in die Auslandspresse

Die Bekennende Kirche hatte große Vorsicht geübt, damit die Denkschrift nicht in die Öffentlichkeit gelange. Bei den Beratungen im Reichsbruderrat war nichts Schriftliches darüber ausgegeben worden. Es gab überhaupt nur drei Exemplare der Denkschrift. Das eine wurde der Reichskanzlei übergeben. Das andere erhielt Dr. Weissler zur Aufbewahrung. Er war ein früherer Landgerichtsdirektor, der unter den Nationalsozialisten seine Stellung verloren und die Leitung der Kanzlei der Bekennenden Kirche übernommen hatte. Das dritte Exemplar bekam Forell als Vertrauensmann der Bekennenden Kirche zur Ökumene und in der Hoffnung, daß es bei ihm vor Haussuchung und Beschlagnahme am sichersten sei. Aber alles Bemühen ar Geheimhaltung war vergeblich.

Am 17. Juli 1936 erschien die Denkschrift in vollem Wortlaut in der ausländischen Presse und erregte ungeheures Aufsehen. Es war eine prekäre Lage. Selbst Forell fühlte sich gefährdet und verließ Hals über Kopf für ein paar Tage Berlin. Von Malmö aus schreibt er an Erzbischof Eidern: „Ich mußte mich für einige Tage hierher begeben und bitte nachträglich um Zustimmung. Es ist ein sehr überstürzter Besuch. Es ist etwas Merkwürdiges mit dem Brief an Hitler geschehen. Er ist plötzlich ohne Wissen der Bekennenden Kirche in der gesamten Welt-presse veröffentlicht worden.“ Forell glaubt an eine Provokation durch das Propagandaministerium und die Geheime Staatspolizei, die dadurch Hitler die Gelegenheit verschaffen wolle, „nach der Olympiade“ (denn vorher soll da» Bild eines „friedlichen" Deutschlands vor den Augen der Ausländer nicht gestört werden) die Führer der Bekennenden Kirche als „staatsfeindlich“ anzuprangern und jede Gewaltmaßnahme gegen die Kirche zu rechtfertigen. Tatsächlich aber ist die Denkschrift durch eine Unvorsichtigkeit Dr. Weisslers ins Ausland gelangt. Er hat sein Exemplar für eine Nacht ausgeliehen. Es wurde abgeschrieben und die Abschrift an ein englisches Nachrichtenbüro gegeben — mag sein in der gutgemeinten Absicht, damit endlich, fünf Wochen nach der Übergabe der Denkschrift in der Reichskanzlei, eine Antwort von Hitler erzwingen zu können.

„Nach der Olympiade", am 6. Oktober 1936, werden Dr. Weissler und im Zusammenhang damit noch zwei weitere Mitglieder der Beken-nenden Kirche von der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Die Bekennende Kirche kann sich nicht entschließen, Weisslers Namen auf die allgemeine Fürbitte-Liste zu setzen. Am 17. Februar 1937 ist Weissler, wohl nach furchtbaren Mißhandlungen, im Konzentrationslager Sachsenhausen „tot aufgefunden“ worden. Es war das erste Todesopfer der Bekennenden Kirche, das in einem Konzentrationslager umkam.

Auch die sieben Unterzeichner der Denkschrift sind später unter ganz verschiedenen Vorwänden zu Haftstrafen verurteilt oder wie Niemöller nach der Freisprechung durch das Gericht von der Geheimen Staatspolizei ohne UrteilsSpruch in ein Konzentrationslager gebracht worden.

Stimmungsbild aus dem Berlin des Jahres 1936

Dem Brief aus Malmö an Erzbischof Eidern fügt Forell noch ein bezeichnendes Stimmungsbild aus Berlin bei: „Mein Freund, ein Pfarrer, fragte einen früheren Parteigenossen, ob er nicht glaube, daß es verhängnisvoll sei, zu versuchen, auf die Dauer ein ganzes Volk mit Terror und Brutalität zu regieren. Der Pg. antwortete, daß auch er allerlei Erscheinungen bedauere und fügte hinzu, daß anscheinend ein neuer 30. Juni (an dem Röhm umgebracht wurde) notwendig wäre. Mein Freund meinte, daß das nicht verhindern könne, daß große Teile des Volkes mehr und mehr von Wut ergriffen würden und daß diese Haßgefühle zu einer Explosion führen müßten. Der Pg. antwortete, daß er auch eine Explosion für möglich halte, aber meinte: , Wir wollen dafür sorgen, daß diese Explosion nach außen abgeleitet wird'. Er skizzierte dann di'Aussichten und Absichten bei einem solchen Plan. Polen sollte den Korridor zurückgeben und stattdessen einen neuen in Litauen und einen Teil der Ukraine bekommen. Japan sollte gleichzeitig Rußland im Osten beschäftigen und dadurch sollte die erste Etappe von Hitlers eigenem Plan nach , Mein Kampf'erreicht werden.

Das wurde nicht als ein Spaß mitgeteilt, sondern in vollem Ernst, und einer der bekannteren Führer in der Partei hat geäußert, daß Deutschland nur offenstehe, , zu siegen oder unterzugehen’!

Es gibt mehrere derartige Beispiele aus den letzten Wochen. Durch die Überraschungstaktik wird die Welt in Spannung gehalten, und ein Schritt nach dem anderen wird mit Erfolg getan, weil die Welt sich ohne weiteres verblüffen läßt.

Die anderen haben ein zu schlechtes Gewissen aus der früheren Zeit, um sich moralisch entrüsten zu können. Es sind die Dämonen, die die Ereignisse des Tages regieren. Aber man fragt sich, wohin das führen soll. ..“

Auch Dorothy Buxton, der er in diesen Tagen aus Malmö schreibt, berichtet er von dem dun-kel heraufgeisternden Gespenst eines nahen Krieges: „Sehr traurig ist die Tatsache, daß Himmlers Stellung in den letzten Wochen sehr viel stärker geworden ist. Er ist ein radikaler Nationalsozialist und ein Mann der Überzeu-

gung von Rosenberg und anderen. Folgende Geschichte wird als wirkliche Begründung für Himmlers neue Stellung als Oberbefehlshaber nicht allein der Geheimen Polizei, sondern aller Zweige der Polizei, erzählt. Göring hat einem englischen Journalisten ein Interview gegebex, und Ribbentrop gelang es im letzten Augenblick, das Interview zu unterdrücken, das in folgender Weise verlief:

Journalist: , Wie sehen Sie die gegenwärtige Lage an?'

Göring: . Sehr ernst.'

Journalist: . Bedeutet das, daß wir mit einem Krieg rechnen müssen?'

Göring: Jas Journalist: , Wie bald?'

Göring: , In ungefähr acht Monaten.'Journalist: . Warum?'

Göring: . Weil ich dann mit meiner Luftwaffe bereit sein kann...'

Solch eine Geschichte erscheint ziemlich töricht, aber ist nicht ganz so dumm, wie es vielen im Ausland erscheint. Hitler wurde wütend, als er von der Geschichte erfuhr und nannte Göring . Landesverräter!'und gab Himmler dann den Befehl über die ganze Polizei.. Gewiß sind das Berichte, von denen es nicht möglich ist zu ergründen, welche wahren Wurzeln darin ent-halten sind. Sie sind wie die Bilder in einer -Illustrierten Zeitung, die das Zeitgeschehen verdeutlichen helfen. „Ich habe eine Menge von solchen Gesprächen in den letzten Wochen gehört. Gewiß ist die Lage ernst__ schreibt Forell. Er ist plötzlich so verzweifelt müde. „Ich habe die Absicht, um Dienstbefreiung zu bitten und für drei Monate nach Schweden oder England zu fahren. Ich muß viele Dinge in der Bibliothek des India Institutes in Oxford und einige im Britischen Museum in London sehen. Bedauerlicherweise ist das Ganze weitgehend eine Geldfrage. Ich bin so kühn, Sie zu fragen, ob Sie glauben, daß ich eine Unterkunft in Oxford für ungefähr 40 sh. in der Woche finden kann. Ich kann nicht mehr bezahlen, weil ich meinen Vertreter in Berlin von meinem Gehalt bezahlen muß. Ich würde sehr dankbar sein, wenn Sie mir in dieser Sache etwas helfen würden. .. Bitte erwähnen Sie nicht, daß ich kommen werde, weil ich nicht möchte, daß die Gestapo so früh weiß, daß ich die Absicht habe, nach England zu fahren..

Ist jetzt die Zeit für Forell, um seine Sanskrit-Studien wieder aufzunehmen?

Neue innerkirchliche Spannungen

Vom 22. Februar 1937 gibt es einen Brief Forells an Erzbischof Eidern, in dem er die verfahrene und höchst unerfreuliche Lage in der Bekennenden Kirche schildert: „Die Kirchenführer, darunter Meiser und Wurm, halten sich in Berlin auf. Es werden Verhandlungen zwischen ihnen und der Dahiemer Richtung über ein gemeinsames Auftreten in der Frage der (bevorstehenden neuen) Kirchenwahl geführt. Sie haben allgemein die Auffassung, daß die Wahl eine Falle ist und daß sie hauptsächlich für das Ausland berechnet ist und der wichtigste Drude aus der außenpolitischen Konstellation herrührt.

Chichester ist vor kurzem hier gewesen und hat unter anderem mit der Regierung in Verbindung gestanden. Ich traf ihn gerade vor der Abreise nach London, Sein Auftrag war auch, zu versuchen, Dr. Weissler zu retten, der schon mehrere Monate ohne Untersuchung in Haft ist unter der Beschuldigung, den bekannten Brief an Hitler an die Auslandspresse gegeben zu haben. Diese Mission war nicht erfolgreich. Gestern erfuhr ich, daß Weissler tot in seiner Zelle im Konzentrationslagre Sachsenhausen aufgefunden wurde, einem Lager für viertausend, in dem er sich erst seit acht Tagen befand. Den Angehörigen wurde angegeben, daß er Selbstmord verübt habe. Derartige . Selbstmorde'sind aber wohl-bekannte Erscheinungen, aber wir haben keine Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen. Jedenfalls hatte er in keiner Weise Selbstmordgedanken geäußert, als seine Frau ihn vor acht Tagen sah. Es ist ihr bisher verweigert worden, den Toten zu sehen, und das ist ja auch verdächtig. Daß er seelisch brutal behandelt worden ist, steht außer Zweifel durch die Maßnahmen, die in der ersten Zeit zu seiner Isolierung angewandt wurden. Was er wirklich zugegeben oder nicht zugegeben hat, wird niemals bekannt werden. .. Jedenfalls ist Weisslers Tod ein makabrer Auftakt zu der .freien Wahl', die jetzt stattfinden soll. .. Zöllner ist fast zusammengebrochen. Er hatte wohl damit gerechnet, daß die lutherischen Bischöfe den Wechsel einlösen würden, den sie für ihn akzeptierten. Niemöller ist verzweifelt über die übliche unsichere Haltung der lutherischen Bischöfe und sagt seine Meinung in seiner bekannten drastischen Art, die die Zusammenarbeit nicht immer erleichtert.

