Fortsetzung:
R Der vorliegende Beitrag findet Aufnahme in na I »Vollmacht des Gewissens“ — heraus-p Vben von der „Europäischen Publikation pF’ ran'kfurt>a. dMer., edrescmhneäincth. st beim Metzner-Verlag,
Die Neutralität Spaniens
Schon frühzeitig, seit etwa Anfang Juli, befaßte sich Hitler im Gegensatz zu seiner Haltung gegenüber Frankreich mit dem Gedanken und den Möglichkeiten, Spanien aktiv in das Kriegsgeschehen einzuschalten, Spanien „ins Spiel zu bringen"
Nach der Diktatur Primo de Riveras 1930, dem Thronverzicht Alfons XIII. im Frühjahr 1931 und der Gründung der Republik setzte seitens der politischen Linken ein scharfer Kampf gegen die Kirche und den Großgrundbesitz ein. Das Jahr 1933 brachte der konservativen Rechten zwar den Wahlsieg, aber keine politische Beruhigung. Anfang 1936 schlug das Pendel zurück und es kam zur Bildung einer Volksfrontregierung. Gegen sie richtete sich im Sommer 1936 die Militärerhebung Francos. Es folgte ein langer und blutiger Bürgerkrieg, dessen Parteien sowohl von den totalitären Mächten Deutschland und Italien wie andererseits von den westlichen Demokratien und der Sowjetunion mehr oder weniger offen unterstützt wurden. London, Paris und Moskau wechselten den Kurs und stoppten die Hilfe für die Republikaner ab, als in den ersten Monaten 1939 die wachsenden militärischen Erfolge Francos die Sorge bei ihnen aufkommen ließen, Spanien könnte Bundesgenosse der Achse werden. Die Eroberung Madrids durch Franco beendete am 1. 4. 1939 schließlich den Bürgerkrieg. Bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges sollten nur noch fünf Monate vergehen.
Der mehrjährige, von beiden Seiten erbittert geführte Kampf hatte Spanien sehr schwere Menschenverluste und materielle Zerstörungen eingebracht, er hatte die an sich schon schwache Volkswirtschaft an den Rand des Ruins geführt. Auch waren durch ihn die politischen und sozialen Gegensätze im Volk bis zu einem Maß gesteigert worden, daß ihre allmähliche Abschwächung und schließliche Beseitigung durch das neue Regime nur allmählich und sicher nicht in kurzer Frist gelingen konnte. Welch schwere Aufgaben dem Regime und der die Franco-Regierung tragenden Bewegung der Falange gestellt waren, drückte Serano Suner, der Schwager Francos und Innenminister mit den Worten aus: „indem zu bequemes Denken die Falange ...den echten totalitären Bewegungen als gleichartig an die Seite stellte, hat es einem höchst komplizierten, in seinem Innern von alten ungelösten Fragen oft bis zum Zerreißen angespannten Organismus, die Qualitäten der Zerreiß-Unempfindlichkeit und der festen Homogenität zuerkannt, die er in Wirklichkeit nie gehabt hat .. .“.
Das Verhältnis Spaniens zu den beiden Achsenmächten wies von Beginn an wesentliche Unterschiede auf. Während Spanien und Italien sich als Mittelmeerländer, lateinische Nationen und durch den Katholizismus eng verbunden fühlten — auch volkswirtschaftlich bestanden manche Parallelen —, waren Spaniens Beziehungen zu Deutschland trotz aller traditionellen Freundschaft kühler, strenger, sachlicher. Spanien sah in Deutschland immer zunehmend die starke Macht
Schon im Bürgerkrieg, in dem Hitler ja keineswegs nur aus politisch-ideologischen Gründen Franco personell und materiell unterstützte (Sammlung taktischer und waffentechnischer Erfahrungen), müssen allerdings einzelne deutsche Maßnahmen die spanische Empfindlichkeit stark berührt haben
Die wirtschaftlichen Nöte Spaniens nach dem Ende der inneren Kämpfe waren sehr groß; an ihrer Spitze stand der Mangel an fast allen wesentlichen Rohstoffen, der hohe ständige Einfuhrbedarf, besonders auch an Lebensrnitteln,. der geringe Devisenbestand. Der Kriegsatsbruch im Herbst 1939 brachte naturgemäß gerade auf dem Einfuhrsektor erneute Einengungen und damit Verschärfung der Regierungssorgen. Im Sommer 1940 mußte fast von Hungersnot gesprochen werden
Die außenpolitische Aktivität des neuen Spanien galt begreiflicherweise als erstem Staat der lateinischen Schwesternation Italien. Im Juni 1939 besuchte Suner Rom und war glücklich, dort zu hören, daß Deutschland und Italien noch jahrelang bemüht sein würden, einen Krieg zu vermeiden; er ließ seinerseits keinen Zweifel daran, daß Spanien zu gegebener Zeit sich der Achse anschließen werde
Deutscherseits erfolgte auch keine Kontaktaufnahme, als gegen jede Erwartung der „große“ Krieg mit den Westmächten doch ausgebrochen war; schon der Bedeutung Gibraltars wegen hätte nahegelegen, die künftige Haltung Spaniens, mit dem Deutschland ja formell durch den Antikominternpakt eng verbunden war, frühzeitig und vorsorglich zu klären.
Spanien erklärte sich Anfang September 1939 für neutral; die Gründe sind dem deutschen Botschafter in Madrid sicher bekannt gewesen. Suner nennt sie sehr klar: „der Krieg brach aus als er uns am wenigsten paßte, als er uns im Innern am meisten schaden konnte. Denn sein Ausbruch beschränkte die Möglichkeit, Hilfe-leistungen des Auslandes für unsere Wiederherstellung zu erlangen und störte uns bei der Arbeit, die nationale Einheit wieder zusammenzukitten . . .der Krieg paßte uns damals nicht, weil Spanien müde, ruiniert, schlecht gerüstet keine Lust zu Kriegsabenteuern hatte."
England seinerseits war sich sofort der hohen und politischen Bedeutung Spaniens und der Notwendigkeit, Spanien aus dem Krieg herauszuhalten, bewußt: „Alles, woran uns gelegen sein mußte, war Spaniens Neutralität. Wir wünschten mit Spanien Handel zu treiben, daß seine Häfen den deutschen und italienischen U-Booten verschlossen blieben, jede Gefährdung" Gibraltars zu vermeiden, die Reede von Algeciras für unsere Schiffe und den Landstreifen zwischen Fels und Festland für unsern stets wachsenden Flugstützpunkt zu benutzen. Davon hing in weitem Maße unser Zugang zum Mittelmeer ab . .
Die überraschend schnellen und durchschlagenden Erfolge der deutschen Wehrmacht in Frankreich führten — wie schon früher gestreift—am 12. 6. 1940, nach dem am 10. 6. erfolgten italienischen Kriegseintritt, zur Erklärung der spanischen „Nichtkriegführung" und am 14. 6. zur Besetzung der internationalen Tangerzone durch spanische Truppen. Noch im Juni ließ Franco in Berlin wissen, daß er bereit sei, sich dem Sieger anzuschließen, allerdings auch Ansprüche habe
Am 17. 6. wandte sich Petain, der erster Botschafter Frankreichs in Madrid nach Abschluß des Bürgerkrieges gewesen war und dort gute Beziehungen hatte, an Spanien, um Vermittlung seiner Bitte um Waffenstillstand, der auch nachgekommen wurde. Dieser Umstand hätte als hinweisender Fingerzeig des Schicksals auf die politische Bedeutung Spaniens angesehen werden können — aber Hitler war zu diesem Zeitpunkt so fest vom baldigen siegreichen Ende des Krieges überzeugt, daß er keine „Schützenhilfe" mehr zu benötigen glaubte. Ob allerdings tatsächlich am 22. 6. anläßlich des Antrittsbesuchs des englischen Botschafters Hoare bei Franco ein erstes deutsches Vorfühlen auf englische Friedensbereitschaft erfolgte
Die Inbesitznahme der internationalen Tangerzone durch Spanien, mit der das gesamte Südufer der Gibraltarenge — einer der neuralgischsten Punkte der englischen Machtstellung — nunmehr unter spanischer Kontrolle stand, in Verbindung mit dem englischen Vorgehen gegen die französische Flotte Anfang Juli 1940, mögen dann doch Anlaß für Hitler gewesen sein, an eine Intensivierung der Beziehungen zu Spanien heranzugehen. Hitler hatte dabei aber vornehmlich den Versuch im Auge. England politisch zu isolieren, es durch Zwang zum Kampf an Nebenfronten in Atem zu halten, um so den geplanten und bevorstehenden unmittelbaren deutschen Angriff auf die Insel zu unterstützen. Hätte aber nun nicht — gerade nach der verklausulierten spanischen Bereitschaftserklärung zur Kriegsbeteiligung — eine eingehende Aussprache mit offener und vertrauensvoller Darlegung der beiderseitigen Kriegsziele und Absichten erfolgen müssen? Die deutsche politische Führung wußte doch wohl — und mußte wissen —, welch überragende Bedeutung die Begriffe Gibraltar, Marokko und Nordwestafrika im spanischen Denken unentwegt spielten, daß um eine Regelung dieser Fragen nicht herumzukommen war, daß ohne eindeutige Abklärung ein Zusammengehen nicht erwartet werden konnte *
Die m a n g e 1 n d e E r k e n n t n i s despolitisch Notwendigen, weil Unvermeidbaren, und der ebenso mangelnde Wille oder die Unfähigkeit der deutschen Führung, es durchsetzen, waren letztlich wesentliche Ursache für das Mißlingen des Versuchs, die spanische Figur ins Spiel zu bringen
Mit Halbheiten und ohne gerechten Preis war dieses Ziel ebensowenig zu erreichen wie das Ziel, Frankreich in den Kampf gegen England einzuschalten. Und Halbheiten waren die begrenzten Ziele, die sich Hitler hierfür gesetzt hatte: die Schwierigkeiten für den englischen Seeverkehr durch Schließung der Gibraltarstraße zu erhöhen und durch diesen verschärften Druck zusammen mit der Invasionsdrohung und dem Angriff aus der Luft England zum Nachgeben zu zwingen; ferner Nordwestafrika und sogar die atlantischen Inseln gegen etwa mögliche angelsächsische Invasion allein dadurch zu sichern, daß die Verteidigung des französischen Kolonialreichs verstärkt wurde. Hitler hat nie an mehr als deutschen Hilfs einsatz — für Italien im östlichen Mittelmeer, für Frankreich in Nordwestafrika, für Spanien, für Gibraltar und im westlichen Mittelmeer gedacht. Keine wohl koordinierte, komplexe offensive, sondern nur devensive deutsche Lösung; er wollte so den Westen sichern, um sich gegebenenfalls dem Osten zuwenden zu können. Er hat am Ende aus Raeders mehrfachen wohlüberlegten und begründeten Vorschlägen das eliminiert, was ihm zweckmäßig und durchführbar erschien, ohne zeitlich und sachlich das Vorhaben gegen Ruß-land zu gefährden. Der Mittelmeerraum war im Spätsommer 1940 für ihn immer noch „italienischer Kriegsschauplatz" und bot ihm keine Alternative für den mittelbaren Angriff auf England über Rußland.