Mahrarens hat Komplexe wegen der Gefahr, sich zu sehr mit den unierten Preußen zu verbinden, und Dibelius hat vergeblich versucht, ihm klar zu machen, daß Preußens Unierte Kirche eine Wirklichkeit ist, mit der man sich , aus-einandersetzen'muß, und nicht nur der historische Mißgriff eines autokratischen Königs. Dibelius versucht auf eine sehr konziliante Art, die ausgeprägteren Lutheraner in Preußen zusammenzuführen und . die Liquidierung der Union vorzubereiten', wie er sagt. Dazu will er die Unterstützung von Mahrarens haben, aber dieser denkt mehr an seine . intakte Landeskirche'als an das gemeinsame Schicksal der evangelischen Kirche gerade jetzt. Er ist jetzt nicht einmal in Berlin zu den Verhandlungen, sondern verhält sich abwartend. Es ist nicht leicht, in dieser lutherischen Umgebung optimistisch zu sein. Ich suche nach einem Anlaß, um Meiser und Dibelius und die : deren einzuladen, um eine bessere Unterrichtung zu bekommen und hoffe, daß es dazu kommt. Ich würde gern mein Gespräch mit Meiser aus der Zeit vor anderthalb Jahren wieder aufnehmen und hören, ob er nicht etwas mehr aus der Not der Zeit gelernt hat. Viele Pfarrer sind geneigt, die Teilnahme an der Wahl, die vom Staat ausgeschrieben worden ist, zu verweigern unter Hinweis auf die Erfahrungen von 1933. Die Führer sind sich aber einig darin, daß die einzige Möglichkeit darin besteht, den Vorschlag anzunehmen und Bedingungen zu stellen. Darüber verhandelt man zur Zeit in Berlin. Man rechnet mit einer Anordnung des Staates, daß alle Kirchenführer, darunter auch die lutherischen Bischöfe, innerhalb von acht Tagen Vorschläge zur Wahlordnung machen sollen. Man will übereinstimmend einen längeren Zeitraum verlangen. Von Seiten der Partei gibt es gewisse Versuche, die Schwierigkeiten dadurch zu lösen, daß man eine Liste für das ganze Reich aufstellt, wie für den Reichstag, und mit „ja’ oder . nein'stimmen läßt. Dieser Vorschlag wird sicher von keiner Gruppe in der Kirche angenommen. Die hochherzige Hand des Staates, über die hier die Presse in so wohl-gesetzten Worten spricht, findet einen etwas eigenartigen Ausdruck in den Verordnungen, die Himmler verfertigt. Aber er steht außerhalb des normalen Rahmens. Es ist ganz natürlich, daß man in den verantwortlichen Kreisen mindestens einen Stillstand im Kirchenkampf wünscht. Die allgemeine Lage verlangt das, sowohl nach innen wie nach außen. Aber es gibt zuviele Herren, die sich als Diktatoren aufspielen wollen. Man hat angenommen, daß Kerri zeitweise nur eine Strohpuppe für einen stärkeren Mann als er selbst gewesen ist. Niemals vorher hat sich so deutlich gezeigt, wie wenig seine Worte in der Tat bedeuten, wie bei der festen Behauptung, daß eine Wahl überhaupt nicht in Frage käme. — Vielleicht behält er mehr recht, als es jetzt aussieht, denn man kann sich vorstellen, daß die Schwierigkeiten, eine .freie Wahl'im Dritten Reich drchzuführen, zu groß sein werden, daß das Ganze im Sande verrinnt........ "

Am 2. März 1937 schreibt Forell: „Das Kirchenvolk ist in hohem Maße unsicher darüber, wie alles zu verstehen ist. Anscheinend wird die Wahlordnung so spät bekannt gegeben werden, daß niemand Zeit hat, richtig zu verstehen, wozu das Ganze dienen soll. Wenn das nicht der Fall ist und Zeit gegeben wird, besteht die Gefahr, daß das Ganze irgendwo auf halbem Wege stecken bleibt. Die Geheime Staatspolizei arbeitet energisch und unser Telefon war in den letzten Tagen so überwacht, daß es längere Zeit fast unmöglich war, den anderen zu hören, weil die Kontrolle offensichtlich schrecklich viel zu tun hatte und unausgesetzt unsere Verbindungen störte. Idi habe von Freunden die Warnung erhalten, daß ich bald in den . Stürmer'kommen werde als . Judenknecht', aber das halten wir für eine Auszeichnung und nehmen es ganz ruhig. Ich glaube, man wird es sich zweimal überlegen, bevor das geschieht. . . Es ist keine Freude mehr, in Berlin zu leben. .

Verschärfter Druck auf Bekenntniskirche und Katholiken

Aber die Zeit der großen Verfolgung hat für die Bekennende Kirche erst begonnen. Im Februar hat der immer noch gutgläubige Dr. Zöllner einsehen müssen, daß der Versuch mit dem „Reichskirchenausschuß" als einem Instrument des nationalsozialistischen Staates die zerstörte Ordnung in der Kirche wiederherzustellen, undurchführbar ist. Der Kirchenminister und staatliche Stellen haben seine Arbeit unmöglich gemacht. Er bekommt die Gewaltmethoden der Geheimen Staatspolizei an sich selbst zu spüren, als er nach Lübeck fahren will, um dort an Ort und Stelle in einer Sache gegen die Willkürmaßnahmen der Geheimen Staatspolizei einzugreifen. Ihm wird die Reise einfach verboten. Zöllner tritt nun zurück. Der Reichskirchenausschuß hört auf zu bestehen. Von neuem verschärft sich die Lage.

Jetzt lodert auch der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche in verstärkter Heftigkeit auf. Der Papst hat in einer Encyklika scharf zu Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung gegen die katholische Kirche Stellung genommen. So sehr sich die Geheime Staatspolizei bemüht, die Verbreitung der päpstlichen Schrift zu unterbinden, kann sie doch in Berlin und weithin im Land von allen katholischen Kanzeln zweimal verlesen werden. „Zwei katholische Pfarrer in Berlin, die der Partei angehören, bekamen kein Exemplar der Schrift, aber zwei Mitglieder des Domkapitels fanden sich in der Kirche ein und verlasen die Encyklika vor der Versammlung ..." berichtet Forell am 16. April Erzbischof Eidern. „Die Presse hier hat darauf geantwortet durch die Eröffnung eines förmlichen Krieges gegen die katholische Kirche mit Artikeln und Notizen von , Hochverratsprozessen'. Man hat eine kommunistisch-katholische Einheitsfront'unter anderem festgestellt, was ein absolutes Märchen ist. Ein unvorsichtiger Pater hat auch nach der Revolution noch Umgang mit Kommunisten gehabt, und das legt man ihm zur Last als Beweis, daß er gegen die Sicherheit des Reiches gearbeitet hat. Außerdem hat er verbotene Literatur gelesen — wie der größte Teil des deutschen Volkes . . „Innerhalb der evangelischen Kirche herrscht ein gewisser Stillstand in Erwartung dessen, was in verschiedenen Richtungen erfolgt. Einige meinen, daß die Wahl überhaupt nicht zustande kommt, andere, daß es mindestens bis Oktober dauern wird. Mahrarens und die anderen konfessionellen Lutheraner haben wieder eine Überraschung bereitet, dadurch, daß sie auf eigene Faust einen Reichskirchenausschuß gebildet haben, der unter anderem , die Legalität des alten Reichskirchenausschusses'bewahren soll. Er ist natürlich vom Staat nicht anerkannt worden, und die . Vorläufige Kirchenleitung'ist unglücklich über diese Neubildung. Die Lutheraner halten es weiter für möglich, das Luthertum durch Sonderaktionen zu retten“.

Verhaftungen und Verfolgungen

Jetzt beginnen massenweise Verhaftungen von Pfarrern, die sich in ihren Predigten zu weit hervorwagen oder im Gottesdienst verbotene Abkündigungen der Bekennenden Kirche ihrer Gemeinde bekannt geben. Die kirchlichen Nachrichtenblätter werden unterdrückt. Reichsinnenminster Frick verbietet, laß weiterhin Kirchenaustritte der Gemeinde bekanntgegeben werden. Das Kollektesammeln für die Bekennende Kirche wird verboten. Himmler verbietet die Ausbildung von Theologen durch selbständige Organe der Bekennenden Kirche. Am 27. Juni 1937 dringt Geheime Staatspolizei in die Friedrichwerdersche Kirche in Berlin ein und verhaftet mehrere Mitglieder des Reichsbruderrates während einer Sitzung. Die Verhafteten stimmen einen Choral an und beten mit den Zurückbleibenden, ehe sie von der Staatspolizei abgeführt werden. Am 29. Juni stehen 45 verhaftete Pfarrer und Kirchenälteste auf der Fürbitte-Liste der Bekennenden Kirche. Am 1. Juli teilt die Bekennende Kirche mit, daß 28 AusWeisungen, 26 Redeverbote für Pfarrer der Bekennenden Kirche vorliegen und 112 Verhaftungen. Forell hat viel Bedrückendes zu berichten: „Jemand berichtet mir, daß die Gesamtzahl derjenigen, die während der letzten drei Monate in Schutzhaft oder im Gefängnis gewesen sind, bei ungefähr fünfhundert liegt. Die meisten von ihnen sind nur für einige Tage oder gerade ein bis zwei Wochen dort gewesen, und jede Woche werden neue Pastoren und Laien festgenommen. Gestern, am 10. September, hat die Geheimpolizei die Möbel der . Vorläufigen Kirchenleitung beschlagnahmt und sie fortgeschafft, um sie davor zu . bewahren', von der Bekennenden Kirche benutzt zu werden. Der . Lutherische Rat'hat ein Verbot bekommen, Mitteilungen über die Situation der Kirche zu drucken und zu verbreiten. Die . Deutschen Christen'glauben, daß der Staat einen neuen Schlag gegen die Bekennende Kirche führen wird und dem radikalen Flügel der . Deutschen Christen'(die . Thüringer Chri-sten') den . Auftrag'geben wird, die Führung in der evangelischen Kirche zu übernehmen. — Ich bin persönlich nicht ganz überzeugt, daß der Schlag diese Form annehmen wird, aber es ist möglich, daß in der nächsten Zeit etwas geschieht, durch das die Bekennende Kirche die schlimmsten Schwierigkeiten für die weitere Arbeit bekommen wird. Der . Nationalpreis'auf der Nürnberger Massenversammlung (Reichsparteitag) für Rosenberg ist ein sehr beunruhigendes Zeichen dafür. Es ist interessant zu wissen, daß der Name Rosenbergs gerade eine Woche vor der Massenversammlung auftauchte. Ein anderer Deutscher sollte für den Preis vorgesehen sein: Furtwängler. Aber er wurde im letzten Moment zugunsten von Rosenberg fallen gelassen, der gerade ein neues Buch mit sehr häßlichen Angriffen gegen die führenden Männer der Bekennenden Kirche veröffentlicht hatte Bahnt sich unter diesem äußeren Druck wieder ein festeres, stärkeres Zusammenstehen innerhalb der Bekennenden Kirche an? Am 11. September 1937 hat Forell an Eidern zu berichten: „Am Sonntag, den 29. August, wurde ein Hirtenbrief von Mahrarens, Breit und Müller-Dahlem, mitunterzeichnet sogar von Meiser, Wurm und anderen in allen zur Bekennenden Kirche gehörenden Gemeinden verlesen und am folgenden Sonntag außerdem eine besondere Bekanntmahung hier in Preußen. Einige Verhaftungen erfolgten nach diesen Vorlesungen, aber es ist schwer zu sagen, ob sie in direktem Zusammenhang mit der Verlesung stehen oder nur die übliche Auswechselung von Gefangenen waren, die man jetzt seit drei Monaten betreibt. Meiser steht jetzt am festesten und zielbewußtesten unter den lutherischen Bischöfen. Mahrarens weiß nicht recht, wie er sich stellen soll. Er versucht weiter, Hannover als eine vom Kriegsschauplatz geschützte Festung zu bewahren. Hannover ist der Landstrich, in dem die Nationalsozialisten rein politisch am wenigsten in das Volk eingedrungen sind. Man versteht daher seine ängstliche Vorsicht. Aber ich fürchte, er verrechnet sich in Hinsicht auf die Wirkung der langen Dauer . . . Besonders ernst ist die Frage der theologischen Ausbildung für die Bekennende Kirche. Siebzig Studenten, die sich der von der Bekennenden Kirche besonders angeordneten Unterweisung unterzogen haben, sind von der Universität relegiert worden, ohne Möglichkeit, in Deutschland ihre Ausbildung abzuschließen. Kann aus dem Ausland etwas getan werden in dieser für die Kirche lebenswichtigen Frage ...?“

Immer und immer wieder versucht Forell für die Verhafteten zu sorgen. Über Niemöller sc’ reibt er am 11. September 1937: „Niemöller sitzt weiter in Haft. Es ist ihm angeboten worden, sich in der Verborgenheit aus dem Gefängnis stehlen'zu dürfen, aber er hat abgelehnt und verlangt, daß sein Prozeß durchgeführt wird, denn er will wissen, was in diesem Land . staatsfeindlich'ist. Es wird behauptet, daß die Polizei trotz vierjähriger, beharrlicher Arbeit nicht so viel . belastendes Material'gesammelt habe, daß die Juristen es für möglich halten, Niemöller daraufhin zu verurteilen, selbst unter Berücksichtigung der sehr vagen und allgemein gehaltenen Bestimmungen, die man nach der Revolution in das Strafgesetzbuch eingefügt hat .. Am 6. März 1938 berichtet Forell an Dorothy Buxton in einem verschlüsselten Brief (mit „Edwards" ist Niemöller gemeint): „Du weißt, daß unser Freund Edwards von hier in eine Pension auf dem Lande umziehen muß. Bevor diese Entscheidung kam, hatte ich durch Gottes Gnade die Möglichkeit, ihm die Hand zu schütteln und ihm ein paar Worte zu sagen. Alles war in Eile, aber ich war so froh, ihn zu sehen, bevor er wegfuhr, und er war auch froh. Er sah genau wie früher aus, mit demselben charmanten Lächeln, als ich zu ihm kam. Es war eine große Überraschung für ihn — und auch für mich. Es war wie ein Wunder. Ich wurde für einen anderen gehalten und ich spielte meine Rolle so gut ich konnte. Er wird froh sein, daß seine Freunde ihn nicht vergessen haben. Es wird schwer sein, ihm zu helfen ..