Trotz dieser unzureichenden politischen Initiative wurden ab Mitte Juli die militärischen Vorbereitungen für ein Vorgehen durch Spanien und einen kombinierten überfallartigen Angriff auf Gibraltar seitens der Oberkommandos der Wehrmacht wie des Heeres mit aller Energie betrieben. Erkundungen an Ort und Stelle in Spanien, die getarnt vor sich gingen, führten zur Ausarbeitung einer Operationsstudie zur Gesamtwegnahme Gibraltars, die Hitler am 24. 8. genehmigte. Daneben liefen spezielle, sehr systematische organisatorische und waffentechnische Vorarbeiten; Spezialverbände wurden für die zu erwartenden Aufgaben nachdrücklich geschult. Nach einer persönlichen Aussprache mit Hitler am 24. 7. traf sich General von Richthofen, der letzte Kommandeur der Legion Condor, am 28. 7. mit dem spanischen General Vigon in Biarritz, um ihm die deutschen militärischen Pläne für Gibraltar zur Weitergabe an Franco vorzutragen. Sie hingen freilich mangels endgültiger politischer Absprachen im luftleeren Raum!
Der Zufall wollte es, daß am gleichen 24. 7.der Abschluß eines Handelsabkommens zwischen England und Spanien erfolgte, in das auch Portugal einbezogen wurde. Die Engländer hatten damit wirtschaftliche Bindungen geschaffen und konnten sie weiterhin verstärken, deren Wieder-Lösung für den lebenswichtigen spanischen Einfuhrhandel schwerste Gefahren beschwören mußte
Am 9. 9. folgte v. Richthofen einer Einladung Francos, der sich fraglos durch persönliche Aussprache mit einem ihm gut bekannten maßgeblichen Deutschen, zu dem er auch großes Vertrauen hatte, eine feste Meinung über Deutschlands Absichten und weitere Erfolgsaussichten machen wollte. Auch hierbei äußerte Franco wieder seine Sorge vor einem langen Krieg
So blieb bis Ende September eine Einigung, die im Interesse aller beteiligten Mächte, vor allem aber Deutschlands selbst gelegen hätte, aber natürlich nur auf dem Kompromißwege erzielbar war, unerreicht; dies konnte zu gefährlichen Spannungen führen oder Chancen verloren gehen lassen, die sich nur einmal boten
Neben dem Ausweichen vor der unabdingbaren Notwendigkeit, die sich überkreuzenden Interessen der beteiligten Mächte abzuklären, liegen die Gründe in folgendem: Hitler war unfähig oder nicht gewillt die Schwäche Spaniens zu erkennen oder hinzunehmen. Er glaubte, ihm das Eingehen großer Risiken zumuten und einen aktiven Beitrag zum Sieg erwarten und fordern zu können. Francos Einstellung war völlig gegensätzlich: Kriegsb e i tri 11 erst bei hundertprozentiger deutscher S i e g e s a u s s i c h t, keinerlei Risiko, also Ernte ohne Saat. Er hat hieran, wenn z. T. auch nur zwischen den Zeilen erkennbar, nie einen Zweifel gelassen. Die Schuld mußte sich die politische deutsche Führung somit selbst zumessen.
Rüstungspolitik und Kriegswirtschaft
Aus den wirtschaftlichen Vorbereitungen des Dritten Reiches für einen Kriegsfall verdienen zwei Maßnahmen hervorgehoben zu werden, weil sie organisatorisch, leistungsmäßig und in ihrer Auswirkung besondere Bedeutung hatten.
Schon 1934 wurde aus der Abteilung Industrielle Produktionsstatistik des Statistischen Reichsamts das selbständige „Amt für wehr-wirtschaftliche Planung“ entwikkelt
Alle wirtschaftlichen Maßnahmen von 1933 bis 1939 zusammengefaßt — zusätzlich zu oben Erwähntem: Ausbau der fabrikatorischen Kapazitäten, technische Rationalisierung, Standort-verlagerungen —, ergaben für die deutsche Industrie die Chance der industriellen Überlegenheit, wenn nicht stärkere Gegner in den Kampf traten, der Krieg nicht zu lange dauerte, die Auseinandersetzung sich nicht auf ein „Ausproduzieren“ auf dem Gebiet der Massenproduktion verlagerte. Deutschland war, gemessen am Rüstungsstand der anfänglichen Gegner, stark und modern genug für einen kurzen Krieg. Für den Fall eines langen Krieges waren keine Vorbereitungen getroffen
Das Fehlen eines Gesamtkriegsplanes, in dem die politisch-militärische wie wirtschaftliche Seite der Kriegführung aufeinander abgestimmt waren, und der Ersatz durch eine fortlaufende Folge von Teilplänen machte sich auch wehrwirtschaftlich sehr nachteilig bemerkbar. Die feste Erwartung eines kurzen und dazu räumlich begrenzten Feldzuges zu Beginn des Krieges und die danach immer erneut genährte Hoffnung aufnunmehrbaldiges Kriegsende, ließen der politischen Führung die sofortige radikale Umstellung der Gesamtwirschaft auf die Kriegführung und die AufstellunglangfristigerProgramm e mit klar abgegrenzten Dringlichkeitsstufen nicht nötig erscheinen. Es fehlte somit die Sicherung des erstrebten und erhofften Ziels.
Je nach den im Augenblick sich ergebenden militärischen Erfordernissen oder auch politischen Schlußfolgerungen wurden so bis Sommer 1941 die Programme der Rüstungsfertigung und die Dringlichkeitsstufen zehnmal geändert: Bis zum Westfeldzug blieb die Munitionsfertigung an der Spitze aller Rüstungsmaßnahmen
Auf die tieferen Gründe für diese Vorgänge wird noch eingegangen; sie wurden bis in die Einzelheiten aber auch aufgeführt, um klarzustellen, daß offenbar die politische Führung und leider letztlich auch ihre nächsten militärischen Berater glaubten, an die Kriegswirtschaft jede, meist zudem noch kurzfristige Forderung stellen und ihre prompte Ausführung erwarten zu können
Es fehlte im Sommer 1940 immer noch die rüstungswirtschaftliche Spitze, deren Vorbereitung im Frieden und sofortige In-stallierung in einem Kriegsfall der Wehrwirtschaftsstab im Oberkommando der Wehrmacht bereits 1934 gefordert und um die General Bekker, der Chef des Heereswaffenamtes, später jahrelang — vergeblich — gekämpft hatte. Aber damals fehlte der Wille, die Rüstung der drei Wehrmachtteile zentral zu steuern und die Einheitlichkeit sicherzustellen. Das Oberkommando der Wehrmacht und die Wehrmachtteile kämpften infolge der unzureichenden Koordinierung nach wie vor in kräfte-und zeitbeanspruchendem Ringen um die Bevorzugung bei der Programmgestaltung
Dazu kamen die Mängel der kriegswirtschaftlichen Organisation überhaupt. Man hatte die Wirtschaft für einen Kriegsfall und für die Vorbereitungsarbeiten auf einen solchen in zwei Teile gespalten: die Rüstungsindustrie fiel in die Zuständigkeit des Oberkommandos der Wehrmacht, die kriegs-und lebenswichtige Industrie in die des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft, dessen Dienststelle allerdings im Dezember 1939 infolge weitgehender Überschneidung der Kompetenzen und Versagens in den Vorarbeiten aufgelöst und dessen Befugnisse dem Vierjahresplan übertragen wurden. Es wurde zwar beim Vierjahresplan ein „General-rat" gebildet, aber die zentrale Führung der deutschen Kriegswirtschaft blieb eine Illusion, denn das Reichswirtschaftsministerium blieb weiter bestehen, ein Ministerium für Bewaffnung und Munition wurde sogar im März 1940 neu geschaffen. Sein Leiter Todt wurde aber leider nicht rütungswirtschaftlicher Berater der Obersten Führung, der ihr auch Sachvorschläge zu machen hatte. Er war nur für die Förderung der Fertigung eingesetzt und richtete sein Hauptinteresse stark auf alle Sonderwünsche Hitlers, weniger auf die Rüstungsprogramme. Die Arbeitsgebiete all dieser Wirtschaftsbehörden waren keineswegs klar abgegrenzt und überschnitten sich vielfach, kaum eine Kompetenz war klar, kaum eine umfassend. „Hinzu kam der politische Aspekt: das Nebeneinander von Staat, Wehrmacht und Partei, die Befehlshierarchie bis Hitler, der die entscheidenden Entschlüsse selbst traf. Diese Kriegswirtschaft steht als ein Denkmal der Unergiebigkeit, wie sie sich aus einem System der persönlichen Diktatur ergab"
Wehrwirtschaftlich war seitens der politischen Führung der entscheidende Akzent seit 1933 auf die Breitenrüstung (Aufstellung und Ausrüstung neuer Verbände) gelegt worden; die Tiefenrüstung (Bereitstellung von Nachschub, industrielle Vorbereitungen, vornehmlich für die Grundstoffindustrie, Bevorratung mit Rohstoffen) war, z. T. aus Devisen-gründen, zurückgestellt worden, sie sollte am Ende der Aufrüstung erfolgen. Der überraschende Kriegsausbruch und insbesondere die Ausweitung zum Weltkrieg mußte daher schon aus diesem Grunde bei den für die Leitung und Leistung der Wehrwirtschaft Verantwortlichen größte Sorge hervorrufen. Aber das Sichversagen der Westgrenze 1939/40, der die Planungen weit unterschreitende Verbrauch 1940 einerseits, die über Erwarten großen und wertvollen Rohstofflager in den besetzten Gebieten andererseits sowie die bald mögliche, z. T. weitgehende Ausnutzung ihrer industriellen Kapazität erleichterten die kriegswirtschaftliche Lage Deutschlands wesentlich und ließen manche ursprüngliche Befürchtung in den Hintergrund treten. Die politischen Friedenshoffnungen verhinderten vorerst noch eine Korrektur der wirtschaftlichen Aufrüstungsmängel (Tiefenrüstung). Erst als sie längst geschwunden waren, dies sei hier vorweggenommen, wies Göring als Leiter des Vierjahresplans am 6. 11. 1940 darauf hin, daß man sich auf lange Kriegsdauer einrichten müsse. Aber erst über ein Halbjahr später, am 19. 5. 1941, wurde vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht erstmals erwähnt, daß bei Gefahr eines länger dauernden Krieges der Ausbau der Rohstoff-grundlagen wichtiger sein könne als die Erweiterung der reinen Waffen-und Munitionsherstellung. Sofortige Konsequenzen wurden freilich nicht gezogen. Diese beiden Gegenüberstellungen beleuchten schlagartig das immer noch völlige Fehlen einer vorausschauenden und ideenreichen kriegswirtschaftlichen Führung I Das Zurückweichen der politischen Führung vor einer Totalisierung des Krieges und das Sich-selbst-betrügen mit der Hoffnung auf einen kurzen Krieg hatte nicht nur zu einer geteilten Mobilmachung von Wehrmacht und Wirtschaft im Herbst 1939
Bei einem Index-Stand von 100 im Januar-/Februar 1942 betrugen die Monatsdurchschnitte September/Dezember 1939 = 63 aller Monate 1940 = 97 » 1941 = 98 . 1942 = 142 » 1943 = 222 noch im Januar 1945 = 227 (!)
Die deutsche Rüstungsproduktion ist also innerhalb der zwei Jahre 1940 und 1941 nur ganz unwesentlich gestiegen. An dem — nach einem amerikanischen Bericht aus deutschen Kriegsakten — erstaunlich niedrigen Stand der deutschen ten (z. B. 60 Panzer, 1 bis 2 U-Boote, 700 Flugzeuge monatlich) hat sich bis Ende 1941 nichts Entscheidendes geändert.
Andere Zahlen weisen völlig in die gleiche Richtung: Arbeitszeit in der deutschen Industrie durchschnittlich im Jahre 1939 = 47, 8 Wochenstunden, Höchststand im März 1943 = 49, 1 Wochenstunden; zudem wurde überwiegend nur in einer Schicht gearbeitet. Der Fraueneinsatz war noch im März 1940 um 1/2 Million niedriger als bei Kriegsbeginn, stieg allerdings bis zum Herbst wieder über die Ausgangszahlen.
Auch der Wert der Rüstungsproduktion verharrte 1940 und 1941 auf der Zahl von rund sechs Milliarden Dollar, während er sich in den USA von 1, 5 auf 4, 5 Großbritannien von 3, 5 auf 6, 5 Sowjetunion von 5 auf 8, 5 Milliarden Dollar erhöhte, im Durchschnitt der drei Mächte also rund verdoppelte. Deutschland und Japan erreichten 1940 noch etwa 70 Prozent, 1941 aber nur noch gut 40 Prozent der Rüstungsproduktion der USA, Englands und der Sowjetunion
D i e O b e r s t e F ü h r u n g h a t s o m i t rüst u n g s p o 1 i t i s c h im Rahmen ihrer politischen Konzeption und Illusion die deutsche Rüstungskapazität nur zu Bruchteilen ausgenutzt und völlig unzulänglich versorgen zu müssen geglaubt, und dies zu einem Zeitpunkt riskiert, in dem neue schwere Kampfhandlungen bevorstanden (Osten) oder längst im Gange waren (Balkan, Nordafrika).
Als der Traum vom schnellen Niederwerfen Rußlands verflog, kam es daher zwangsläufig zu schwerwiegenden Mangelerscheinungen schon im Herbst 1941 in der Versorgung aller Wehrmachtteile. Dies Verhalten und Versagen der politischen Führung auf dem Gebiete der Rü-stungswirtschaft ist um so unbegreiflicher, als nach dem eigenen Plan dem „schnellen Sieg" im Osten ja erst 1942 der umfassende Endkampf gegen England mit weitgespannten Zielen folgen sollte. Ab 1940 lag rüstungswirtschaftlich für Deutschland die Chance allein darin, zur Entscheidung zu kommen, ehe das quantitativ für Deutschland immer unerreichbarePotentialGroßbritan-niens, der USA und Rußlands an Menschen, Rohstoffen und Kapazitäten sich voll auswirken konnte, ehe das der Sowjetunion überhaupt unddasderUSAvollwirksamwurde. Das bedeutete jedoch, die eigene Kapazität und Produktion schnellstens umfassend zu steigern.
Diese vielfältigen Mängel und Unterlassungen
Sofortige organisatorische Maßnahmen mit dem Ziel einheitlicher, voll verantwortlicher Führung der Gesamtrüstungswirtschaft durch eine Person und Dienststelle, die gleichzeitig die alleinige verantwortliche Beratung der staatspolitischen Führung, insbesondere über rüstungswirtschaftliche Leistungsmöglichkeiten und -grenzen zu übernehmen hatte; schnellste Durchführung der dringlichsten sich hieraus ergebenden Forderungen für die nachgeordnete Wirtschaftsorganisation.
Beschleunigter Ausbau der Rohstoffversorgung und der Fertigungskapazitäten; hierbei volle Berücksichtigung der Gütermengen, die deutscherseits und nach deutscher Erkenntnis zur Unterstützung der künftigen Kampfpartner aufgebracht werden mußten
Unumgänglich war, schnellstens mit Hilfe zentraler Planung die Leistungsgrenzen der deutschen und weitgehend auch der verbündeten Kriegswirtschaft im Rahmen der verfügbaren und erreichbaren Grundstoffe und des Kraft-stroms abzustecken ’
Die „Chance im Mittelmeer" wird zur Gefahr
Während Hitler nach dem Fehlschlag des unmittelbaren Angriffs auf England im Rahmen einer Politik verblieb, England gewissermaßen zu „beschäftigen“ anstatt es mit aller Entschlossenheit dort anzugreifen, wo es ihm erreichbar war; defensiv zu sichern anstatt offensiv zu werden; den Kreis der Verbündeten möglichst zu erweitern und ihnen einen Platz im Kampf gegen England anzuweisen, ohne aber den unvermeidbaren Preis zahlen zu wollen — ja sogar den Gedanken der „getrennten Räume" aufrechterhielt, und hierbei politisch nicht nur keine Erfolge, sondern Mißerfolg auf Mißerfolg erlitt, deren Gründe er freilich nicht bei sich, sondern bei den Verhandlungspartnern Petain und Franco suchte und sah, wandte sich das Blatt des Kriegsgeschehens erneut:
Noch am 4. 10. 1940 hatte Hitler auf dem Brenner in einer Besprechung mit Mussolini zu dessen Freude
In der einschlägigen Literatur ist häufig die Feststellung anzutreffen, daß dieser italienische Angriff für die deutsche Oberste Führung völlig überraschend erfolgt sei
Eine am 24. 10. erfolgte Anfrage v. Rintelens bei Badoglio ergab dessen verlegene Antwort, »daß alle Vorbereitungen für eine Offensive getroffen seien, falls die Engländer die griechische Neutralität verletzten"
Diese bewußt aufgeführten Einzelheiten lassen erkennen — wie sich auch bei dem von Hitler herbeigeführten Zusammentreffen mit Mussolini am 28. 10. in Florenz, dem Tage des italienischen Angriffsbeginns, erwies —, daß sich beide Achsenführer in diesem Augenblick offensichtlich über die Tragweite der begonnenen Aktionen noch keineswegs im klaren waren:
Mussolini glaubte in schwer erklärbarem Optimismus oder in unverantwortlicher Leichtfertigkeit an ihren unbedingt und in Kürze durch politischen Druck und militärische Maßnahmen erzielbaren Erfolg — Hitler andererseits konnte bei der von den Italienern gepflogenen Geheimniskrämerei, mit der sie das gesamte Unternehmen umgeben hatten, mit einem gewissen Recht unterstellen, daß es wenigstens seit längerem planmäßig und ausreichend vorbereitet war und somit wohl erfolgreich sein würde, zumal die griechische Widerstandskraft nicht allzu hoch eingeschätzt zu werden brauchte.