Am 8. April noch einmal: „Die letzte Nachricht über unseren Freund ist, daß er in das Polizeipräsidium in Berlin gebracht worden ist und dort seine Frau für einige Minuten sehen konnte. So weit geht es ihm gut, aber es ist bedrückend, nicht zu wissen, was in Zukunft geschehen wird. Schacht hat sich für ihn verwandt, aber vergeblich; Delegationen aus verschiedenen Teilen des Landes sind hier gewesen, aber auch vergeblich ..

Am 4. November berichtet Forell an Eidern:

„Niemöller ging es schlecht in der letzten Zeit infolge einer Magensache. Jetzt geht es ihm wieder etwas besser. In der vergangenen Woche durfte er zum erstenmal seine älteste Tochter sehen, die ganz ohne Wissen ihrer Mutter zur Geheimen Staatspolizei gegangen war und verlangt hatte, mit ihrem Vater zu sprechen. Der zuständige Beamte war offensichtlich so beeindruckt von dem persönlichen Mut, sich in die Höhle des Löwen zu begeben, daß der Vater sofort nach einem Telefongespräch nach Berlin gebracht wurde. Sie trafen sich für eine dreiviertel Stunde auf der Polizeistation am Alexander-platz. Niemöllers psychisches Befinden ist im übrigen ausgezeichnet, von einem . Zusammenbruch'kann überhaupt nicht die Rede sein. Er ist selbst darauf vorbereitet und bereit, daß es lange dauern wird ..." Und er schreibt nachdrücklich, damit in England im schlimmsten Fall kein Zweifel aufkommen kann: „Niemand, der Niemöller persönlich kennt, wird glauben, daß er jemals an Selbstmord oder Flucht denkt, aber es mag besser sein, solche Tatsache zu erwähnen ..." Er wird verstanden: „Nach meiner Meinung sollte das weit verbreitet werden und öffentlich hier (in England) festgestellt werden, daß er dies seinen Freunden gesagt hat. Ich glaube, daß es ein Schutz für ihn wäre, aber ich möchte gern Ihr Urteil hören ..

Weltkirchenkonferenz in Oxford

Im Juli 1937 findet in Oxford eine Weltkirchenkonferenz statt. Den Mitgliedern der Bekennenden Kirche werden vor der Ausreise zur Teilnahme an dem Kongreß die Pässe abgenommen. Die Deutschen sind, bis auf die Vertreter der Freikirchen, in Oxford überhaupt nicht vertreten. Forell fährt hin.

Der menschliche Gewinn dieser Reise ist seine Wiederbegegnung mit Professor Micklem aus Oxford, den er bei einem kurzen Besuch in England im Oktober des vorangegangenen Jahres kennen gelernt hat, ein feinsinniger Gelehrter, dessen warmherzige Anteilnahme an dem Geschehen in Deutschland Forell wohltut. Mit immer unermüdlicher Hilfsbereitschaft wird Micklem ihm zur Seite stehen, jetzt und in den kommenden Jahren, wenn Forell sich um die deutschen Kriegsgefangenen in England zu kümmern hat.

„Ich habe privat an die Herausgeber der . Times', des . Manchester Guardian'und der . Church Times'geschrieben. Ich habe ein gutes Gespräch mit dem Erzbischof von Canterbury gehabt und ich habe, wie ich meine, eine wichtige Nachricht an den Premierminister weitergeben können. Ich fand den Erzbischof sehr besorgt darüber, daß die Delegation der Bekennenden Kirche bei der Oxford-Konferenz nicht in Schwierigkeiten käme. Es wird Ihnen sicher gelingen, mich in Kenntnis zu setzen über irgendwelche Pläne, die Sie für sich gemacht haben möchten, oder über etwas, was wir für Sie tun können . .." hat Micklem ihm im Mai geschrieben, und in den Vorbereitungen der Konferenz fragt er am 15. Juni 1937 noch einmal: „Ich weiß, daß die Verantwortlichen für die Konferenz äußerst bemüht sind, alles zu tun, was der Kirche in Deutschland am besten helfen könnte. Würde es für uns gut sein, nach der Konferenz eine Delegation nach Deutschland zu schicken, um weiterzukommen und die Ergebnisse der Konferenz zu diskutieren? Es ist auch wichtig zu wissen, auf welche Weise wir die deutsche Kirche auf der Konferenz am besten unterstützen können. Ich hatte mir zum Beispiel überlegt, ob wir nicht die Anathemen der Barmer Synode annehmen könnten, aber das scheint mir nicht ganz angemessen zu sein. Wir können nicht erwarten, daß die Konferenz eine Entschließung annimmt, durch die sie sich ohne Einschränkung mit der Bekennenden Kirche identifiziert, aber wenn Sie eine allgemein gehaltene Resolution vorschlagen könnten, die soweit wie möglich unsere Brüder stärkt, so würde das eine Hilfe sein ..

Natürlich sieht Forell bei dieser Gelegenheit auch Dorothy Buxton wieder, ist bei dem Bischof von Chichester zu Besuch, trifft auf großes Verständnis und wache Sorge für all die Dinge, die so unheilvoll in Deutschland geschehen; und vielleicht ist das die größte Hilfe für ihn, einmal aus der täglichen Bedrücktheit herausgenommen zu sein und unter Menschen zu sein, die zwar all den Nöten, die ihn bewegen, offen sind, die aber nicht in der bittermachenden Bürde täglicher Bedrohung leben müssen.

Botschaft an die Evangelische Kirche in Deutschland

Bei dem Weltkirchenkongreß in Oxford wird eine Botschaft an die Evangelische Kirche in Deutschland beschlossen und ihr Fernbleiben beklagt. „Wir sind tief bewegt von dem Leid vieler Pfarrer und Laien, die sich völlig und von allem Anfang an in der Bekennenden Kirche für die Herrschaft Christi und für die Freiheit der Kirche Christi, sein Evangelium zu verkünden, eingesetzt haben. Wir geben uns Rechenschaft von der entscheidenden Bedeutung des Kampfes, in den nicht allein eure Kirche, sondern auch die römisch-katholische Kirche gestellt ist, ein Kampf gegen Verzerrung und Unterdrückung des christlichen Zeugnisses . .. Euer unerschütterliches Zeugnis von Christus ruft uns selbst zu einem lebendigeren Vertrauen auf, und wir beten, es möchte uns in all unseren Kirchen die Gnade gegeben werden, in gleicher Klarheit Zeugnis für unseren Herrn abzulegen. Wir bitten Gott, euch zu segnen, euch zu leiten und euch in eurem Leid zu trösten ..." Die Vertreter der deutschen Freikirchen protestieren. Sie seien dankbar für die uneingeschränkte Freiheit der Verkündigung des Evangeliums in Deutschland, sie seien neutral im Kirchenkampf, und der Nationalsozialismus rühre sie nicht an. Der Methodistenbischof Melle versichert beschwörend, in Deutschland herrsche Ordnung und Recht.

Ökumenische Vertreter beschließen, selbst nach Deutschland zu fahren. Natürlich schäumt die nationalsozialistische Presse über die Oxforder Botschaft. „Weil es der . Nationalkirchlichen Bewegung Deutsche Christen'um den christlichen Glauben des deutschen Volkes geht und nicht um ein christlich verbrämtes Weltschwärmertum oder um eine christlich getarnte Weltpolitik, darum lehnen wir die sogenannte ökumenische Bewegung auf das Schärfste ab...", versichern die „Deutschen Christen“. Bekümmert schreibt Forell am 20. Oktober 1937 an Micklem: „Gerade jetzt ist die Lage sehr gespannt. Ich hoffe, daß Sie ein Exemplar des . Völkischen Beobach-ters'erhalten haben, in dem die Verurteilung der ökumenischen Bewegung durch die . Deutschen Christen'stand und einige sehr bezeichnende Reden von Göbbels und Rosenberg. Die Haltung ist jetzt viel klarer. Die konfessionellen Lutheraner führen einen harten Kampf, um festzulegen, wie sie auf diesen Angriff reagieren sollen. Es liegt ihnen sicher sehr daran, die Verbindung zu den Kirchen im Ausland aufrecht zu erhalten, aber wenn der Staat die Haltung der . Deutschen Christen'in dieser Frage unterstützt, macht ihre Loyalität dem Staat gegenüber es ihnen schwer, einen Weg zu finden, die Verbindung zu den anderen Christen nicht abzubrechen und zu gleicher Zeit nicht etwas zu tun, was als Provokation gegen den Staat aufgefaßt werden könnte. Es ist unmöglich gewesen, von Mahrarens eine klare Antwort zu bekommen. Er zieht es vor, überhaupt nichts zu sagen. Ich kann seine Schwierigkeiten verstehen, aber es ist auf die Dauer eine unmögliche Position für die Kirche im Ausland, nicht zu wissen, was in diesem Fall zu tun ist. Ich hoffe, sehr bald eine bestimmte Entscheidung zu bekommen."

Der ökumenische Besuch kommt nicht. „Sie werden wahrscheinlich schon gehört haben, daß unsere Freunde von der Oxford-Konferenz ihre Reise auf Februar verschoben haben. Ich zweifle etwas, ob sie nach so vielen Änderungen überhaupt kommen werden ...", schreibt Forell am 20. Dezember 1937 an Micklem und meint zu der nationalsozialistischen Empörung über die Ökumene: „Es ist eine sehr gute Propaganda für die ökumenische Arbeit, daß die Presse hier einen so ungeheuren Angriff auf das Ganze gemacht hat. Viele Menschen sind hier sehr erstaunt darüber, zu erfahren, daß die Oxford-Konferenz eine so mächtige Stellung in der Meinung der Regierungsvertreter hier einnimmt. In der Tat ist wirklich der Angriff eine gute Propaganda für die Arbeit gewesen. Der Teufel handelt manchmal sonderbar ...“

Neuer Schlag gegen die Evangelische Kirche

Aber es ist keine Zeit, um aufzuatmen. Am 12. Januar 1938 berichtet Forell Micklem von neuen Nöten und Schwierigkeiten in der Bekennenden Kirche. „Einige sehr wichtige Dinge gehen jetzt gerade vor sich. Kerri hat eine neue . Verordnung zur Sicherung der Evangelischen Kirche'No. 16 vorbereitet, durch die er die Stellung der Pfarrer auf das Niveau von Staatsbeamten zu drücken versucht. Das bedeutet, daß § 71 des . Beamtengesetzes', der besagt, daß jeder, der . politisch unzuverlässig'ist, aus seiner Stellung entfernt werden kann, auch auf die Pfarrer Anwendung finden wird. Das ist besonders der Fall bei Niemöller, der durch solches , Gesetz‘ erledigt werden kann. So wie es jetzt steht, können sie ihn aus Prestigegründen nicht freilassen, aber sie können ihn auch nicht für immer ohne Prozeß in Haft behalten, und wenn ein Prozeß kommt, ist er wahrscheinlich eine Blamage für den Staat.

Aber wenn sie dieses Gesetz durchbringen, können sie Niemöller freilassen, dann aus seiner Stellung als Pfarrer als . politisch unzuverlässig'hinauswerfen und danach ihm ein . Redeverbot'für das ganze Reich geben. Damit wäre der Fall erledigt und er kann nicht sehr viel tun. Die neue Verordnung wird wahrscheinlich einige weitere Bestimmungen über die finanzielle Kontrolle des Kirchen-Geldes usw. enthalten. Es ist vielleicht gut, diese Dinge in vorsichtiger Weise in der Presse zu erwähnen. Dadurch kann das Ganze vielleicht wenigstens verschoben werden ...“

Eine andere Tatsache ist gerade jetzt wichtig: zum erstenmal hatte die Bekennende Kirche am 1. Januar wirkliche Schwierigkeiten, die Gehälter der 250 Pastoren zu bezahlen, die seit 1933 unter der Aufsicht des Bruderrates ordiniert worden sind oder wegen Suspendierungen von ihren Stellungen oder anderen Gründen ihr Gehalt durch die Bekennende Kirche bekommen haben. Die Hindernisse, die durch die neuen Bestimmungen über Geldsammlungen entstanden sind, haben zu diesem traurigen Ergebnis geführt. Es ist wahrscheinlich, daß diese Schwierigkeiten noch zunehmen werden. Einige dieser Pastoren erhalten nur 125 Reichsmark im Monat, und wenn sie dieses kleine Gehalt nicht bekommen, bedeutet es einen harten Schlag für sie. Es ist schwer, einen Weg zu finden, um von außen zu helfen. Es kann nicht durch öffentliche Kollekten geschehen, denn das würde ein zu großes Risiko bedeuten. Es muß in irgendeiner Form unter der Hand getan werden. Ich habe Aussicht, einige hundert Mark Ende des Monats aus Schweden zu bekommen. Ein guter Freund sagt mir: „Jede Mark, die wir bekommen können, ist jetzt eine wirkliche Hilfe . .."