Die hochgespannten italienischen Erwartun179gen erwiesen sich jedoch sehr schnell als trügerisch: die Griechen nahmen das Ultimatum nicht an, sondern setzten sich bald in geringer Entfernung von der Grenze energisch und erfolgreich zur Wehr, Bulgarien ließ sich, aus Sorge vor türkischen Reaktionen, nicht zum Mitgehen verführen, die am Angriff beteiligten albanischen Verbände und Banden versagten in weitem Umfang. Dem enttäuschenden politischen Bild entsprach das militärische, es war sogar noch düsterer: bereits am achten Tage der Aktion war die Initiative in die Hände des Gegners übergegangen
Durch das politisch völlig unzureichend vorbereitete Unternehmen wurde die in den letzten Monaten mehrfach nur mit Mühe bewahrte Ruhe auf dem Balkan gebrochen, die zu erhalten schon aus wirtschaftlichen Gründen die Achsenführer hätten bemüht sein müssen: ohne rumänisches Öl und jugoslawisches Bauxit und Kupfer stand die Wehrwirtschaft Deutschlands wie Italiens vor kaum lösbaren Problemen. Die englische Reaktion war prompt und überraschend schnell: im Rahmen der am 13. 4. 1939 an Griechenland gegebenen Garantie landeten erste Streitkräfte schon am 29. 10. auf Kreta, am 31. 10. war in der Sudabucht bereits ein englischer Flotten-und Luftwaffenstützpunkt eingerichtet. „Die überragende strategische Bedeutung der Insel sprang uns vor allem in die Augen. Sie durfte den Italienern nicht in die Hand fallen."
Die Lücke, die zwischen dem durch Prestigefragen weitgehend beeinflußten Willen der politischen Führung Italiens und dem Können, bisweilen auch dem Wollen der militärischen F ü h r u n g s s t e l l e n , sich immer offener darbietend, klaffte, hatte in Ausmaß und Richtung noch gar nicht auslotbare Gefahren h e r a u f g e f ü h r t.
Am 21. 11. eroberten die Griechen Koritza am Nordflügel der Front in Albanien; die Italiener erwehrten sich nur mühsam und unter großen personellen und materiellen Verlusten der immer erneuten griechischen Angriffe — die mit so großen Hoffnungen begonnene Aktion war politisch und militärisch restlos gescheitert. Weiteren Anlaß zur Sorge bereitete den Italienern die durch die Festsetzung auf Kreta erleichterte und gesteigerte Aktivität des englischen Ostmittelmeer-Geschwaders. Es griff am 11. 11. mit rund 20 Torpedofliegern eines Trägers die vor Tarent liegende italienische Schlachtflotte an und brachte ihr sehr schwere Verluste bei — ein Schlachtschiff sank, die Wiederherstellung zweier weiterer dauerte viele Monate. Die Italiener verlegten in der Folge die schweren Einheiten nach Neapel und Spezia, das Ostmittelmeer den Engländern damit fast freigebend. Sie waren hinsichtlich der schweren Einheiten den Italienern nunmehr auch numerisch überlegen.
Wie schon gestreift wurde, konnte ein sowjetisches Eingreifen in Folge des italienischen Vorgehens nicht ausgeschlossen werden. Ein Überblick über die Entwicklung, die das deutsch-russische Verhältnis ab Sommer 1940 genommen hatte, ergab:
In Ziffer 3 des Geheimen Zusatzabkommens zum deutsch-russischen Nichtangriffsvertrag vom 23. 8. 1939 hatte Deutschland zwar hinsichtlich des Südosten Europas sein völliges politisches Desinteressement „an diesen Gebieten" erklärt — eine reichlich verschwommene Definition; es hatte andererseits aber wiederholt dem Achsen-partner Italien sein legitimes Interesse am Balkan, wie z. B. hinsichtlich Jugoslawiens und Griechenlands bescheinigt. Mag auch der Pakt mit Rußland von Hitler stets nur als Zweck-instrument und Provisorium betrachtet worden sein und es in seiner Absicht gelegen haben, die in ihm bezüglich Finnland, Baltikum, Bessarabien unter einem gewissen Zwang gemachten Zugeständnisse später einmal durch die deutschen Interessen entsprechende bessere Lösungen zu ersetzen — in der derzeitigen Lage mußte ein weiteres Vordringen der Sowjetunion in Richtung Balkan unbedingt verhütet werden. Der Wiener Schiedsspruch vom 30. 8. 1940, die in ihm vorgenommene Bereinigung gefährlicher akuter Spannungen zwischen Ungarn und Bulgarien einerseits und Rumänien andererseits, und die ihm folgende deutsch-italienische Garantie des rumänischen Staatsgebietes hatten ebenso wie der Abschluß eines deutsch-finnischen Abkommens am 23. 9. (Waffenlieferungen durch Deutschland, Durchmarschrecht für Deutsche Truppen nach dem nordnorwegischen Kirkenes) schon zu erheblicher Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen geführt. Als aus der Entsendung deutscher Lehrtruppen nach Rumänien am 12. 10. sich weitere Divergenzen zu ergeben drohten, wurde deutscherseits am 13. 10.der Vorschlag zu einem erneuten Treffen zwischen Ribbentrop und Molotow gemacht. Stalin nahm nach einigem Zögern an; für die Begegnung wurde die erste Novemberhälfte vorgesehen
Aus all dem kann nur der Schluß gezogen werden, daß Hitler zwar den Kampf gegen Rußland als Englands Festlanddegen wollte — sofern es nicht völlig an Deutschlands Seite zu bringen war — und daher auch all das, was für einen eventuellen Ostfeldzug 1941 unumgänglich und nicht kurzfristig zu regeln war, vorzubereiten befohlen hatte und hatte anlaufen lassen, daß er aber andererseits noch keinen „unabänderlichen Entschluß" in einer ganz bestimmten Richtung gefaßt hatte; er wollte vorerst noch alle Eisen im Feuer halten und keine Möglichkeit ausgeschlossen wissen — er hatte sich am 11.11.1940 noch nicht festgelegt. Die später beim Molotowbesuch deutscherseits so stark in den Vordergrund geschobenen Gedanken der Ausweitung des Dreierpakts zum Viererpakt, der Ablenkung des russischen Interesses aus der West-in die Südrichtung und damit der vollgültigen Einschaltung der Sowjetunion und ihres Potentials in den Kampf gegen England, ehe die USA kriegsbereit waren, haben offenbar in dieser Zeit vom Ende September bis Ende Oktober eine ganz wesentliche Rolle im illusionistischen Wunschdenken der deutschen politischen Führung gespielt.
Der kriegerische Einbruch Italiens in den Balkanraum am 28. 10. durch seinen Überfall auf Griechenland und seine schnell zum Bösen sich wandelnden Folgen, die in ihren Aspekten schon geschilderte so gänzlich veränderte Lage im östlichen Mittelmeer brachten dann ohne Zweifel sowohl bei Stalin wie bei Hitler in der Zeit zwischen Einladung und Eintreffen Molotows eine Wandlung der Auffassungen: Hatte Stalin bis dahin geglaubt, die auch von ihm allmählich als drohend empfundene Lageentwicklung mit der Möglichkeit eines bewaffneten deutsch-russischen Konflikts im Jahre 1941
Wie nachdrücklich tatsächlich die Bemühungen der deutschen politischen Führung, Rußland für eine Zusammenarbeit zu gewinnen — gleichzeitig allerdings auch zum Aufgeben seiner westlichen Interessen zu veranlassen — anläßlich des Molotowbesuchs gewesen sind, erhellt daraus, daß Hitler wie Ribbentrop getrennt je zweimal Molotow ihre Vorschläge in den lockendsten Farben geschildert haben und immer wieder in den Gesprächen auf sie zurückgekommen sind, ja einen ausgearbeiteten Vertragsentwurf mit Zusatzprotokollen betreffs Beitritt Rußlands zum Dreierpakt einschließlich Abgrenzung der vierseitigen Einflußsphären vorgelegt haben. Aber Molotow ließ sich nicht blenden, sondern klar erkennen, daß die Sowjetunion nicht nur nicht bereit war, ihre Interessen in Europa aufzugeben, sondern auch, daß das Schicksal der Türkei, Bulgariens, Rumäniens und Ungarns ihr unter keinen Umständen gleichgültig sein könne. Ja sogar die Frage der Ostseezugänge wurde von ihm in die Debatte geworfen. Abschließend stellte er fest, daß „die großen Fragen von morgen nicht getrennt werden könnten von den heutigen und von der Erfüllung der bestehenden Abkommen. Die angefangenen Dinge müßten erst abgeschlossen sein, ehe man zu neuen Aufgaben schreite.“
Das Bemühen Hitlers war sicher mehr wie nur eine Probe aufs Exempel, ob sein Vorhaben, Rußland anzugreifen, der einzig richtige und mögliche Entschluß sei.