Im Februar 1938 wendet sich Micklem an Forell: „Ich bin aufgefordert worden, ein Buch über die Beziehungen zwischen der Nazi-Regierung und der katholischen Kirche zu schreiben — wissenschaftlich, keine Propaganda. Ich habe noch keinen Plan, aber ich werde Ihre Hilfe brauchen. Ich werde wahrscheinlich am 30. März nach Deutschland fahren, wenn ich dann weiß, welche Fragen ich stellen will. Ich hoffe, Vertreter der Regierung zu sehen. Sie können midi vielleicht dort einführen. Ich bin sicher, daß ich auch nach München fahren muß, und ich hoffe, daß Sie mich mit dem Sekretär des Kardinals bekannt machen können. Wenn Sie meine katholischen Freunde in Berlin treffen, nehmen Sie bitte ihre Hilfe für mich in Anspruch. Idi muß die Hirtenbriefe lesen und alle Berichte, die auf katholischer Seite zu bekommen sind. Es liegt mir auch sehr daran, eine faire Darstellung der Argumente der Regierung zu geben, und da müssen Sie mir auch helfen. Ich denke daran, zuerst nach Berlin zu fahren, wenn Sie dann da sind, und die anderen Orte nach Bedarf aufzusuchen ...“ Und noch einmal betont er: „Es ist mir außerordentlich wichtig, daß mein Buch ein genauer wissenschaftlicher Bericht über den Widerstreit wird, und nicht in irgendeiner Weise Propaganda ...“

Er hat unendlich viele Wünsche, will Bücher besorgt haben, die schwer zu bekommen sind, will Adressen von Menschen wissen, Zusammenhänge kennen lernen, immer bestimmt von der wissenschaftlichen Korrektheit, die ihn auszeichnet. „Ich lege Wert darauf, einen so fairen Bericht wie möglich von den Argumenten der Regierung zu geben, und ich möchte im besonderen wissen, inwieweit die Andeutung, daß der Zentrumsgeist noch immer die römisch-katholische Kirche beherrscht, wahr ist. Ich darf Ihnen nicht zuviel Mühe machen, denn ich weiß besser als die meisten Menschen, wie schrecklich viel Sie zu tun haben, aber für jede Hilfe werde ich ganz ungewöhnlich dankbar sein ..."

Wie gern nimmt Forell diese Mühen auf sich. Micklem wird ihm danach noch viele andere Menschen schicken, mit ernstem Forschen und Fragen beladen wie er: „Ein isländischer Pastor, Einar Sturlangsson, möchte etwas erfahren über die Lage der deutschen Kirche. Ich kenne ihn wirklich nur sehr wenig, aber ich habe ihn vor den Schwierigkeiten gewarnt. Ich gebe ihm eine Karte für Sie mit. Würden Sie ihm nach Ihrem Ermessen bei einer oder zwei Personen einfüh-ren? Sein Englisch ist sehr schlecht ..." Forell wird sie alle aufnehmen. Es ist ein Dienst im Sinn der Ökumene und auch dieser Dienst wirbt für die Sache, die ihm so brennend am Herzen liegt. Aber es erscheinen auch andere Besucher.

Empörung über den Bischof von Gloucester

Im Juli 1938 kommt der Bischof von Gloucester nach Berlin. Er hat schon in England manche Lanze für das nationalsozialistische Deutschland gebrochen. Daraufhin ist er natürlich ein willkommener Gast der nationalsozialistischen Regierung. Forell lädt ihn zu sich ein. „Der Bischof von Gloucester ist hier gewesen, auch in meinem bescheidenen Hause, und hat einige vernünftige und einige unvernünftige Fragen gestellt. Ein hochstehender Freund (Dibelius) von uns sagte über ihn: , Er ist ziemlich hoffnungslos!'. Der Bischof sagte von ihm: , Er ist ein bedeutender Mann . ..'Daran siehst Du die Verschiedenheit der Meinungen schreibt er an Dorothy Buxton. Forell hat Dibelius und noch einen seiner Freunde aus der Bekennenden Kirche zu diesem Gespräch gebeten. „Gloucester war auf manche Weise eine Katastrophe", berichtet er aufgebracht an Micklem. „Es ist unglaublich, wie es für einige Leute möglich ist, genau das zu sehen und zu hören, was sie hören möchten, und nicht mehr. Es muß schön sein, schwerhörig zu sein.“ Und in einem weiteren Brief an Dorothy Buxton klingt die Empörung von neuem auf, denn inzwischen hat der Bischof in der „Times“ einen Brief veröffentlicht, in dem er die wahre Lage der Kirche in Deutschland völlig verzeichnet: „Die Haltung von Gloucester ist hoffnungslos. Er war zwei Stunden in meinem Hause und hörte den Worten unserer Freunde zu. Aber er ist glücklich, ein bißchen taub zu sein, und deshalb kann er hören, was er hören möchte. Unsere Freunde waren sehr erregt über seinen Bericht über die Lage und fühlten sich, als ob sie in eine Falle gegangen wären, als sie ihm soviel Zeit vergeblich gaben. Aber ich hoffe, daß die meisten Menschen in England die wirk-liehe Lage besser verstehen werden als Gloucester. Es ist notwendiger als jemals vorher, daß wir einige Freunde in England dazu bekommen, nach Deutschland zu fahren, da umherzureisen und unsere Freunde im Lande zu besuchen. Bitte lege möglichst viel Nachdruck auf diese Tatsache gegenüber jedem, den Du kennst. Irgendetwas Wichtiges zu schreiben ist nahezu unmöglich ..."

Dorothy Buxton hat sich das längst zu Herzen genommen. Wie gern möchte sie selbst nach Deutschland reisen — ihr kränkelnder Mann, ihre eigene Gesundheit, viele Aufgaben und Arbeiten lassen es nicht zu. Aber mit Leidenschaft und Temperament sorgt sie immer wieder dafür, Nachrichten über die deutschen Verhältnisse in die englische Öffentlichkeit zu bringen. Längst ist ihr der „gräßliche“ Bischof von Gloucester ein Stein des Anstoßes. Die Gleichgültigen und die Dummen und die, die nicht sehen wollen, sterben nicht aus. Empört hat sie im März an Forell geschrieben: „Hitler ist sicher entscnlossen, das Christentum auszulöschen. Und trotzdem hat der Herausgeber des . Church of England Newspaper'vor kurzem einen Artikel veröffentlicht, um zu erklären, daß das Christentum das . Leitmotiv'des Nationalsozialismus wäre! Und das, nachdem ich ihm jahrelang Informationen geschickt habe! Nun — man kann nur ausharren. Die wichtigste Aufgabe für uns heute ist, den Glauben an Gott zu behalten. Das ist absolut das Wichtigste. Für so viele Menschen scheint das nicht länger möglich. Wir sollten es als einen Vorzug ansehen, daß wir jetzt leben und berufen sind, an diesem entscheidenden Kampf teilzunehmen und unser Leben einzusetzen ...“

Sorge vor einem Krieg

Aber Forell ist müde, abgrundtief müde. Beglückt schreibt er im Mai 1938 an Micklem: „Ich sah unsern Erzbischof und erhielt die Erlaubnis, einen langen Urlaub vom 1. August bis 31. Oktober zu nehmen ..." Aber die großen weltpolitischen Spannungen des Sommers 1938 während der Sudetenkrise geben ihm auch im Urlaub keine wirkliche Ruhe. Zu eng weiß er sich mit dem Schicksal in Deutschland verbunden, und alles bedrohend steht über der Not der Kirche, viel schrecklicher noch, das Gespenst des Krieges.

»Vielleicht hast Du mehr erfahren als ich", schreibt er an Dorothy Buxton im August aus Schweden. „Ich habe versucht, mich in dieser Zeit von allem abzuschließen. Ich habe sehr wenige Freunde gesehen, weil ich es nicht aushalten konnte, all die Dinge zu wiederholen, die immer von neuem wiederholt werden müssen. Ich weiß nicht, ob ich ein schlechtes Gewissen deswegen habe, aber ich brauchte einfach die Ruhe. Die Ereignisse auf dem Gebiet der Außenpolitik haben viel von dem Interesse für die Angelegenheiten der Kirche in Deutschland weggenommen. Soweit ich von hier aus sehen kann, hat aber die Spannung sehr wenig nachgelassen. Aber es ist vielleicht zu verstehen, daß die führende Gruppe in der Partei mehr Interesse an dem hat, was sich in der Tschechoslowakei ereignet, als an den Ereignissen in der Kirche. Wenn die Radikalen wirklich die Möglichkeit eines Krieges ergreifen, um das Problem der Sudeten zu lösen, dann müssen sie die Kirche etwas freier lassen, sonst ist es unmöglich, einen Krieg zu beginnen. Die Tatsache, daß nur sehr wenig von einer solchen Lockerung da ist, scheint mir zu zeigen, daß sie mehr an Kriegs-gerüchten als an dem Krieg selbst interessiert sind. Dabei glauben sie, daß sie ein gutes Geschäft mit den Engländern machen können, wenn sie sie in Angst halten. In Deutschland gibt es sicher wenig Begeisterung für einen Krieg. Aber falls er wirklich kommen sollte, kann man sehr schwer sagen, wie das Volk im ganzen reagieren würde. Es ist gefährlich, daß so viele Menschen in Deutschland heute so müde und so angefüllt mit Resignation sind, daß viele vielleicht eher aus dieser Ermüdung heraus, als aus irgendeiner Begeisterung für das Vaterland marschieren könnten. Es besteht die Gefahr, daß wir in diesen Krieg hineinrutschen, ohne zu wissen, wie es geschah ..." In diesen spannungsvollen Tagen kommt von Micklem die tröstliche Zusicherung unverbrüchlicher Verbundenheit: „Wir hoffen und beten, daß kein Krieg kommt. Ich finde es unbegreiflich, daß Krieg kommen soll, es sei denn, Hitler setzte deutsche Truppen gegen die Tschechen in Bewegung. Wenn Sie dies erhalten, werden wir vielleicht schon wissen, was wird. Wenn es Krieg sein sollte — was Gott verhüten möge —, lassen Sie bitte die lieben Freunde in der deutschen Kirche wissen, daß kein Versagen und keine Torheit der deutschen oder der britischen Staatsmänner die Zuneigung zu ihnen verändern oder die Gebete unterdrücken kann und machen Sie ihnen nachdrücklich klar, daß die christliche Internationale nur noch wichtiger wird ..." „Ich wußte nicht, daß ich soviel von meiner Kraft behalten habe . . .", schreibt Forell. Ich habe in diesen letzten Jahren erfahren, wie viele wirklich gute Freunde ich habe und ich bin so glücklich darüber ..."

Englands Nachgiebigkeit hat in den Septembertagen 1938 noch einmal den Frieden gerettet. Das Münchener Abkommen, das das Sudetenland kampflos an Deutschland ausliefert, ist Hitlers größter Triumph, gleichzeitig tragischer Rückschlag des politischen Widerstandes in Deutschland gegen den Nationalsozialismus. Auf der Höhe des Thüringer Waldes waren Truppen angeblich zu Manöverübungen versammelt. Mit ihnen sollte, so war der Plan, Hitlers Zug auf der Rückkehr vom Nürnberger Parteitag, auf dem die Kriegserklärung erfolgen sollte, nach Berlin angehalten, Hitler, um den Krieg in letzter Minute zu verhindern, verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden. Der Münchener Triumph entzieht dem Vorhaben die psychologischen Voraussetzungen. Eine ähnliche Möglichkeit sollte nie wiederkehren.