Am gleichen Tage, an dem die ersten Besprechungen zwischen Hitler und Molotow stattfanden, dem 12. 11. 1940, erging die Weisung Nr. 18 an die Wehrmachtsteile über Pläne und Vorhaben für die Kriegführung in der nächsten Zeit. Ihr Inhalt entsprach im wesentlichen den Überlegungen und Gedanken, die schon am 4. 11. in einer Besprechung Hitlers mit dem Oberbefehlshaber des Heeres behandelt worden waren: Zusammenarbeit mit Frankreich in der Hoffnung, „die Teilnahme Frankreichs am Krieg gegen England in vollem Maße zu entwickeln“; Herbeiführung des baldigen spanischen Kriegs-eintritts mit deutschem Eingreifen auf der iberischen Halbinsel zwecks Einnahme von Gibraltar und Schließung des westlichen Mittelmeer-eingangs sowie Verhinderung des Festsetzens der Engländer an anderer Stelle Spaniens oder Portugals oder auf den atlantischen Inseln; Unterstützung der Italiener — „wenn überhaupt" — in erster Linie durch deutsche Fliegerkräfte, aber Bereitstellen einer Panzerdivision
Die bedrohliche Entwicklung der Lage im Mittelmeerraum hatte also nicht nur nicht zur Inaussichtnahme einer tatkräftigen sofortigen Unterstützung des Achsenpartners und nachdrücklicher Intensivierung der Bemühungen um Frankreich und Spanien, sondern sogar noch zu einer Einschränkung der für Italien bisher vorgesehen gewesenen geringen Hilfe geführt
Die erstmals am 14. und 15. 11. 1940 — also fünf Monate nach Italiens Kriegseintritt — zwischen den militärischen Führungsstäben der Achse in Innsbruck stattfindenden Besprechungen (Keitel/Badoglio) begannen deutscherseits mit sachlich und zahlenmäßig weit übertriebenen optimistischen Darstellungen der Lage — um dem Bundesgenossen den Rücken zu stärken!
Am gleichen Tag — 14. 11. 1940 — unternahm der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nochmals und wiederum gelegentlich eines Lagevortrags, bei dem u. a. auch die Canaren und Kapverden beurteilt wurden, einen Versuch, um der Obersten Führung das Aufschieben der Auseinandersetzung mit Rußland auf die Zeit nach dem Sieg über England nahezulegen. Die deutschen Kräfte würden andernfalls zu stark beansprucht, ein Ende des Krieges sei nicht abzusehen. Rußland werde in den nächsten Jahren die Auseinandersetzung nicht anstreben. Hinsichtlich Englands „hält die Seekriegsleitung es jedoch für erforderlich, die Gefahrenquellen im Mittelmeer und im afrikanischen Raum zu erkennen und ihnen ohne Verzug durch politische und militärische Vorsichts-und Gegenmaßnahmen entgegenzuwirken... Seekriegsleitung ist der Auffassung, daß das Vorgehen Italiens falsch ist. Gegner ist unter Anwendung aller Mittel zur Ausnutzung aller sich bietenden Operationsmöglichkeiten aus dem Mittelmeerraum auszuschalten. Dabei ist die Forderung an Italien auf Durchführung der Ägyptenoffensive aufrechtzuerhalten und diese auf jede mögliche Art durch Deutschland zu unterstützen ...“
Diese sehr klaren Erkenntnisse und überzeugenden Argumente finden sich teilweise — aber leider nur teilweise — in einem von Hitler am 20. 11. 1940 verfaßten langen und sehr eindringlichen Brief an Mussolini
Die einzige Konsequenz aus der wesentlich zutreffenden Erkenntnis der allgemeinen Lage und der Gefährlichkeit möglicher Entwicklungen, allerdings unter immer noch völliger Verkennung der italienischen Leistungskraft in der gegebenen Situation ist demnach der Vorschlag zur Entsendung deutscher Fliegerkräfte in noch offenem Ausmaß, die — wiederum — in getrennten Räumen und ohne einheitliche Führung mit den Italienern wirken sollten. Kein Wort von Beratung mit dem Ziel, nunmehr endlich entschlossener gemeinsamer Kriegführung und Beseitigung der ihrer Verwirklichung entgegenstehenden politischen Hemmnisse.
Gewissermaßen als Illustration dieser Hitler-sehen Inkonsequenz hinsichtlich Lagebeurteilung und Entschlußfolgerungen enthielt ein Bericht Rintelens vom 23. 11. 1940, in seiner Eigenschaft als Heeresattache ans Oberkommando des Heeres, folgende Feststellungen für Lage und voraussichtlicheEntwicklung
Dieser Bericht sah die Lage nüchtern wie sie tatsächlich war und enthielt keine Feststellung, die dem Oberkommando der Wehrmacht etwa neu gewesen wäre.
Bis zu diesem Zeitpunkt war der nunmehr strategische Luftangriff auf die englische Insel voll aufrechterhalten worden; die Tätigkeit der Bomber war allerdings wegen der hohen Verluste bei den Tagangriffen auf die Nacht verlegt worden, während am Tage nur noch Jagdbomber (Me 109 und Me 110) in Erscheinung traten. Ihnen konnte wegen der geringen Bombenlast und der begrenzten Einsatzzahlen jedoch nur störende Wirkung zugeschrieben werden. Schon Ende Oktober gelang es den Engländern, die zunächst wenig behindert gewesenen deutschen Nachtangriffe durch verstärkte Flak-und Nachtjägertätigkeit wieder verlustreich zu machen und ihre Wirkung durch Störung der deutschen Navigation mittels FT stark zu mindern. Die deutschen Angriffe richteten sich fast durchweg und in hoher Zahl gegen die britische Produktion und gegen die Haupthäfen; es gelang aber nicht, das englische Potential und die Versorgung ernstlich zu gefährden, da ein zielbewußter Plan zu systematischer Zerschlagung der britischen kriegswirtschaftlichen Industrie fehlte. Es wurde im besonderen kein Engpaßziel bis zu seiner völligen Vernichtung konsequent angegriffen. Dabei waren die Kräfte der Luftwaffe bis zum Äußersten angespannt.
Die schriftliche Antwort Stalins auf die deutschen Vorschläge während des Molotowbesuchs in Berlin war in einer Note enthalten, die am 25. 11. 1940 übermittelt wurde: sie enthielt zwar die Annahme der Viererpakt-Vorschläge, verknüpfte sie aber mit zahlreichen und weitgehenden Bedingungen, die für Hitler unannehmbar waren.
Trotz wiederholter Nachfragen aus Moskau blieb die russische Note deutscherseits ohne Antwort.
Die Oberste deutsche politische und militärische Führung verharrte — trotz nachdrücklicher Hinweise und Beratungen von verantwortlicher militärischer Seite (freilich nicht des dazu berufenen Oberkommandos der Wehrmacht), trotz eindeutiger Lageentwicklung in politischer und militärischer Hinsicht, ja sogar trotz eigener Erkenntnisse der Gefährlichkeit dieser Entwicklung und nötiger Gegenmaßnahmen — in ihrer Auffassung von der Zweitrangigkeit des Mittelmeerraumes und in ihrer Überzeugung nach der Stalinantwort vom 25. 11., -daß es keine Alternative zur endgültigen bewaffneten Auseinandersetzung mit Rußland gab. Hätte aber nicht gerade dieser Glaube dahin führen müssen, vorher mit allen verfügbaren Mitteln die Mittelmeerlage tatsächlich und völlig zu „bereinigen“?
Der Osten hat endgültig den Vorrang
Diese „Bereinigung“ der Lage im Mittelmeerraum war zwar für den Winter 1940/41 von Hitler vorgesehen gewesen; sie sollte dem fürs Frühjahr 1941 angesetzten Vorstoß starker deutscher Kräfte aus Bulgarien heraus nach Süden vorangehen (Weisung 18). Durch das Sichversagen Francos — kein Kriegseintritt Spaniens in absehbarer Zeit, daher am 9. 1. 1941 Fallen-lassen aller Pläne zur Wegnahme Gibraltars —, durch das nach wie vor labile Verhältnis zu Frankreich — Entlassung Lavals im Dezember 1940 —, und infolge der fortlaufenden schweren Rückschläge Italiens in Albanien, Nord-und Ostafrika war sie jedoch nicht durchführbar gewesen. Die noch im November 1940 keineswegs als etwa bedrohlich angesehene Lage hatte sich durch die Schwäche Italiens, die Landung britischer Truppen auf dem griechischen Festland und den schließlich Ende März 1941 erfolgenden Putsch in Belgrad, der den gerade mit Mühe erreichten Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt annullierte, so weitgehend verschlechtert, daß sich Hitler nunmehr entschloß, nicht nur gegen Griechenland, sondern vorweg bzw. gleichzeitig auch konzentrisch gegen Jugoslawien vorzugehen, um es als Macht und Staat so schnell als möglich zu zerschlagen. Die angrenzenden Staaten — Ungarn, Bulgarien, Rumänien — an diesem Vorgehen zu beteiligen, sollte versucht werden. Bereits zu diesem Zeitpunkt mußte auch eine Verschiebung des vorgesehenen Barba ro s s a t e r m i n s um etwa 4 Wochen ins Auge gefaßt werden.
Etwa zum gleichen Zeitpunkt (Ende März 1941) war die am 20. 1. 1941 zwischen Hitler und Mussolini endgültig festgelegte deutsche Hilfe mit Panzerkräften und verstärkten Luftwaffenverbänden für und in Nordafrika aktionsbereit, allerdings ausdrücklich mit defensiven Aufgaben als „Sperrverband“ gedacht, um auf jeden Fall einen Verlust ganz Italienisch-Nordafrikas auszuschließen. Deutsche Luftwaffenkräfte waren schon im Dezember nach Sizilien verlegt worden
Der Angriff gegen Jugoslawien/Griechenland im Norden und das Antreten Rommels im Süden erfolgten fast gleichzeitig, allerdings nicht nach einheitlich angelegtem „Plan" der Obersten deutschen Führung, nämlich als Zangenbewegung gegen die britische Machtstellung im Nahen Osten. Sie führten zu durchschlagenden Erfolgen und brachten in überraschend kurzer Frist eine völlige Peripetie der durch Musso-linis Extratour auf dem Balkan ausgelösten bedrohlichen Lage: zwischen dem 6. und 30. 4. wurde die Balkanhalbinsel restlos besetzt und die Engländer von ihr vertrieben, am 31. 3. begann das deutsche Afrikakorps seinen „Erkundungsvorstoß", am 14. 4. stand Rommel an der ägyptischen Grenze. Es gelang ihm jedoch nicht, das rechtzeitig personell und materiell erheblich überSee verstärkte und anschließend fortlaufend gestützte Tobruk in überraschendem Zupacken oder in planmäßigem Angriff zu nehmen; dafür waren die deutschen Kräfte zu schwach. Tobruk vermochte so, im Rücken der deutsch-italienischen Kräfte dauernden Druck auf ihre überdehnten Verbindungslinien auszuüben, der durch über See herangeführte Kräfte schnell und in operativem Sinn gefährlich verstärkt werden konnte; es verhinderte weiteren deutschen Vorstoß nach Osten, um wenigstens den Suezkanal und den Flottenstützpunkt Alexandrien in wirkungsvolleren Bereich der Luftwaffe zu bringen
Um künftig jegliche Bedrohung der rumänischen Ölfelder auch aus der Luft auszuschalten und um gleichzeitig die Luftkriegführung im Ostmittelmeer zu erleichtern, befahl Hitler die Inbesitznahme Kretas — also als Abschlußhandlung des Balkanfeldzuges, nicht etwa als Gewinn eines Sprungbretts für weiterzielende Operationen. Aus den am 20. 5. beginnenden Luft-landungen entwickelten sich tagelange erbitterte und verlustreiche Kämpfe gegen die durch aus Griechenland evakuierte Truppen verstärkte Inselbesatzung. Die britische Flotte setzte sich voll ein, um deutsche Verstärkungen und Nachschub über See zu unterbinden. Sie erlitt hierbei allerdings im vollen Wirkungsbereich der deutschen Luftwaffe so schwere Verluste (2 Kreuzer, 3 Zerstörer versenkt, 2 Schlachtschiffe, 1 Träger, 3 Kreuzer, 4 Zerstörer schwer beschädigt), daß sie das Seegebiet nördlich Kreta schließlich freigeben mußte und damit das Heranbringen deutscher Verstärkungen ermöglichte, die sich bis 31. 5.der Gesamtinsel bemächtigten. Anläßlich der am 28. 5. beginnenden Räumung Kretas setzten die deutsche Luftwaffe und das britische Alexandriengeschwader wieder alle verfügbaren Kräfte ein; die Engländer mußten so schwere Einbußen hinnehmen, daß sich die englische Führung zum vorzeitigen Abbruch der Evakuierung gezwungen sah und 12 000 Mann als Gefangene in deutsche Hand fielen. Versenkt wurden 2 Kreuzer und 2 Zerstörer, beschädigt 1 Schlachtschiff, 4 Kreuzer, 5 Zerstörer — die englische Flotte im östlichen Mittelmeer war durch diese zweimaligen schweren Verluste entscheidend geschwächt.
Der bisherigen strategischen Konzeption der deutschen Führung entsprach, daß mit immer weiter fortschreitendem Ostaufmarsch ab Mitte April 1941 sowohl Landung in England wie Angriff auf Gibraltar mangels der hierfür erforderlichen Kräfte nicht mehr durchführbar waren, d. h.der Schwerpunkt der deutschen militärischen Macht sich bereits eindeutig zum Osten verlagert hatte. Diese Konzeption war bereits nachteilig beeinflußt, daß durch den Zwang zum Balkanfeldzug in erweitertem Rahmen für die vorgesehene Ostoperation bereits jetzt 5 kostbare Wochen mit wahrscheinlich günstiger Witterung verloren waren, die den an sich schon knappen Zeitplan bedrohlich beengten, und daß weiterhin eine erhebliche Zahl von Verbänden des Heeres und der Luftwaffe nicht voll aufgefrischt und ausgeruht, sondern nach nicht unbeträchtlichen personellen und materiellen Verlusten und unter unbequemem Zeitdruck zu neuem und sicherlich schwerem Einsatz kommen mußte. Die Konzeption hatte andererseits den überraschend positiven Umschwung der Lage nicht vorherbedenken können: die Kräfteverschiebung im östlichen Mittelmeer war grundlegend, die Briten waren nicht nur wieder aus Europa heraus und nach Ägypten zurückgedrängt, auch ihre Flotte — im Mittelmeer ganz besonders das Rückgrat ihrer Macht — war so stark angeschlagen, daß sie um die Monatswende Mai/Juni fast aktionsfähig geworden war. Die Behebung der schweren Beschädigungen wie etwaige Verstärkung durch neue Einheiten aus andern Bereichen mußte Monate beanspruchen. Das Ostmittelmeer und seine Randgebiete lagen damit deutschem Zugriff fast offen, vor starken Kräfte'n des Heeres und der Luftwaffe lagen Zypernund die Uferdes Nahen Ostens greifbar nahe. Die operative Gunst der Lage wurde noch durch das französische Mandatsgebiet Syrien mit seinen relativ starken Truppenverbänden — rund 35 000Mann — außerordentlich verstärkt. Es bot sofort benutzbare Basen für die Luftwaffe und schnelle Truppen zum Einsatz gegen die englischen Ölzufuhren Persischer Golf — Haifa, gegen das angrenzende Palästina wiegegen das nahe Ägypten und den Suezkanal. Die gesamte Welt, insbesondere aber die im unmittelbaren Ausstrahlungsbereich liegenden, am Kriege bisher unbeteiligten Staaten waren fraglos von den deutschen Erfolgen nachhaltig beeindruckt
Als zweiter Schicksalswink war zu betrachten, daß im Zusammenhang mit den irakischen Vorgängen die französische Regierung erneut Fühlung mit der Obersten deutschen Führung suchte. Es kam am 11. 5. zu einer Aussprache zwischen Hitler und Admiral Darlan, der im Dezember 1940 Laval ersetzt hatte und den schon einmal Petain zu Hitler entsandt gehabt hatte. Darlan kam jetzt mit einem ausgedehnten Programm; es sollte nach französischem Wunsch endlich das deutsch-französische Verhältnis zu einer Zusammenarbeit, auch auf militärischem Gebiet, gestaltet werden. lonsofern ist die Bedeutung dieses Zusammentreffens in politisch hochgespannter Lage kaum zu überschätzen. SeinHöhepunkt war das Angebot französischer Waffenhilfe durch Einsatz der von Darlan selbst reorganisierten französischen Flotte im Kampf gegen England! Naturgemäß hatte Darlan sich dabei als deutsche Gegenleistung die endgültige Klarstellung von Frankreichs Zukunft erwartet
Rund 4 Wochen nach der Aussprache Darlan-Hitler, am 8. 6., begann der seit langem schon ins Auge gefaßte, sorgsam vorbereitete und nach den Vorgängen im Irak nunmehr für unerläßlich angesehene Angriff englischer und freifranzösischer Kräfte gegen das zu Petain haltende Mandatsgebiet Syrien. Gerade Englands große Nöte und Sorgen in diesen Wochen (Kreta, Tobruk, Irak usw.) ließen die Beseitigung dieser von Deutschland her drohenden Gefahr dringlichst erscheinen
Weitere politische Ereignisse in diesen schicksalsschwangeren Frühjahrsmonaten 1941 waren geeignet, die deutschen Kriegsaussichten zu beeinflussen:
Dies bezog sich einmal auf das Verhältnis zum Bundesgenossen Japan. Artikel V des am 27. 9. 1940 abgeschlossenen Dreimächtepakts enthielt die ausdrückliche Zusicherung, daß der Pakt den gegenwärtigen politischen Status zwischen jedem der vertragschließenden Partner und der Sowjetunion nicht berührte. Darüber hinaus war in — auch gegenüber Italien! — geheim gehaltenem Notenwechsel Japan von Deutschland das Recht zur unabhängigen Auslegung seiner Bündnisverpflichtungen zugestanden worden
Auch die Entwicklung des Verhältnisses zwichen den beiden angelsächsischen Staaten zeigte eine immer klarer sich abzeichnende, für Deutschland ungünstige Tendenz. Der Abschluß und die Verkündung des amerikanischen Pacht-und Leihgesetzes im März 1941 enthob England großer wirtschaftlicher Sorgen auf Grund rapider Abnahme seines Devisenbestandes; das Gesetz stellte außerdem in praxi das gesamte ungeheure wirtschaftliche Potential der LISA England zur Verfügung. Es unterstrich Roosevelts Willen, diese Hilfe auch zu verwirklichen. Die Erweiterung der amerikanischen Sicherheitszone bis zum 26. Längengrad und die Errichtung einer amerikanischen Luftbasis in Grönland im April ließen Erschwerungen für die Führung des deutschen Seekrieges im Atlantik erwarten. Als nächstes folgte im Juni der Entschluß zum Einrichten eines amerikanischen Stützpunktes auf Island. Langsam und zielsicher führte offensichtlich der Präsident die USA an den Krieg heran.