Friedensgebet -Anlaß zu neuen Bedrückungen

Die Schatten, die über den Verfolgten liegen, bleiben. Sie werden noch dunkler. Daß die Bekennende Kirche in den kritischen Tagen in besonderen Go : ‘esdiensten für die Erhaltung des Friedens gebetet hat, wird ihr nun von dem triumphierenden Staat als Ausdruck des Mißtrauens „gegen den Friedenswillen des Führers" ausgelegt und vorgeworfen. „Solche Gebete haben nichts mehr mit Religion zu tun, solche Theologie nichts mehr mit Theologie — sie sind politische Kundgebungen des Verrates und der Sabotage an der geschlossenen Einsatzbereitschaft des Volkes in ernsten Stunden seines Schicksals. Schluß damit! Die Sicherheit des Volkes macht die Ausmörzung dieser Verbrecher zur Pflicht des Staates. Und mögen sie dann auch von Kirchenverfolgungen schreien: allen Theologen und Christen in Deutschland, einerlei welcher kirchlichen oder kirchenpolitischen Gruppe sie angehören, auch den treuesten Kirchenbesuchern muß diese jüngste Haltung der politisierenden Pastoren die Augen geöffnet haben ..." hetzt am 27. Oktober 193 8 das „Schwarze Korps", das Organ von Himmlers SS.

Forell berichtet an Erzbischof Eidern: „Zu Sonnabend, den 29. Oktober, waren die evangelischen Bischöfe Mahrarens, Meiser, Wurm, Kühlewein und wahrscheinlich Johnsen aus Braunschweig von Kerri nach Berlin gerufen worden. Hier wurden sie im Kirchezministerium nicht von Kerri selbst oder seinem Staatssekretär empfangen, sondern von einem untergeordneten Beamten, der ein Verhör mit ihnen anstellte und sie fragte, was sie im Zusammenhang mit der Krise im September getan oder nicht getan hätten. Besonders ein Gottesdienst, der von der . Vorläufigen Kirchenleitung'für einen der kritischen Tage angekündigt und später als, Fürbittegottesdienst für den Frieden'empfohlen worden war, hatte das Mißfallen des Kirchenministeriums geweckt. Es wurde darauf hingewiesen, daß dieses als Mißtrauensvotum gegen die Friedenspolitik des Führers verstanden werden müsse usw. Dann wurde den Anwesenden ein Plan zur Reorganisation der Evangelischen Kirche vorgelegt, der nach den bisher eingegangenen Mitteilungen darauf hinauslief, die bereits begonnene Zentralisierung der Verwaltung für das ganze Reich unter der Kontrolle des Staates in Berlin durchzuführen, das heißt zunächst eine vollständige Verstaatlichung der kirchlichen Finanzen (die in der Praxis in großen Teilen der Kirche schon besteht), aber auch in anderen Fragen, die nach der jetzt propagierten Meinung unter den Begriff . Verwaltung'gefaßt werden soll. , Die geistliche Leitung', die sich mit der Ausbildung der Geistlichen, der Unterweisung, der Verkündigung, den Kirchenbüchern, der Gottesdienstordnung und anderem beschäftigen würde, soll auf Dr.

Werner übergehen (einen fanatischen Nationalsozialisten und . Deutschen Christen'), der an seiner Seite eine Reichssynode haben würde, die hauptsächlich aus Laien zusammengesetzt sein soll. Soweit bisher feststellbar ist, enthält dieser Vorschlag das Radikalste, was bisher von verantwortlicher Seite vorgebracht wurde. Er entspricht in großen Teilen dem Programm, für das gewisse radikale Elemente in der Partei schwärmen. Es ist auch deutlich, daß die radikale Richtung nach den Erfolgen der Außenpolitik wieder die Oberhand gewonnen hat. So hat der nächste Mann nach Himmler, Heydrich, der als der eigentliche . Henker'in der Gestapo angesehen wird und der seit einiger Zeit in Ungnade war, den Dienst wieder ausgenommen, und sogar Göbbels, der einige Zeit auf dem Fallreep zu sein schien, scheint wieder aufzuleben, wenigstens für einige Zeit ... In der SS-Zeitung . Das Schwarze Korps'ist damit gedroht worden, daß man die Mitglieder der . Vorläufigen Kirchenleitung'einsperren wird. Ihre Gehälter sind schon teilweise gesperrt worden und man wartet wohl auf einen günstigen Augenblick, um den nächsten Schritt zu tun. Die Agitation für den Kirchenaustritt ist intensiver geworden, besonders in den Großstädten, und dort haben die Austritte auch zugenommen. Auf dem Lande geht es natürlich schlechter mit solchen Maßnahmen. Es ist klar, daß man einen Generalangriff von allen Seiten gegen die , alte‘ Kirche vorbereitet und es ist wahrscheinlich, daß die Stellung der Bischöfe sehr bedroht ist. Mahrarens ist bereits angedroht worden, daß man einen Prozeß gegen ihn eröffnen wird wegen der Verwendung . kirchlicher Gelder'für so internationale und gefährliche Dinge wie den . Lutherischen Weltkonvent'... Ich werde erst morgen mehr erfahren, aber wollte schon dieses mitteilen. Man erwartet hier in der Kirche, daß unsere Seite irgendwie Interesse an der Sache zeigen wird, und der Besuch eines englischen oder französischen Vertreters des Ökumenischen Rates würde sicher sehr begrüßt. Wir hier können ja nichts tun, außer an den Sorgen teilnehmen .. .“

Eine neue Knebelung und Verfolgung der Kirche beginnt. Mancher der bisher „bekenntnistreuen“ Pfarrer wird unter dem unablässigen Druck zermürbt und flüchtet in eine „Neutralität", die für den eigenen kleinen Kreis vielleicht noch zu retten vermag, was zu retten ist, aber der großen Vernichtung freien Lauf läßt. Es ist eine Zeit der Versuchung, eine Zeit größter Bedrängnis für die Bekennende Kirche.

Die Schatten wachsen.

Private Unterstützung jüdischer Flüchtlinge in England

Es brennen die Synagogen. 25 000 jüdische Männer werden in die Konzentrationslager verschleppt. Jüdische Vermögen werden beschlagnahmt, Geschäfte enteignet. Den Juden wird eine Kontribution von einer Milliarde Mark auferlegt. Im Vollgefühl seines Sieges glaubt der nationalsozialistische Staat, nun auf nichts mehr Rücksicht nehmen zu müssen.

Es ist der Weg, der in den Krieg führt. „Es ist schwer, sich heute nicht völlig zerschlagen zu fühlen durch das Schicksal der Juden in Deutschland. Vielleicht wird das vielen Menschen die Augen öffnen. Selbst die . Times'ist trotz der offiziellen , Husch-Husch'-Politik erschüttert“, schreibt Dorothy Buxton am 18. November 1938 bei der Nachricht von der „Kristallnacht“ an Forell. „Das Programm und die Auslöschung der Bekennenden Kirche sind die ersten Früchte des Münchener Abkommens. Es beweist, von ge was einige uns hier schon lange -glaubt haben, daß Hitler, so schlimm auch die Dinge waren, bis zu einem gewissen Grad durch die öffentliche Meinung hier und in anderen Ländern zurückgehalten wurde. Jetzt, nachdem er unsere Regierung festgelegt hat, glaubt er, daß er weitergehen kann. Ich beabsichtige eine entscheidende Anstrengung zu machen, um Geld für die Bekennende Kirche zu bekommen. Aus verschiedenen Gründen war es mir bisher noch nicht möglich. Ich frage mich, ob es Dir wirklich möglich ist, durch Deine Bank mehr als nur kleine Summen zu transferieren. Wird das nicht durch die allgegenwärtige Staatspolizei entdeckt?

Und wird das nicht Deine eigene Stellung gefährden? . . . Das Flüchtlingsproblem ist jetzt schon erdrückend. Einzelfälle nehmen einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch. Ich habe versucht, etwas über die wirtschaftliche Seite zu schreiben, um das allgemeine und falsche Vorurteil, daß die Flüchtlinge Arbeitslosigkeit bewirken, zu beseitigen..." Mit entschiedenem Eifer greift sie die dornenvolle Aufgabe auf, vor die sie in gleicher Weise sich selbt in England, wie Forell in Deutschland gefordert weiß: Hilfe an den Verfolgten. „Ich hoffe, daß die Summen, die bisher übersandt wurden, Dich richtig erreicht haben, ich schichte 150 Pfund am 15. Dezember, 30 Pfund an Deine Bank in Stockholm und am 27. Februar 75 Pfund. Ich will weiter mein Bestes auf diesem Wege tun, aber ich bin traurig, daß es nur in so kleinem Rahmen geht..." Und wieder: „Wenn ich Dir nur mit mehr Geld helfen könnte! Die kleinen Beträge waren in der Hauptsache das, was ich mit meiner Feder verdient hatte und auch Honorare für Vorträge. . .“ Sie ist leidenschaftlich entschlossen, die englische Öffentlichkeit aufzurütteln, aber „der großen Mehrheit des englischen Volkes liegt diese Sache sehr fern. . .“

Dorothy Buxton ist nicht gesund: „. . . da meine Gesundheit mich zwingt, mich viel ruhiger zu verhalten, kann ich mehr schreiben — und das kann ich wirklich besser als Reden halten . . .“ Bald darauf berichtet sie Forell: „Es interessiert Dich vielleicht, eine Flugschrift zu sehen, die ich gemacht habe als Versuch, eine großzügigere Politik gegenüber den Flüchtlingen zu unterstützen. Mein Land ist bereit zu einer solchen Politik, aber die Regierung hält zurück. Sie befürchtet eine antisemitische Bewegung! Nach meiner Meinung ist ihre Politik feige und niederträchtig, das britische Volk kann darüber nur beschämt sein. Sir Samuel Hoare ist persönlich sympathisch, aber er hat nicht die Kraft, zu überzeugen... Wie ich Dir mitteilte, habe ich einen Roman geschrieben; es ist ein Buch in der populären „Penguin" -Serie und handelt von Flüchtlingen. Sir Norman Angell und ich haben uns zusammengetan, aber es in Wirklichkeit mehr sein Buch als meins. Es wird ungefähr in einer Woche herauskommen. Die Arbeit für die Flüchtlinge ist ziemlich erdrückend gewesen und meine Arbeit für die Kirche hat darunter gelitten. Ich habe nicht genug Zeit für sie gehabt. Ich hoffe, daß das jetzt besser wird, nachdem das Schreiben über die erstgenannte Frage abgeschlossen ist. . .“

Aber es will ihr nicht gelingen, die englische Regierung zu großzügigeren Maßnahmen für die Verfolgten und Flüchtlinge zu überzeugen. Sie stößt immer wieder auf Bedenken, Schwierigkeiten. Vergeblich versucht sie, eine Bresche zu schlagen. Nicht das englische Volk ist es, sondern seine Regierung, die in dieser Frage versagt. Und wieder antwortet Dorothy Buxton auf einen Brief von Forell: „Du schriebst davon, daß Ströme von Menschen zu Dir kommen, um um Hilfe und Rat zu bitten, um aus Deutschland herauszukommen, und wie herzzerbrechend es war. Vielen von uns hier im Lande bricht es auch fast das Herz, zu wissen, wieviel getan werden müßte, und getan werden könnte, wenn unsere Regierung es erlauben würde. Aber Chamberlain hat weder Menschlichkeit noch Verstand, er ist ein Narr, ein alter, dummer, kaltblütiger Narr. Ich bin völlig und bitter beschämt über die Politik meines Landes. Kein Erwachsener (Flüchtling) mehr darf sich hier niederlassen — mit einigen wenigen Ausnahmen — und selbst die Kinder müssen auswandern, sobald sie erwachsen sind. Das bedeutet, daß die Kosten der Auswanderung (von vornherein) aufgebracht werden müssen und die Organisation, die sich der Sache annimmt, fordert jetzt die Hinterlegung von 50 Pfund als Bedingung, um ein Kind nach England zu bringen. Das bedeutet praktisch das Ende, den Stop der ganzen Sache, weil niemand das aufbringen kann. Es gibt hier unendlich viele anständige Menschen, die nur zu bereit sind, zu helfen, aber die Politik unserer Regierung hemmt sie an jedem Punkt. . .“

Auch Micklem hat sich unter dem Eindrude des schrecklichen Geschehens in Deutschland gleich an Forell gewendet: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Schrecken des Tages scheinen schlimmer zu sein als ein großer Krieg. . . Die Juden, die Emigranten, die nicht emigrieren können, die Nichtarier, die Christen — hat es iemals solches Leid gegeben? . . . Und nun stellen wir uns vor, daß soviele Freunde (ich weiß nicht, wer im einzelnen) von einem Tag zum anderen völlig verarmt sind. Sagen Sie ihnen, daß sie nicht vergessen sind und lassen Sie uns wissen, was wir tun können, um ihnen zu helfen. Ich sende einen Scheck über fünf Pfund für Weihnachten; wenn Sie kleine Weihnachtsgaben an die lieben Freunde und ihre Kinder verteilen, so lassen Sie es ein Zeichen dafür sein, daß die Una Sancta sie nicht vergißt . . . Idi kann mir bis zu einem gewissen Grad die Lasten und Sorgen vorstellen, die Sie auf Ihrem Herzen tragen . .

Die Hilfsstelle für „nichtarische Christen

Auch wenn die Hilfe die große Not nicht wenden kann; es ist tröstlich, die Bereitschaft dazu in der Gesinnung der Freunde zu wissen. Im September 1938, im Vorgefühl des herannahenden Sturmes, hat die Vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche eine eigene Hilfsstelle für „nicht-arische Christen" unter Leitung von Pfarrer Heinrich Grüber eingerichtet. Sie wurde von der Geheimen Staatspolizei zunächst geduldet und hat vielen hunderten von Verfolgten trotz aller Schwierigkeiten zur Auswanderung verhelfen können und auch sonst versucht, die große Not zu lindern. Im November 1938 stand die Hilfsstelle vor einer riesenhaften Aufgabe. Mit wirklichem Heldenmut gingen Grüber und seine Helfer ans Werk, um so viele der Be-drohten wie möglich vor dem Konzentrationslager zu retten. Grüber selbst wurde im Dezember 1940 verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht; fast drei Jahre lang ist er in Haft gehalten worden. Die Hilfsstelle wurde geschlossen, viele seiner Mitarbeiter ebenfalls verhaftet, einer von ihnen, Pfarrer Sylten, ist im Konzentrationslager Dachau 1942 gestorben. Von Anfang an hat Forell mit dieser Hilfsstelle zusammengearbeitet, beeindruckt von dem entschlossenen Handeln Grübers, den er später einmal einen „Mann der praktischen Ökumene" genannt hat, der „mit Einsatz aller seiner Kräfte, mit Wagnis und Mut sich für die Verfolgten und Bedrückten eingesetzt" hat.

Unermüdliche Arbeit für die Bedrängten und Verfolgten

Forell selbst bemühte sich ja schon seit dem Anfang der nationalsozialistischen Jahre, zu helfen und die Verfolgten ins Ausland in Sicherheit zu bringen. Der Strom der Hilfesuchenden ist immer mehr angeschwollen. In seinen Briefen tauchen hier und da Namen und Schicksale auf, für die er sich einsetzt. Es finden sich auch in manchen Briefen an ihn aus diesen Jahren und später, nach längst überstandenem Schrecken, kurze Sätze des Dankes, manchmal nur Andeutungen: „Wir hoffen, daß dieser Gruß Sie jetzt erreicht. Der erste kam wohl nicht an, und so möchte ich Ihnen noch einmal danken, was Sie für mich taten. Was das bedeutet, können Sie sich kaum vorstellen, während der Todesangst plötzlich die Nachricht: , Du darfst nach Schweden!'Ich werde Ihnen das nie vergessen und hoffe nur, daß wir bald persönlich uns sehen können. Wie oft habe ich in schweren Stunden an Sie gedacht, der Sie uns so oft gut zugeredet haben. Nun ist der Tag vielleicht nicht mehr allzufern . . Oder Forell antwortet: „Ich freue mich wirklich, zu hören, daß Sie mit Ihren Kindern in Schweden gut untergekommen sind. Die furchtbare Zeit, die hinter uns liegt, hat ja wohl schwerere Wunden geschlagen, als die meisten Menschen verstehen, und es passiert immer wieder, daß ich Menschen sehe, die durch die Ereignisse im Dritten Reich für Lebenszeit aus der Bahn geschleudert sind und nie wieder zu einem . normalen Leben'kommen können. Glücklicherweise kenne ich auch recht viele, die trotz aller Drangsalierungen und Leiden ihre Seele gerettet und ihren Weg gefunden haben, auch wenn sie ihr Eigentum verloren ... Es bedeutet oft, durch viele Enttäuschungen und auch viele Widerstände zu gehen, aber es lohnt sich schon. Es ist eine schwere, aber doch schöne Arbeit, und ich bin glücklich über jede Familie, die wir aus dem Dschungel der Gesetze und Verordnungen und anderen Schwierigkeiten hin-durchbringen können..." 1938 hat Forell in seinem Pfarrhaus in der Landhausstraße im Dachgeschoß zwei Stuben ausbauen lassen (die Akten Professor Siegmund Schultzes, die er bei seinem Fortgehen deponiert hatte, mußten dafür weichen), um Verfolgte bei sich aufnehmen zu können. Viele suchten nur des Tags über Zuflucht bei ihm. Auf dem Grundstück der schwedischen Kirche glaubten sie sich in ihrer Angst geschützt. Zwar war der Eingang in der Landhausstraße meist von der Geheimen Staatspolizei beobachtet, aber die Polizei hat übersehen, daß aus dem Grundstück noch ein zweiter Ausgang auf die belebte Kaiserallee (heute Bundesallee) führte, wo es leicht war, unbemerkt aus dem Großstadtbetrieb in die Stille des großen Gartens einzukehren oder aus ihm rasch wieder in den lebhaften Verkehr unterzutauchen. Die Zahl derer, die in Forells Haus Zuflucht gefunden haben, läßt sich nicht mehr feststellen. Aber es gibt ein anderes Zeichen, das deutlich genug spricht. 193 8 hat Forell durch eine Spende, die dem schwedischen Gesandten zur Verfügung gestellt war, ein Grundstück für ein Heim hilfsbedürftiger Schweden in Berlin gekauft. Es stammte aus jüdischem Besitz. Forell hatte es von der Witwe des beim Röhmputsch am 30. Juni 1934 ermordeten nationalsozialistischen Wirtschaftsexperten Gregor Strasser erworben. Nach 1945 erhob die „Jewish Restitution Successor Organization" nach dem Restitutionsgesetz, das die Herausgabe alles früheren jüdischen Eigentums verlangt, Ansprüche auf dieses Grundstück. Nach der Verhandlung mit dem beauftragten Rechtsanwalt aber verzichtete die „Jewish Restitution Successor Organization“ darauf „aus Respekt für die vorbildliche Haltung, die Ihre Auftraggeber sowie das gesamte schwedische Volk im Kriege und nach dem Kriege gegenüber dem von uns betreuten Verfolgtenkreis eingenommen haben . . ." Wer weiß, wie unnachgiebig sonst solches jüdisches Eigentum zurückgefordert worden ist, oft gegen ein wirkliches Rechtsgefühl, denn wie oft haben Freunde ihren jüdischen Freunden die Grundstücke abgekauft, um ihnen zu helfen, und haben dafür gesorgt, solange das noch möglich war, daß ihnen das Geld ins Ausland überwiesen wurde, der wird ermessen, wie hoch die Hilfe Forells in Berlin für die Verfolgten einzuschätzen ist.

Der „Fall" Jochen Klepper

Einen Fall solcher Hilfe, auch wenn sie trotz allen Bemühens von Forell das Bitterste nicht abwenden konnte, können wir genau verfolgen: den Fall Jochen Kleppers.

Er war 1937 mit seinem Roman „Der Vater", einer Darstellung des Lebens und Denkens Friedrich Wilhelms 1., des „Soldatenkönigs“, hervorgetreten. Es war ein Buch, das in großem Emst und geschichtlicher Treue den christlichen Gehalt im Denken des Königs als das tragende Gerüst seines Handelns lebendig werden ließ. Das Buch wurde gerade in dieser Stunde der Bedrohung alles Christlichen durch den Staat als tiefgehende Mahnung aufgefaßt und wurde so auch im Kreis der Bekennenden Kirche und weit darüber hinaus verstanden. Es war für viele ein Gnadengeschenk wirklicher Tröstung aus dem Vermächtnis der Vergangenheit, die in die Gegenwart sprach. Seltsam und das Besondere war, daß das Thema des soldatischen Königs zugleich auch viele Nationalsozialisten faszinierte, selbst wenn sie die christliche Mahnung, die so deutlich aus dem Roman sprach, überhörten. Geistliche Lieder Kleppers folgten: sie fanden Eingang in den Gemeinden. Sie wurden oft bei Gottesdiensten der Bekennenden Kirche gesungen.

Einer der nationalsozialistischen Bewunderer von Kleppers Roman war der Reichinnenminister Frick, zur gleichen Zeit Schirmherr der „Deutschen Glaubensbewegung''. Er erwirkte für Kleppers Stieftochter einen Schutzbrief; Klepper war mit einer Jüdin verheiratet und aus der ersten Ehe seiner Frau stammten zwei jüdische Töchter. Der älteren gelang es 1936, nach England zu gehen; von der anderen glaubten sich die Eltern noch nicht trennen zu können, sie schien viel zu jung und unerfahren, auch schien zunächst Fricks Schutz Gewähr zu bieten, daß diese Tochter von dem allgemeinen jüdischen Schicksal unter dem Nationalsozialismus bewahrt bleiben könnte.

Aber die Schatten der Verfolgung wuchsen ringsumher. Wir wissen aus Kleppers Tagebuch, wie immer bestürzender Bedrückung und Angst die Familie einschnürt, wie die Tochter als Jüdin zwangsverpflichtet wird, wie sie den Judenstern tragen muß.

Jetzt bemüht sich Klepper, die Erlaubnis zur Auswanderung seiner Stieftochter zu erlangen. Anfragen in Schweden, in England, in der Schweiz: es ist alles vergeblich. Schon seit langem ist das Tagebuch angefüllt mit Schreckensnachrichten von Zwangsdeportationen jüdischer Verwandter seiner Frau, von Freunden, von ganz Unbekannten. Es ist ja beinahe gleichgültig, ob es diesen oder jenen trifft. Daß es überhaupt möglich ist, daß der Staat willkürlich Menschen aufgreift, sie zwangsweise verschickt, um sie zu ermorden, ist ja das Schreckliche. Neue Wellen der Angst stürzen sich über die Geängstigten. Am 6. November 1941 nimmt sich der Schauspieler Joachim Gottschalk (der in gleicher Weise wie Klepper eine Sondergenehmigung hat) mit seiner jüdischen Frau und seinem Sohn das Leben.

Am 12. November vermerkt Klepper in seinem Tagebuch: „Heute war ich bei dem schwedischen Legationspfarrer Forell für das Kind. Was ich nicht erwarten konnte: er war völlig über mich im Bilde. Vor zehn Tagen war er in Schweden, um den dortigen Behörden die Not der deutschen Juden ans Herz zu legen; die Reise benutzte er, um über eine schwedische „Vater‘‘-Übersetzung zu verhandeln, wie er schon lange für mich, Schröder, die Seidel warb, „damit man in Schweden sähe, daß das alte Deutschland auch in der neuen Dichtung lebe“. Denn in Schweden ist es nun soweit, daß man in Deutschland nur noch das Dritte Reich sieht. . . Was ich über Dr.

Lilje versuchen wollte, hatte Pfarrer Forell bereits vorgesehen: mich mit dem schwedischen Vertreter der protestantischen Weltkonferenz zusammenzubringen, nur ahnte er nicht, wie sehr mir um meiner Sorge willen daran gelegen ist. Jener Kirchenmann, dem es endlich erlaubt ist, sich der Gefangenen in Deutschland anzunehmen, wird in zehn Tagen auf der Durchreise erwartet. Fügung scheint in Fügung zu greifen;

aber unser Herz bleibt davor starr und stumm, wahrhaftig nicht aus Unglauben, sondern aus der tiefsten Beugung vor Gott. Heimgekommen fand ich einen Brief von Juliane vor (einer Bekannten Kleppers, der es selbst gelungen war, mit ihrem Mann in Schweden Asyl zu finden), der von all jenen Schwierigkeiten berichtet, von denen mir auch Pfarrer Forell sagte: Schweden, soweit Deutschland nicht die Ausreise unmöglich macht, nimmt nur noch Juden auf, deren nächste Verwandte schon in Schweden leben, um in diesem schwachen Maß das Auseinandergerissenwerden der Familie zu verhindern, ferner jüdische Kapazitäten. . ." Forell ruft an: Söderström ist gekommen. Klepper und er führen ein fast anderthalbstündiges Gespräch. „Morgen senden Forell und Söderström gemeinsam die aus Stockholm angeforderte Referenz von der Schwedischen Gesandtschaft aus mit dem Kurierflugzeug ab . . . Die Hauptsache sei, daß die Auswanderungsgenehmigung mit Frick besprochen sei, denn Schweden verschanze sich bezüglich der Einwanderungsgenehmigung dahinter, daß sie angesichts der deutschen Sperre gar keinen Sinn habe. Wiederum müsse man nun sehr vorsichtig sein, damit Schweden nicht eine „Nazi-Schiebung“ wittere. . .“

Die Zeit verstreicht. Wieder ist Klepper bei Forell: „Bei Pfarrer Forell, um ihn zu bitten, ein erläuterndes Schreiben wieder mit dem Kurier-flugzeug der Gesandtschaft befördern zu lassen. Für die halbe Stunde, die ich bei Forell in seinem recht behäbigen und repräsentativen Pfarrhaus war, umgab einen noch einmal die Illusion der Geborgenheit bei einem kleinen, noch „gesicherten" Volk. Tannen-und Blumenschmuck im Empire-Empfangszimmer, die Fülle echter, gezogener Kerzen zum morgigen Luciafest, der Teetisch am Kamin mit all den schwedischen Weihnachtsbäckereien — Wohlgerüchen, wie wir sie seit Jahren nicht kennen, die ungeheure Geschäftigkeit in der riesigen, blitzenden Küche ... Das Unheil wächst und wächst, und in diesem neuen Ansturm erreicht es uns vielleicht unter den ersten Opfern ..."