Deutscherseits war schließlich nicht zu übersehen, daß Flug und Landung von Rudolf Heß am 10. 5. 1941 in England nicht gerade als überzeugender Beweis unbeugsamer deutscher Siegeszuversicht im Ausland gewertet werden konnte.
Diese negativen politischen Aspekte ergänzten Entwicklungen auf militärischem Gebiet:
Die Kriegsmarine verlor — bei insgesamt durchaus erfreulichen Versenkungserfolgen -im März kurz hintereinander drei ihrer bewährtesten U-Bootkommandanten; am 27. 5. sank die Bismarck und im Juni gelang anschließend dem Feind durch Ausbringen und Versenken von 9 Tankern und Versorgungsschiffen das Aufrollen und Zerschlagen der deutschen Versorgungsorganisation im Atlantik. Damit war zwangsläufig die Tätigkeit schwerer deutscher Seestreitkräfte bzw. Überwasserschiffe im Atlan-tischen Ozean beendet, auch die der U-Boote im Südatlantik und vor Afrika erschwert, während andererseits sehr zahlreiche bisher hierdurch gebundene Feindkräfte für anderweitige Verwendung gegen Deutschland frei wurden.
Mit dem Herauslösen der Masse der Kräfte der Luftwaffe für den Osteinsatz im Mai/Juni 1941 hob sich nicht nur der Druck von den Resten der englischen Flotte im Ostmittelmeer, sondern es erlosch auch allmählich der verschärfte Luftkrieg gegen das englische Mutterland. Wozu die schwachen Bomberkräfte der im Westen verbleibenden Luftflotte 3 noch fähig waren, blieb für England zwar lästig, nachdrücklicher Erfolg konnte nicht erwartet werden. In der Rückschau war festzustellen, daß dieser verschärfte Luftkrieg trotz härtesten Einsatzes und Anspannung aller irgend verfügbaren Kräfte der Luftwaffe vom August 1940 bis Mai 1941 keines der gesteckten Ziele hatte erreichen können: im Spätsommer 1940 war weder die Zerschlagung der englischen Jagdwaffe noch das Erringen der Luftherrschaft über dem Kanal und Südengland gelungen; der anschließende operative Luftkrieg gegen das wirtschaftlich«. Kriegspotential Englands und seine überseeische Versorgung hatte sicherlich schwere, z. I. schwerste Schäden und auch hohe Menschenverluste gebracht, es war aber weder die industrielle Produktion entscheidend gemindert oder gar völlig gelähmt noch die Versorgung so weit eingeengt worden, daß sich hieraus schwere Nachteile ergeben hätten. Die Kampfentschlossenheit von Volk und Regierung war sogar eher gesteigert denn geschwächt worden. Vielfache Ungust des Wetters, technische Unzulänglichkeiten von Flugzeugen und Waffen, unzureichende zahlenmäßige Stärke, mangelnde taktische und operative Erfahrungen und nicht zuletzt das Fehlen eines durchdachten Einsatzplanes und gleichzeitige wesentliche Überschätzung der nicht nur relativ, sondern absolut zu erzielenden Erfolgsmöglichkeiten hatten, zusammenwirkend, dies unbefriedigende Ergebnis herbeigeführt. Darüber hinaus war nicht eingetroffen, was die weiteren Planungen beeinflussen mußte: am 5. 12. 1940 hatte Hitler prophezeit
Noch am 6. 6. 1941 versuchte der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nochmals — und sicherlich nicht ohne Einwirkung der vorstehend gestreiften Entwicklungen — an Hand einer Denkschrift der Seekriegsleitung Hitler dahingehend zu beeinflussen, die seiner Ansicht nach kriegsentscheidenden Ziele im Naben Osten, deren Erreichen nach dem Balkanfeldzug und der Einnahme Kretas in nächste Nähe gerückt sei, im Auge zu behalten und die jetzt geschaffene Gunst der Lage energisch und zu einem Zeitpunkt auszunutzen, zu dem die Hilfe der USA für England noch keinen entscheidenden Umfang angenommen habe
Die große Chance, die sich noch einmal und sicher letztmalig wenige Wochen vor Beginn des Ostfeldzuges und damit des endgültigen Zweifrontenkrieges im Kampf gegen England bot, blieb wiederum ungenützt. Selbst nach Hitlers eigener Abschätzung der Erfolgsaussichten im Kampf gegen die Sowjetunion war die Wiederaufnahme des entscheidungsuchenden Kampfes gegen England unter Einsatz aller deutschen Kraft bestenfalls im Frühjahr 1942 möglich. Er glaubte, während dieses runden Jahres, trotz aller eben hinter ihm liegenden Erfahrungen und während er dann selbst in seinen eigenen Kräften völlig gefesselt war, den in jeder Hinsicht schwachen Partner Italien einem kampfentschlossenen England gegenüber völlig allein lassen zu können — England gegenüber, dessen Kräfte anderweitig fast ungebunden waren und durch steigende Produktion und die sich immer vermehrende Hilfe der USA fortlaufend wuchsen. Wie gebannt nach Osten blickend, glaubte die Oberste deutsche Führung, diese der Gesamtachse auf lange Sicht drohenden Gefahren nicht sehen zu sollen. Sie konnten sich dabei noch in nicht übersehbarem Maße steigern, sofern im Ablauf des für den Ostsieg vorgesehenen mehr als knappen Zeitplans sich Verzögerungen ergaben — hatte doch Hitler zutreffend ein Stocken in der Durchführung der Operation in einem Zuge oder gar eine Bindung der deutschen militärischen Kraft zu Lande und in der Luft über den Winter hinaus von je als bedenklich angesehen
Hitler war von seiner Siegesgewißheit gegenüber einem leichtfertig als schwach angesehenen künftigen Gegner so besessen, daß er die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, in Kürze den drei stärksten Mächten der Welt allein gegenüber zu stehen, nicht sehen wollte. Er glaubte erneut, nicht als Alternative zu seinem Ostplan ansehen zu sollen, daß sich ihm im Augenblick die Möglichkeit bot, sich schnell und mit starken Kräften unmittelbar gegen Englands Achillesferse im östlichen Mittelmeerraum zu wenden, gegen ein England, das bittere Verluste und Schläge in den letzten Wochen schon hatte einstecken müssen und verzweifelt sich zu wehren mühte
Diese bei Hitler — und nicht nur bei ihm — vorhandene, uneingeschränkte Siegesgewißheit beleuchten zwei Weisungen besonders deutlich; sie zeugen von Übersteigerungen im strategischen Denken, das keine Grenzen mehr zu kennen und alle üblichen Vorstellungen operativer Möglichkeiten mit leichter Hand beiseite zu schieben schien.
Es handelt sich einmal um den dem Chef des Wehrmachtsführungsstabes von Hitler erteilten Auftrag zur studienmäßigen Bearbeitung eines Aufmarsches in Afghanistan gegen Englands Stellung in Indien im Anschluß an die Operation Barbarossa (Ostfeldzug)
Die Grundgedanken der Weisung 32 sind folgende: Nach der Zerschlagung der sowjetrussischen Wehrmacht besteht eine ernsthafte Gefährdung des europäischen Raumes zu Lande nicht mehr. Im Hinblick auf das Ausmaß der noch zu erfüllenden Aufgaben im Endkampf gegen England kann das Heer vermindert, der Schwerpunkt der Rüstung auf Kriegsmarine und Luftwaffe gelegt werden. Die Zusammenarbeit mit Frankreich soll — im Hinblick auf die Aufgaben im westlichen Mittelmeer, in Nord-und Nordwestafrika — vertieft werden. Spanien wird sich entscheiden müssen, ob es sich an der Vertreibung Englands aus Gibraltar beteiligt oder nicht. Die Türkei und der Iran sollen mittelbar oder unmittelbar in den Kampf eingegliedert werden.