Aber der erlösende Bescheid aus Schweden kommt nicht, Klepper schreibt von Forell: „Über die Ohnmacht, in der die Hilfsbereiten sich befinden, ist er recht verzweifelt.“ Forell versucht, ihm die Lage zu erklären: „Von den Schweden sagt er, daß sie einfach die deutschen Verhältnisse nicht mehr überblicken, das Martyrium, das vor sich geht, nicht im entferntesten ermessen können." Und da Forell sich anschickt, von Berlin aufzubrechen, um nach Schweden zurückzukehren, weiß Klepper dankbar den tieferen Sinn: „In Schweden selbst durch seine ungewöhnliche Kenntnisse der deutschen Verhältnisse noch einen letzten Versuch zur Hilfeleistung an den deutschen getauften Juden zu machen, ist der Hauptgrund, aus dem er nun Deutschland verläßt ..."

Lind dann steht in Kleppers Tagebuch inmitten des Grauens jener Tage die Schilderung einer festlichen Gesellschaft im Hause Forells — wie oft mögen solche Feste der äußere Rahmen für Forell gewesen sein, die verschiedenen Menschen miteinander bekannt zu machen, Begegnungen herbeizuführen, Fäden anzuknüpfen, die sich weit hineinspinnen in das Gewebe dieser verworrenen Zeit. „Im Pfarrhaus der Schwedischen Kirche. Begegnungen von Deutschen, Schweden, Dänen, von Deutsch-Russen, von Katholizismus, Protestantismus und Ostkirche. Theologen, Physiker, Ärzte, Diplomatie und ich für die Literatur. Der Kronprinz von Sachsen. Das Ganze viel leichter tragbar als sonstige Zusammenkünfte, auf denen gar so hilflos geredet wird:

denn im Mittelpunkt stand der ganz ausgezeichnete Vortrag eines deutsch-russischen, griechisch-orthodoxen Kunsthistorikers über die Ikone, der auch meine Vortragsmüdigkeit besiegte ... Am besten ins Gespräch kam ich mit Almquist, dem Ersten Legationssekretär der hiesigen schwedischen Gesandtschaft, einem ungemein gebildeteten, bescheidenen jungen Mann, der am Anfang seiner Karriere, müde der heutigen Diplomatie, sein Hauptinteresse nur noch findet in der Religiosität der unglücklichen Völker Europas. Dies lag sehr stark über der Stimmung des Abends: das bürgerliche Pfarrhausbehagen schwedischer Prägung, jenes leichte Timbre des Diplomatisch-Gesellschaftlichen, die spürbare Ohnmacht der letzten neutralen Mächte; im Mittelpunkt der gestürzte Fürst im Priesterkleid, Pater Georg (der frühere Kronprinz von Sachsen). Haupteindruck: auf welch hohen Voraussetzungen des Religiösen und Ästhetischen Vortrag und Gespräch von vornherein mühelos aufgebaut werden konnten, was heute die Kirchen voneinander wissen und aneinander verehren. Über alledem wird mir der Protestantismus immer klarer, in dem allein ich mich als der Sünder ganz verstanden fühle. Manchmal ist mir jetzt, als sei der einzige Halt und Kem dieses unglückseligen Europas allein wieder die Kirche, auch diese schuldbeladene, so oft versagende Kirche. Aber hier ist etwas, über das zwischen den Völkern als eine Substanz und Existenz gesprochen werden kann .. Auch diese Pflege einer geistigen und menschlich warmen Geselligkeit, so fremd sie in der Trostlosigkeit jener Zeit zu stehen scheint, gehört zu Forells Wirken und Wesen während seiner Berliner Jahre. Seine Gastlichkeit gilt ja nicht nur den Verfolgten, die Zuflucht bei ihm suchen, sie sieht auch eine Aufgabe darin, der geistigen Abschnürung entgegen zu wirken. Forells große Fähigkeit, anzuregen und zu vermitteln, findet hier ihren Ausdruck.

Bischof Dibelius hat sehr viel später, 1961, als Forells Wohnung in der Landhausstraße im Krieg zerbombt und das Pfarrhaus der schwedischen Viktoriagemeinde in neuer Form wieder erstanden war, davon gesprochen, was Forell und seine Gastlichkeit damals bedeutet hat: „Durch ihn hatten wir eine Fülle von Beziehungen zu der Welt da draußen. Auf diesem Grundstück habe ich mit unserem großen englischen Freund, dem Bischof Bell von Chichester, eine Zusammenkunft haben können, auf diesem Grundstück habe ich mit unserem bedeutenden norwegischen Freund, dem Bischof Bergrav, zusammen sein können, und wieviel dutzendmal bin ich hier eingekehrt, um mit Birger Forell zu besprechen, was für Hilfsmöglichkeiten in unserer Welt vorhanden seien. Es mußte das in der Stille geschehen, wir konnten unsere Wagen nicht vor . diesem Grundstück parken lassen, denn Birger Forell wurde längst überwacht von der nationalsozialistischen Geheimpolizei. Und trotzdem, er fand den Weg zu uns und wir fanden den Weg zu ihm und es war eine brüderliche Gemeinschaft da ..."

Forell verläßt Berlin, aber er behält Kleppers Anliegen im Auge. Über die Erlaubnis für Kleppers Stieftochter, nach Schweden zu kommen, ist noch nicht entschieden. Almquist, den Klepper an jenem Abend bei Forell kennen gelernt hat, fliegt nach Stockholm, um sich im Auswärtigen Amt für eine beschleunigte Genehmigung einzusetzen. Auch Forell ist deswegen in Stockholm. Es geschieht nichts. Nach Berlin zurückgekehrt, telefoniert Almquist noch einmal mit Stockholm. Es zeigt sich, daß die schwedischen Stellen Angst vor deutschen Spionen haben. Ist im Fall Klepper nicht Fricks Hilfe und Schutz Verpflichtung zur Spionage?

Wieder setzen sich Forell und Almquist für Klepper ein. Nun, ein Jahr nachdem Klepper zum erstenmal Forell ausgesucht hat, ängstigt ein neues Gerücht die Geängstigten: es wird über die Zwangsscheidung der Mischehen gesprochen. Und noch immer keine Antwort aus Schweden. „Almquist, ihn, den einzigen wirklichen Helfer, drückt es sehr nieder. Er rät Renate zur Flucht in die Schweiz. Wir wissen, daß auch das längst Utopie ist. Es ist nun so gekommen, daß man lebt, von Angst und Schrekken gepeinigt und die Frage nach allem, was das Leben eines Mannes lebenswert macht, für einen verstummt ..."

Immer quälendere Gerüchte: „Der Untergang des Judentums in Deutschland ist nun wohl auch schon nach den Tatsachen in sein letztes Stadium getreten. Durch welche Ängste muß unser Herz .. Endlich, am 5. Dezember 1941, telefoniert Almquist die Nachricht: das schwedische Außenministerium hat die Einreise für Kleppers Stieftochter genehmigt!

Letzte Tage: Klepper ist bei Reichsminister Frick, um von ihm die deutsche Ausreisegenehmigung zu erhalten. „Er hatte noch alles klar im Gedächtnis. Er, einer der wichtigsten Minister und im Krieg der Generalbevollmächtigte für die Zivilverwaltung, steht zu dem, was er im Oktober 1941 zugesagt hat: er will Renate aus Deutschland heraushelfen. Aber hier kann er sie nicht mehr schützen. Niemand kann es. Er kann mir auch keinen noch so umschreibenden Schutzbrief, wie seinerzeit für Renerle, mehr geben für Hanni (Kleppers Frau). Nur den Rat und die Zusicherung, zur Ausreise zu verhelfen für Hanni, zu Reni nach Schweden zu gehen. . Noch ist Ihre Frau durch die Ehe mit Ihnen geschützt. Aber es sind Bestrebungen im Gange, die die Zwangsscheidung durchsetzen sollen. Und das bedeutet nach der Scheidung gleich die Deportation des jüdischen Teiles’. Dies seine Worte. Er war erregt und bedrückt und lief am Schreibtisch auf und ab. , Ich kann Ihre Frau nicht schützen. Ich kann keinen Juden schützen. Solche Dinge können sich ja der Sache nach nicht im Geheimen abspielen. Sie kommen zu den Ohren des Führers, und dann gibt es einen Mordskrach .. Noch besteht eine schwache Hoffnung, die Ausreise-Genehmigung vom Sicherheitsdienst der Geheimen Staatspolizei zu bekommen. Klepper ist bei Eichmann . .. vergeblich. Am Abend des 10. Dezember 1942 gehen Klepper, seine Frau und seine Stieftochter freiwillig in den Tod.

Forell ist tief erschüttert, als er die Nachricht erhält. Sofort denkt er an viele andere, die in Deutschland in gleicher Weise bedroht sind und beschwörend schreibt er am 14. Deezmber 1942 an den Erzbischof Eidern: „... Die letzten Nachrichten aus Berlin nehmen auch den letzten Zweifel: Wir stehen vor einer Verschärfung der Lage, die eine sofortige Aktion nötig macht, um wenigstens einige vor einem sicheren und qualvollen Tod zu retten. Es wäre ein fürchterliches Versagen, wenn wir nicht alles versuchen wollten. Ich bin bereit, jederzeit nach Stockholm zu fahren, aber ich brauche Ihre Hilfe und bitte Sie, zu bedenken, daß höchste Eile nottut im Wettlauf mit dem Tod. Wäre es möglich, daß Sie sich persönlich mit dem Außenminister und Ministerpräsident in Verbindung setzen, damit die Regierung allen untergeordneten Stellen Bescheid gibt, wieweit unsere Gastfreundschaft diesen armen Menschen gegenüber ausgeweitet werden kann ... Ich persönlich bin überzeugt, daß Fräulein Kleppers Rettung gelungen wäre, wenn wir im Frühjahr bzw. Sommer die Einreiseerlaubnis bekommen kätten. Da galt noch Fricks Wort etwas. Ich bin tief erschüttert über die Behandlung dieses Falles und will nicht so harte Worte gegen die Beamten äußern, die wohl handeln so gut sie es verstehen. Aber es ist furchtbar, sich vorzustellen, daß meine in 13 Jahren in Deutschland gesammelten Erfahrungen so wenig bei den hiesigen Behörden gelten. Man will ganz einfach unseren Warnungen nicht glauben, sondern nimmt an, wir seien Pessimisten und trieben Greuelpropaganda ..." Noch 14 Jahre danach schreibt er bei der Herausgabe der Tagebücher Kleppers an den Verlag: „Meine Freunde und ich, die wir verzweifelte Versuche damals machten, die ganze Familie nach Schweden zu bringen, werden es bis zu unserem Lebendsende nicht ganz überwinden, daß diese unsere Versuche vergeblich wäre” und das tragische Ende nicht verhindern konnten ..

Die Bekennende Kirche im Kriege Forell hat Schicksal und Wandlung, Leiden und Auftrag der Bekennenden Kirche während des Krieges in seinem Aufsatz von 1946 geschildert: „Anfang 1939 tauchte wieder die Frage auf, eine Reichssynode und eine neue Kirchenverfassung zustandezubringen, weil die aus dem Jahr 1933 einfach nicht angewandt wurde wegen des Widerstandes der Bekennenden Kirche und der . intakten’ lutherischen Kirchen. Beim Herannahen des Kriegausbruchs wurde das Bedürfnis nach Einigkeit im Volk bei Staat und Partei sehr viel größer. Der Kirchenminister leitete deshalb Verhandlungen mit den Kirchenführern ein, um einen Frieden zwischen den Parteien herzustellen. Dabei verwandte er Bischof Mahrarens als Vermittler. Im Frühjahr 1939 wurde unter seiner Leitung ein Entwurf für eine neue Kirchenverfassung ausgearbeitet, in dem man auf Verlangen des Staates weitgehende Konzessionen zur Anpassung an die neue Weltanschauung gemacht hatte. Die übrigen lutherischen Kirchenführer lehnten diesen Entwurf ab und arbeiteten unter der Führung von Bischof Wurm einen neuen aus, der dem Kirchenminister am 31. Mai übergeben wurde. Er wurde abgelehnt, obwohl er in vielen Punkten den Erwartungen von Staat und Partei, daß die Evangelische Kirche endlich ihre Kampfstellung aufgeben und sich den Wünschen des totalitären Staates in allem fügen solle, entgegenzukommen suchte. Unmittelbar vor Kriegsausbruch wurde von Kirchenminister Kerris Seite ein letzter Versuch gemäht, Einigkeit über den Vorschlag für die neue Kirchenverfassung zu erreichen. Auch er mißglückte . . . Der Krieg kam wie ein Shock für die große Masse des Volkes und niht zu-letzt für das Kirchenvolk. Das mit Rußland im August geschlossene Bündnis erhöhte diese Schockwirkung noch.

Das Schweigen, das folgte, als der große eiserne Vorhang über Deutschland herniederging, verleitet manchen, zu glauben, daß der Kirchenkampf nun beendet sei und daß die Evangelische Kirche ihre Kampfstellung aufgegeben habe. Es wurden in der Tat einige Strafmaßnahmen gegen Anhänger der Bekennenden Kirche bei Kriegsbeginn aufgehoben, und sogar die oppositionellen Elemente innerhalb der Kirche folgten der Einberufung zum Kriegsdienst. Nur wenige Pfarrer der Bekenntnisfront konnten als Feld-geistliche Dienst tun. Dadurch, daß ein großer Prozentsatz der Diener der Kirche von ihren Zu-Gemeinden getrennt wurden, erhielten die rückbleibenden eine unmenschliche Arbeitslast.

Die Möglichkeit, in dieser Lage eine Art von Opposition gegen das heidnische Treiben des Staates organisieren zu können, war gewiß stark beschnitten. Die Gestapomethoden, die schon in den Jahren vorher gegen die Bekennende Kirche fleißig zur Anwendung gekommen waren, verschwanden nicht mit dem Krieg. Man versuchte, den Angriff besser zu tarnen. Dem einen wurde verboten, öffentlich zu sprechen, dem anderen, zu reisen und schließlich wurden sogar diejenigen, die älter waren, als der Kriegsdienst vorsah, eingezogen, wenn es sich zum Beispiel darum handelte, die vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche zum Schweigen zu bringen. Mit diabolischer Geschicklichkeit glückte es der Gestapo oft genug, ihre wirklichen Absichten zu verbergen, wenn es galt, der Opposition innerhalb der Kirche ans Leben zu gehen.

Die unerhörten militärischen Erfolge zu Beginn des Krieges machten die Führung des Staates und der Partei weniger ängstlich vor dem Urteil des Auslandes, auf das man vor dem Kriege doch eine gewisse Rücksicht genommen hatte. Im Februar 1940 kam aus Stettin die erste Nachricht über Massendeportationen von Juden nach Polen .., Viele tausend christliche Familien haben auch während des Krieges ihren christlichen Glauben dadurch bezeugt, daß sie Wochen und Monate lang Juden und Judenchristen, die von der Deportation bedroht waren, verbargen und ernährten oder ihnen halfen, aus dem Lande zu fliehen. Zahlreich sind auch die Pfarrer und Laien, die ins Gefängnis wanderten oder ins Konzentrationslager gebract wurden, weil sie es gewagt hatten, sich der verfolgten Juden anzunehmen.

Nachdem es der Gestapo geglückt war, die vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche durch vielerlei Maßnahmen praktisch außer Funktion zu setzen, war es für die Bekenntnisfront notwendig, einen Sprecher zu finden, der weiter gehört werden konnte, wenn andere sdiweigen mußten Es wurde nachgerade so. daß der alte Bischof Wurm widerspruchslos als der wirkliche Wortführer der ganzen evangelischen Kirche anerkannt wurde und mehr und mehr als solcher hervortrat. Selbst die Radikalsten unter den Führern der Bekennenden Kirche beugten sich unter seine Autorität, und das war auch nicht so schwer zu tun, denn der alte Kirchenmann wuchs geistig unter der lastenden Verantwortung. Mehr als einmal ist Bischof Wurm im Namen der Evangelischen Kirche gegen die Judenverfolgung während des Krieges aufgetreten und hat sowohl gegenüber den staatlichen Organen wie den Juden die Einstellung eines christlichen Menschen zur Judenfrage klargelegt. Am 1. September 1941 feierte das Dritte Reich den nun zwei Jahre zurückliegenden Kriegsausbruch durch den Befehl an alle Juden, den gelben Juden-stern zu tragen. Am Tag danach sprach Bischof Wurm in Stuttgart auf einer Kirchenversammlung klare und deutliche Worte an die Adresse der Obrigkeit, in denen er vor der zunehmenden Rechtlosigkeit und Gewalt, warnte. Er wagte es sogar, sich an die Gestapo zu wenden:

, Wo ist der Mut, der des deutschen Mannes Zierde sein soll, besonders nach der jetzt geltenden neuen Weltanschauung, wo ist der Mut, eine Sache zu vertreten, wenn das einzige Argument, das trifft, die Gestapo ist? ’.

Zu dieser Zeit begannen überall im Lande beharrlich Gerüchte verbreitet zu werden über die sogenannte Euthanasie, die Tötung von Krüppeln, Geisteskranken, unheilbar Kranken und anderen, die nach nationalsozialistischer Auffassung nicht wert waren, weiter leben zu dürfen. Die Angehörigen mußten in vielen Fällen ohne vorherige Benachrichtigung eine Urne mit der Asche des zum Tode Verurteilten entgegennehmen und die brutale Art, in der diese staatliche Aktion gehandhabt wurde, weckte Abscheu und Schrecken bei allen Rechtschaffenen. Sowohl von katholischer wie von evangelischer Seite wurde mit scharfen Worten gegen diese Maßnahme protestiert. Der hochberühmte Bischof von Münster, Graf von Galen, führte die Sache der katholischen Kirche. Auf der evangelischen Seite war es Bischof Wurm, der im Namen der ganzen Evangelischen Kirche diese Gewaltmaßnahmen gegen die Hilflosesten in der Gemeinschaft verdammte. Viele Pfarrer innerhalb der Bekenntnisfront machten ihren Gemeinden durch Predigten und auf andere Weise deutlich, was ein christlicher Mensch in solchen Fragen zu denken hat. Der Rundfunk und die Zeitungen in Deutschland versuchten die Welt davon zu überzeugen, daß das deutsche Volk mit Jubel die gewaltigen militärischen Siege feierte, die in den ersten Jahren Hitlers Armeen begleiteten. Nichts ist weniger wahrhaftig, besonders wenn es sich um die bewußten Christen im Volk handelt. Sie nahmen an keinem Siegesjubel teil. In persönlichen Gesprächen mit Pfarrern und Laien ereignete es sich täglich, daß sie der tiefsten Unzufriedenheit und der reinen Verzweiflung über den Krieg Ausdruck gaben.

Für viele war er nichts anderes als Gottes Strafe für alle Verbrechen, die im Namen des deutschen Volkes schon vor dem Krieg begangen worden waren.

Stalingrads Ende 1942 war der Wendepunkt im Gang der äußeren Ereignisse. Dieser harte Schlag traf alle Schichten des Volkes. Die Verluste waren zu groß, als daß die Niederlage von der Propaganda in einen Triumph hätte umgewandelt werden können. Am 8. Februar 1943 berührte Bischof Wurm in einem Brief an den Reichsstatthalter in Württemberg diese Tragödie, wie er Stalingrad nennt. Er warnte die Maßgebenden vor der ernsten Stimmung, die im Volk wegen der großen Fehlrechnungen und der großen Verluste herrscht. Wie ein Prophet des Alten Testaments geht er mit der Obrigkeit und ihren Organen ins Gericht und tritt im Namen seines Herm als Ankläger auf: Es muß endlich ein Ende haben mit all diesen Maßnahmen, durch die Menschen anderer Völker und Rassen ohne Urteil und Untersuchung ... in den Tod gejagt werden, nur weil sie Angehörige ihres Volkes oder ihrer Rasse sind. Solche Maßnahmen werden im Volk durch Soldaten, die auf Urlaub kommen, mehr und mehr bekannt und belasten alle christlichen Gewissen, weil sie Gottes Geboten ebenso widersprechen wie die Maßnahmen gegen die Geisteskranken. Dies alles wird sich auf furchtbare Weise an unserem ganzen Volke rächen! ..

Ende 1943 wurde das vermutlich stärkste Zeugnis veröffentlicht, das die Bekennende Kirche während des Krieges vor der Welt abgelegt hat in ihrer Bereitschaft, Gottes Wort rein und klar „in Zeit und Unzeit“ zu verkünden. Eine Synode der Bekennenden Kirche in Preußen sandte damals an alle Pfarrer und Kirchenräte eine Botschaft, die sich an ein gerade damals von Bishos Wurm an seine Pfarrer gerichtetes Mahnwort anschließt. Darin gibt die Synode eine Auslegung des fünften Gebotes, in der klar vor jeder Art von Haß und Rachelust gewarnt und der Obrigkeit das Recht aberkannt wird, ohne „geordnetes Rechtsverfahren''Menschen zu töten und im Krieg „friedliche und wehrlose" Menschen umzubringen. Gleichzeitig erließ die Synode eine Botschaft für den bevorstehenden Bußtag mit einer Erklärung aller zehn Gebote. Die Auslegung jedes Gebotes beginnt mit den Worten: „Wehe uns und unserem Volke, wenn .. So lautet die Erklärung des ersten Gebotes: „Wehe uns und unserem Volk, wenn wir anstatt dem dreieinigen Gott Ehre zu erweisen, menschliche Gedanken über Gott und die Mächtigen dieser Welt zu selbstgewählten Abgöttern erhöhen, denn der Herr sagt: , 1h bin der Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir So wird Gebot nach Gebot behandelt, und dieses zehnfache „Wehe uns und unserem Volk“ klang in vielen Predigten und bei vielen Zusammenkünften der Bekennenden Kirche.

Zu der Zeit war Forell schon nicht mehr in Deutschland.

Rückberufung nach Schweden

Er ist im April 1942 endgültig nach Schweden zurückgerufen worden, sei es, daß die schwedische Regierung oder der Gesandte in Berlin glaubten, für Forells Sicherheit fürchten zu müssen, sei es, daß von nationalsozialistischer Seite eine offene Drohung gegen ihn ausgesprochen worden ist, die sein Bleiben nicht länger möglich machte. Ihn erwartete die Hauptpfarrstelle an der Karolikirche mit einer Gemeinde von etwa 24 000 Seelen in der schwedischen Textilstadt Boras, südlich von Göteborg. „Für uns endet mit Ihrem Fortgehen eine kleine Lichtquelle in unserem Leben, und es wird uns wirklich fehlen, daß wir nicht mehr denken können'... und in Wilmersdorf sind Forells’, schreibt Frau Martens-Edelman zu Forells Fortgehen. So denken gewiß viele und Dorothy Buxton meint aus der Ferne: „Du wirst schrecklich vermißt werden und ich habe tiefes Mitgefühl mit denen, die Dich vermissen müssen ... Trotzdem bin ich dankbar im Gedanken daran, daß Du bewahrt werden sollst für die Welt der Zukunft ..." So schön und ehrenvoll die neue Aufgabe ist, die Forell in Boras erwartet, in seinen Briefen klingt lange noch etwas wie Sehnsucht nach dem Zurückgelassenen: gewiß, es war eine Zeit voll harter Arbeit und Anspannung, aber auch eine Zeit gesegneten Wirkens. „ ... Verpflanzt zu werden braucht seine Zeit . . heißt es einmal in einem Brief Forells und immer wieder: „ ... wir können Berlin und Deutschland und alles Gute, das wir dort empfangen haben, nicht vergessen ..."Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Karl Dietrich Bracher: „Plebiszit und Machtergreifung'* C. V. Gross: „Volksfrontpolitik in den dreißiger Jahren“

Romano Guardini: „Der Glaube in unserer Zeit"

Hans Kohn: „Wege und Irrwege. Vom Geist des deutschen Bürgertums"

Wolfgang Leonhard: „Die zukünftige kommunistische Gesellschaft"

Wolfgang Mitter: „Gesichtspunkte zur Didaktik und Methodik der Behandlung von Ost-fragen"

Klaus Scholder: „Ideologie und Politik"

Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche" (IV. Teil)

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung: Harald von Koenigswald, Münstereifel, freier Schriftsteller, geb. 21. März 1906.