Der Wehrmacht können demnach im Spätherbst 1941 oder im Winter 1941/42 (!) folgende strategische Aufgaben erwachsen:
Sicherung des Ostraums etwa in der Linie Archangelsk — Wolga und konzentrischer Angriff gegen die englische Position im Mittelmeer und im. Nahen Osten durch — möglichst gleichzeitiges — Vorgehen durch Spanien gegen Gibraltar, aus Libyen durch Ägypten, aus Bulgarien durch die Türkei und gegebenenfalls aus dem transkaukasischen Raum durch den Iran gegen die englischen Stellungen am Suez-Kanal, in Palästina und im Irak.
Die „Belagerung" Englands durch Kriegsmarine und Luftwaffe sollte sofort nach Abschluß des Ostfeldzuges in vollem Maße wieder ausgenommen werden.
Die gedankliche und organisatorische Durcharbeitung dieser Zielsetzungen durch die Wehr-machtteile sollte so rechtzeitig abgeschlossen werden, daß der Erlaß endgültiger Weisungen durch die Oberste Führung noch während des Ostfeldzuges möglich wurde.
Es ist, wie schon gesagt, nicht denkbar, daß diese fast ins Uferlose sich verlierenden strategischen, politischen und operativen Pläne ohne die volle Kenntnis und Billigung Hitlers an die zur Vorbereitung und späteren Durchführung berufenen höchsten militärischen Dienststellen hätten bekanntgegeben werden können. Die in ihnen — trotz aller politischen und militärischen Enttäuschungen nach dem Ende des Frankreichfeldzuges — sich offenbarende machtpolitische Hybris steht in krassem Gegensatz zum vielfachen Schwanken und Zaudern in den letztvergangenen 12 Monaten. Sie ist ein aufschlußreicher Hinweis dafür, daß Hitler vom Gelingen auch seiner jüngsten Blitzkriegsvorhaben fest überzeugt war — waren sie doch rein kontinental und vermieden das ihn sicherlich zunehmend schreckende Risiko strategischer See-und Luftkriegsoperationen!
Zusammenfassung
Die Rückschau über das an dramatischem Geschehen so reiche Jahr vom Juni 1940 bis Juni 1941 läßt zweifelsfrei erkennen, daß in ihm — nach den über die Erwartung hinaus großen militärischen Erfolgen des knappen ersten Kriegsjahres — bereits der Umschwung und der Keim zum Verlust des leichtfertig vom Zaun gebrochenen Krieges beschlossen lag.
Dem war so, weil die sich in diesem Jahr schnell und in großer Zahl stellenden politischen und militärischen Probleme von der Obersten deutschen Führung teils überhaupt nicht erfaßt, teils in ihrer wahren, z. T. entscheidenden Bedeutung nicht erkannt, teils erst zu spät und vielfach dann noch unzureichend gewürdigt und einer Lösung zugeführt wurden.
Die Gründe hierfür sind zweifach, ihrerseits wieder aufs engste miteinander verbunden: sie erwachsen aus dem Politischen und dem Strategischen.
Hitlers Politik ist weitgehend ideologisch basiert, somit starr oder wenig wendig. Ihm bedeutet Politik nicht die Kunst des Möglichen, er verfolgt rein machtpolitische Ziele; er unterliegt dabei — als Folge vorgefaßter Ansichten — oft unrealistischen und illusionistischen Hoffnungen und Erwartungen. Er vertäut auch in der Politik auf seine Willenskraft und Fähigkeit, zu beeinflussen; auch in ihr spiegelt sich seine Ablehnung der Sittlichkeit im Tun und Denken und jeder menschlichen versöhnlichen Regung, sein Handeln von Gelegenheit zu Gelegenheit. Aus all dem entspringt das Fehlen klarer politischer Konzeption.
Die Führung Europas ist für den herrschsüchtigen, mißtrauischen Hitler gleichbedeutend mit Unterjochung. Er lehnt damit — für sich folgerichtig — jede echte Koalition ab; jedes Zusammengehen ist rein zweck-und zeitbedingt, er nutzt aus, wo er kann, um seinen egoistischen Zielen näher zu kommen.
Auf dieser Grundeinstellung beruht sein Verhältnis oder Verhalten ebenso gegenüber England, Frankreich und schließlich Rußland wie gegenüber Italien, Spanien und Japan. Auf ihr beruht das Nichtverstehen, Übersehen oder Beiseiteschieben psychologischer Gegebenheiten. Das Verkennen des Faktors Zeit ist teils politisch teils persönlichkeits-bedingt; denn er kennt keine Geduld, keine staatsmännische Kunst, notfalls nur lauerndes Warten auf Eingebung. Aus der Ablehnung jeglicher sorgfältig planenden systematischen Gedankenarbeit ergeben sich zwangsläufig Sprunghaftigkeit und zeitliche Überhastung.
Aus diesen Grundelementen der Hitlerschen Politik erwuchs die fehlerhafte Strategie: das Eingehen von Risiken, denen weder sein politischer Gestaltungswille noch die deutsche militärische Kraft gewachsen waren, der Verzicht auf einen Gesamtkriegsplan — Hitler „wollte" ja keinen Krieg, ein Konflikt sollte lokalisiert werden, das kurzfristige und überstürzte Erdenken immer neuer Teilpläne, die zeitlich und sachlich zu eng umgrenzt waren, nacheinander entstanden und daher nicht koordiniert sein konnten; der hiermit verbundene Zeitverlust ging immer zugunsten des Gegners, die mangelnde Übersicht und Wendigkeit im strategischen, auch operativen Denken, das starre Beharren auf „unabänderlichen Entschlüssen", die Planung in „getrennten Räumen", das Festhalten hieran trotz sachlichem Überholtsein und sich drohend abzeichnender Gefahr, der Verzicht auf gemeinsame langfristige Planungen und einheitliche Führung, obwohl die Notwendigkeit dringlich und die Zeit zur Durchführung noch gegeben war.
So erwuchs aus dem Polenfeldzug der europäische und schließlich der globale Krieg, da England — entgegen der festen „*Überzeugung — nicht nachgab, sondern kämpfte; in ihn traten Wehrmacht und Rüstung, der Obersten Führung durchaus und voll bekannt, unfertig und noch weitab vom vorgesehenen Endstand, so scheiterte der erste unmittelbare Angriff gegen die englische Insel wesentlich am mangelnden langfristig geplanten, völlig durchdachiten und koordinierten Einsatzplan aller Wehrmachtsteile und letztlich an der absoluten und durchaus bekannten Unzulänglichkeit der zur Verfügung stehenden Angriffsmittel, so erfolgte der periphere Angriff im Mittelmeerraum erst, nachdem unwiederbringliche Zeit verstrichen war und der absolut schwächere Partner Italien, zunächst sich selbst überlassen, schwerste Einbußen in jeder Hinsicht erlitten hatte; er erfolgte nur auf Teilgebieten, zersplittert und zu spät, weil starre uneinsichtige und damit fehlerhafte Politik gegenüber Frankreich, Spanien und Italien zielsicherer Strategie im Wege stand und auf Abstimmung und Vereinheitlichung der politischen und militärischen Kampfführung verzichtet wurde, so blieb der schließlich gefaßte Entschluß zum Angriff im Osten auch dann noch starr aufrechterhalten, als eine überraschend positive Entwicklung im peripheren Mittelmeer-Kampf bei kurz entschlossenem Zugreifen große und rasche Erfolgsaussichten zu bieten und Möglichkeiten zu eröffnen schien, doch noch zu einer umfassenden Lösung des Englandproblems zu kommen, ohne das unübersehbare Risiko eines Zweifrontenkrieges eingehen zu müssen. Es griffe in den Bereich der Spekulationen, sagen zu wollen, daß eine bessere, zielsicherere Strategie ein baldiges positives Kriegsende gesichert hätte. Sie hätte aber sicherlich realere Grundlagen hierfür geschaffen.
Hitlers abenteuerliche Politik hat mit dem Schicksal des deutschen Volkes gespielt, seine Strategie folgte ihr zwangsläufig; aber erst die Gegebenheiten einer terroristischen Diktatur verhinderten eine Hinwendung zum aus Ethos, Vernunft und Erkenntnis geborenen Besseren. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:
Karl Dietrich Bracher: „Plebiszit und Machtergreifung Ludwig Dehio: „Deutschland und das Epochenjahr 1945"
Romano Guardini: „Der Glaube in unserer Zeit"
Helmut Krausnick: „Unser Weg in die Katastrophe von 1945"
Georg Paloczi-Horvath: „Mao Tse-tung Eine politische Biographie"
Werner Richter: „Bismarck"
Carl Günther Schweitzer: „Hat die Weltgeschichte einen Sinn?"
Karl C. Thalheim: „Diskussion mit einem Kommunisten"
Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche (IV. Teil) *** „Die Rolle des Parlaments bei einer kommunistischen Machtergreifung"